Table.Briefing: Research

Fachkräfte: Mehr Mint wagen + BMBF muss sparen + Forschung in der Sicherheitsstrategie

Liebe Leserin, lieber Leser,

im Gesundheitssystem haben wir den Anschluss verpasst. Wer jetzt an die gelebte Praxis denkt, in der Ärzte immer noch mit Fax-Geräten arbeiten, liegt nicht ganz falsch. Deutschland sei bis zu 17 Jahre hinterher, es fehle eine Digitalstrategie, sagt Mediziner Ferdinand Gerlach, bis Januar Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. 

Immerhin: In Politik und Wissenschaft besteht Einigkeit, dass es für eine exzellente Gesundheitsversorgung und -forschung eine bessere Sammlung, Speicherung und Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten brauche. Fünf Gesetze sollen das System und die Forschung nach vorn bringen: Markus Weisskopf berichtet.

Beim 11. Nationalen Mint Gipfel am gestrigen Mittwoch forderte Bundeskanzler Olaf Scholz eine Umstellung von “zu wenig auf sehr viel”. Um diesen Schub zu bekommen, brauche es aber eine deutlichere Priorisierung des Mint-Themas, sagte uns Ekkekard Winter, Co-Sprecher des Nationalen Mint Forums. Welche Schritte noch erforderlich sind, lesen Sie im Interview.

In der Nationalen Sicherheitsstrategie finden sich die Begriffe Wissenschaft, Forschung und Innovation an vielen Stellen. Die Regierung setzt auf neue Technologien, wenn es um unsere Sicherheit geht. So sollen für den Cyberraum, das Weltall aber auch mögliche Kampfeinsätze neue Technologien entwickelt werden. Nach konkreten neuen förderpolitischen Maßnahmen für die Sicherheitsforschung sucht man in dem Papier allerdings vergebens.

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Nicola Kuhrt
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Analyse

“Mint gehört in den Fokus”

Ekkehard Winter ist Co-Sprecher des Nationalen Mint Forums und Geschäftsführer der Telekom Stiftung.

Für Ekkehard Winter ist klar: “Mint sollte stärker bei der Umsetzung der Fachkräftestrategie vorkommen.” Immerhin sei die Mint-Bildung ein wichtiger Hebel, um dem überall um sich greifenden Fachkräftemangel entgegenzutreten.

Beim 11. Nationalen Mint Gipfel am gestrigen Mittwoch forderte auch Bundeskanzler Olaf Scholz eine Umstellung von “zu wenig auf sehr viel”. Um diesen Schub zu bekommen, brauche es aber eine deutlichere Priorisierung des Mint-Themas, meint Winter. Die Mint-Bildung sollte bei der Umsetzung der Fachkräftestrategie der Bundesregierung vor die Klammer kommen und als eigener Handlungsstrang weiterverfolgt werden. Neben den Folgeprozessen für das Handwerk, für den Mittelstand oder für Start-ups brauche es auch einen eigenen Prozess für das Thema Mint, sagt der Co-Sprecher des Nationalen Mint Forums.

Probleme in den Schulen und hohe Studienabbrecherquoten

Neben der demografischen Entwicklung sieht Winter noch einige andere aktuelle Herausforderungen. “Wir erwarten ein katastrophales Ergebnis bei Pisa im Herbst”, sagt er. Zu den schulischen Problemen komme, dass viele ein Mint-Studium scheuen oder dann abbrechen. Da müsste man sich “wahnsinnig drum kümmern”. Sprich: Es bräuchte viele Ressourcen an den Hochschulen, um weniger Abbrecher zu produzieren. Und: Bei jungen Frauen ist unter den zehn beliebtesten Berufen immer noch kein einziger Mint-Beruf.

Haben die vielen Initiativen – gerade auch für Mädchen (Stichwort Girls’ Day) – also nichts gebracht? Winter verweist auf die immerhin im Durchschnitt der vergangenen 15 Jahre positive Entwicklung bei den Studiengängen. Aber “wir haben die duale Berufsausbildung vernachlässigt”. Die Unternehmen verstünden teilweise nicht, wie junge Frauen angesprochen werden müssten. Oft sei es hier nicht die technische Perspektive eines Berufs, sondern der Zweck – zum Beispiel etwas zur Energiewende beizutragen – der stärker kommuniziert werden müsste. Und noch etwas ist Winter wichtig: “Der Besuch eines Girls’ Days kann im Einzelfall einen positiven Impact haben, reicht aber alleine nicht aus. Wir brauchen Angebote für die komplette Laufbahn.”

“Ein Girls’ Day reicht nicht”

Zwei Dinge seien dafür wichtig: wirkungsvolle, gut evaluierte Angebote sowie eine sinnvolle horizontale und vertikale Vernetzung. Als Positivbeispiel hebt Winter Rheinland-Pfalz hervor. “Dort arbeiten alle zusammen. Vier Ministerien tragen eine gemeinsame Strategie.” Aber auch in anderen Bundesländern gebe es positive Entwicklungen. Und natürlich sei es durch den Mint-Aktionsplan des BMBF vorangegangen. Durch die Mint-Regionen, die Vernetzung vor Ort betreiben, aber auch durch die Vernetzungsstelle, die die Akteure übergreifend zusammenbringt.

“Wir können auf niemanden mehr verzichten – auch nicht an den Unis”

Auch die Wirtschaft und die Wissenschaftsorganisationen sind gefordert. Die Unternehmen “sind unglaublich aktiv, es gibt viele tolle Beispiele, aber diese skalieren nicht”. Ob gerade Forschungseinrichtungen und Unternehmen zu sehr nur die “low hanging fruits” im Blick haben und sich beispielsweise eben nicht nachhaltig genug auch um schwierige Zielgruppen kümmern, mag er nicht einschätzen. Klar ist für ihn, dass angesichts der Krise niemand in der Uni mehr sagen kann “auf diese Hälfte verzichten wir”. Man muss sich auch um die bemühen, die nicht schon bei Jugend forscht dabei waren sowie um die, die im Studium Probleme haben.

Die Mint-Bildung soll sich öffnen

Und natürlich soll sich auch die Mint-Szene bewegen. Wir müssen uns fragen “wie kommt Mint daher?”, meint Winter. Das disziplinäre Denken, das in den Schulen vorherrscht, ist auch in den außerschulischen Angeboten präsent. Dabei seien “die heißen Themen, die die jungen Menschen interessieren, interdisziplinär”. Es gibt derzeit eine Arbeitsgruppe, die die Öffnung hin zu STEAM (science, technology, engineering, arts, mathematics) markieren soll. STEAM steht im angelsächsischen Raum für die Weiterentwicklung vom klassischen STEM hin zu den Geistes- und Sozialwissenschaften.

Darüber hinaus brauche es eine stärkere Zusammenarbeit mit anderen Bereichen. Die Wissenschaftskommunikation beispielsweise behandele häufig ähnliche Themen und ähnliche Zielgruppen. Eine wirkliche Zusammenarbeit gebe es aber kaum. Das Silodenken scheint in beiden Bereichen fest verankert. Mit der Allianz der Wissenschaftsorganisationen habe man dazu bereits Gespräche geführt. Auch mit dem Angebot, deren Themen stärker in die eigenen Angebote zu integrieren. Noch ist nichts daraus geworden.

Daran – und an den anderen Baustellen – darf ab dem 1. August sein Nachfolger, Carsten Busch, arbeiten. Ekkehard Winter scheidet dann aus Altersgründen nicht nur als Geschäftsführer der Telekom Stiftung, sondern auch als Co-Sprecher des Nationalen Mint Forums aus.

  • MINT

Gesundheitsdaten: Alle wollen den großen Wurf

Deutschland hat im Gesundheitssystem den Anschluss verpasst. “Wir haben keine gute Digitalisierung der Versorgung und keine gute Nutzbarkeit von Forschungsdaten“, bemängelte Gesundheitsminister Karl Lauterbach kürzlich. Die Folgen: Forschende Unternehmen beklagen sich – und kehren Deutschland irgendwann den Rücken. Wie etwa das Biotechnologieunternehmen Biontech, das ein neues Krebsforschungszentrum bei London aufbaut

Das Ziel: Ein “Echtzeitdaten-Gesundheitssystem” 

Deutschland sei inzwischen 15 bis 17 Jahre hinterher, und es fehle bisher eine Digitalstrategie, sagt Ferdinand Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin an der Goethe-Universität Frankfurt und bis Januar Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. 

In Politik und Wissenschaft ist man sich einig, dass es für eine exzellente Gesundheitsversorgung und -forschung in Deutschland eine bessere Sammlung, Speicherung und Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten braucht. Für Ferdinand Gerlach fehlt es zudem an einer konsistenten Zielorientierung. Seine Vision ist die eines “Echtzeitdaten-Gesundheitssystems”, in dem insbesondere Cloud- und KI-Anwendungen möglich sind. Die Idee ist, dass “für jeden Bürger ein persönlicher Gesundheitsdatenraum besteht”. Dieser wäre dann eingebettet in den nationalen und den europäischen Gesundheitsdatenraum. 

Fünf Gesetze sollen Deutschland nach vorne bringen 

In Deutschland sind derzeit fünf Gesetze in Vorbereitung, die das Thema voranbringen sollen: 

  • Das Digitalgesetz (BMG): Zentral ist hier die Regelung zur Einführung der elektronischen Patientenakte. Hier soll Ende 2024 ein Opt-out-System eingeführt werden, um bis 2025 mindestens 80 Prozent der Versicherten in das System zu überführen. Das wäre die Basis für die Sammlung der Daten.  
  • Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (BMG): Das GDNG soll die Leitplanken festlegen, wie Daten gesammelt und ausgewertet werden und wer sie nutzen darf. Ein Referentenentwurf wird für Ende Juni erwartet. 
  • Das Registergesetz (BMG): Das Registergesetz muss zentrale Fragen wie die nach der Harmonisierung der mehr als 400 medizinischen Register in Deutschland oder aber nach Datenstandards, Interoperabilität und Zugriffsmöglichkeiten klären. Das Gesetz soll im Herbst kommen. 
  • Die Neufassung des Paragrafen 64e zum Modellvorhaben Genomsequenzierung (BMG): Der Start des Modellvorhabens Genomsequenzierung hat sich vom 1.1.2023 auf den 1.1.2024 verschoben. Nun soll in einer Neufassung des Paragrafen 64e SGB V geklärt werden, wie und vor allem wo in Zukunft Daten aus Genomsequenzierungen von Krebspatienten oder Patienten mit seltenen Erkrankungen gespeichert werden. Ein Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zum 64e wurde am Wochenende veröffentlicht.
  • Das Forschungsdatengesetz (BMBF): Mit dem im Koalitionsvertrag vorgesehenen Forschungsdatengesetz will das BMBF den Zugang zu Daten für die Wissenschaft verbessern und Rahmenbedingungen für die Weitergabe, Aufbewahrung und Sicherung gestalten. Auch hier soll ein Referentenentwurf noch bis Ende Juni vorliegen. 

Gesundheitsdaten: Die Herausforderungen 

Die Verknüpfung: In der Szene befürchten einige, dass die Verknüpfungen zwischen den Gesetzen und auch mit dem EHDS nicht ausreichen werden. Daten würden dann weiterhin an unterschiedlichen Orten und mit unterschiedlichen Infrastrukturen gespeichert. Es brauche ein Denken über die Legislaturperiode hinaus, um nachhaltige Strukturen zu schaffen. Gerlach hingegen ist vorsichtig optimistisch. Es gebe mittlerweile einige digital affine Politiker, die die Dringlichkeit und die Herausforderungen erkannt haben und die Dinge vorantreiben.

Der Datenschutz: “Man sehe in Deutschland häufig nur die Risiken und selten den Nutzen, wenn es um die Nutzung von Daten geht”, sagte Tobias Schulz, Policy and Public Affairs-Manager bei Pfizer. Immerhin: Mittlerweile ist vielen klar, dass man sich keinen Datenschutz deutscher Prägung mehr leisten kann, in dem 19 Datenschutzverantwortliche bei jeder Studie mitreden können. Nach den Eckpunkten des GDNG soll in Zukunft nur noch die jeweilige Landesbehörde zustimmen – und das dann für alle gelten (federführende Datenschutzaufsicht).  

Und natürlich geht es noch um die Form der Einwilligung. Die “research exemption” in Artikel 9, Absatz 2 der DSGVO würde sogar eine zustimmungsfreie Nutzung von Daten für Forschungszwecke erlauben. Diese könnte nach Ansicht von Experten nun in das Gesundheitsdatennutzungsgesetz überführt werden, wenngleich eine Anpassung auf ein Opt-out-System auch hier erwartet wird. 

Die Dateninfrastruktur: Die Ansiedlung des Forschungsdatenzentrums am BfArM wird immer wieder kritisiert. Für die Genomsequenzierung soll das BfArM jetzt als “Plattformträger” fungieren, heißt es in dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen. Allein mit behördlichen Strukturen und behördlichem Handeln seien Strategie und Architektur für eine Dateninfrastruktur nicht zu erreichen, meint Sebastian Semler von der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung (TMF). Es bedürfe einer handlungsfähigen und -willigen wissenschaftlich geleiteten Steuerung und einer konsequenten Service-Orientierung unter Einbeziehung aller Beteiligten, insbesondere auch der Patienten.  

Nutzungsrechte: Hier ist die Frage, ob sich das Nutzungsrecht nach dem Nutzer oder nach dem Zweck richten soll. Derzeit sieht es danach aus, dass es keine Einschränkungen des Nutzerkreises geben soll. Entscheidend soll sein, ob die Nutzung der Daten gemeinwohldienlich ist. Immerhin: Kommerzielle Nutzer sollen für die Nutzung zur Kasse gebeten werden. “Dagegen verschließe man sich nicht prinzipiell”, sagt der Pfizer-Experte Tobias Schulz. Das hänge aber von der konkreten Ausgestaltung ab. Wichtig sei, dass der Beitrag der privatwirtschaftlichen Forschung anerkannt werde. 

MII-Pilotprojekt: erste konkrete Schritte 

Es bewegt sich etwas. Kürzlich kam die Meldung, dass das Forschungsdatenportal für Gesundheit der Medizininformatikinitiative (MII) nun für alle Forschenden geöffnet wird. Hier werden die Daten nicht zentral gespeichert. Die Datenhoheit verbleibt bei den einzelnen Standorten. Wenn diese die Datennutzung für das Forschungsprojekt bewilligen, werden die pseudonymisierten Daten dem Forschenden zentral über das Portal bereitgestellt.

Die rechtliche Grundlage für die Datenspenden der Patienten wurde von der MII in Form einer einheitlichen Einwilligungserklärung zur breiten Nutzung von Patientendaten, Krankenkassendaten und Biomaterialien für zukünftige Forschungszwecke (Broad Consent) erarbeitet. Pfizer und auch Abgeordnete begrüßen dieses Pilotprojekt und sehen es als einen Baustein, den es zu integrieren gelte. 

Alle sind jetzt gespannt auf die kommenden Entwürfe aus BMG und BMBF. Bleibt noch ein Punkt, der für alle wichtig scheint: die Kommunikation. Man dürfe diese nicht wieder vergessen, oder ans Ende schieben. “Eigentlich müsste die Kommunikation heute beginnen”, sagt Tobias Schulz. Und Gerlach bestätigt: “Wir müssen die Menschen mitnehmen. Wir müssen den einzelnen Zielgruppen klarmachen, welchen enormen Nutzen sie konkret haben.”  
 

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Anja Steinbeck: Transfer-Initiativen bündeln

Anja Steinbeck, Rektorin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und HRK-Sprecherin der Universitäten.

Sorgen macht Anja Steinbeck aktuell der Denkmalschutz. “Die Düsseldorfer Universität ist in den Sechzigerjahren gebaut worden, also eher im Stil des Brutalismus. Das kann man schön finden oder nicht – ich finde es gar nicht so hässlich”, sagt die Rektorin. Das Problem sei aber, dass der Denkmalschutz so weit gehe, dass die Labore nicht mehr sachgerecht und in einem überschaubaren Zeitraum umgebaut werden können und deswegen die Forschung gefährdet wird, “was natürlich eine Katastrophe wäre”. Die Fragen nach der Instandhaltung von Gebäuden sei für viele Universitäten ein großes Thema.

Die Herausforderungen, die die Corona-Pandemie und auch der Krieg Russlands gegen die Ukraine bedeuteten, konnte die HHD gut abfedern. Es wurde und wird weiter Energie gespart, was bei Unterrichtsformaten möglich war, wurde auf digitale Formate umgestellt.

Balance zwischen Grundlagenforschung und Anwendungsbezug

Der Wunsch nach einer guten Balance zwischen grundlagenorientierter und anwendungsorientierter Forschung – und dann auch dem notwendigen Transfer – ist Anja Steinbeck ebenfalls sehr wichtig. “Es gibt immer die Sorge, dass der Schwerpunkt zu sehr auf dem einen oder dem anderen liegt. Wir konnten gerade am Beispiel von Biontech sehen, wie wichtig Grundlagenforschung ist.” Ohne die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung wäre es nicht möglich gewesen, in so kurzer Zeit einen Impfstoff zu entwickeln.

“Auf der anderen Seite nützt uns alle Forschung nichts, wenn das Wissen nicht in die Anwendung gebracht wird.” Steinbeck nimmt dabei eine Vielzahl von Initiativen und Programmen in Deutschland wahr. “Aufgrund des Föderalismus, aber auch aufgrund ihrer Verankerung in verschiedenen Bundesministerien” seien diese nicht aufeinander abgestimmt. “Es wäre sehr wichtig, dies alles kritisch zu hinterfragen und unter einem Dach zu bündeln.”  

Kein Gleichgewicht bei Grund- und Projektfinanzierung 

 Dazu sollte eine stärkere Förderung etwa von Start-ups erfolgen, dabei sollte allerdings zuerst überlegt werden, wie die Situation der Hochschulen verbessert werden kann, ohne zusätzliche finanzielle Mittel in die Hand zu nehmen. “Ich denke an die Bereiche, Hochschulfinanzierung, Ausbau des europäischen Forschungsraums, Einbindung der Wissenschaft in politische Prozesse oder Personalentwicklung.”  

 Anja Steinbeck teilt die Ansicht des Wissenschaftsrats und begrüßt die Vorschläge zur Anpassung des Verhältnisses von Grundfinanzierung und Projektfinanzierung. “Dieses Verhältnis ist aus dem Gleichgewicht geraten. In keinem guten Verhältnis steht zudem der Aufwand, den es bedarf, um Drittmittel einzuwerben und zu verwalten, zu den Erfolgsaussichten sowie zu der Höhe der Einwerbung.”  

Kritik an Förderbürokratie: “Mehr Einfachheit walten lassen”

Gerade hat sie einen Antrag angeschaut, mit dem die Fortsetzung einer Drittmittel-Förderung beantragt werden soll. Der Verbund hat schon viele Jahre gemeinsamer erfolgreicher Forschung hinter sich. Dennoch müssten in dem Fortsetzungsantrag auf vier Seiten kleinteiliger Excel-Tabellen alle Geräte aufgelistet werden, die angeschafft wurden – mit Datum und Kosten. “Das alles, um zu belegen, dass auch für die Zukunft das notwendige Equipment vorhanden ist, um diese Forschung weiterzubetreiben. Ich bin sicher, dass man da etwas mehr Einfachheit walten lassen könnte.” 

 Es sei klar, dass Missbrauch verhindert werden müsse. “Aber warum nicht dennoch den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mehr vertrauen, dass sie das Geld nicht für unsinnige Dinge ausgeben?”, fragt die Uni-Chefin. Von hundert Wissenschaftlern wollten 98 nichts lieber, als ungestört forschen. Es mag zwei geben, die das Vertrauen missbrauchen. Aber es ist die Frage, ob man die anderen 98 dafür unnötig mit Bürokratie belasten müsse. Die beiden Übeltäter finden auch bei noch so strengen Vorschriften einen Weg.

Institutionen wie Universitäten neigen dazu, größer zu werden

Das BMBF oder auch das Wirtschaftsministerium könnten hier Vorgaben überarbeiten – oder die DFG, findet Steinbeck. “Da müssen sich die Universitäten natürlich auch ein wenig an die eigene Nase fassen. Denn die Universitäten sind ja die Mitglieder der DFG und haben als solche Mitgliedschaftsrechte.” Aber so ein Bürokratieabbau sei nicht ganz einfach, die DFG eine sehr große Institution – und bekanntermaßen neigten Institutionen dazu, sich neue Arbeitsgebiete zu schaffen und größer zu werden. Das ist an einer Universität nicht anders. Daher muss man hin und wieder das Messer ansetzen und einige alten Zöpfe abschneiden.  

Für ihr eigenes Haus wünscht sich Anja Steinbeck mehr interdisziplinäres Arbeiten. “Wir haben in allen Bereichen hervorragende Forscherinnen und Forscher. Ich bin aber manchmal erstaunt, wie wenig die Einzelnen über die Forschungsgebiete der benachbarten Disziplinen wissen.” Das sei kein Vorwurf. Als sie noch ihren Lehrstuhl für Gewerblichen Rechtsschutz an der Universität zu Köln hatte, habe sie zunächst auch nicht gewusst, ob und welche Anknüpfungspunkte ihre Forschung mit etwa den Sprachwissenschaften hat.   Aber als Rektorin sehe sie die vielen Forschungsprojekte in ihrer Breite und da fallen die Überschneidungen auf. “Bei einer Zusammenarbeit würde die Forschung noch besser werden. Darum werde ich mich bemühen.”  

Das ganze Interview lesen Sie in unserer Rubrik “Was jetzt, Forschung?” Diese Reihe enthält Impulse aus den Gesprächen u. a. mit Jan Wörner (Acatech), Martina Brockmeier (Leibniz-Gemeinschaft), Rafael Laguna de la Vera (Sprind), Volker Meyer-Guckel (Stifterverband), Georg Schütte (VolkswagenStiftung), Otmar D. Wiestler (Helmholtz-Gemeinschaft) und Walter Rosenthal (Uni Jena).    

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Termine

15. Juni 2023, 20:00 Uhr bis 21:30 Uhr, Kulturzentrum Nirgendwo, Berlin-Friedrichshain
Wissenschaftsvarieté Wissenschaftsvarieté Astrophysik und unsere Vorstellung davon Mehr

19./20. Juni 2023, Berlin und online
Tag der Industrie des BDI #TDI23 – Zukunftswende Mehr

19./20. Juni 2023, Berlin und Online
Weizenbaum Conference AI, Big Data, Social Media, and people on the move Mehr

7. Juli 2023, 21:00 Uhr, Vortragssaal der Leopoldina, Jägerberg 1, 06108 Halle (Saale)
Unterhausdebatte Alles Wasserstoff! Oder was? Mehr

News

BMBF muss offenbar dreistelligen Millionenbetrag einsparen

Bettina Stark-Watzinger bleibt von den Sparvorgaben ihres FDP-Parteifreunds Christian Lindner nicht verschont. Vor etwa zwei Wochen erhielt auch das BMBF einen Brief von Haushaltsstaatssekretär Werner Gatzer, der einen klaren Ausgabedeckel für 2024 enthielt. Seitdem jongliert das Ministerium, um die eigenen Ausgabenwünsche dem Spielraum, den Lindner gewährt, anzupassen.

Der SPIEGEL berichtete, Stark-Watzinger müsse einen Sparbeitrag von 533 Millionen Euro schultern, und beruft sich auf “Aufstellungen, die in Kanzleramt und Finanzministerium kursieren”. Das BMBF will die konkrete Summe nicht bestätigen. In der mittelfristigen Finanzplanung, die das Kabinett vergangenes Jahr beschlossen hat, sind im Einzelplan 30 (Bildung und Forschung) für das kommende Jahr 20,8 Milliarden Euro vorgesehen. Das war, bevor Christian Lindner die Bildungsmilliarde versprochen hat. Unklar ist, in welcher Höhe das BMBF Ausgaben für 2024 beim Finanzministerium angemeldet hat, was also der Referenzwert der vermeintlichen Sparansage von 533 Millionen Euro ist.

Afghanistan-Schlüssel belastet das BMBF

Insgesamt klafft im Bundeshaushalt eine Lücke von etwa 20 Milliarden Euro und alle Ressorts, mit Ausnahme des Verteidigungsministeriums, sollen sich beteiligen, diese Lücke zu schließen. Die Planer im Finanzministerium greifen dafür auf den sogenannten Afghanistan-Schlüssel zurück. Dieser sieht vor, dass die Ministerien einen unterschiedlich hohen Beitrag zum Sparplan beisteuern müssen – je nach Größe ihrer disponiblen, also nicht bereits fest zugesagten, Ausgaben.

Bettina Stark-Watzinger erklärt bisher nicht, bei welchen konkreten Haushaltstiteln und Förderlinien sie den Rotstift ansetzen will. Das sei noch alles im Fluss, heißt es. Sowieso betrachtet sie den Haushalt als Gesamtkonstrukt und will nicht über einzelne Puzzlesteine diskutieren. Nach den aktuellen Planungen soll das Kabinett den Haushaltsentwurf am 5. Juli verabschieden – knapp vor der parlamentarischen Sommerpause. Nicola Kuhrt, Moritz Baumann

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Forschung in Europa: G6-Papier veröffentlicht 

Die Gruppe sechs großer europäischer Forschungsorganisationen (G6) hat in Form eines 36-seitigen White-Papers ihre Erwartungen an die zukünftige europäische Forschungspolitik skizziert. Unter dem Titel “The Future of European Research” veröffentlichte die G6 am Dienstag die Ergebnisse ihrer Beratungen, die im April auf dem bayerischen Schloss Ringberg stattgefunden hatten. 

Im Fokus stand dabei vor allem das 10. Forschungsrahmenprogramm der EU, das ab 2028 mit siebenjähriger Laufzeit einen wesentlichen Anteil der wissenschaftlichen Aktivitäten auf dem europäischen Kontinent finanzieren soll. Das gegenwärtig gültige 9. Forschungsrahmenprogramm (“Horizon Europe”) unterstützt im Zeitraum 2021 bis 2027 Wissenschaft und Innovation in Europa mit 98 Milliarden Euro. 

Kapitel über Konfliktthema Finanzierung fehlt bislang 

Über die Frage, wie es danach weitergehen soll, sprachen in Bayern Abgesandte des Consiglio Nazionale delle Ricerche (Italien), des Centre National de la Recherche Scientifique (Frankreich), der Consejo Superior de Investigaciones Científicas (Spanien), sowie der Helmholtz-Gemeinschaft, der Leibniz-Gemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft. Die sechs großen multidisziplinäre Forschungseinrichtungen verfügen gemeinsam über ein jährliches Gesamtbudget von 15,6 Milliarden Euro und beschäftigen rund 140.000 Mitarbeiter. 

Das Papier gliedert sich in sechs Kapitel, die zentrale Bereiche europäischer Forschungspolitik thematisieren: Das siebte Kapitel “Finanzierung der europäischen Forschung” fehlt. Gerade weil der Streit darüber das Rahmenprogramm “Horizon Europe” an seinem Beginn überschattet und den Start beträchtlich verzögert hatte. Aber für die Ringberg-Nachdenk-Runde war es offenbar zu früh, das konfliktreiche Geldthema schon jetzt aufs Tapet zu bringen. 

Schulen der Exzellenz und Prozess vor Impact 

Bei der Grundlagenforschung empfiehlt die G6, dass Europa mehr in “Schulen der Exzellenz” für Doktoranden und Postdocs investieren sollte. So könnte die nächste Generation kreativer Wissenschaftler stringenter auf die kommenden Forschungstopics vorbereitet werden. Beim Thema Energie betont die G6 einen “dringenden Bedarf”. Europa müsse sich als “treibende Kraft” bei der Transformation des Energiesystems positionieren. Die europäische Forschung könne eine globale Schlüsselrolle bei der Entwicklung einer neuen Generation von grünen, fossilfreien Technologien spielen.  

Bei der Innovation spricht sich die G6 für eine Verstärkung disruptiver Ansätze aus, wie sie in Deutschland etwa von der Bundesagentur Sprind verfolgt werden. Der Europäische Innovationsrat EIC war auch mit dieser Zielsetzung gegründet worden, hat sich aber noch keinen “Disruptions”-Namen machen können. Es überwiege der Mainstream “inkrementeller Innovationen”. Die G6-Autoren schlagen eine engere Kooperation von EIC und ERC vor, warnen aber vor Grenzüberschreitungen zwischen Grundlagenforschung und angewandter Entwicklung. Interessant in diesem Zusammenhang: Bei Projekten zur Innovationsförderung solle der Schwerpunkt “mehr auf den Prozess gelegt werden als auf den Impact, denn die Fokussierung auf letzteren reduziert die Kreativität”. mr 

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Nationale Sicherheit durch Innovationen

Die Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung, die am gestrigen Mittwoch vorgestellt wurde, betont die Bedeutung von Forschung und Wissenschaft für Deutschlands Widerstands- und Wettbewerbsfähigkeit. Diese würden auf einer hohen Innovationskraft und auf technologischer und digitaler Souveränität beruhen, heißt es in dem Papier. Die Bundesregierung kündigt Maßnahmen zur Stärkung von Wissenschaft und Forschung sowie der Innovationskraft von Unternehmen an. Zudem sollen Maßnahmen “zum Schutz vor illegitimer Einflussnahme” und “illegitimem Wissensabfluss” ergriffen werden.

Letzterer Punkt dürfte sich vor allem auf Forschungskooperationen mit China beziehen. An anderer Stelle wird das neue Verhältnis zu Peking dann auch explizit beschrieben: China sei gleichzeitig Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale. “Wir sehen, dass dabei die Elemente der Rivalität und des Wettbewerbs in den vergangenen Jahren zugenommen haben”, heißt es in dem Bericht. Konkrete Maßnahmen wie Förderprogramme oder neue Gesetze werden allerdings nicht benannt. Lediglich von “neuen Regeln” ist an einer Stelle die Rede.

Ziel: Souveränität stärken, Maßnahmen: wenig konkret

Auch einseitige Abhängigkeiten sollen durch technologieorientierte Forschung und Innovation abgebaut werden, heißt es in der Strategie. Die Regierung verweist dabei unter anderem auf Sprind und Dati. Darüber hinaus kündigt die Bundesregierung an, gezielt Anbieter kritischer Schlüsseltechnologien, zum Beispiel durch staatliche Ankeraufträge, zu unterstützen. Derartige Maßnahmen hatte auch die EFI-Kommission in ihrem diesjährigen Bericht für den Bereich Raumfahrt gefordert.

Auf europäischer Ebene will sich die Bundesregierung für mehr Investitionen in digitale Technologien einsetzen. “In der EU werden wir weiter auf eine Stärkung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für Entwicklung und Nutzung neuer Technologien hinarbeiten.” So soll die Standardisierung bei Schlüsseltechnologien vorangetrieben und auf eine Steigerung von Design- und Produktionskapazitäten für hochinnovative Technologien hingewirkt werden. Auch hier bleibt das Papier eher im Ungefähren.

Innovationspolitische Schwerpunkte: Cybersicherheit und Weltraum

Als innovationspolitische Schlüsselthemen für die Nationale Sicherheit hat die Bundesregierung die Felder Cybersicherheit und Raumfahrt ausgemacht. Cyberforschung soll auf technologische Umbrüche wie KI und Quantencomputing/-kryptografie ausgerichtet werden. Verwiesen wird dabei auf das bereits existierende Förderprogramm “Digital.Souverän.Sicher”.

Im Weltraum befürchtet die Regierung Angriffe auf die Satelliteninfrastruktur. Deshalb will man die “Resilienz von Satellitenkommunikation, -navigation und Erdbeobachtungsdaten” im Weltall und am Boden durch “Raumfahrtinfrastrukturen und Bodenstationen” stärken. Die Bundesregierung will dazu auch verstärkt Forschungseinrichtungen und private Akteure in die Weltraumsicherheitsarchitektur einbinden.

Sehr konkret wird der Bericht beim Thema Waffensysteme: Ausdrücklich wird in der Strategie die “Entwicklung und Einführung von Zukunftsfähigkeiten wie abstandsfähiger Präzisionswaffen” genannt. tg

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EU-Parlament will schärfere Regeln für Künstliche Intelligenz

Ein geplantes Gesetz zu schärferen Regeln für Künstliche Intelligenz (KI) in der EU hat eine weitere Hürde genommen. Das Europaparlament legte am Mittwoch in Straßburg seine Position für die Verhandlungen mit den EU-Ländern über die endgültige Form des sogenannten KI-Gesetzes fest. Demnach sollen KI-Systeme in verschiedene Risikogruppen eingeteilt werden. Je mehr Gefahr von der jeweiligen Anwendung ausgeht, desto strengere Regeln könnten gelten. Die Berichterstatter erhielten ein klares Verhandlungsmandat für den Trilog mit Rat und Kommission.

499 Abgeordnete stimmten am Mittwoch für den Vorschlag der Berichterstatter Brando Benifei (S&D) und Dragoş Tudorache (Renew). Es gab nur 28 Gegenstimmen sowie 93 Enthaltungen. Es hat keine weiteren Veränderungen gegenüber der bereits im IMCO- und LIBE-Ausschuss abgestimmten Version mehr gegeben.

Diskussion über Gesichtserkennung in Echtzeit

Auch komplette Verbote soll es geben, etwa von Gesichtserkennung in Echtzeit im öffentlichen Raum (Predictive Policing). Besonders um diesen Punkt wurde gerungen. Axel Voss von der CDU nannte das Verbot “bedauerlich” und eine “verpasste Chance”: “KI kann richtig angewandt bei der Strafverfolgung zu deutlich mehr Sicherheit für die Bevölkerung führen.” FDP-Digitalpolitikerin Svenja Hahn sagte dagegen: “Gesichtserkennung zur Überwachung kennen wir aus China, diese Anwendung von Technologie hat in einer liberalen Demokratie nichts zu suchen.” Aufzeichnungen könnten aber nach Angaben des Parlaments wohl unter bestimmten Voraussetzungen ausgewertet werden.

Beschlossen haben die Parlamentarier außerdem:

  • ein Verbot von nachträglichen Fernerkennungssystemen zur biometrischen Identifizierung, mit der einzigen Ausnahme von Strafverfolgungsbehörden zur Verfolgung schwerer Straftaten und nur nach richterlicher Genehmigung
  • generative KI-Systeme wie ChatGPT müssen offenlegen, dass der Inhalt durch KI generiert wurde
  • KI-Systeme, die zur Beeinflussung von Wählern bei Wahlen eingesetzt werden, gelten als hochriskant

Trilog bereits gestartet

Noch am Mittwochabend sollte das Auftakttreffen zum Trilog stattfinden. Binnenmarktkommissar Thierry Breton erklärte, er habe bereits begonnen, mit KI-Unternehmen und Entwicklern an dem von ihm vorgeschlagenen AI Pact zu arbeiten, um der Umsetzung des künftigen Gesetzes zuvorzukommen. Ende kommender Woche werde er dazu nach San Francisco reisen, um unter anderem Mark Zuckerberg von Meta und Sam Altman von OpenAI zu treffen. vis / dpa

Presseschau

Correctiv – Der Quanten-Coup. Der chinesische Wissenschaftler Pan Jianwei hat in Heidelberg und Hefei zu Quantenkommunikation geforscht. Der profilierte Physiker war an einigen der größten Durchbrüche der anwendungsbezogenen Quantenforschung in China beteiligt. Die Uni Heidelberg und einzelne Forscher stehen nun in der Kritik, einen zu großen Abfluss von Wissen nach China zugelassen zu haben. Das Land setzt sich derzeit in der Hochtechnik an die Spitze. Viele der Technologien haben auch militärische Anwendungen. Mehr

Süddeutsche Zeitung – Was zu beweisen war. Mathematische Beweise werden immer komplexer und länger. Begutachtungsprozesse in wissenschaftlichen Magazinen stoßen an ihre Grenzen. Gutachter brauchen teilweise Jahre, um die Beweise zu überprüfen. Mit der von Microsoft entwickelten Software Lean wurden nun erste Erfolge erzielt. Programme können allerdings bislang nur Hilfsmittel sein. Denn nur der Mensch erkennt, ob Mathematik profund ist. Mehr

Tagesspiegel – Berliner Hochschulverträge. Die Zeit wird knapp zum Verhandeln. Seit den Neuwahlen liegen die Verhandlungen über die Hochschulverträge in Berlin auf Eis. Anfang Juli sollen sie wieder starten. Eine Einigung noch in diesem Jahr ist aufgrund des Zeitplans unwahrscheinlich. Schwarz-Rot hat angekündigt, die Landeszuschüsse jährlich um fünf Prozent zu erhöhen. Den Hochschulen reicht das nicht, die Chemie scheint aber zu stimmen. Mehr

Nature – Revealed: the millions of dollars in time wasted making papers fit journal guidelines. Eine Analyse hat ergeben, dass im Jahr 2021 weltweit 230 Millionen US-Dollar in Form von Arbeitszeit verschwendet wurden, um wissenschaftliche Arbeiten für biomedizinische Fachzeitschriften zu formatieren. Die Autoren der Analyse empfehlen eine Lösung, bei der Forscher ihre Manuskripte nach minimalen strukturellen Anforderungen einreichen können, anstatt den spezifischen Formatierungsrichtlinien unterschiedlicher Journals zu folgen. Mehr

Personalien

Ken Andersen wird Mitte Oktober neuer Direktor am Institut Laue-Langevin (ILL) im französischen Grenoble. Das ILL ist eine der weltweit führenden Einrichtungen auf dem Gebiet der Neutronenforschung und -technologie. Das Forschungszentrum Jülich ist der deutsche Gesellschafter des ILL. Andersen ist derzeit stellvertretender Labordirektor für Neutronenwissenschaften am Oak Ridge National Laboratory in den USA.

Konstanze Döhner wird Präsidentin der Europäischen Fachgesellschaft für Hämatologie. Nach einer zweijährigen Periode als President Elect wird sie das Amt im Juni 2025 übernehmen. Döhner ist Oberärztin an der Klinik für Innere Medizin III am Universitätsklinikum Ulm. Sie erforscht die genetischen Grundlagen von Leukämien und entwickelt personalisierte Behandlungsstrategien.

Thomas Feurer wird neuer Vorsitzender der European XFEL Geschäftsführung. Der Laser-Physiker leitet derzeit das Institut für angewandte Physik an der Universität Bern und wechselt Anfang 2024 zum European XFEL nach Hamburg. Er folgt auf den dänischen Physiker Robert Feidenhans’l, der in den Ruhestand geht.

Ruth Narmann ist seit 1. Juni neue Leiterin der Abteilung Internationale Beziehungen der Leopoldina. Sie folgt auf Marina Koch-Krumrei, die in den Ruhestand getreten ist. Narmann hat Sinologie, Amerikanistik und Allgemeine Rhetorik studiert.

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Bildung.Table. Digitalpakt 2: “Lauter Aufschrei aus allen Ländern”. KMK-Präsidentin Katharina Günther-Wünsch (CDU) äußert im Interview die Befürchtung, dass der Bund den Digitalpakt nicht fortsetzt. Sie hat zudem Zweifel an offiziellen Prognosen der KMK zum Lehrkräftemangel. Unter ihr soll die Kultusministerkonferenz weniger Beschlüsse hinter verschlossener Tür fällen. Mehr

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“Scientists need to get out of the lab and into the rain.” Das sagt eine interdisziplinäre Forschergruppe unter der Leitung von John T. Van Stan von der Cleveland State University. In der Zeitschrift BioScience plädieren die Autoren dafür, dass die Beobachtung von Sturmereignissen durch den Menschen der Schlüssel zum Verständnis des nassen Wetters und seiner unzähligen Auswirkungen auf die Natur ist. 

Zuvor stellten Van Stan und seine Kollegen einen Trend in der wissenschaftlichen Gemeinschaft fest, sich bei der Untersuchung von Stürmen und deren Folgen auf Fernerkundung zu verlassen: “Naturwissenschaftler scheinen sich zunehmend damit zufriedenzugeben, im Trockenen zu bleiben und sich auf Fernsensoren und -probenehmer, Modelle und virtuelle Experimente zu verlassen, um natürliche Systeme zu verstehen.” Dadurch verpasse man wichtige “stürmische Phänomene, fantasievolle Inspirationen und Gelegenheiten zur Entwicklung von Intuition” – alles Dinge, die für den wissenschaftlichen Fortschritt entscheidend seien. Diese Art von Regenschirm-Wissenschaft, warnen sie, kann wichtige lokale Ereignisse übersehen. 

Die Erkenntnisse ließen sich vermutlich auch auf andere Disziplinen übertragen: Tiefseeforscher sollten ab und an in die Tiefen des Meers abtauchen; Archäologen den Pinsel in die Hand nehmen und Sozialwissenschaftler in die Interaktion mit gesellschaftlichen Gruppen gehen. Markus Weisskopf  

  • Forschung

Research.Table Redaktion

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    im Gesundheitssystem haben wir den Anschluss verpasst. Wer jetzt an die gelebte Praxis denkt, in der Ärzte immer noch mit Fax-Geräten arbeiten, liegt nicht ganz falsch. Deutschland sei bis zu 17 Jahre hinterher, es fehle eine Digitalstrategie, sagt Mediziner Ferdinand Gerlach, bis Januar Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. 

    Immerhin: In Politik und Wissenschaft besteht Einigkeit, dass es für eine exzellente Gesundheitsversorgung und -forschung eine bessere Sammlung, Speicherung und Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten brauche. Fünf Gesetze sollen das System und die Forschung nach vorn bringen: Markus Weisskopf berichtet.

    Beim 11. Nationalen Mint Gipfel am gestrigen Mittwoch forderte Bundeskanzler Olaf Scholz eine Umstellung von “zu wenig auf sehr viel”. Um diesen Schub zu bekommen, brauche es aber eine deutlichere Priorisierung des Mint-Themas, sagte uns Ekkekard Winter, Co-Sprecher des Nationalen Mint Forums. Welche Schritte noch erforderlich sind, lesen Sie im Interview.

    In der Nationalen Sicherheitsstrategie finden sich die Begriffe Wissenschaft, Forschung und Innovation an vielen Stellen. Die Regierung setzt auf neue Technologien, wenn es um unsere Sicherheit geht. So sollen für den Cyberraum, das Weltall aber auch mögliche Kampfeinsätze neue Technologien entwickelt werden. Nach konkreten neuen förderpolitischen Maßnahmen für die Sicherheitsforschung sucht man in dem Papier allerdings vergebens.

    Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre,

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    Nicola Kuhrt
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    Analyse

    “Mint gehört in den Fokus”

    Ekkehard Winter ist Co-Sprecher des Nationalen Mint Forums und Geschäftsführer der Telekom Stiftung.

    Für Ekkehard Winter ist klar: “Mint sollte stärker bei der Umsetzung der Fachkräftestrategie vorkommen.” Immerhin sei die Mint-Bildung ein wichtiger Hebel, um dem überall um sich greifenden Fachkräftemangel entgegenzutreten.

    Beim 11. Nationalen Mint Gipfel am gestrigen Mittwoch forderte auch Bundeskanzler Olaf Scholz eine Umstellung von “zu wenig auf sehr viel”. Um diesen Schub zu bekommen, brauche es aber eine deutlichere Priorisierung des Mint-Themas, meint Winter. Die Mint-Bildung sollte bei der Umsetzung der Fachkräftestrategie der Bundesregierung vor die Klammer kommen und als eigener Handlungsstrang weiterverfolgt werden. Neben den Folgeprozessen für das Handwerk, für den Mittelstand oder für Start-ups brauche es auch einen eigenen Prozess für das Thema Mint, sagt der Co-Sprecher des Nationalen Mint Forums.

    Probleme in den Schulen und hohe Studienabbrecherquoten

    Neben der demografischen Entwicklung sieht Winter noch einige andere aktuelle Herausforderungen. “Wir erwarten ein katastrophales Ergebnis bei Pisa im Herbst”, sagt er. Zu den schulischen Problemen komme, dass viele ein Mint-Studium scheuen oder dann abbrechen. Da müsste man sich “wahnsinnig drum kümmern”. Sprich: Es bräuchte viele Ressourcen an den Hochschulen, um weniger Abbrecher zu produzieren. Und: Bei jungen Frauen ist unter den zehn beliebtesten Berufen immer noch kein einziger Mint-Beruf.

    Haben die vielen Initiativen – gerade auch für Mädchen (Stichwort Girls’ Day) – also nichts gebracht? Winter verweist auf die immerhin im Durchschnitt der vergangenen 15 Jahre positive Entwicklung bei den Studiengängen. Aber “wir haben die duale Berufsausbildung vernachlässigt”. Die Unternehmen verstünden teilweise nicht, wie junge Frauen angesprochen werden müssten. Oft sei es hier nicht die technische Perspektive eines Berufs, sondern der Zweck – zum Beispiel etwas zur Energiewende beizutragen – der stärker kommuniziert werden müsste. Und noch etwas ist Winter wichtig: “Der Besuch eines Girls’ Days kann im Einzelfall einen positiven Impact haben, reicht aber alleine nicht aus. Wir brauchen Angebote für die komplette Laufbahn.”

    “Ein Girls’ Day reicht nicht”

    Zwei Dinge seien dafür wichtig: wirkungsvolle, gut evaluierte Angebote sowie eine sinnvolle horizontale und vertikale Vernetzung. Als Positivbeispiel hebt Winter Rheinland-Pfalz hervor. “Dort arbeiten alle zusammen. Vier Ministerien tragen eine gemeinsame Strategie.” Aber auch in anderen Bundesländern gebe es positive Entwicklungen. Und natürlich sei es durch den Mint-Aktionsplan des BMBF vorangegangen. Durch die Mint-Regionen, die Vernetzung vor Ort betreiben, aber auch durch die Vernetzungsstelle, die die Akteure übergreifend zusammenbringt.

    “Wir können auf niemanden mehr verzichten – auch nicht an den Unis”

    Auch die Wirtschaft und die Wissenschaftsorganisationen sind gefordert. Die Unternehmen “sind unglaublich aktiv, es gibt viele tolle Beispiele, aber diese skalieren nicht”. Ob gerade Forschungseinrichtungen und Unternehmen zu sehr nur die “low hanging fruits” im Blick haben und sich beispielsweise eben nicht nachhaltig genug auch um schwierige Zielgruppen kümmern, mag er nicht einschätzen. Klar ist für ihn, dass angesichts der Krise niemand in der Uni mehr sagen kann “auf diese Hälfte verzichten wir”. Man muss sich auch um die bemühen, die nicht schon bei Jugend forscht dabei waren sowie um die, die im Studium Probleme haben.

    Die Mint-Bildung soll sich öffnen

    Und natürlich soll sich auch die Mint-Szene bewegen. Wir müssen uns fragen “wie kommt Mint daher?”, meint Winter. Das disziplinäre Denken, das in den Schulen vorherrscht, ist auch in den außerschulischen Angeboten präsent. Dabei seien “die heißen Themen, die die jungen Menschen interessieren, interdisziplinär”. Es gibt derzeit eine Arbeitsgruppe, die die Öffnung hin zu STEAM (science, technology, engineering, arts, mathematics) markieren soll. STEAM steht im angelsächsischen Raum für die Weiterentwicklung vom klassischen STEM hin zu den Geistes- und Sozialwissenschaften.

    Darüber hinaus brauche es eine stärkere Zusammenarbeit mit anderen Bereichen. Die Wissenschaftskommunikation beispielsweise behandele häufig ähnliche Themen und ähnliche Zielgruppen. Eine wirkliche Zusammenarbeit gebe es aber kaum. Das Silodenken scheint in beiden Bereichen fest verankert. Mit der Allianz der Wissenschaftsorganisationen habe man dazu bereits Gespräche geführt. Auch mit dem Angebot, deren Themen stärker in die eigenen Angebote zu integrieren. Noch ist nichts daraus geworden.

    Daran – und an den anderen Baustellen – darf ab dem 1. August sein Nachfolger, Carsten Busch, arbeiten. Ekkehard Winter scheidet dann aus Altersgründen nicht nur als Geschäftsführer der Telekom Stiftung, sondern auch als Co-Sprecher des Nationalen Mint Forums aus.

    • MINT

    Gesundheitsdaten: Alle wollen den großen Wurf

    Deutschland hat im Gesundheitssystem den Anschluss verpasst. “Wir haben keine gute Digitalisierung der Versorgung und keine gute Nutzbarkeit von Forschungsdaten“, bemängelte Gesundheitsminister Karl Lauterbach kürzlich. Die Folgen: Forschende Unternehmen beklagen sich – und kehren Deutschland irgendwann den Rücken. Wie etwa das Biotechnologieunternehmen Biontech, das ein neues Krebsforschungszentrum bei London aufbaut

    Das Ziel: Ein “Echtzeitdaten-Gesundheitssystem” 

    Deutschland sei inzwischen 15 bis 17 Jahre hinterher, und es fehle bisher eine Digitalstrategie, sagt Ferdinand Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin an der Goethe-Universität Frankfurt und bis Januar Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. 

    In Politik und Wissenschaft ist man sich einig, dass es für eine exzellente Gesundheitsversorgung und -forschung in Deutschland eine bessere Sammlung, Speicherung und Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten braucht. Für Ferdinand Gerlach fehlt es zudem an einer konsistenten Zielorientierung. Seine Vision ist die eines “Echtzeitdaten-Gesundheitssystems”, in dem insbesondere Cloud- und KI-Anwendungen möglich sind. Die Idee ist, dass “für jeden Bürger ein persönlicher Gesundheitsdatenraum besteht”. Dieser wäre dann eingebettet in den nationalen und den europäischen Gesundheitsdatenraum. 

    Fünf Gesetze sollen Deutschland nach vorne bringen 

    In Deutschland sind derzeit fünf Gesetze in Vorbereitung, die das Thema voranbringen sollen: 

    • Das Digitalgesetz (BMG): Zentral ist hier die Regelung zur Einführung der elektronischen Patientenakte. Hier soll Ende 2024 ein Opt-out-System eingeführt werden, um bis 2025 mindestens 80 Prozent der Versicherten in das System zu überführen. Das wäre die Basis für die Sammlung der Daten.  
    • Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (BMG): Das GDNG soll die Leitplanken festlegen, wie Daten gesammelt und ausgewertet werden und wer sie nutzen darf. Ein Referentenentwurf wird für Ende Juni erwartet. 
    • Das Registergesetz (BMG): Das Registergesetz muss zentrale Fragen wie die nach der Harmonisierung der mehr als 400 medizinischen Register in Deutschland oder aber nach Datenstandards, Interoperabilität und Zugriffsmöglichkeiten klären. Das Gesetz soll im Herbst kommen. 
    • Die Neufassung des Paragrafen 64e zum Modellvorhaben Genomsequenzierung (BMG): Der Start des Modellvorhabens Genomsequenzierung hat sich vom 1.1.2023 auf den 1.1.2024 verschoben. Nun soll in einer Neufassung des Paragrafen 64e SGB V geklärt werden, wie und vor allem wo in Zukunft Daten aus Genomsequenzierungen von Krebspatienten oder Patienten mit seltenen Erkrankungen gespeichert werden. Ein Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zum 64e wurde am Wochenende veröffentlicht.
    • Das Forschungsdatengesetz (BMBF): Mit dem im Koalitionsvertrag vorgesehenen Forschungsdatengesetz will das BMBF den Zugang zu Daten für die Wissenschaft verbessern und Rahmenbedingungen für die Weitergabe, Aufbewahrung und Sicherung gestalten. Auch hier soll ein Referentenentwurf noch bis Ende Juni vorliegen. 

    Gesundheitsdaten: Die Herausforderungen 

    Die Verknüpfung: In der Szene befürchten einige, dass die Verknüpfungen zwischen den Gesetzen und auch mit dem EHDS nicht ausreichen werden. Daten würden dann weiterhin an unterschiedlichen Orten und mit unterschiedlichen Infrastrukturen gespeichert. Es brauche ein Denken über die Legislaturperiode hinaus, um nachhaltige Strukturen zu schaffen. Gerlach hingegen ist vorsichtig optimistisch. Es gebe mittlerweile einige digital affine Politiker, die die Dringlichkeit und die Herausforderungen erkannt haben und die Dinge vorantreiben.

    Der Datenschutz: “Man sehe in Deutschland häufig nur die Risiken und selten den Nutzen, wenn es um die Nutzung von Daten geht”, sagte Tobias Schulz, Policy and Public Affairs-Manager bei Pfizer. Immerhin: Mittlerweile ist vielen klar, dass man sich keinen Datenschutz deutscher Prägung mehr leisten kann, in dem 19 Datenschutzverantwortliche bei jeder Studie mitreden können. Nach den Eckpunkten des GDNG soll in Zukunft nur noch die jeweilige Landesbehörde zustimmen – und das dann für alle gelten (federführende Datenschutzaufsicht).  

    Und natürlich geht es noch um die Form der Einwilligung. Die “research exemption” in Artikel 9, Absatz 2 der DSGVO würde sogar eine zustimmungsfreie Nutzung von Daten für Forschungszwecke erlauben. Diese könnte nach Ansicht von Experten nun in das Gesundheitsdatennutzungsgesetz überführt werden, wenngleich eine Anpassung auf ein Opt-out-System auch hier erwartet wird. 

    Die Dateninfrastruktur: Die Ansiedlung des Forschungsdatenzentrums am BfArM wird immer wieder kritisiert. Für die Genomsequenzierung soll das BfArM jetzt als “Plattformträger” fungieren, heißt es in dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen. Allein mit behördlichen Strukturen und behördlichem Handeln seien Strategie und Architektur für eine Dateninfrastruktur nicht zu erreichen, meint Sebastian Semler von der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung (TMF). Es bedürfe einer handlungsfähigen und -willigen wissenschaftlich geleiteten Steuerung und einer konsequenten Service-Orientierung unter Einbeziehung aller Beteiligten, insbesondere auch der Patienten.  

    Nutzungsrechte: Hier ist die Frage, ob sich das Nutzungsrecht nach dem Nutzer oder nach dem Zweck richten soll. Derzeit sieht es danach aus, dass es keine Einschränkungen des Nutzerkreises geben soll. Entscheidend soll sein, ob die Nutzung der Daten gemeinwohldienlich ist. Immerhin: Kommerzielle Nutzer sollen für die Nutzung zur Kasse gebeten werden. “Dagegen verschließe man sich nicht prinzipiell”, sagt der Pfizer-Experte Tobias Schulz. Das hänge aber von der konkreten Ausgestaltung ab. Wichtig sei, dass der Beitrag der privatwirtschaftlichen Forschung anerkannt werde. 

    MII-Pilotprojekt: erste konkrete Schritte 

    Es bewegt sich etwas. Kürzlich kam die Meldung, dass das Forschungsdatenportal für Gesundheit der Medizininformatikinitiative (MII) nun für alle Forschenden geöffnet wird. Hier werden die Daten nicht zentral gespeichert. Die Datenhoheit verbleibt bei den einzelnen Standorten. Wenn diese die Datennutzung für das Forschungsprojekt bewilligen, werden die pseudonymisierten Daten dem Forschenden zentral über das Portal bereitgestellt.

    Die rechtliche Grundlage für die Datenspenden der Patienten wurde von der MII in Form einer einheitlichen Einwilligungserklärung zur breiten Nutzung von Patientendaten, Krankenkassendaten und Biomaterialien für zukünftige Forschungszwecke (Broad Consent) erarbeitet. Pfizer und auch Abgeordnete begrüßen dieses Pilotprojekt und sehen es als einen Baustein, den es zu integrieren gelte. 

    Alle sind jetzt gespannt auf die kommenden Entwürfe aus BMG und BMBF. Bleibt noch ein Punkt, der für alle wichtig scheint: die Kommunikation. Man dürfe diese nicht wieder vergessen, oder ans Ende schieben. “Eigentlich müsste die Kommunikation heute beginnen”, sagt Tobias Schulz. Und Gerlach bestätigt: “Wir müssen die Menschen mitnehmen. Wir müssen den einzelnen Zielgruppen klarmachen, welchen enormen Nutzen sie konkret haben.”  
     

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    Anja Steinbeck: Transfer-Initiativen bündeln

    Anja Steinbeck, Rektorin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und HRK-Sprecherin der Universitäten.

    Sorgen macht Anja Steinbeck aktuell der Denkmalschutz. “Die Düsseldorfer Universität ist in den Sechzigerjahren gebaut worden, also eher im Stil des Brutalismus. Das kann man schön finden oder nicht – ich finde es gar nicht so hässlich”, sagt die Rektorin. Das Problem sei aber, dass der Denkmalschutz so weit gehe, dass die Labore nicht mehr sachgerecht und in einem überschaubaren Zeitraum umgebaut werden können und deswegen die Forschung gefährdet wird, “was natürlich eine Katastrophe wäre”. Die Fragen nach der Instandhaltung von Gebäuden sei für viele Universitäten ein großes Thema.

    Die Herausforderungen, die die Corona-Pandemie und auch der Krieg Russlands gegen die Ukraine bedeuteten, konnte die HHD gut abfedern. Es wurde und wird weiter Energie gespart, was bei Unterrichtsformaten möglich war, wurde auf digitale Formate umgestellt.

    Balance zwischen Grundlagenforschung und Anwendungsbezug

    Der Wunsch nach einer guten Balance zwischen grundlagenorientierter und anwendungsorientierter Forschung – und dann auch dem notwendigen Transfer – ist Anja Steinbeck ebenfalls sehr wichtig. “Es gibt immer die Sorge, dass der Schwerpunkt zu sehr auf dem einen oder dem anderen liegt. Wir konnten gerade am Beispiel von Biontech sehen, wie wichtig Grundlagenforschung ist.” Ohne die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung wäre es nicht möglich gewesen, in so kurzer Zeit einen Impfstoff zu entwickeln.

    “Auf der anderen Seite nützt uns alle Forschung nichts, wenn das Wissen nicht in die Anwendung gebracht wird.” Steinbeck nimmt dabei eine Vielzahl von Initiativen und Programmen in Deutschland wahr. “Aufgrund des Föderalismus, aber auch aufgrund ihrer Verankerung in verschiedenen Bundesministerien” seien diese nicht aufeinander abgestimmt. “Es wäre sehr wichtig, dies alles kritisch zu hinterfragen und unter einem Dach zu bündeln.”  

    Kein Gleichgewicht bei Grund- und Projektfinanzierung 

     Dazu sollte eine stärkere Förderung etwa von Start-ups erfolgen, dabei sollte allerdings zuerst überlegt werden, wie die Situation der Hochschulen verbessert werden kann, ohne zusätzliche finanzielle Mittel in die Hand zu nehmen. “Ich denke an die Bereiche, Hochschulfinanzierung, Ausbau des europäischen Forschungsraums, Einbindung der Wissenschaft in politische Prozesse oder Personalentwicklung.”  

     Anja Steinbeck teilt die Ansicht des Wissenschaftsrats und begrüßt die Vorschläge zur Anpassung des Verhältnisses von Grundfinanzierung und Projektfinanzierung. “Dieses Verhältnis ist aus dem Gleichgewicht geraten. In keinem guten Verhältnis steht zudem der Aufwand, den es bedarf, um Drittmittel einzuwerben und zu verwalten, zu den Erfolgsaussichten sowie zu der Höhe der Einwerbung.”  

    Kritik an Förderbürokratie: “Mehr Einfachheit walten lassen”

    Gerade hat sie einen Antrag angeschaut, mit dem die Fortsetzung einer Drittmittel-Förderung beantragt werden soll. Der Verbund hat schon viele Jahre gemeinsamer erfolgreicher Forschung hinter sich. Dennoch müssten in dem Fortsetzungsantrag auf vier Seiten kleinteiliger Excel-Tabellen alle Geräte aufgelistet werden, die angeschafft wurden – mit Datum und Kosten. “Das alles, um zu belegen, dass auch für die Zukunft das notwendige Equipment vorhanden ist, um diese Forschung weiterzubetreiben. Ich bin sicher, dass man da etwas mehr Einfachheit walten lassen könnte.” 

     Es sei klar, dass Missbrauch verhindert werden müsse. “Aber warum nicht dennoch den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mehr vertrauen, dass sie das Geld nicht für unsinnige Dinge ausgeben?”, fragt die Uni-Chefin. Von hundert Wissenschaftlern wollten 98 nichts lieber, als ungestört forschen. Es mag zwei geben, die das Vertrauen missbrauchen. Aber es ist die Frage, ob man die anderen 98 dafür unnötig mit Bürokratie belasten müsse. Die beiden Übeltäter finden auch bei noch so strengen Vorschriften einen Weg.

    Institutionen wie Universitäten neigen dazu, größer zu werden

    Das BMBF oder auch das Wirtschaftsministerium könnten hier Vorgaben überarbeiten – oder die DFG, findet Steinbeck. “Da müssen sich die Universitäten natürlich auch ein wenig an die eigene Nase fassen. Denn die Universitäten sind ja die Mitglieder der DFG und haben als solche Mitgliedschaftsrechte.” Aber so ein Bürokratieabbau sei nicht ganz einfach, die DFG eine sehr große Institution – und bekanntermaßen neigten Institutionen dazu, sich neue Arbeitsgebiete zu schaffen und größer zu werden. Das ist an einer Universität nicht anders. Daher muss man hin und wieder das Messer ansetzen und einige alten Zöpfe abschneiden.  

    Für ihr eigenes Haus wünscht sich Anja Steinbeck mehr interdisziplinäres Arbeiten. “Wir haben in allen Bereichen hervorragende Forscherinnen und Forscher. Ich bin aber manchmal erstaunt, wie wenig die Einzelnen über die Forschungsgebiete der benachbarten Disziplinen wissen.” Das sei kein Vorwurf. Als sie noch ihren Lehrstuhl für Gewerblichen Rechtsschutz an der Universität zu Köln hatte, habe sie zunächst auch nicht gewusst, ob und welche Anknüpfungspunkte ihre Forschung mit etwa den Sprachwissenschaften hat.   Aber als Rektorin sehe sie die vielen Forschungsprojekte in ihrer Breite und da fallen die Überschneidungen auf. “Bei einer Zusammenarbeit würde die Forschung noch besser werden. Darum werde ich mich bemühen.”  

    Das ganze Interview lesen Sie in unserer Rubrik “Was jetzt, Forschung?” Diese Reihe enthält Impulse aus den Gesprächen u. a. mit Jan Wörner (Acatech), Martina Brockmeier (Leibniz-Gemeinschaft), Rafael Laguna de la Vera (Sprind), Volker Meyer-Guckel (Stifterverband), Georg Schütte (VolkswagenStiftung), Otmar D. Wiestler (Helmholtz-Gemeinschaft) und Walter Rosenthal (Uni Jena).    

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    Termine

    15. Juni 2023, 20:00 Uhr bis 21:30 Uhr, Kulturzentrum Nirgendwo, Berlin-Friedrichshain
    Wissenschaftsvarieté Wissenschaftsvarieté Astrophysik und unsere Vorstellung davon Mehr

    19./20. Juni 2023, Berlin und online
    Tag der Industrie des BDI #TDI23 – Zukunftswende Mehr

    19./20. Juni 2023, Berlin und Online
    Weizenbaum Conference AI, Big Data, Social Media, and people on the move Mehr

    7. Juli 2023, 21:00 Uhr, Vortragssaal der Leopoldina, Jägerberg 1, 06108 Halle (Saale)
    Unterhausdebatte Alles Wasserstoff! Oder was? Mehr

    News

    BMBF muss offenbar dreistelligen Millionenbetrag einsparen

    Bettina Stark-Watzinger bleibt von den Sparvorgaben ihres FDP-Parteifreunds Christian Lindner nicht verschont. Vor etwa zwei Wochen erhielt auch das BMBF einen Brief von Haushaltsstaatssekretär Werner Gatzer, der einen klaren Ausgabedeckel für 2024 enthielt. Seitdem jongliert das Ministerium, um die eigenen Ausgabenwünsche dem Spielraum, den Lindner gewährt, anzupassen.

    Der SPIEGEL berichtete, Stark-Watzinger müsse einen Sparbeitrag von 533 Millionen Euro schultern, und beruft sich auf “Aufstellungen, die in Kanzleramt und Finanzministerium kursieren”. Das BMBF will die konkrete Summe nicht bestätigen. In der mittelfristigen Finanzplanung, die das Kabinett vergangenes Jahr beschlossen hat, sind im Einzelplan 30 (Bildung und Forschung) für das kommende Jahr 20,8 Milliarden Euro vorgesehen. Das war, bevor Christian Lindner die Bildungsmilliarde versprochen hat. Unklar ist, in welcher Höhe das BMBF Ausgaben für 2024 beim Finanzministerium angemeldet hat, was also der Referenzwert der vermeintlichen Sparansage von 533 Millionen Euro ist.

    Afghanistan-Schlüssel belastet das BMBF

    Insgesamt klafft im Bundeshaushalt eine Lücke von etwa 20 Milliarden Euro und alle Ressorts, mit Ausnahme des Verteidigungsministeriums, sollen sich beteiligen, diese Lücke zu schließen. Die Planer im Finanzministerium greifen dafür auf den sogenannten Afghanistan-Schlüssel zurück. Dieser sieht vor, dass die Ministerien einen unterschiedlich hohen Beitrag zum Sparplan beisteuern müssen – je nach Größe ihrer disponiblen, also nicht bereits fest zugesagten, Ausgaben.

    Bettina Stark-Watzinger erklärt bisher nicht, bei welchen konkreten Haushaltstiteln und Förderlinien sie den Rotstift ansetzen will. Das sei noch alles im Fluss, heißt es. Sowieso betrachtet sie den Haushalt als Gesamtkonstrukt und will nicht über einzelne Puzzlesteine diskutieren. Nach den aktuellen Planungen soll das Kabinett den Haushaltsentwurf am 5. Juli verabschieden – knapp vor der parlamentarischen Sommerpause. Nicola Kuhrt, Moritz Baumann

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    Forschung in Europa: G6-Papier veröffentlicht 

    Die Gruppe sechs großer europäischer Forschungsorganisationen (G6) hat in Form eines 36-seitigen White-Papers ihre Erwartungen an die zukünftige europäische Forschungspolitik skizziert. Unter dem Titel “The Future of European Research” veröffentlichte die G6 am Dienstag die Ergebnisse ihrer Beratungen, die im April auf dem bayerischen Schloss Ringberg stattgefunden hatten. 

    Im Fokus stand dabei vor allem das 10. Forschungsrahmenprogramm der EU, das ab 2028 mit siebenjähriger Laufzeit einen wesentlichen Anteil der wissenschaftlichen Aktivitäten auf dem europäischen Kontinent finanzieren soll. Das gegenwärtig gültige 9. Forschungsrahmenprogramm (“Horizon Europe”) unterstützt im Zeitraum 2021 bis 2027 Wissenschaft und Innovation in Europa mit 98 Milliarden Euro. 

    Kapitel über Konfliktthema Finanzierung fehlt bislang 

    Über die Frage, wie es danach weitergehen soll, sprachen in Bayern Abgesandte des Consiglio Nazionale delle Ricerche (Italien), des Centre National de la Recherche Scientifique (Frankreich), der Consejo Superior de Investigaciones Científicas (Spanien), sowie der Helmholtz-Gemeinschaft, der Leibniz-Gemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft. Die sechs großen multidisziplinäre Forschungseinrichtungen verfügen gemeinsam über ein jährliches Gesamtbudget von 15,6 Milliarden Euro und beschäftigen rund 140.000 Mitarbeiter. 

    Das Papier gliedert sich in sechs Kapitel, die zentrale Bereiche europäischer Forschungspolitik thematisieren: Das siebte Kapitel “Finanzierung der europäischen Forschung” fehlt. Gerade weil der Streit darüber das Rahmenprogramm “Horizon Europe” an seinem Beginn überschattet und den Start beträchtlich verzögert hatte. Aber für die Ringberg-Nachdenk-Runde war es offenbar zu früh, das konfliktreiche Geldthema schon jetzt aufs Tapet zu bringen. 

    Schulen der Exzellenz und Prozess vor Impact 

    Bei der Grundlagenforschung empfiehlt die G6, dass Europa mehr in “Schulen der Exzellenz” für Doktoranden und Postdocs investieren sollte. So könnte die nächste Generation kreativer Wissenschaftler stringenter auf die kommenden Forschungstopics vorbereitet werden. Beim Thema Energie betont die G6 einen “dringenden Bedarf”. Europa müsse sich als “treibende Kraft” bei der Transformation des Energiesystems positionieren. Die europäische Forschung könne eine globale Schlüsselrolle bei der Entwicklung einer neuen Generation von grünen, fossilfreien Technologien spielen.  

    Bei der Innovation spricht sich die G6 für eine Verstärkung disruptiver Ansätze aus, wie sie in Deutschland etwa von der Bundesagentur Sprind verfolgt werden. Der Europäische Innovationsrat EIC war auch mit dieser Zielsetzung gegründet worden, hat sich aber noch keinen “Disruptions”-Namen machen können. Es überwiege der Mainstream “inkrementeller Innovationen”. Die G6-Autoren schlagen eine engere Kooperation von EIC und ERC vor, warnen aber vor Grenzüberschreitungen zwischen Grundlagenforschung und angewandter Entwicklung. Interessant in diesem Zusammenhang: Bei Projekten zur Innovationsförderung solle der Schwerpunkt “mehr auf den Prozess gelegt werden als auf den Impact, denn die Fokussierung auf letzteren reduziert die Kreativität”. mr 

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    Nationale Sicherheit durch Innovationen

    Die Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung, die am gestrigen Mittwoch vorgestellt wurde, betont die Bedeutung von Forschung und Wissenschaft für Deutschlands Widerstands- und Wettbewerbsfähigkeit. Diese würden auf einer hohen Innovationskraft und auf technologischer und digitaler Souveränität beruhen, heißt es in dem Papier. Die Bundesregierung kündigt Maßnahmen zur Stärkung von Wissenschaft und Forschung sowie der Innovationskraft von Unternehmen an. Zudem sollen Maßnahmen “zum Schutz vor illegitimer Einflussnahme” und “illegitimem Wissensabfluss” ergriffen werden.

    Letzterer Punkt dürfte sich vor allem auf Forschungskooperationen mit China beziehen. An anderer Stelle wird das neue Verhältnis zu Peking dann auch explizit beschrieben: China sei gleichzeitig Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale. “Wir sehen, dass dabei die Elemente der Rivalität und des Wettbewerbs in den vergangenen Jahren zugenommen haben”, heißt es in dem Bericht. Konkrete Maßnahmen wie Förderprogramme oder neue Gesetze werden allerdings nicht benannt. Lediglich von “neuen Regeln” ist an einer Stelle die Rede.

    Ziel: Souveränität stärken, Maßnahmen: wenig konkret

    Auch einseitige Abhängigkeiten sollen durch technologieorientierte Forschung und Innovation abgebaut werden, heißt es in der Strategie. Die Regierung verweist dabei unter anderem auf Sprind und Dati. Darüber hinaus kündigt die Bundesregierung an, gezielt Anbieter kritischer Schlüsseltechnologien, zum Beispiel durch staatliche Ankeraufträge, zu unterstützen. Derartige Maßnahmen hatte auch die EFI-Kommission in ihrem diesjährigen Bericht für den Bereich Raumfahrt gefordert.

    Auf europäischer Ebene will sich die Bundesregierung für mehr Investitionen in digitale Technologien einsetzen. “In der EU werden wir weiter auf eine Stärkung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für Entwicklung und Nutzung neuer Technologien hinarbeiten.” So soll die Standardisierung bei Schlüsseltechnologien vorangetrieben und auf eine Steigerung von Design- und Produktionskapazitäten für hochinnovative Technologien hingewirkt werden. Auch hier bleibt das Papier eher im Ungefähren.

    Innovationspolitische Schwerpunkte: Cybersicherheit und Weltraum

    Als innovationspolitische Schlüsselthemen für die Nationale Sicherheit hat die Bundesregierung die Felder Cybersicherheit und Raumfahrt ausgemacht. Cyberforschung soll auf technologische Umbrüche wie KI und Quantencomputing/-kryptografie ausgerichtet werden. Verwiesen wird dabei auf das bereits existierende Förderprogramm “Digital.Souverän.Sicher”.

    Im Weltraum befürchtet die Regierung Angriffe auf die Satelliteninfrastruktur. Deshalb will man die “Resilienz von Satellitenkommunikation, -navigation und Erdbeobachtungsdaten” im Weltall und am Boden durch “Raumfahrtinfrastrukturen und Bodenstationen” stärken. Die Bundesregierung will dazu auch verstärkt Forschungseinrichtungen und private Akteure in die Weltraumsicherheitsarchitektur einbinden.

    Sehr konkret wird der Bericht beim Thema Waffensysteme: Ausdrücklich wird in der Strategie die “Entwicklung und Einführung von Zukunftsfähigkeiten wie abstandsfähiger Präzisionswaffen” genannt. tg

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    EU-Parlament will schärfere Regeln für Künstliche Intelligenz

    Ein geplantes Gesetz zu schärferen Regeln für Künstliche Intelligenz (KI) in der EU hat eine weitere Hürde genommen. Das Europaparlament legte am Mittwoch in Straßburg seine Position für die Verhandlungen mit den EU-Ländern über die endgültige Form des sogenannten KI-Gesetzes fest. Demnach sollen KI-Systeme in verschiedene Risikogruppen eingeteilt werden. Je mehr Gefahr von der jeweiligen Anwendung ausgeht, desto strengere Regeln könnten gelten. Die Berichterstatter erhielten ein klares Verhandlungsmandat für den Trilog mit Rat und Kommission.

    499 Abgeordnete stimmten am Mittwoch für den Vorschlag der Berichterstatter Brando Benifei (S&D) und Dragoş Tudorache (Renew). Es gab nur 28 Gegenstimmen sowie 93 Enthaltungen. Es hat keine weiteren Veränderungen gegenüber der bereits im IMCO- und LIBE-Ausschuss abgestimmten Version mehr gegeben.

    Diskussion über Gesichtserkennung in Echtzeit

    Auch komplette Verbote soll es geben, etwa von Gesichtserkennung in Echtzeit im öffentlichen Raum (Predictive Policing). Besonders um diesen Punkt wurde gerungen. Axel Voss von der CDU nannte das Verbot “bedauerlich” und eine “verpasste Chance”: “KI kann richtig angewandt bei der Strafverfolgung zu deutlich mehr Sicherheit für die Bevölkerung führen.” FDP-Digitalpolitikerin Svenja Hahn sagte dagegen: “Gesichtserkennung zur Überwachung kennen wir aus China, diese Anwendung von Technologie hat in einer liberalen Demokratie nichts zu suchen.” Aufzeichnungen könnten aber nach Angaben des Parlaments wohl unter bestimmten Voraussetzungen ausgewertet werden.

    Beschlossen haben die Parlamentarier außerdem:

    • ein Verbot von nachträglichen Fernerkennungssystemen zur biometrischen Identifizierung, mit der einzigen Ausnahme von Strafverfolgungsbehörden zur Verfolgung schwerer Straftaten und nur nach richterlicher Genehmigung
    • generative KI-Systeme wie ChatGPT müssen offenlegen, dass der Inhalt durch KI generiert wurde
    • KI-Systeme, die zur Beeinflussung von Wählern bei Wahlen eingesetzt werden, gelten als hochriskant

    Trilog bereits gestartet

    Noch am Mittwochabend sollte das Auftakttreffen zum Trilog stattfinden. Binnenmarktkommissar Thierry Breton erklärte, er habe bereits begonnen, mit KI-Unternehmen und Entwicklern an dem von ihm vorgeschlagenen AI Pact zu arbeiten, um der Umsetzung des künftigen Gesetzes zuvorzukommen. Ende kommender Woche werde er dazu nach San Francisco reisen, um unter anderem Mark Zuckerberg von Meta und Sam Altman von OpenAI zu treffen. vis / dpa

    Presseschau

    Correctiv – Der Quanten-Coup. Der chinesische Wissenschaftler Pan Jianwei hat in Heidelberg und Hefei zu Quantenkommunikation geforscht. Der profilierte Physiker war an einigen der größten Durchbrüche der anwendungsbezogenen Quantenforschung in China beteiligt. Die Uni Heidelberg und einzelne Forscher stehen nun in der Kritik, einen zu großen Abfluss von Wissen nach China zugelassen zu haben. Das Land setzt sich derzeit in der Hochtechnik an die Spitze. Viele der Technologien haben auch militärische Anwendungen. Mehr

    Süddeutsche Zeitung – Was zu beweisen war. Mathematische Beweise werden immer komplexer und länger. Begutachtungsprozesse in wissenschaftlichen Magazinen stoßen an ihre Grenzen. Gutachter brauchen teilweise Jahre, um die Beweise zu überprüfen. Mit der von Microsoft entwickelten Software Lean wurden nun erste Erfolge erzielt. Programme können allerdings bislang nur Hilfsmittel sein. Denn nur der Mensch erkennt, ob Mathematik profund ist. Mehr

    Tagesspiegel – Berliner Hochschulverträge. Die Zeit wird knapp zum Verhandeln. Seit den Neuwahlen liegen die Verhandlungen über die Hochschulverträge in Berlin auf Eis. Anfang Juli sollen sie wieder starten. Eine Einigung noch in diesem Jahr ist aufgrund des Zeitplans unwahrscheinlich. Schwarz-Rot hat angekündigt, die Landeszuschüsse jährlich um fünf Prozent zu erhöhen. Den Hochschulen reicht das nicht, die Chemie scheint aber zu stimmen. Mehr

    Nature – Revealed: the millions of dollars in time wasted making papers fit journal guidelines. Eine Analyse hat ergeben, dass im Jahr 2021 weltweit 230 Millionen US-Dollar in Form von Arbeitszeit verschwendet wurden, um wissenschaftliche Arbeiten für biomedizinische Fachzeitschriften zu formatieren. Die Autoren der Analyse empfehlen eine Lösung, bei der Forscher ihre Manuskripte nach minimalen strukturellen Anforderungen einreichen können, anstatt den spezifischen Formatierungsrichtlinien unterschiedlicher Journals zu folgen. Mehr

    Personalien

    Ken Andersen wird Mitte Oktober neuer Direktor am Institut Laue-Langevin (ILL) im französischen Grenoble. Das ILL ist eine der weltweit führenden Einrichtungen auf dem Gebiet der Neutronenforschung und -technologie. Das Forschungszentrum Jülich ist der deutsche Gesellschafter des ILL. Andersen ist derzeit stellvertretender Labordirektor für Neutronenwissenschaften am Oak Ridge National Laboratory in den USA.

    Konstanze Döhner wird Präsidentin der Europäischen Fachgesellschaft für Hämatologie. Nach einer zweijährigen Periode als President Elect wird sie das Amt im Juni 2025 übernehmen. Döhner ist Oberärztin an der Klinik für Innere Medizin III am Universitätsklinikum Ulm. Sie erforscht die genetischen Grundlagen von Leukämien und entwickelt personalisierte Behandlungsstrategien.

    Thomas Feurer wird neuer Vorsitzender der European XFEL Geschäftsführung. Der Laser-Physiker leitet derzeit das Institut für angewandte Physik an der Universität Bern und wechselt Anfang 2024 zum European XFEL nach Hamburg. Er folgt auf den dänischen Physiker Robert Feidenhans’l, der in den Ruhestand geht.

    Ruth Narmann ist seit 1. Juni neue Leiterin der Abteilung Internationale Beziehungen der Leopoldina. Sie folgt auf Marina Koch-Krumrei, die in den Ruhestand getreten ist. Narmann hat Sinologie, Amerikanistik und Allgemeine Rhetorik studiert.

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    Mehr von Table.Media

    Bildung.Table. Digitalpakt 2: “Lauter Aufschrei aus allen Ländern”. KMK-Präsidentin Katharina Günther-Wünsch (CDU) äußert im Interview die Befürchtung, dass der Bund den Digitalpakt nicht fortsetzt. Sie hat zudem Zweifel an offiziellen Prognosen der KMK zum Lehrkräftemangel. Unter ihr soll die Kultusministerkonferenz weniger Beschlüsse hinter verschlossener Tür fällen. Mehr

    Bildung.Table. WZB-Studie zeigt erstmals Armutsballung an Grundschulen. Bringt eine Studie nochmal frischen Wind in die Startchancen-Verhandlungen? Der Sozialwissenschaftler Marcel Helbig kartiert erstmals die Armutsquoten an allen deutschen Grundschulen. Sein Fazit: Bund und Länder sind auf dem Holzweg. Mehr

    Europe.Table. Pestizide-Verordnung und Gentechnik: Steht ein Kuhhandel bevor? Das Naturschutzpaket der Europäischen Kommission ist umstritten und kommt nicht voran. Sollte es bei Pestizide-Verordnung zu keiner Einigung kommen, droht Green-Deal-Kommissar Frans Timmermans dem EU-Parlament damit, die für den 5. Juli angekündigten Vorschläge für eine Neufassung des EU-Gentechnikrechts zurückzuziehen. Mehr

    ESG.Table. Landwirtschaft: Mit Humusaufbau und Crispr/Cas gegen die Dürre. Nicht nur Südeuropa hat mit ausbleibenden Niederschlägen und Trockenheit zu kämpfen. Auch in vielen Regionen Deutschlands wird das Wasser knapp. Neue Züchtungen und Anbaumethoden sollen die Resilienz erhöhen. Mehr

    Dessert

    “Scientists need to get out of the lab and into the rain.” Das sagt eine interdisziplinäre Forschergruppe unter der Leitung von John T. Van Stan von der Cleveland State University. In der Zeitschrift BioScience plädieren die Autoren dafür, dass die Beobachtung von Sturmereignissen durch den Menschen der Schlüssel zum Verständnis des nassen Wetters und seiner unzähligen Auswirkungen auf die Natur ist. 

    Zuvor stellten Van Stan und seine Kollegen einen Trend in der wissenschaftlichen Gemeinschaft fest, sich bei der Untersuchung von Stürmen und deren Folgen auf Fernerkundung zu verlassen: “Naturwissenschaftler scheinen sich zunehmend damit zufriedenzugeben, im Trockenen zu bleiben und sich auf Fernsensoren und -probenehmer, Modelle und virtuelle Experimente zu verlassen, um natürliche Systeme zu verstehen.” Dadurch verpasse man wichtige “stürmische Phänomene, fantasievolle Inspirationen und Gelegenheiten zur Entwicklung von Intuition” – alles Dinge, die für den wissenschaftlichen Fortschritt entscheidend seien. Diese Art von Regenschirm-Wissenschaft, warnen sie, kann wichtige lokale Ereignisse übersehen. 

    Die Erkenntnisse ließen sich vermutlich auch auf andere Disziplinen übertragen: Tiefseeforscher sollten ab und an in die Tiefen des Meers abtauchen; Archäologen den Pinsel in die Hand nehmen und Sozialwissenschaftler in die Interaktion mit gesellschaftlichen Gruppen gehen. Markus Weisskopf  

    • Forschung

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