Table.Briefing: Security

20 Jahre Irak-Krieg: Was Kobler heute von der UN erwartet + Eine Million Schuss für die Ukraine + Schweden will im Sommer in die Nato

Liebe Leserin, lieber Leser,

Martin Kobler ist enttäuscht von den Vereinten Nationen. Sie nähmen ihre friedensstiftende Rolle in der Ukraine “schlicht nicht wahr”. Als die USA vor 20 Jahren das Votum des UN-Sicherheitsrats verletzten und in den Irak einmarschierten, leitete Kobler das Büro des deutschen Außenministers Joschka Fischer. Später erlebte er die Folgen des Krieges als UN-Sonderbeauftragter für den Irak. Markus Bickel hat er erzählt, warum der amerikanische Einmarsch nicht mit dem russischen in die Ukraine vergleichbar ist, und was die UN jetzt tun sollten.

Aus Brüssel berichtet Stephan Israel über die Munitionshilfe der EU für die Ukraine. Die EU-Verteidigungsminister haben sich geeinigt und wollen gemeinsam eine Million Schuss liefern. Die Frage ist nur, wie schnell sie das überhaupt leisten können.

Auch Finnland und Schweden würden gerne gemeinsame Sache machen – der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat aber etwas dagegen. Während der Nato-Beitritt Finnlands Formsache ist, muss Schweden noch draußen warten. Nana Brink hält fest, warum Stockholm gelassen bleibt.

Munitionsbeschaffung ist auch in Frankreich ein großes Thema. Die Beschaffungsbehörde Direction générale de l’Armement will sich modernisieren, vergangene Woche präsentierte sie ihre “Vision”. Was sie umstellen will, lesen Sie in den News.

Für die ukrainischen Streitkräfte hatte der Tag gestern halbwegs gute Nachrichten. Der polnischen Ankündigung, MiG-Kampfjets zu liefern, schloss sich die Slowakei an. Großbritannien wiederum bot Polen Hilfe bei der Luftverteidigung an. Die gewünschten F-16-Flieger bekommt die Ukraine aber bisher nicht. Auch, wenn ukrainische Piloten schon an amerikanischen Flugsimulatoren trainieren.

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Ihr
Gabriel Bub
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Analyse

“Die Vereinten Nationen nehmen ihre friedensstiftende Rolle nicht wahr”

Martin Kobler ist ehemaliger UN-Sonderbeauftragter für den Irak und leitete von 2000 bis 2003 das Büro des damaligen Bundesaußenministers Joschka Fischer.

Herr Kobler, am 20. März 2003 marschierten US-amerikanische Truppen im Irak ein. Gemeinsam mit Frankreich und Russland hatte die Bundesregierung in den Wochen zuvor im UN-Sicherheitsrat versucht, das zu verhindern. War dieses Ziel überhaupt realistisch?

Wenn ich an die berühmte Rede denke, für die Dominique de Villepin im Februar 2003 im UN-Sicherheitsrat Applaus erhielt, würde ich sagen: ja. Diese Koalition aus Deutschland, Frankreich und Russland, die sich den USA und Großbritannien entgegenstellte, war durchaus repräsentativ für weite Teile der Staatengemeinschaft und bedeutete kein Wegducken vor der Verantwortung – zumal Rot-Grün zuvor sowohl dem Afghanistan- wie dem Kosovo-Einsatz zugestimmt und Deutschland sich an den Missionen beteiligt hatte.

Das heißt, das deutsche Nein war auch Ausdruck nationaler Emanzipation vom großen Bruder Amerika? Bundeskanzler Gerhard Schröder wurde damals von der Opposition bezichtigt, einen deutschen Sonderweg einzuschlagen.

Die anstehende Bundestagswahl hat sicherlich eine gewisse Rolle für Deutschlands Nein gespielt – nicht zuletzt, um zu zeigen, dass nach den Interventionen im Kosovo und Afghanistan nun auch mal Schluss sein müsste mit militärischen Lösungen. Das kam im Wahlkampf gut an. Aber wir waren in der Tat auch überzeugt, dass die amerikanischen und britischen Informationen über mutmaßliche Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins nicht zutrafen.

Donald Rumsfeld sagte damals, das alte Europa um Frankreich und Deutschland habe nicht verstanden, dass sich das Machtzentrum in Europa durch die Erweiterung der Nato nach Osten verlagert habe.

Wir sehen nicht erst heute, dass es sich eher um eine Westorientierung der osteuropäischen Staaten handelte – und um den Wunsch unter anderem von Balten und Polen, so schnell wie möglich der Nato beizutreten und die Gunst der historischen Stunde nach dem Ende der Sowjetunion zu nutzen.

Lassen sich aus dem Scheitern der Vereinten Nationen, den Irak-Krieg zu verhindern, Lehren ziehen für eine Beendigung des Kriegs in der Ukraine?

Viele vergleichen gerade die russische Invasion der Ukraine mit der des Iraks mit dem formal richtigen Argument, dass das Übel damals mit dem Einmarsch der USA gegen das Votum des UN-Sicherheitsrates angefangen habe. Das aber kann man nicht mit dem russischen Vorgehen in der Ukraine gleichsetzen, im Gegenteil: Die USA wollten nie den Irak auslöschen, sondern das Regime Saddam Husseins beseitigen. Was Wladimir Putin jetzt macht, ist etwas völlig anderes: Ihm geht es um die Beseitigung der Ukraine als eigenständiger Staat und damit um eine Heim-ins-Reich-Politik. Das heißt, die Lage ist heute eine ganz andere als 2003. Putin bedroht mit diesem Ansatz nicht nur die Ukraine und Europa, sondern das gesamte globale Wertesystem.

Das spricht für ein noch stärkeres Eingreifen der internationalen Gemeinschaft in der Ukraine.

Ich bin nachdrücklich für eine starke militärische Unterstützung Kiews. Allerdings will ich mir gleichzeitig eine pazifistische Grundhaltung bewahren. Grundsätzlich halte ich Aufrüstung und Investitionen in Rüstung – abgesehen von ethischen Argumenten – für eine Fehlallokation wirtschaftlicher Ressourcen. Ein Doppelwumms für Erziehung und Klima wäre doch sehr viel zukunftsgerichteter. Bei aller Notwendigkeit der Unterstützung der Ukraine und der Wiederherstellung der Wehrfähigkeit der Bundeswehr fehlt mir das hier leider. Auch sollte die militärische Unterstützung nicht alleine stehen. Wir brauchen dringend einen internationalen Verhandlungsrahmen.

Anders als im Irak vor zwanzig Jahren fallen die Vereinten Nationen seit Beginn der russischen Invasion vor einem Jahr politisch kaum ins Gewicht.

Dabei sind die UN genau dafür geschaffen worden, just in solchen Situationen politisch den Boden für Verhandlungen zu bereiten. Aber wo waren die präventiven diplomatischen Maßnahmen des Generalsekretärs in den Monaten vor Kriegsbeginn? Im Vorfeld eines heißen Konflikts ist es besonders wichtig, aktiv zu sein. Ich denke hier an die Rolle U Thants während der Kubakrise oder die Aktivitäten von Perez de Cuellar während des ersten Irak-Kriegs. Das läuft heute deutlich schlechter. Die Vereinten Nationen nehmen ihre konfliktverhindernde und friedensstiftende Rolle heute schlicht nicht wahr.

China wird nun immer wieder als möglicher Vermittler genannt.

Als Anhänger einer regelbasierten internationalen Ordnung hat mir an dem chinesischen Vorschlag gefallen, dass er auf die UN-Charta Bezug nimmt, also auf das Gewaltverbot, die friedliche Streitbeilegung, die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Allerdings frage ich mich, warum eine entsprechende Initiative nicht vom UN-Generalsekretär gekommen ist. Warum lädt er nicht die Vertreter der Konfliktparteien etwa nach Genf ein oder ernennt Sonderbeauftragte für den Konflikt? Zu sagen, die Parteien würden ohnehin nicht kommen, greift zu kurz. Früher oder später wird es zu Verhandlungen kommen. Der formale Rahmen kann doch bereits jetzt angedacht und angeboten werden. Es wird am Ende ohnehin auf eine Befassung des UN-Sicherheitsrates hinauslaufen, der eine Verhandlungslösung, wie immer sie in der Sache aussehen mag, in einer Resolution absegnen wird.

Zwanzig Jahre nach der Invasion des Iraks ist die Lage kaum besser geworden, auch in anderen arabischen Staaten sind trotz der Aufstände dort Misswirtschaft und fehlendes Verantwortungsbewusstsein der Herrschenden weiter an der Tagesordnung.

Sie haben Recht, die Grundprobleme sind nicht verschwunden. Im Irak und anderswo werden viele Politiker ihrer Verantwortung für das nationale Wohl nicht gerecht. Der Irak darf doch kein Selbstbedienungsladen der Machteliten sein. Wo wir Korruption und schlechte Regierungsführung aus manchmal falsch verstandenen Stabilitätsinteressen dulden oder gar unterstützen, tragen wir dazu bei, dass es in diesen Ländern nicht vorangeht. Auf lange Sicht wird es ohne gutes Regieren, Rechenschaftspflicht und die Respektierung von Grundrechten keine Fortschritte geben.

Martin Kobler leitete von 2000 bis 2003 das Büro des damaligen Bundesaußenministers Joschka Fischer. Von 2011 bis 2013 war er UN-Sonderbeauftragter für den Irak und Leiter der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen (UNAMI) in Bagdad, wo er von 2006 bis 2007 bereits als Botschafter der Bundesrepublik arbeitete. Für die Vereinten Nationen leitete Kobler die Missionen im Ostkongo (MONUSCO) und Libyen (UNSMIL), für das Auswärtige Amt die Botschaften in Ägypten und Pakistan.  

  • Vereinte Nationen

Die EU verspricht der Ukraine eine Million Artilleriegeschosse

Manchmal kann es in der EU auch schnell gehen. Vor drei Wochen hat der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erstmals seinen Plan präsentiert, wie die Lieferung von Artilleriemunition für die Ukraine beschleunigt werden könnte. Am Montag haben die Verteidigungsminister dem Plan zugestimmt. Die EU stellt zwei Milliarden Euro speziell für die Munitionsbeschaffung zur Verfügung, hauptsächlich für Geschosse vom Kaliber 155 Millimeter. Die Mittel sollen aus der Europäischen Friedensfazilität kommen, aus der bisher schon Kriegsmaterial für die Ukraine kofinanziert wurde.

Ziel sei es, der Ukraine innerhalb eines Jahres eine Million Artilleriegeschosse liefern zu können, sagte Borrell am Montag. Beschlossen wurde ein dreigleisiger Ansatz:

  • Lieferung aus Lagerbeständen
  • Neue Beschaffung für die Ukraine und Auffüllen der eigenen Reserven
  • Ausbau von Produktionskapazitäten

Bis zu einer Milliarde Euro können die Mitgliedstaaten abrufen, wenn sie sofort aus ihren eigenen Beständen weitere Munition liefern. 350.000 Artilleriegeschosse vom Kaliber 155 Millimeter haben die Mitgliedstaaten im ersten Kriegsjahr bereits an die Ukraine abgegeben. Die Bestände in der EU sind deshalb stark reduziert. Niemand will die Reserven aus Sicherheitsgründen klar beziffern.

Nur Firmen aus der EU und Norwegen sollen profitieren

Josep Borrell wollte mit einer abgestuften Entschädigung einen Anreiz für die Mitgliedstaaten schaffen, noch einmal in ihren Lagern nachzuschauen und möglichst rasch zu liefern. Vorgesehen war eine Rückerstattungsrate von bis zu 90 Prozent. Eine Mehrheit fand dies allerdings unfair gegenüber Ländern, die bereits Kriegsgerät geliefert und bisher weniger zurückbekommen haben. Die Rückerstattungsrate bleibt deshalb unverändert bei 50 bis 60 Prozent. Die Kosten für eine Artilleriegranate vom Kaliber 155 Millimeter liegen bei 4.000 Euro, wobei die Mitgliedstaaten in der Regel nicht den Neuwert in Rechnung stellen. Die 155-Millimeter-Munition kann bei verschiedenen Waffensystemen der Nato eingesetzt werden.

Die zweite Milliarde steht zur Verfügung, um die gemeinsame Beschaffung von Artilleriemunition zu finanzieren, ebenfalls für die Ukraine, aber auch um eigene Bestände aufzufüllen. Umstritten war bis zuletzt, ob auch Hersteller außerhalb Europas berücksichtigt werden sollen. Nun sollen ausschließlich Firmen aus der EU und Norwegen zum Zug kommen.

15 Unternehmen in elf Mitgliedsstaaten könnten produzieren

Borrell hatte zudem vorgeschlagen, die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) mit der Koordination zu beauftragen, also ähnlich wie bei der Impfstoffbeschaffung einen europäischen Weg zu gehen. Einige Hauptstädte verwiesen jedoch auf bestehende nationale Lieferverträge. Hinzu kamen Zweifel, ob die Verteidigungsagentur mit Fokus auf Forschung und gemeinsame Entwicklung unter Zeitdruck geeignet ist, erstmals eine Bestellung zu organisieren.

Auch hinkt der Vergleich mit der Impfstoffbeschaffung, weil es die EU damals mit anfänglich nur wenigen Herstellern zu tun hatte. Bei den gefragten Artilleriegeschossen verfügen 15 Firmen in elf Mitgliedstaaten über geeignete Produktionsstätten. Der Kompromiss sieht vor, dass beide Optionen offenstehen.

Verteidigungsminister Boris Pistorius sprach von Neuland: “Wir beschreiten einen neuen Weg bei der Beschaffung in Europa.” Die EU bündle ihre Marktmacht. Deutschland werde seine Verträge als Rahmennation für andere Länder öffnen. Dänemark und die Niederlande hätten bereits Interesse angemeldet. Boris Pistorius ging in Brüssel davon aus, dass die bestehenden Verträge bis Ende März angepasst werden können. Deutschland sei aber auch bei der gemeinsamen Bestellung dabei.

Binnenmarktkommissar spricht von Kriegswirtschaft

Laut Borrell haben bereits 17 Mitgliedstaaten und Norwegen zugesagt, Bestellungen über die Verteidigungsagentur aufgeben zu wollen. Es müsse schnell gehen, die Munitionsbeschaffung werde für den Kriegsausgang entscheidend sein. Nach Berechnungen der EU verschießt Russland zwischen 20.000 und 60.000 Artilleriegeschosse pro Tag. Wegen knapper Reserven können die Streitkräfte der Ukraine maximal zwischen 2.000 und 6.000 Geschosse abfeuern. Der ukrainische Verteidigungsminister Olexi Resnikow rechnete kürzlich vor, dass seine Armee pro Monat 250.000 bis 300.000 Artilleriegeschosse benötige.

Neben den Milliarden für Lieferung aus den Beständen und für gemeinsame Bestellungen sieht der Plan der EU vor, parallel und an dritter Stelle auch die Produktionskapazitäten auszubauen. Binnenmarktkommissar Thierry Breton sprach gar von Kriegswirtschaft, was intern auf Kritik stieß. Der Franzose besucht derzeit Rüstungsfirmen quer durch Europa.

Rheinmetallchef Armin Papperger hat in Interviews bereits angekündigt, die Kapazitäten zu erhöhen, und zwar in Ungarn sowie mit einer neuen Pulverfabrik in Sachsen. Papperger beklagt gleichzeitig, dass die EU bei den Bestellungen trödele. Ohne Aufträge produziere Rheinmetall nicht. Boris Pistorius wies die Kritik am Montag in Brüssel indirekt zurück. Es sei allgemein bekannt, dass Munition benötigt werde. Er gehe davon aus, dass die Industrie die Produktionskapazitäten rasch erhöhen werde, wenn dies nicht schon geschehen sei.

  • EDA
  • Europapolitik
  • Ukraine-Krieg

Schweden setzt auf Nato-Beitritt bis Juni

Obwohl sie “Hand in Hand” der Nato beitreten wollten, geht Finnland nun vor Schweden den ersten Schritt. Ende vergangener Woche hat die Türkei ihre Blockade gegen den finnischen Beitritt aufgegeben. Zusammen mit Ungarn haben die Türkei als einzige Nato-Mitglieder die Aufnahme der beiden nordischen Staaten bislang verhindert. Der finnische Präsident Sauli Niinistö erklärte bei seinem Besuch in Ankara Ende letzter Woche: “Eine finnische Nato-Mitgliedschaft ist ohne Schweden nicht komplett.”

“Es wäre schöner, wenn es, so wie ursprünglich geplant, ein gemeinsames Fest geben könnte. Ich kann aber nachvollziehen, dass das Land, das eine 1300 Kilometer lange gemeinsame Grenze mit Russland hat, ein etwas gesteigertes Bedürfnis hat, die Mitgliedschaft jetzt nicht auf die lange Bank zu schieben”, sagte Wolfgang Ischinger, lange Jahre Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, in einem Interview mit Table.Media.

In Schweden scheint man den Alleingang, entgegen früherer Äußerungen, entspannt zu sehen. “Natürlich ist das keine perfekte Situation, aber wir verstehen unseren finnischen Nachbarn”, äußerte sich Hans Wallmark, Vorsitzender der schwedischen Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung der Nato, gegenüber Table.Media. Er stimme Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zu, der das türkische Einlenken betont nüchtern kommentierte: “Dies wird Finnlands Sicherheit stärken, es wird Schwedens Sicherheit stärken und es wird die Sicherheit der Nato insgesamt stärken.”

Schweden darf kein “weißer Fleck” bleiben

Wallmark, Mitglied der konservativen Regierungspartei, betonte allerdings, dass Schweden nicht lange ein “weißer Fleck” auf der Nato-Karte bleiben könnte. Bis auf die russische Oblast Kaliningrad ist der gesamte Ostseeraum von Nato-Staaten umgeben. Der “nordische Block” wird im “Strategischen Konzept der Nato 2022”, das Russland “als die größte und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Verbündeten” bezeichnet, eine große Rolle spielen. Die schwedische Insel Gotland, nur 330 Kilometer von Kaliningrad entfernt und gern als “unsinkbarer Flugzeugträger” bezeichnet, ist für die Verteidigung der baltischen Staaten von zentraler Bedeutung.

Das schwedische Parlament wird am kommenden Mittwoch formell über den Nato-Beitritt abstimmen, “dann liegen unsere Papiere für den Beitritt vor. Wir haben alle Auflagen erfüllt”, ist sich Wallmark sicher. Prognosen gehen von einer klaren Mehrheit für den Beitritt aus. Er rechne damit, dass die Türkei – und auch Ungarn – ihre Einwände gegen Schwedens Mitgliedschaft spätestens bis zum Nato-Gipfel im Juni in Vilnius fallen lassen werden: “Alles andere wäre eine schwere Niederlage für die Nato.”

Wallmark, der im Auswärtigen Ausschuss des schwedischen Parlaments sitzt, sieht noch einen weiteren Grund für ein mögliches türkisches Einlenken. Am 1. Juni wird das neue Antiterrorgesetz endgültig in Kraft treten. Demnach ist die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung illegal. Auch die Organisation von Versammlungsorten oder das Führen von Transporten kann unter Strafe gestellt werden. Bislang hatte die Türkei ihre Zustimmung an die Auslieferung von Anhängern der Kurdenorganisation PKK geknüpft. Die PKK gilt auch in den USA und der EU als terroristische Organisation.

Türkische Erpressung “mit Würde” übersehen

Ein weiterer Hinderungsgrund für die Zustimmung zum schwedischen Nato-Beitritt lag laut Ankara beim Thema Waffenlieferungen. Die “Inspektion für strategische Produkte” (ISP), die für Waffenexporte zuständige schwedische Behörde, hatte den Export von Kriegsgütern im Zuge von türkischen Angriffen auf Autonomiegebiete in Nord- und Ostsyrien 2019 gestoppt. Im September 2022 allerdings wurde erstmals wieder eine Lieferung von elektronischer Ausrüstung und Software in die Türkei genehmigt. Wie die ISP mitteilte, hing “der Schritt direkt mit dem Nato-Beitritt zusammen”.

Der schwedische Verteidigungspolitiker Wallmark erklärte, dass man sich bis zum Gipfel im Juni “gelassen” zeigen könne. Wie er setzt auch Ex-Spitzendiplomat Ischinger auf eine erfolgreiche Hinterzimmer-Diplomatie: “Wenn man jetzt lamentieren würde, würde man ja nur Erdogans Geschäft machen. Genau das würde ich nicht tun. Natürlich ist das eine reine Erpressung. Aber das würde ich mit Würde übersehen und daraufsetzen, dass die Türkei spätestens beim Nato-Gipfel in Vilnius einlenkt.”

  • Finnland
  • Nato
  • Schweden
  • Sicherheit

News

Fünf Aufgaben für Frankreichs Beschaffungsbehörde

Die französische Beschaffungsbehörde Direction générale de l’armement (DGA) will sich modernisieren. Vergangene Woche präsentierte ihr Leiter, Emmanuel Chiva, seine Vision für die Behörde.

Darin benannte er fünf Aufträge, “um die besten Antworten auf die Bedürfnisse unserer Streitkräfte zu finden”. Die DGA versteht sich als “staatlicher Architekt“, der Rüstungshersteller und Nutzer an einen Tisch bringt, um die Bedürfnisse der Streitkräfte zu erfüllen. Das Papier ist noch recht unkonkret, fünf zentrale Missionen werden genannt.

  • Souveränität der Streitkräfte gewährleisten
  • Planbarkeit für die Produktion gewährleisten
  • Pragmatische Kooperation und Export unterstützen
  • Die französische Verteidigungsindustrie unterstützen, um Souveränität zu gewährleisten
  • Nukleare Kapazitäten aufrechterhalten und Cyber-Fähigkeiten stärken

Industrie und Streitkräfte kritisieren die DGA vor allem für ihre schwerfällige Verwaltung und die langsame Umsetzung von Rüstungsprogrammen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte in einer Grundsatzrede im Januar gesagt, Beschaffungsdauern der DGA müssten verkürzt und Nutzer und Ingenieure enger zusammengebracht werden. Macron hatte angekündigt, die Wirtschaft auf Kriegsmodus umzustellen. Damit geht auch die Reform der DGA einher. Wie in Deutschland stünden in Frankreich Soldatinnen und Soldaten im Kriegsfall schnell vor leeren Munitionsregalen. Anfang März schimpfte Chiva im französischen Fernsehen: “Es ist nicht lange her, dass volle Lager zu haben ein Synonym für Missmanagement war.”

Eine schnelle Beschaffungseinheit soll je nach Bedarf Bestellungen an die Industrie weitergeben oder von der Stange kaufen. Die Industrie soll schon bei der Programmkonzeption einbezogen werden. Bedürfnisse der Streitkräfte und technische Innovationen sollen antizipiert und drohenden Gefahren vorgebeugt werden, insbesondere, was den Cyber-Bereich betrifft. Rüstungsunternehmen erhalten mehr Freiheiten, um ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis zu erzeugen, im Gegenzug sollen die Hersteller ihre Fortschritte in der Produktion transparenter machen. Die DGA soll die technischen Voraussetzungen schaffen, um die nukleare Abschreckung aufrechtzuerhalten.

Für deutsche Unternehmen dürften die Ambitionen der DGA relevant sein, den Export zu unterstützen. Die deutsch-französischen Rüstungsprojekte Future Combat Air System (FCAS) und Main Ground Combat System (MGCS) stocken immer wieder. Die DGA will wahrscheinlich auch deshalb “Überlegungen zu alternativen Kooperationsmodellen anstellen”. Frankreich müsse “seine Suche nach neuen Partnern fortsetzen”, um nicht isoliert zu werden. Die Beziehungen zwischen Paris und Berlin hatten sich trotz des Deutsch-Französischen Ministertreffens im Januar zuletzt verschlechtert. bub

  • Frankreich
  • MGCS
  • Rüstung

Moskau: Haben 380 ukrainische Kinder nach Russland gebracht

Offiziell reagiert der Kreml betont ruhig auf die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und die russische Beauftragte für Kinderrechte, Maria Lwowa-Belowa. “Wir bleiben ruhig. Wir nehmen das alles wahr. Wir arbeiten weiter. Auch der Präsident arbeitet weiter”, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag.

Doch völlig unberührt sind die Beschuldigten nicht von der Entscheidung aus Den Haag. So teilte das staatliche russische Ermittlungskomitee am Montag mit, dass es seinerseits Ermittlungen gegen IStGH-Richter aufnehme. Und Lwowa-Belowa nahm in einem Interview bei “Solowjew live” ausführlich Stellung zu den Vorwürfen und wies sie mit zynischen Kommentaren zurück. Zugleich gestand sie ein, dass “380 Kinder aus sozialen Einrichtungen” in der Ukraine “in 19 Regionen” Russlands gebracht worden seien. Lwowa-Belowa, die nach eigenen Angaben selbst ein Kind aus Mariupol in ihre Familie aufgenommen hat, sieht in den Taten Russlands Rettungsmaßnahmen und beschuldigt die Ukraine, Kinder sich selbst überlassen zu haben.

Die von Kiew lange vorgebrachten Beschuldigungen des Kinderraubes hatte Lwowa-Belowa im vergangenen September das erste Mal öffentlich eingeräumt, als sie über Kinder aus dem nahezu völlig zerstörten Mariupol berichtete. Kinderraub und Assimilation sind ein Merkmal der UN-Definition eines Genozids.   

Medwedew droht Strafgerichtshof mit Raketen

Aggressiv und drohend reagierte der ehemalige russische Präsident und heutige Vize des Nationalen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew. Das Gericht in Den Haag könnte mit der Hyperschallrakete “Onyx” beschossen werden. “Dieses Gericht ist einfach eine mickrige internationale Organisation und keine Bevölkerung eines Nato-Staates. Deswegen werden sie auch keinen Krieg beginnen. Sie würden sich fürchten”, schrieb Medwedew auf seinem Telegram-Kanal. Der ehemalige westliche Hoffnungsträger hat sich zu einem der schärfsten Kriegsrhetoriker entwickelt.

Die Ukraine listete derzeit 16.226 Fälle mutmaßlich deportierter Kinder auf, 464 Kinder wurden im Krieg bisher getötet. Das sind jedoch nur die bekannten Fälle, besonders aus den von russischen Truppen besetzten Gebieten fehlen die Informationen.

Russland war nie Mitglied des IStGH und betrachtet auch deswegen die Haftbefehle als nichtig. Moskau hatte jedoch das Gründungsstatut unterzeichnet und die Arbeit des Gerichtes bis Ende 2016 beobachtet. Als das Gericht begann, den georgisch-russischen Krieg 2008 und den russisch-ukrainischen Krieg seit 2014 zu analysieren, zog sich Moskau zurück. Gegen die Gründung des Gerichtes 1998 sprachen sich sieben Staaten aus, darunter China, die USA und Israel. vf  

Alte MiG-29 für die Ukraine, Kiew will F-16

Sollte Polen anfragen, würde Großbritannien Warschau helfen, seine Luftverteidigung zu stärken: So reagierte London am Montag auf die polnische Ankündigung, der Ukraine vier MiG-29 Jets zu überlassen. Laut Reuters verwies der Staatsminister für Streitkräfte, James Heappey, darauf, dass Großbritannien Polen die Panzer Challenger 2 geschickt hatte, nachdem die polnischen Streitkräfte ihre sowjetischen T-72 der Ukraine abgegeben hatten. Wie konkret Großbritannien Polen aktuell helfen würde, blieb unklar.

Infolge des russischen Krieges haben viele Staaten insbesondere sowjetische Militärtechnik der Ukraine übergeben und rüsten nun mit moderneren Waffensystemen auf, darunter auch Polen. Neben den vier polnischen MiG-29 will die Slowakei elf MiG-29 der Ukraine überlassen. Reuters berichtet, dass nur ein Teil davon einsatzfähig sei. Die übrigen sollen als Ersatzteile verwendet werden.

Juri Ignat: Die MiG-29 sind “nicht effektiv”

Kiew will die MiG-Jets für Grenzpatrouillen nutzen und zum Abfangen von Drohnen oder Raketen einsetzen. Diese sowjetischen Flugzeuge seien jedoch im direkten Kampf gegen russische Maschinen wegen der veralteten Radar- und Waffensysteme “nicht effektiv”, sagte der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe Juri Ignat. Er wiederholte, dass sein Land modernere Jets brauche, konkret will die Ukraine die amerikanische F-16.

US-Präsident Joe Biden sieht derzeit jedoch keine Notwendigkeit dafür, teilte das Weiße Haus mit. Grundsätzlich werde das Thema aber, wie berichtet, unter den Alliierten der Ukraine diskutiert. Die Ukraine selbst bereitet bereits Flugplätze für die F-16 vor, erste ukrainische Piloten haben sogar schon Trainings an F-16-Flugsimulatoren in den USA absolviert. Der Befehlshaber der ukrainischen Luftwaffe, Serhiy Golubtsow, berichtete von positiven Ergebnissen und schnellen Lernerfolgen. Seine Piloten könnten in wenigen Monaten die Ausbildung meistern, sagte er. Die USA kündigten am Montag derweil weitere Waffenhilfen für die Ukraine über 350 Millionen US-Dollar an. rtr/vf  

  • Russland
  • Slowakei

Südkorea kauft 20 F-35A-Kampfjets aus den USA

Das südkoreanische Militär will 20 Kampfjets vom Typ F-35A aus den USA kaufen. Das teilte die südkoreanische Defense Acquisition Program Administration (DAPA) vergangene Woche mit. Seoul will rund 3.75 Billionen Won (2,7 Milliarden Euro) für die Flugzeuge ausgeben. Damit würde sich bis 2028 die Zahl der Kampfjets der fünften Generation in der südkoreanischen Flotte auf rund 60 erhöhen.

Südkorea und die USA führen derzeit gemeinsam eine Militärübung durch, die noch bis Mittwoch dauert. Die Übung “Freedom Shield” ist die größte gemeinsame Militärübung der beiden Partner seit fünf Jahren.

Zuletzt hatte Nordkorea seine Drohgebärden gegenüber Südkorea mit Raketentests verschärft. Erst am Wochenende hatte das nordkoreanische Militär eine Übung für einen atomaren Gegenangriff abgehalten, wie die staatlichen Medien am Montag berichteten. bub

  • Rüstung
  • Südkorea

Presseschau

The New York Times – 20 Years On, a Question Lingers About Iraq: Why Did the U.S. Invade? (Paywall): War es Wunschdenken amerikanischer Beamter, die persönliche, Karrieregründe hatten, einen Krieg im Irak zu wollen? War es schlechte Kommunikation? Der gute Wille, Demokratie in den Irak zu bringen? Oder doch Gier nach irakischem Erdöl? Max Fisher kann nicht beantworten, warum die USA in den Irak einmarschierten, aber er zeichnet die Entwicklungen nach, die dazu führten und diskutiert, welche Motive eine Rolle gespielt haben könnten.

Washington Post – U.S. veterans won justice for burn pit exposure. Iraqis were forgotten: Die US-Truppen im Irak hatten eine einfache Lösung für ihren Müll: verbrennen. Egal was – alles, was entsorgt werden sollte, wurde den Flammen überlassen. Der giftige Rauch schädigte die Atemwege der Soldaten und auch die der lokalen Bevölkerung. Krebs ist die Folge. Für ehemalige US-Soldaten gibt es Chancen auf Entschädigungen, für die Menschen im Irak aber nicht.

ZDF Frontal – Das Nord Stream-Rätsel: Das Segelschiff Andromeda, von dem die Tauchgänge zu den Nordstream-Pipelines 1 und 2 gestartet wurden, dürfte für die nötige Ausrüstung und den Sprengstoff nicht genügend Platz geboten haben. In einer Fleißarbeit rekonstruiert das Investigativmagazin anhand von Wetterdaten und Einschätzungen von Experten, an welchen Tagen Tauchgänge möglich gewesen wären, was für eine erfolgreiche Sprengung benötigt würde und wer entsprechende Fähigkeiten hätte. Tauchaufnahmen zeigen, dass man in der Ostsee in 80 Metern Tiefe nicht viel sieht. Länge des Beitrags: elf Minuten.

Foreign Affairs – How to Prepare for Peace Talks in Ukraine (Paywall): Irgendwann wird in der Ukraine über Frieden verhandelt werden. 60 Prozent dessen, was bei Friedensverhandlungen geklärt werden muss, betrifft Differenzen zwischen den unterschiedlichen Behörden und dem Verhandlungsteam des Staates, heißt es bei US-Diplomaten. Thomas Pickering zeigt, wie es von indirekten Vorgesprächen zu Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland kommen könnte.

Süddeutsche Zeitung – Entspannt euch (Paywall): Willy Brandt wird oft unterstellt, den Boden für deutsche Russlandnähe bereitet zu haben. Der SPD-Kanzler wandte sich nach Osten, ohne die Verankerung der Bundesrepublik im Westen zu vergessen. Eine Erörterung, was Brandt von seinen Nachfolgern unterschied. Das Problem der deutschen Politik sei es nicht gewesen, einen Annäherungsversuch an Russland versucht zu haben, sondern diesen Kurs nach der Annexion der Krim und des Donbass’ 2014 fortzusetzen.

Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

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    Martin Kobler ist enttäuscht von den Vereinten Nationen. Sie nähmen ihre friedensstiftende Rolle in der Ukraine “schlicht nicht wahr”. Als die USA vor 20 Jahren das Votum des UN-Sicherheitsrats verletzten und in den Irak einmarschierten, leitete Kobler das Büro des deutschen Außenministers Joschka Fischer. Später erlebte er die Folgen des Krieges als UN-Sonderbeauftragter für den Irak. Markus Bickel hat er erzählt, warum der amerikanische Einmarsch nicht mit dem russischen in die Ukraine vergleichbar ist, und was die UN jetzt tun sollten.

    Aus Brüssel berichtet Stephan Israel über die Munitionshilfe der EU für die Ukraine. Die EU-Verteidigungsminister haben sich geeinigt und wollen gemeinsam eine Million Schuss liefern. Die Frage ist nur, wie schnell sie das überhaupt leisten können.

    Auch Finnland und Schweden würden gerne gemeinsame Sache machen – der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat aber etwas dagegen. Während der Nato-Beitritt Finnlands Formsache ist, muss Schweden noch draußen warten. Nana Brink hält fest, warum Stockholm gelassen bleibt.

    Munitionsbeschaffung ist auch in Frankreich ein großes Thema. Die Beschaffungsbehörde Direction générale de l’Armement will sich modernisieren, vergangene Woche präsentierte sie ihre “Vision”. Was sie umstellen will, lesen Sie in den News.

    Für die ukrainischen Streitkräfte hatte der Tag gestern halbwegs gute Nachrichten. Der polnischen Ankündigung, MiG-Kampfjets zu liefern, schloss sich die Slowakei an. Großbritannien wiederum bot Polen Hilfe bei der Luftverteidigung an. Die gewünschten F-16-Flieger bekommt die Ukraine aber bisher nicht. Auch, wenn ukrainische Piloten schon an amerikanischen Flugsimulatoren trainieren.

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    “Die Vereinten Nationen nehmen ihre friedensstiftende Rolle nicht wahr”

    Martin Kobler ist ehemaliger UN-Sonderbeauftragter für den Irak und leitete von 2000 bis 2003 das Büro des damaligen Bundesaußenministers Joschka Fischer.

    Herr Kobler, am 20. März 2003 marschierten US-amerikanische Truppen im Irak ein. Gemeinsam mit Frankreich und Russland hatte die Bundesregierung in den Wochen zuvor im UN-Sicherheitsrat versucht, das zu verhindern. War dieses Ziel überhaupt realistisch?

    Wenn ich an die berühmte Rede denke, für die Dominique de Villepin im Februar 2003 im UN-Sicherheitsrat Applaus erhielt, würde ich sagen: ja. Diese Koalition aus Deutschland, Frankreich und Russland, die sich den USA und Großbritannien entgegenstellte, war durchaus repräsentativ für weite Teile der Staatengemeinschaft und bedeutete kein Wegducken vor der Verantwortung – zumal Rot-Grün zuvor sowohl dem Afghanistan- wie dem Kosovo-Einsatz zugestimmt und Deutschland sich an den Missionen beteiligt hatte.

    Das heißt, das deutsche Nein war auch Ausdruck nationaler Emanzipation vom großen Bruder Amerika? Bundeskanzler Gerhard Schröder wurde damals von der Opposition bezichtigt, einen deutschen Sonderweg einzuschlagen.

    Die anstehende Bundestagswahl hat sicherlich eine gewisse Rolle für Deutschlands Nein gespielt – nicht zuletzt, um zu zeigen, dass nach den Interventionen im Kosovo und Afghanistan nun auch mal Schluss sein müsste mit militärischen Lösungen. Das kam im Wahlkampf gut an. Aber wir waren in der Tat auch überzeugt, dass die amerikanischen und britischen Informationen über mutmaßliche Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins nicht zutrafen.

    Donald Rumsfeld sagte damals, das alte Europa um Frankreich und Deutschland habe nicht verstanden, dass sich das Machtzentrum in Europa durch die Erweiterung der Nato nach Osten verlagert habe.

    Wir sehen nicht erst heute, dass es sich eher um eine Westorientierung der osteuropäischen Staaten handelte – und um den Wunsch unter anderem von Balten und Polen, so schnell wie möglich der Nato beizutreten und die Gunst der historischen Stunde nach dem Ende der Sowjetunion zu nutzen.

    Lassen sich aus dem Scheitern der Vereinten Nationen, den Irak-Krieg zu verhindern, Lehren ziehen für eine Beendigung des Kriegs in der Ukraine?

    Viele vergleichen gerade die russische Invasion der Ukraine mit der des Iraks mit dem formal richtigen Argument, dass das Übel damals mit dem Einmarsch der USA gegen das Votum des UN-Sicherheitsrates angefangen habe. Das aber kann man nicht mit dem russischen Vorgehen in der Ukraine gleichsetzen, im Gegenteil: Die USA wollten nie den Irak auslöschen, sondern das Regime Saddam Husseins beseitigen. Was Wladimir Putin jetzt macht, ist etwas völlig anderes: Ihm geht es um die Beseitigung der Ukraine als eigenständiger Staat und damit um eine Heim-ins-Reich-Politik. Das heißt, die Lage ist heute eine ganz andere als 2003. Putin bedroht mit diesem Ansatz nicht nur die Ukraine und Europa, sondern das gesamte globale Wertesystem.

    Das spricht für ein noch stärkeres Eingreifen der internationalen Gemeinschaft in der Ukraine.

    Ich bin nachdrücklich für eine starke militärische Unterstützung Kiews. Allerdings will ich mir gleichzeitig eine pazifistische Grundhaltung bewahren. Grundsätzlich halte ich Aufrüstung und Investitionen in Rüstung – abgesehen von ethischen Argumenten – für eine Fehlallokation wirtschaftlicher Ressourcen. Ein Doppelwumms für Erziehung und Klima wäre doch sehr viel zukunftsgerichteter. Bei aller Notwendigkeit der Unterstützung der Ukraine und der Wiederherstellung der Wehrfähigkeit der Bundeswehr fehlt mir das hier leider. Auch sollte die militärische Unterstützung nicht alleine stehen. Wir brauchen dringend einen internationalen Verhandlungsrahmen.

    Anders als im Irak vor zwanzig Jahren fallen die Vereinten Nationen seit Beginn der russischen Invasion vor einem Jahr politisch kaum ins Gewicht.

    Dabei sind die UN genau dafür geschaffen worden, just in solchen Situationen politisch den Boden für Verhandlungen zu bereiten. Aber wo waren die präventiven diplomatischen Maßnahmen des Generalsekretärs in den Monaten vor Kriegsbeginn? Im Vorfeld eines heißen Konflikts ist es besonders wichtig, aktiv zu sein. Ich denke hier an die Rolle U Thants während der Kubakrise oder die Aktivitäten von Perez de Cuellar während des ersten Irak-Kriegs. Das läuft heute deutlich schlechter. Die Vereinten Nationen nehmen ihre konfliktverhindernde und friedensstiftende Rolle heute schlicht nicht wahr.

    China wird nun immer wieder als möglicher Vermittler genannt.

    Als Anhänger einer regelbasierten internationalen Ordnung hat mir an dem chinesischen Vorschlag gefallen, dass er auf die UN-Charta Bezug nimmt, also auf das Gewaltverbot, die friedliche Streitbeilegung, die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Allerdings frage ich mich, warum eine entsprechende Initiative nicht vom UN-Generalsekretär gekommen ist. Warum lädt er nicht die Vertreter der Konfliktparteien etwa nach Genf ein oder ernennt Sonderbeauftragte für den Konflikt? Zu sagen, die Parteien würden ohnehin nicht kommen, greift zu kurz. Früher oder später wird es zu Verhandlungen kommen. Der formale Rahmen kann doch bereits jetzt angedacht und angeboten werden. Es wird am Ende ohnehin auf eine Befassung des UN-Sicherheitsrates hinauslaufen, der eine Verhandlungslösung, wie immer sie in der Sache aussehen mag, in einer Resolution absegnen wird.

    Zwanzig Jahre nach der Invasion des Iraks ist die Lage kaum besser geworden, auch in anderen arabischen Staaten sind trotz der Aufstände dort Misswirtschaft und fehlendes Verantwortungsbewusstsein der Herrschenden weiter an der Tagesordnung.

    Sie haben Recht, die Grundprobleme sind nicht verschwunden. Im Irak und anderswo werden viele Politiker ihrer Verantwortung für das nationale Wohl nicht gerecht. Der Irak darf doch kein Selbstbedienungsladen der Machteliten sein. Wo wir Korruption und schlechte Regierungsführung aus manchmal falsch verstandenen Stabilitätsinteressen dulden oder gar unterstützen, tragen wir dazu bei, dass es in diesen Ländern nicht vorangeht. Auf lange Sicht wird es ohne gutes Regieren, Rechenschaftspflicht und die Respektierung von Grundrechten keine Fortschritte geben.

    Martin Kobler leitete von 2000 bis 2003 das Büro des damaligen Bundesaußenministers Joschka Fischer. Von 2011 bis 2013 war er UN-Sonderbeauftragter für den Irak und Leiter der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen (UNAMI) in Bagdad, wo er von 2006 bis 2007 bereits als Botschafter der Bundesrepublik arbeitete. Für die Vereinten Nationen leitete Kobler die Missionen im Ostkongo (MONUSCO) und Libyen (UNSMIL), für das Auswärtige Amt die Botschaften in Ägypten und Pakistan.  

    • Vereinte Nationen

    Die EU verspricht der Ukraine eine Million Artilleriegeschosse

    Manchmal kann es in der EU auch schnell gehen. Vor drei Wochen hat der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erstmals seinen Plan präsentiert, wie die Lieferung von Artilleriemunition für die Ukraine beschleunigt werden könnte. Am Montag haben die Verteidigungsminister dem Plan zugestimmt. Die EU stellt zwei Milliarden Euro speziell für die Munitionsbeschaffung zur Verfügung, hauptsächlich für Geschosse vom Kaliber 155 Millimeter. Die Mittel sollen aus der Europäischen Friedensfazilität kommen, aus der bisher schon Kriegsmaterial für die Ukraine kofinanziert wurde.

    Ziel sei es, der Ukraine innerhalb eines Jahres eine Million Artilleriegeschosse liefern zu können, sagte Borrell am Montag. Beschlossen wurde ein dreigleisiger Ansatz:

    • Lieferung aus Lagerbeständen
    • Neue Beschaffung für die Ukraine und Auffüllen der eigenen Reserven
    • Ausbau von Produktionskapazitäten

    Bis zu einer Milliarde Euro können die Mitgliedstaaten abrufen, wenn sie sofort aus ihren eigenen Beständen weitere Munition liefern. 350.000 Artilleriegeschosse vom Kaliber 155 Millimeter haben die Mitgliedstaaten im ersten Kriegsjahr bereits an die Ukraine abgegeben. Die Bestände in der EU sind deshalb stark reduziert. Niemand will die Reserven aus Sicherheitsgründen klar beziffern.

    Nur Firmen aus der EU und Norwegen sollen profitieren

    Josep Borrell wollte mit einer abgestuften Entschädigung einen Anreiz für die Mitgliedstaaten schaffen, noch einmal in ihren Lagern nachzuschauen und möglichst rasch zu liefern. Vorgesehen war eine Rückerstattungsrate von bis zu 90 Prozent. Eine Mehrheit fand dies allerdings unfair gegenüber Ländern, die bereits Kriegsgerät geliefert und bisher weniger zurückbekommen haben. Die Rückerstattungsrate bleibt deshalb unverändert bei 50 bis 60 Prozent. Die Kosten für eine Artilleriegranate vom Kaliber 155 Millimeter liegen bei 4.000 Euro, wobei die Mitgliedstaaten in der Regel nicht den Neuwert in Rechnung stellen. Die 155-Millimeter-Munition kann bei verschiedenen Waffensystemen der Nato eingesetzt werden.

    Die zweite Milliarde steht zur Verfügung, um die gemeinsame Beschaffung von Artilleriemunition zu finanzieren, ebenfalls für die Ukraine, aber auch um eigene Bestände aufzufüllen. Umstritten war bis zuletzt, ob auch Hersteller außerhalb Europas berücksichtigt werden sollen. Nun sollen ausschließlich Firmen aus der EU und Norwegen zum Zug kommen.

    15 Unternehmen in elf Mitgliedsstaaten könnten produzieren

    Borrell hatte zudem vorgeschlagen, die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) mit der Koordination zu beauftragen, also ähnlich wie bei der Impfstoffbeschaffung einen europäischen Weg zu gehen. Einige Hauptstädte verwiesen jedoch auf bestehende nationale Lieferverträge. Hinzu kamen Zweifel, ob die Verteidigungsagentur mit Fokus auf Forschung und gemeinsame Entwicklung unter Zeitdruck geeignet ist, erstmals eine Bestellung zu organisieren.

    Auch hinkt der Vergleich mit der Impfstoffbeschaffung, weil es die EU damals mit anfänglich nur wenigen Herstellern zu tun hatte. Bei den gefragten Artilleriegeschossen verfügen 15 Firmen in elf Mitgliedstaaten über geeignete Produktionsstätten. Der Kompromiss sieht vor, dass beide Optionen offenstehen.

    Verteidigungsminister Boris Pistorius sprach von Neuland: “Wir beschreiten einen neuen Weg bei der Beschaffung in Europa.” Die EU bündle ihre Marktmacht. Deutschland werde seine Verträge als Rahmennation für andere Länder öffnen. Dänemark und die Niederlande hätten bereits Interesse angemeldet. Boris Pistorius ging in Brüssel davon aus, dass die bestehenden Verträge bis Ende März angepasst werden können. Deutschland sei aber auch bei der gemeinsamen Bestellung dabei.

    Binnenmarktkommissar spricht von Kriegswirtschaft

    Laut Borrell haben bereits 17 Mitgliedstaaten und Norwegen zugesagt, Bestellungen über die Verteidigungsagentur aufgeben zu wollen. Es müsse schnell gehen, die Munitionsbeschaffung werde für den Kriegsausgang entscheidend sein. Nach Berechnungen der EU verschießt Russland zwischen 20.000 und 60.000 Artilleriegeschosse pro Tag. Wegen knapper Reserven können die Streitkräfte der Ukraine maximal zwischen 2.000 und 6.000 Geschosse abfeuern. Der ukrainische Verteidigungsminister Olexi Resnikow rechnete kürzlich vor, dass seine Armee pro Monat 250.000 bis 300.000 Artilleriegeschosse benötige.

    Neben den Milliarden für Lieferung aus den Beständen und für gemeinsame Bestellungen sieht der Plan der EU vor, parallel und an dritter Stelle auch die Produktionskapazitäten auszubauen. Binnenmarktkommissar Thierry Breton sprach gar von Kriegswirtschaft, was intern auf Kritik stieß. Der Franzose besucht derzeit Rüstungsfirmen quer durch Europa.

    Rheinmetallchef Armin Papperger hat in Interviews bereits angekündigt, die Kapazitäten zu erhöhen, und zwar in Ungarn sowie mit einer neuen Pulverfabrik in Sachsen. Papperger beklagt gleichzeitig, dass die EU bei den Bestellungen trödele. Ohne Aufträge produziere Rheinmetall nicht. Boris Pistorius wies die Kritik am Montag in Brüssel indirekt zurück. Es sei allgemein bekannt, dass Munition benötigt werde. Er gehe davon aus, dass die Industrie die Produktionskapazitäten rasch erhöhen werde, wenn dies nicht schon geschehen sei.

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    Schweden setzt auf Nato-Beitritt bis Juni

    Obwohl sie “Hand in Hand” der Nato beitreten wollten, geht Finnland nun vor Schweden den ersten Schritt. Ende vergangener Woche hat die Türkei ihre Blockade gegen den finnischen Beitritt aufgegeben. Zusammen mit Ungarn haben die Türkei als einzige Nato-Mitglieder die Aufnahme der beiden nordischen Staaten bislang verhindert. Der finnische Präsident Sauli Niinistö erklärte bei seinem Besuch in Ankara Ende letzter Woche: “Eine finnische Nato-Mitgliedschaft ist ohne Schweden nicht komplett.”

    “Es wäre schöner, wenn es, so wie ursprünglich geplant, ein gemeinsames Fest geben könnte. Ich kann aber nachvollziehen, dass das Land, das eine 1300 Kilometer lange gemeinsame Grenze mit Russland hat, ein etwas gesteigertes Bedürfnis hat, die Mitgliedschaft jetzt nicht auf die lange Bank zu schieben”, sagte Wolfgang Ischinger, lange Jahre Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, in einem Interview mit Table.Media.

    In Schweden scheint man den Alleingang, entgegen früherer Äußerungen, entspannt zu sehen. “Natürlich ist das keine perfekte Situation, aber wir verstehen unseren finnischen Nachbarn”, äußerte sich Hans Wallmark, Vorsitzender der schwedischen Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung der Nato, gegenüber Table.Media. Er stimme Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zu, der das türkische Einlenken betont nüchtern kommentierte: “Dies wird Finnlands Sicherheit stärken, es wird Schwedens Sicherheit stärken und es wird die Sicherheit der Nato insgesamt stärken.”

    Schweden darf kein “weißer Fleck” bleiben

    Wallmark, Mitglied der konservativen Regierungspartei, betonte allerdings, dass Schweden nicht lange ein “weißer Fleck” auf der Nato-Karte bleiben könnte. Bis auf die russische Oblast Kaliningrad ist der gesamte Ostseeraum von Nato-Staaten umgeben. Der “nordische Block” wird im “Strategischen Konzept der Nato 2022”, das Russland “als die größte und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Verbündeten” bezeichnet, eine große Rolle spielen. Die schwedische Insel Gotland, nur 330 Kilometer von Kaliningrad entfernt und gern als “unsinkbarer Flugzeugträger” bezeichnet, ist für die Verteidigung der baltischen Staaten von zentraler Bedeutung.

    Das schwedische Parlament wird am kommenden Mittwoch formell über den Nato-Beitritt abstimmen, “dann liegen unsere Papiere für den Beitritt vor. Wir haben alle Auflagen erfüllt”, ist sich Wallmark sicher. Prognosen gehen von einer klaren Mehrheit für den Beitritt aus. Er rechne damit, dass die Türkei – und auch Ungarn – ihre Einwände gegen Schwedens Mitgliedschaft spätestens bis zum Nato-Gipfel im Juni in Vilnius fallen lassen werden: “Alles andere wäre eine schwere Niederlage für die Nato.”

    Wallmark, der im Auswärtigen Ausschuss des schwedischen Parlaments sitzt, sieht noch einen weiteren Grund für ein mögliches türkisches Einlenken. Am 1. Juni wird das neue Antiterrorgesetz endgültig in Kraft treten. Demnach ist die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung illegal. Auch die Organisation von Versammlungsorten oder das Führen von Transporten kann unter Strafe gestellt werden. Bislang hatte die Türkei ihre Zustimmung an die Auslieferung von Anhängern der Kurdenorganisation PKK geknüpft. Die PKK gilt auch in den USA und der EU als terroristische Organisation.

    Türkische Erpressung “mit Würde” übersehen

    Ein weiterer Hinderungsgrund für die Zustimmung zum schwedischen Nato-Beitritt lag laut Ankara beim Thema Waffenlieferungen. Die “Inspektion für strategische Produkte” (ISP), die für Waffenexporte zuständige schwedische Behörde, hatte den Export von Kriegsgütern im Zuge von türkischen Angriffen auf Autonomiegebiete in Nord- und Ostsyrien 2019 gestoppt. Im September 2022 allerdings wurde erstmals wieder eine Lieferung von elektronischer Ausrüstung und Software in die Türkei genehmigt. Wie die ISP mitteilte, hing “der Schritt direkt mit dem Nato-Beitritt zusammen”.

    Der schwedische Verteidigungspolitiker Wallmark erklärte, dass man sich bis zum Gipfel im Juni “gelassen” zeigen könne. Wie er setzt auch Ex-Spitzendiplomat Ischinger auf eine erfolgreiche Hinterzimmer-Diplomatie: “Wenn man jetzt lamentieren würde, würde man ja nur Erdogans Geschäft machen. Genau das würde ich nicht tun. Natürlich ist das eine reine Erpressung. Aber das würde ich mit Würde übersehen und daraufsetzen, dass die Türkei spätestens beim Nato-Gipfel in Vilnius einlenkt.”

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    Fünf Aufgaben für Frankreichs Beschaffungsbehörde

    Die französische Beschaffungsbehörde Direction générale de l’armement (DGA) will sich modernisieren. Vergangene Woche präsentierte ihr Leiter, Emmanuel Chiva, seine Vision für die Behörde.

    Darin benannte er fünf Aufträge, “um die besten Antworten auf die Bedürfnisse unserer Streitkräfte zu finden”. Die DGA versteht sich als “staatlicher Architekt“, der Rüstungshersteller und Nutzer an einen Tisch bringt, um die Bedürfnisse der Streitkräfte zu erfüllen. Das Papier ist noch recht unkonkret, fünf zentrale Missionen werden genannt.

    • Souveränität der Streitkräfte gewährleisten
    • Planbarkeit für die Produktion gewährleisten
    • Pragmatische Kooperation und Export unterstützen
    • Die französische Verteidigungsindustrie unterstützen, um Souveränität zu gewährleisten
    • Nukleare Kapazitäten aufrechterhalten und Cyber-Fähigkeiten stärken

    Industrie und Streitkräfte kritisieren die DGA vor allem für ihre schwerfällige Verwaltung und die langsame Umsetzung von Rüstungsprogrammen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte in einer Grundsatzrede im Januar gesagt, Beschaffungsdauern der DGA müssten verkürzt und Nutzer und Ingenieure enger zusammengebracht werden. Macron hatte angekündigt, die Wirtschaft auf Kriegsmodus umzustellen. Damit geht auch die Reform der DGA einher. Wie in Deutschland stünden in Frankreich Soldatinnen und Soldaten im Kriegsfall schnell vor leeren Munitionsregalen. Anfang März schimpfte Chiva im französischen Fernsehen: “Es ist nicht lange her, dass volle Lager zu haben ein Synonym für Missmanagement war.”

    Eine schnelle Beschaffungseinheit soll je nach Bedarf Bestellungen an die Industrie weitergeben oder von der Stange kaufen. Die Industrie soll schon bei der Programmkonzeption einbezogen werden. Bedürfnisse der Streitkräfte und technische Innovationen sollen antizipiert und drohenden Gefahren vorgebeugt werden, insbesondere, was den Cyber-Bereich betrifft. Rüstungsunternehmen erhalten mehr Freiheiten, um ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis zu erzeugen, im Gegenzug sollen die Hersteller ihre Fortschritte in der Produktion transparenter machen. Die DGA soll die technischen Voraussetzungen schaffen, um die nukleare Abschreckung aufrechtzuerhalten.

    Für deutsche Unternehmen dürften die Ambitionen der DGA relevant sein, den Export zu unterstützen. Die deutsch-französischen Rüstungsprojekte Future Combat Air System (FCAS) und Main Ground Combat System (MGCS) stocken immer wieder. Die DGA will wahrscheinlich auch deshalb “Überlegungen zu alternativen Kooperationsmodellen anstellen”. Frankreich müsse “seine Suche nach neuen Partnern fortsetzen”, um nicht isoliert zu werden. Die Beziehungen zwischen Paris und Berlin hatten sich trotz des Deutsch-Französischen Ministertreffens im Januar zuletzt verschlechtert. bub

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    Moskau: Haben 380 ukrainische Kinder nach Russland gebracht

    Offiziell reagiert der Kreml betont ruhig auf die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und die russische Beauftragte für Kinderrechte, Maria Lwowa-Belowa. “Wir bleiben ruhig. Wir nehmen das alles wahr. Wir arbeiten weiter. Auch der Präsident arbeitet weiter”, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag.

    Doch völlig unberührt sind die Beschuldigten nicht von der Entscheidung aus Den Haag. So teilte das staatliche russische Ermittlungskomitee am Montag mit, dass es seinerseits Ermittlungen gegen IStGH-Richter aufnehme. Und Lwowa-Belowa nahm in einem Interview bei “Solowjew live” ausführlich Stellung zu den Vorwürfen und wies sie mit zynischen Kommentaren zurück. Zugleich gestand sie ein, dass “380 Kinder aus sozialen Einrichtungen” in der Ukraine “in 19 Regionen” Russlands gebracht worden seien. Lwowa-Belowa, die nach eigenen Angaben selbst ein Kind aus Mariupol in ihre Familie aufgenommen hat, sieht in den Taten Russlands Rettungsmaßnahmen und beschuldigt die Ukraine, Kinder sich selbst überlassen zu haben.

    Die von Kiew lange vorgebrachten Beschuldigungen des Kinderraubes hatte Lwowa-Belowa im vergangenen September das erste Mal öffentlich eingeräumt, als sie über Kinder aus dem nahezu völlig zerstörten Mariupol berichtete. Kinderraub und Assimilation sind ein Merkmal der UN-Definition eines Genozids.   

    Medwedew droht Strafgerichtshof mit Raketen

    Aggressiv und drohend reagierte der ehemalige russische Präsident und heutige Vize des Nationalen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew. Das Gericht in Den Haag könnte mit der Hyperschallrakete “Onyx” beschossen werden. “Dieses Gericht ist einfach eine mickrige internationale Organisation und keine Bevölkerung eines Nato-Staates. Deswegen werden sie auch keinen Krieg beginnen. Sie würden sich fürchten”, schrieb Medwedew auf seinem Telegram-Kanal. Der ehemalige westliche Hoffnungsträger hat sich zu einem der schärfsten Kriegsrhetoriker entwickelt.

    Die Ukraine listete derzeit 16.226 Fälle mutmaßlich deportierter Kinder auf, 464 Kinder wurden im Krieg bisher getötet. Das sind jedoch nur die bekannten Fälle, besonders aus den von russischen Truppen besetzten Gebieten fehlen die Informationen.

    Russland war nie Mitglied des IStGH und betrachtet auch deswegen die Haftbefehle als nichtig. Moskau hatte jedoch das Gründungsstatut unterzeichnet und die Arbeit des Gerichtes bis Ende 2016 beobachtet. Als das Gericht begann, den georgisch-russischen Krieg 2008 und den russisch-ukrainischen Krieg seit 2014 zu analysieren, zog sich Moskau zurück. Gegen die Gründung des Gerichtes 1998 sprachen sich sieben Staaten aus, darunter China, die USA und Israel. vf  

    Alte MiG-29 für die Ukraine, Kiew will F-16

    Sollte Polen anfragen, würde Großbritannien Warschau helfen, seine Luftverteidigung zu stärken: So reagierte London am Montag auf die polnische Ankündigung, der Ukraine vier MiG-29 Jets zu überlassen. Laut Reuters verwies der Staatsminister für Streitkräfte, James Heappey, darauf, dass Großbritannien Polen die Panzer Challenger 2 geschickt hatte, nachdem die polnischen Streitkräfte ihre sowjetischen T-72 der Ukraine abgegeben hatten. Wie konkret Großbritannien Polen aktuell helfen würde, blieb unklar.

    Infolge des russischen Krieges haben viele Staaten insbesondere sowjetische Militärtechnik der Ukraine übergeben und rüsten nun mit moderneren Waffensystemen auf, darunter auch Polen. Neben den vier polnischen MiG-29 will die Slowakei elf MiG-29 der Ukraine überlassen. Reuters berichtet, dass nur ein Teil davon einsatzfähig sei. Die übrigen sollen als Ersatzteile verwendet werden.

    Juri Ignat: Die MiG-29 sind “nicht effektiv”

    Kiew will die MiG-Jets für Grenzpatrouillen nutzen und zum Abfangen von Drohnen oder Raketen einsetzen. Diese sowjetischen Flugzeuge seien jedoch im direkten Kampf gegen russische Maschinen wegen der veralteten Radar- und Waffensysteme “nicht effektiv”, sagte der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe Juri Ignat. Er wiederholte, dass sein Land modernere Jets brauche, konkret will die Ukraine die amerikanische F-16.

    US-Präsident Joe Biden sieht derzeit jedoch keine Notwendigkeit dafür, teilte das Weiße Haus mit. Grundsätzlich werde das Thema aber, wie berichtet, unter den Alliierten der Ukraine diskutiert. Die Ukraine selbst bereitet bereits Flugplätze für die F-16 vor, erste ukrainische Piloten haben sogar schon Trainings an F-16-Flugsimulatoren in den USA absolviert. Der Befehlshaber der ukrainischen Luftwaffe, Serhiy Golubtsow, berichtete von positiven Ergebnissen und schnellen Lernerfolgen. Seine Piloten könnten in wenigen Monaten die Ausbildung meistern, sagte er. Die USA kündigten am Montag derweil weitere Waffenhilfen für die Ukraine über 350 Millionen US-Dollar an. rtr/vf  

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    Südkorea kauft 20 F-35A-Kampfjets aus den USA

    Das südkoreanische Militär will 20 Kampfjets vom Typ F-35A aus den USA kaufen. Das teilte die südkoreanische Defense Acquisition Program Administration (DAPA) vergangene Woche mit. Seoul will rund 3.75 Billionen Won (2,7 Milliarden Euro) für die Flugzeuge ausgeben. Damit würde sich bis 2028 die Zahl der Kampfjets der fünften Generation in der südkoreanischen Flotte auf rund 60 erhöhen.

    Südkorea und die USA führen derzeit gemeinsam eine Militärübung durch, die noch bis Mittwoch dauert. Die Übung “Freedom Shield” ist die größte gemeinsame Militärübung der beiden Partner seit fünf Jahren.

    Zuletzt hatte Nordkorea seine Drohgebärden gegenüber Südkorea mit Raketentests verschärft. Erst am Wochenende hatte das nordkoreanische Militär eine Übung für einen atomaren Gegenangriff abgehalten, wie die staatlichen Medien am Montag berichteten. bub

    • Rüstung
    • Südkorea

    Presseschau

    The New York Times – 20 Years On, a Question Lingers About Iraq: Why Did the U.S. Invade? (Paywall): War es Wunschdenken amerikanischer Beamter, die persönliche, Karrieregründe hatten, einen Krieg im Irak zu wollen? War es schlechte Kommunikation? Der gute Wille, Demokratie in den Irak zu bringen? Oder doch Gier nach irakischem Erdöl? Max Fisher kann nicht beantworten, warum die USA in den Irak einmarschierten, aber er zeichnet die Entwicklungen nach, die dazu führten und diskutiert, welche Motive eine Rolle gespielt haben könnten.

    Washington Post – U.S. veterans won justice for burn pit exposure. Iraqis were forgotten: Die US-Truppen im Irak hatten eine einfache Lösung für ihren Müll: verbrennen. Egal was – alles, was entsorgt werden sollte, wurde den Flammen überlassen. Der giftige Rauch schädigte die Atemwege der Soldaten und auch die der lokalen Bevölkerung. Krebs ist die Folge. Für ehemalige US-Soldaten gibt es Chancen auf Entschädigungen, für die Menschen im Irak aber nicht.

    ZDF Frontal – Das Nord Stream-Rätsel: Das Segelschiff Andromeda, von dem die Tauchgänge zu den Nordstream-Pipelines 1 und 2 gestartet wurden, dürfte für die nötige Ausrüstung und den Sprengstoff nicht genügend Platz geboten haben. In einer Fleißarbeit rekonstruiert das Investigativmagazin anhand von Wetterdaten und Einschätzungen von Experten, an welchen Tagen Tauchgänge möglich gewesen wären, was für eine erfolgreiche Sprengung benötigt würde und wer entsprechende Fähigkeiten hätte. Tauchaufnahmen zeigen, dass man in der Ostsee in 80 Metern Tiefe nicht viel sieht. Länge des Beitrags: elf Minuten.

    Foreign Affairs – How to Prepare for Peace Talks in Ukraine (Paywall): Irgendwann wird in der Ukraine über Frieden verhandelt werden. 60 Prozent dessen, was bei Friedensverhandlungen geklärt werden muss, betrifft Differenzen zwischen den unterschiedlichen Behörden und dem Verhandlungsteam des Staates, heißt es bei US-Diplomaten. Thomas Pickering zeigt, wie es von indirekten Vorgesprächen zu Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland kommen könnte.

    Süddeutsche Zeitung – Entspannt euch (Paywall): Willy Brandt wird oft unterstellt, den Boden für deutsche Russlandnähe bereitet zu haben. Der SPD-Kanzler wandte sich nach Osten, ohne die Verankerung der Bundesrepublik im Westen zu vergessen. Eine Erörterung, was Brandt von seinen Nachfolgern unterschied. Das Problem der deutschen Politik sei es nicht gewesen, einen Annäherungsversuch an Russland versucht zu haben, sondern diesen Kurs nach der Annexion der Krim und des Donbass’ 2014 fortzusetzen.

    Security.Table Redaktion

    SECURITY.TABLE REDAKTION

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