Table.Briefing: Research

Sonderausgabe: 75 Jahre Max-Planck-Gesellschaft + Präsident Martin Stratmann zieht Bilanz

  • MPG-Präsident über die Bedingungen guter Wissenschaft
Liebe Leserin, lieber Leser,

vor 75 Jahren, am 26. Februar 1948, wurde die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) im Kameradschaftshaus der Aerodynamischen Versuchsanstalt in Göttingen gegründet. Heute gehört dies zum Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, die MPG besteht aus 86 einzelnen Instituten, gilt international als führend, 30 Wissenschaftler wurden bisher mit einem Nobelpreis ausgezeichnet.  

Gefeiert wird am heutigen Sonntag im Deutschen Museum in München, zur Eröffnung spricht der frühere Bundespräsident Joachim Gauck, in Reden wird über die wechselvolle Geschichte der MPG referiert. 

Wir haben mit Martin Stratmann gesprochen. Seit neun Jahren steht er der Max-Planck-Gesellschaft vor, im Sommer übergibt er an den Molekularbiologen Patrick Cramer. Zeit für eine Rück- und eine Vorschau.  

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Nicola Kuhrt
Bild von Nicola  Kuhrt
  • Forschung
  • Max-Planck-Gesellschaft

Analyse

MPG-Präsident Stratmann: “Mehr Freiheitsgrade für die Wissenschaft”

Neun Jahre MPG-Präsident: Martin Stratmann.
Neun Jahre Präsident: Martin Stratmann.

Ein großes Jubiläum in wechselhaften Zeiten, der eigene Wechsel in den Ruhestand steht kurz bevor. Wie fühlt man sich an einem solchen Tag? Martin Stratmann bleibt gefasst. “Ich habe volles Programm und noch viel vor bis zur Amtsübergabe im Sommer.” Er freue sich darauf, dann endlich wieder mehr Zeit zu haben – etwa für seine Enkelkinder. Im April wird Stratmann 69 Jahre alt.

Wenn er zurückschaut auf die Zeit seiner Präsidentschaft, fallen Martin Stratmann zahlreiche Entwicklungen und Ereignisse ein, positive wie negative. Drei Highlights stechen hervor:

Nobelpreise, Neuausrichtungen und Nachwuchs

  • Nobelpreise: “Wir hatten ein wirklich gutes Jahrzehnt. Es kulminierte in fünf Nobelpreisen in den letzten drei Jahren, in meiner Amtszeit gab es insgesamt sechs. Das sind zwar nicht direkt die Früchte meiner Arbeit, sondern der Forschenden. Aber ein bisschen habe ich auch dazu beigetragen: indem ich für die Ausstattung gesorgt habe und dafür, dass sie sich bei uns wohlgefühlt haben.”

    Und er betont: “Es zeigt zugleich, dass wir hervorragende Berufungen gemacht haben, die im Übrigen hochrisikoreich waren, denn es waren alles Menschen, die ungewöhnliche wissenschaftliche Ansätze hatten, deren Realisierung man zu Beginn nicht abschätzen konnte. Und darauf bin ich wirklich stolz.”
  • Institutsumwidmungen: “Wir haben Rahmenbedingungen gesetzt in der MPG, die sehr viel mehr Dynamik entfaltet haben. Mir war von Beginn meiner Amtszeit klar, dass die Zeit des großen Wachstums vorbei ist. Der Wachstumsschub kam durch die neuen Bundesländer nach der Wende. Damals konnten wir 18 neue Institute gründen, eines davon war das von Svante Pääbo.”
  • “In meiner Amtszeit hat mich die Frage umgetrieben, was eine MPG macht, die nicht mehr die Möglichkeit hat, viele neue Institute zu gründen und die gleichzeitig neue Wissenschaftstrends aufnehmen muss. Würden wir auch weiterhin Wissenschaftler wie Svante Pääbo aufnehmen können, die etwas wirklich Neues machen? Hier haben wir wirklich viel erreicht. Wir überprüfen heute systematisch Institute, in denen mehrere Direktorinnen oder Direktoren ausscheiden, ob wir diese wirklich mit alter Widmung weiterführen wollen oder ob wir sie neu ausrichten. Natürlich ist es nicht einfach, etwas herzugeben, was gut funktioniert, um etwas Neues Risikoreiches zu machen. Und doch brauchen wir diesen Prozess. Auch in Zukunft.”
  • Nachwuchs: “Wir haben den Nachwuchs substantiell gefördert. Wir haben unsere Vergütung von Stipendien auf Verträge umgestellt. Wir haben Netzwerke unterstützt, die unsere Doktoranden und PostDocs vertreten (PhDnet und Postdocnet) und wir haben hochkarätige Programme für Nachwuchswissenschaftlerinnen wie das Lise-Meitner-Programm initiiert, aus dem wir jetzt die ersten zwei Direktorinnen berufen haben.”

Fehlverhalten: Es gab keine Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen

In den letzten Jahren hat die MPG auch andere Schlagzeilen gemacht. Es gab Fälle von
Machtmissbrauch, Leitungsinkompetenzen, wissenschaftlichem Fehlverhalten und Mobbing. Mehrere Fälle an verschiedenen Instituten wurden untersucht. Wie sieht sich Stratmann hier, wie seine Rolle als Präsident?
“Die Ahndung von Führungsfehlverhalten war sicherlich der schwierigste Teil meiner Amtszeit“, sagt Stratmann. “Derartige Verfahren gab es in der langen Geschichte der MPG nicht, hier musste ich Neuland betreten. Und im Nachhinein hätte man vielleicht auch das eine oder andere weniger langwierig machen können.”

Was genau meint er hier? Die Ausgangslage sei nicht einfach gewesen, sagt Stratmann. “Die Freiheitsgrade eines Max-Planck-Direktors sind enorm, die Allermeisten gehen damit sehr verantwortlich um, aber in Einzelfällen kommt Fehlverhalten eben auch bei uns vor. Das Schlimmste ist, wenn man das verschweigt. Wir haben ein Whistleblower-System aufgebaut, Hinweisen wird seitdem im Rahmen eines festgelegten objektiven Verfahrens nachgegangen.”

Dass es überhaupt zu den Fällen von Fehlverhalten gekommen ist, erklärt sich Stratmann damit, dass es nun mal “menschlich sei, dass Dinge fehllaufen und dass hin und wieder jemand einer Führungsaufgabe auch nicht gewachsen ist”. Fehlverhalten und Machtmissbrauch gebe es in allen Bereichen – der Wirtschaft, der Wissenschaft oder den Medien. “Ein Doktorand ist natürlich in hohem Maße abhängig von seinem Supervisor. Und dann ist Machtmissbrauch besonders fies, weil er mit einer Abhängigkeitsstruktur zusammenfällt, der die Betroffenen sich nicht so ohne weiteres entziehen können. Deswegen ist es mir wichtig, dass wir mit Machtmissbrauch in aller Sorgfalt umgehen.”

Umgang mit Fehlverhalten noch vor Amtsübergabe dauerhaft regeln

“Bevor ich mein Amt übernommen habe, hatten wir keinerlei Möglichkeiten für Mitarbeiter, sich wirklich intern Gehör zu verschaffen. Sie hatten große Sorge, dass Beschwerden unterdrückt werden und sich für sie nachteilig auswirken, weil zum Beispiel der Präsident den Direktoren zu nahesteht. Deshalb haben sie ihren Unmut über die Presse lanciert. Das war ein unerträglicher Zustand für alle Beteiligten.”

Es mussten auch Wege gefunden werden, das gemeldete Fehlverhalten aufzuarbeiten und am Ende auch zu ahnden, was einige interne Umstellungen nötig machte. “Ich will diesen Prozess noch in meiner Amtszeit abschließen und unter anderem entsprechende Satzungsänderungen vorschlagen. Ich denke, das wird im Sommer passieren, vor der Amtsübergabe. Ich möchte meinem Nachfolger hier eine Gesellschaft übergeben, die auch im Umgang mit Führungsfehlverhalten gut aufgestellt ist. Das ist mir wichtig, das sind wir allen Beteiligten schuldig – Direktoren und Direktorinnen, aber auch Doktoranden und Doktorandinnen, um nur einige Gruppen zu nennen.”

Zeitenwende: Gesellschaft und Politik erwarten viel

Über ein Jahrzehnt lang profitierte die Max-Planck-Gesellschaft, wie generell die Forschung in Deutschland, von besseren Bedingungen als in nahezu allen anderen Industrieländern. Dennoch lag auch ohne Corona-Krise oder die Folgen des Kriegs Russlands gegen die Ukraine schon einiges im Argen. Auch die Wissenschaft steht vor einer Zeitenwende. Politisch und gesellschaftlich werde enorm viel von der Wissenschaft erwartet, erklärt Martin Stratmann dazu, es gelte die Bedeutung der Grundlagenforschung hochzuhalten:

  • “Die Zeiten, in denen Wissenschaft als Spielwiese gesehen wurde, sind lange vorbei. Der Politik ist bewusst, dass Wissenschaft von zentraler Bedeutung ist für das Wohlergehen eines Landes. Das sehen wir daran, dass die Bundesrepublik inzwischen drei Prozent und mehr für Wissenschaft und Innovation ausgibt. Allerdings versteht die Politik Wissenschaft häufig als Teil eines linearen Innovationssystems: Da fängt man mit der Grundlagenforschung an, dann kommt ein Patent und dann hat man eine große Firma. Aber Grundlagenforschung ist keine Toolbox, um Innovation zu machen.”
  • Grundlagenforschung ist die freie Entfaltung des menschlichen Geistes. Dieses Verständnis, Wissenschaft einerseits als Erkenntnisgewinn zu sehen und andererseits als Teil einer Innovationskette, das passt nicht immer hundertprozentig zusammen. Deswegen muss man sich, vor allem in der Politik, mit der Frage auseinandersetzen, was Wissenschaft eigentlich leisten kann. Grundlagenforschung, so wie wir sie in der MPG verstehen, sollte nämlich heute das machen, was in 20 Jahren wichtig ist. Und nicht primär das, was heute wichtig erscheint. Und die Zukunft lässt sich nicht vorhersagen. Die Prognose der MPG sind daher Köpfe, von denen wir glauben, dass sie gute Wissenschaft vorantreiben. Dieses Prinzip der Max-Planck-Gesellschaft unterscheidet sich deutlich von dem, was Politik heute unter ‘Missionen’ versteht.”

Grundlagenforschung: Neben Missionen auch Visionen verfolgen

In der aktuellen Regierung, besonders im Forschungsministerium, sind derzeit schnelle Ergebnisse gefragt, Technologieoffenheit wird gepredigt. Die Gefahr, dass die Grundlagenforschung infolgedessen zu stiefmütterlich behandelt wird, schließt Martin Stratmann aus. Man müsse allerdings zwei Dinge unterscheiden:

  • “Jeder würde gerne etwas machen, was kurzfristig Erfolg hat und von dem man weiß, dass das wichtig ist. Ich glaube, wir müssen zwei Dinge unterscheiden: Es gibt auf der einen Seite natürlich Missionen, die man vorantreiben muss. So ist es etwa gar keine Frage, dass wir neue Antibiotika benötigen; es ist auch gar keine Frage, dass wir vor einer Energiewende stehen; es ist gar keine Frage, dass wir uns mit der globalen Erwärmung befassen müssen, was die Wissenschaft ja schon seit 30 Jahren weiß und vorhergesagt hat. Die dafür notwendigen Technologien muss man in Form von Missionen weiterentwickeln.”
  • “Unabhängig davon ist die Frage, etwa im Bereich Energie: Was für Möglichkeiten hat man denn in 30 Jahren, Sonnenlicht, in Energie umzuwandeln? Und ich bin ganz sicher, da wird es Dinge geben, auf die wir heute gar nicht kommen. Dinge, die wir heute noch nicht kennen. Das ist etwas, was wir mit Grundlagenforschung beschreiben, die sich nicht an heutigen Missionen orientiert.”
  • “Grundlagenforschung erschließt also Handlungsspielräume, die der Gesellschaft zur Verfügung stehen. Innerhalb dieser Freiräume, die die Grundlagenforschung erschlossen hat, muss eine Gesellschaft in der Lage sein, auch Visionen zu entwickeln, wie man ein konkretes Ziel über Missionen erreichen kann. Beide Prozesse müssen parallel laufen, man darf sie nicht gegeneinander ausspielen. Das wäre ein großer Fehler.”
  • Er nennt eine weitere Hürde: “Wir leben in einer Zeit unglaublichen Kontrollverlangens. Jeder in der Politik möchte kontrollieren, dass ja nichts schiefläuft. Und diese Angst, dass etwas schieflaufen könnte, lähmt natürlich. Die Freiräume muss man immer wieder erkämpfen, dafür muss man ringen. Ich muss aber auch sagen: Die Erfolge der MPG werden auch von der Politik gesehen und deshalb fürchte ich auch nicht, dass das Modell der MPG infrage gestellt wird.”

Zukunftsstrategie: Viel Vernünftiges, wenig Überraschendes

In der kommenden Woche berät der Bundestag erstmals den Bericht zur Zukunftsstrategie Forschung und Innovation, den die Bundesregierung angekündigt hat. Schwerpunkt ist einerseits die Struktur des Wissenschaftssystems selbst, andererseits die Ausgestaltung der sechs Zukunftsmissionen, die bereits im Koalitionsvertrag verankert sind. Vor allem in den Bereichen Strukturen und Missionen listet das BMBF viele Einzelziele und insbesondere Maßnahmen. Diese stehen allesamt unter einem Finanzierungsvorbehalt. Um seine Einschätzung gebeten, wählt Martin Stratmann nur zunächst vorsichtige Worte:

  • Wenn man die Zukunftsstrategie durchliest, dann steht da eine ganze Menge Vernünftiges drin. Keine Frage. Das Papier enthält aber auch nicht viel Überraschendes, was man vielleicht auch nicht erwarten kann. Was die Politik jetzt wirklich liefern muss, ist mehr als nur ein Papier. Sie muss die Zukunft aktiv gestalten. Und damit sind wir wieder bei den Missionen: Wenn wir die Energiesysteme neu aufbauen wollen, dann brauchen wir eine Mission, die das umsetzt. Wenn wir aus Kohle, Gas und Öl aussteigen wollen, dann sind das gigantische Mengen Energie, die wir durch etwas Neues ersetzen müssen. Wir müssen sehr viel mehr elektrische Energie zur Verfügung haben, sie muss dauerhaft zur Verfügung gestellt werden und sie muss erschwinglich sein. Das muss man alles erst mal hinbekommen.”
  • Um diese drei Bedingungen zu erfüllen, sind Missionen unerlässlich. Unabhängig von diesen Missionen, auch das klingt in der Zukunftsstrategie an, braucht man risikoreiche Zukunftsprojekte, die sich in unbekanntes Terrain vorwagen. Etwas, was die Sprind-Agentur machen soll. Die habe ich ja selber der Bundesregierung vorgeschlagen: so etwas wie eine Darpa-Agency in Deutschland – und auch die muss man endlich frei laufen lassen.”

Martin Stratmann kritisiert, dass Sprind, die Agentur für Sprunginnovationen, immer noch nicht frei läuft“. Sie müsse andere Rahmenbedingungen haben als das, was in der Politik oder den Ministerien heute üblich ist. Und Sprind muss man so frei laufen lassen wie die Max-Planck-Gesellschaft. Die muss dieses Neuland erschließen, jenseits der Missionen.

Stratmann hofft, dass es der Politik gelingt, zweigleisig zu fahren. Dort, wo man ein klares Ziel und auch Technologien zur Verfügung hat, wird dieses im Rahmen einer Mission umgesetzt. Die Sprind-Agentur hingegen sucht wirklich nach Innovationen und kommt zu Lösungen, die es bisher gar nicht gab. Und die muss ganz anders geführt werden als ein Ministerium. Ansonsten wird sie scheitern.

Sprind, Missionen, Kernfusion: Weiter als eine Koalition

Man müsse sich überlegen, ob die vorhandenen politischen Strukturen geeignet sind, wichtige wissenschaftliche Strategien zu realisieren, sagt Stratmann. Die beschriebenen Missionen gehen über Jahrzehnte. Denn wir sprechen hier von großtechnischen Prozessen. Ein Energieumbau braucht 20, 30 Jahre. Also viel länger als Legislaturperioden, Minister und Koalitionen existieren. Wir müssen erwarten, dass wir endlich auch Missionen umsetzen können, die länger dauern als eine oder zwei Legislaturperioden. Das macht mir schon Sorgen.”

Eine Mission von 20 Jahren kann man nicht dauernd alle paar Jahre wieder readjustieren, weil es eine neue Koalition mit neuen Schwerpunkten antritt. Nehmen wir einmal das Beispiel Fusionsforschung. Die gibt es seit 20, 30 Jahren. Das ist ein Langläufer, aber heute noch nicht absehbar, ob und wann die Forschung wirklich zu einem Kraftwerk führt. In den letzten Jahren hat sich in der Fusionsforschung eine Menge entwickelt, manches davon auch nicht vorhersehbar. Derartige Entwicklungen müssen Koalitionen überdauern. Es kann nicht sein, dass man Fusion mal gut und mal schlecht findet, mal fördert, mal nicht. Das kann nicht funktionieren.”

Man bräuchte so etwas wie Agenturen, die mit Geld ausgestattet werden und klare langfristige Missionsziele haben. Die Nasa in den USA sei ein solches Beispiel. Natürlich müssen derartige Agenturen auch kontrolliert werden, so wie man langfristige Geschäftsmodelle kontrolliert. Die Agenturen brauchen aber eine Struktur, die politikfern ist und in der man den vorgegebenen politischen Zielen dann auch mit großer Konstanz nachgehen kann.”

Rahmenbedingungen für Wissenschaftlerinnen verbessern

Was immer noch schwierig ist in der Max-Planck-Gesellschaft, sagt Stratmann, ist die Steigerung des Frauenanteils. Das schaffen wir bei Berufungen aus Deutschland nicht, das schaffen wir nur international.”

  • Wir sind eine Selbstverpflichtung eingegangen, dass wir etwa ein Drittel der Neuberufungen auf Direktorenebene mit Wissenschaftlerinnen besetzen. Da die Direktorinnen und Direktoren im Schnitt 25 Jahre bei uns sind, können wir im Jahr nur rund 15 Berufungen durchführen und damit fünf Frauen für uns gewinnen. Damit ist klar, dass sich das Gesamtbild nur langsam ändert, obwohl wir bei den Berufungen wirklich extrem aktiv sind.
  • Eine weitere Besonderheit: Die MPG ist eine sehr stark naturwissenschaftlich dominierte Forschungsorganisation. Im Vergleich zu Universitäten haben wir im Bereich der Geisteswissenschaften viele Disziplinen nicht, die sich an Universitäten durch einen sehr hohen Frauenanteil auszeichnen. Wir haben zum Beispiel sehr viel Physik. Ich schätze, dass rund ein Drittel unserer Direktorinnen und Direktoren Physiker und Physikerinnen sind. Darüber hinaus hat sich der Anteil von Frauen in den Schulfächern Informatik, Mathematik, Physik nach wie vor nicht wirklich verändert, das heißt, er ist nicht gestiegen. Wir werden aber mit Blick auf den Frauenanteil in bestimmten Teildisziplinen nicht besser sein als die anderen Bereiche, also Schule und Universitäten, aus denen wir schöpfen.
  • Auch die Rahmenbedingungen müssten sich verändern:Ich glaube, dass die Art und Weise, wie wir Wissenschaft betrieben haben, also mit häufigen Ortswechseln immer dann, wenn man eine neue Position anstrebt, mit Familien kaum zu machen ist. Das gilt für Männer, aber ganz besonders für junge Frauen. Deswegen haben wir inzwischen eine ganze Reihe von Programmen entwickelt, die es Frauen ermöglichen sollen, sich von der Promotion an bei uns weiterzuentwickeln.”

Wissenschaftszeitvertrag: Ungeheurer Druck, gerade für Frauen

Ein Punkt, der Martin Stratmann sehr ärgert, ist die Diskussion zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz.

  • Viele verlangen, die Zeit befristeter Arbeitsverträge nach einer Promotion noch weiter zu verkürzen, etwa auf vier Jahre. Für mich ist es kaum vorstellbar, in diesen wenigen Jahren so überzeugende Ergebnisse zu erzielen, dass man sich damit auf eine internationale Professur erfolgreich bewerben kann.”
  • Wir bauen also einen ungeheuren Druck auf diejenigen auf, die in Deutschland promovieren. Und das beeinträchtigt ganz besonders unsere Programme für junge Wissenschaftlerinnen, in denen wir versuchen, diese von Anfang so zu unterstützen, dass sie eine echte Karrierechance in der Wissenschaft haben. Die Zeit auf vier Jahre zu befristen, würde bedeuten, dass man schon nach zweieinhalb Jahre beginnen muss sich zu bewerben. Diesen Druck halte ich für völlig unangemessen und kontraproduktiv.
  • Das konterkariert auch jede Familienplanung. Denn die führt zwangsläufig auch zu zeitlichen Ausfällen. Wir müssen ganz im Gegenteil eine Kultur schaffen, die es jungen Frauen erleichtert, in die Wissenschaft zu gehen. Und dafür brauchen wir geeignete Rahmenbedingungen. Und was erleben wir: ein Besserstellungsverbot, das letztlich besagt, dass man bei uns nicht bessergestellt sein darf, als in einer Behörde. Aber wie wollen Sie eine junge Wissenschaftlerin vergleichen mit jemandem, der in einer Behörde angestellt ist?”

Besserstellungsverbot: Ein Hohn für Frauen mit kleinen Kindern

Nicht nur das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, auch das Besserstellungsverbot sei ein großes Problem in der Wissenschaft, besonders für Frauen, sagt Stratmann. Forschungsprojekte könne man häufig nicht einfach pausieren, um längere Zeit in Elternzeit zu gehen. Es bestehe die Gefahr, dass das betreffende Experiment dann anderswo gemacht werde.

Eine Wissenschaftlerin wolle nach der Geburt eines Kindes an ihrem Projekt möglichst schnell weiterarbeiten, weil sonst jemand anders in der Welt ihr Experiment macht und sie dann umsonst gearbeitet hat und von vorne anfangen kann. Sie brauche also sehr schnell adäquate Kinderbetreuung. Wir haben in der MPG ein erfolgreiches Programm zur Kleinstkinderbetreuung gehabt, privat finanziert, das jungen Frauen eine solche Unterstützung zugesagt hat. Wir wollten das Programm mit öffentlichen Mitteln fortführen, konnten es aber nicht, weil die GWK es uns untersagt hat. Warum? Weil das im Ministerium auch nicht existiere. Offen gesagt, damit kann man keine junge Frau überzeugen, in die Wissenschaft zu gehen und damit auch Risiken zu tragen, die in keinem Ministerium zu tragen sind.”

Besser Vertrauens- als Misstrauenskultur

Generell erschwerten viele der aktuell existierenden Regeln und Auflagen die Forschung, kritisiert Stratmann. Die Max-Planck-Gesellschaft lebe von einer Vertrauenskultur. Wir haben natürlich internationale, sehr hochkarätige Begutachtungsverfahren unserer Institute, um dieses Vertrauen regelmäßig alle drei Jahre zu hinterfragen. Und wenn Sie mich fragen: Wie oft kommt es vor, dass das Vertrauen nicht gerechtfertigt ist? Dann kann ich sagen: Das liegt im sehr kleinen Prozentbereich. Wenn man natürlich das letzte Prozent an Unwägbarkeit ausschließen will, dann muss man eine Misstrauenskultur aufbauen, die praktisch alles lähmt. Und ich glaube, das ist im Kern das, was in Deutschland passiert. Wir haben eine Art Null-Toleranz-Politik, die nicht wirklich funktionieren kann.”

Stratmann hofft auf bessere Lösungen und Bürokratieabbau. Für die Zukunft wünscht er sich, dass man die Max-Planck-Gesellschaft in einer Konstellation bestehen lässt, wie sie zurzeit ist: “Frei, wie sie zurzeit agieren kann, ordentlich finanziert, und mit einem Freiheitsgrad ausgestattet, wie wir ihn derzeit kennen und schätzen.” Nicola Kuhrt / Anne Brüning

  • Deutschland
  • Forschung
  • Max-Planck-Gesellschaft
  • Sprind

Research.Table Redaktion

RESEARCH.TABLE REDAKTION

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    • MPG-Präsident über die Bedingungen guter Wissenschaft
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    vor 75 Jahren, am 26. Februar 1948, wurde die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) im Kameradschaftshaus der Aerodynamischen Versuchsanstalt in Göttingen gegründet. Heute gehört dies zum Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, die MPG besteht aus 86 einzelnen Instituten, gilt international als führend, 30 Wissenschaftler wurden bisher mit einem Nobelpreis ausgezeichnet.  

    Gefeiert wird am heutigen Sonntag im Deutschen Museum in München, zur Eröffnung spricht der frühere Bundespräsident Joachim Gauck, in Reden wird über die wechselvolle Geschichte der MPG referiert. 

    Wir haben mit Martin Stratmann gesprochen. Seit neun Jahren steht er der Max-Planck-Gesellschaft vor, im Sommer übergibt er an den Molekularbiologen Patrick Cramer. Zeit für eine Rück- und eine Vorschau.  

    Wir wünschen Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre,  

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    • Max-Planck-Gesellschaft

    Analyse

    MPG-Präsident Stratmann: “Mehr Freiheitsgrade für die Wissenschaft”

    Neun Jahre MPG-Präsident: Martin Stratmann.
    Neun Jahre Präsident: Martin Stratmann.

    Ein großes Jubiläum in wechselhaften Zeiten, der eigene Wechsel in den Ruhestand steht kurz bevor. Wie fühlt man sich an einem solchen Tag? Martin Stratmann bleibt gefasst. “Ich habe volles Programm und noch viel vor bis zur Amtsübergabe im Sommer.” Er freue sich darauf, dann endlich wieder mehr Zeit zu haben – etwa für seine Enkelkinder. Im April wird Stratmann 69 Jahre alt.

    Wenn er zurückschaut auf die Zeit seiner Präsidentschaft, fallen Martin Stratmann zahlreiche Entwicklungen und Ereignisse ein, positive wie negative. Drei Highlights stechen hervor:

    Nobelpreise, Neuausrichtungen und Nachwuchs

    • Nobelpreise: “Wir hatten ein wirklich gutes Jahrzehnt. Es kulminierte in fünf Nobelpreisen in den letzten drei Jahren, in meiner Amtszeit gab es insgesamt sechs. Das sind zwar nicht direkt die Früchte meiner Arbeit, sondern der Forschenden. Aber ein bisschen habe ich auch dazu beigetragen: indem ich für die Ausstattung gesorgt habe und dafür, dass sie sich bei uns wohlgefühlt haben.”

      Und er betont: “Es zeigt zugleich, dass wir hervorragende Berufungen gemacht haben, die im Übrigen hochrisikoreich waren, denn es waren alles Menschen, die ungewöhnliche wissenschaftliche Ansätze hatten, deren Realisierung man zu Beginn nicht abschätzen konnte. Und darauf bin ich wirklich stolz.”
    • Institutsumwidmungen: “Wir haben Rahmenbedingungen gesetzt in der MPG, die sehr viel mehr Dynamik entfaltet haben. Mir war von Beginn meiner Amtszeit klar, dass die Zeit des großen Wachstums vorbei ist. Der Wachstumsschub kam durch die neuen Bundesländer nach der Wende. Damals konnten wir 18 neue Institute gründen, eines davon war das von Svante Pääbo.”
    • “In meiner Amtszeit hat mich die Frage umgetrieben, was eine MPG macht, die nicht mehr die Möglichkeit hat, viele neue Institute zu gründen und die gleichzeitig neue Wissenschaftstrends aufnehmen muss. Würden wir auch weiterhin Wissenschaftler wie Svante Pääbo aufnehmen können, die etwas wirklich Neues machen? Hier haben wir wirklich viel erreicht. Wir überprüfen heute systematisch Institute, in denen mehrere Direktorinnen oder Direktoren ausscheiden, ob wir diese wirklich mit alter Widmung weiterführen wollen oder ob wir sie neu ausrichten. Natürlich ist es nicht einfach, etwas herzugeben, was gut funktioniert, um etwas Neues Risikoreiches zu machen. Und doch brauchen wir diesen Prozess. Auch in Zukunft.”
    • Nachwuchs: “Wir haben den Nachwuchs substantiell gefördert. Wir haben unsere Vergütung von Stipendien auf Verträge umgestellt. Wir haben Netzwerke unterstützt, die unsere Doktoranden und PostDocs vertreten (PhDnet und Postdocnet) und wir haben hochkarätige Programme für Nachwuchswissenschaftlerinnen wie das Lise-Meitner-Programm initiiert, aus dem wir jetzt die ersten zwei Direktorinnen berufen haben.”

    Fehlverhalten: Es gab keine Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen

    In den letzten Jahren hat die MPG auch andere Schlagzeilen gemacht. Es gab Fälle von
    Machtmissbrauch, Leitungsinkompetenzen, wissenschaftlichem Fehlverhalten und Mobbing. Mehrere Fälle an verschiedenen Instituten wurden untersucht. Wie sieht sich Stratmann hier, wie seine Rolle als Präsident?
    “Die Ahndung von Führungsfehlverhalten war sicherlich der schwierigste Teil meiner Amtszeit“, sagt Stratmann. “Derartige Verfahren gab es in der langen Geschichte der MPG nicht, hier musste ich Neuland betreten. Und im Nachhinein hätte man vielleicht auch das eine oder andere weniger langwierig machen können.”

    Was genau meint er hier? Die Ausgangslage sei nicht einfach gewesen, sagt Stratmann. “Die Freiheitsgrade eines Max-Planck-Direktors sind enorm, die Allermeisten gehen damit sehr verantwortlich um, aber in Einzelfällen kommt Fehlverhalten eben auch bei uns vor. Das Schlimmste ist, wenn man das verschweigt. Wir haben ein Whistleblower-System aufgebaut, Hinweisen wird seitdem im Rahmen eines festgelegten objektiven Verfahrens nachgegangen.”

    Dass es überhaupt zu den Fällen von Fehlverhalten gekommen ist, erklärt sich Stratmann damit, dass es nun mal “menschlich sei, dass Dinge fehllaufen und dass hin und wieder jemand einer Führungsaufgabe auch nicht gewachsen ist”. Fehlverhalten und Machtmissbrauch gebe es in allen Bereichen – der Wirtschaft, der Wissenschaft oder den Medien. “Ein Doktorand ist natürlich in hohem Maße abhängig von seinem Supervisor. Und dann ist Machtmissbrauch besonders fies, weil er mit einer Abhängigkeitsstruktur zusammenfällt, der die Betroffenen sich nicht so ohne weiteres entziehen können. Deswegen ist es mir wichtig, dass wir mit Machtmissbrauch in aller Sorgfalt umgehen.”

    Umgang mit Fehlverhalten noch vor Amtsübergabe dauerhaft regeln

    “Bevor ich mein Amt übernommen habe, hatten wir keinerlei Möglichkeiten für Mitarbeiter, sich wirklich intern Gehör zu verschaffen. Sie hatten große Sorge, dass Beschwerden unterdrückt werden und sich für sie nachteilig auswirken, weil zum Beispiel der Präsident den Direktoren zu nahesteht. Deshalb haben sie ihren Unmut über die Presse lanciert. Das war ein unerträglicher Zustand für alle Beteiligten.”

    Es mussten auch Wege gefunden werden, das gemeldete Fehlverhalten aufzuarbeiten und am Ende auch zu ahnden, was einige interne Umstellungen nötig machte. “Ich will diesen Prozess noch in meiner Amtszeit abschließen und unter anderem entsprechende Satzungsänderungen vorschlagen. Ich denke, das wird im Sommer passieren, vor der Amtsübergabe. Ich möchte meinem Nachfolger hier eine Gesellschaft übergeben, die auch im Umgang mit Führungsfehlverhalten gut aufgestellt ist. Das ist mir wichtig, das sind wir allen Beteiligten schuldig – Direktoren und Direktorinnen, aber auch Doktoranden und Doktorandinnen, um nur einige Gruppen zu nennen.”

    Zeitenwende: Gesellschaft und Politik erwarten viel

    Über ein Jahrzehnt lang profitierte die Max-Planck-Gesellschaft, wie generell die Forschung in Deutschland, von besseren Bedingungen als in nahezu allen anderen Industrieländern. Dennoch lag auch ohne Corona-Krise oder die Folgen des Kriegs Russlands gegen die Ukraine schon einiges im Argen. Auch die Wissenschaft steht vor einer Zeitenwende. Politisch und gesellschaftlich werde enorm viel von der Wissenschaft erwartet, erklärt Martin Stratmann dazu, es gelte die Bedeutung der Grundlagenforschung hochzuhalten:

    • “Die Zeiten, in denen Wissenschaft als Spielwiese gesehen wurde, sind lange vorbei. Der Politik ist bewusst, dass Wissenschaft von zentraler Bedeutung ist für das Wohlergehen eines Landes. Das sehen wir daran, dass die Bundesrepublik inzwischen drei Prozent und mehr für Wissenschaft und Innovation ausgibt. Allerdings versteht die Politik Wissenschaft häufig als Teil eines linearen Innovationssystems: Da fängt man mit der Grundlagenforschung an, dann kommt ein Patent und dann hat man eine große Firma. Aber Grundlagenforschung ist keine Toolbox, um Innovation zu machen.”
    • Grundlagenforschung ist die freie Entfaltung des menschlichen Geistes. Dieses Verständnis, Wissenschaft einerseits als Erkenntnisgewinn zu sehen und andererseits als Teil einer Innovationskette, das passt nicht immer hundertprozentig zusammen. Deswegen muss man sich, vor allem in der Politik, mit der Frage auseinandersetzen, was Wissenschaft eigentlich leisten kann. Grundlagenforschung, so wie wir sie in der MPG verstehen, sollte nämlich heute das machen, was in 20 Jahren wichtig ist. Und nicht primär das, was heute wichtig erscheint. Und die Zukunft lässt sich nicht vorhersagen. Die Prognose der MPG sind daher Köpfe, von denen wir glauben, dass sie gute Wissenschaft vorantreiben. Dieses Prinzip der Max-Planck-Gesellschaft unterscheidet sich deutlich von dem, was Politik heute unter ‘Missionen’ versteht.”

    Grundlagenforschung: Neben Missionen auch Visionen verfolgen

    In der aktuellen Regierung, besonders im Forschungsministerium, sind derzeit schnelle Ergebnisse gefragt, Technologieoffenheit wird gepredigt. Die Gefahr, dass die Grundlagenforschung infolgedessen zu stiefmütterlich behandelt wird, schließt Martin Stratmann aus. Man müsse allerdings zwei Dinge unterscheiden:

    • “Jeder würde gerne etwas machen, was kurzfristig Erfolg hat und von dem man weiß, dass das wichtig ist. Ich glaube, wir müssen zwei Dinge unterscheiden: Es gibt auf der einen Seite natürlich Missionen, die man vorantreiben muss. So ist es etwa gar keine Frage, dass wir neue Antibiotika benötigen; es ist auch gar keine Frage, dass wir vor einer Energiewende stehen; es ist gar keine Frage, dass wir uns mit der globalen Erwärmung befassen müssen, was die Wissenschaft ja schon seit 30 Jahren weiß und vorhergesagt hat. Die dafür notwendigen Technologien muss man in Form von Missionen weiterentwickeln.”
    • “Unabhängig davon ist die Frage, etwa im Bereich Energie: Was für Möglichkeiten hat man denn in 30 Jahren, Sonnenlicht, in Energie umzuwandeln? Und ich bin ganz sicher, da wird es Dinge geben, auf die wir heute gar nicht kommen. Dinge, die wir heute noch nicht kennen. Das ist etwas, was wir mit Grundlagenforschung beschreiben, die sich nicht an heutigen Missionen orientiert.”
    • “Grundlagenforschung erschließt also Handlungsspielräume, die der Gesellschaft zur Verfügung stehen. Innerhalb dieser Freiräume, die die Grundlagenforschung erschlossen hat, muss eine Gesellschaft in der Lage sein, auch Visionen zu entwickeln, wie man ein konkretes Ziel über Missionen erreichen kann. Beide Prozesse müssen parallel laufen, man darf sie nicht gegeneinander ausspielen. Das wäre ein großer Fehler.”
    • Er nennt eine weitere Hürde: “Wir leben in einer Zeit unglaublichen Kontrollverlangens. Jeder in der Politik möchte kontrollieren, dass ja nichts schiefläuft. Und diese Angst, dass etwas schieflaufen könnte, lähmt natürlich. Die Freiräume muss man immer wieder erkämpfen, dafür muss man ringen. Ich muss aber auch sagen: Die Erfolge der MPG werden auch von der Politik gesehen und deshalb fürchte ich auch nicht, dass das Modell der MPG infrage gestellt wird.”

    Zukunftsstrategie: Viel Vernünftiges, wenig Überraschendes

    In der kommenden Woche berät der Bundestag erstmals den Bericht zur Zukunftsstrategie Forschung und Innovation, den die Bundesregierung angekündigt hat. Schwerpunkt ist einerseits die Struktur des Wissenschaftssystems selbst, andererseits die Ausgestaltung der sechs Zukunftsmissionen, die bereits im Koalitionsvertrag verankert sind. Vor allem in den Bereichen Strukturen und Missionen listet das BMBF viele Einzelziele und insbesondere Maßnahmen. Diese stehen allesamt unter einem Finanzierungsvorbehalt. Um seine Einschätzung gebeten, wählt Martin Stratmann nur zunächst vorsichtige Worte:

    • Wenn man die Zukunftsstrategie durchliest, dann steht da eine ganze Menge Vernünftiges drin. Keine Frage. Das Papier enthält aber auch nicht viel Überraschendes, was man vielleicht auch nicht erwarten kann. Was die Politik jetzt wirklich liefern muss, ist mehr als nur ein Papier. Sie muss die Zukunft aktiv gestalten. Und damit sind wir wieder bei den Missionen: Wenn wir die Energiesysteme neu aufbauen wollen, dann brauchen wir eine Mission, die das umsetzt. Wenn wir aus Kohle, Gas und Öl aussteigen wollen, dann sind das gigantische Mengen Energie, die wir durch etwas Neues ersetzen müssen. Wir müssen sehr viel mehr elektrische Energie zur Verfügung haben, sie muss dauerhaft zur Verfügung gestellt werden und sie muss erschwinglich sein. Das muss man alles erst mal hinbekommen.”
    • Um diese drei Bedingungen zu erfüllen, sind Missionen unerlässlich. Unabhängig von diesen Missionen, auch das klingt in der Zukunftsstrategie an, braucht man risikoreiche Zukunftsprojekte, die sich in unbekanntes Terrain vorwagen. Etwas, was die Sprind-Agentur machen soll. Die habe ich ja selber der Bundesregierung vorgeschlagen: so etwas wie eine Darpa-Agency in Deutschland – und auch die muss man endlich frei laufen lassen.”

    Martin Stratmann kritisiert, dass Sprind, die Agentur für Sprunginnovationen, immer noch nicht frei läuft“. Sie müsse andere Rahmenbedingungen haben als das, was in der Politik oder den Ministerien heute üblich ist. Und Sprind muss man so frei laufen lassen wie die Max-Planck-Gesellschaft. Die muss dieses Neuland erschließen, jenseits der Missionen.

    Stratmann hofft, dass es der Politik gelingt, zweigleisig zu fahren. Dort, wo man ein klares Ziel und auch Technologien zur Verfügung hat, wird dieses im Rahmen einer Mission umgesetzt. Die Sprind-Agentur hingegen sucht wirklich nach Innovationen und kommt zu Lösungen, die es bisher gar nicht gab. Und die muss ganz anders geführt werden als ein Ministerium. Ansonsten wird sie scheitern.

    Sprind, Missionen, Kernfusion: Weiter als eine Koalition

    Man müsse sich überlegen, ob die vorhandenen politischen Strukturen geeignet sind, wichtige wissenschaftliche Strategien zu realisieren, sagt Stratmann. Die beschriebenen Missionen gehen über Jahrzehnte. Denn wir sprechen hier von großtechnischen Prozessen. Ein Energieumbau braucht 20, 30 Jahre. Also viel länger als Legislaturperioden, Minister und Koalitionen existieren. Wir müssen erwarten, dass wir endlich auch Missionen umsetzen können, die länger dauern als eine oder zwei Legislaturperioden. Das macht mir schon Sorgen.”

    Eine Mission von 20 Jahren kann man nicht dauernd alle paar Jahre wieder readjustieren, weil es eine neue Koalition mit neuen Schwerpunkten antritt. Nehmen wir einmal das Beispiel Fusionsforschung. Die gibt es seit 20, 30 Jahren. Das ist ein Langläufer, aber heute noch nicht absehbar, ob und wann die Forschung wirklich zu einem Kraftwerk führt. In den letzten Jahren hat sich in der Fusionsforschung eine Menge entwickelt, manches davon auch nicht vorhersehbar. Derartige Entwicklungen müssen Koalitionen überdauern. Es kann nicht sein, dass man Fusion mal gut und mal schlecht findet, mal fördert, mal nicht. Das kann nicht funktionieren.”

    Man bräuchte so etwas wie Agenturen, die mit Geld ausgestattet werden und klare langfristige Missionsziele haben. Die Nasa in den USA sei ein solches Beispiel. Natürlich müssen derartige Agenturen auch kontrolliert werden, so wie man langfristige Geschäftsmodelle kontrolliert. Die Agenturen brauchen aber eine Struktur, die politikfern ist und in der man den vorgegebenen politischen Zielen dann auch mit großer Konstanz nachgehen kann.”

    Rahmenbedingungen für Wissenschaftlerinnen verbessern

    Was immer noch schwierig ist in der Max-Planck-Gesellschaft, sagt Stratmann, ist die Steigerung des Frauenanteils. Das schaffen wir bei Berufungen aus Deutschland nicht, das schaffen wir nur international.”

    • Wir sind eine Selbstverpflichtung eingegangen, dass wir etwa ein Drittel der Neuberufungen auf Direktorenebene mit Wissenschaftlerinnen besetzen. Da die Direktorinnen und Direktoren im Schnitt 25 Jahre bei uns sind, können wir im Jahr nur rund 15 Berufungen durchführen und damit fünf Frauen für uns gewinnen. Damit ist klar, dass sich das Gesamtbild nur langsam ändert, obwohl wir bei den Berufungen wirklich extrem aktiv sind.
    • Eine weitere Besonderheit: Die MPG ist eine sehr stark naturwissenschaftlich dominierte Forschungsorganisation. Im Vergleich zu Universitäten haben wir im Bereich der Geisteswissenschaften viele Disziplinen nicht, die sich an Universitäten durch einen sehr hohen Frauenanteil auszeichnen. Wir haben zum Beispiel sehr viel Physik. Ich schätze, dass rund ein Drittel unserer Direktorinnen und Direktoren Physiker und Physikerinnen sind. Darüber hinaus hat sich der Anteil von Frauen in den Schulfächern Informatik, Mathematik, Physik nach wie vor nicht wirklich verändert, das heißt, er ist nicht gestiegen. Wir werden aber mit Blick auf den Frauenanteil in bestimmten Teildisziplinen nicht besser sein als die anderen Bereiche, also Schule und Universitäten, aus denen wir schöpfen.
    • Auch die Rahmenbedingungen müssten sich verändern:Ich glaube, dass die Art und Weise, wie wir Wissenschaft betrieben haben, also mit häufigen Ortswechseln immer dann, wenn man eine neue Position anstrebt, mit Familien kaum zu machen ist. Das gilt für Männer, aber ganz besonders für junge Frauen. Deswegen haben wir inzwischen eine ganze Reihe von Programmen entwickelt, die es Frauen ermöglichen sollen, sich von der Promotion an bei uns weiterzuentwickeln.”

    Wissenschaftszeitvertrag: Ungeheurer Druck, gerade für Frauen

    Ein Punkt, der Martin Stratmann sehr ärgert, ist die Diskussion zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz.

    • Viele verlangen, die Zeit befristeter Arbeitsverträge nach einer Promotion noch weiter zu verkürzen, etwa auf vier Jahre. Für mich ist es kaum vorstellbar, in diesen wenigen Jahren so überzeugende Ergebnisse zu erzielen, dass man sich damit auf eine internationale Professur erfolgreich bewerben kann.”
    • Wir bauen also einen ungeheuren Druck auf diejenigen auf, die in Deutschland promovieren. Und das beeinträchtigt ganz besonders unsere Programme für junge Wissenschaftlerinnen, in denen wir versuchen, diese von Anfang so zu unterstützen, dass sie eine echte Karrierechance in der Wissenschaft haben. Die Zeit auf vier Jahre zu befristen, würde bedeuten, dass man schon nach zweieinhalb Jahre beginnen muss sich zu bewerben. Diesen Druck halte ich für völlig unangemessen und kontraproduktiv.
    • Das konterkariert auch jede Familienplanung. Denn die führt zwangsläufig auch zu zeitlichen Ausfällen. Wir müssen ganz im Gegenteil eine Kultur schaffen, die es jungen Frauen erleichtert, in die Wissenschaft zu gehen. Und dafür brauchen wir geeignete Rahmenbedingungen. Und was erleben wir: ein Besserstellungsverbot, das letztlich besagt, dass man bei uns nicht bessergestellt sein darf, als in einer Behörde. Aber wie wollen Sie eine junge Wissenschaftlerin vergleichen mit jemandem, der in einer Behörde angestellt ist?”

    Besserstellungsverbot: Ein Hohn für Frauen mit kleinen Kindern

    Nicht nur das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, auch das Besserstellungsverbot sei ein großes Problem in der Wissenschaft, besonders für Frauen, sagt Stratmann. Forschungsprojekte könne man häufig nicht einfach pausieren, um längere Zeit in Elternzeit zu gehen. Es bestehe die Gefahr, dass das betreffende Experiment dann anderswo gemacht werde.

    Eine Wissenschaftlerin wolle nach der Geburt eines Kindes an ihrem Projekt möglichst schnell weiterarbeiten, weil sonst jemand anders in der Welt ihr Experiment macht und sie dann umsonst gearbeitet hat und von vorne anfangen kann. Sie brauche also sehr schnell adäquate Kinderbetreuung. Wir haben in der MPG ein erfolgreiches Programm zur Kleinstkinderbetreuung gehabt, privat finanziert, das jungen Frauen eine solche Unterstützung zugesagt hat. Wir wollten das Programm mit öffentlichen Mitteln fortführen, konnten es aber nicht, weil die GWK es uns untersagt hat. Warum? Weil das im Ministerium auch nicht existiere. Offen gesagt, damit kann man keine junge Frau überzeugen, in die Wissenschaft zu gehen und damit auch Risiken zu tragen, die in keinem Ministerium zu tragen sind.”

    Besser Vertrauens- als Misstrauenskultur

    Generell erschwerten viele der aktuell existierenden Regeln und Auflagen die Forschung, kritisiert Stratmann. Die Max-Planck-Gesellschaft lebe von einer Vertrauenskultur. Wir haben natürlich internationale, sehr hochkarätige Begutachtungsverfahren unserer Institute, um dieses Vertrauen regelmäßig alle drei Jahre zu hinterfragen. Und wenn Sie mich fragen: Wie oft kommt es vor, dass das Vertrauen nicht gerechtfertigt ist? Dann kann ich sagen: Das liegt im sehr kleinen Prozentbereich. Wenn man natürlich das letzte Prozent an Unwägbarkeit ausschließen will, dann muss man eine Misstrauenskultur aufbauen, die praktisch alles lähmt. Und ich glaube, das ist im Kern das, was in Deutschland passiert. Wir haben eine Art Null-Toleranz-Politik, die nicht wirklich funktionieren kann.”

    Stratmann hofft auf bessere Lösungen und Bürokratieabbau. Für die Zukunft wünscht er sich, dass man die Max-Planck-Gesellschaft in einer Konstellation bestehen lässt, wie sie zurzeit ist: “Frei, wie sie zurzeit agieren kann, ordentlich finanziert, und mit einem Freiheitsgrad ausgestattet, wie wir ihn derzeit kennen und schätzen.” Nicola Kuhrt / Anne Brüning

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