Table.Briefing: Research

CoARA statt Publish or Perish + Transformations-Allianz: Endlich getroffen + Klima-Fakten: UBA-Chef besorgt

Liebe Leserin, lieber Leser,

wer Spitzenforschung will, muss auswählen. Allerdings – und da wird es sehr schnell sehr kompliziert – welche Kriterien gelten bei der Selektion, fragt unsere Autorin Christine Prußky, und: Woran genau misst sich Exzellenz? Genau darüber sind sich deutsche Forschungsorganisationen nicht einig, noch nicht.

Dem auf EU-Ebene geschlossenen Bündnis “Coalition of Advancing Research Assessment”, kurz CoARA, trauen Experten einiges zu, doch noch sind nicht alle überzeugt. Die DFG ist dabei, aber nicht nur die HRK zögert. Wird Open Science und Vielfalt im Team mit Forschungsqualität fälschlich gleichsetzt oder ist Publish or Perish dabei wirklich von gestern?

Wir wünschen Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre – und: Bis später, denn heute Mittag soll er endlich vorgestellt werden, der Referentenentwurf für das WissZeitVG. Eine Verkürzung der Postdoc-Phase auf eine maximal vierjährige Befristung ist die wahrscheinlichste Option, sagt mein Kollege Tim Gabel. Wir werden Sie informieren.

Eine gute Lektüre bis dahin,

Wenn Ihnen der Research.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail weitergeleitet wurde:  Hier können Sie sich für den Research.Table kostenlos anmelden. 

Ihre
Nicola Kuhrt
Bild von Nicola  Kuhrt
  • Forschung

Analyse

Bündnis CoARA leitet Kulturwandel in der Wissenschaftsbewertung ein

Vordergründig ist die Sache einfach. Spitzenforschung heißt Bestenauslese. Allerdings – und da wird es schnell sehr kompliziert – welche Kriterien gelten bei der Selektion? Woran genau misst sich Exzellenz? 

Um die Spreu vom Weizen zu trennen, nutzt die Wissenschaft vor allem Metriken. Kennzahlen sind im Massenbetrieb handhabbar und wirken objektiv. Sie führen aber auch in die Irre. Wie sehr, zeigte die Corona-Pandemie. Frauen publizierten in der Phase nachweislich weniger – und das eben nicht, weil sie plötzlich schlechter wurden, sondern weil ihnen zusätzliche Care-Arbeit wichtige Forschungszeit raubte. 

CoARA: Leibniz, Hochschulen, BUA und DFG schon dabei 

Unbehagen gegenüber Metriken gab es weit vor Corona. In Erklärungen (etwa: San Francisco Declaration on Research Assessment – Dora; Leiden Manifesto for Research Metrics) wandten sich Forschende und Wissenschaftseinrichtungen weltweit gegen die Dominanz der Kennzahlen. Geändert hat das: praktisch nichts. 

Dem auf EU-Ebene geschlossenen Bündnis “Coalition of Advancing Research Assessment”, kurz CoARA, trauen Experten dagegen eine viel größere Wirkkraft zu. Mehr als 500 Wissenschaftseinrichtungen sind dabei, darunter der Europäische Forschungsrat (ERC), die European University Association, Science Europe, der Schweizerische Nationalfonds, das französische CNRS und die ETH Zürich. Sie alle versprechen in der Vereinbarung, in den nächsten fünf Jahren konkrete Maßnahmen, um in ihren Häusern:  

  • die Forschungsbewertung hauptsächlich auf die qualitative Bewertung durch Peers zu stützen 
  • die Vielfalt von Forschungskarrieren und Beiträgen zur Wissenschaft anzuerkennen 
  • die “unangemessene Verwendung” von Zeitschriften- und Publikationsmetriken aufzugeben  
  • die Verwendung internationaler Rankings von Forschungsorganisationen bei der Forschungsbewertung zu vermeiden

Im Klartext heißt das für Forschende: Publish or Perish war gestern. Anerkannt würden künftig auch Tätigkeiten, die Forschungsprozesse verbessern, Ergebnisse robuster machen, Transparenz fördern und der Integrität der Wissenschaft dienen. Peer Review würde so zum direkten Karriere-Treibstoff

HRK sieht CoARA kritisch 

Aus Deutschland sprangen die Leibniz-Gemeinschaft, einzelne Hochschulen, der Berliner Exzellenzverbund BUA und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) auf den CoARA-Zug auf. Letztere, ätzen Kritiker hinter vorgehaltener Hand, sei schlicht zu bedeutend und zu groß, um sich solch einer Initiative entziehen zu können. Tatsächlich fremdelte die DFG eine Weile mit dem Vorstoß. Mit ihrer Unterschrift wartete sie, bis klar war, “dass der Reformprozess wissenschaftsgeleitet ist und die Politik nicht die Entscheidungsgremien dominiert”, erklärt Tobias Grimm, DFG-Experte für Forschungsbewertung und zuständig für CoARA. Während die DFG in CoARA mittlerweile “die Chance sieht, den längst nötigen Kulturwandel in der Forschungsbewertung zu erreichen”, befürchten andere weiterhin Risiken.  

Walter Rosenthal zum Beispiel: “Die Vereinbarung enthält gute Ansätze. Trotzdem sehen wir sie innerhalb der HRK kritisch. Ihr ist anzumerken, dass sie im Kern politisch und top-down durch die EU-Kommission auf den Weg gebracht wurde, die Open Science und Vielfalt im Team mit Forschungsqualität gleichsetzt. Genau das aber ist falsch”, sagt der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). CoARA neige dazu, Voraussetzungen für Spitzenwissenschaft mit Kriterien der Bewertung zu verwechseln. “Open Science und Vielfalt sind notwendige Voraussetzungen für gute Wissenschaft, sie können aber keine Kriterien für die Bewertung von wissenschaftlicher Exzellenz und Forschungsqualität eines Projekts sein”, sagt Rosenthal.  

Kommt Änderung der Mittelverteilung in Europa? 

CoARA könnte so gesehen eine verdeckte Abkehr von der Bestenauslese bedeuten: “Wenn die Politik Forschungsförderung als Strukturförderung für Länder nutzen möchte, die weniger forschungsstark sind, kann sie das natürlich tun. Sie sollte es nur offen sagen”, kritisiert der HRK-Chef.  

Tatsächlich geht es um sehr viel Geld. Über das EU-Forschungsprogramm Horizon Europe verteilt Brüssel dieses und nächstes Jahr 13,5 Milliarden Euro. Davon profitieren vor allem forschungsstarke Nationen wie Deutschland. Vergangenes Jahr räumte Deutschland die meisten ERC-Grants ab. “Unsere Sorge ist, dass die politisch initiierte Vereinbarung auf eine Änderung der Mittelverteilung in Europa hinauslaufen könnte, in der unser Verständnis von Forschungsexzellenz nicht mehr Zentrum steht, und der sich dann alle beugen müssten, die EU-Forschungsgelder beantragen. Das kann die HRK nicht unterstützen”, sagt Rosenthal. 

Ob Risiko oder Chance: Auswirkungen sind in Sicht. 2024 will der ERC seine Bewertungsverfahren anpassen und den Projektvorschlägen selbst mehr Gewicht beimessen als bisherigen Erfolgen der Bewerberinnen und Bewerber. Bei der DFG dürfen Forschende in Anträgen und Lebensläufen schon seit vergangenem Jahr Aufsätze auf Preprint-Severn oder den Aufbau von Datenbanken und Software-Entwicklungen einbringen. Nennen können sie auch persönliche Ereignisse, die ihre Laufbahn beeinträchtigen – wie die Care-Arbeit in der Corona-Phase etwa. 

Kulturwandel: Die meisten Player werden wohl unterschreiben 

Die DFG hat den Kulturwandel in der deutschen Wissenschaft also eingeleitet, auch wenn sich andere Förderer wie die private Volkswagenstiftung noch bedeckt halten. Sie verfolge “aufmerksam, wie sich die hiesigen Wissenschaftsorganisationen dazu stellen”, ließ die Stiftung wissen. Zögern gibt es auch bei der Helmholtz, Fraunhofer und der Max-Planck-Gesellschaft. 

Dass das den internationalen Zug aufhält, halten Beobachter für unwahrscheinlich. Sie rechnen eher damit, dass am Ende doch die meisten Player unterschreiben. Ausgemacht ist das nicht. Fest steht aber: “Je mehr Einrichtungen und Institute diesen Kulturwandel mittragen, desto eher können Forschende ihre Karrieren darauf aufbauen. Sie müssen sich schließlich darauf verlassen können, dass die Kriterien der Bewertung vergleichbar sind”, sagt DFG-Experte Tobias Grimm. 

  • ERC
  • ETH Zürich
  • Forschung

UBA-Chef Messner: Mehr Redlichkeit in der Klima-Debatte

Fordert einen “What-ever-it-takes-Moment”: Dirk Messner, Chef des Umweltbundesamts.

Mit Sorge blickt Dirk Messner auf die aktuelle klimapolitische Debatte und den Umgang mit wissenschaftlichen Fakten. “Es wäre irritierend, wenn in einer Demokratie nicht debattiert würde. Aber wir brauchen Redlichkeit in der Diskussion”, sagt Messner. Politische Instrumente müssten im Einklang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen. Fusionsreaktoren etwa seien in den nächsten Jahrzehnten nicht zu erwarten: “Wunschdenken hilft da nicht weiter.” Was den Heizungsstreit angeht, warnte Messner vor zu großen Hoffnungen in Holz und Wasserstoff als Energieträger. Wasserstoff werde vor allem die Industrie benötigen, und Holz könne höchstens einen kleinen Teil zur Lösung beitragen.

Darauf angesprochen, wie man als Wissenschaftler damit umgehe, dass in der politischen Debatte Lösungen propagiert werden, die den Fakten widersprechen, gibt sich Messner zurückhaltend. “Wir haben als UBA nicht die Aufgabe, die politischen Parteien jeden Tag einem Reality Check auszusetzen”. Man weise lediglich aus der wissenschaftlichen Perspektive des UBA auf die Problemlage hin und gebe Hinweise wie Problemlösungen aussehen könnten. Kritik nehme man sehr ernst. Jüngste Vorwürfe der FDP, das eine Studie zur Klimawirkung eines Tempolimit des UBA im Auftrag der Grünen erfolgt sei, weist Messner im Gespräch entschieden zurück.

Angriffe auf Studien und Wissenschaftler “werden sich beruhigen”

Trotz weiterer Versuche die Studien von UBA, dem Öko-Institut und der Agora in eine parteipolitische Ecke zu drängen, will Messner bislang keine gezielten Angriffe auf die Wissenschaft als politische Strategie erkennen – zumindest nicht aus dem Spektrum der demokratischen Parteien. Er sehe nicht, dass Zweifel aktiv gesät würden, sagte Messner. “Ich glaube, das wird sich wieder beruhigen. Diese Institutionen wurden ja auch in 16 Jahren Merkel-Regierung immer wieder wegen ihrer ausgewiesenen Expertise nachgefragt.”

Für den effektiven Kampf gegen die Klimakrise fordert der UBA-Chef einen “What-ever-it-takes-Moment”. Messner wünscht sich dazu von den Parteien im Kampf gegen den Klimawandel ein Zeichen der Geschlossenheit. Dafür brauche es einen Moment, “in dem sich die politisch Verantwortlichen – ähnlich wie in der Finanzkrise – lagerübergreifend zusammenstellen”, sagte Messner Table.Media. Sie sollten deutlich machen, dass die Notwendigkeit der Transformation von keiner demokratischen Partei infrage gestellt werde.

“Glücksmoment” von 2021 ist inzwischen wieder verflogen

Im Jahr 2021 sei er zuversichtlich gewesen, dass ein solcher Moment kurz bevorstünde. “Im Koalitionsvertrag wurde vieles zum Regierungsprogramm, was wir bereits 2011 in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen zur ,Großen Transformation’ vorgeschlagen hatten”. Gleichzeit sei auf EU-Ebene der European Green Deal verabschiedet worden, in den USA gab es den Machtwechsel zu Biden und auf der Straße demonstrierte Fridays for Future. Sogar der BDI habe in einer eigenen Studie gezeigt, dass Klimaneutralität bis 2045 funktionieren kann. “Da hatte ich ein echtes Glücksmoment”, sagt Messner.

Inzwischen sei vom “Geist des Konsenses” nicht mehr viel zu spüren. Es gebe zwar weiter das gemeinsame Ziel bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen und die notwendigen Technologien dafür stünden bereit. Probleme gebe es aber vor allem bei der Frage nach der Gerechtigkeit, der Geschwindigkeit und der Wahl der richtigen Instrumente. “Da geht es um technologische Veränderungspfade, um Kosten und deren Verteilung, aber auch um die Verteidigung von Vergangenheitsinteressen”, sagt der UBA-Chef. Als Beispiele nannte Messner die mühsamen Diskussionen über den Ausstieg aus der Kohle, das Glühlampenverbot – oder aktuell die Kampagne zur Rettung des Verbrennermotors.

Für die Proteste der “Letzten Generation” hat Messner ein gewisses Verständnis. “Ihre Sorge kann ich gut verstehen. Wir kommen der Krisensituation, vor der wir seit 30 Jahren warnen, immer näher”, sagt er. “Ich würde nicht argumentieren, dass man deswegen keine Kinder mehr kriegen kann oder sich auf der Straße festkleben sollte. Aber wir stehen schon an einem kritischen Punkt.” Allerdings würden Warnungen allein nicht helfen. Die Attraktivität einer klimaneutralen Zukunft müsse herausgestellt werden.

Das Gespräch führten Bernhard Pötter und Malte Kreutzfeldt. Das ausführliche Interview lesen Sie hier.

  • Deutschland
  • Forschung

Termine

9. Juni 2023, 17 Uhr, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
Preisverleihung Verleihung des 15. Eva Luise Köhler Forschungspreises – Festakt mit Bundesminister Karl Lauterbach Mehr

14.-17. Juni 2023, BBAW, Berlin
Festtage Wandel durch Aufklärung. 30 Jahre Neukonstitution der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Mehr

15. Juni 2023, 20:00 Uhr bis 21:30 Uhr, Kulturzentrum Nirgendwo, Berlin-Friedrichshain
Wissenschaftsvarieté Wissenschaftsvarieté Astrophysik und unsere Vorstellung davon Mehr

19./20. Juni 2023, Berlin und online
Tag der Industrie des BDI #TDI23 – Zukunftswende Mehr

News

“Mehr Deutschland-Geschwindigkeit”

Alles muss schneller werden, lautete das Fazit der großen gesamtgesellschaftlichen Nachdenk-Runde “Allianz für Transformation”, ein im Koalitionsvertrag festgeschriebenes Austauschformat auf Spitzenebene. Am Freitag kamen dabei 49 Abgesandte aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen, auf der Gästeliste standen etwa die Minister Robert Habeck und Hubertus Heil dazu auch acatech-Präsident Jan Wörner und Gerald Haug für die Leopoldina.

Beherrschendes Thema war das staatliche Handeln in der Energiepolitik. Um das Nachhaltigkeitsziel von 80 Prozent erneuerbar produziertem Strom im Jahr 2030 zu erreichen, so rechnete Kanzler Scholz vor, müssten bis dahin pro Tag in Deutschland vier bis fünf Windräder errichtet, 43 Fußballfeld-große Solaranlagen und 1.600 Wärmepumpen installiert und vier Kilometer Übertragungsnetze gebaut werden. 

“Wir brauchen mehr Tempo, mehr Deutschland-Geschwindigkeit in vielen Bereichen”, so die Botschaft des Regierungsschefs. “Dafür müssen wir unsere Verfahren prüfen, Vorschriften durchforsten und auch neue Wege gehen.”

Fahimi: Schleichender Abstieg möglich

Die Gewerkschaftschefin Yasmin Fahimi stellte die Herausforderung am Beispiel eines Schwarz-Weiß-Szenarios dar. Die eine Option sei, “dass wir einen schleichenden Abstieg erfahren”, bedingt durch dauerhaft hohe Energiekosten, Verlagerung von Forschungs- und Entwicklungsstandorten aus Deutschland heraus und einem demografischen Wandel, der “voll durchschlägt”. Sehr viel schwieriger sei dagegen die Frage zu beantworten: “Was sind die Gelingensbedingungen für ein optimistisches Szenario, das alle einlädt und Lust auf Transformation macht?” Aus Sicht der DGB-Vorsitzenden ist die Bewältigung des Fachkräftemangels mit mehr Digitalisierung und Automatisierung zu erreichen, aber nicht nur. “Wir brauchen Zuwanderung und Weiterbildung”, sagt Fahimi. “Wir brauchen forschungsgetriebene Ökosysteme und verbesserten Transfer von Forschung.”

Nach Angaben von Handwerkspräsident Jörg Dittrich sind 450.000 Handwerksbetriebe mit ungefähr 2,5 Millionen Beschäftigten mit der Energiewende befasst. Was aber nicht ausreicht: Auf 300.000 bis 500.000 Fachkräfte wird der zusätzliche Bedarf bis 2030 geschätzt. Ein Schlüssel, dies zu erreichen, sei die “Bildungswende”, sagt Dittrich. “Die berufliche Bildung muss gleichwertig zur akademischen Bildung gesehen, gelebt, finanziert und wertgeschätzt werden”, erklärte der Verbandspräsident. “Wir brauchen Berufsorientierung in allen Bildungsbereichen, eben auch in den Gymnasien.”

Marie-Luise Wolff, Präsidentin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, gab die Innovationsdebatte der Runde wieder. Deutschland sei “sehr stark in inkrementellen Verbesserungen der Technologien”, schwächele dagegen bei disruptiven Innovationen, die Technologiesprünge auslösen. Zur Innovation gehöre es auch, alte Zöpfe abzuschneiden und überholte Technologien zu beenden.

So viel Change-Bedarf, dass die drei Stunden Brainstorming nicht ausreichten, sodass die eigentlich halbjährlich tragende Allianz schon im Oktober wieder zusammenkommen will. mr

  • Allianz für Transformation
  • Olaf Scholz

Kernfusion: BMBF und BDI werben für Investitionen

Das Bundesforschungsministerium hat gemeinsam mit dem BDI bei Industrie und Unternehmen für mehr Dynamik in der Fusionsforschung geworben. Beim gleichnamigen Symposium am gestrigen Montag sprach sich Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger für eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft in Deutschland aus: In den vergangenen Monaten habe man auf Seiten der Wissenschaft in Deutschland, aber auch international, Durchbrüche gefeiert. Die Wissenschaft habe gezeigt, dass die Erzeugung von Energie durch Kernfusion prinzipiell und praktisch möglich ist.

“Der Transfer in die Praxis kann allerdings nur gemeinsam mit der Industrie gelingen”, sagte Stark-Watzinger in Berlin. Man stehe an einem kritischen Punkt, weil international der kommerzielle Wettbewerb begonnen habe. Auch wenn es noch einige Legislaturperioden dauern werde, bis ein Fusionskraftwerk ans Netz gehen könne, müsse man jetzt durch internationale und öffentlich-private Partnerschaften die richtigen Weichen stellen. Um private Investitionen und mutiges Unternehmertum trotz fehlender kurzfristiger Wertschöpfung zu ermöglichen, werde die Bundesregierung verlässliche Förderinstrumente und Infrastrukturen bereitstellen. Stark-Watzinger kündigte eine entsprechende BMBF-Strategie noch vor der Sommerpause an.

Politik, Unternehmen und Investoren brauchen langen Atem

In einer nicht-repräsentativen Umfrage unter den Teilnehmern der Veranstaltung gaben die meisten an, dass sie an ein erstes Fusionskraftwerk erst in zwanzig bis dreißig Jahren glauben. Ähnliche Zeitspannen hielten auch die Experten der Podiumsdiskussion für ein realistisches, wenn auch ambitioniertes Szenario. Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) widersprach der Annahme, dass die Industrie nicht zu langfristigen Investitionen bereit wäre.

Man müsse einen ungeheuer langen Atem haben und möglicherweise sogar über mehrere CEO-Generationen planen, sagte Frank Laukien, CEO des Fusions-Start-ups Gauss Fusion. Investitionen von zwei Milliarden Dollar, wie es die bereits für US-Start-ups gegeben haben, würden sich in Europa nicht wiederholen. “Es braucht kleine, aber smarte Investitionen und ohne öffentliche Subventionen wird es nicht gehen”, sagte der deutsch-amerikanische Wissenschaftler und Gründer. Zudem müsse die Politik schnell Bürokratie abbauen und einen Fokus auf die Ausbildung von Fachkräften in dem Bereich setzen.

Wenig neue Akzente und bekannte Forderungen

Die namhaften Experten des Symposiums setzten inhaltlich wenig neue Akzente. Die Wissenschaftliche Direktorin des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik, Sibylle Günter, forderte wie bereits zuvor 20 Milliarden Euro in den nächsten 20 Jahren für den Bau eines Stellerator. Bei diesem Anlagentyp der magnetbasierten Laserfusion sei man im Gegensatz zu laserbasierten Anlagen in Deutschland weltweit mit an der Spitze. Ihre Kritik an der aktuellen politischen Fokussierung auf die laserbasierten Verfahren hatte Günter bereits in der Vergangenheit geäußert.

Für Technologieoffenheit warb dagegen Constantin Häfner vom Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT. Häfner ist Vorsitzender einer internationalen Expertenkommission, die das BMBF eingesetzt hatte. Er stellte den Kommissionsbericht vor, in dem sich die Experten vor zwei Wochen für die Förderung der Laserfusionsforschung parallel zur Magnetfusionstechnologie ausgesprochen hatten. tg

  • BDI
  • BMBF
  • Kernfusion

EFI schlägt Strategie-Mix vor, um missionsorientierte F&I-Politik voranzutreiben

Mit ressortübergreifenden Missionsteams, Förderprogrammen in der Hand von Projektträgern und einem Zukunftsausschuss im Kanzleramt ließe sich die Agilität der missionsorientierten Forschungs- und Innovationspolitik steigern. Davon geht ein in der vergangenen Woche veröffentlichtes Policy Brief der Expertenkommission für Forschung und Innovation (EFI) aus. Das sechsköpfige Autorenteam um den EFI-Vorsitzenden Uwe Cantner hat sich mit der Umsetzung der Zukunftsstrategie Forschung und Innovation befasst.

Ansätze für agileres Politikhandeln gesucht

Ziel der Zukunftsstrategie ist es, notwendige Transformationsprozesse aktiv zu gestalten. Dabei geht es vor allem um den Schutz von Klima und Biodiversität, um Digitalisierung und Ressourcenschonung. F&I-politisches Handeln müsse deutlich agiler und durchsetzungsstärker werden, mahnen die Experten. Die aktuellen Strukturen begünstigten ressortbezogenes Silodenken und hemmten agiles Politikhandeln. In dem Papier stellen sie verschiedene Optionen für eine Reform der Governance-Strukturen vor:

  • Interne wissenschaftliche Beratung durch Etablierung einer Science-Advisor-Position im Kanzleramt
  • Einrichtung eines Superministeriums durch Bündelung innovations- und transformationsbezogener Politikfelder in einem Ressort
  • Einrichtung ressortübergreifender Missionsteams, wie derzeit von der Bundesregierung vorgesehen
  • Gründung von Missionsagenturen, die Strategieführerschaft und Ownership für eine zu definierende transformative Mission übernehmen, wie von Experten des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung und der Bertelsmann-Stiftung vorgeschlagen

Um agiles Handeln zu befördern, schlägt die EFI folgende Kombination struktureller Anpassungen vor:

  • Auf der Ebene des Politikdesigns plädiert das Autorenteam für ressortübergreifende Missionsteams. Diese sollten mit klaren Verantwortungsbereichen sowie ausreichenden Entscheidungskompetenzen ausgestattet werden und die beteiligten Ressorts über die Ebene der Staatssekretärinnen und Staatssekretäre einbinden und Roadmaps entwickeln.
  • Auf der Ebene der Implementation wird vorgeschlagen F&I-Förderprogramme für die einzelnen handlungsleitenden Teilmissionen jeweils bei einem Projektträger zu bündeln. Das Projektträgersystem sei zu reformieren, indem die Fördermittelverwendung stärker ergebnisorientiert gesteuert wird.
  • Für Rückkopplungsprozesse zwischen den Ebenen soll der Zukunftsausschuss da sein, demgegenüber die Missionsteams Rechenschaft ablegen müssen.

An progressiven Ansätzen wie der Einrichtung von Missionsagenturen hat die EFI einiges zu kritisieren. Sie lösten das Problem der mangelnden interministeriellen Koordination nicht, heißt es zum Beispiel. Man befürworte es, “konkrete Missionen innerhalb der Governance-Struktur abzubilden”. Und ein Science Advisor könne in Deutschland aufgrund des im Grundgesetz verankerten Ressortprinzips nicht so “wirkmächtig” sein wie beispielsweise in den USA. abg

  • Deutschland
  • EFI
  • Forschung

Heads

Stefan Aykut – ein Pionier der sozialen Klimaforschung

Stefan Aykut hat an der Universität Hamburg die Mercator-Stiftungsprofessur für Soziologie, insbesondere gesellschaftliche Dynamiken der ökologischen Transformation.

Wenn Stefan Aykut von seiner Forschung erzählt, fallen immer wieder Wörter wie Zuversicht, Wandel, Dynamik, Veränderung. Im Kern beschreiben sie das, was Stefan Aykut in seiner Anfang Mai angetretenen Mercator-Stiftungsprofessur an der Universität Hamburg in den kommenden Jahren vorhat: Er will die sozialwissenschaftliche Klimaforschung voranbringen.

Mit seiner Professur etabliert der Sozialwissenschaftler Stefan Aykut ein neues Forschungsfeld an der Universität Hamburg: gesellschaftliche Dynamiken der Klimawende. Sein Ziel: “Ich möchte gesellschaftliche Prozesse angesichts ökologischer Krisen und Konflikte verstehen und die Fragen stellen: Was treibt Klimapolitik an und wie gelingt effektiver Klimaschutz? Wie schaffen wir den so dringend nötigen gesellschaftlichen Wandel zur Nachhaltigkeit?”

Klimawandel als Transformationsprojekt

Bislang wird Klimaschutz vor allem aus technischer und ökonomischer Perspektive diskutiert und untersucht. “Klimawandel ist aber kein einfaches Umweltproblem, das wir durch technische Lösungen in den Griff bekommen. Es ist vor allem ein gesellschaftspolitisches Problem, ein umfassendes Transformationsprojekt, das uns alle betrifft“, sagt Aykut, der mit seiner Partnerin in Hamburg lebt, im lebendigen Dreieck aus Sternschanze, Eimsbüttel und Grindelviertel. Wenn der 42-Jährige nicht forscht, trifft er sich gerne mit Freundinnen und Freunden zu einem Bier, verbringt viel Zeit mit seinem Neffen oder probiert mit seiner Partnerin Kochrezepte aus. “Am besten abschalten kann ich beim Klavierspielen, allein zu Hause oder mit meiner Band”, sagt Aykut.

Seine Forschung sei seine Leidenschaft, die Klimawende aber nicht nur ein interessanter Forschungsgegenstand sondern auch eine persönliche Herzensangelegenheit. “Wir müssen den Klimaschutz voranbringen. Und natürlich stelle auch ich mir die Frage: Wieso handeln wir noch zu wenig?”. Mit seiner Forschung versucht er eben diese Frage zu beantworten.  “Ich möchte letztendlich einen Teil dazu beitragen, dass wir es als Gesellschaft schaffen, Klimaschutz umzusetzen. Und das motiviert mich auch, jeden Tag weiterzuforschen.”

Sein Ziel: Die Erfassung sozialer und politischer Dynamiken

Es ist die Wechselwirkung zwischen Politik, Gesellschaft und Wissenschaft, die Stefan Aykut in seiner wissenschaftlichen Karriere von Anfang an fasziniert hat. Nach einer Jugend in Stuttgart studierte Stefan Aykut Sozialwissenschaften an der FU Berlin, der Sabanci University Istanbul und der Ecole des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris, an der er 2012 promovierte. 2017 wurde er auf eine Juniorprofessur an der Universität Hamburg berufen. Aykut ist außerdem Direktor des Center for Sustainable Society Research (CSS) und leitet ein Teilprojekt im Exzellenzcluster Climate, Climatic Change and Society (CLICCS). 

“Ob Klimawandel, Biodiversitätsverlust oder die Frage nach der Atomkraft – das Ziel meiner Forschung war schon immer, die soziale und politische Dynamik ökologischer Krisen und Konflikte zu erfassen”, sagt Aykut. So hat er bereits zu den globalen Klimaverhandlungen und Performances auf Weltklimakonferenzen publiziert, aber auch zu nationalen Energiewenden und der Rolle, die Expertenwissen, Protestbewegungen und Gerichtsprozesse darin spielen.

Es ist eben diese neuartige Verknüpfung von Forschungsansätzen und Methoden der Politikwissenschaft, Soziologie und der Science and Technology Studies, die seine Forschung so besonders macht. 2019 hat ihn daher auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) mit dem Heinz Maier-Leibnitz-Preis für Nachwuchswissenschaftler ausgezeichnet. 

Eine Stiftungsprofessur mit nur 42 Jahren

Nun hat er mit nur 42 Jahren die Mercator-Stiftungsprofessur inne, ein weiterer Meilenstein in seiner wissenschaftlichen Karriere. Ja, er sei stolz auf diesen Erfolg, sagt er. “Es ist eine Ehre, ein Privileg und es bedeutet natürlich auch gleichzeitig mehr Verantwortung”, sagt Aykut. Er wird unter anderem ein eigenes Team einstellen, das aus rund acht Personen bestehen soll. 

Zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen vom Exzellenzcluster Climate, Climatic Change, and Society will Aykut verschiedene soziale Treiber für den Klimaschutz betrachten. Dazu zählen unter anderem Klimaproteste, wie Fridays for Future oder die Letzte Generation, zivilgesellschaftliches Engagement durch Verbände und NGOs, politische Prozesse auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene, Klimaklagen und die Produktion von handlungsrelevantem Wissen, aber auch die Frage, wie sich beispielsweise Konsummuster verändern lassen, die für das Klima relevant sind. 

Jährliche Studie zur Klimawende

Mit seiner Arbeit möchte der 42-Jährige der Politik, aber auch zivilgesellschaftlichen Akteuren Informationen und konkrete Empfehlungen liefern. Zudem soll in der öffentlichen Debatte für mehr Bewusstsein über die gesellschaftliche Dimension von Klimaschutz gesorgt werden. Ab 2024 soll außerdem jährlich eine Studie zur Klimawende erscheinen, die der Frage nachgeht, ob und wie Deutschland seine Klimaziele erreichen kann.

Aykut blickt selbst besorgt in die Zukunft, denn der Klimawandel schreitet weiterhin nahezu ungebremst voran. Doch der Professor sieht auch Gründe für Zuversicht. Mut machen ihm vor allem die Klimaproteste und das große gesellschaftliche Engagement für den Klimaschutz.

“Mich inspirieren diese Proteste. Sie zeigen, dass gesellschaftlicher Wandel möglich ist. Ohne Fridays for Future würden wir heute in Sachen Klimaschutz viel schlechter dastehen. Deswegen sind Proteste auch so wichtig”, sagt Aykut. “Gesellschaft kann natürlich auch oft eine blockierende Kraft sein, etwa, wenn bestehende Institutionen sozialen Wandel ausbremsen. So oder so ist sie aber vor allem eines: ein essenzieller und bisher schlecht verstandener Teil der Transformation zur Klimaneutralität.” Elena Matera

  • Deutschland
  • Forschung
  • Klimaforschung
  • Klimawandel

Personalien

Jasmin Gründling-Riener, Peter Ertl und Wolfgang Kastner werden Vizerektorin bzw. -rektoren der TU Wien. Sie sind im Team des designierten Rektors Jens Schneider für Lehre (Gründling-Riener), Forschung, Innovation, Internationales (Ertl) und Digitalisierung und Infrastruktur (Kastner) zuständig.

Ingrid Josephs, Lambert Koch und Nils Szuka wurden in den Hochschulrat der FernUniversität Hagen bestellt. Josephs ist an der FernUniversität Hagen Prodekanin der Fakultät für Psychologie, Szuka ist Geschäftsführer der rechtswissenschaftlichen Fakultät und Koch ist ehemaliger Rektor der Bergischen Universität Wuppertal. Alle drei treten ihr Amt am 4. September an.

Ina Schieferdecker wurde als Abteilungsleiterin der Abteilung 5 im BMBF, Forschung für technologische Souveränität und Innovationen, abberufen. Eine Nachfolge steht noch nicht fest.

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an research@table.media!

Mehr von Table.Media

Climate.Table. Klima-Zwischenkonferenz in Bonn: Die wichtigsten Streitpunkte der SB58. Bei der UN-Zwischenkonferenz SB58, die am Montag begonnen hat, sollen die Weichen für die COP28 gestellt werden. Der Streit um fossilen Ausstieg und Finanzen schwelt weiter. Mehr

Europe.Table. Pfizer verweigert Auskunft zu neuem Impfstoff-Deal. Der US-Pharmakonzern Pfizer bleibt Auskunft zu einer Vereinbarung schuldig, die einen umstrittenen, milliardenschweren Impfstoffkauf der EU von 2021 neu regeln soll. Das Europaparlament will die Hintergründe aufklären. Doch statt zu antworten, schickt Pfizer einen Fragenkatalog. Mehr

Europe.Table. Neues Einheitspatent gilt (fast) in der ganzen EU. Seit dem 1. Juni ist in der EU ein einheitliches Patentsystem in Kraft. Es bietet eine zentrale Anlaufstelle, um Patente in einem Großteil der EU anzumelden und durchzusetzen. Mehr

Dessert

Das Verhältnis von Wissenschaftsjournalisten zu Wissenschafts-Rankings ist ein gespaltenes. Einerseits kritisiert unsere Profession Wissenschaftler gerne für ihre Ranking-Verliebtheit. Alles Mögliche kann und wird ja inzwischen in Rankings und Listen bewertet. Andererseits, das muss man selbstkritisch einräumen, stürzen sich Redaktionen natürlich gern auf neue Top-Ten-Listen, wenn deutsche Wissenschaftler oder Forschungseinrichtungen mal besonders oder eben nicht so besonders gut abschneiden.

Ein wenig Selbstreflektion hätte möglicherweise auch den Pressestellen deutscher Hochschulen gutgetan, die mit ihren Ergebnissen beim Times Higher Education Impact Ranking (THE-Ranking) prahlten. Sie berichteten über ihre Erfolge in den verschiedenen Unterkategorien. Betrachtet wird beim THE Ranking, wie gut die Hochschulen die Nachhaltigkeitsziele der UN verfolgen. Ob man diese bei wissenschaftlichen Publikationen, beim Outreach oder in der Lehre im Blick behält.

Bei allen Fortschritten und Erfolgen in einzelnen Bereichen, schaffte es aber keine einzige deutsche Hochschule im globalen Ranking unter die besten 100 Einrichtungen. Australien und Kanada konnten viele der vorderen Plätze für sich verbuchen. In Europa waren britische und dänische Unis weiter vorn zu finden. Offensichtlich gibt es hier in Deutschland noch einiges zu tun. Für die Zukunft also: weniger Fokus auf Rankings, mehr auf Nachhaltigkeit. tg

  • Nachhaltigkeit
  • Wissenschaft

Research.Table Redaktion

RESEARCH.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    wer Spitzenforschung will, muss auswählen. Allerdings – und da wird es sehr schnell sehr kompliziert – welche Kriterien gelten bei der Selektion, fragt unsere Autorin Christine Prußky, und: Woran genau misst sich Exzellenz? Genau darüber sind sich deutsche Forschungsorganisationen nicht einig, noch nicht.

    Dem auf EU-Ebene geschlossenen Bündnis “Coalition of Advancing Research Assessment”, kurz CoARA, trauen Experten einiges zu, doch noch sind nicht alle überzeugt. Die DFG ist dabei, aber nicht nur die HRK zögert. Wird Open Science und Vielfalt im Team mit Forschungsqualität fälschlich gleichsetzt oder ist Publish or Perish dabei wirklich von gestern?

    Wir wünschen Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre – und: Bis später, denn heute Mittag soll er endlich vorgestellt werden, der Referentenentwurf für das WissZeitVG. Eine Verkürzung der Postdoc-Phase auf eine maximal vierjährige Befristung ist die wahrscheinlichste Option, sagt mein Kollege Tim Gabel. Wir werden Sie informieren.

    Eine gute Lektüre bis dahin,

    Wenn Ihnen der Research.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail weitergeleitet wurde:  Hier können Sie sich für den Research.Table kostenlos anmelden. 

    Ihre
    Nicola Kuhrt
    Bild von Nicola  Kuhrt
    • Forschung

    Analyse

    Bündnis CoARA leitet Kulturwandel in der Wissenschaftsbewertung ein

    Vordergründig ist die Sache einfach. Spitzenforschung heißt Bestenauslese. Allerdings – und da wird es schnell sehr kompliziert – welche Kriterien gelten bei der Selektion? Woran genau misst sich Exzellenz? 

    Um die Spreu vom Weizen zu trennen, nutzt die Wissenschaft vor allem Metriken. Kennzahlen sind im Massenbetrieb handhabbar und wirken objektiv. Sie führen aber auch in die Irre. Wie sehr, zeigte die Corona-Pandemie. Frauen publizierten in der Phase nachweislich weniger – und das eben nicht, weil sie plötzlich schlechter wurden, sondern weil ihnen zusätzliche Care-Arbeit wichtige Forschungszeit raubte. 

    CoARA: Leibniz, Hochschulen, BUA und DFG schon dabei 

    Unbehagen gegenüber Metriken gab es weit vor Corona. In Erklärungen (etwa: San Francisco Declaration on Research Assessment – Dora; Leiden Manifesto for Research Metrics) wandten sich Forschende und Wissenschaftseinrichtungen weltweit gegen die Dominanz der Kennzahlen. Geändert hat das: praktisch nichts. 

    Dem auf EU-Ebene geschlossenen Bündnis “Coalition of Advancing Research Assessment”, kurz CoARA, trauen Experten dagegen eine viel größere Wirkkraft zu. Mehr als 500 Wissenschaftseinrichtungen sind dabei, darunter der Europäische Forschungsrat (ERC), die European University Association, Science Europe, der Schweizerische Nationalfonds, das französische CNRS und die ETH Zürich. Sie alle versprechen in der Vereinbarung, in den nächsten fünf Jahren konkrete Maßnahmen, um in ihren Häusern:  

    • die Forschungsbewertung hauptsächlich auf die qualitative Bewertung durch Peers zu stützen 
    • die Vielfalt von Forschungskarrieren und Beiträgen zur Wissenschaft anzuerkennen 
    • die “unangemessene Verwendung” von Zeitschriften- und Publikationsmetriken aufzugeben  
    • die Verwendung internationaler Rankings von Forschungsorganisationen bei der Forschungsbewertung zu vermeiden

    Im Klartext heißt das für Forschende: Publish or Perish war gestern. Anerkannt würden künftig auch Tätigkeiten, die Forschungsprozesse verbessern, Ergebnisse robuster machen, Transparenz fördern und der Integrität der Wissenschaft dienen. Peer Review würde so zum direkten Karriere-Treibstoff

    HRK sieht CoARA kritisch 

    Aus Deutschland sprangen die Leibniz-Gemeinschaft, einzelne Hochschulen, der Berliner Exzellenzverbund BUA und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) auf den CoARA-Zug auf. Letztere, ätzen Kritiker hinter vorgehaltener Hand, sei schlicht zu bedeutend und zu groß, um sich solch einer Initiative entziehen zu können. Tatsächlich fremdelte die DFG eine Weile mit dem Vorstoß. Mit ihrer Unterschrift wartete sie, bis klar war, “dass der Reformprozess wissenschaftsgeleitet ist und die Politik nicht die Entscheidungsgremien dominiert”, erklärt Tobias Grimm, DFG-Experte für Forschungsbewertung und zuständig für CoARA. Während die DFG in CoARA mittlerweile “die Chance sieht, den längst nötigen Kulturwandel in der Forschungsbewertung zu erreichen”, befürchten andere weiterhin Risiken.  

    Walter Rosenthal zum Beispiel: “Die Vereinbarung enthält gute Ansätze. Trotzdem sehen wir sie innerhalb der HRK kritisch. Ihr ist anzumerken, dass sie im Kern politisch und top-down durch die EU-Kommission auf den Weg gebracht wurde, die Open Science und Vielfalt im Team mit Forschungsqualität gleichsetzt. Genau das aber ist falsch”, sagt der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). CoARA neige dazu, Voraussetzungen für Spitzenwissenschaft mit Kriterien der Bewertung zu verwechseln. “Open Science und Vielfalt sind notwendige Voraussetzungen für gute Wissenschaft, sie können aber keine Kriterien für die Bewertung von wissenschaftlicher Exzellenz und Forschungsqualität eines Projekts sein”, sagt Rosenthal.  

    Kommt Änderung der Mittelverteilung in Europa? 

    CoARA könnte so gesehen eine verdeckte Abkehr von der Bestenauslese bedeuten: “Wenn die Politik Forschungsförderung als Strukturförderung für Länder nutzen möchte, die weniger forschungsstark sind, kann sie das natürlich tun. Sie sollte es nur offen sagen”, kritisiert der HRK-Chef.  

    Tatsächlich geht es um sehr viel Geld. Über das EU-Forschungsprogramm Horizon Europe verteilt Brüssel dieses und nächstes Jahr 13,5 Milliarden Euro. Davon profitieren vor allem forschungsstarke Nationen wie Deutschland. Vergangenes Jahr räumte Deutschland die meisten ERC-Grants ab. “Unsere Sorge ist, dass die politisch initiierte Vereinbarung auf eine Änderung der Mittelverteilung in Europa hinauslaufen könnte, in der unser Verständnis von Forschungsexzellenz nicht mehr Zentrum steht, und der sich dann alle beugen müssten, die EU-Forschungsgelder beantragen. Das kann die HRK nicht unterstützen”, sagt Rosenthal. 

    Ob Risiko oder Chance: Auswirkungen sind in Sicht. 2024 will der ERC seine Bewertungsverfahren anpassen und den Projektvorschlägen selbst mehr Gewicht beimessen als bisherigen Erfolgen der Bewerberinnen und Bewerber. Bei der DFG dürfen Forschende in Anträgen und Lebensläufen schon seit vergangenem Jahr Aufsätze auf Preprint-Severn oder den Aufbau von Datenbanken und Software-Entwicklungen einbringen. Nennen können sie auch persönliche Ereignisse, die ihre Laufbahn beeinträchtigen – wie die Care-Arbeit in der Corona-Phase etwa. 

    Kulturwandel: Die meisten Player werden wohl unterschreiben 

    Die DFG hat den Kulturwandel in der deutschen Wissenschaft also eingeleitet, auch wenn sich andere Förderer wie die private Volkswagenstiftung noch bedeckt halten. Sie verfolge “aufmerksam, wie sich die hiesigen Wissenschaftsorganisationen dazu stellen”, ließ die Stiftung wissen. Zögern gibt es auch bei der Helmholtz, Fraunhofer und der Max-Planck-Gesellschaft. 

    Dass das den internationalen Zug aufhält, halten Beobachter für unwahrscheinlich. Sie rechnen eher damit, dass am Ende doch die meisten Player unterschreiben. Ausgemacht ist das nicht. Fest steht aber: “Je mehr Einrichtungen und Institute diesen Kulturwandel mittragen, desto eher können Forschende ihre Karrieren darauf aufbauen. Sie müssen sich schließlich darauf verlassen können, dass die Kriterien der Bewertung vergleichbar sind”, sagt DFG-Experte Tobias Grimm. 

    • ERC
    • ETH Zürich
    • Forschung

    UBA-Chef Messner: Mehr Redlichkeit in der Klima-Debatte

    Fordert einen “What-ever-it-takes-Moment”: Dirk Messner, Chef des Umweltbundesamts.

    Mit Sorge blickt Dirk Messner auf die aktuelle klimapolitische Debatte und den Umgang mit wissenschaftlichen Fakten. “Es wäre irritierend, wenn in einer Demokratie nicht debattiert würde. Aber wir brauchen Redlichkeit in der Diskussion”, sagt Messner. Politische Instrumente müssten im Einklang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen. Fusionsreaktoren etwa seien in den nächsten Jahrzehnten nicht zu erwarten: “Wunschdenken hilft da nicht weiter.” Was den Heizungsstreit angeht, warnte Messner vor zu großen Hoffnungen in Holz und Wasserstoff als Energieträger. Wasserstoff werde vor allem die Industrie benötigen, und Holz könne höchstens einen kleinen Teil zur Lösung beitragen.

    Darauf angesprochen, wie man als Wissenschaftler damit umgehe, dass in der politischen Debatte Lösungen propagiert werden, die den Fakten widersprechen, gibt sich Messner zurückhaltend. “Wir haben als UBA nicht die Aufgabe, die politischen Parteien jeden Tag einem Reality Check auszusetzen”. Man weise lediglich aus der wissenschaftlichen Perspektive des UBA auf die Problemlage hin und gebe Hinweise wie Problemlösungen aussehen könnten. Kritik nehme man sehr ernst. Jüngste Vorwürfe der FDP, das eine Studie zur Klimawirkung eines Tempolimit des UBA im Auftrag der Grünen erfolgt sei, weist Messner im Gespräch entschieden zurück.

    Angriffe auf Studien und Wissenschaftler “werden sich beruhigen”

    Trotz weiterer Versuche die Studien von UBA, dem Öko-Institut und der Agora in eine parteipolitische Ecke zu drängen, will Messner bislang keine gezielten Angriffe auf die Wissenschaft als politische Strategie erkennen – zumindest nicht aus dem Spektrum der demokratischen Parteien. Er sehe nicht, dass Zweifel aktiv gesät würden, sagte Messner. “Ich glaube, das wird sich wieder beruhigen. Diese Institutionen wurden ja auch in 16 Jahren Merkel-Regierung immer wieder wegen ihrer ausgewiesenen Expertise nachgefragt.”

    Für den effektiven Kampf gegen die Klimakrise fordert der UBA-Chef einen “What-ever-it-takes-Moment”. Messner wünscht sich dazu von den Parteien im Kampf gegen den Klimawandel ein Zeichen der Geschlossenheit. Dafür brauche es einen Moment, “in dem sich die politisch Verantwortlichen – ähnlich wie in der Finanzkrise – lagerübergreifend zusammenstellen”, sagte Messner Table.Media. Sie sollten deutlich machen, dass die Notwendigkeit der Transformation von keiner demokratischen Partei infrage gestellt werde.

    “Glücksmoment” von 2021 ist inzwischen wieder verflogen

    Im Jahr 2021 sei er zuversichtlich gewesen, dass ein solcher Moment kurz bevorstünde. “Im Koalitionsvertrag wurde vieles zum Regierungsprogramm, was wir bereits 2011 in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen zur ,Großen Transformation’ vorgeschlagen hatten”. Gleichzeit sei auf EU-Ebene der European Green Deal verabschiedet worden, in den USA gab es den Machtwechsel zu Biden und auf der Straße demonstrierte Fridays for Future. Sogar der BDI habe in einer eigenen Studie gezeigt, dass Klimaneutralität bis 2045 funktionieren kann. “Da hatte ich ein echtes Glücksmoment”, sagt Messner.

    Inzwischen sei vom “Geist des Konsenses” nicht mehr viel zu spüren. Es gebe zwar weiter das gemeinsame Ziel bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen und die notwendigen Technologien dafür stünden bereit. Probleme gebe es aber vor allem bei der Frage nach der Gerechtigkeit, der Geschwindigkeit und der Wahl der richtigen Instrumente. “Da geht es um technologische Veränderungspfade, um Kosten und deren Verteilung, aber auch um die Verteidigung von Vergangenheitsinteressen”, sagt der UBA-Chef. Als Beispiele nannte Messner die mühsamen Diskussionen über den Ausstieg aus der Kohle, das Glühlampenverbot – oder aktuell die Kampagne zur Rettung des Verbrennermotors.

    Für die Proteste der “Letzten Generation” hat Messner ein gewisses Verständnis. “Ihre Sorge kann ich gut verstehen. Wir kommen der Krisensituation, vor der wir seit 30 Jahren warnen, immer näher”, sagt er. “Ich würde nicht argumentieren, dass man deswegen keine Kinder mehr kriegen kann oder sich auf der Straße festkleben sollte. Aber wir stehen schon an einem kritischen Punkt.” Allerdings würden Warnungen allein nicht helfen. Die Attraktivität einer klimaneutralen Zukunft müsse herausgestellt werden.

    Das Gespräch führten Bernhard Pötter und Malte Kreutzfeldt. Das ausführliche Interview lesen Sie hier.

    • Deutschland
    • Forschung

    Termine

    9. Juni 2023, 17 Uhr, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
    Preisverleihung Verleihung des 15. Eva Luise Köhler Forschungspreises – Festakt mit Bundesminister Karl Lauterbach Mehr

    14.-17. Juni 2023, BBAW, Berlin
    Festtage Wandel durch Aufklärung. 30 Jahre Neukonstitution der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Mehr

    15. Juni 2023, 20:00 Uhr bis 21:30 Uhr, Kulturzentrum Nirgendwo, Berlin-Friedrichshain
    Wissenschaftsvarieté Wissenschaftsvarieté Astrophysik und unsere Vorstellung davon Mehr

    19./20. Juni 2023, Berlin und online
    Tag der Industrie des BDI #TDI23 – Zukunftswende Mehr

    News

    “Mehr Deutschland-Geschwindigkeit”

    Alles muss schneller werden, lautete das Fazit der großen gesamtgesellschaftlichen Nachdenk-Runde “Allianz für Transformation”, ein im Koalitionsvertrag festgeschriebenes Austauschformat auf Spitzenebene. Am Freitag kamen dabei 49 Abgesandte aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen, auf der Gästeliste standen etwa die Minister Robert Habeck und Hubertus Heil dazu auch acatech-Präsident Jan Wörner und Gerald Haug für die Leopoldina.

    Beherrschendes Thema war das staatliche Handeln in der Energiepolitik. Um das Nachhaltigkeitsziel von 80 Prozent erneuerbar produziertem Strom im Jahr 2030 zu erreichen, so rechnete Kanzler Scholz vor, müssten bis dahin pro Tag in Deutschland vier bis fünf Windräder errichtet, 43 Fußballfeld-große Solaranlagen und 1.600 Wärmepumpen installiert und vier Kilometer Übertragungsnetze gebaut werden. 

    “Wir brauchen mehr Tempo, mehr Deutschland-Geschwindigkeit in vielen Bereichen”, so die Botschaft des Regierungsschefs. “Dafür müssen wir unsere Verfahren prüfen, Vorschriften durchforsten und auch neue Wege gehen.”

    Fahimi: Schleichender Abstieg möglich

    Die Gewerkschaftschefin Yasmin Fahimi stellte die Herausforderung am Beispiel eines Schwarz-Weiß-Szenarios dar. Die eine Option sei, “dass wir einen schleichenden Abstieg erfahren”, bedingt durch dauerhaft hohe Energiekosten, Verlagerung von Forschungs- und Entwicklungsstandorten aus Deutschland heraus und einem demografischen Wandel, der “voll durchschlägt”. Sehr viel schwieriger sei dagegen die Frage zu beantworten: “Was sind die Gelingensbedingungen für ein optimistisches Szenario, das alle einlädt und Lust auf Transformation macht?” Aus Sicht der DGB-Vorsitzenden ist die Bewältigung des Fachkräftemangels mit mehr Digitalisierung und Automatisierung zu erreichen, aber nicht nur. “Wir brauchen Zuwanderung und Weiterbildung”, sagt Fahimi. “Wir brauchen forschungsgetriebene Ökosysteme und verbesserten Transfer von Forschung.”

    Nach Angaben von Handwerkspräsident Jörg Dittrich sind 450.000 Handwerksbetriebe mit ungefähr 2,5 Millionen Beschäftigten mit der Energiewende befasst. Was aber nicht ausreicht: Auf 300.000 bis 500.000 Fachkräfte wird der zusätzliche Bedarf bis 2030 geschätzt. Ein Schlüssel, dies zu erreichen, sei die “Bildungswende”, sagt Dittrich. “Die berufliche Bildung muss gleichwertig zur akademischen Bildung gesehen, gelebt, finanziert und wertgeschätzt werden”, erklärte der Verbandspräsident. “Wir brauchen Berufsorientierung in allen Bildungsbereichen, eben auch in den Gymnasien.”

    Marie-Luise Wolff, Präsidentin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, gab die Innovationsdebatte der Runde wieder. Deutschland sei “sehr stark in inkrementellen Verbesserungen der Technologien”, schwächele dagegen bei disruptiven Innovationen, die Technologiesprünge auslösen. Zur Innovation gehöre es auch, alte Zöpfe abzuschneiden und überholte Technologien zu beenden.

    So viel Change-Bedarf, dass die drei Stunden Brainstorming nicht ausreichten, sodass die eigentlich halbjährlich tragende Allianz schon im Oktober wieder zusammenkommen will. mr

    • Allianz für Transformation
    • Olaf Scholz

    Kernfusion: BMBF und BDI werben für Investitionen

    Das Bundesforschungsministerium hat gemeinsam mit dem BDI bei Industrie und Unternehmen für mehr Dynamik in der Fusionsforschung geworben. Beim gleichnamigen Symposium am gestrigen Montag sprach sich Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger für eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft in Deutschland aus: In den vergangenen Monaten habe man auf Seiten der Wissenschaft in Deutschland, aber auch international, Durchbrüche gefeiert. Die Wissenschaft habe gezeigt, dass die Erzeugung von Energie durch Kernfusion prinzipiell und praktisch möglich ist.

    “Der Transfer in die Praxis kann allerdings nur gemeinsam mit der Industrie gelingen”, sagte Stark-Watzinger in Berlin. Man stehe an einem kritischen Punkt, weil international der kommerzielle Wettbewerb begonnen habe. Auch wenn es noch einige Legislaturperioden dauern werde, bis ein Fusionskraftwerk ans Netz gehen könne, müsse man jetzt durch internationale und öffentlich-private Partnerschaften die richtigen Weichen stellen. Um private Investitionen und mutiges Unternehmertum trotz fehlender kurzfristiger Wertschöpfung zu ermöglichen, werde die Bundesregierung verlässliche Förderinstrumente und Infrastrukturen bereitstellen. Stark-Watzinger kündigte eine entsprechende BMBF-Strategie noch vor der Sommerpause an.

    Politik, Unternehmen und Investoren brauchen langen Atem

    In einer nicht-repräsentativen Umfrage unter den Teilnehmern der Veranstaltung gaben die meisten an, dass sie an ein erstes Fusionskraftwerk erst in zwanzig bis dreißig Jahren glauben. Ähnliche Zeitspannen hielten auch die Experten der Podiumsdiskussion für ein realistisches, wenn auch ambitioniertes Szenario. Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) widersprach der Annahme, dass die Industrie nicht zu langfristigen Investitionen bereit wäre.

    Man müsse einen ungeheuer langen Atem haben und möglicherweise sogar über mehrere CEO-Generationen planen, sagte Frank Laukien, CEO des Fusions-Start-ups Gauss Fusion. Investitionen von zwei Milliarden Dollar, wie es die bereits für US-Start-ups gegeben haben, würden sich in Europa nicht wiederholen. “Es braucht kleine, aber smarte Investitionen und ohne öffentliche Subventionen wird es nicht gehen”, sagte der deutsch-amerikanische Wissenschaftler und Gründer. Zudem müsse die Politik schnell Bürokratie abbauen und einen Fokus auf die Ausbildung von Fachkräften in dem Bereich setzen.

    Wenig neue Akzente und bekannte Forderungen

    Die namhaften Experten des Symposiums setzten inhaltlich wenig neue Akzente. Die Wissenschaftliche Direktorin des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik, Sibylle Günter, forderte wie bereits zuvor 20 Milliarden Euro in den nächsten 20 Jahren für den Bau eines Stellerator. Bei diesem Anlagentyp der magnetbasierten Laserfusion sei man im Gegensatz zu laserbasierten Anlagen in Deutschland weltweit mit an der Spitze. Ihre Kritik an der aktuellen politischen Fokussierung auf die laserbasierten Verfahren hatte Günter bereits in der Vergangenheit geäußert.

    Für Technologieoffenheit warb dagegen Constantin Häfner vom Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT. Häfner ist Vorsitzender einer internationalen Expertenkommission, die das BMBF eingesetzt hatte. Er stellte den Kommissionsbericht vor, in dem sich die Experten vor zwei Wochen für die Förderung der Laserfusionsforschung parallel zur Magnetfusionstechnologie ausgesprochen hatten. tg

    • BDI
    • BMBF
    • Kernfusion

    EFI schlägt Strategie-Mix vor, um missionsorientierte F&I-Politik voranzutreiben

    Mit ressortübergreifenden Missionsteams, Förderprogrammen in der Hand von Projektträgern und einem Zukunftsausschuss im Kanzleramt ließe sich die Agilität der missionsorientierten Forschungs- und Innovationspolitik steigern. Davon geht ein in der vergangenen Woche veröffentlichtes Policy Brief der Expertenkommission für Forschung und Innovation (EFI) aus. Das sechsköpfige Autorenteam um den EFI-Vorsitzenden Uwe Cantner hat sich mit der Umsetzung der Zukunftsstrategie Forschung und Innovation befasst.

    Ansätze für agileres Politikhandeln gesucht

    Ziel der Zukunftsstrategie ist es, notwendige Transformationsprozesse aktiv zu gestalten. Dabei geht es vor allem um den Schutz von Klima und Biodiversität, um Digitalisierung und Ressourcenschonung. F&I-politisches Handeln müsse deutlich agiler und durchsetzungsstärker werden, mahnen die Experten. Die aktuellen Strukturen begünstigten ressortbezogenes Silodenken und hemmten agiles Politikhandeln. In dem Papier stellen sie verschiedene Optionen für eine Reform der Governance-Strukturen vor:

    • Interne wissenschaftliche Beratung durch Etablierung einer Science-Advisor-Position im Kanzleramt
    • Einrichtung eines Superministeriums durch Bündelung innovations- und transformationsbezogener Politikfelder in einem Ressort
    • Einrichtung ressortübergreifender Missionsteams, wie derzeit von der Bundesregierung vorgesehen
    • Gründung von Missionsagenturen, die Strategieführerschaft und Ownership für eine zu definierende transformative Mission übernehmen, wie von Experten des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung und der Bertelsmann-Stiftung vorgeschlagen

    Um agiles Handeln zu befördern, schlägt die EFI folgende Kombination struktureller Anpassungen vor:

    • Auf der Ebene des Politikdesigns plädiert das Autorenteam für ressortübergreifende Missionsteams. Diese sollten mit klaren Verantwortungsbereichen sowie ausreichenden Entscheidungskompetenzen ausgestattet werden und die beteiligten Ressorts über die Ebene der Staatssekretärinnen und Staatssekretäre einbinden und Roadmaps entwickeln.
    • Auf der Ebene der Implementation wird vorgeschlagen F&I-Förderprogramme für die einzelnen handlungsleitenden Teilmissionen jeweils bei einem Projektträger zu bündeln. Das Projektträgersystem sei zu reformieren, indem die Fördermittelverwendung stärker ergebnisorientiert gesteuert wird.
    • Für Rückkopplungsprozesse zwischen den Ebenen soll der Zukunftsausschuss da sein, demgegenüber die Missionsteams Rechenschaft ablegen müssen.

    An progressiven Ansätzen wie der Einrichtung von Missionsagenturen hat die EFI einiges zu kritisieren. Sie lösten das Problem der mangelnden interministeriellen Koordination nicht, heißt es zum Beispiel. Man befürworte es, “konkrete Missionen innerhalb der Governance-Struktur abzubilden”. Und ein Science Advisor könne in Deutschland aufgrund des im Grundgesetz verankerten Ressortprinzips nicht so “wirkmächtig” sein wie beispielsweise in den USA. abg

    • Deutschland
    • EFI
    • Forschung

    Heads

    Stefan Aykut – ein Pionier der sozialen Klimaforschung

    Stefan Aykut hat an der Universität Hamburg die Mercator-Stiftungsprofessur für Soziologie, insbesondere gesellschaftliche Dynamiken der ökologischen Transformation.

    Wenn Stefan Aykut von seiner Forschung erzählt, fallen immer wieder Wörter wie Zuversicht, Wandel, Dynamik, Veränderung. Im Kern beschreiben sie das, was Stefan Aykut in seiner Anfang Mai angetretenen Mercator-Stiftungsprofessur an der Universität Hamburg in den kommenden Jahren vorhat: Er will die sozialwissenschaftliche Klimaforschung voranbringen.

    Mit seiner Professur etabliert der Sozialwissenschaftler Stefan Aykut ein neues Forschungsfeld an der Universität Hamburg: gesellschaftliche Dynamiken der Klimawende. Sein Ziel: “Ich möchte gesellschaftliche Prozesse angesichts ökologischer Krisen und Konflikte verstehen und die Fragen stellen: Was treibt Klimapolitik an und wie gelingt effektiver Klimaschutz? Wie schaffen wir den so dringend nötigen gesellschaftlichen Wandel zur Nachhaltigkeit?”

    Klimawandel als Transformationsprojekt

    Bislang wird Klimaschutz vor allem aus technischer und ökonomischer Perspektive diskutiert und untersucht. “Klimawandel ist aber kein einfaches Umweltproblem, das wir durch technische Lösungen in den Griff bekommen. Es ist vor allem ein gesellschaftspolitisches Problem, ein umfassendes Transformationsprojekt, das uns alle betrifft“, sagt Aykut, der mit seiner Partnerin in Hamburg lebt, im lebendigen Dreieck aus Sternschanze, Eimsbüttel und Grindelviertel. Wenn der 42-Jährige nicht forscht, trifft er sich gerne mit Freundinnen und Freunden zu einem Bier, verbringt viel Zeit mit seinem Neffen oder probiert mit seiner Partnerin Kochrezepte aus. “Am besten abschalten kann ich beim Klavierspielen, allein zu Hause oder mit meiner Band”, sagt Aykut.

    Seine Forschung sei seine Leidenschaft, die Klimawende aber nicht nur ein interessanter Forschungsgegenstand sondern auch eine persönliche Herzensangelegenheit. “Wir müssen den Klimaschutz voranbringen. Und natürlich stelle auch ich mir die Frage: Wieso handeln wir noch zu wenig?”. Mit seiner Forschung versucht er eben diese Frage zu beantworten.  “Ich möchte letztendlich einen Teil dazu beitragen, dass wir es als Gesellschaft schaffen, Klimaschutz umzusetzen. Und das motiviert mich auch, jeden Tag weiterzuforschen.”

    Sein Ziel: Die Erfassung sozialer und politischer Dynamiken

    Es ist die Wechselwirkung zwischen Politik, Gesellschaft und Wissenschaft, die Stefan Aykut in seiner wissenschaftlichen Karriere von Anfang an fasziniert hat. Nach einer Jugend in Stuttgart studierte Stefan Aykut Sozialwissenschaften an der FU Berlin, der Sabanci University Istanbul und der Ecole des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris, an der er 2012 promovierte. 2017 wurde er auf eine Juniorprofessur an der Universität Hamburg berufen. Aykut ist außerdem Direktor des Center for Sustainable Society Research (CSS) und leitet ein Teilprojekt im Exzellenzcluster Climate, Climatic Change and Society (CLICCS). 

    “Ob Klimawandel, Biodiversitätsverlust oder die Frage nach der Atomkraft – das Ziel meiner Forschung war schon immer, die soziale und politische Dynamik ökologischer Krisen und Konflikte zu erfassen”, sagt Aykut. So hat er bereits zu den globalen Klimaverhandlungen und Performances auf Weltklimakonferenzen publiziert, aber auch zu nationalen Energiewenden und der Rolle, die Expertenwissen, Protestbewegungen und Gerichtsprozesse darin spielen.

    Es ist eben diese neuartige Verknüpfung von Forschungsansätzen und Methoden der Politikwissenschaft, Soziologie und der Science and Technology Studies, die seine Forschung so besonders macht. 2019 hat ihn daher auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) mit dem Heinz Maier-Leibnitz-Preis für Nachwuchswissenschaftler ausgezeichnet. 

    Eine Stiftungsprofessur mit nur 42 Jahren

    Nun hat er mit nur 42 Jahren die Mercator-Stiftungsprofessur inne, ein weiterer Meilenstein in seiner wissenschaftlichen Karriere. Ja, er sei stolz auf diesen Erfolg, sagt er. “Es ist eine Ehre, ein Privileg und es bedeutet natürlich auch gleichzeitig mehr Verantwortung”, sagt Aykut. Er wird unter anderem ein eigenes Team einstellen, das aus rund acht Personen bestehen soll. 

    Zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen vom Exzellenzcluster Climate, Climatic Change, and Society will Aykut verschiedene soziale Treiber für den Klimaschutz betrachten. Dazu zählen unter anderem Klimaproteste, wie Fridays for Future oder die Letzte Generation, zivilgesellschaftliches Engagement durch Verbände und NGOs, politische Prozesse auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene, Klimaklagen und die Produktion von handlungsrelevantem Wissen, aber auch die Frage, wie sich beispielsweise Konsummuster verändern lassen, die für das Klima relevant sind. 

    Jährliche Studie zur Klimawende

    Mit seiner Arbeit möchte der 42-Jährige der Politik, aber auch zivilgesellschaftlichen Akteuren Informationen und konkrete Empfehlungen liefern. Zudem soll in der öffentlichen Debatte für mehr Bewusstsein über die gesellschaftliche Dimension von Klimaschutz gesorgt werden. Ab 2024 soll außerdem jährlich eine Studie zur Klimawende erscheinen, die der Frage nachgeht, ob und wie Deutschland seine Klimaziele erreichen kann.

    Aykut blickt selbst besorgt in die Zukunft, denn der Klimawandel schreitet weiterhin nahezu ungebremst voran. Doch der Professor sieht auch Gründe für Zuversicht. Mut machen ihm vor allem die Klimaproteste und das große gesellschaftliche Engagement für den Klimaschutz.

    “Mich inspirieren diese Proteste. Sie zeigen, dass gesellschaftlicher Wandel möglich ist. Ohne Fridays for Future würden wir heute in Sachen Klimaschutz viel schlechter dastehen. Deswegen sind Proteste auch so wichtig”, sagt Aykut. “Gesellschaft kann natürlich auch oft eine blockierende Kraft sein, etwa, wenn bestehende Institutionen sozialen Wandel ausbremsen. So oder so ist sie aber vor allem eines: ein essenzieller und bisher schlecht verstandener Teil der Transformation zur Klimaneutralität.” Elena Matera

    • Deutschland
    • Forschung
    • Klimaforschung
    • Klimawandel

    Personalien

    Jasmin Gründling-Riener, Peter Ertl und Wolfgang Kastner werden Vizerektorin bzw. -rektoren der TU Wien. Sie sind im Team des designierten Rektors Jens Schneider für Lehre (Gründling-Riener), Forschung, Innovation, Internationales (Ertl) und Digitalisierung und Infrastruktur (Kastner) zuständig.

    Ingrid Josephs, Lambert Koch und Nils Szuka wurden in den Hochschulrat der FernUniversität Hagen bestellt. Josephs ist an der FernUniversität Hagen Prodekanin der Fakultät für Psychologie, Szuka ist Geschäftsführer der rechtswissenschaftlichen Fakultät und Koch ist ehemaliger Rektor der Bergischen Universität Wuppertal. Alle drei treten ihr Amt am 4. September an.

    Ina Schieferdecker wurde als Abteilungsleiterin der Abteilung 5 im BMBF, Forschung für technologische Souveränität und Innovationen, abberufen. Eine Nachfolge steht noch nicht fest.

    Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an research@table.media!

    Mehr von Table.Media

    Climate.Table. Klima-Zwischenkonferenz in Bonn: Die wichtigsten Streitpunkte der SB58. Bei der UN-Zwischenkonferenz SB58, die am Montag begonnen hat, sollen die Weichen für die COP28 gestellt werden. Der Streit um fossilen Ausstieg und Finanzen schwelt weiter. Mehr

    Europe.Table. Pfizer verweigert Auskunft zu neuem Impfstoff-Deal. Der US-Pharmakonzern Pfizer bleibt Auskunft zu einer Vereinbarung schuldig, die einen umstrittenen, milliardenschweren Impfstoffkauf der EU von 2021 neu regeln soll. Das Europaparlament will die Hintergründe aufklären. Doch statt zu antworten, schickt Pfizer einen Fragenkatalog. Mehr

    Europe.Table. Neues Einheitspatent gilt (fast) in der ganzen EU. Seit dem 1. Juni ist in der EU ein einheitliches Patentsystem in Kraft. Es bietet eine zentrale Anlaufstelle, um Patente in einem Großteil der EU anzumelden und durchzusetzen. Mehr

    Dessert

    Das Verhältnis von Wissenschaftsjournalisten zu Wissenschafts-Rankings ist ein gespaltenes. Einerseits kritisiert unsere Profession Wissenschaftler gerne für ihre Ranking-Verliebtheit. Alles Mögliche kann und wird ja inzwischen in Rankings und Listen bewertet. Andererseits, das muss man selbstkritisch einräumen, stürzen sich Redaktionen natürlich gern auf neue Top-Ten-Listen, wenn deutsche Wissenschaftler oder Forschungseinrichtungen mal besonders oder eben nicht so besonders gut abschneiden.

    Ein wenig Selbstreflektion hätte möglicherweise auch den Pressestellen deutscher Hochschulen gutgetan, die mit ihren Ergebnissen beim Times Higher Education Impact Ranking (THE-Ranking) prahlten. Sie berichteten über ihre Erfolge in den verschiedenen Unterkategorien. Betrachtet wird beim THE Ranking, wie gut die Hochschulen die Nachhaltigkeitsziele der UN verfolgen. Ob man diese bei wissenschaftlichen Publikationen, beim Outreach oder in der Lehre im Blick behält.

    Bei allen Fortschritten und Erfolgen in einzelnen Bereichen, schaffte es aber keine einzige deutsche Hochschule im globalen Ranking unter die besten 100 Einrichtungen. Australien und Kanada konnten viele der vorderen Plätze für sich verbuchen. In Europa waren britische und dänische Unis weiter vorn zu finden. Offensichtlich gibt es hier in Deutschland noch einiges zu tun. Für die Zukunft also: weniger Fokus auf Rankings, mehr auf Nachhaltigkeit. tg

    • Nachhaltigkeit
    • Wissenschaft

    Research.Table Redaktion

    RESEARCH.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen