die Bundesregierung hat heute Vormittag ihre Chinastrategie verabschiedet und mittags gleich öffentlich gemacht. Nach monatelangen koalitionsinternen Debatten hat sie sich auf zentrale Leitlinien für den Umgang mit China geeinigt. Diese stellen die Beziehungen auf eine neue Grundlage. Insgesamt ist die Strategie prägnanter und eindeutiger ausgefallen, als nach dem langen Gerangel innerhalb der Koalition befürchtet wurde, analysieren die Kollegen vom China.Table.
Im Bereich Forschung und Wissenschaft bleibt sie allerdings eher vage. Die Zusammenarbeit soll in wichtigen Zukunftsfeldern wie KI, Quanten oder Klimaschutz weitergeführt werden und gleichzeitig will man sich bemühen, Risiken wie dual-use oder die Gefahr von einseitigem Wissenstransfer zu minimieren (Stichwort: De-Risking). Konkrete Angebote oder Maßnahmen sucht man allerdings vergebens.
Wie Kooperationen im Einzelfall funktionieren können und welche Fragen sich Wissenschaftler stellen sollten, darüber spricht im Interview Hannes Gohli, Geschäftsführer des China Kompetenzzentrums an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg. Er sieht durchaus Grund zur Beunruhigung, rät aber zu Einzelfallprüfungen statt einer generellen Beschneidung von Forschungsprogramm oder -kooperationen und warnt: “Wenn wir die Verbindungen kappen, wird viel Wissen verloren gehen.”
Ich wünsche Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre!
Die Zusammenarbeit in wichtigen Zukunftsfeldern wie KI, Quanten oder Klimaschutz weiterentwickeln und dabei Risiken von dual-use und einseitigem Wissenstransfer minimieren (Stichwort: De-Risking). Das ist der Dualismus, den die Bundesregierung in ihrer Chinastrategie – nicht nur – für den Wissenschaftsbereich anstrebt. Auffällig zunächst: im Gegensatz zu den Ausführungen der Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) nach den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen ist der Ton in der Chinastrategie gemäßigter.
Zudem bleibt man mit Blick auf die Umsetzung oder konkrete Aktivitäten im Ungefähren. Hatte die Forschungsministerin in den Konsultationen der chinesischen Seite “nur begrenzt Spielräume für neue Kooperationen” angekündigt und den Hochschulen in Interviews ein “kritisches Hinterfragen” der Verbindungen zu den Konfuzius-Instituten nahegelegt hatte, sieht die Chinastrategie vor, “Wissenschaftsbeziehungen werte- und interessengeleitet weiterzuentwickeln” und “den Dialog mit den Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu stärken.”
Eine stärkere Dokumentation von China-Kooperationen oder sogar ein Zentralregister für Forschungskooperationen, wie es einige China-Experten Anfang des Jahres vorgeschlagen hatten, ist nicht vorgesehen. Dafür verspricht die Bundesregierung, die Wissenschaft dabei zu beraten, “Vorsorge vor Risiken im Umgang mit China zu treffen und die Entstehung einseitiger Abhängigkeiten in diesen Kooperationen zu verhindern”.
Mit Blick auf die Gefahr einer militärischen Nutzung von Forschungsergebnissen will die Regierung die Zeichen der Zeit erkannt haben: “Wir berücksichtigen, dass auch zivile Forschungsprojekte, inkl. Grundlagenforschung, von China strategisch auf ihre militärische Verwendbarkeit hin betrachtet werden”. US-Sicherheitsexperte Jeffrey Stoff, Gründer und Präsident des “Center for Research Security & Integrity” (CRSI), hatte Anfang des Jahres in einem Bericht offengelegt, wie naiv einzelne deutsche Forschungsinstitutionen und Unternehmen mit chinesischen Einrichtungen kooperierten, die militärische Verbindungen haben.
Im Interview mit Table.Media forderte er, dass Regierungen, “Richtlinien bereitstellen und Dinge auflisten, vor denen sie warnen oder die sie einschränken möchten”. Konkrete Pläne oder Angebote, die in diese Richtung gehen, sucht man in der Strategie vergebens. Mutmaßlich um einen diplomatischen Ton zu wahren, der vor allem aus dem Kanzleramt angemahnt wurde, bleibt das Papier an diesen Stellen eher kryptisch. Man verspricht, ein “besseres gegenseitiges Verständnis der jeweiligen Förderstrukturen und Prozesse” anzustreben.
Vieles will die Bundesregierung zudem nicht auf nationaler Ebene lösen, sondern verweist auf die EU – und hier vor allem auf den Rahmen von Horizon Europe. Angesprochen werden etwa Einschränkungen beim transnationalen Datenverkehr oder den Ungleichgewichten beim Zugang zu chinesischen Großforschungseinrichtungen. China hatte sich aus den Verhandlungen zu einheitlichen internationalen Bestimmungen im Zuge der “EU-China Science, Technology, Innovation-Roadmap” zurückgezogen.
Gespräche mit der chinesischen Regierung kündigt die Bundesregierung in ihrer Strategie zur “Verbesserung der Arbeitsbedingungen deutscher Wissenschaftsorganisationen in China” an. Hier hatte zuletzt die aktualisierte Fassung des chinesischen Spionageabwehrgesetzes für Unruhe unter Wissenschaftsorganisationen und bei einzelnen Forschern gesorgt. Während in dem Gesetz früher ein Vorgehen gegen alle Aktivitäten ausländischer Institutionen angekündigt wurde, die die nationale Sicherheit gefährden, ist inzwischen von nationaler Sicherheit und nationalen Interessen die Rede.
“Die Beschreibung ,nationale Interessen’ lässt sich viel breiter auslegen kann. Da stellen sich viele deutsche Wissenschaftler, die gerade zum ersten Mal nach der Corona-Pandemie wieder ins Land wollen, die Frage, ob ihre Forschung zu ihren Ungunsten ausgelegt werden könnte. Oder auch zuungunsten der Forschungspartner vor Ort, die ja oft viel stärker gefährdet sind”, sagt Hannes Gohli, Geschäftsführer des China Kompetenzzentrums an der Universität Würzburg. So entstehe mehr Unsicherheit und eine höhere Hemmschwelle, Forschung zu betreiben, sagt der Experte, der im September selbst einen Forschungsaufenthalt in China plant.
Aus Kreisen der chinesischen Regierung erfuhr Table.Media, dass diese Besorgnis in China auf wenig Verständnis stößt. Es sei genauso sicher für deutsche Forscher in der Volksrepublik zu arbeiten wie vor der Covid-19-Pandemie, heißt es dort. Gleichzeitig bemühe man sich, den über die Pandemie eingeschlafenen Austausch von Forschern wiederzubeleben. Das Bestreben vieler Eltern sei noch größer geworden, ihre Kinder zum Studium nach Deutschland oder Europa zu schicken, heißt es. Das liege vor allem daran, dass für viele Chinesen ein Studium in den USA – aufgrund der als aggressiv empfundenen US-China-Politik – nicht mehr infrage kommt.
Auch die deutsche Regierung bekennt sich in ihrer Strategie dazu, weltweit für Deutschland als Standort für Studium, Lehre und Forschung zu werben. Ziel ist allerdings, “chinesische Talente langfristig in Deutschland und Europa zu halten”.
Herr Gohli, würden Sie von einer Zeitenwende bei der wissenschaftlichen Zusammenarbeit und den Forschungskooperationen mit China sprechen?
Ich beobachte in Gesprächen und auf Konferenzen, dass sich etwas geändert hat. Schon zu der Zeit der Corona-Pandemie, aber vor allem seit dem Start des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, den China toleriert und dem Erscheinen des Reports zu deutschen Forschungskooperationen mit militärnahen Instituten von Jeffrey Stoff. Die Stimmung ist aufgeheizt und man ist viel vorsichtiger geworden, was Forschungskooperationen, aber auch Mobilitätsprogramme angeht. Da flacht vor allem der Wille und die Motivation an deutschen Universitäten ab und ist spürbar anders als noch vor fünf oder zehn Jahren.
Die Motivation zu kooperieren oder sich generell mit dem Thema China zu beschäftigen?
Beides. Als ich vor etwa zehn Jahren angefangen habe, mich mit China und chinesischer Ökonomie zu beschäftigen, da war das noch das Zukunftsthema schlechthin. Man ging davon aus, dass China für das 21. Jahrhundert die Rolle spielen wird, die die USA für das 20. Jahrhundert innehatte. Da wollte man aber im positiven Sinne dabei sein und sich dafür richtig aufstellen, auch wirtschaftlich. Unter den jungen Menschen war eine riesige Bereitschaft, dieses Land besser kennenzulernen. Diese Motivation ist deutlich abgeflaut. Und wenn man als Forscher mit chinesischen Partnern zusammenarbeiten will, ist das heute auch mit deutlich mehr kritischen Fragen und Sorgen verbunden, als das noch vor fünf, sechs Jahren der Fall war.
Deutschland kann sich kein zweites Mal die Naivität erlauben, die man gegenüber Russland gezeigt hat. Ist nicht gerade deshalb auch Skepsis und Rückzug angebracht?
Wir waren viel zu abhängig von Russland. Und wir sind immer noch zu abhängig von China, zumindest in einigen Bereichen. Ich habe mit Blick auf China auch schon zu erneuerbarer Energie geforscht. Wenn man da etwa auf die Solarenergie schaut, dann werden 98 Prozent der Solarmodule in China produziert und 99 Prozent der Wafer. Also sind wir de facto abhängig. Außer, wir wollen unsere Energiewende wirklich allein machen. Dann wird das viel länger dauern und teurer werden. Da muss die Gesellschaft eine Entscheidung treffen, ob wir die Energiewende möglichst schnell und kostengünstig oder möglichst eigenständig über die Bühne bringen wollen.
Die Solartechnologie ist für den Forschungsbereich ein gutes Beispiel. Wie verhindert man den Ausverkauf von Innovationen nach China, wie in diesem Fall?
Dazu muss man erstmal sagen, dass das viele Vorteile für uns mit sich gebracht hat. Die Solarzellen sind um einiges billiger geworden und davon profitieren auch die Deutschen und die deutsche Industrie. Deshalb ist das vielleicht auch ein natürlicher Vorgang. Das wird beim nächsten Mal wieder so sein. Man sollte sich in Deutschland einfach bemühen, Vorreiter bei der nächsten Technologiegeneration zu sein, etwa im Bereich der Batterien. Wir haben schlaue Köpfe und unser System ist auf Kreativität und Fleiß ausgerichtet. Da haben wir große Vorteile gegenüber China. In einem autoritären Staat stehen quantitative Ziele und der Druck von oben im Vordergrund, da wird Kreativität unterbunden.
Was halten Sie von dem Vorschlag, Förderprogramme einzuschränken, um Wissensabfluss zu verhindern?
Nichts. Forschungskooperationen sollen evaluiert und Risiken abgeschätzt werden. Wenn dabei herauskommt, dass das Risiko zu groß erscheint und Interessen nicht gewahrt werden könnten, dann sollte man diese Projekte beenden oder gar nicht erst beginnen. Aber generell sollten wir auf keinen Fall unsere gemeinsame Technologieforschung mit China beschneiden. In manchen Technologiebereichen ist China viel weiter als wir. Wenn wir die Verbindungen kappen, dann riskieren wir, dass uns enorm viel Wissen verloren geht und wir in manchen Feldern abgeschlagen sind. Ich finde, bei der Frage schwingt auch etwas Arroganz mit. Wer davon ausgeht, dass wir diese Kooperationen nicht brauchen, weil wir in der Technologieforschung Weltspitze sind und China nur von uns abschaut, der irrt. Ich würde die Kooperationen ausbauen und dabei auf eine sehr gewissenhafte Einzelfallprüfung setzen.
Was beunruhigt Sie als Forscher, der auch persönlich nach China reist, am meisten?
Derzeit ist das vor allem das Gesetz zur Spionageabwehr, weil sich der Wortlaut geändert hat. Inzwischen verfolgt China nicht mehr nur Aktivitäten, die als Gefahr für die “National Security” eingestuft werden, sondern auch Aktivitäten, die “National Interests” bedrohen. Das ist ein Begriff, den man viel weiter auslegen kann. Und da stellen sich viele deutsche Forscher, die gerade zum ersten Mal nach Corona wieder ins Land wollen, die Frage, ob ihre Forschung zu ihren Ungunsten ausgelegt werden könnte oder auch zuungunsten der Forschungspartner vor Ort. So entsteht mehr Unsicherheit und die Hemmschwelle Forschung zu betreiben wird höher.
Sie wollen im September nach China. Hat die neue Gesetzgebung Einfluss auf ihre Forschung?
Das wird mein erster Aufenthalt in China nach der Covid-19-Pandemie, die ja für sich auch ein riesiger Einschnitt in den Forschungsbeziehungen war. Und ich frage mich schon: Was habe ich noch für Möglichkeiten oder neue Grenzen? Ich forsche zu digitaler Entwicklung und gehe der Frage nach, wie China Datenpakete nutzt, um die regionale Entwicklung voranzubringen. Das ist keine Forschung, die politisch hohe Wellen schlägt. Aber gerade im Bereich der qualitativen Forschung fragt man sich, wie offen Interviewpartner vor Ort sein werden und welche Fragen man stellen kann, die weder eine Gefahr für einen selbst noch für die Gesprächspartner darstellen. Da werde ich deutlich sensibler sein als bei meinem letzten Aufenthalt im Jahr 2019.
Neben den individuellen Einschnitten auf der Ebene der einzelnen Forscher, sucht auch die Bundesregierung im Zuge ihrer Chinastrategie Antworten, wie man mit Forschungskooperationen zukünftig umgehen soll.
Wenn man in der Forschung kooperiert, egal ob das mit ausländischen Universitäten oder auch deutschen Kooperationspartnern ist, gibt es immer ein Restrisiko, dass Daten oder Ergebnisse gleich oder später zweckentfremdet werden. In dem Sinne der Wissenschaftsfreiheit sind wir eine Risikogesellschaft. Es wird immer Fälle geben, in denen Wissenschaft nicht nur für das Gute eingesetzt wird. Deshalb finde ich auch, dass wir mit Blick auf China nie vorschnell Kooperationen als Ganzes verdammen oder einstampfen sollten. Es wird Fälle geben, wo Daten übertragen werden, die nicht übertragen werden sollten und die Ergebnisse anders angewendet werden, als wir das erwartet oder intendiert hatten. Aber genau an dem Punkt müssen wir ansetzen und alles dafür tun, dass diese Einzelfälle möglichst nicht passieren.
Braucht es dazu neue Leitlinien oder eine Anlaufstelle auf Bundesebene?
Ich finde, Deutschland ist eigentlich sehr gut aufgestellt. Es gibt sowohl von der HRK, vom DAAD und von der BAFA Leitlinien und Strategiepapiere zum Umgang mit autoritären Staaten und sogar im Speziellen für China. Wichtiger ist, dass sich jede Institution mit diesem Thema noch einmal selbst auseinandersetzt und diese Leitlinien für sich herunterbricht. Am Ende geht es darum, dass die Forscher einen Ansprechpartner haben. Eine Stelle, die sie aufsuchen können, wenn Unsicherheiten oder Unklarheiten bestehen. Es gibt nicht die one-size-fits-all-Lösung.
Wie lösen Sie das an der Universität Würzburg?
Wir haben in Würzburg im vergangenen Winter das China Kompetenzzentrum eingerichtet, das ich leite. Wir wollen es als Organ zur Beratung von Forschenden nutzen und dabei helfen, Forschungsprojekte mit chinesischer Beteiligung vorzubereiten. Das Kompetenzzentrum soll aber keine Kontrollinstanz sein, denn die Entscheidung trifft der einzelne Wissenschaftler oder in einzelnen Fällen die Universitätsleitung. Wir geben kollegiale Hilfestellungen, haben Leitlinien zusammengestellt und vermitteln, worauf zu achten ist.
Wann raten Sie von einer Kooperation ab?
Das ist nicht so pauschal zu beantworten. Wir schauen in Datensammlungen wie den China Defence Universities Tracker des Australian Strategic Policy Institutes. Dort kann man Verbindungen von chinesischen Universitäten und Fakultäten zu militärischen Einrichtungen nachvollziehen. Teilweise haben Universitäten aber auch Tochtergesellschaften, die dann wiederum Verbindungen mit militärischen Institutionen haben, das hat der Stoff-Bericht gezeigt. Das kann aber alles nur ein erster Schritt sein. Grundsätzlich halten wir nicht so viel von einem rein listenbasierten Ansatz. Man sollte auch nach Forschungsanlass und -frage abwägen. In kritischen Fällen wird auch die Leitung der Universität mit eingeschaltet. Auf Fakultäts- oder Institutsebene gibt es zudem Ethikkommissionen, die bei kritischen Fällen mit eingeschaltet werden können.
Welche Fragen sollten sich Forschende stellen?
Auch das kann von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein. Wir haben einen Fragenkatalog entwickelt, den wir zusammen mit den Forschenden durchgehen. Die Evaluierung der Finanzierungsquellen ist zum Beispiel eine Kategorie, die wir in unsere Vorüberlegungen mit einbeziehen. Die Frage, welche Rechte und Einschränkungen chinesische Forscher haben, die einen Aufenthalt in Deutschland planen, ist eine andere. Das kann dann in einem Kooperationsvertrag festgehalten werden.
Gewissenhafte Einzelfallprüfungen sind eine Frage von Kapazitäten und Kompetenzen. Gibt es davon an deutschen Universitäten genügend?
Einzelfallprüfung heißt auch Arbeitsaufwand, das ist richtig. Das kann nicht eine halbe Stelle an der Universität gewährleisten. Wir brauchen mehr Stellen und das bedeutet mehr Geld. Und da hapert es auch. Die Community tauscht sich aus, wir haben internationale Spitzenforscher zu China hier in Deutschland. Aber es gibt zu wenige Lehrstühle. Das ist sehr frustrierend. Die Politik ruft nach mehr China-Kompetenz, aber wenn es zum Beispiel darum geht, in den Fakultäten permanente Stellen zu schaffen, auch unterhalb der Professur, dann ist da in den letzten Jahren zu wenig passiert.
die Bundesregierung hat heute Vormittag ihre Chinastrategie verabschiedet und mittags gleich öffentlich gemacht. Nach monatelangen koalitionsinternen Debatten hat sie sich auf zentrale Leitlinien für den Umgang mit China geeinigt. Diese stellen die Beziehungen auf eine neue Grundlage. Insgesamt ist die Strategie prägnanter und eindeutiger ausgefallen, als nach dem langen Gerangel innerhalb der Koalition befürchtet wurde, analysieren die Kollegen vom China.Table.
Im Bereich Forschung und Wissenschaft bleibt sie allerdings eher vage. Die Zusammenarbeit soll in wichtigen Zukunftsfeldern wie KI, Quanten oder Klimaschutz weitergeführt werden und gleichzeitig will man sich bemühen, Risiken wie dual-use oder die Gefahr von einseitigem Wissenstransfer zu minimieren (Stichwort: De-Risking). Konkrete Angebote oder Maßnahmen sucht man allerdings vergebens.
Wie Kooperationen im Einzelfall funktionieren können und welche Fragen sich Wissenschaftler stellen sollten, darüber spricht im Interview Hannes Gohli, Geschäftsführer des China Kompetenzzentrums an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg. Er sieht durchaus Grund zur Beunruhigung, rät aber zu Einzelfallprüfungen statt einer generellen Beschneidung von Forschungsprogramm oder -kooperationen und warnt: “Wenn wir die Verbindungen kappen, wird viel Wissen verloren gehen.”
Ich wünsche Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre!
Die Zusammenarbeit in wichtigen Zukunftsfeldern wie KI, Quanten oder Klimaschutz weiterentwickeln und dabei Risiken von dual-use und einseitigem Wissenstransfer minimieren (Stichwort: De-Risking). Das ist der Dualismus, den die Bundesregierung in ihrer Chinastrategie – nicht nur – für den Wissenschaftsbereich anstrebt. Auffällig zunächst: im Gegensatz zu den Ausführungen der Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) nach den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen ist der Ton in der Chinastrategie gemäßigter.
Zudem bleibt man mit Blick auf die Umsetzung oder konkrete Aktivitäten im Ungefähren. Hatte die Forschungsministerin in den Konsultationen der chinesischen Seite “nur begrenzt Spielräume für neue Kooperationen” angekündigt und den Hochschulen in Interviews ein “kritisches Hinterfragen” der Verbindungen zu den Konfuzius-Instituten nahegelegt hatte, sieht die Chinastrategie vor, “Wissenschaftsbeziehungen werte- und interessengeleitet weiterzuentwickeln” und “den Dialog mit den Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu stärken.”
Eine stärkere Dokumentation von China-Kooperationen oder sogar ein Zentralregister für Forschungskooperationen, wie es einige China-Experten Anfang des Jahres vorgeschlagen hatten, ist nicht vorgesehen. Dafür verspricht die Bundesregierung, die Wissenschaft dabei zu beraten, “Vorsorge vor Risiken im Umgang mit China zu treffen und die Entstehung einseitiger Abhängigkeiten in diesen Kooperationen zu verhindern”.
Mit Blick auf die Gefahr einer militärischen Nutzung von Forschungsergebnissen will die Regierung die Zeichen der Zeit erkannt haben: “Wir berücksichtigen, dass auch zivile Forschungsprojekte, inkl. Grundlagenforschung, von China strategisch auf ihre militärische Verwendbarkeit hin betrachtet werden”. US-Sicherheitsexperte Jeffrey Stoff, Gründer und Präsident des “Center for Research Security & Integrity” (CRSI), hatte Anfang des Jahres in einem Bericht offengelegt, wie naiv einzelne deutsche Forschungsinstitutionen und Unternehmen mit chinesischen Einrichtungen kooperierten, die militärische Verbindungen haben.
Im Interview mit Table.Media forderte er, dass Regierungen, “Richtlinien bereitstellen und Dinge auflisten, vor denen sie warnen oder die sie einschränken möchten”. Konkrete Pläne oder Angebote, die in diese Richtung gehen, sucht man in der Strategie vergebens. Mutmaßlich um einen diplomatischen Ton zu wahren, der vor allem aus dem Kanzleramt angemahnt wurde, bleibt das Papier an diesen Stellen eher kryptisch. Man verspricht, ein “besseres gegenseitiges Verständnis der jeweiligen Förderstrukturen und Prozesse” anzustreben.
Vieles will die Bundesregierung zudem nicht auf nationaler Ebene lösen, sondern verweist auf die EU – und hier vor allem auf den Rahmen von Horizon Europe. Angesprochen werden etwa Einschränkungen beim transnationalen Datenverkehr oder den Ungleichgewichten beim Zugang zu chinesischen Großforschungseinrichtungen. China hatte sich aus den Verhandlungen zu einheitlichen internationalen Bestimmungen im Zuge der “EU-China Science, Technology, Innovation-Roadmap” zurückgezogen.
Gespräche mit der chinesischen Regierung kündigt die Bundesregierung in ihrer Strategie zur “Verbesserung der Arbeitsbedingungen deutscher Wissenschaftsorganisationen in China” an. Hier hatte zuletzt die aktualisierte Fassung des chinesischen Spionageabwehrgesetzes für Unruhe unter Wissenschaftsorganisationen und bei einzelnen Forschern gesorgt. Während in dem Gesetz früher ein Vorgehen gegen alle Aktivitäten ausländischer Institutionen angekündigt wurde, die die nationale Sicherheit gefährden, ist inzwischen von nationaler Sicherheit und nationalen Interessen die Rede.
“Die Beschreibung ,nationale Interessen’ lässt sich viel breiter auslegen kann. Da stellen sich viele deutsche Wissenschaftler, die gerade zum ersten Mal nach der Corona-Pandemie wieder ins Land wollen, die Frage, ob ihre Forschung zu ihren Ungunsten ausgelegt werden könnte. Oder auch zuungunsten der Forschungspartner vor Ort, die ja oft viel stärker gefährdet sind”, sagt Hannes Gohli, Geschäftsführer des China Kompetenzzentrums an der Universität Würzburg. So entstehe mehr Unsicherheit und eine höhere Hemmschwelle, Forschung zu betreiben, sagt der Experte, der im September selbst einen Forschungsaufenthalt in China plant.
Aus Kreisen der chinesischen Regierung erfuhr Table.Media, dass diese Besorgnis in China auf wenig Verständnis stößt. Es sei genauso sicher für deutsche Forscher in der Volksrepublik zu arbeiten wie vor der Covid-19-Pandemie, heißt es dort. Gleichzeitig bemühe man sich, den über die Pandemie eingeschlafenen Austausch von Forschern wiederzubeleben. Das Bestreben vieler Eltern sei noch größer geworden, ihre Kinder zum Studium nach Deutschland oder Europa zu schicken, heißt es. Das liege vor allem daran, dass für viele Chinesen ein Studium in den USA – aufgrund der als aggressiv empfundenen US-China-Politik – nicht mehr infrage kommt.
Auch die deutsche Regierung bekennt sich in ihrer Strategie dazu, weltweit für Deutschland als Standort für Studium, Lehre und Forschung zu werben. Ziel ist allerdings, “chinesische Talente langfristig in Deutschland und Europa zu halten”.
Herr Gohli, würden Sie von einer Zeitenwende bei der wissenschaftlichen Zusammenarbeit und den Forschungskooperationen mit China sprechen?
Ich beobachte in Gesprächen und auf Konferenzen, dass sich etwas geändert hat. Schon zu der Zeit der Corona-Pandemie, aber vor allem seit dem Start des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, den China toleriert und dem Erscheinen des Reports zu deutschen Forschungskooperationen mit militärnahen Instituten von Jeffrey Stoff. Die Stimmung ist aufgeheizt und man ist viel vorsichtiger geworden, was Forschungskooperationen, aber auch Mobilitätsprogramme angeht. Da flacht vor allem der Wille und die Motivation an deutschen Universitäten ab und ist spürbar anders als noch vor fünf oder zehn Jahren.
Die Motivation zu kooperieren oder sich generell mit dem Thema China zu beschäftigen?
Beides. Als ich vor etwa zehn Jahren angefangen habe, mich mit China und chinesischer Ökonomie zu beschäftigen, da war das noch das Zukunftsthema schlechthin. Man ging davon aus, dass China für das 21. Jahrhundert die Rolle spielen wird, die die USA für das 20. Jahrhundert innehatte. Da wollte man aber im positiven Sinne dabei sein und sich dafür richtig aufstellen, auch wirtschaftlich. Unter den jungen Menschen war eine riesige Bereitschaft, dieses Land besser kennenzulernen. Diese Motivation ist deutlich abgeflaut. Und wenn man als Forscher mit chinesischen Partnern zusammenarbeiten will, ist das heute auch mit deutlich mehr kritischen Fragen und Sorgen verbunden, als das noch vor fünf, sechs Jahren der Fall war.
Deutschland kann sich kein zweites Mal die Naivität erlauben, die man gegenüber Russland gezeigt hat. Ist nicht gerade deshalb auch Skepsis und Rückzug angebracht?
Wir waren viel zu abhängig von Russland. Und wir sind immer noch zu abhängig von China, zumindest in einigen Bereichen. Ich habe mit Blick auf China auch schon zu erneuerbarer Energie geforscht. Wenn man da etwa auf die Solarenergie schaut, dann werden 98 Prozent der Solarmodule in China produziert und 99 Prozent der Wafer. Also sind wir de facto abhängig. Außer, wir wollen unsere Energiewende wirklich allein machen. Dann wird das viel länger dauern und teurer werden. Da muss die Gesellschaft eine Entscheidung treffen, ob wir die Energiewende möglichst schnell und kostengünstig oder möglichst eigenständig über die Bühne bringen wollen.
Die Solartechnologie ist für den Forschungsbereich ein gutes Beispiel. Wie verhindert man den Ausverkauf von Innovationen nach China, wie in diesem Fall?
Dazu muss man erstmal sagen, dass das viele Vorteile für uns mit sich gebracht hat. Die Solarzellen sind um einiges billiger geworden und davon profitieren auch die Deutschen und die deutsche Industrie. Deshalb ist das vielleicht auch ein natürlicher Vorgang. Das wird beim nächsten Mal wieder so sein. Man sollte sich in Deutschland einfach bemühen, Vorreiter bei der nächsten Technologiegeneration zu sein, etwa im Bereich der Batterien. Wir haben schlaue Köpfe und unser System ist auf Kreativität und Fleiß ausgerichtet. Da haben wir große Vorteile gegenüber China. In einem autoritären Staat stehen quantitative Ziele und der Druck von oben im Vordergrund, da wird Kreativität unterbunden.
Was halten Sie von dem Vorschlag, Förderprogramme einzuschränken, um Wissensabfluss zu verhindern?
Nichts. Forschungskooperationen sollen evaluiert und Risiken abgeschätzt werden. Wenn dabei herauskommt, dass das Risiko zu groß erscheint und Interessen nicht gewahrt werden könnten, dann sollte man diese Projekte beenden oder gar nicht erst beginnen. Aber generell sollten wir auf keinen Fall unsere gemeinsame Technologieforschung mit China beschneiden. In manchen Technologiebereichen ist China viel weiter als wir. Wenn wir die Verbindungen kappen, dann riskieren wir, dass uns enorm viel Wissen verloren geht und wir in manchen Feldern abgeschlagen sind. Ich finde, bei der Frage schwingt auch etwas Arroganz mit. Wer davon ausgeht, dass wir diese Kooperationen nicht brauchen, weil wir in der Technologieforschung Weltspitze sind und China nur von uns abschaut, der irrt. Ich würde die Kooperationen ausbauen und dabei auf eine sehr gewissenhafte Einzelfallprüfung setzen.
Was beunruhigt Sie als Forscher, der auch persönlich nach China reist, am meisten?
Derzeit ist das vor allem das Gesetz zur Spionageabwehr, weil sich der Wortlaut geändert hat. Inzwischen verfolgt China nicht mehr nur Aktivitäten, die als Gefahr für die “National Security” eingestuft werden, sondern auch Aktivitäten, die “National Interests” bedrohen. Das ist ein Begriff, den man viel weiter auslegen kann. Und da stellen sich viele deutsche Forscher, die gerade zum ersten Mal nach Corona wieder ins Land wollen, die Frage, ob ihre Forschung zu ihren Ungunsten ausgelegt werden könnte oder auch zuungunsten der Forschungspartner vor Ort. So entsteht mehr Unsicherheit und die Hemmschwelle Forschung zu betreiben wird höher.
Sie wollen im September nach China. Hat die neue Gesetzgebung Einfluss auf ihre Forschung?
Das wird mein erster Aufenthalt in China nach der Covid-19-Pandemie, die ja für sich auch ein riesiger Einschnitt in den Forschungsbeziehungen war. Und ich frage mich schon: Was habe ich noch für Möglichkeiten oder neue Grenzen? Ich forsche zu digitaler Entwicklung und gehe der Frage nach, wie China Datenpakete nutzt, um die regionale Entwicklung voranzubringen. Das ist keine Forschung, die politisch hohe Wellen schlägt. Aber gerade im Bereich der qualitativen Forschung fragt man sich, wie offen Interviewpartner vor Ort sein werden und welche Fragen man stellen kann, die weder eine Gefahr für einen selbst noch für die Gesprächspartner darstellen. Da werde ich deutlich sensibler sein als bei meinem letzten Aufenthalt im Jahr 2019.
Neben den individuellen Einschnitten auf der Ebene der einzelnen Forscher, sucht auch die Bundesregierung im Zuge ihrer Chinastrategie Antworten, wie man mit Forschungskooperationen zukünftig umgehen soll.
Wenn man in der Forschung kooperiert, egal ob das mit ausländischen Universitäten oder auch deutschen Kooperationspartnern ist, gibt es immer ein Restrisiko, dass Daten oder Ergebnisse gleich oder später zweckentfremdet werden. In dem Sinne der Wissenschaftsfreiheit sind wir eine Risikogesellschaft. Es wird immer Fälle geben, in denen Wissenschaft nicht nur für das Gute eingesetzt wird. Deshalb finde ich auch, dass wir mit Blick auf China nie vorschnell Kooperationen als Ganzes verdammen oder einstampfen sollten. Es wird Fälle geben, wo Daten übertragen werden, die nicht übertragen werden sollten und die Ergebnisse anders angewendet werden, als wir das erwartet oder intendiert hatten. Aber genau an dem Punkt müssen wir ansetzen und alles dafür tun, dass diese Einzelfälle möglichst nicht passieren.
Braucht es dazu neue Leitlinien oder eine Anlaufstelle auf Bundesebene?
Ich finde, Deutschland ist eigentlich sehr gut aufgestellt. Es gibt sowohl von der HRK, vom DAAD und von der BAFA Leitlinien und Strategiepapiere zum Umgang mit autoritären Staaten und sogar im Speziellen für China. Wichtiger ist, dass sich jede Institution mit diesem Thema noch einmal selbst auseinandersetzt und diese Leitlinien für sich herunterbricht. Am Ende geht es darum, dass die Forscher einen Ansprechpartner haben. Eine Stelle, die sie aufsuchen können, wenn Unsicherheiten oder Unklarheiten bestehen. Es gibt nicht die one-size-fits-all-Lösung.
Wie lösen Sie das an der Universität Würzburg?
Wir haben in Würzburg im vergangenen Winter das China Kompetenzzentrum eingerichtet, das ich leite. Wir wollen es als Organ zur Beratung von Forschenden nutzen und dabei helfen, Forschungsprojekte mit chinesischer Beteiligung vorzubereiten. Das Kompetenzzentrum soll aber keine Kontrollinstanz sein, denn die Entscheidung trifft der einzelne Wissenschaftler oder in einzelnen Fällen die Universitätsleitung. Wir geben kollegiale Hilfestellungen, haben Leitlinien zusammengestellt und vermitteln, worauf zu achten ist.
Wann raten Sie von einer Kooperation ab?
Das ist nicht so pauschal zu beantworten. Wir schauen in Datensammlungen wie den China Defence Universities Tracker des Australian Strategic Policy Institutes. Dort kann man Verbindungen von chinesischen Universitäten und Fakultäten zu militärischen Einrichtungen nachvollziehen. Teilweise haben Universitäten aber auch Tochtergesellschaften, die dann wiederum Verbindungen mit militärischen Institutionen haben, das hat der Stoff-Bericht gezeigt. Das kann aber alles nur ein erster Schritt sein. Grundsätzlich halten wir nicht so viel von einem rein listenbasierten Ansatz. Man sollte auch nach Forschungsanlass und -frage abwägen. In kritischen Fällen wird auch die Leitung der Universität mit eingeschaltet. Auf Fakultäts- oder Institutsebene gibt es zudem Ethikkommissionen, die bei kritischen Fällen mit eingeschaltet werden können.
Welche Fragen sollten sich Forschende stellen?
Auch das kann von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein. Wir haben einen Fragenkatalog entwickelt, den wir zusammen mit den Forschenden durchgehen. Die Evaluierung der Finanzierungsquellen ist zum Beispiel eine Kategorie, die wir in unsere Vorüberlegungen mit einbeziehen. Die Frage, welche Rechte und Einschränkungen chinesische Forscher haben, die einen Aufenthalt in Deutschland planen, ist eine andere. Das kann dann in einem Kooperationsvertrag festgehalten werden.
Gewissenhafte Einzelfallprüfungen sind eine Frage von Kapazitäten und Kompetenzen. Gibt es davon an deutschen Universitäten genügend?
Einzelfallprüfung heißt auch Arbeitsaufwand, das ist richtig. Das kann nicht eine halbe Stelle an der Universität gewährleisten. Wir brauchen mehr Stellen und das bedeutet mehr Geld. Und da hapert es auch. Die Community tauscht sich aus, wir haben internationale Spitzenforscher zu China hier in Deutschland. Aber es gibt zu wenige Lehrstühle. Das ist sehr frustrierend. Die Politik ruft nach mehr China-Kompetenz, aber wenn es zum Beispiel darum geht, in den Fakultäten permanente Stellen zu schaffen, auch unterhalb der Professur, dann ist da in den letzten Jahren zu wenig passiert.