vor 75 Jahren, am 26. Februar 1948, wurde die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) im Kameradschaftshaus der Aerodynamischen Versuchsanstalt in Göttingen gegründet. Heute gehört dies zum Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, die MPG besteht aus 86 einzelnen Instituten, gilt international als führend, 30 Wissenschaftler wurden bisher mit einem Nobelpreis ausgezeichnet.
Gefeiert wird am heutigen Sonntag im Deutschen Museum in München, zur Eröffnung spricht der frühere Bundespräsident Joachim Gauck, in Reden wird über die wechselvolle Geschichte der MPG referiert.
Wir haben mit Martin Stratmann gesprochen. Seit neun Jahren steht er der Max-Planck-Gesellschaft vor, im Sommer übergibt er an den Molekularbiologen Patrick Cramer. Zeit für eine Rück- und eine Vorschau.
Wir wünschen Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre,
Wenn Ihnen der Research.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail weitergeleitet wurde: Hier können Sie sich für den Research.Table kostenlos anmelden.
Ein großes Jubiläum in wechselhaften Zeiten, der eigene Wechsel in den Ruhestand steht kurz bevor. Wie fühlt man sich an einem solchen Tag? Martin Stratmann bleibt gefasst. “Ich habe volles Programm und noch viel vor bis zur Amtsübergabe im Sommer.” Er freue sich darauf, dann endlich wieder mehr Zeit zu haben – etwa für seine Enkelkinder. Im April wird Stratmann 69 Jahre alt.
Wenn er zurückschaut auf die Zeit seiner Präsidentschaft, fallen Martin Stratmann zahlreiche Entwicklungen und Ereignisse ein, positive wie negative. Drei Highlights stechen hervor:
In den letzten Jahren hat die MPG auch andere Schlagzeilen gemacht. Es gab Fälle von
Machtmissbrauch, Leitungsinkompetenzen, wissenschaftlichem Fehlverhalten und Mobbing. Mehrere Fälle an verschiedenen Instituten wurden untersucht. Wie sieht sich Stratmann hier, wie seine Rolle als Präsident?
“Die Ahndung von Führungsfehlverhalten war sicherlich der schwierigste Teil meiner Amtszeit“, sagt Stratmann. “Derartige Verfahren gab es in der langen Geschichte der MPG nicht, hier musste ich Neuland betreten. Und im Nachhinein hätte man vielleicht auch das eine oder andere weniger langwierig machen können.”
Was genau meint er hier? Die Ausgangslage sei nicht einfach gewesen, sagt Stratmann. “Die Freiheitsgrade eines Max-Planck-Direktors sind enorm, die Allermeisten gehen damit sehr verantwortlich um, aber in Einzelfällen kommt Fehlverhalten eben auch bei uns vor. Das Schlimmste ist, wenn man das verschweigt. Wir haben ein Whistleblower-System aufgebaut, Hinweisen wird seitdem im Rahmen eines festgelegten objektiven Verfahrens nachgegangen.”
Dass es überhaupt zu den Fällen von Fehlverhalten gekommen ist, erklärt sich Stratmann damit, dass es nun mal “menschlich sei, dass Dinge fehllaufen und dass hin und wieder jemand einer Führungsaufgabe auch nicht gewachsen ist”. Fehlverhalten und Machtmissbrauch gebe es in allen Bereichen – der Wirtschaft, der Wissenschaft oder den Medien. “Ein Doktorand ist natürlich in hohem Maße abhängig von seinem Supervisor. Und dann ist Machtmissbrauch besonders fies, weil er mit einer Abhängigkeitsstruktur zusammenfällt, der die Betroffenen sich nicht so ohne weiteres entziehen können. Deswegen ist es mir wichtig, dass wir mit Machtmissbrauch in aller Sorgfalt umgehen.”
“Bevor ich mein Amt übernommen habe, hatten wir keinerlei Möglichkeiten für Mitarbeiter, sich wirklich intern Gehör zu verschaffen. Sie hatten große Sorge, dass Beschwerden unterdrückt werden und sich für sie nachteilig auswirken, weil zum Beispiel der Präsident den Direktoren zu nahesteht. Deshalb haben sie ihren Unmut über die Presse lanciert. Das war ein unerträglicher Zustand für alle Beteiligten.”
Es mussten auch Wege gefunden werden, das gemeldete Fehlverhalten aufzuarbeiten und am Ende auch zu ahnden, was einige interne Umstellungen nötig machte. “Ich will diesen Prozess noch in meiner Amtszeit abschließen und unter anderem entsprechende Satzungsänderungen vorschlagen. Ich denke, das wird im Sommer passieren, vor der Amtsübergabe. Ich möchte meinem Nachfolger hier eine Gesellschaft übergeben, die auch im Umgang mit Führungsfehlverhalten gut aufgestellt ist. Das ist mir wichtig, das sind wir allen Beteiligten schuldig – Direktoren und Direktorinnen, aber auch Doktoranden und Doktorandinnen, um nur einige Gruppen zu nennen.”
Über ein Jahrzehnt lang profitierte die Max-Planck-Gesellschaft, wie generell die Forschung in Deutschland, von besseren Bedingungen als in nahezu allen anderen Industrieländern. Dennoch lag auch ohne Corona-Krise oder die Folgen des Kriegs Russlands gegen die Ukraine schon einiges im Argen. Auch die Wissenschaft steht vor einer Zeitenwende. Politisch und gesellschaftlich werde enorm viel von der Wissenschaft erwartet, erklärt Martin Stratmann dazu, es gelte die Bedeutung der Grundlagenforschung hochzuhalten:
In der aktuellen Regierung, besonders im Forschungsministerium, sind derzeit schnelle Ergebnisse gefragt, Technologieoffenheit wird gepredigt. Die Gefahr, dass die Grundlagenforschung infolgedessen zu stiefmütterlich behandelt wird, schließt Martin Stratmann aus. Man müsse allerdings zwei Dinge unterscheiden:
In der kommenden Woche berät der Bundestag erstmals den Bericht zur “Zukunftsstrategie Forschung und Innovation“, den die Bundesregierung angekündigt hat. Schwerpunkt ist einerseits die Struktur des Wissenschaftssystems selbst, andererseits die Ausgestaltung der sechs Zukunftsmissionen, die bereits im Koalitionsvertrag verankert sind. Vor allem in den Bereichen Strukturen und Missionen listet das BMBF viele Einzelziele und insbesondere Maßnahmen. Diese stehen allesamt unter einem Finanzierungsvorbehalt. Um seine Einschätzung gebeten, wählt Martin Stratmann nur zunächst vorsichtige Worte:
Martin Stratmann kritisiert, dass Sprind, die Agentur für Sprunginnovationen, immer noch nicht “frei läuft“. Sie müsse andere Rahmenbedingungen haben als das, was in der Politik oder den Ministerien heute üblich ist. “Und Sprind muss man so frei laufen lassen wie die Max-Planck-Gesellschaft. Die muss dieses Neuland erschließen, jenseits der Missionen.“
Stratmann hofft, dass es der Politik gelingt, zweigleisig zu fahren. “Dort, wo man ein klares Ziel und auch Technologien zur Verfügung hat, wird dieses im Rahmen einer Mission umgesetzt. Die Sprind-Agentur hingegen sucht wirklich nach Innovationen und kommt zu Lösungen, die es bisher gar nicht gab. Und die muss ganz anders geführt werden als ein Ministerium. Ansonsten wird sie scheitern.“
Man müsse sich überlegen, ob die vorhandenen politischen Strukturen geeignet sind, wichtige wissenschaftliche Strategien zu realisieren, sagt Stratmann. “Die beschriebenen Missionen gehen über Jahrzehnte. Denn wir sprechen hier von großtechnischen Prozessen. Ein Energieumbau braucht 20, 30 Jahre. Also viel länger als Legislaturperioden, Minister und Koalitionen existieren. Wir müssen erwarten, dass wir endlich auch Missionen umsetzen können, die länger dauern als eine oder zwei Legislaturperioden. Das macht mir schon Sorgen.”
“Eine Mission von 20 Jahren kann man nicht dauernd alle paar Jahre wieder readjustieren, weil es eine neue Koalition mit neuen Schwerpunkten antritt. Nehmen wir einmal das Beispiel Fusionsforschung. Die gibt es seit 20, 30 Jahren. Das ist ein Langläufer, aber heute noch nicht absehbar, ob und wann die Forschung wirklich zu einem Kraftwerk führt. In den letzten Jahren hat sich in der Fusionsforschung eine Menge entwickelt, manches davon auch nicht vorhersehbar. Derartige Entwicklungen müssen Koalitionen überdauern. Es kann nicht sein, dass man Fusion mal gut und mal schlecht findet, mal fördert, mal nicht. Das kann nicht funktionieren.”
Man bräuchte so etwas wie Agenturen, die mit Geld ausgestattet werden und klare langfristige Missionsziele haben. Die Nasa in den USA sei ein solches Beispiel. “Natürlich müssen derartige Agenturen auch kontrolliert werden, so wie man langfristige Geschäftsmodelle kontrolliert. Die Agenturen brauchen aber eine Struktur, die politikfern ist und in der man den vorgegebenen politischen Zielen dann auch mit großer Konstanz nachgehen kann.”
Was immer noch schwierig ist in der Max-Planck-Gesellschaft, sagt Stratmann, ist die Steigerung des Frauenanteils. “Das schaffen wir bei Berufungen aus Deutschland nicht, das schaffen wir nur international.”
Ein Punkt, der Martin Stratmann sehr ärgert, ist die Diskussion zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz.
Nicht nur das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, auch das Besserstellungsverbot sei ein großes Problem in der Wissenschaft, besonders für Frauen, sagt Stratmann. Forschungsprojekte könne man häufig nicht einfach pausieren, um längere Zeit in Elternzeit zu gehen. Es bestehe die Gefahr, dass das betreffende Experiment dann anderswo gemacht werde.
Eine Wissenschaftlerin wolle nach der Geburt eines Kindes an ihrem Projekt möglichst schnell weiterarbeiten, weil sonst jemand anders in der Welt ihr Experiment macht und sie dann umsonst gearbeitet hat und von vorne anfangen kann. Sie brauche also sehr schnell adäquate Kinderbetreuung. “Wir haben in der MPG ein erfolgreiches Programm zur Kleinstkinderbetreuung gehabt, privat finanziert, das jungen Frauen eine solche Unterstützung zugesagt hat. Wir wollten das Programm mit öffentlichen Mitteln fortführen, konnten es aber nicht, weil die GWK es uns untersagt hat. Warum? Weil das im Ministerium auch nicht existiere. Offen gesagt, damit kann man keine junge Frau überzeugen, in die Wissenschaft zu gehen und damit auch Risiken zu tragen, die in keinem Ministerium zu tragen sind.”
Generell erschwerten viele der aktuell existierenden Regeln und Auflagen die Forschung, kritisiert Stratmann. Die Max-Planck-Gesellschaft lebe von einer Vertrauenskultur. “Wir haben natürlich internationale, sehr hochkarätige Begutachtungsverfahren unserer Institute, um dieses Vertrauen regelmäßig alle drei Jahre zu hinterfragen. Und wenn Sie mich fragen: Wie oft kommt es vor, dass das Vertrauen nicht gerechtfertigt ist? Dann kann ich sagen: Das liegt im sehr kleinen Prozentbereich. Wenn man natürlich das letzte Prozent an Unwägbarkeit ausschließen will, dann muss man eine Misstrauenskultur aufbauen, die praktisch alles lähmt. Und ich glaube, das ist im Kern das, was in Deutschland passiert. Wir haben eine Art Null-Toleranz-Politik, die nicht wirklich funktionieren kann.”
Stratmann hofft auf bessere Lösungen und Bürokratieabbau. Für die Zukunft wünscht er sich, dass man die Max-Planck-Gesellschaft in einer Konstellation bestehen lässt, wie sie zurzeit ist: “Frei, wie sie zurzeit agieren kann, ordentlich finanziert, und mit einem Freiheitsgrad ausgestattet, wie wir ihn derzeit kennen und schätzen.” Nicola Kuhrt / Anne Brüning
vor 75 Jahren, am 26. Februar 1948, wurde die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) im Kameradschaftshaus der Aerodynamischen Versuchsanstalt in Göttingen gegründet. Heute gehört dies zum Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, die MPG besteht aus 86 einzelnen Instituten, gilt international als führend, 30 Wissenschaftler wurden bisher mit einem Nobelpreis ausgezeichnet.
Gefeiert wird am heutigen Sonntag im Deutschen Museum in München, zur Eröffnung spricht der frühere Bundespräsident Joachim Gauck, in Reden wird über die wechselvolle Geschichte der MPG referiert.
Wir haben mit Martin Stratmann gesprochen. Seit neun Jahren steht er der Max-Planck-Gesellschaft vor, im Sommer übergibt er an den Molekularbiologen Patrick Cramer. Zeit für eine Rück- und eine Vorschau.
Wir wünschen Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre,
Wenn Ihnen der Research.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail weitergeleitet wurde: Hier können Sie sich für den Research.Table kostenlos anmelden.
Ein großes Jubiläum in wechselhaften Zeiten, der eigene Wechsel in den Ruhestand steht kurz bevor. Wie fühlt man sich an einem solchen Tag? Martin Stratmann bleibt gefasst. “Ich habe volles Programm und noch viel vor bis zur Amtsübergabe im Sommer.” Er freue sich darauf, dann endlich wieder mehr Zeit zu haben – etwa für seine Enkelkinder. Im April wird Stratmann 69 Jahre alt.
Wenn er zurückschaut auf die Zeit seiner Präsidentschaft, fallen Martin Stratmann zahlreiche Entwicklungen und Ereignisse ein, positive wie negative. Drei Highlights stechen hervor:
In den letzten Jahren hat die MPG auch andere Schlagzeilen gemacht. Es gab Fälle von
Machtmissbrauch, Leitungsinkompetenzen, wissenschaftlichem Fehlverhalten und Mobbing. Mehrere Fälle an verschiedenen Instituten wurden untersucht. Wie sieht sich Stratmann hier, wie seine Rolle als Präsident?
“Die Ahndung von Führungsfehlverhalten war sicherlich der schwierigste Teil meiner Amtszeit“, sagt Stratmann. “Derartige Verfahren gab es in der langen Geschichte der MPG nicht, hier musste ich Neuland betreten. Und im Nachhinein hätte man vielleicht auch das eine oder andere weniger langwierig machen können.”
Was genau meint er hier? Die Ausgangslage sei nicht einfach gewesen, sagt Stratmann. “Die Freiheitsgrade eines Max-Planck-Direktors sind enorm, die Allermeisten gehen damit sehr verantwortlich um, aber in Einzelfällen kommt Fehlverhalten eben auch bei uns vor. Das Schlimmste ist, wenn man das verschweigt. Wir haben ein Whistleblower-System aufgebaut, Hinweisen wird seitdem im Rahmen eines festgelegten objektiven Verfahrens nachgegangen.”
Dass es überhaupt zu den Fällen von Fehlverhalten gekommen ist, erklärt sich Stratmann damit, dass es nun mal “menschlich sei, dass Dinge fehllaufen und dass hin und wieder jemand einer Führungsaufgabe auch nicht gewachsen ist”. Fehlverhalten und Machtmissbrauch gebe es in allen Bereichen – der Wirtschaft, der Wissenschaft oder den Medien. “Ein Doktorand ist natürlich in hohem Maße abhängig von seinem Supervisor. Und dann ist Machtmissbrauch besonders fies, weil er mit einer Abhängigkeitsstruktur zusammenfällt, der die Betroffenen sich nicht so ohne weiteres entziehen können. Deswegen ist es mir wichtig, dass wir mit Machtmissbrauch in aller Sorgfalt umgehen.”
“Bevor ich mein Amt übernommen habe, hatten wir keinerlei Möglichkeiten für Mitarbeiter, sich wirklich intern Gehör zu verschaffen. Sie hatten große Sorge, dass Beschwerden unterdrückt werden und sich für sie nachteilig auswirken, weil zum Beispiel der Präsident den Direktoren zu nahesteht. Deshalb haben sie ihren Unmut über die Presse lanciert. Das war ein unerträglicher Zustand für alle Beteiligten.”
Es mussten auch Wege gefunden werden, das gemeldete Fehlverhalten aufzuarbeiten und am Ende auch zu ahnden, was einige interne Umstellungen nötig machte. “Ich will diesen Prozess noch in meiner Amtszeit abschließen und unter anderem entsprechende Satzungsänderungen vorschlagen. Ich denke, das wird im Sommer passieren, vor der Amtsübergabe. Ich möchte meinem Nachfolger hier eine Gesellschaft übergeben, die auch im Umgang mit Führungsfehlverhalten gut aufgestellt ist. Das ist mir wichtig, das sind wir allen Beteiligten schuldig – Direktoren und Direktorinnen, aber auch Doktoranden und Doktorandinnen, um nur einige Gruppen zu nennen.”
Über ein Jahrzehnt lang profitierte die Max-Planck-Gesellschaft, wie generell die Forschung in Deutschland, von besseren Bedingungen als in nahezu allen anderen Industrieländern. Dennoch lag auch ohne Corona-Krise oder die Folgen des Kriegs Russlands gegen die Ukraine schon einiges im Argen. Auch die Wissenschaft steht vor einer Zeitenwende. Politisch und gesellschaftlich werde enorm viel von der Wissenschaft erwartet, erklärt Martin Stratmann dazu, es gelte die Bedeutung der Grundlagenforschung hochzuhalten:
In der aktuellen Regierung, besonders im Forschungsministerium, sind derzeit schnelle Ergebnisse gefragt, Technologieoffenheit wird gepredigt. Die Gefahr, dass die Grundlagenforschung infolgedessen zu stiefmütterlich behandelt wird, schließt Martin Stratmann aus. Man müsse allerdings zwei Dinge unterscheiden:
In der kommenden Woche berät der Bundestag erstmals den Bericht zur “Zukunftsstrategie Forschung und Innovation“, den die Bundesregierung angekündigt hat. Schwerpunkt ist einerseits die Struktur des Wissenschaftssystems selbst, andererseits die Ausgestaltung der sechs Zukunftsmissionen, die bereits im Koalitionsvertrag verankert sind. Vor allem in den Bereichen Strukturen und Missionen listet das BMBF viele Einzelziele und insbesondere Maßnahmen. Diese stehen allesamt unter einem Finanzierungsvorbehalt. Um seine Einschätzung gebeten, wählt Martin Stratmann nur zunächst vorsichtige Worte:
Martin Stratmann kritisiert, dass Sprind, die Agentur für Sprunginnovationen, immer noch nicht “frei läuft“. Sie müsse andere Rahmenbedingungen haben als das, was in der Politik oder den Ministerien heute üblich ist. “Und Sprind muss man so frei laufen lassen wie die Max-Planck-Gesellschaft. Die muss dieses Neuland erschließen, jenseits der Missionen.“
Stratmann hofft, dass es der Politik gelingt, zweigleisig zu fahren. “Dort, wo man ein klares Ziel und auch Technologien zur Verfügung hat, wird dieses im Rahmen einer Mission umgesetzt. Die Sprind-Agentur hingegen sucht wirklich nach Innovationen und kommt zu Lösungen, die es bisher gar nicht gab. Und die muss ganz anders geführt werden als ein Ministerium. Ansonsten wird sie scheitern.“
Man müsse sich überlegen, ob die vorhandenen politischen Strukturen geeignet sind, wichtige wissenschaftliche Strategien zu realisieren, sagt Stratmann. “Die beschriebenen Missionen gehen über Jahrzehnte. Denn wir sprechen hier von großtechnischen Prozessen. Ein Energieumbau braucht 20, 30 Jahre. Also viel länger als Legislaturperioden, Minister und Koalitionen existieren. Wir müssen erwarten, dass wir endlich auch Missionen umsetzen können, die länger dauern als eine oder zwei Legislaturperioden. Das macht mir schon Sorgen.”
“Eine Mission von 20 Jahren kann man nicht dauernd alle paar Jahre wieder readjustieren, weil es eine neue Koalition mit neuen Schwerpunkten antritt. Nehmen wir einmal das Beispiel Fusionsforschung. Die gibt es seit 20, 30 Jahren. Das ist ein Langläufer, aber heute noch nicht absehbar, ob und wann die Forschung wirklich zu einem Kraftwerk führt. In den letzten Jahren hat sich in der Fusionsforschung eine Menge entwickelt, manches davon auch nicht vorhersehbar. Derartige Entwicklungen müssen Koalitionen überdauern. Es kann nicht sein, dass man Fusion mal gut und mal schlecht findet, mal fördert, mal nicht. Das kann nicht funktionieren.”
Man bräuchte so etwas wie Agenturen, die mit Geld ausgestattet werden und klare langfristige Missionsziele haben. Die Nasa in den USA sei ein solches Beispiel. “Natürlich müssen derartige Agenturen auch kontrolliert werden, so wie man langfristige Geschäftsmodelle kontrolliert. Die Agenturen brauchen aber eine Struktur, die politikfern ist und in der man den vorgegebenen politischen Zielen dann auch mit großer Konstanz nachgehen kann.”
Was immer noch schwierig ist in der Max-Planck-Gesellschaft, sagt Stratmann, ist die Steigerung des Frauenanteils. “Das schaffen wir bei Berufungen aus Deutschland nicht, das schaffen wir nur international.”
Ein Punkt, der Martin Stratmann sehr ärgert, ist die Diskussion zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz.
Nicht nur das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, auch das Besserstellungsverbot sei ein großes Problem in der Wissenschaft, besonders für Frauen, sagt Stratmann. Forschungsprojekte könne man häufig nicht einfach pausieren, um längere Zeit in Elternzeit zu gehen. Es bestehe die Gefahr, dass das betreffende Experiment dann anderswo gemacht werde.
Eine Wissenschaftlerin wolle nach der Geburt eines Kindes an ihrem Projekt möglichst schnell weiterarbeiten, weil sonst jemand anders in der Welt ihr Experiment macht und sie dann umsonst gearbeitet hat und von vorne anfangen kann. Sie brauche also sehr schnell adäquate Kinderbetreuung. “Wir haben in der MPG ein erfolgreiches Programm zur Kleinstkinderbetreuung gehabt, privat finanziert, das jungen Frauen eine solche Unterstützung zugesagt hat. Wir wollten das Programm mit öffentlichen Mitteln fortführen, konnten es aber nicht, weil die GWK es uns untersagt hat. Warum? Weil das im Ministerium auch nicht existiere. Offen gesagt, damit kann man keine junge Frau überzeugen, in die Wissenschaft zu gehen und damit auch Risiken zu tragen, die in keinem Ministerium zu tragen sind.”
Generell erschwerten viele der aktuell existierenden Regeln und Auflagen die Forschung, kritisiert Stratmann. Die Max-Planck-Gesellschaft lebe von einer Vertrauenskultur. “Wir haben natürlich internationale, sehr hochkarätige Begutachtungsverfahren unserer Institute, um dieses Vertrauen regelmäßig alle drei Jahre zu hinterfragen. Und wenn Sie mich fragen: Wie oft kommt es vor, dass das Vertrauen nicht gerechtfertigt ist? Dann kann ich sagen: Das liegt im sehr kleinen Prozentbereich. Wenn man natürlich das letzte Prozent an Unwägbarkeit ausschließen will, dann muss man eine Misstrauenskultur aufbauen, die praktisch alles lähmt. Und ich glaube, das ist im Kern das, was in Deutschland passiert. Wir haben eine Art Null-Toleranz-Politik, die nicht wirklich funktionieren kann.”
Stratmann hofft auf bessere Lösungen und Bürokratieabbau. Für die Zukunft wünscht er sich, dass man die Max-Planck-Gesellschaft in einer Konstellation bestehen lässt, wie sie zurzeit ist: “Frei, wie sie zurzeit agieren kann, ordentlich finanziert, und mit einem Freiheitsgrad ausgestattet, wie wir ihn derzeit kennen und schätzen.” Nicola Kuhrt / Anne Brüning