lange Zeit hat Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger zur Fraunhofer-Affäre geschwiegen. Am Mittwoch erklärte sie sich dann doch. “Die Vorwürfe gegen die Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) und den Vorstand wiegen schwer”, sagte die FDP-Politikerin und forderte einen “schnellstmöglichen personellen Neustart im Vorstand”.
Gerade noch rechtzeitig, könnte man denken – kam wenig später doch der Haushaltsausschuss zusammen, um über den Prüfbericht des Bundesrechnungshofs zu beraten, in dem unangemessen hohe Ausgaben und missachtete Regeln durch den Vorstand der Fraunhofer-Gesellschaft beschrieben werden.
Sechs Stunden später veröffentlichten die Haushälter einen Maßgabebeschluss, in dem sie die Führung der FhG kritisieren und dem BMBF weitreichende Hausaufgaben verpassen. Auch der Forschungsausschuss will sich intensiv mit den Vorwürfen gegen Fraunhofer beschäftigen, hieß es gestern.
Die einzige, die sich gestern nicht geäußert hat, war übrigens die Fraunhofer-Gesellschaft.
Wenn Ihnen der Research.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail weitergeleitet wurde: Hier können Sie sich für den Research.Table kostenlos anmelden.
“Die Vorwürfe wiegen schwer”, erklärte Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger am Mittwoch in Bezug auf Anschuldigungen der Steuergeldverschwendung gegen die Fraunhofer-Gesellschaft und deren Vorstand. In einem Prüfbericht hatte der Bundesrechnungshof Anfang Februar deutlich die Führungsspitze der Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) kritisiert. Auf über sechzig Seiten verweisen die Prüfer auf deutliche Verstöße gegen rechtliche Vorgaben vor allem für Reisen, Dienstfahrzeuge, Bewirtungen und Veranstaltungen. Gebuchte Hotels der Vorstände lagen etwa bis zu 450 Prozent über dem zulässigen Rahmen.
Neben dem schnellstmöglichen personellen Neustart im Vorstand müsse es jetzt darum gehen, dass sich die Verstöße nicht wiederholen und die Fraunhofer-Gesellschaft schnell zu einer modernen Governance und tragfähigen Compliance-Standards komme. “Sonst besteht die Gefahr, dass das Vertrauen in und das Ansehen der deutschen Forschung insgesamt beschädigt wird.”
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung nehme seine Verantwortung als größter Zuwendungsgeber sehr ernst und habe bereits erste Konsequenzen, etwa durch ein Teilwiderrufsverfahren gezogen. Die Folge könnte sein, dass Gelder von der Gesellschaft zurückgefordert werden.
Lange hatte Bettina Stark-Watzinger zu den Vorwürfen geschwiegen. Seit Monaten häuften sich dabei bereits Meldungen, in denen von einer schlechten Führung und der Verschwendung von Steuergeldern etwa für Reisen und Veranstaltungen durch Fraunhofer-Präsident Raimund Neugebauer berichtet wurde. Am gestrigen Mittwoch hat die Forschungsministerin zum ersten Mal gegenüber Journalisten Stellung zu den Vorwürfen genommen.
Die plötzliche Offenheit erstaunt nicht, kam doch nur wenig später der Haushaltsausschuss der Bundesregierung in Sachen Fraunhofer zusammen. Die Abgeordneten verabschiedeten nach langen Gesprächen am Mittwochabend einen Maßgabebeschluss, der Table.Media vorliegt. Man fordert deutlich mehr Transparenz und mehr Kontrolle sowie Umsetzungsstärke durch das BMBF, erklärt ein Abgeordneter.
In dem Maßgabebeschluss wird die Fraunhofer-Gesellschaft deutlich kritisiert:
Im Maßgabebeschluss wird das BMBF zugleich zu konkreten Maßnahmen aufgefordert – bis zum 1. September:
Wiebke Esdar (SPD) erklärt, die entscheidende Frage sei jetzt, wo es eine missbräuchliche Verwendung von Haushaltsmitteln gab, warum dies in einem scheinbar so großen Umfang über die letzten Jahre geschehen konnte und ob Gesetze nachgeschärft werden müssen.
In einer Runde der Obleute des Forschungsausschusses wurde entschieden, sich noch im März intensiv mit dem Prüfbericht auseinanderzusetzen.
Derweil hat das BMBF noch mehr aufzuarbeiten: Aus Abgeordnetenkreisen erfuhr Table.Media, dass mit Blick auf Fraunhofer auch Vorwürfe des Fehlverhaltens gegen einen früheren leitenden BMBF-Mitarbeiter überprüft werden.
Es ist ein “institutioneller Paradigmenwechsel”, den Ralf Lindner und seine Kollegen vom Competence Center Politik & Gesellschaft am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) ins Spiel bringen. Neu zu denken sei jedoch nötig, damit Deutschland den in vielen Bereichen anstehenden transformativen Wandel angehen kann. Denn bisher geht es mit Blick auf Lösungen von Problemen, die sich durch den Klimawandel, die Überbeanspruchung natürlicher Ressourcen oder die demografische Entwicklung ergeben, zu langsam und zögerlich voran.
“Die Begleitforschung der Hightech-Strategie der Bundesregierung hat auch gezeigt, dass es mit den gegebenen Strukturen, insbesondere Governance-seitig, äußerst schwierig sein wird, ambitionierte transformationsorientierte Missionen erfolgreich auf den Weg zu bringen”, erläutert Lindner.
Im Rahmen eines Projekts der Bertelsmann-Stiftung veröffentlichte Lindner das Diskussionspapier “Deutschland transformieren: Missionsagenturen als innovativer Baustein zur Bewältigung gesamtgesellschaftlicher Herausforderungen”. Zusammen mit anderen Innovationsexperten regt er an, fachlich spezialisierte Agenturen einzurichten. Diese sollten weitreichende Befugnisse haben, gut mit Personal und Budget ausgestattet werden und auf Kanzleramtsebene agieren – um nicht von den “Ressortegoismen der Fachministerien” ausgebremst zu werden. Die Grundgedanken hinter dem Vorschlag:
Eher skeptisch gegenüber der Missionsagentur-Idee ist Uwe Cantner, Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI). “Die Idee ist charmant, das Konzept aber nicht wirklich tragfähig”, sagt er. Zunächst werde vorgeschlagen, das Silodenken durch das Herauslösen der missionsbezogenen Fragestellungen aus den Ministerien auszuhebeln, um dann bei der Umsetzung der Strategien ein geeignetes Schnittstellenmanagement zwischen der Agentur und den missionsrelevanten Ministerien wieder einzuführen. “Die Schnittstellenproblematik würde also lediglich verlagert.” Noch dazu drohe der Kontakt zu den Ministerien verlorenzugehen, sodass “auf einmal Dinge gemacht werden, die mit dem ursprünglichen Ansinnen der Ministerien und der Bundesregierung gar nicht mehr zusammenpassen”.
“Die Governancestruktur einer transformativen Innovationspolitik muss in die Ministerien integriert sein. Sie darf nicht davon losgelöst sein”, sagt Cantner – und propagiert den Vorschlag, den sein Gremium in dem im Februar vorgelegten Jahresgutachten 2023 macht. “Wir sind dafür, einen im Kanzleramt verankerten Zukunftsausschuss einzurichten, der die Strategien klar festlegt. Darüber hinaus sollte es ressortübergreifende Missionsteams geben, deren Mitarbeiter mit einem Fuß in der Mission – und damit in der Transformationspolitik – stehen und mit dem anderen Fuß in ihrem angestammten Ministerium.” Die letztendliche Operationalisierung könne durch Agenturen erfolgen oder durch die bereits existierenden Projektträger.
Bei anderen Fachleuten, die sich theoretisch oder praktisch mit der Governance von Forschung und Innovation befassen, verfängt die Missionsagentur-Idee. “Das ist ein sehr interessanter und wichtiger Ansatz. Er trägt auch zu der Diskussion darüber bei, wie wir die Verwaltung jetzt fit für die anstehenden Transformationen machen”, sagt Patrizia Nanz, Leiterin des Laboratoriums Beteiligende Verwaltung und Vizepräsidentin des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung.
Lobende Worte auch von einem Ministeriums-Insider: “Das wäre für das bestehende Regierungssystem revolutionär”, sagt Matthias Graf von Kielmansegg, der im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bis Ende 2021 acht Jahre lang die Abteilung Grundsatzfragen und Strategien geleitet hat. Heute ist er Geschäftsführer bei der Vodafone-Stiftung in Berlin. Eine zukünftige Bundesregierung sollte einen solchen Weg gehen, findet er, schlägt aber eine andere Ausgestaltung vor.
Kritisch sieht von Kielmansegg die vorgeschlagene Ansiedlung beim Kanzleramt. “Missionsagenturen aus dem Zuständigkeitsbereich einzelner Fachministerien herauszulösen, ist richtig. Dann geraten sie nicht so schnell in Koalitionsstreitigkeiten hinein”, sagt er. Sein Einwand: “Das Kanzleramt ist nicht neutral.” Es gehöre stets dem größten Partner einer Regierungskoalition und werde daher mit besonderem Argwohn von dem oder den kleineren Koalitionspartner betrachtet.
Er schlägt vor, Missionsagenturen durch ein Gremium aus zwei bis drei fachlich nahen Ministerien steuern zu lassen, sie aber so auszugestalten und auszustatten, dass sie so eigenständig wie möglich agieren können.
Für den Erfolg von Missionsagenturen gibt es eine Reihe von Voraussetzungen:
Ein Allheilmittel sind Missionsagenturen keinesfalls, das räumt auch das Bertelsmann-Autorenteam ein. Denn Probleme, die jenseits der Missionen zu lösen sind, gibt es zuhauf:
Das Autorenteam um Lindner schlägt vor, mit einem Pilotprojekt zu beginnen, etwa zur Etablierung einer Kreislaufwirtschaft – ein groß gefasstes solches Vorhaben. Sinnvoller wäre es vermutlich, sich auf eine Rohstoffart zu konzentrieren und zum Beispiel nur eine Kunststoffart oder eine seltene Erde in eine Kreislaufwirtschaft zu überführen.
Patrizia Nanz ist auch die Art und Weise wichtig, wie Missionen ausgewählt werden. In dem Diskussionspapier wird vorgeschlagen, Missionen im Koalitionsvertrag festzulegen. Nanz: “Aus meiner Sicht braucht es aber genau dafür einen gesellschaftlichen Prozess, etwa einen losbasierten Bürgerrat. So lassen sich Missionen breiter und weit über eine Legislaturperiode hinausgehend legitimieren.”
Was aus der Idee der Missionsagenturen wird, ist offen. Ralf Lindner sieht es schon als Erfolg an, dass wichtige politische Akteure in Ministerien und auch im Kanzleramt die Idee nicht reflexartig ablehnen. In einer Folgestudie würde er sich gerne an die konkretere Ausarbeitung machen, unter anderem mit Blick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen und wie sie weiterentwickelt werden müssten.
Viel weiter ist auch der Zukunftsausschuss-Vorstoß der EFI bisher nicht. Cantner ist erfreut, aus der Politik bisher keinen nennenswerten Gegenwind bekommen zu haben. Und er konnte, berichtet er, den Vorschlag bereits bei der Allianz für Transformation platzieren – dem Gremium, in dem sich die Bundesregierung mit Akteuren der Gewerkschaften, Wirtschaft, Wissenschaft und Verbände über große gesellschaftliche Umbauvorhaben berät.
Die EFI hat die deutsche Raumfahrt in diesem Jahr zu einem Schwerpunkt in ihrem Gutachten gemacht. Die Diagnose, Deutschland stehe zwischen Old Space (rein staatliche Raumfahrt) und New Space (privatwirtschaftliche Raumfahrt) ist treffend, kam für Experten aber nicht überraschend. Dass Deutschland bei den Raumfahrt-Patenten, sogar mit großen Akteuren wie den USA oder Frankreich mithalten kann, ist durchaus eine positive Nachricht.
Doch die EFI-Gutachter sind auch besorgt: Innovative Unternehmen und private Forschungsanstrengungen könnten durch die “Unsicherheiten über den zukünftigen regulatorischen Rahmen” gefährdet sein. “Deutschland ist eines der wenigen europäischen Länder und das einzige große europäische Land, das noch kein Raumfahrtgesetz hat. Das ist schon ein bisschen verwunderlich”, sagt Tilman Requate, Wirtschaftsprofessor an der Universität Kiel und Raumfahrt-Experte der EFI.
Die EFI sieht im Kern drei Bereiche, die mit einem Weltraumgesetz abgedeckt werden könnten:
Die letzten beiden Punkte will die Bundesregierung auch in der Weltraumstrategie adressieren. Doch die Haftungsfrage ist die zentrale Baustelle bei der Frage nach einem Gesetz.
Die politische Reaktion auf den EFI-Rat: Zurückhaltung. Die Koordinatorin der Bundesregierung für die deutsche Raumfahrt, Anna Christmann (Grüne), will den EFI-Rat zunächst intern auswerten. Ihr Vorgänger Thomas Jarzombek, forschungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, findet die derzeitige Situation für die New-Space-Branche vorteilhaft, weil die Haftung derzeit beim Staat liege.
“Wir hatten das Weltraumgesetz in der letzten Legislaturperiode im Koalitionsvertrag stehen, konnten aber als Wirtschaftsministerium keinen Konsens mit den völlig übertriebenen Forderungen des Finanzministeriums erzielen”, sagt Thomas Jarzombek. Man habe die vom Finanzministerium vorgeschlagenen Haftungsgrenzen damals mit der Wirtschaft rückgekoppelt, “aber da gab es nur eine einzige Versicherung, die bereit war, solche Risiken im Weltraum abzusichern. Deren Prämien waren so hoch, dass viele Missionen von KMU im Weltall damit gestorben wären.”
Der Konflikt wurde damals öffentlich. Unter anderem die Süddeutsche Zeitung hatte Anfang 2021 über die Bedenken des damaligen Bundesfinanzministers und jetzigen Kanzlers Olaf Scholz berichtet. “Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) wolle verhindern, dass der Bund überhaupt für Schäden durch Raketen oder Satelliten privater Unternehmen zahlen müsse (…)”, hieß es.
Das birgt eine gewisse Ironie, denn solange es kein Weltraumgesetz gibt, sieht der Outerspace Treaty – der Weltraumvertrag der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1967 – vor, dass der Staat für alle Aktivitäten haftet, auch die privatwirtschaftlichen. Das sei fatal für die deutschen Steuerzahler, würde aber nicht offen kommuniziert, hatte die Süddeutsche Zeitung damals diagnostiziert.
“Man kann sich für ein Gesetz ganz einfach an anderen Staaten orientieren”, sagt EFI-Gutachter Tilman Requate. England oder Frankreich hätten Haftungsgrenzen von rund 60 Millionen Euro. “Ein Gesetz sehe ich zumindest nicht als Wettbewerbsnachteil für Deutschland. Denn irgendwer muss das Risiko tragen und wenn es nicht über die Haftung der Unternehmen geregelt wird, dann springt schlussendlich immer der Staat ein”, sagt Requate. Aus seiner Sicht würde die Schaffung eines Weltraumgesetzes auch “über Haftungsregeln Anreize für umsichtiges Verhalten in der Raumfahrt setzen.”
In Luxemburg, das seit Anfang 2021 ein übergeordnetes Weltraumgesetz hat, sieht man dieses Signal als entscheidenden Faktor. “Der Outerspace Treaty verlangt in Paragraf 6 die Schaffung von nationalen Regeln. Wir haben über unser Raumfahrtgesetz Vorgaben gemacht, unter welchen Bedingungen wir private Raumfahrtaktivitäten autorisieren”, sagt Mathias Link, Direktor in der luxemburgischen Raumfahrtagentur LSA. “Wir stellen damit sicher, dass wir nur Firmen autorisieren, die wissen, was sie tun und die das technische Knowhow, die finanziellen Mittel und die Absicherungen haben, um seriös Raumfahrt zu betreiben”, sagt Link.
Das Gesetz sei in Luxemburg von der Raumfahrtwirtschaft grundsätzlich positiv aufgenommen worden. Seit der Einführung habe man bereits mehrere Vorhaben autorisiert. “Die Anträge werden von uns, also der Raumfahrtagentur, analysiert und schließlich formal vom Wirtschaftsministerium autorisiert”, erklärt Link. Dieser Prozess sei noch etwas bürokratisch und könne in Zukunft sicher noch schlanker werden. Man müsse aber Erfahrungen sammeln, um das Verfahren zu vereinfachen.
Reinhard Houben, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, warnt dagegen vor einer Überregulierung per nationalem Gesetz, weil das zu “Wettbewerbsnachteilen deutscher Unternehmen auf dem EU-Binnenmarkt führt”. Die Raumfahrtindustrie sei ein dynamisches Umfeld und es sei momentan wichtiger, eine gute Innovationspolitik zu machen und eine Strategie aufzusetzen, als zu rigide zu regulieren.
Haftungsfragen seien zudem eher eine Grauzone. Da seien im Einzelfall komplexe juristische Betrachtungen nötig. “Es kommt dabei auch auf viele Faktoren an. Unter welcher Flagge fliegt die Rakete, startet sie in Deutschland, fällt sie in internationale Gewässer oder stürzt sie über Land ab. Das hängt sehr vom Einzelfall ab”, sagt Houben.
Der Politiker räumt ein, dass er in der letzten Legislaturperiode selbst vehement ein nationales Gesetz gefordert habe. Inzwischen sehe er das anders: “Wir Deutschen neigen dazu, viel zu strenge Regeln und Vorgaben zu machen”, sagt Houben. Gemeinsam mit den Grünen, die bisher auch ein nationales Weltraumgesetz unterstützt hatten, setzte die FDP zwischenzeitlich auf eine europäische Lösung. Ein europäischer Rechtsrahmen sei zwar eine charmante, aber keine realistische Idee, findet Matthias Wachter, Geschäftsführer der New-Space-Initiative im BDI. “Tatsächlich arbeitet die Kommission an einer Initiative, mit dieser würde aber nur eine einheitliche Praxis mit Blick auf Sicherheit und Nachhaltigkeit beabsichtigt”, sagt Wachter.
Zurückgeworfen auf eine nationale Lösung, gibt sich Wachter hin- und hergerissen: Eine gesetzliche Regelung mit niedrigen Haftungsgrenzen könne Investoren und Start-ups Sicherheit geben und sich somit positiv auf New-Space-Aktivitäten auswirken. Man könnte sich dabei an Großbritannien orientieren, in Frankreich wird auch an einer entsprechenden Reform gearbeitet. Der BDI schlägt zur Förderung von Innovationen eine niedrige Haftungsgrenze von 30 Millionen Euro vor. Ein zu rigides Gesetz sei dagegen eher eine Bedrohung für die Unternehmen: “Kein Gesetz ist besser als ein schlechtes Gesetz”, sagt Wachter.
Für den Verzicht auf ein Gesetz, spräche die zusätzlich entstehende Bürokratie für Unternehmen. Er wertet die von der EFI gelobten Innovationsaktivitäten nicht zuletzt auch als Folge der Nicht-Regulierung der Raumfahrtwirtschaft in Deutschland. Zudem bräuchte Deutschland nach Einführung des Gesetzes eine zusätzliche Behörde, die Unternehmen autorisieren und überwachen könnte. In der jetzigen Konstruktion der Raumfahrtagentur beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), sei das nur schwer durchführbar.
Die EFI hatte in ihrem Gutachten ohnehin empfohlen, die Raumfahrtagentur vom DLR zu entkoppeln und eine Behörde zu schaffen, die für Genehmigungen und die Einhaltungen des Rechtsrahmens zuständig ist. “Das Ungünstige an der derzeitigen Konstruktion ist auch, dass die Raumfahrtagentur gemeinsam mit den zahlreichen Forschungsinstituten beim DLR unter einem Dach sitzt”, sagt Tilman Requate. Obwohl die Agentur für die Verteilung aller nationalen und europäischen Mittel zuständig wäre, sei sie so nicht in der Lage, Aufträge an die eigenen Forschungsinstitute zu vergeben. “Dadurch sind die Forschungsinstitute in ihrer Entwicklungsfreiheit eingeschränkt.”
Beim DLR gibt man sich verschnupft: “Die immer wieder mit den gleichen Argumenten geführten Diskussionen über eine organisatorische Trennung hatten zum Ergebnis, dass diese mehr Risiken mit sich bringt, als Nutzen erkennen lässt”, so das Statement eines Sprechers.
Thomas Jarzombek springt dem DLR zur Seite: “Der Punkt im EFI-Gutachten hat mich ehrlich gesagt gewundert, weil ich die Gründe für eine komplette Entkopplung nicht sehe.” Das Konstrukt sei in der letzten Legislaturperiode entwirrt worden, indem aus dem Raumfahrtmanagement beim DLR eine Raumfahrtagentur mit eigenem Vorstand innerhalb des DLR gemacht wurde. So sei die Agentur eigenständiger und bekommt trotzdem mit, was im DLR geschieht. Zudem sei die Förderung der DLR-Forschungsinstitute in Unteraufträgen möglich, sagt Jarzombek.
Ob diese und weitere wichtige Fragen des New Space in der geplanten Raumfahrtstrategie der Bundesregierung adressiert werden, ist offen. Genau wie der Zeitpunkt ihres Erscheinens. In Sachen Gesetz wird die EFI aber wohl in ihrem nächsten Gutachten 2024 noch einmal nachhaken müssen.
Um den Fachkräftemangel in Wissenschaft und Wirtschaft abzudecken, braucht Deutschland eine gute Mint-Bildung. Mit einem Aktionsplan will das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seine unterschiedlichen Fördermaßnahmen bündeln. Gleichzeitig sind neue Initiativen an den Start gegangen, 2020 etwa die regionalen Cluster für außerschulische Angebote und 2021 eine Vernetzungsstelle, 2022 (im “Aktionsplan 2.0″) zum Beispiel der Mint-Campus. Und die 3. Cluster-Ausschreibung wird in Kürze veröffentlicht. Damit wurden die Förderlinien bereits über zwei Legislaturperioden hinweg fortgeschrieben. 53 Cluster in 14 Ländern sind jetzt insgesamt aktiv. Allein dafür sind laut BMBF sieben Millionen Euro geflossen, von insgesamt 32 Millionen Euro für die Cluster, vorgesehen für die Jahre 2020 bis 2027.
Ziel ist es, die bestehenden Initiativen, die sich an die unterschiedlichen Altersgruppen richten, zu vernetzen, um weiße Flecken auf der Landkarte zu schließen und Parallelstrukturen abzubauen. Gewünscht sind auch Kooperationen mit dem Netzwerk der Mint-Regionen, das von der Körber-Stiftung organisiert wird oder mit anderen Initiativen. Diese verfügen meist nicht über feste Förderungen für einen bestimmten Zeitraum, sondern werden durch Mittel aus den Regionen getragen, zum Beispiel durch Vereine, Verbände oder Kommunen. “Es gibt Tausende von Bildungsinitiativen, die sich dafür engagieren, Kinder und Jugendliche außerhalb des Schulunterrichts an Mint-Wissen heranzuführen – die Bündelung, der Austausch und das Voneinander-Lernen sind extrem wichtig, damit nicht zu viele Insellösungen produziert werden”, sagt Dörte Schäfer-Kögel vom Mint-Cluster techniKAmpus in Karlsruhe. Durch eine vergleichsweise lange Förderdauer von drei bis fünf Jahren sollen zudem in den Cluster-Regionen nachhaltig Strukturen geschaffen werden.
Das Nationale Mint-Forum plädiert in einer Stellungnahme dafür, “die Förderungen über die Mint-Aktionspläne unbedingt mit längerfristigen Perspektiven zu versehen und die Gelder für die stetige Mint-Förderung fest im Budget des Ministeriums zu verankern”. Weiterhin spricht man sich für eine “stärkere ressortübergreifende Kooperation” mit anderen Bundesministerien aus sowie für eine Zusammenarbeit mit anderen Partnern, etwa den Kultusministerien. “Der Bund darf bis vor die Türen der Schule fördern, aber noch nicht einmal die Brücke hinein betreten”, sagt Winter. Das führe erstens zu Umgehungsmaßnahmen und zweitens nicht zu der gewünschten engen Zusammenarbeit: “Die kanonische Andockstelle für außerschulische Angebote wäre der Ganztag, auch da kommen Bund und Länder nicht wirklich zusammen.” Die nächste Gelegenheit sei das Startchancen-Programm, bei dem die Schulen mit außerschulischen Partnern sozialräumlich zusammenarbeiten sollen – aber es ist fraglich, ob es dazu kommen wird.
Und Achim Englert wünscht sich in Deutschland für den Mint-Bereich eine Förderkulisse wie im Fußball, die regional, überregional und bundesweit aufeinander aufbaut, um die besonders Profilierten abzuholen und individuell zu fördern.
Krisen hin oder her, das Gefühl, dass für die Forschung in Deutschland Handlungsbedarf besteht, habe er schon länger – schon seit der letzten Legislaturperiode. “Ich glaube, Forschung hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen, Stichwort Impfstoffentwicklung”, sagt Jürgen Mlynek, auf der anderen Seite sei sie politisch komplexer verortet als noch Jahre zuvor.
Während der Pandemie habe der Gesundheitsminister die Bühne bespielt – auch als es um Fragen der Gesundheitsforschung ging. Bei der Energiekrise beobachte man es jetzt wieder: Der Hauptakteur ist das Ministerium für Wirtschaft und Klima, das Forschungsministerium hat die Bühne nicht mehr allein. Das habe Vor- und Nachteile. “Die politische Priorität von Wissenschaft, Forschung und Innovationen muss hoch bleiben. Sie sind unsere einzigen Möglichkeiten, mit den großen Zukunftsproblemen wie dem Klimawandel, der Energieversorgung oder der Ernährung der Weltbevölkerung umzugehen.”
Die Bundesebene im föderalen System sollte stärker Themen der Forschung und weniger Bildungsthemen in den Vordergrund stellen, findet Mlynek. Die forschungspolitische Prioritätensetzung für die laufende Legislaturperiode sei bislang unklar.
“Die Wissenschaft muss zu relevanten Forschungsthemen mehr Flagge zeigen”, fordert Mlynek. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten sich vermehrt zu Themen wie Gesundheitsforschung, Klimawandel, Biodiversität, Fracking oder Elektromobilität äußern, auch öffentlich und gegebenenfalls auch kontrovers. “Die Wissenschaft muss aus ihrer Blase raus, mehr kommunizieren und dem Alarmismus mehr Lösungswege entgegensetzen.” Die Menschen und Parlamente müssten auch in Forschungsfragen stärker eingebunden und evidenzbasiert informiert werden, sodass sie nicht angstvoll oder emotional, sondern aufgeklärt über Technologien diskutieren und darüber entscheiden können.
Immer wieder beeindruckt ist Mlynek von den USA, die riesige Investitions- und Innovationsprogramme aufgelegt haben, auch unter dem Aspekt der technologischen Souveränität, speziell in Bezug auf China. “Die USA sind nach wie vor Vorbild für eine Start-up-Kultur: Hier ist in Deutschland noch viel Luft nach oben.” Das Thema Unternehmensgründung sei dabei nicht nur eine Frage der Finanzierung, zum Beispiel durch mehr Venture Capital, sondern eine Frage der Einstellung, auf Neudeutsch des “Mindsets”.
Es gebe in Deutschland nach wie vor zu wenig Menschen, gerade auch junge Leute, die eigenständiges Unternehmertum als eine Berufsoption für sich begreifen. Das sei in anderen Ländern anders: “Man gründet und wenn es nicht das erste Mal gelingt, versucht man es erneut.” In Anbetracht der starken Grundlagenforschung in Deutschland gibt es beim Thema Wertschöpfung aus der Forschung noch viel ungehobenes Potenzial, gerade was wissenschaftsbasierte Start-ups betrifft.
Natürlich müsse man sich in Zeiten knapper Ressourcen immer wieder fragen: Machen wir auch in der Forschung das Richtige und sind wir dabei effektiv und effizient? Dazu gehört auch die Frage nach Prioritäten und Posterioritäten. Dazu müsse man eine ehrliche gesellschaftliche Debatte führen, partizipativ und auf argumentativer Basis: “Wie in der Wissenschaft üblich, sollte dabei das beste Argument entscheiden. Das muss man durchhalten und nicht gleich einknicken, wenn es mal Gegenwind gibt.”
Das ganze Interview lesen Sie in “Was jetzt, Forschung?”. Die Publikation enthält Impulse aus den Gesprächen u. a. mit Jan Wörner (Acatech), Martina Brockmeier (Leibniz-Gemeinschaft), Rafael Laguna de la Vera (Sprind), Volker Meyer-Guckel (Stifterverband), Georg Schütte (VolkswagenStiftung), Otmar D. Wiestler (Helmholtz-Gemeinschaft) und Walter Rosenthal (Uni Jena). Den kostenlosen Reader erhalten Sie hier.
2. März 2023, 19:00 Uhr, Futurium Berlin und online via YouTube
Diskussion ChatGPT – Einblicke in die Zukunft der KI. Mit Ranga Yogeshwar und Doris Weßels Mehr
2.-5. März 2023, Washington D.C./Online
AAAS – Annual Meeting “Science for Humanity”, Jahrestagung der American Association for the Advancement of Science Mehr
15. März 2023, Berlin
Preisverleihung Verleihung der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preise 2023 der DFG Mehr
28. März 2023, Berlin und online
Forschungsgipfel 2023 Blockaden lösen, Chancen nutzen – Ein Innovationssystem für die Transformation Mehr
Der Bau des Teilchenbeschleunigers Fair in Darmstadt wird teurer. Wie der Hessische Rundfunk (HR) berichtet, könnten sich die bisher in Höhe von 3,1 Milliarden Euro veranschlagten Kosten um mehr als eine halbe Milliarde erhöhen.
So ist allein für den Bund, der rund 60 Prozent der Kosten trägt, von mindestens 518 Millionen Euro Mehrkosten die Rede, je nach Inflationsrate auch deutlich mehr als 600 Millionen Euro. Hessen müsse mit mindestens 68 Millionen Euro zusätzlich rechnen. Nach HR-Angaben hat Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne) bereits “hinter den Kulissen im Landtag” für die zusätzliche Finanzspritze für den Teilchenbeschleuniger geworben.
Hauptgeldgeber des Großprojekts und zugleich Gesellschafter sind der Bund und das Land Hessen. Als ausländische Partner sind auch Finnland, Frankreich, Indien, Polen, Rumänien, Russland, Schweden und Slowenien Gesellschafter. Nach dem Überfall auf die Ukraine wurde die Zusammenarbeit mit Russland ausgesetzt. Die Federführung des Projekts hat das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt.
Als Gründe für die Kostensteigerung nennt das GSI unter anderem den Ukraine-Krieg, die Inflation, die Verknappung der Rohstoffe, die Störung der internationalen Lieferketten sowie die Explosion der Energiekosten. Eine Neuberechnung stellt das Zentrum für die Zeit nach dem Treffen der Fair-Gesellschafter Anfang März in Aussicht. Die zuletzt für das Jahr 2025 geplante Fertigstellung könnte sich nun noch weiter verzögern. Baubeginn war 2017. Die Angaben für die Baukosten haben sich seit Planungsbeginn laufend erhöht. Im Jahr 2005 ging man von 700 Millionen Euro aus, im Jahr 2011 war bereits von 1,5 Milliarden Euro die Rede, seit dem Jahr 2020 von 3,1 Milliarden Euro.
Als eine der größten und komplexesten Teilchenbeschleuniger-Anlagen weltweit wird Fair für die Forschung mit Antiprotonen und Ionen mit internationalen Partnern entwickelt und gebaut. An der Entwicklung der Experimente und des Wissenschaftsprogramms von Fair sind schätzungsweise 3.000 Forschende aus etwa 50 Ländern beteiligt. abg
Trotz der Nobelpreise in den vergangenen Jahren, trotz der Exzellenzuniversitäten – über 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger nehmen Deutschland nicht als maßgebende Forschungsnation wahr. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag von Table.Media, die im Februar 2023 durchgeführt wurde. Bei jüngeren Befragten unter 40 Jahren denken sogar über 80 Prozent, dass Deutschland im internationalen Vergleich nicht mithalten kann.
Julia Wandt, Vorsitzende des Bundesverbands Hochschulkommunikation erklärt dazu: “Wenn 70 Prozent der Bürger Deutschland nicht als maßgebende Forschungsnation wahrnehmen, ist das nicht nur ein überraschend hoher Wert – er zeigt auch, wie wichtig Kommunikation für Forschung ist. Gute Wissenschaftskommunikation wird mehr denn je benötigt: Um Deutschland als Wissenschaftsstandort wettbewerbsfähig zu halten und sichtbarer zu machen.”
Ähnlich besorgniserregend ist auch die Wahrnehmung bezüglich des Einsatzes von Forschungsgeldern. Nur 18 Prozent haben den Eindruck, dass diese sinnvoll eingesetzt werden. Lediglich unter den Studierenden (27 Prozent) und Wählern von SPD (31 Prozent) und Grünen (32 Prozent) ist das Vertrauen in den richtigen Einsatz der Mittel größer. mw
Im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung stand am Mittwochvormittag forschungsseitig das Gespräch mit der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) zur Vorstellung des EFI-Gutachtens 2023 im Mittelpunkt. Uwe Cantner fasste als EFI-Vorsitzender die wichtigsten Erkenntnisse und Empfehlungen des diesjährigen Gutachtens zusammen. Besonderes Interesse zeigten die Abgeordneten an der Frage, wie Verwaltung und Projektträger agiler aufgestellt werden könnten. Die Mitglieder der EFI rieten dazu, bei der Projektförderung in Deutschland weniger auf ein bürokratisches Kostencontrolling zu setzen, sondern verstärkt auf Evaluation. Zudem äußerte Uwe Cantner Unverständnis darüber, warum in der deutschen Forschungspolitik die Reallabore keine zentralere Rolle spielen. Hier könne man Innovationen regulierungsfrei testen.
Im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft blieben am Mittwochvormittag zwei Anträge der CDU/CSU-Fraktion ohne Mehrheit. Im ersten Antrag (20/2342) ging es um eine gezielte Nutzung und Weiterentwicklung neuer Züchtungsmethoden in der Landwirtschaft. Darin forderte die Union unter anderem die Ampelkoalition auf, “sich innerhalb der Europäischen Union für eine Reform des EU-Gentechnikrechts einzusetzen, sodass die Forschung und Anwendung von NGT außerhalb der GVO-Regulierung geregelt wird, wenn die Merkmale auch mit konventionellen Methoden erreicht werden können”. Der zweite Antrag (20/3487) beschäftigte sich mit der Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln – per EU-Verordnung soll der Einsatz dieser Mittel bis 2030 um die Hälfte reduziert werden. Hier forderte die Union die Regierung im Antrag unter anderem auf, sich bei den Verhandlungen auf EU-Ebene gegen ein generelles Verbot von Pflanzenschutzmitteln in landschaftlichen Schutzgebieten und Natura-2000-Gebieten einzusetzen.
Gesundheitsforscher versprechen sich von der Initiative der EU-Kommission für eine grenzüberschreitende Nutzung medizinischer Daten große Fortschritte. Die Experten erläuterten am Mittwoch im Gesundheitsausschuss die Vorteile, die sich aus dem im Mai 2022 auf den Weg gebrachten Projekt des europäischen Raums für Gesundheitsdaten (European Health Data Space – EHDS) ergeben könnten. Mehr
Der Wirtschaftsausschuss hat sich am Mittwoch in einer öffentlichen Anhörung mit der Förderung von Biotech-Unternehmen beschäftigt. Grundlage der Anhörung war ein Antrag (20/2376) der Unionsfraktion, in dem diese fordert, Deutschland solle sich an dem EU-Vorhaben “Important Project of Common European Interest (IPCEI) Health” zur Förderung wichtiger Innovationen in der Biotechnologie- und Pharmabranche beteiligen. Sieben Sachverständige gaben in der Anhörung eine Einschätzung zum Thema Förderung, Standort Deutschland und Zukunftsfähigkeit der Branche ab. Mehr tg / mw
Spektrum – Wie Europa mit kleinen Raketen nach den Sternen greift. Etliche Kleinraketen und die dazu passenden Weltraumbahnhöfe entstehen gerade in Europa. Sie sollen nach dem Ende der Kooperationen mit Russland für eine europäische Unabhängigkeit sorgen – und angesichts von Schwierigkeiten mit Ariane- und Vega-Raketen Entlastung bringen. Werden bald Satelliten aus der Nordsee ins All geschossen? Mehr
Nature – China Initiative’s shadow looms large for US scientists. Ein Jahr nachdem die US-Regierung ihre umstrittene China-Initiative beendet hat, sagen Wissenschaftler chinesischer Herkunft, dass sie immer noch ungerecht behandelt werden und um ihre Sicherheit fürchten. Mehr
ZEIT – Die Wissenschaft versagt bei der Selbstkontrolle. Der Psychologe Daniel Leising beklagt in seinem Gastbeitrag die mangelnden Mechanismen zum Schutz vor Machtmissbrauch in der Wissenschaft. Er fordert erstens transparente und faire Strukturen, zweitens eine wirksame, unabhängige Kontrolle und drittens mehr Aufmerksamkeit für diese Themen. Mehr
Financial Times – Google claims breakthrough in quantum computer error correction. Google gab einen bedeutenden Durchbruch bei der Fehlerkorrektur in Quantencomputern bekannt. Damit werden große Quantencomputer realistischer. Mehr
Science: A science superpower in the wings? Großbritannien sieht sich als “Science Superpower” oder zumindest auf dem Weg dorthin. Doch es gibt nicht nur Top-Universitäten und steigende Investitionen in die Forschung auf der Insel, sondern auch gravierende wirtschaftliche Probleme. Nun sollen drei Frauen an den Spitzen der Top-Ämter in der Wissenschaft die hochgesteckten Ziele der Regierung erreichen. Mehr
Bildung.Table. NRW veröffentlicht ersten ChatGPT-Leitfaden: Als erstes Bundesland hat Nordrhein-Westfalen Hinweise zur Nutzung des KI-Bots ChatGPT für Lehrkräfte herausgegeben. Auf den zwölf Seiten finden Pädagogen zum Beispiel Vorschläge, wie ihre Schüler angeben können, dass sie mit dem Bot gearbeitet haben. Experten empfehlen anderen Bundesländern nachzuziehen. Mehr
Bildung.Table. Schulleiter fühlen sich von Politik im Stich gelassen: Ihre Verwaltung und den Unterricht wollen Schulleitungen mit digitalen Tools voranbringen, das zeigt eine Studie im Auftrag des Schulbuchverlags Cornelsen. Von Bildungspolitik und Schulaufsichten fühlen sie sich dabei aber nicht ausreichend unterstützt. Bei Personal und Finanzen fordern sie mehr Eigenverantwortung. Mehr
Climate.Table. Tauziehen für und gegen Umsetzung von Bidens Klimaplan: Das umfassende US-Investitionsprogramm des “Inflation Reduction Act” geht nun in die Umsetzung. Was auf Bundesebene als Gesetz nicht zu verhindern ist, wollen die Republikaner in manchen Staaten ausbremsen. Aber auch sie und ihre Wähler locken Geld und grüne Wachstumschancen. Mehr
Climate.Table. Nord-Stream-Explosionen gefährden Ökosystem: Laut einer neuen Studie haben die Explosionen an den Nordstream-Pipelines gravierende Auswirkungen für das angrenzende Ökosystem. Mehr
“Wer Innovation fördern möchte, sollte das auch im Rahmen von innovativen Prozessen tun”, sagt Holger Becker. Das sei auch die Idee hinter der Bundesagentur für Sprunginnovationen (Sprind), die Projekte anders begleiten und finanzieren will. Durch überbordende Bürokratie versuche die Politik oft etwas zu kontrollieren, was sich eben nicht kontrollieren lasse. Stattdessen plädiert der SPD-Bundestagsabgeordnete in der Forschungsförderung für pauschale Zahlungen, verbunden mit einem hohen Vertrauen in die Wissenschaft, die das Geld aus einer intrinsischen Motivation heraus sinnvoll ausgibt.
Holger Becker spricht aus Erfahrung, denn er hat selbst zahlreiche Förderanträge begutachtet, unter anderem für die Europäische Union und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Der promovierte Physiker ist einer von wenigen Naturwissenschaftlern im Bundestag – und findet es schwierig, “harte” Wissenschaftsthemen im Parlament zu platzieren. Dabei liefern Wissenschaft und Technologie Lösungsansätze für die großen Probleme, betont er – vom Klimawandel über die Energieversorgung bis hin zur Mobilität. Der Politiker wünscht sich deshalb einen “Chief Scientist”, der der Regierung und der Öffentlichkeit disziplinübergreifend als Ansprechperson für Wissenschafts- und Technologiefragen zur Verfügung steht.
Wenn es um Innovationen in der deutschen Forschungslandschaft geht, blickt der Politiker gern in Richtung des angloamerikanischen Raums. Beispiel: Research Schools, die Wissenschaft an der Schnittstelle zwischen unterschiedlichen Disziplinen und Anwendungsfelder fördern.
Schon immer hat sich Holger Becker mit Mikrosystemtechnik und Nanotechnologien sowie ihrer Anwendung in den Life Sciences beschäftigt – zunächst als Wissenschaftler, dann gemeinsam mit seiner Frau als Gründer einer Hochtechnologiefirma und schließlich als Politiker. In der Kommunalpolitik engagiert sich Holger Becker schon seit Jahrzehnten. “Wie andere Menschen tagsüber Fußball spielen und abends schwimmen gehen, war für mich die Politik früher ein intellektueller Ausgleichssport zur Wissenschaft”, sagt er. Zu seinem Bundestagsmandat, erzählt der 58-Jährige, sei er “wie die Jungfrau zum Kinde” gekommen: “Die SPD lag damals bundesweit bei etwa 15 Prozent, der Wahlkreis war 1994 zuletzt von der SPD direkt gewonnen worden und laut Prognosewebsites lag die CDU bei 95 Prozent Gewinnwahrscheinlichkeit.” Als er dann von heute auf morgen nach Berlin fuhr, musste seine Frau die Geschäfte im gemeinsamen Unternehmen also plötzlich alleine lenken.
Als Berichterstatter für Themen der Helmholtz-Gemeinschaft ist der Vater von drei Kindern unter anderem auch für die Weltraumforschung zuständig – ein Thema, das ihn auch persönlich schon immer fasziniert hat: “Eine meiner ersten Kindheitserinnerungen ist die Mondlandung – und aktuell gibt es unter dem Schlagwort New Space einen Trend hin zu privatwirtschaftlichen Aktivitäten, den Deutschland nicht verpassen darf.” Ein prägendes Erlebnis war für ihn, während seines Physikstudiums als Sommerstudent drei Monate an der Europäische Organisation für Kernforschung (CERN) zu arbeiten: “Ich habe zu der Zeit drei Viertel der damals lebenden Physiknobelpreisträger getroffen – eine spektakuläre Erfahrung.” Und anschließend habe er trotzdem gewusst, dass er in seiner Karriere keine Hochenergiephysik machen möchte, sondern etwas, das einen Bezug zur Lebenswirklichkeit von Menschen habe.
Als Doktorand stellte er seine Ergebnisse auf einer großen internationalen Gentechnik-Konferenz vor, wo er Andreas Manz kennenlernte, bei dem er anschließend als Post Doc arbeitete. 1994, auf einer Konferenz in Genf, wurde ihm schließlich klar, dass er mit seinen Erkenntnissen ein eigenes Unternehmen gründen musste. “Es ist toll, einen Wissenschaftsbereich von einem quasi embryonalen Zustand bis hin zu einem frühen Erwachsenenstadium begleitet zu haben”, sagt er heute. Seit 30 Jahren beschäftigt sich Holger Becker mit seinen Forschungsthemen. Und doch, sagt er, gebe es keinen Tag, an dem er nicht etwas Neues gelernt habe. Seine aktuellste Erkenntnis – man kann kleine Tropfen nicht nur mit elektrischen Feldern, sondern auch über Licht steuern – kam ihm gerade erst beim Schreiben eines Forschungsantrags für ein Projekt zur digitalen Fluidik. Janna Degener-Storr
Jens Brandenburg (36) ist neuer Vorsitzender des Stiftungsrats der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF) und löst dort Michael Meister ab. Brandenburg ist seit Dezember 2021 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung und gehört dem Deutschen Bundestag seit 2017 als Mitglied der FDP-Fraktion an.
Lisa Bugnet wird Assistenzprofessorin am Institute of Science and Technology Austria (ISTA). Mit der französischen Astrophysikerin will das Institut ein neues Feld erschließen und zahlreiche interdisziplinäre Kooperationen ermöglichen.
Tobias Dauth übernimmt interimsweise das Amt des Rektors der Handelshochschule Leipzig (HHL). Dauth gehört bereits seit Januar 2022 als Kanzler der Geschäftsführung der internationalen Business School in Leipzig an. Der bisherige Rektor Prof. Dr. Stephan Stubner hatte kürzlich aus familiären Gründen das Amt des Rektors niedergelegt.
Nicola Fox (54) wird mit sofortiger Wirkung Wissenschaftsdirektorin der Nasa. Die in Großbritannien geborene Solarforscherin leitete bei der Nasa zuvor die Abteilung für Heliophysik. Fox folgt auf den US-Schweizer Thomas Zurbuchen.
Ute Frevert (68) ist seit dem 1. März neue Präsidentin der Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland. Die Berliner Historikerin folgt auf Hans van Ess. Frevert ist Direktorin des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und leitet dort den Forschungsbereich “Geschichte der Gefühle”.
Stefan Kampmann (Jahrgang 1963) wurde vom Bundespräsidenten in den Wissenschaftsrat berufen. Kampmann ist Chief Technology Officer des Technologiekonzerns Voith Group.
Andreas Pinkwart (62) wurde auf die im Rahmen der Exzellenzstrategie neu geschaffene Professur für Innovations- und Technologiemanagement an der TU Dresden berufen. Der frühere nordrhein-westfälische Minister für Wissenschaft und Wirtschaft hatte zuvor an der Universität Siegen eine Professur für Digitales Entrepreneurship und Innovationsmanagement inne.
Elke Sohn übernimmt an der Hochschule für Technik Stuttgart (HFT Stuttgart) als Prorektorin das neu gegründete Prorektorat “Transfer und Klimastrategie”, Volker Coors das Prorektorat “Forschung und Digitalisierung”.
Thorsten Wilhelmy (Jahrgang 1973) hat die Geschäftsführung der Einstein Stiftung Berlin übernommen. Er löst Marion Müller ab. Wilhelmy hat zuvor als Verwaltungsleiter und Wissenschaftlicher Koordinator die Nordrhein-Westfälische Akademie für Internationale Politik mit aufgebaut.
Oliver Zielinski (52) wurde am 28. Februar zum neuen Direktor des Leibniz Instituts für Ostseeforschung in Warnemünde (IOW) bestellt.
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie uns gerne einen Hinweis für diese Rubrik an research@table.media!
Die Forschung und Entwicklung (F&E) im Vereinigten Königreich steht unter Rechtfertigungsdruck. Das legt zumindest eine aktuelle Umfrage nahe. Dieser zufolge ist die Unterstützung für öffentliche Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Großbritannien “fragil” und könnte in finanziell schwierigen Zeiten als “Luxus” angesehen werden. Noch gibt es politischen Rückhalt und eine gestärkte Finanzierung für Wissenschaft und Forschung, doch dieser ist womöglich nicht von Dauer, warnt die Campaign for Science and Engineering (CaSE). Die Lobby-Organisation mit mehr als 115 wissenschaftlichen Mitgliedern hatte die Befragung bei Public First in Auftrag gegeben.
Die wichtigsten Ergebnisse:
“Das Vereinigte Königreich kann auf eine beneidenswerte Erfolgsbilanz zurückblicken, wenn es darum geht, Forschungsexzellenz in den Labors und Auswirkungen auf die Gesellschaft zu vermitteln. Doch diese jüngsten Ergebnisse zeigen, wie fragil die öffentliche Unterstützung für die Forschung sein kann”, sagte Katherine Mathieson, Direktorin der Royal Institution. Man müsse nun weiter die Öffentlichkeit einbinden und sie am Nutzen von Forschung teilhaben lassen.
Die Lehre: Wenn der Nutzen von Forschung für die Menschen klarer ersichtlich wird, steigt auch das Commitment. Das zeigt auch die Befragung. So führen regionale Investitionen und Arbeitsplätze durch F&E auch zu einer höheren generellen Unterstützung für die F&E-Förderung durch die Befragten.
CaSE möchte jetzt “eine weitreichendere und überzeugendere Erzählung für F&E aufbauen”, sagt Sarah Main, die geschäftsführende Direktorin – die Ergebnisse forderten den Sektor heraus.
Die Ergebnisse des Technikradars oder des Wissenschaftsbarometers zeigen für Deutschland eher positivere Einschätzungen. Letztlich wäre aber zu beweisen, ob dies bei härter werdenden Verteilungskämpfen weiterhin so bleibt. Markus Weißkopf
lange Zeit hat Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger zur Fraunhofer-Affäre geschwiegen. Am Mittwoch erklärte sie sich dann doch. “Die Vorwürfe gegen die Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) und den Vorstand wiegen schwer”, sagte die FDP-Politikerin und forderte einen “schnellstmöglichen personellen Neustart im Vorstand”.
Gerade noch rechtzeitig, könnte man denken – kam wenig später doch der Haushaltsausschuss zusammen, um über den Prüfbericht des Bundesrechnungshofs zu beraten, in dem unangemessen hohe Ausgaben und missachtete Regeln durch den Vorstand der Fraunhofer-Gesellschaft beschrieben werden.
Sechs Stunden später veröffentlichten die Haushälter einen Maßgabebeschluss, in dem sie die Führung der FhG kritisieren und dem BMBF weitreichende Hausaufgaben verpassen. Auch der Forschungsausschuss will sich intensiv mit den Vorwürfen gegen Fraunhofer beschäftigen, hieß es gestern.
Die einzige, die sich gestern nicht geäußert hat, war übrigens die Fraunhofer-Gesellschaft.
Wenn Ihnen der Research.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail weitergeleitet wurde: Hier können Sie sich für den Research.Table kostenlos anmelden.
“Die Vorwürfe wiegen schwer”, erklärte Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger am Mittwoch in Bezug auf Anschuldigungen der Steuergeldverschwendung gegen die Fraunhofer-Gesellschaft und deren Vorstand. In einem Prüfbericht hatte der Bundesrechnungshof Anfang Februar deutlich die Führungsspitze der Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) kritisiert. Auf über sechzig Seiten verweisen die Prüfer auf deutliche Verstöße gegen rechtliche Vorgaben vor allem für Reisen, Dienstfahrzeuge, Bewirtungen und Veranstaltungen. Gebuchte Hotels der Vorstände lagen etwa bis zu 450 Prozent über dem zulässigen Rahmen.
Neben dem schnellstmöglichen personellen Neustart im Vorstand müsse es jetzt darum gehen, dass sich die Verstöße nicht wiederholen und die Fraunhofer-Gesellschaft schnell zu einer modernen Governance und tragfähigen Compliance-Standards komme. “Sonst besteht die Gefahr, dass das Vertrauen in und das Ansehen der deutschen Forschung insgesamt beschädigt wird.”
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung nehme seine Verantwortung als größter Zuwendungsgeber sehr ernst und habe bereits erste Konsequenzen, etwa durch ein Teilwiderrufsverfahren gezogen. Die Folge könnte sein, dass Gelder von der Gesellschaft zurückgefordert werden.
Lange hatte Bettina Stark-Watzinger zu den Vorwürfen geschwiegen. Seit Monaten häuften sich dabei bereits Meldungen, in denen von einer schlechten Führung und der Verschwendung von Steuergeldern etwa für Reisen und Veranstaltungen durch Fraunhofer-Präsident Raimund Neugebauer berichtet wurde. Am gestrigen Mittwoch hat die Forschungsministerin zum ersten Mal gegenüber Journalisten Stellung zu den Vorwürfen genommen.
Die plötzliche Offenheit erstaunt nicht, kam doch nur wenig später der Haushaltsausschuss der Bundesregierung in Sachen Fraunhofer zusammen. Die Abgeordneten verabschiedeten nach langen Gesprächen am Mittwochabend einen Maßgabebeschluss, der Table.Media vorliegt. Man fordert deutlich mehr Transparenz und mehr Kontrolle sowie Umsetzungsstärke durch das BMBF, erklärt ein Abgeordneter.
In dem Maßgabebeschluss wird die Fraunhofer-Gesellschaft deutlich kritisiert:
Im Maßgabebeschluss wird das BMBF zugleich zu konkreten Maßnahmen aufgefordert – bis zum 1. September:
Wiebke Esdar (SPD) erklärt, die entscheidende Frage sei jetzt, wo es eine missbräuchliche Verwendung von Haushaltsmitteln gab, warum dies in einem scheinbar so großen Umfang über die letzten Jahre geschehen konnte und ob Gesetze nachgeschärft werden müssen.
In einer Runde der Obleute des Forschungsausschusses wurde entschieden, sich noch im März intensiv mit dem Prüfbericht auseinanderzusetzen.
Derweil hat das BMBF noch mehr aufzuarbeiten: Aus Abgeordnetenkreisen erfuhr Table.Media, dass mit Blick auf Fraunhofer auch Vorwürfe des Fehlverhaltens gegen einen früheren leitenden BMBF-Mitarbeiter überprüft werden.
Es ist ein “institutioneller Paradigmenwechsel”, den Ralf Lindner und seine Kollegen vom Competence Center Politik & Gesellschaft am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) ins Spiel bringen. Neu zu denken sei jedoch nötig, damit Deutschland den in vielen Bereichen anstehenden transformativen Wandel angehen kann. Denn bisher geht es mit Blick auf Lösungen von Problemen, die sich durch den Klimawandel, die Überbeanspruchung natürlicher Ressourcen oder die demografische Entwicklung ergeben, zu langsam und zögerlich voran.
“Die Begleitforschung der Hightech-Strategie der Bundesregierung hat auch gezeigt, dass es mit den gegebenen Strukturen, insbesondere Governance-seitig, äußerst schwierig sein wird, ambitionierte transformationsorientierte Missionen erfolgreich auf den Weg zu bringen”, erläutert Lindner.
Im Rahmen eines Projekts der Bertelsmann-Stiftung veröffentlichte Lindner das Diskussionspapier “Deutschland transformieren: Missionsagenturen als innovativer Baustein zur Bewältigung gesamtgesellschaftlicher Herausforderungen”. Zusammen mit anderen Innovationsexperten regt er an, fachlich spezialisierte Agenturen einzurichten. Diese sollten weitreichende Befugnisse haben, gut mit Personal und Budget ausgestattet werden und auf Kanzleramtsebene agieren – um nicht von den “Ressortegoismen der Fachministerien” ausgebremst zu werden. Die Grundgedanken hinter dem Vorschlag:
Eher skeptisch gegenüber der Missionsagentur-Idee ist Uwe Cantner, Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI). “Die Idee ist charmant, das Konzept aber nicht wirklich tragfähig”, sagt er. Zunächst werde vorgeschlagen, das Silodenken durch das Herauslösen der missionsbezogenen Fragestellungen aus den Ministerien auszuhebeln, um dann bei der Umsetzung der Strategien ein geeignetes Schnittstellenmanagement zwischen der Agentur und den missionsrelevanten Ministerien wieder einzuführen. “Die Schnittstellenproblematik würde also lediglich verlagert.” Noch dazu drohe der Kontakt zu den Ministerien verlorenzugehen, sodass “auf einmal Dinge gemacht werden, die mit dem ursprünglichen Ansinnen der Ministerien und der Bundesregierung gar nicht mehr zusammenpassen”.
“Die Governancestruktur einer transformativen Innovationspolitik muss in die Ministerien integriert sein. Sie darf nicht davon losgelöst sein”, sagt Cantner – und propagiert den Vorschlag, den sein Gremium in dem im Februar vorgelegten Jahresgutachten 2023 macht. “Wir sind dafür, einen im Kanzleramt verankerten Zukunftsausschuss einzurichten, der die Strategien klar festlegt. Darüber hinaus sollte es ressortübergreifende Missionsteams geben, deren Mitarbeiter mit einem Fuß in der Mission – und damit in der Transformationspolitik – stehen und mit dem anderen Fuß in ihrem angestammten Ministerium.” Die letztendliche Operationalisierung könne durch Agenturen erfolgen oder durch die bereits existierenden Projektträger.
Bei anderen Fachleuten, die sich theoretisch oder praktisch mit der Governance von Forschung und Innovation befassen, verfängt die Missionsagentur-Idee. “Das ist ein sehr interessanter und wichtiger Ansatz. Er trägt auch zu der Diskussion darüber bei, wie wir die Verwaltung jetzt fit für die anstehenden Transformationen machen”, sagt Patrizia Nanz, Leiterin des Laboratoriums Beteiligende Verwaltung und Vizepräsidentin des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung.
Lobende Worte auch von einem Ministeriums-Insider: “Das wäre für das bestehende Regierungssystem revolutionär”, sagt Matthias Graf von Kielmansegg, der im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bis Ende 2021 acht Jahre lang die Abteilung Grundsatzfragen und Strategien geleitet hat. Heute ist er Geschäftsführer bei der Vodafone-Stiftung in Berlin. Eine zukünftige Bundesregierung sollte einen solchen Weg gehen, findet er, schlägt aber eine andere Ausgestaltung vor.
Kritisch sieht von Kielmansegg die vorgeschlagene Ansiedlung beim Kanzleramt. “Missionsagenturen aus dem Zuständigkeitsbereich einzelner Fachministerien herauszulösen, ist richtig. Dann geraten sie nicht so schnell in Koalitionsstreitigkeiten hinein”, sagt er. Sein Einwand: “Das Kanzleramt ist nicht neutral.” Es gehöre stets dem größten Partner einer Regierungskoalition und werde daher mit besonderem Argwohn von dem oder den kleineren Koalitionspartner betrachtet.
Er schlägt vor, Missionsagenturen durch ein Gremium aus zwei bis drei fachlich nahen Ministerien steuern zu lassen, sie aber so auszugestalten und auszustatten, dass sie so eigenständig wie möglich agieren können.
Für den Erfolg von Missionsagenturen gibt es eine Reihe von Voraussetzungen:
Ein Allheilmittel sind Missionsagenturen keinesfalls, das räumt auch das Bertelsmann-Autorenteam ein. Denn Probleme, die jenseits der Missionen zu lösen sind, gibt es zuhauf:
Das Autorenteam um Lindner schlägt vor, mit einem Pilotprojekt zu beginnen, etwa zur Etablierung einer Kreislaufwirtschaft – ein groß gefasstes solches Vorhaben. Sinnvoller wäre es vermutlich, sich auf eine Rohstoffart zu konzentrieren und zum Beispiel nur eine Kunststoffart oder eine seltene Erde in eine Kreislaufwirtschaft zu überführen.
Patrizia Nanz ist auch die Art und Weise wichtig, wie Missionen ausgewählt werden. In dem Diskussionspapier wird vorgeschlagen, Missionen im Koalitionsvertrag festzulegen. Nanz: “Aus meiner Sicht braucht es aber genau dafür einen gesellschaftlichen Prozess, etwa einen losbasierten Bürgerrat. So lassen sich Missionen breiter und weit über eine Legislaturperiode hinausgehend legitimieren.”
Was aus der Idee der Missionsagenturen wird, ist offen. Ralf Lindner sieht es schon als Erfolg an, dass wichtige politische Akteure in Ministerien und auch im Kanzleramt die Idee nicht reflexartig ablehnen. In einer Folgestudie würde er sich gerne an die konkretere Ausarbeitung machen, unter anderem mit Blick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen und wie sie weiterentwickelt werden müssten.
Viel weiter ist auch der Zukunftsausschuss-Vorstoß der EFI bisher nicht. Cantner ist erfreut, aus der Politik bisher keinen nennenswerten Gegenwind bekommen zu haben. Und er konnte, berichtet er, den Vorschlag bereits bei der Allianz für Transformation platzieren – dem Gremium, in dem sich die Bundesregierung mit Akteuren der Gewerkschaften, Wirtschaft, Wissenschaft und Verbände über große gesellschaftliche Umbauvorhaben berät.
Die EFI hat die deutsche Raumfahrt in diesem Jahr zu einem Schwerpunkt in ihrem Gutachten gemacht. Die Diagnose, Deutschland stehe zwischen Old Space (rein staatliche Raumfahrt) und New Space (privatwirtschaftliche Raumfahrt) ist treffend, kam für Experten aber nicht überraschend. Dass Deutschland bei den Raumfahrt-Patenten, sogar mit großen Akteuren wie den USA oder Frankreich mithalten kann, ist durchaus eine positive Nachricht.
Doch die EFI-Gutachter sind auch besorgt: Innovative Unternehmen und private Forschungsanstrengungen könnten durch die “Unsicherheiten über den zukünftigen regulatorischen Rahmen” gefährdet sein. “Deutschland ist eines der wenigen europäischen Länder und das einzige große europäische Land, das noch kein Raumfahrtgesetz hat. Das ist schon ein bisschen verwunderlich”, sagt Tilman Requate, Wirtschaftsprofessor an der Universität Kiel und Raumfahrt-Experte der EFI.
Die EFI sieht im Kern drei Bereiche, die mit einem Weltraumgesetz abgedeckt werden könnten:
Die letzten beiden Punkte will die Bundesregierung auch in der Weltraumstrategie adressieren. Doch die Haftungsfrage ist die zentrale Baustelle bei der Frage nach einem Gesetz.
Die politische Reaktion auf den EFI-Rat: Zurückhaltung. Die Koordinatorin der Bundesregierung für die deutsche Raumfahrt, Anna Christmann (Grüne), will den EFI-Rat zunächst intern auswerten. Ihr Vorgänger Thomas Jarzombek, forschungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, findet die derzeitige Situation für die New-Space-Branche vorteilhaft, weil die Haftung derzeit beim Staat liege.
“Wir hatten das Weltraumgesetz in der letzten Legislaturperiode im Koalitionsvertrag stehen, konnten aber als Wirtschaftsministerium keinen Konsens mit den völlig übertriebenen Forderungen des Finanzministeriums erzielen”, sagt Thomas Jarzombek. Man habe die vom Finanzministerium vorgeschlagenen Haftungsgrenzen damals mit der Wirtschaft rückgekoppelt, “aber da gab es nur eine einzige Versicherung, die bereit war, solche Risiken im Weltraum abzusichern. Deren Prämien waren so hoch, dass viele Missionen von KMU im Weltall damit gestorben wären.”
Der Konflikt wurde damals öffentlich. Unter anderem die Süddeutsche Zeitung hatte Anfang 2021 über die Bedenken des damaligen Bundesfinanzministers und jetzigen Kanzlers Olaf Scholz berichtet. “Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) wolle verhindern, dass der Bund überhaupt für Schäden durch Raketen oder Satelliten privater Unternehmen zahlen müsse (…)”, hieß es.
Das birgt eine gewisse Ironie, denn solange es kein Weltraumgesetz gibt, sieht der Outerspace Treaty – der Weltraumvertrag der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1967 – vor, dass der Staat für alle Aktivitäten haftet, auch die privatwirtschaftlichen. Das sei fatal für die deutschen Steuerzahler, würde aber nicht offen kommuniziert, hatte die Süddeutsche Zeitung damals diagnostiziert.
“Man kann sich für ein Gesetz ganz einfach an anderen Staaten orientieren”, sagt EFI-Gutachter Tilman Requate. England oder Frankreich hätten Haftungsgrenzen von rund 60 Millionen Euro. “Ein Gesetz sehe ich zumindest nicht als Wettbewerbsnachteil für Deutschland. Denn irgendwer muss das Risiko tragen und wenn es nicht über die Haftung der Unternehmen geregelt wird, dann springt schlussendlich immer der Staat ein”, sagt Requate. Aus seiner Sicht würde die Schaffung eines Weltraumgesetzes auch “über Haftungsregeln Anreize für umsichtiges Verhalten in der Raumfahrt setzen.”
In Luxemburg, das seit Anfang 2021 ein übergeordnetes Weltraumgesetz hat, sieht man dieses Signal als entscheidenden Faktor. “Der Outerspace Treaty verlangt in Paragraf 6 die Schaffung von nationalen Regeln. Wir haben über unser Raumfahrtgesetz Vorgaben gemacht, unter welchen Bedingungen wir private Raumfahrtaktivitäten autorisieren”, sagt Mathias Link, Direktor in der luxemburgischen Raumfahrtagentur LSA. “Wir stellen damit sicher, dass wir nur Firmen autorisieren, die wissen, was sie tun und die das technische Knowhow, die finanziellen Mittel und die Absicherungen haben, um seriös Raumfahrt zu betreiben”, sagt Link.
Das Gesetz sei in Luxemburg von der Raumfahrtwirtschaft grundsätzlich positiv aufgenommen worden. Seit der Einführung habe man bereits mehrere Vorhaben autorisiert. “Die Anträge werden von uns, also der Raumfahrtagentur, analysiert und schließlich formal vom Wirtschaftsministerium autorisiert”, erklärt Link. Dieser Prozess sei noch etwas bürokratisch und könne in Zukunft sicher noch schlanker werden. Man müsse aber Erfahrungen sammeln, um das Verfahren zu vereinfachen.
Reinhard Houben, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, warnt dagegen vor einer Überregulierung per nationalem Gesetz, weil das zu “Wettbewerbsnachteilen deutscher Unternehmen auf dem EU-Binnenmarkt führt”. Die Raumfahrtindustrie sei ein dynamisches Umfeld und es sei momentan wichtiger, eine gute Innovationspolitik zu machen und eine Strategie aufzusetzen, als zu rigide zu regulieren.
Haftungsfragen seien zudem eher eine Grauzone. Da seien im Einzelfall komplexe juristische Betrachtungen nötig. “Es kommt dabei auch auf viele Faktoren an. Unter welcher Flagge fliegt die Rakete, startet sie in Deutschland, fällt sie in internationale Gewässer oder stürzt sie über Land ab. Das hängt sehr vom Einzelfall ab”, sagt Houben.
Der Politiker räumt ein, dass er in der letzten Legislaturperiode selbst vehement ein nationales Gesetz gefordert habe. Inzwischen sehe er das anders: “Wir Deutschen neigen dazu, viel zu strenge Regeln und Vorgaben zu machen”, sagt Houben. Gemeinsam mit den Grünen, die bisher auch ein nationales Weltraumgesetz unterstützt hatten, setzte die FDP zwischenzeitlich auf eine europäische Lösung. Ein europäischer Rechtsrahmen sei zwar eine charmante, aber keine realistische Idee, findet Matthias Wachter, Geschäftsführer der New-Space-Initiative im BDI. “Tatsächlich arbeitet die Kommission an einer Initiative, mit dieser würde aber nur eine einheitliche Praxis mit Blick auf Sicherheit und Nachhaltigkeit beabsichtigt”, sagt Wachter.
Zurückgeworfen auf eine nationale Lösung, gibt sich Wachter hin- und hergerissen: Eine gesetzliche Regelung mit niedrigen Haftungsgrenzen könne Investoren und Start-ups Sicherheit geben und sich somit positiv auf New-Space-Aktivitäten auswirken. Man könnte sich dabei an Großbritannien orientieren, in Frankreich wird auch an einer entsprechenden Reform gearbeitet. Der BDI schlägt zur Förderung von Innovationen eine niedrige Haftungsgrenze von 30 Millionen Euro vor. Ein zu rigides Gesetz sei dagegen eher eine Bedrohung für die Unternehmen: “Kein Gesetz ist besser als ein schlechtes Gesetz”, sagt Wachter.
Für den Verzicht auf ein Gesetz, spräche die zusätzlich entstehende Bürokratie für Unternehmen. Er wertet die von der EFI gelobten Innovationsaktivitäten nicht zuletzt auch als Folge der Nicht-Regulierung der Raumfahrtwirtschaft in Deutschland. Zudem bräuchte Deutschland nach Einführung des Gesetzes eine zusätzliche Behörde, die Unternehmen autorisieren und überwachen könnte. In der jetzigen Konstruktion der Raumfahrtagentur beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), sei das nur schwer durchführbar.
Die EFI hatte in ihrem Gutachten ohnehin empfohlen, die Raumfahrtagentur vom DLR zu entkoppeln und eine Behörde zu schaffen, die für Genehmigungen und die Einhaltungen des Rechtsrahmens zuständig ist. “Das Ungünstige an der derzeitigen Konstruktion ist auch, dass die Raumfahrtagentur gemeinsam mit den zahlreichen Forschungsinstituten beim DLR unter einem Dach sitzt”, sagt Tilman Requate. Obwohl die Agentur für die Verteilung aller nationalen und europäischen Mittel zuständig wäre, sei sie so nicht in der Lage, Aufträge an die eigenen Forschungsinstitute zu vergeben. “Dadurch sind die Forschungsinstitute in ihrer Entwicklungsfreiheit eingeschränkt.”
Beim DLR gibt man sich verschnupft: “Die immer wieder mit den gleichen Argumenten geführten Diskussionen über eine organisatorische Trennung hatten zum Ergebnis, dass diese mehr Risiken mit sich bringt, als Nutzen erkennen lässt”, so das Statement eines Sprechers.
Thomas Jarzombek springt dem DLR zur Seite: “Der Punkt im EFI-Gutachten hat mich ehrlich gesagt gewundert, weil ich die Gründe für eine komplette Entkopplung nicht sehe.” Das Konstrukt sei in der letzten Legislaturperiode entwirrt worden, indem aus dem Raumfahrtmanagement beim DLR eine Raumfahrtagentur mit eigenem Vorstand innerhalb des DLR gemacht wurde. So sei die Agentur eigenständiger und bekommt trotzdem mit, was im DLR geschieht. Zudem sei die Förderung der DLR-Forschungsinstitute in Unteraufträgen möglich, sagt Jarzombek.
Ob diese und weitere wichtige Fragen des New Space in der geplanten Raumfahrtstrategie der Bundesregierung adressiert werden, ist offen. Genau wie der Zeitpunkt ihres Erscheinens. In Sachen Gesetz wird die EFI aber wohl in ihrem nächsten Gutachten 2024 noch einmal nachhaken müssen.
Um den Fachkräftemangel in Wissenschaft und Wirtschaft abzudecken, braucht Deutschland eine gute Mint-Bildung. Mit einem Aktionsplan will das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seine unterschiedlichen Fördermaßnahmen bündeln. Gleichzeitig sind neue Initiativen an den Start gegangen, 2020 etwa die regionalen Cluster für außerschulische Angebote und 2021 eine Vernetzungsstelle, 2022 (im “Aktionsplan 2.0″) zum Beispiel der Mint-Campus. Und die 3. Cluster-Ausschreibung wird in Kürze veröffentlicht. Damit wurden die Förderlinien bereits über zwei Legislaturperioden hinweg fortgeschrieben. 53 Cluster in 14 Ländern sind jetzt insgesamt aktiv. Allein dafür sind laut BMBF sieben Millionen Euro geflossen, von insgesamt 32 Millionen Euro für die Cluster, vorgesehen für die Jahre 2020 bis 2027.
Ziel ist es, die bestehenden Initiativen, die sich an die unterschiedlichen Altersgruppen richten, zu vernetzen, um weiße Flecken auf der Landkarte zu schließen und Parallelstrukturen abzubauen. Gewünscht sind auch Kooperationen mit dem Netzwerk der Mint-Regionen, das von der Körber-Stiftung organisiert wird oder mit anderen Initiativen. Diese verfügen meist nicht über feste Förderungen für einen bestimmten Zeitraum, sondern werden durch Mittel aus den Regionen getragen, zum Beispiel durch Vereine, Verbände oder Kommunen. “Es gibt Tausende von Bildungsinitiativen, die sich dafür engagieren, Kinder und Jugendliche außerhalb des Schulunterrichts an Mint-Wissen heranzuführen – die Bündelung, der Austausch und das Voneinander-Lernen sind extrem wichtig, damit nicht zu viele Insellösungen produziert werden”, sagt Dörte Schäfer-Kögel vom Mint-Cluster techniKAmpus in Karlsruhe. Durch eine vergleichsweise lange Förderdauer von drei bis fünf Jahren sollen zudem in den Cluster-Regionen nachhaltig Strukturen geschaffen werden.
Das Nationale Mint-Forum plädiert in einer Stellungnahme dafür, “die Förderungen über die Mint-Aktionspläne unbedingt mit längerfristigen Perspektiven zu versehen und die Gelder für die stetige Mint-Förderung fest im Budget des Ministeriums zu verankern”. Weiterhin spricht man sich für eine “stärkere ressortübergreifende Kooperation” mit anderen Bundesministerien aus sowie für eine Zusammenarbeit mit anderen Partnern, etwa den Kultusministerien. “Der Bund darf bis vor die Türen der Schule fördern, aber noch nicht einmal die Brücke hinein betreten”, sagt Winter. Das führe erstens zu Umgehungsmaßnahmen und zweitens nicht zu der gewünschten engen Zusammenarbeit: “Die kanonische Andockstelle für außerschulische Angebote wäre der Ganztag, auch da kommen Bund und Länder nicht wirklich zusammen.” Die nächste Gelegenheit sei das Startchancen-Programm, bei dem die Schulen mit außerschulischen Partnern sozialräumlich zusammenarbeiten sollen – aber es ist fraglich, ob es dazu kommen wird.
Und Achim Englert wünscht sich in Deutschland für den Mint-Bereich eine Förderkulisse wie im Fußball, die regional, überregional und bundesweit aufeinander aufbaut, um die besonders Profilierten abzuholen und individuell zu fördern.
Krisen hin oder her, das Gefühl, dass für die Forschung in Deutschland Handlungsbedarf besteht, habe er schon länger – schon seit der letzten Legislaturperiode. “Ich glaube, Forschung hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen, Stichwort Impfstoffentwicklung”, sagt Jürgen Mlynek, auf der anderen Seite sei sie politisch komplexer verortet als noch Jahre zuvor.
Während der Pandemie habe der Gesundheitsminister die Bühne bespielt – auch als es um Fragen der Gesundheitsforschung ging. Bei der Energiekrise beobachte man es jetzt wieder: Der Hauptakteur ist das Ministerium für Wirtschaft und Klima, das Forschungsministerium hat die Bühne nicht mehr allein. Das habe Vor- und Nachteile. “Die politische Priorität von Wissenschaft, Forschung und Innovationen muss hoch bleiben. Sie sind unsere einzigen Möglichkeiten, mit den großen Zukunftsproblemen wie dem Klimawandel, der Energieversorgung oder der Ernährung der Weltbevölkerung umzugehen.”
Die Bundesebene im föderalen System sollte stärker Themen der Forschung und weniger Bildungsthemen in den Vordergrund stellen, findet Mlynek. Die forschungspolitische Prioritätensetzung für die laufende Legislaturperiode sei bislang unklar.
“Die Wissenschaft muss zu relevanten Forschungsthemen mehr Flagge zeigen”, fordert Mlynek. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten sich vermehrt zu Themen wie Gesundheitsforschung, Klimawandel, Biodiversität, Fracking oder Elektromobilität äußern, auch öffentlich und gegebenenfalls auch kontrovers. “Die Wissenschaft muss aus ihrer Blase raus, mehr kommunizieren und dem Alarmismus mehr Lösungswege entgegensetzen.” Die Menschen und Parlamente müssten auch in Forschungsfragen stärker eingebunden und evidenzbasiert informiert werden, sodass sie nicht angstvoll oder emotional, sondern aufgeklärt über Technologien diskutieren und darüber entscheiden können.
Immer wieder beeindruckt ist Mlynek von den USA, die riesige Investitions- und Innovationsprogramme aufgelegt haben, auch unter dem Aspekt der technologischen Souveränität, speziell in Bezug auf China. “Die USA sind nach wie vor Vorbild für eine Start-up-Kultur: Hier ist in Deutschland noch viel Luft nach oben.” Das Thema Unternehmensgründung sei dabei nicht nur eine Frage der Finanzierung, zum Beispiel durch mehr Venture Capital, sondern eine Frage der Einstellung, auf Neudeutsch des “Mindsets”.
Es gebe in Deutschland nach wie vor zu wenig Menschen, gerade auch junge Leute, die eigenständiges Unternehmertum als eine Berufsoption für sich begreifen. Das sei in anderen Ländern anders: “Man gründet und wenn es nicht das erste Mal gelingt, versucht man es erneut.” In Anbetracht der starken Grundlagenforschung in Deutschland gibt es beim Thema Wertschöpfung aus der Forschung noch viel ungehobenes Potenzial, gerade was wissenschaftsbasierte Start-ups betrifft.
Natürlich müsse man sich in Zeiten knapper Ressourcen immer wieder fragen: Machen wir auch in der Forschung das Richtige und sind wir dabei effektiv und effizient? Dazu gehört auch die Frage nach Prioritäten und Posterioritäten. Dazu müsse man eine ehrliche gesellschaftliche Debatte führen, partizipativ und auf argumentativer Basis: “Wie in der Wissenschaft üblich, sollte dabei das beste Argument entscheiden. Das muss man durchhalten und nicht gleich einknicken, wenn es mal Gegenwind gibt.”
Das ganze Interview lesen Sie in “Was jetzt, Forschung?”. Die Publikation enthält Impulse aus den Gesprächen u. a. mit Jan Wörner (Acatech), Martina Brockmeier (Leibniz-Gemeinschaft), Rafael Laguna de la Vera (Sprind), Volker Meyer-Guckel (Stifterverband), Georg Schütte (VolkswagenStiftung), Otmar D. Wiestler (Helmholtz-Gemeinschaft) und Walter Rosenthal (Uni Jena). Den kostenlosen Reader erhalten Sie hier.
2. März 2023, 19:00 Uhr, Futurium Berlin und online via YouTube
Diskussion ChatGPT – Einblicke in die Zukunft der KI. Mit Ranga Yogeshwar und Doris Weßels Mehr
2.-5. März 2023, Washington D.C./Online
AAAS – Annual Meeting “Science for Humanity”, Jahrestagung der American Association for the Advancement of Science Mehr
15. März 2023, Berlin
Preisverleihung Verleihung der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preise 2023 der DFG Mehr
28. März 2023, Berlin und online
Forschungsgipfel 2023 Blockaden lösen, Chancen nutzen – Ein Innovationssystem für die Transformation Mehr
Der Bau des Teilchenbeschleunigers Fair in Darmstadt wird teurer. Wie der Hessische Rundfunk (HR) berichtet, könnten sich die bisher in Höhe von 3,1 Milliarden Euro veranschlagten Kosten um mehr als eine halbe Milliarde erhöhen.
So ist allein für den Bund, der rund 60 Prozent der Kosten trägt, von mindestens 518 Millionen Euro Mehrkosten die Rede, je nach Inflationsrate auch deutlich mehr als 600 Millionen Euro. Hessen müsse mit mindestens 68 Millionen Euro zusätzlich rechnen. Nach HR-Angaben hat Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne) bereits “hinter den Kulissen im Landtag” für die zusätzliche Finanzspritze für den Teilchenbeschleuniger geworben.
Hauptgeldgeber des Großprojekts und zugleich Gesellschafter sind der Bund und das Land Hessen. Als ausländische Partner sind auch Finnland, Frankreich, Indien, Polen, Rumänien, Russland, Schweden und Slowenien Gesellschafter. Nach dem Überfall auf die Ukraine wurde die Zusammenarbeit mit Russland ausgesetzt. Die Federführung des Projekts hat das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt.
Als Gründe für die Kostensteigerung nennt das GSI unter anderem den Ukraine-Krieg, die Inflation, die Verknappung der Rohstoffe, die Störung der internationalen Lieferketten sowie die Explosion der Energiekosten. Eine Neuberechnung stellt das Zentrum für die Zeit nach dem Treffen der Fair-Gesellschafter Anfang März in Aussicht. Die zuletzt für das Jahr 2025 geplante Fertigstellung könnte sich nun noch weiter verzögern. Baubeginn war 2017. Die Angaben für die Baukosten haben sich seit Planungsbeginn laufend erhöht. Im Jahr 2005 ging man von 700 Millionen Euro aus, im Jahr 2011 war bereits von 1,5 Milliarden Euro die Rede, seit dem Jahr 2020 von 3,1 Milliarden Euro.
Als eine der größten und komplexesten Teilchenbeschleuniger-Anlagen weltweit wird Fair für die Forschung mit Antiprotonen und Ionen mit internationalen Partnern entwickelt und gebaut. An der Entwicklung der Experimente und des Wissenschaftsprogramms von Fair sind schätzungsweise 3.000 Forschende aus etwa 50 Ländern beteiligt. abg
Trotz der Nobelpreise in den vergangenen Jahren, trotz der Exzellenzuniversitäten – über 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger nehmen Deutschland nicht als maßgebende Forschungsnation wahr. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag von Table.Media, die im Februar 2023 durchgeführt wurde. Bei jüngeren Befragten unter 40 Jahren denken sogar über 80 Prozent, dass Deutschland im internationalen Vergleich nicht mithalten kann.
Julia Wandt, Vorsitzende des Bundesverbands Hochschulkommunikation erklärt dazu: “Wenn 70 Prozent der Bürger Deutschland nicht als maßgebende Forschungsnation wahrnehmen, ist das nicht nur ein überraschend hoher Wert – er zeigt auch, wie wichtig Kommunikation für Forschung ist. Gute Wissenschaftskommunikation wird mehr denn je benötigt: Um Deutschland als Wissenschaftsstandort wettbewerbsfähig zu halten und sichtbarer zu machen.”
Ähnlich besorgniserregend ist auch die Wahrnehmung bezüglich des Einsatzes von Forschungsgeldern. Nur 18 Prozent haben den Eindruck, dass diese sinnvoll eingesetzt werden. Lediglich unter den Studierenden (27 Prozent) und Wählern von SPD (31 Prozent) und Grünen (32 Prozent) ist das Vertrauen in den richtigen Einsatz der Mittel größer. mw
Im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung stand am Mittwochvormittag forschungsseitig das Gespräch mit der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) zur Vorstellung des EFI-Gutachtens 2023 im Mittelpunkt. Uwe Cantner fasste als EFI-Vorsitzender die wichtigsten Erkenntnisse und Empfehlungen des diesjährigen Gutachtens zusammen. Besonderes Interesse zeigten die Abgeordneten an der Frage, wie Verwaltung und Projektträger agiler aufgestellt werden könnten. Die Mitglieder der EFI rieten dazu, bei der Projektförderung in Deutschland weniger auf ein bürokratisches Kostencontrolling zu setzen, sondern verstärkt auf Evaluation. Zudem äußerte Uwe Cantner Unverständnis darüber, warum in der deutschen Forschungspolitik die Reallabore keine zentralere Rolle spielen. Hier könne man Innovationen regulierungsfrei testen.
Im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft blieben am Mittwochvormittag zwei Anträge der CDU/CSU-Fraktion ohne Mehrheit. Im ersten Antrag (20/2342) ging es um eine gezielte Nutzung und Weiterentwicklung neuer Züchtungsmethoden in der Landwirtschaft. Darin forderte die Union unter anderem die Ampelkoalition auf, “sich innerhalb der Europäischen Union für eine Reform des EU-Gentechnikrechts einzusetzen, sodass die Forschung und Anwendung von NGT außerhalb der GVO-Regulierung geregelt wird, wenn die Merkmale auch mit konventionellen Methoden erreicht werden können”. Der zweite Antrag (20/3487) beschäftigte sich mit der Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln – per EU-Verordnung soll der Einsatz dieser Mittel bis 2030 um die Hälfte reduziert werden. Hier forderte die Union die Regierung im Antrag unter anderem auf, sich bei den Verhandlungen auf EU-Ebene gegen ein generelles Verbot von Pflanzenschutzmitteln in landschaftlichen Schutzgebieten und Natura-2000-Gebieten einzusetzen.
Gesundheitsforscher versprechen sich von der Initiative der EU-Kommission für eine grenzüberschreitende Nutzung medizinischer Daten große Fortschritte. Die Experten erläuterten am Mittwoch im Gesundheitsausschuss die Vorteile, die sich aus dem im Mai 2022 auf den Weg gebrachten Projekt des europäischen Raums für Gesundheitsdaten (European Health Data Space – EHDS) ergeben könnten. Mehr
Der Wirtschaftsausschuss hat sich am Mittwoch in einer öffentlichen Anhörung mit der Förderung von Biotech-Unternehmen beschäftigt. Grundlage der Anhörung war ein Antrag (20/2376) der Unionsfraktion, in dem diese fordert, Deutschland solle sich an dem EU-Vorhaben “Important Project of Common European Interest (IPCEI) Health” zur Förderung wichtiger Innovationen in der Biotechnologie- und Pharmabranche beteiligen. Sieben Sachverständige gaben in der Anhörung eine Einschätzung zum Thema Förderung, Standort Deutschland und Zukunftsfähigkeit der Branche ab. Mehr tg / mw
Spektrum – Wie Europa mit kleinen Raketen nach den Sternen greift. Etliche Kleinraketen und die dazu passenden Weltraumbahnhöfe entstehen gerade in Europa. Sie sollen nach dem Ende der Kooperationen mit Russland für eine europäische Unabhängigkeit sorgen – und angesichts von Schwierigkeiten mit Ariane- und Vega-Raketen Entlastung bringen. Werden bald Satelliten aus der Nordsee ins All geschossen? Mehr
Nature – China Initiative’s shadow looms large for US scientists. Ein Jahr nachdem die US-Regierung ihre umstrittene China-Initiative beendet hat, sagen Wissenschaftler chinesischer Herkunft, dass sie immer noch ungerecht behandelt werden und um ihre Sicherheit fürchten. Mehr
ZEIT – Die Wissenschaft versagt bei der Selbstkontrolle. Der Psychologe Daniel Leising beklagt in seinem Gastbeitrag die mangelnden Mechanismen zum Schutz vor Machtmissbrauch in der Wissenschaft. Er fordert erstens transparente und faire Strukturen, zweitens eine wirksame, unabhängige Kontrolle und drittens mehr Aufmerksamkeit für diese Themen. Mehr
Financial Times – Google claims breakthrough in quantum computer error correction. Google gab einen bedeutenden Durchbruch bei der Fehlerkorrektur in Quantencomputern bekannt. Damit werden große Quantencomputer realistischer. Mehr
Science: A science superpower in the wings? Großbritannien sieht sich als “Science Superpower” oder zumindest auf dem Weg dorthin. Doch es gibt nicht nur Top-Universitäten und steigende Investitionen in die Forschung auf der Insel, sondern auch gravierende wirtschaftliche Probleme. Nun sollen drei Frauen an den Spitzen der Top-Ämter in der Wissenschaft die hochgesteckten Ziele der Regierung erreichen. Mehr
Bildung.Table. NRW veröffentlicht ersten ChatGPT-Leitfaden: Als erstes Bundesland hat Nordrhein-Westfalen Hinweise zur Nutzung des KI-Bots ChatGPT für Lehrkräfte herausgegeben. Auf den zwölf Seiten finden Pädagogen zum Beispiel Vorschläge, wie ihre Schüler angeben können, dass sie mit dem Bot gearbeitet haben. Experten empfehlen anderen Bundesländern nachzuziehen. Mehr
Bildung.Table. Schulleiter fühlen sich von Politik im Stich gelassen: Ihre Verwaltung und den Unterricht wollen Schulleitungen mit digitalen Tools voranbringen, das zeigt eine Studie im Auftrag des Schulbuchverlags Cornelsen. Von Bildungspolitik und Schulaufsichten fühlen sie sich dabei aber nicht ausreichend unterstützt. Bei Personal und Finanzen fordern sie mehr Eigenverantwortung. Mehr
Climate.Table. Tauziehen für und gegen Umsetzung von Bidens Klimaplan: Das umfassende US-Investitionsprogramm des “Inflation Reduction Act” geht nun in die Umsetzung. Was auf Bundesebene als Gesetz nicht zu verhindern ist, wollen die Republikaner in manchen Staaten ausbremsen. Aber auch sie und ihre Wähler locken Geld und grüne Wachstumschancen. Mehr
Climate.Table. Nord-Stream-Explosionen gefährden Ökosystem: Laut einer neuen Studie haben die Explosionen an den Nordstream-Pipelines gravierende Auswirkungen für das angrenzende Ökosystem. Mehr
“Wer Innovation fördern möchte, sollte das auch im Rahmen von innovativen Prozessen tun”, sagt Holger Becker. Das sei auch die Idee hinter der Bundesagentur für Sprunginnovationen (Sprind), die Projekte anders begleiten und finanzieren will. Durch überbordende Bürokratie versuche die Politik oft etwas zu kontrollieren, was sich eben nicht kontrollieren lasse. Stattdessen plädiert der SPD-Bundestagsabgeordnete in der Forschungsförderung für pauschale Zahlungen, verbunden mit einem hohen Vertrauen in die Wissenschaft, die das Geld aus einer intrinsischen Motivation heraus sinnvoll ausgibt.
Holger Becker spricht aus Erfahrung, denn er hat selbst zahlreiche Förderanträge begutachtet, unter anderem für die Europäische Union und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Der promovierte Physiker ist einer von wenigen Naturwissenschaftlern im Bundestag – und findet es schwierig, “harte” Wissenschaftsthemen im Parlament zu platzieren. Dabei liefern Wissenschaft und Technologie Lösungsansätze für die großen Probleme, betont er – vom Klimawandel über die Energieversorgung bis hin zur Mobilität. Der Politiker wünscht sich deshalb einen “Chief Scientist”, der der Regierung und der Öffentlichkeit disziplinübergreifend als Ansprechperson für Wissenschafts- und Technologiefragen zur Verfügung steht.
Wenn es um Innovationen in der deutschen Forschungslandschaft geht, blickt der Politiker gern in Richtung des angloamerikanischen Raums. Beispiel: Research Schools, die Wissenschaft an der Schnittstelle zwischen unterschiedlichen Disziplinen und Anwendungsfelder fördern.
Schon immer hat sich Holger Becker mit Mikrosystemtechnik und Nanotechnologien sowie ihrer Anwendung in den Life Sciences beschäftigt – zunächst als Wissenschaftler, dann gemeinsam mit seiner Frau als Gründer einer Hochtechnologiefirma und schließlich als Politiker. In der Kommunalpolitik engagiert sich Holger Becker schon seit Jahrzehnten. “Wie andere Menschen tagsüber Fußball spielen und abends schwimmen gehen, war für mich die Politik früher ein intellektueller Ausgleichssport zur Wissenschaft”, sagt er. Zu seinem Bundestagsmandat, erzählt der 58-Jährige, sei er “wie die Jungfrau zum Kinde” gekommen: “Die SPD lag damals bundesweit bei etwa 15 Prozent, der Wahlkreis war 1994 zuletzt von der SPD direkt gewonnen worden und laut Prognosewebsites lag die CDU bei 95 Prozent Gewinnwahrscheinlichkeit.” Als er dann von heute auf morgen nach Berlin fuhr, musste seine Frau die Geschäfte im gemeinsamen Unternehmen also plötzlich alleine lenken.
Als Berichterstatter für Themen der Helmholtz-Gemeinschaft ist der Vater von drei Kindern unter anderem auch für die Weltraumforschung zuständig – ein Thema, das ihn auch persönlich schon immer fasziniert hat: “Eine meiner ersten Kindheitserinnerungen ist die Mondlandung – und aktuell gibt es unter dem Schlagwort New Space einen Trend hin zu privatwirtschaftlichen Aktivitäten, den Deutschland nicht verpassen darf.” Ein prägendes Erlebnis war für ihn, während seines Physikstudiums als Sommerstudent drei Monate an der Europäische Organisation für Kernforschung (CERN) zu arbeiten: “Ich habe zu der Zeit drei Viertel der damals lebenden Physiknobelpreisträger getroffen – eine spektakuläre Erfahrung.” Und anschließend habe er trotzdem gewusst, dass er in seiner Karriere keine Hochenergiephysik machen möchte, sondern etwas, das einen Bezug zur Lebenswirklichkeit von Menschen habe.
Als Doktorand stellte er seine Ergebnisse auf einer großen internationalen Gentechnik-Konferenz vor, wo er Andreas Manz kennenlernte, bei dem er anschließend als Post Doc arbeitete. 1994, auf einer Konferenz in Genf, wurde ihm schließlich klar, dass er mit seinen Erkenntnissen ein eigenes Unternehmen gründen musste. “Es ist toll, einen Wissenschaftsbereich von einem quasi embryonalen Zustand bis hin zu einem frühen Erwachsenenstadium begleitet zu haben”, sagt er heute. Seit 30 Jahren beschäftigt sich Holger Becker mit seinen Forschungsthemen. Und doch, sagt er, gebe es keinen Tag, an dem er nicht etwas Neues gelernt habe. Seine aktuellste Erkenntnis – man kann kleine Tropfen nicht nur mit elektrischen Feldern, sondern auch über Licht steuern – kam ihm gerade erst beim Schreiben eines Forschungsantrags für ein Projekt zur digitalen Fluidik. Janna Degener-Storr
Jens Brandenburg (36) ist neuer Vorsitzender des Stiftungsrats der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF) und löst dort Michael Meister ab. Brandenburg ist seit Dezember 2021 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung und gehört dem Deutschen Bundestag seit 2017 als Mitglied der FDP-Fraktion an.
Lisa Bugnet wird Assistenzprofessorin am Institute of Science and Technology Austria (ISTA). Mit der französischen Astrophysikerin will das Institut ein neues Feld erschließen und zahlreiche interdisziplinäre Kooperationen ermöglichen.
Tobias Dauth übernimmt interimsweise das Amt des Rektors der Handelshochschule Leipzig (HHL). Dauth gehört bereits seit Januar 2022 als Kanzler der Geschäftsführung der internationalen Business School in Leipzig an. Der bisherige Rektor Prof. Dr. Stephan Stubner hatte kürzlich aus familiären Gründen das Amt des Rektors niedergelegt.
Nicola Fox (54) wird mit sofortiger Wirkung Wissenschaftsdirektorin der Nasa. Die in Großbritannien geborene Solarforscherin leitete bei der Nasa zuvor die Abteilung für Heliophysik. Fox folgt auf den US-Schweizer Thomas Zurbuchen.
Ute Frevert (68) ist seit dem 1. März neue Präsidentin der Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland. Die Berliner Historikerin folgt auf Hans van Ess. Frevert ist Direktorin des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und leitet dort den Forschungsbereich “Geschichte der Gefühle”.
Stefan Kampmann (Jahrgang 1963) wurde vom Bundespräsidenten in den Wissenschaftsrat berufen. Kampmann ist Chief Technology Officer des Technologiekonzerns Voith Group.
Andreas Pinkwart (62) wurde auf die im Rahmen der Exzellenzstrategie neu geschaffene Professur für Innovations- und Technologiemanagement an der TU Dresden berufen. Der frühere nordrhein-westfälische Minister für Wissenschaft und Wirtschaft hatte zuvor an der Universität Siegen eine Professur für Digitales Entrepreneurship und Innovationsmanagement inne.
Elke Sohn übernimmt an der Hochschule für Technik Stuttgart (HFT Stuttgart) als Prorektorin das neu gegründete Prorektorat “Transfer und Klimastrategie”, Volker Coors das Prorektorat “Forschung und Digitalisierung”.
Thorsten Wilhelmy (Jahrgang 1973) hat die Geschäftsführung der Einstein Stiftung Berlin übernommen. Er löst Marion Müller ab. Wilhelmy hat zuvor als Verwaltungsleiter und Wissenschaftlicher Koordinator die Nordrhein-Westfälische Akademie für Internationale Politik mit aufgebaut.
Oliver Zielinski (52) wurde am 28. Februar zum neuen Direktor des Leibniz Instituts für Ostseeforschung in Warnemünde (IOW) bestellt.
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie uns gerne einen Hinweis für diese Rubrik an research@table.media!
Die Forschung und Entwicklung (F&E) im Vereinigten Königreich steht unter Rechtfertigungsdruck. Das legt zumindest eine aktuelle Umfrage nahe. Dieser zufolge ist die Unterstützung für öffentliche Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Großbritannien “fragil” und könnte in finanziell schwierigen Zeiten als “Luxus” angesehen werden. Noch gibt es politischen Rückhalt und eine gestärkte Finanzierung für Wissenschaft und Forschung, doch dieser ist womöglich nicht von Dauer, warnt die Campaign for Science and Engineering (CaSE). Die Lobby-Organisation mit mehr als 115 wissenschaftlichen Mitgliedern hatte die Befragung bei Public First in Auftrag gegeben.
Die wichtigsten Ergebnisse:
“Das Vereinigte Königreich kann auf eine beneidenswerte Erfolgsbilanz zurückblicken, wenn es darum geht, Forschungsexzellenz in den Labors und Auswirkungen auf die Gesellschaft zu vermitteln. Doch diese jüngsten Ergebnisse zeigen, wie fragil die öffentliche Unterstützung für die Forschung sein kann”, sagte Katherine Mathieson, Direktorin der Royal Institution. Man müsse nun weiter die Öffentlichkeit einbinden und sie am Nutzen von Forschung teilhaben lassen.
Die Lehre: Wenn der Nutzen von Forschung für die Menschen klarer ersichtlich wird, steigt auch das Commitment. Das zeigt auch die Befragung. So führen regionale Investitionen und Arbeitsplätze durch F&E auch zu einer höheren generellen Unterstützung für die F&E-Förderung durch die Befragten.
CaSE möchte jetzt “eine weitreichendere und überzeugendere Erzählung für F&E aufbauen”, sagt Sarah Main, die geschäftsführende Direktorin – die Ergebnisse forderten den Sektor heraus.
Die Ergebnisse des Technikradars oder des Wissenschaftsbarometers zeigen für Deutschland eher positivere Einschätzungen. Letztlich wäre aber zu beweisen, ob dies bei härter werdenden Verteilungskämpfen weiterhin so bleibt. Markus Weißkopf