Bettina Stark-Watzinger lässt die Wissenschafts-Community zunehmend ratlos zurück: Demonstrativ fordert die Bundesforschungsministerin Hochschulen und wissenschaftliche Einrichtungen auf, im Umgang mit China “bisherige Praktiken zu überprüfen und bestehende Denkmuster zu hinterfragen” – man dürfe nicht naiv sein. Diese Forderung ist berechtigt, und kommt nicht zum ersten Mal. Es müsse eine “noch kritischere Abwägung” von Risiko und Nutzen bei der Zusammenarbeit mit China her, führte Stark-Watzinger in ihrem FAZ-Gastbeitrag weiter aus. Noch weniger naiv sein, also.
Wissenschaftler kritisieren gegenüber Table.Media das deutliche Missverhältnis zwischen politisch gemaltem Szenario und Realität der Forschenden. Die meisten Wissenschaftler seien nicht naiv, sondern würden durchaus sensibel mit dem Thema umgehen. Es fehle eher an Strukturen und Mitteln, die zusätzlich nötigen Wege umzusetzen. Niels Peter Thomas, China-Chef des Wissenschaftsverlags Springer Nature, rät deutlich davon ab, die Kooperationen mit China zu sehr einzuschränken: Längst würde Deutschland sonst auf wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse verzichten.
Für den Hochlauf beim grünen Wasserstoff vermissen Forscher eine verlässliche Strategie. Schon 2028 soll immerhin ein 1.800 Kilometer langes Kernnetz von Pipelines durch Deutschland laufen, die neue Wasserstoff-Infrastruktur bis 2030 aufgebaut sein. Welche Forscher die Wasserstoff-Forschung aktuell vorantreiben, berichtet Christian Schwägerl. Dass auch die Anstrengungen zur Beschaffung von Wasserstoff intensiviert werden müssen, ist für Görge Deerberg dabei das Gebot der Stunde. Für die Bundesregierung hat er ein paar Ergänzungsvorschläge – mein Kollege Tim Gabel hat nachgefragt.
Punkten möchte Bettina Stark-Watzinger noch auf einem anderen Feld: Am Mittwoch wird der KI-Aktionsplan vorgestellt. Wir halten Sie auf dem Laufenden.
Wir wünschen Ihnen inspirierende Lektüre,
Wenn Ihnen der Research.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail weitergeleitet wurde: Hier können Sie sich für den Research.Table kostenlos anmelden.
In einem Gastbeitrag in der FAZ hat Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger zum Wochenbeginn wissenschaftliche Institutionen und Hochschulen dazu aufgefordert, im Umgang mit China “bisherige Praktiken zu überprüfen und bestehende Denkmuster zu hinterfragen”. Deutschland dürfe nicht naiv sein im Umgang mit einem Regime, das “das Ziel verkündet, Ergebnisse ziviler Forschung in militärische Anwendungen überführen und eine Dominanz bei kritischen Technologien erreichen zu wollen.”
Speziell mit Blick auf Forschungskooperationen mit China sei eine noch kritischere Abwägung von Risiko und Nutzen bei der Zusammenarbeit notwendig als in internationalen Kooperationen ohnehin, mahnte die Ministerin. Hochschulen sollten auch bestehende Kooperationen auf den Prüfstand stellen. Damit spielt Stark-Watzinger vermutlich auf die CSC-Stipendiaten und die Konfuzius-Institute an deutschen Hochschulen an. Zu beiden Kooperationen hatte sie sich schon in den Wochen und Monaten zuvor kritisch geäußert.
Stark-Watzinger erwähnte zudem explizit den Fall einer Kooperation an der Universität Heidelberg, an der chinesische Quantenphysiker den Zugang zu Wissen und Infrastruktur dazu genutzt hätten, “später nach China zurückzukehren und dort dem Militär zuzuarbeiten”. Das Recherchenetzwerk Correctiv hatte dazu im Juni berichtet. In der Wissenschaftscommunity wird der Fall durchaus differenzierter gesehen. Solche Kooperationen seien zu dem Zeitpunkt üblich gewesen, heißt es aus Kreisen.
Stark-Watzinger empfahl Forschenden, die Forschungskooperationen planen oder bereits in diesen arbeiten, die Unterstützungsangebote der Kommissionen für Ethik sicherheitsrelevanter Forschung (KEF) zu nutzen und sagte zu, die Informationsangebote zu stärken und den Aufbau unabhängiger China-Kompetenz zu unterstützen. Auch im Rahmen der China-Strategie hatte die Bundesregierung hier Unterstützung zugesagt. Weder im Strategie-Papier der Bundesregierung noch im Leitartikel von Bettina Stark-Watzinger sind allerdings konkrete Maßnahmen zur Unterstützung der Forschenden benannt.
Hannes Gohli, Leiter des China-Kompetenzzentrums an der Universität Würzburg, kritisiert die Diskrepanz zwischen Forderungen und politischem Handeln. Er sei grundsätzlich einverstanden, dass Forschende zum Thema Forschungskooperationen verstärkt sensibilisiert und informiert werden sollten, “nur müssen nach Forderungen auch Mittel zur Umsetzung bereitgestellt werden”, sagte Gohli auf Anfrage von Table.Media. Momentan stünden diese Ressourcen zum Aufbau von China-Kompetenz und zur Beratung in der Wissenschaft nicht ausreichend zur Verfügung.
“Wenn wir die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit China wirklich sicherer machen wollen, dann reichen Forderungen und Leitartikel nicht aus, dann brauchen wir schlichtweg mehr Unterstützung”, forderte Gohli. Die meisten Forschenden seien seiner Beobachtung nach nicht naiv, sondern würden viele Fragen stellen und sehr sensibel mit dem Thema umgehen. Es gebe zur Beschäftigung mit dem Thema auch die notwendigen Infrastrukturen und Informationsangebote an Hochschulen und bei Institutionen im Wissenschaftssystem, beispielsweise bei der HRK oder dem DAAD. “Oft sind die auf Arbeitsebene allerdings nicht hinreichend ausgestattet.”
Mit Blick auf die KEFs und ähnliche Initiativen äußerte Gohli zudem Zweifel daran, ob die Institutionen mehr Beratung überhaupt leisten könnten. An vielen Universitäten seien KEFs, Kompetenzzentren und andere Einrichtungen häufig nur halbe und zeitlich-begrenzte Stellen, die dann mit Nachwuchswissenschaftler:innen besetzt werden, um diesen eine Chance in der Wissenschaft zu geben, “weil die Fördermittel für Stellen unterhalb der Professur nicht ausreichen”, sagte Gohli.
Der China-Chef des Wissenschaftsverlags Springer Nature warnte im Gespräch mit Table.Media davor, die Kooperationen mit der Wissenschaftsmacht China zum jetzigen Zeitpunkt zu sehr einzuschränken. “Ohne China würden wir auf Erkenntnisse verzichten”, sagte Niels Peter Thomas. China sei dabei, die USA gerade als Wissenschaftsnation Nr. 1 abzulösen, das hätten eine Analyse des japanischen Wissenschaftsministeriums und der Nature Index unabhängig voneinander gezeigt. Dementsprechend habe sowohl die Menge als auch die Qualität an Output von chinesischer Forschung deutlich zugenommen.
Es gebe viele berechtigte Kritikpunkte einzelner problematischer Kooperationen, umgekehrt gebe es aber “viele Themen, von denen wir mit Blick auf eine chinesische Beteiligung stark profitieren können’” sagte Thomas. China sei beispielsweise in der Chemie und den Materialwissenschaften, aber auch in vielen anderen Gebieten wie Informatik und Ingenieurwissenschaften an der Weltspitze zu verorten. “Die Leistung der deutschen Wissenschaft würde abnehmen, wenn wir komplett oder weitgehend auf deutsch-chinesische Forschungskooperationen verzichten würden”, sagte der Verleger.
Das Gleiche gelte umgekehrt allerdings auch für die chinesische Wissenschaft. Insgesamt würde der wissenschaftliche Fortschritt der Welt abnehmen, wenn wir und andere auf Kooperationen pauschal verzichten würden. Dies sei mit Blick auf die 17 Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen nicht wünschenswert. Die Themen, die das BMBF und die Bundesregierung mit Blick auf deutsch-chinesische Forschungskooperationen für wünschenswert befunden hatten, seien viel zu eng gefasst, konstatierte Thomas.
“Klima und Gesundheit sind einige der wichtigsten Themen, aber Armuts- und Hungerbekämpfung, Bildung, Infrastruktur-Innovation und Wirtschaftswachstum sind auch wichtig, und daran arbeiten chinesische Forscher auch.” Laut Thomas könnte die Naivität von Deutschland anders gelagert sein: “Wir glauben ja noch immer, dass wir die Technologie haben und die Chinesen davon lernen. Das ist in vielen Gebieten aber längst anders. Der richtige Weg ist, bis auf kritische Ausnahmen, die man eng, aber klar definieren sollte, möglichst alles für alle zu öffnen, also Open Science zu leben.“
Ein ausführliches Interview mit Hannes Gohli zur China-Strategie der Bundesregierung lesen Sie hier.
Das gesamte Interview mit Niels Peter Thomas unseres Kollegen Frank Sieren vom China.Table lesen Sie hier.
Dringend gebraucht wird vieles: Anlagen, die den Wasserstoff klimaneutral erzeugen, Leitungen und Behälter, die das leicht entflammbare Gas sicher einschließen, und schließlich Geräte und Motoren, um die Energie im Wasserstoff in Wärme, Strom oder Antrieb umzuwandeln. Obwohl laut Regierungsstrategie bis 2030 die neue Wasserstoff-Infrastruktur schon in Grundzügen aufgebaut sein soll, steht davon noch kaum etwas wirklich zur Verfügung.
In der Referenzfabrik.H2 in Chemnitz wird daran gearbeitet, das zu ändern. “Wir entwickeln Standardlösungen, die es gestatten, auf allen Ebenen der Wasserstoffsysteme mit der Massenproduktion zu beginnen”, sagt Ulrike Beyer, die das Vorhaben, für das drei Institute der Fraunhofer-Gesellschaft und mehrere Industriebetriebe zusammenarbeiten, leitet. Denn weder Elektrolyseure noch Brennstoffzellen, die Wasserstoff in nutzbare Energie verwandeln, werden bisher in erforderlich großem Stil in Serie produziert.
Der Plan: 2030 soll es in Deutschland Elektrolyseure mit einer Leistung von 10 Gigawatt geben. Derzeitiger Stand: unter 0,1 Gigawatt. Von den aktuell großen Elektrolyseuren müssten binnen sechs Jahren rund 500 Anlagen gebaut werden, um das Ziel zu erreichen. Die EU strebt 120 Gigawatt an, installiert sind aber nur 0,5 Gigawatt. “Wir liegen also weit hinter dem Plan zurück”, sagt Beyer.
Bis 2025 will die Wirtschaftsingenieurin mit ihrem internationalen Team und den Projektpartnern demonstrieren, wie eine Serienfertigung gelingen kann, und dafür Prototypen und Baupläne vorlegen. Sie spricht von einer “einmaligen Chance für die deutsche Wertschöpfung”, wenn damit kleinere und mittelgroße Unternehmen ins Wasserstoffgeschäft einsteigen könnten, zusätzlich zu großen Playern wie Siemens Energy, Thyssenkrupp Nucera oder H-Tec Systems oder in Partnerschaften mit ihnen.
Deutsche Wissenschaftler arbeiten auch daran, Elektrolyseure künftig direkt dort zu betreiben, wo viel und konstant erneuerbarer Strom entsteht – an den Offshore-Windanlagen in Nord- und Ostsee. Beim dafür geschaffenen Großvorhaben H2Mare, in dem mehr als 30 Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft kooperieren, steht aber auch noch alles auf Anfang: “Das Zusammenspiel aller Komponenten in Offshore-Umgebung kann derzeit noch nicht erprobt werden”, sagt Projektsprecher Christian Hiemisch.
Thomas Jordan vom Institut für Technische Energietechnik und Sicherheit am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) fragt sich, ob die Bundesregierung “bei den recht ambitionierten Plänen, die da vorliegen”, weiß, wie anspruchsvoll es ist, Wasserstoff sicher zu transportieren. Schon bis 2028, so heißt es in der Wasserstoffstrategie, soll ein 1.800 Kilometer langes Kernnetz von Wasserstoffpipelines Deutschland durchziehen. Tausende weitere davon abzweigende Kilometer sollen folgen. Aufgrund der geringen Molekülgröße gelangt Wasserstoff in Behältern und Leitungen aber fast überallhin – und kann dadurch zum Beispiel eine klassische Pipeline mit der Zeit spröde und rissig werden lassen.
Jordan vermisst bei der Wasserstoffstrategie, dass die Regierung mit Nachdruck für internationale Standards sorgt, was die Reinheit der Gaslieferungen betrifft und die Anforderungen für sicheren Transport. “Wenn man jetzt mit großem Schwung viel Geld in viele Demonstrationsprojekte steckt, aber sich dann herausstellt, dass ihnen die Sicherheitsbasis fehlt, ist vielleicht öffentliches Geld sehr schnell umsonst verausgabt worden.”
Der Chemiker Robert Schlögl, einer der Initiatoren und Koordinatoren von TransHyDE, einem vom BMBF geförderten Projekt zum Wasserstofftransport, verweist auf zahlreiche Erfolge: “Wir haben dargelegt, wie man Erdgas- und Wasserstoffpipelines umwandeln kann und welchen neuen Verdichter es braucht, um den Druck in der Pipeline zu halten”, sagt er. “Wir haben ein deutsches Startnetz konzipiert, eine Demonstrationsanlage für Ammoniak als Transportmittel für Wasserstoff auf den Weg gebracht und entwickeln ein fliegendes Suchgerät für Wasserstofflecks.”
Dennoch ist der frühere Direktor des Fritz-Haber-Instituts in Berlin und Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Chemische Energiekonversion alles andere als optimistisch. Daran, dass die Ziele in so kurzer Zeit erreicht werden können, hat auch er erhebliche Zweifel. Aus seiner Sicht fehlt eine umfassende Strategie, wie deutsche Firmen nachhaltig erzeugten Wasserstoff rund um die Welt produzieren und nach Europa importieren können. “Es reicht nicht, mit dem Scheckbuch teuer bei anderen Ländern einzukaufen, wir müssen selbst handeln”, sagt er.
Australien, Südafrika, Namibia, Chile und Kanada gehören zu den Ländern, in denen deutsche Politiker, Firmen und Forschungsorganisationen in jüngerer Zeit vorstellig geworden sind. Denn dort ist der für die Wasserstoffproduktion nötige Strom aus Wind oder Sonne leichter und billiger zu ernten als in Deutschland. Doch Schlögl geht das alles nicht weit genug. “Wenn wir nicht viel intensiver und offensiver agieren, wird China uns auf allen Feldern überrollen, bei den Elektrolyseuren wie bei den Lieferverträgen rund um den Globus”, warnt er.
Ein Hauptproblem für mangelndes Tempo sieht Schlögl innerhalb der Bundesregierung: “Wirtschaftsministerium und Forschungsministerium müssen auf allen Ebenen besser zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen”, verlangt er, “sonst wird das nichts.” Als Beispiel führt er die sogenannten Leitprojekte namens H2Giga, H2Mare und TransHyDE an, die das BMBF seit 2021 mit insgesamt 700 Millionen Euro aufgebaut hat. Dabei sind Konsortien aus Wissenschaft und Wirtschaft mit insgesamt hundert Partnern entstanden. “Da sind wir viel besser als die Amerikaner, die so ein intensives Geflecht nicht haben”, sagt Schlögl.
Doch der Forschungsstratege befürchtet, dass die Leitprojekte Einsparungen im Bundeshaushalt und dem Drang des Wirtschaftsministeriums, eigene Strukturen aufzubauen, zum Opfer fallen werden. “Das wäre ein großer Schaden”, sagt er. Nach Jahren des Wachstums hat das BMBF ab 2024 deutlich weniger Mittel für die Wasserstoffforschung eingeplant als 2023. “Die Wissenschaft kommt zu schlecht weg“, kritisiert Schlögl und fordert, im neuen Energieforschungsprogramm eine Wasserstoffoffensive zu verankern.
Herr Deerberg, ist die Nationale Wasserstoffstrategie ambitioniert genug? Reichen die anvisierten Maßnahmen?
Wir müssten schon viel weiter sein. Als wir vor vielen Jahren angefangen haben, uns mit dem Thema Wasserstoff zu beschäftigen, fragte man mich, wie viel Wasserstoff wir eines Tages benötigen werden. Und die einfache Antwort war und ist: Bringt so viel grünen Wasserstoff wie möglich und das wird lange nicht ausreichen. Am Ende ist der entscheidende Baustein des Hochlaufs, dass wir genügend grünen Wasserstoff haben. Dafür muss der Ausbau der erneuerbaren Energien international schneller gehen.
Ihre Kolleginnen und Kollegen vom Fraunhofer ISI kommen in einer Studie zu dem Schluss, dass Elektrolyse vor Ort nicht wirtschaftlich ist. Also alles auf den Import setzen?
Grundsätzlich bin ich bei dem Thema kein Freund von Schwarz-Weiß-Malerei. Die Versorgung sollte vielfältig sein und auf mehreren Quellen basieren. Wir sehen beim Erdgas was passieren kann, wenn man sich auf wenige Quellen verlässt. Der Landesverband Erneuerbare Energien hier in NRW hat die Wasserstoffstrategie kritisiert, weil die heimische Wasserstoff-Bereitstellung nicht ausreichend berücksichtigt wird. Grüner Wasserstoff aus Deutschland kann vor allem zur Netzstabilisierung bei Überproduktionen beitragen und so auch kostengünstig produziert werden. Dafür bräuchte es allerdings Speicherkapazitäten, die wir derzeit noch nicht haben.
Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ist in einer aktuellen Analyse pessimistisch: Die anvisierten Wachstumsraten bei Elektrolysekapazitäten in der EU seien “beispiellos für Energietechnologien”. Sind die Ziele nur Augenwischerei?
Wenn man sieht, in welchem Tempo es vorangeht, dann kann man davon ausgehen, dass es knapp wird, überhaupt den Strom für die Wasserstoffproduktion aus erneuerbaren Energien bereitzustellen. Das ist auch die Kernproblematik. Wir diskutieren schon viel über Infrastrukturen für den Transport und die Möglichkeit von Ammoniak-Lieferungen. Aber das eigentliche Problem ist der Ausbau der erneuerbaren Energien, der teilweise mit sehr langwierigen Prozessen verbunden ist.
Die EU will bis 2030 zehn Millionen Tonnen grünen Wasserstoff produzieren.
Wenn Sie überlegen, dass wir jetzt Mitte 2023 haben, es also noch sechseinhalb Jahre bis 2030 sind und die Genehmigung eines Windrads bis zu acht Jahre dauern kann, dann ist klar, dass das eine Mammutaufgabe ist. Und das ist kein rein deutsches Phänomen. Auch in Partnerländern werden Wasserstoffanlagen nicht von heute auf morgen gebaut. Wenn das nicht nur leere Versprechungen sein sollen, muss man die Anstrengungen deutlich intensivieren.
Die Infrastrukturen für die Verteilung des Wasserstoffs sehen Sie also nicht als großes Problem?
Wir haben in Deutschland und Europa einen großen Asset und das sind die Erdgasleitungen, also die Pipelines, die schon überall liegen. Es ist möglich, diese umzuwidmen für Wasserstoff und das lässt sich auch mit überschaubarem Aufwand technisch umrüsten. Interessanter wird es dann wieder auf der Seite der Nutzer. Die Industrie muss ihre Prozesse auf Wasserstoff umstellen. Überall dort, wo heute schon Wasserstoff genutzt wird, ist das machbar.
Was kommt auf die Unternehmen zu, die noch nicht H2-ready sind?
Unternehmen, die heute – meist grauen – Wasserstoff benutzen, können diesen mit geringem Aufwand durch grünen Wasserstoff ersetzen. Aber überall sonst, also zum Beispiel in der Stahl- oder in der Glasindustrie, wo Produktionen oft im Hochtemperaturbereich laufen, müssen wir Anlagen um- und aufrüsten oder ganz neue Anlagen bauen und alles auf die Verbrennung von Wasserstoff ausrichten. Da ist noch einiges an Entwicklungsarbeit zu leisten. Ungünstig wäre, wenn der Glasschmelzofen umgebaut ist und dann kein Wasserstoff da ist. Deswegen sollte man zunächst überall dort anfangen, wo Wasserstoff heute schon genutzt wird und die anderen, die die Prozesse umstellen müssen, stoßen dann dazu.
Sie haben in der ersten Wasserstoffstrategie den Aspekt der intersektoralen Zusammenarbeit vermisst. Was verstehen Sie darunter – und steht er in der Fortschreibung?
Ich habe auch in der neuen Strategie nichts darüber gefunden. Wir brauchen beim Wasserstoff-Hochlauf eine System- und Integralbetrachtung, um zu verhindern, dass wir in ein Silodenken verfallen. Statt einzelne Industriebereiche isoliert zu betrachten, brauchen wir eine systemische Gesamtschau und Kooperationen. Ein gutes Beispiel dafür, dass die übergreifende Zusammenarbeit sehr viele Chancen bietet, ist das Verbundprojekt Carbon2Chem®, wo wir Wasserstoff als Treibstoff für Kohlenstoffkreisläufe verwenden. Ein anderes Beispiel könnte die Positionierung von Elektrolyse-Einheiten in der Nähe von Klärwerken sein. Das Hauptprodukt der Elektrolyse ist nicht Wasserstoff, sondern Sauerstoff und den sollte man regional weiterverwenden.
Was muss noch erforscht werden, damit der Wasserstoff-Hochlauf zügig und effizient gelingt?
Grundsätzlich muss man erstmal sagen, dass wir nicht länger mit einer echten Umsetzung warten sollten. Denn in der Wartezeit gelangt immer mehr CO₂ in die Atmosphäre. Wir sollten mit den Maßnahmen starten, die wir heute schon beherrschen, anstatt immer darauf zu verweisen, dass noch neue Entwicklungen nötig sind und wir die Systeme noch effizienter und besser machen können. Ich bin manchmal erschrocken über die Anspruchshaltung. Wenn etwa eine Technologie so weit entwickelt ist, dass sie 50 Prozent des Problems bewältigt, dann wird sie lieber nicht eingesetzt, weil man sagt: In drei Jahren kann sie vielleicht 70 Prozent schaffen.
Was ist der richtige Weg?
Wir müssen mit dem anfangen, was wir haben. Es geht darum, die Summe der Emissionen über die Jahre zu reduzieren und nicht darum, was wir im Jahr 2050 emittieren. Und dann gilt es, die Technologie weiterzuentwickeln. Wir arbeiten im deutschen Wissenschaftssystem meist in Projekten, die für drei Jahre gefördert werden. Und anstatt dann an einer Technologie dran bleiben zu können, muss man sich mit etwas Neuem beschäftigen, weil man für die gleiche Entwicklung keine Fördergelder mehr bekommen kann.
Das bedeutet, es ist nur noch Begleitforschung notwendig?
Es gibt eine Reihe von Prozessen, die wir effizienter machen können, um weniger Energie und Wasserstoff verbrauchen zu müssen. Dann brauchen wir dringend smarte Fertigungstechnologien, um Elektrolyseure in großem Maß herstellen zu können und die Produktion immer weiter zu skalieren, wenn wir nur in die Nähe der ambitionierten Ziele kommen wollen. Und ich habe einen Punkt, der mir auch Sorgen macht: Wir müssen mit mehr Fokus an alternativen Materialien für die Elektrolyseure und Brennstoffzellen forschen, weil seltene Metalle wie Iridium knapp werden könnten, wenn wir den weltweiten Bedarf an Wasserstoff und damit an Elektrolyseuren hochrechnen. Es gibt auch da schon neue Ansätze, wie alternative Katalysesysteme, aber da ist sicher noch wesentlicher Forschungsbedarf.
Wird das Thema Wasserstoff für Deutschland eine Gewinn- oder eine Verlustrechnung sein?
Um grünen Wasserstoff als Energieträger etablieren zu können, sind Übergangstechnologien wie blauer Wasserstoff erforderlich. Sie helfen uns, früher ganz auf fossile Energieträger verzichten zu können, bevor wir ab den Fünfzigerjahren hoffentlich genügend erneuerbare Energien zur Verfügung haben. Das heißt, hier müssen sich alle Beteiligten im Klaren darüber sein, dass auch in Technologien investiert werden muss, die jetzt und in den nächsten Jahrzehnten in hohem Maße benötigt werden und dann an Bedeutung verlieren.
Also eine Verlustrechnung?
Das sind Transformationskosten, die die Gesellschaft und die Wirtschaft tragen müssen, um die Folgen des Klimawandels abzuschwächen und zu verhindern. Für Deutschland ist das aber eine riesige Chance, weil weltweit alle diese Herausforderungen haben. So ist es folgerichtig, dass die Bundesregierung die Strategie verfolgt, Deutschland zu einem weltweit führenden Technologieanbieter bei grünem Wasserstoff zu machen. Das kann uns helfen, unseren Wohlstand zu sichern. Da sehe ich auch einen Vorsprung.
Was hätten Sie zur neuen nationalen Wasserstoffstrategie noch ergänzt?
Vielleicht ein Aspekt, der mir zu kurz kommt: Wir dürfen die Bevölkerung als Stakeholder nicht vergessen. Der Klimawandel ist ein Thema, mit dem viele konfrontiert werden. Klimaschutz finden alle großartig, außer er hat direkten Einfluss auf ihr Leben. Wir müssen Windräder, neue Stromleitungen, Wasserstoffpipelines und vieles mehr bauen. Es braucht also auch viele Menschen, die mitwirken. Dazu ist mehr Bildung und Ausbildung erforderlich. Die Transformation wird den Menschen in Deutschland viel abverlangen: Neue Infrastruktur, höhere Energiepreise, andere Mobilität sind nur einigen Beispiele.
Das ruft jetzt schon viele Kritiker und Besorgte auf den Plan.
Darum muss auch immer wieder kommunikativ auf die Sorgen der Bevölkerung eingegangen werden. In der Transformation gibt es auch viele Chancen, etwa für neue spannende und sinntragende Jobs. Dabei scheint es mir wichtig zu sein, dass die Menschen sich nicht als Opfer der Transformation und der neuen Wasserstoffwirtschaft empfinden, sondern dass sie quasi zu Mittätern werden. Hierfür sind Informations-, Kommunikations- und Partizipationsinitiativen erforderlich.
29. August bis 1. September 2023, Universität Hamburg
Tagung OR 2023: Decision Support & Choice-Based Analytics for a Disruptive World Mehr
4./5. September 2023, Haus der Unternehmer, Duisburg
Tagung Science for Society? Arbeits- und Organisationsformen der Zukunft Mehr
6. September 2023, Allianz Forum, Pariser Platz 6, Berlin
Preisverleihung Unipreneurs: Die besten Professorinnen und Professoren für Startups Mehr
11.-13. September 2023, Osnabrück
18. Jahrestagung der Gesellschaft für Hochschulforschung Das Zusammenspiel von Hochschulforschung und Hochschulentwicklung: Empirie, Transfer und Wirkungen Mehr
27.-29. September 2023, Freie Universität Berlin
Gemeinsame Konferenz der Berliner Hochschulen Open-Access-Tage 2023 “Visionen gestalten” Mehr
28. September 2023, 18-21.30 Uhr, Medizinhistorisches Museum Berlin
Diskussionsveranstaltung der Arbeitsgruppe “Hochschulen als MINT-Innovationsmotor” im Nationalen MINT Forum Any other subject: Wie die Erweiterung des MINT-Begriffs neue Zielgruppen erschließt Mehr
16. November 2023, Wilhelm Büchner Hochschule, Darmstadt
Tagung WBH Wissenschaftsforum 2023 – “Transformation gestalten” Mehr
Ineffiziente Verfahren und lange Bearbeitungszeiten behindern die Entwicklung neuer Medikamente. So lautet die Kritik von Biontech-Gründer Uğur Şahin in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeine Zeitung. Die Zusammenarbeit mit den Behörden sei in der Corona-Zeit, als es um die Zulassung der ersten Impfstoffe ging, so intensiv wie noch nie gewesen, sagte Şahin. “Jetzt sind wir wieder im Normalzustand, und das bedeutet lange Bearbeitungszeiten. Wir haben sehr kompetente Regulatoren in Deutschland und in Europa, aber zunehmend ineffiziente Prozesse, die sehr viele Ressourcen sowohl bei den Behörden als auch bei Arzneimittelentwicklern verschlingen.”
Bereits im Rahmen der Entscheidung Biontechs, sein Forschungs- und Entwicklungszentrum für die Krebstherapie nicht in Deutschland, sondern in Großbritannien aufzubauen, hatten langsame Zulassungsprozesse in Deutschland und der EU eine Rolle gespielt.
Insgesamt gebe es ein Missverhältnis zwischen technologischen Möglichkeiten und dem, was die Bürokratie zulasse, sagte Şahin. “Ein Grund ist die redundante Bürokratie, ein anderer ein Mangel an Ressourcen, was Bearbeitungszeiten in die Länge zieht.” Er mahnte: “Medizin ist so wichtig, dass Trägheit des Systems nicht der Flaschenhals sein darf, der Zulassungen verzögert.”
Der Zulassung neuer Medikamente geht in der EU ein mehrstufiges Verfahren voraus, für das unter anderem mehrere klinische Studien vorgeschrieben sind. Am Ende gibt die Europäische Arzneimittelagentur EMA eine Einschätzung ab, die Europäische Kommission entscheidet dann über die Zulassung. Nach Plänen der EU-Kommissionen sollen die Fristen für die letzten beiden Schritte künftig verkürzt werden. mw/dpa
Die EU unterstützt das chinesische Unternehmen Huawei mit Forschungsgeldern. Einheiten des Unternehmens mit Sitz in Europa seien an 13 Finanzvereinbarungen beteiligt, darunter eine ansässig in Großbritannien, teilte Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager am Freitag als Antwort auf eine Parlamentsanfrage mit. Huawei-Einrichtungen mit Sitz in China seien nicht beteiligt.
Dass Huawei von Forschungsprogrammen der EU profitiert, ist bemerkenswert: Die Kommission betrachtet Huawei inzwischen als riskanten Anbieter und hat das Unternehmen von ihren eigenen Netzen ausgeschlossen. Binnenmarktkommissar Thierry Breton hatte die Mitgliedstaaten aufgefordert, dasselbe mithilfe der 5G-Toolbox zu tun. Allerdings weist die Kommission in ihrer Antwort darauf hin, dass alle Finanzhilfen aus Aufforderungen im Rahmen der Arbeitsprogramme von Horizont Europa 2021 bis 2022 stammten – also bevor die Kommission die Entscheidung traf, Huawei zu verbannen.
Fragesteller war der niederländische Europaabgeordnete Bart Groothuis (Renew), der Mitglied im Industrieausschuss (ITRE) sowie im Sonderausschuss zu Einflussnahme aus dem Ausland (ING2) des Parlaments ist. Er bezog sich bei seiner Anfrage auf einen Bericht der Financial Times, wonach Huawei an elf Horizont-Europa-Projekten beteiligt war, die sich mit sensiblen Kommunikationssystemen befassen.
Groothuis verweist darauf, dass nach der Horizont-Europa-Verordnung (Artikel 22.5) ausländische Anbieter von der Teilnahme an Maßnahmen ausgeschlossen werden können, die “im Zusammenhang mit strategischen Vermögenswerten, Interessen, der Autonomie oder Sicherheit der Union stehen”. Der Abgeordnete wollte nun wissen, an welchen Programmen Huawei teilgenommen hat, ob hier die Beschränkungen galten und falls ja, warum sie umgangen wurden. Er fragte auch, wie die Kommission das künftig verhindern will.
Die Verordnung schreibe vor, dass alle Beschränkungen im Voraus in den Arbeitsprogrammen von Horizont Europa festgelegt werden müssten, schreibt die Kommission. Die Themen, an denen Huawei beteiligt ist, seien zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Arbeitsprogramme jedoch nicht als Gefahr eingestuft worden, sodass die Einschränkungen nicht zur Anwendung kamen.
Inzwischen vertrete die Kommission jedoch die Auffassung, dass Huawei und ZTE tatsächlich ein wesentlich höheres Risiko darstellten als andere 5G-Anbieter. Daher beabsichtige sie, dies in allen einschlägigen EU-Förderprogrammen und -Instrumenten – einschließlich Horizont Europa – zu berücksichtigen. vis
Die Falling Walls Foundation hat die Shortlist für die “Science Breakthroughs of the Year 2023” bekannt gegeben. Die Jury hat dazu über 1.000 Einsendungen geprüft. Unter den ausgewählten Projekten in der Kategorie Biowissenschaften ist etwa Adam Cohen (Harvard University). Mit seinem Team entwickelt er fluoreszierende, spannungsanzeigende Proteine, die eine optische Kartierung neuronaler Aktivität ermöglichen. Claudia Höbartner von der Universität Würzburg entdeckte das erste Methyltransferase-Ribozym – eine katalytisch aktive Ribonukleinsäure (RNA), die zum Markieren jeder gewünschten RNA umfunktioniert werden kann.
Nominiert in der Kategorie Physik ist Arne Thomas von der TU Berlin. Sein Hauptinteresse gilt der Synthese von Materialien, deren Struktur und Eigenschaften zielgerichtet für eine bestimmte Anwendung eingestellt werden. Mithilfe eines Mikroskops mit atomarer Auflösung entdeckte Leo Gross vom Forschungszentrum IBM Research aus Zürich chemische Reaktionen, die neue Molekülstrukturen offenbaren und sich auf eine sauberere Verbrennung, medizinische Forschung, chemische Synthese und die Entwicklung neuartiger molekularer Maschinen auswirken können. Steve Albrecht und sein Team vom Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie stellten mehrere Weltrekorde bei der Effizienz von Tandem-Solarzellen auf Perowskit-Basis auf. Sie sind in der Kategorie Chemie nominiert.
Am 13. September werden die Gewinner bekannt gegeben. Sie präsentieren ihre wissenschaftlichen Durchbrüche am 9. November auf dem Falling Walls Science Summit in Berlin. nik
Biochemie, Medizin, Chemie, Mathematik, Informatik – schon im Studium fand Thomas Hartung es faszinierend, fachlich breit aufgestellt zu sein. Heute hat er fünf Professuren an drei Universitäten. Außerdem ist er leitender Redakteur der Fachpublikation Frontiers of Artificial Intelligence und leitet das Center for Alternatives to Animal Testing (CAAT) an der Johns Hopkins University in Baltimore im US-Bundesstaat Maryland. Seine Interessen und Forschungsthemen sind also weiterhin breit gefächert.
Ein klarer roter Faden zieht sich jedoch durch Hartungs Karriere: Er möchte Tierversuche überflüssig machen. “Ich mag Tiere. Ich habe meinen Anteil an Tierversuchen gehabt in der Ausbildung. Aber ich habe das nie gemocht”, sagt Hartung. Zwar habe er nur mit Mäusen und Ratten gearbeitet, aber es gebe kein “nur” bei diesen Versuchen. “Ich habe jedes Mal ein großes Glas Whiskey gebraucht am Abend danach”, sagt er.
Seine Kritik geht über ethische Fragen hinaus. Er zweifelt auch an der Aussagekraft der Versuche. “Wir haben ein unglaubliches Unwissen über das, was Chemikalien tun, weil ein Tierversuch mindestens so viele falsche wie richtige Resultate für den Menschen bringt”, sagt der Toxikologe. Wiederhole er einen Versuch an einer Maus, den er vorher an einer Ratte gemacht habe, stimmten die Ergebnisse nur noch zu 60 Prozent überein, weil selbst diese Tiere sich sehr unterscheiden.
Hartungs Lösung für dieses Problem ist ein neuronales Netz aus menschlichen Hirnzellen – sogenannte Hirnorganoide. 2013 erschien die erste Publikation, in der Wissenschaftler berichten, wie sie aus Stammzellen ein menschliches Hirnorganoid geschaffen haben. Zwei Jahre später stellten Hartung und seine Kollegen ein Konzept vor, mit dem sich diese winzigen Gebilde in Masse produzieren lassen. Die Stammzellen gewinnen sie aus umprogrammierten Blut- oder Hautzellen – so sind sie nicht auf Spenden angewiesen.
“Ich bin vor allem daran interessiert, dass aussagekräftige und machbare Methoden verwendet werden”, sagt Hartung. Die Organoide seien einheitlicher als Tierversuche, bei denen sich die Ratten voneinander unterscheiden. Das sei vor allem für ihn als Pharmakologen und Toxikologen wichtig. “So können wir auch Interaktionen zwischen genetischen Veranlagungen und Umwelteinflüssen erforschen.” Hartung möchte mit seiner Forschung unter anderem herausfinden, welche Chemikalien die Entwicklung von Alzheimer beeinflussen. Die Forschung an menschlichen Organoiden sei viel relevanter als ein Versuch an einer Ratte, sagt Hartung.
Die Tierversuche, die er ersetzen will, wurden größtenteils eingeführt, als der 59-Jährige noch nicht geboren war. “Daran sieht man, wie anachronistisch das ist”, sagt er. In der Zukunft will er diese Versuche mit seinen Organoiden ablösen: “Ich stelle mir eine Art Bank vor für solche Organoide. Ich kann also einfach in mein Labor gehen und sagen: Ach, ich brauche heute ein Alzheimerhirn, dann noch eines von einem gesunden Patienten und ich nehme Hirne von beiden Geschlechtern.”
Bei diesen Zellkulturen geht es Hartung aber um mehr, als Tiere zu ersetzen. Er und seine Kollegen wollen die Architektur und Funktion eines Gehirns reproduzieren. Dabei verbindet er die Zellkulturen mit Computern und versucht, ihnen Fähigkeiten beizubringen. “Wir stehen aber noch ganz am Anfang. Ich wäre froh, wenn meine Kulturen 1 + 1 = 2 rechnen könnten.” Die Ethiker seien aber von Anfang an mit an Bord. “Wenn ich damit spiele, kognitive Fähigkeiten zu realisieren, kommen diese Fragen unumgehbar auf”, sagt er.
Seine Forschung hat Hartung überwiegend in den USA aufgebaut. Die EU fördere Forschungsprojekte oft nur für fünf Jahre. Die USA scheuten sich aber nicht, viel Geld in langfristige Projekte zu investieren. Und gerade die Verbindung von Biochemie, Medizin und Informatik kostet viel Geld.
Künstliche Intelligenz und Computer sind ständige Begleiter seiner Forschung. Damit kann er die riesigen Datenmengen auswerten, die die trainierten Minihirne ausspucken. Aber auch wenn Hartung den Einfluss von Chemikalien testet, greift er immer häufiger auf KI zurück. Toxikologische Eigenschaften von Chemikalien ließen sich mit KI besser vorhersagen als mit dem klassischen Tierversuch. Er und sein Team haben die Klassifizierungen von 190.000 Chemikalien analysiert und jede einzelne vorhergesagt. Dank KI lagen sie bei 87 Prozent richtig, sagt Hartung. Bei Tierversuchen liegt die Reproduzierbarkeit nur bei 81 Prozent. “Ich bekomme diese Information in Minuten, anders als bei den Versuchen”, sagt er. “Ich muss mich nicht ausschließlich auf den Computer verlassen, aber den Nutzen dieser Methoden kann man nicht leugnen.”
Künftig will Hartung Krankheitsmodelle aufbauen. “Wenn man mit Gehirnorganoiden von Alzheimerpatienten arbeitet, sieht man, dass diese Gehirne sich anders verhalten.” Das mache ihm Hoffnung. “Die Erkenntnisse unserer Forschung können dazu beitragen, dass wir irgendwann ein Medikament gegen Alzheimer finden oder verstehen, welche Chemikalien zur Entwicklung dieser Krankheit beitragen.” Svenja Schlicht
Africa.Table. Ewia Green Investments hält an Westafrika fest. Ungeachtet der hohen Unsicherheit in der Sahelzone nach dem Militärputsch in Niger hält die Ewia Green Investments GmbH an ihrem Engagement in Westafrika fest. Ewia mit Sitz in München baut, finanziert und betreibt Solaranlagen für gewerbliche und industrielle Kunden in Afrika. Mehr
Agrifood.Table. “Neue Züchtungstechnologien müssen nutzbar gemacht werden”. Christine Schneider, Abgeordnete im EU-Parlament für die EVP, erklärt im Interview ihre Prognose für für die deutsche und europäische Agrar- und Ernährungspolitik. Sie ist sicher: Es müssen dringend neue Züchtungstechnologien zugelassen und nutzbar gemacht werden. Es brauche verbesserte Bedingungen bei der Erforschung alternativer Pflanzenschutzmethoden und eine optimierte Zulassung. Mehr
Climate.Table. “Wir müssen die alten Blöcke in der Klimapolitik aufbrechen”. Die abgebrochene Reise der Außenministerin nach Ozeanien sollte die Pazifikstaaten in der Klima- und Sicherheitspolitik enger an die EU binden. An ihrer Strategie will Annalena Baerbock trotzdem festhalten, erklärt sie Table.Media: Den Inselstaaten Alternativen zu Peking bieten, Versprechen einhalten, mehr Länder finanziell in die Pflicht nehmen und bei der COP28 den Einsatz der CCS-Technik möglichst begrenzen. Mehr
China.Table. Habeck plant Umkehr der Beweislast bei Investitionen aus dem Ausland. In der China-Strategie war eine Überarbeitung der Investitionsprüfungen angekündigt – jetzt gibt es zumindest schon ein Eckpunktepapier. Das Wirtschaftsministerium will die Genehmigungspflichten auf mehr Fälle ausweiten. Es geht hier vor allem um Zukäufe chinesischer Firmen in Deutschland. Mehr
Der Forschungsausschuss ist da. Staatssekretär Jens Brandenburg auch. Einige der Präsidentinnen und Präsidenten der Allianzorganisationen ebenso. Und noch weitere Vertreter der deutschen Wissenschaftseliten treffen sich in dieser Woche zur Gain23 in Boston. Dort geht es den ganzen Tag darum, junge Talente (wieder) nach Deutschland zu locken. Da man nach einem langen und anstrengenden Tag sicher etwas Entspannung sucht, versorgen wir die Reisegruppe noch mit einem Einkehrtipp.
Das Cheers in der Beacon Street war immerhin Kulisse der bekannten gleichnamigen Comedy Serie. In dieser sind die Rollen klar verteilt und die Aussagen zumeist erwartbar. Das optimale Ambiente für die deutsche Wissenschaft also. Oder auch die Gelegenheit, bei einem kühlen Getränk aus festgefahrenen Rollen auszubrechen und mutige Zukunftsvisionen zu entwickeln. Wir sind gespannt. Cheers. Markus Weißkopf
Bettina Stark-Watzinger lässt die Wissenschafts-Community zunehmend ratlos zurück: Demonstrativ fordert die Bundesforschungsministerin Hochschulen und wissenschaftliche Einrichtungen auf, im Umgang mit China “bisherige Praktiken zu überprüfen und bestehende Denkmuster zu hinterfragen” – man dürfe nicht naiv sein. Diese Forderung ist berechtigt, und kommt nicht zum ersten Mal. Es müsse eine “noch kritischere Abwägung” von Risiko und Nutzen bei der Zusammenarbeit mit China her, führte Stark-Watzinger in ihrem FAZ-Gastbeitrag weiter aus. Noch weniger naiv sein, also.
Wissenschaftler kritisieren gegenüber Table.Media das deutliche Missverhältnis zwischen politisch gemaltem Szenario und Realität der Forschenden. Die meisten Wissenschaftler seien nicht naiv, sondern würden durchaus sensibel mit dem Thema umgehen. Es fehle eher an Strukturen und Mitteln, die zusätzlich nötigen Wege umzusetzen. Niels Peter Thomas, China-Chef des Wissenschaftsverlags Springer Nature, rät deutlich davon ab, die Kooperationen mit China zu sehr einzuschränken: Längst würde Deutschland sonst auf wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse verzichten.
Für den Hochlauf beim grünen Wasserstoff vermissen Forscher eine verlässliche Strategie. Schon 2028 soll immerhin ein 1.800 Kilometer langes Kernnetz von Pipelines durch Deutschland laufen, die neue Wasserstoff-Infrastruktur bis 2030 aufgebaut sein. Welche Forscher die Wasserstoff-Forschung aktuell vorantreiben, berichtet Christian Schwägerl. Dass auch die Anstrengungen zur Beschaffung von Wasserstoff intensiviert werden müssen, ist für Görge Deerberg dabei das Gebot der Stunde. Für die Bundesregierung hat er ein paar Ergänzungsvorschläge – mein Kollege Tim Gabel hat nachgefragt.
Punkten möchte Bettina Stark-Watzinger noch auf einem anderen Feld: Am Mittwoch wird der KI-Aktionsplan vorgestellt. Wir halten Sie auf dem Laufenden.
Wir wünschen Ihnen inspirierende Lektüre,
Wenn Ihnen der Research.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail weitergeleitet wurde: Hier können Sie sich für den Research.Table kostenlos anmelden.
In einem Gastbeitrag in der FAZ hat Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger zum Wochenbeginn wissenschaftliche Institutionen und Hochschulen dazu aufgefordert, im Umgang mit China “bisherige Praktiken zu überprüfen und bestehende Denkmuster zu hinterfragen”. Deutschland dürfe nicht naiv sein im Umgang mit einem Regime, das “das Ziel verkündet, Ergebnisse ziviler Forschung in militärische Anwendungen überführen und eine Dominanz bei kritischen Technologien erreichen zu wollen.”
Speziell mit Blick auf Forschungskooperationen mit China sei eine noch kritischere Abwägung von Risiko und Nutzen bei der Zusammenarbeit notwendig als in internationalen Kooperationen ohnehin, mahnte die Ministerin. Hochschulen sollten auch bestehende Kooperationen auf den Prüfstand stellen. Damit spielt Stark-Watzinger vermutlich auf die CSC-Stipendiaten und die Konfuzius-Institute an deutschen Hochschulen an. Zu beiden Kooperationen hatte sie sich schon in den Wochen und Monaten zuvor kritisch geäußert.
Stark-Watzinger erwähnte zudem explizit den Fall einer Kooperation an der Universität Heidelberg, an der chinesische Quantenphysiker den Zugang zu Wissen und Infrastruktur dazu genutzt hätten, “später nach China zurückzukehren und dort dem Militär zuzuarbeiten”. Das Recherchenetzwerk Correctiv hatte dazu im Juni berichtet. In der Wissenschaftscommunity wird der Fall durchaus differenzierter gesehen. Solche Kooperationen seien zu dem Zeitpunkt üblich gewesen, heißt es aus Kreisen.
Stark-Watzinger empfahl Forschenden, die Forschungskooperationen planen oder bereits in diesen arbeiten, die Unterstützungsangebote der Kommissionen für Ethik sicherheitsrelevanter Forschung (KEF) zu nutzen und sagte zu, die Informationsangebote zu stärken und den Aufbau unabhängiger China-Kompetenz zu unterstützen. Auch im Rahmen der China-Strategie hatte die Bundesregierung hier Unterstützung zugesagt. Weder im Strategie-Papier der Bundesregierung noch im Leitartikel von Bettina Stark-Watzinger sind allerdings konkrete Maßnahmen zur Unterstützung der Forschenden benannt.
Hannes Gohli, Leiter des China-Kompetenzzentrums an der Universität Würzburg, kritisiert die Diskrepanz zwischen Forderungen und politischem Handeln. Er sei grundsätzlich einverstanden, dass Forschende zum Thema Forschungskooperationen verstärkt sensibilisiert und informiert werden sollten, “nur müssen nach Forderungen auch Mittel zur Umsetzung bereitgestellt werden”, sagte Gohli auf Anfrage von Table.Media. Momentan stünden diese Ressourcen zum Aufbau von China-Kompetenz und zur Beratung in der Wissenschaft nicht ausreichend zur Verfügung.
“Wenn wir die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit China wirklich sicherer machen wollen, dann reichen Forderungen und Leitartikel nicht aus, dann brauchen wir schlichtweg mehr Unterstützung”, forderte Gohli. Die meisten Forschenden seien seiner Beobachtung nach nicht naiv, sondern würden viele Fragen stellen und sehr sensibel mit dem Thema umgehen. Es gebe zur Beschäftigung mit dem Thema auch die notwendigen Infrastrukturen und Informationsangebote an Hochschulen und bei Institutionen im Wissenschaftssystem, beispielsweise bei der HRK oder dem DAAD. “Oft sind die auf Arbeitsebene allerdings nicht hinreichend ausgestattet.”
Mit Blick auf die KEFs und ähnliche Initiativen äußerte Gohli zudem Zweifel daran, ob die Institutionen mehr Beratung überhaupt leisten könnten. An vielen Universitäten seien KEFs, Kompetenzzentren und andere Einrichtungen häufig nur halbe und zeitlich-begrenzte Stellen, die dann mit Nachwuchswissenschaftler:innen besetzt werden, um diesen eine Chance in der Wissenschaft zu geben, “weil die Fördermittel für Stellen unterhalb der Professur nicht ausreichen”, sagte Gohli.
Der China-Chef des Wissenschaftsverlags Springer Nature warnte im Gespräch mit Table.Media davor, die Kooperationen mit der Wissenschaftsmacht China zum jetzigen Zeitpunkt zu sehr einzuschränken. “Ohne China würden wir auf Erkenntnisse verzichten”, sagte Niels Peter Thomas. China sei dabei, die USA gerade als Wissenschaftsnation Nr. 1 abzulösen, das hätten eine Analyse des japanischen Wissenschaftsministeriums und der Nature Index unabhängig voneinander gezeigt. Dementsprechend habe sowohl die Menge als auch die Qualität an Output von chinesischer Forschung deutlich zugenommen.
Es gebe viele berechtigte Kritikpunkte einzelner problematischer Kooperationen, umgekehrt gebe es aber “viele Themen, von denen wir mit Blick auf eine chinesische Beteiligung stark profitieren können’” sagte Thomas. China sei beispielsweise in der Chemie und den Materialwissenschaften, aber auch in vielen anderen Gebieten wie Informatik und Ingenieurwissenschaften an der Weltspitze zu verorten. “Die Leistung der deutschen Wissenschaft würde abnehmen, wenn wir komplett oder weitgehend auf deutsch-chinesische Forschungskooperationen verzichten würden”, sagte der Verleger.
Das Gleiche gelte umgekehrt allerdings auch für die chinesische Wissenschaft. Insgesamt würde der wissenschaftliche Fortschritt der Welt abnehmen, wenn wir und andere auf Kooperationen pauschal verzichten würden. Dies sei mit Blick auf die 17 Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen nicht wünschenswert. Die Themen, die das BMBF und die Bundesregierung mit Blick auf deutsch-chinesische Forschungskooperationen für wünschenswert befunden hatten, seien viel zu eng gefasst, konstatierte Thomas.
“Klima und Gesundheit sind einige der wichtigsten Themen, aber Armuts- und Hungerbekämpfung, Bildung, Infrastruktur-Innovation und Wirtschaftswachstum sind auch wichtig, und daran arbeiten chinesische Forscher auch.” Laut Thomas könnte die Naivität von Deutschland anders gelagert sein: “Wir glauben ja noch immer, dass wir die Technologie haben und die Chinesen davon lernen. Das ist in vielen Gebieten aber längst anders. Der richtige Weg ist, bis auf kritische Ausnahmen, die man eng, aber klar definieren sollte, möglichst alles für alle zu öffnen, also Open Science zu leben.“
Ein ausführliches Interview mit Hannes Gohli zur China-Strategie der Bundesregierung lesen Sie hier.
Das gesamte Interview mit Niels Peter Thomas unseres Kollegen Frank Sieren vom China.Table lesen Sie hier.
Dringend gebraucht wird vieles: Anlagen, die den Wasserstoff klimaneutral erzeugen, Leitungen und Behälter, die das leicht entflammbare Gas sicher einschließen, und schließlich Geräte und Motoren, um die Energie im Wasserstoff in Wärme, Strom oder Antrieb umzuwandeln. Obwohl laut Regierungsstrategie bis 2030 die neue Wasserstoff-Infrastruktur schon in Grundzügen aufgebaut sein soll, steht davon noch kaum etwas wirklich zur Verfügung.
In der Referenzfabrik.H2 in Chemnitz wird daran gearbeitet, das zu ändern. “Wir entwickeln Standardlösungen, die es gestatten, auf allen Ebenen der Wasserstoffsysteme mit der Massenproduktion zu beginnen”, sagt Ulrike Beyer, die das Vorhaben, für das drei Institute der Fraunhofer-Gesellschaft und mehrere Industriebetriebe zusammenarbeiten, leitet. Denn weder Elektrolyseure noch Brennstoffzellen, die Wasserstoff in nutzbare Energie verwandeln, werden bisher in erforderlich großem Stil in Serie produziert.
Der Plan: 2030 soll es in Deutschland Elektrolyseure mit einer Leistung von 10 Gigawatt geben. Derzeitiger Stand: unter 0,1 Gigawatt. Von den aktuell großen Elektrolyseuren müssten binnen sechs Jahren rund 500 Anlagen gebaut werden, um das Ziel zu erreichen. Die EU strebt 120 Gigawatt an, installiert sind aber nur 0,5 Gigawatt. “Wir liegen also weit hinter dem Plan zurück”, sagt Beyer.
Bis 2025 will die Wirtschaftsingenieurin mit ihrem internationalen Team und den Projektpartnern demonstrieren, wie eine Serienfertigung gelingen kann, und dafür Prototypen und Baupläne vorlegen. Sie spricht von einer “einmaligen Chance für die deutsche Wertschöpfung”, wenn damit kleinere und mittelgroße Unternehmen ins Wasserstoffgeschäft einsteigen könnten, zusätzlich zu großen Playern wie Siemens Energy, Thyssenkrupp Nucera oder H-Tec Systems oder in Partnerschaften mit ihnen.
Deutsche Wissenschaftler arbeiten auch daran, Elektrolyseure künftig direkt dort zu betreiben, wo viel und konstant erneuerbarer Strom entsteht – an den Offshore-Windanlagen in Nord- und Ostsee. Beim dafür geschaffenen Großvorhaben H2Mare, in dem mehr als 30 Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft kooperieren, steht aber auch noch alles auf Anfang: “Das Zusammenspiel aller Komponenten in Offshore-Umgebung kann derzeit noch nicht erprobt werden”, sagt Projektsprecher Christian Hiemisch.
Thomas Jordan vom Institut für Technische Energietechnik und Sicherheit am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) fragt sich, ob die Bundesregierung “bei den recht ambitionierten Plänen, die da vorliegen”, weiß, wie anspruchsvoll es ist, Wasserstoff sicher zu transportieren. Schon bis 2028, so heißt es in der Wasserstoffstrategie, soll ein 1.800 Kilometer langes Kernnetz von Wasserstoffpipelines Deutschland durchziehen. Tausende weitere davon abzweigende Kilometer sollen folgen. Aufgrund der geringen Molekülgröße gelangt Wasserstoff in Behältern und Leitungen aber fast überallhin – und kann dadurch zum Beispiel eine klassische Pipeline mit der Zeit spröde und rissig werden lassen.
Jordan vermisst bei der Wasserstoffstrategie, dass die Regierung mit Nachdruck für internationale Standards sorgt, was die Reinheit der Gaslieferungen betrifft und die Anforderungen für sicheren Transport. “Wenn man jetzt mit großem Schwung viel Geld in viele Demonstrationsprojekte steckt, aber sich dann herausstellt, dass ihnen die Sicherheitsbasis fehlt, ist vielleicht öffentliches Geld sehr schnell umsonst verausgabt worden.”
Der Chemiker Robert Schlögl, einer der Initiatoren und Koordinatoren von TransHyDE, einem vom BMBF geförderten Projekt zum Wasserstofftransport, verweist auf zahlreiche Erfolge: “Wir haben dargelegt, wie man Erdgas- und Wasserstoffpipelines umwandeln kann und welchen neuen Verdichter es braucht, um den Druck in der Pipeline zu halten”, sagt er. “Wir haben ein deutsches Startnetz konzipiert, eine Demonstrationsanlage für Ammoniak als Transportmittel für Wasserstoff auf den Weg gebracht und entwickeln ein fliegendes Suchgerät für Wasserstofflecks.”
Dennoch ist der frühere Direktor des Fritz-Haber-Instituts in Berlin und Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Chemische Energiekonversion alles andere als optimistisch. Daran, dass die Ziele in so kurzer Zeit erreicht werden können, hat auch er erhebliche Zweifel. Aus seiner Sicht fehlt eine umfassende Strategie, wie deutsche Firmen nachhaltig erzeugten Wasserstoff rund um die Welt produzieren und nach Europa importieren können. “Es reicht nicht, mit dem Scheckbuch teuer bei anderen Ländern einzukaufen, wir müssen selbst handeln”, sagt er.
Australien, Südafrika, Namibia, Chile und Kanada gehören zu den Ländern, in denen deutsche Politiker, Firmen und Forschungsorganisationen in jüngerer Zeit vorstellig geworden sind. Denn dort ist der für die Wasserstoffproduktion nötige Strom aus Wind oder Sonne leichter und billiger zu ernten als in Deutschland. Doch Schlögl geht das alles nicht weit genug. “Wenn wir nicht viel intensiver und offensiver agieren, wird China uns auf allen Feldern überrollen, bei den Elektrolyseuren wie bei den Lieferverträgen rund um den Globus”, warnt er.
Ein Hauptproblem für mangelndes Tempo sieht Schlögl innerhalb der Bundesregierung: “Wirtschaftsministerium und Forschungsministerium müssen auf allen Ebenen besser zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen”, verlangt er, “sonst wird das nichts.” Als Beispiel führt er die sogenannten Leitprojekte namens H2Giga, H2Mare und TransHyDE an, die das BMBF seit 2021 mit insgesamt 700 Millionen Euro aufgebaut hat. Dabei sind Konsortien aus Wissenschaft und Wirtschaft mit insgesamt hundert Partnern entstanden. “Da sind wir viel besser als die Amerikaner, die so ein intensives Geflecht nicht haben”, sagt Schlögl.
Doch der Forschungsstratege befürchtet, dass die Leitprojekte Einsparungen im Bundeshaushalt und dem Drang des Wirtschaftsministeriums, eigene Strukturen aufzubauen, zum Opfer fallen werden. “Das wäre ein großer Schaden”, sagt er. Nach Jahren des Wachstums hat das BMBF ab 2024 deutlich weniger Mittel für die Wasserstoffforschung eingeplant als 2023. “Die Wissenschaft kommt zu schlecht weg“, kritisiert Schlögl und fordert, im neuen Energieforschungsprogramm eine Wasserstoffoffensive zu verankern.
Herr Deerberg, ist die Nationale Wasserstoffstrategie ambitioniert genug? Reichen die anvisierten Maßnahmen?
Wir müssten schon viel weiter sein. Als wir vor vielen Jahren angefangen haben, uns mit dem Thema Wasserstoff zu beschäftigen, fragte man mich, wie viel Wasserstoff wir eines Tages benötigen werden. Und die einfache Antwort war und ist: Bringt so viel grünen Wasserstoff wie möglich und das wird lange nicht ausreichen. Am Ende ist der entscheidende Baustein des Hochlaufs, dass wir genügend grünen Wasserstoff haben. Dafür muss der Ausbau der erneuerbaren Energien international schneller gehen.
Ihre Kolleginnen und Kollegen vom Fraunhofer ISI kommen in einer Studie zu dem Schluss, dass Elektrolyse vor Ort nicht wirtschaftlich ist. Also alles auf den Import setzen?
Grundsätzlich bin ich bei dem Thema kein Freund von Schwarz-Weiß-Malerei. Die Versorgung sollte vielfältig sein und auf mehreren Quellen basieren. Wir sehen beim Erdgas was passieren kann, wenn man sich auf wenige Quellen verlässt. Der Landesverband Erneuerbare Energien hier in NRW hat die Wasserstoffstrategie kritisiert, weil die heimische Wasserstoff-Bereitstellung nicht ausreichend berücksichtigt wird. Grüner Wasserstoff aus Deutschland kann vor allem zur Netzstabilisierung bei Überproduktionen beitragen und so auch kostengünstig produziert werden. Dafür bräuchte es allerdings Speicherkapazitäten, die wir derzeit noch nicht haben.
Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ist in einer aktuellen Analyse pessimistisch: Die anvisierten Wachstumsraten bei Elektrolysekapazitäten in der EU seien “beispiellos für Energietechnologien”. Sind die Ziele nur Augenwischerei?
Wenn man sieht, in welchem Tempo es vorangeht, dann kann man davon ausgehen, dass es knapp wird, überhaupt den Strom für die Wasserstoffproduktion aus erneuerbaren Energien bereitzustellen. Das ist auch die Kernproblematik. Wir diskutieren schon viel über Infrastrukturen für den Transport und die Möglichkeit von Ammoniak-Lieferungen. Aber das eigentliche Problem ist der Ausbau der erneuerbaren Energien, der teilweise mit sehr langwierigen Prozessen verbunden ist.
Die EU will bis 2030 zehn Millionen Tonnen grünen Wasserstoff produzieren.
Wenn Sie überlegen, dass wir jetzt Mitte 2023 haben, es also noch sechseinhalb Jahre bis 2030 sind und die Genehmigung eines Windrads bis zu acht Jahre dauern kann, dann ist klar, dass das eine Mammutaufgabe ist. Und das ist kein rein deutsches Phänomen. Auch in Partnerländern werden Wasserstoffanlagen nicht von heute auf morgen gebaut. Wenn das nicht nur leere Versprechungen sein sollen, muss man die Anstrengungen deutlich intensivieren.
Die Infrastrukturen für die Verteilung des Wasserstoffs sehen Sie also nicht als großes Problem?
Wir haben in Deutschland und Europa einen großen Asset und das sind die Erdgasleitungen, also die Pipelines, die schon überall liegen. Es ist möglich, diese umzuwidmen für Wasserstoff und das lässt sich auch mit überschaubarem Aufwand technisch umrüsten. Interessanter wird es dann wieder auf der Seite der Nutzer. Die Industrie muss ihre Prozesse auf Wasserstoff umstellen. Überall dort, wo heute schon Wasserstoff genutzt wird, ist das machbar.
Was kommt auf die Unternehmen zu, die noch nicht H2-ready sind?
Unternehmen, die heute – meist grauen – Wasserstoff benutzen, können diesen mit geringem Aufwand durch grünen Wasserstoff ersetzen. Aber überall sonst, also zum Beispiel in der Stahl- oder in der Glasindustrie, wo Produktionen oft im Hochtemperaturbereich laufen, müssen wir Anlagen um- und aufrüsten oder ganz neue Anlagen bauen und alles auf die Verbrennung von Wasserstoff ausrichten. Da ist noch einiges an Entwicklungsarbeit zu leisten. Ungünstig wäre, wenn der Glasschmelzofen umgebaut ist und dann kein Wasserstoff da ist. Deswegen sollte man zunächst überall dort anfangen, wo Wasserstoff heute schon genutzt wird und die anderen, die die Prozesse umstellen müssen, stoßen dann dazu.
Sie haben in der ersten Wasserstoffstrategie den Aspekt der intersektoralen Zusammenarbeit vermisst. Was verstehen Sie darunter – und steht er in der Fortschreibung?
Ich habe auch in der neuen Strategie nichts darüber gefunden. Wir brauchen beim Wasserstoff-Hochlauf eine System- und Integralbetrachtung, um zu verhindern, dass wir in ein Silodenken verfallen. Statt einzelne Industriebereiche isoliert zu betrachten, brauchen wir eine systemische Gesamtschau und Kooperationen. Ein gutes Beispiel dafür, dass die übergreifende Zusammenarbeit sehr viele Chancen bietet, ist das Verbundprojekt Carbon2Chem®, wo wir Wasserstoff als Treibstoff für Kohlenstoffkreisläufe verwenden. Ein anderes Beispiel könnte die Positionierung von Elektrolyse-Einheiten in der Nähe von Klärwerken sein. Das Hauptprodukt der Elektrolyse ist nicht Wasserstoff, sondern Sauerstoff und den sollte man regional weiterverwenden.
Was muss noch erforscht werden, damit der Wasserstoff-Hochlauf zügig und effizient gelingt?
Grundsätzlich muss man erstmal sagen, dass wir nicht länger mit einer echten Umsetzung warten sollten. Denn in der Wartezeit gelangt immer mehr CO₂ in die Atmosphäre. Wir sollten mit den Maßnahmen starten, die wir heute schon beherrschen, anstatt immer darauf zu verweisen, dass noch neue Entwicklungen nötig sind und wir die Systeme noch effizienter und besser machen können. Ich bin manchmal erschrocken über die Anspruchshaltung. Wenn etwa eine Technologie so weit entwickelt ist, dass sie 50 Prozent des Problems bewältigt, dann wird sie lieber nicht eingesetzt, weil man sagt: In drei Jahren kann sie vielleicht 70 Prozent schaffen.
Was ist der richtige Weg?
Wir müssen mit dem anfangen, was wir haben. Es geht darum, die Summe der Emissionen über die Jahre zu reduzieren und nicht darum, was wir im Jahr 2050 emittieren. Und dann gilt es, die Technologie weiterzuentwickeln. Wir arbeiten im deutschen Wissenschaftssystem meist in Projekten, die für drei Jahre gefördert werden. Und anstatt dann an einer Technologie dran bleiben zu können, muss man sich mit etwas Neuem beschäftigen, weil man für die gleiche Entwicklung keine Fördergelder mehr bekommen kann.
Das bedeutet, es ist nur noch Begleitforschung notwendig?
Es gibt eine Reihe von Prozessen, die wir effizienter machen können, um weniger Energie und Wasserstoff verbrauchen zu müssen. Dann brauchen wir dringend smarte Fertigungstechnologien, um Elektrolyseure in großem Maß herstellen zu können und die Produktion immer weiter zu skalieren, wenn wir nur in die Nähe der ambitionierten Ziele kommen wollen. Und ich habe einen Punkt, der mir auch Sorgen macht: Wir müssen mit mehr Fokus an alternativen Materialien für die Elektrolyseure und Brennstoffzellen forschen, weil seltene Metalle wie Iridium knapp werden könnten, wenn wir den weltweiten Bedarf an Wasserstoff und damit an Elektrolyseuren hochrechnen. Es gibt auch da schon neue Ansätze, wie alternative Katalysesysteme, aber da ist sicher noch wesentlicher Forschungsbedarf.
Wird das Thema Wasserstoff für Deutschland eine Gewinn- oder eine Verlustrechnung sein?
Um grünen Wasserstoff als Energieträger etablieren zu können, sind Übergangstechnologien wie blauer Wasserstoff erforderlich. Sie helfen uns, früher ganz auf fossile Energieträger verzichten zu können, bevor wir ab den Fünfzigerjahren hoffentlich genügend erneuerbare Energien zur Verfügung haben. Das heißt, hier müssen sich alle Beteiligten im Klaren darüber sein, dass auch in Technologien investiert werden muss, die jetzt und in den nächsten Jahrzehnten in hohem Maße benötigt werden und dann an Bedeutung verlieren.
Also eine Verlustrechnung?
Das sind Transformationskosten, die die Gesellschaft und die Wirtschaft tragen müssen, um die Folgen des Klimawandels abzuschwächen und zu verhindern. Für Deutschland ist das aber eine riesige Chance, weil weltweit alle diese Herausforderungen haben. So ist es folgerichtig, dass die Bundesregierung die Strategie verfolgt, Deutschland zu einem weltweit führenden Technologieanbieter bei grünem Wasserstoff zu machen. Das kann uns helfen, unseren Wohlstand zu sichern. Da sehe ich auch einen Vorsprung.
Was hätten Sie zur neuen nationalen Wasserstoffstrategie noch ergänzt?
Vielleicht ein Aspekt, der mir zu kurz kommt: Wir dürfen die Bevölkerung als Stakeholder nicht vergessen. Der Klimawandel ist ein Thema, mit dem viele konfrontiert werden. Klimaschutz finden alle großartig, außer er hat direkten Einfluss auf ihr Leben. Wir müssen Windräder, neue Stromleitungen, Wasserstoffpipelines und vieles mehr bauen. Es braucht also auch viele Menschen, die mitwirken. Dazu ist mehr Bildung und Ausbildung erforderlich. Die Transformation wird den Menschen in Deutschland viel abverlangen: Neue Infrastruktur, höhere Energiepreise, andere Mobilität sind nur einigen Beispiele.
Das ruft jetzt schon viele Kritiker und Besorgte auf den Plan.
Darum muss auch immer wieder kommunikativ auf die Sorgen der Bevölkerung eingegangen werden. In der Transformation gibt es auch viele Chancen, etwa für neue spannende und sinntragende Jobs. Dabei scheint es mir wichtig zu sein, dass die Menschen sich nicht als Opfer der Transformation und der neuen Wasserstoffwirtschaft empfinden, sondern dass sie quasi zu Mittätern werden. Hierfür sind Informations-, Kommunikations- und Partizipationsinitiativen erforderlich.
29. August bis 1. September 2023, Universität Hamburg
Tagung OR 2023: Decision Support & Choice-Based Analytics for a Disruptive World Mehr
4./5. September 2023, Haus der Unternehmer, Duisburg
Tagung Science for Society? Arbeits- und Organisationsformen der Zukunft Mehr
6. September 2023, Allianz Forum, Pariser Platz 6, Berlin
Preisverleihung Unipreneurs: Die besten Professorinnen und Professoren für Startups Mehr
11.-13. September 2023, Osnabrück
18. Jahrestagung der Gesellschaft für Hochschulforschung Das Zusammenspiel von Hochschulforschung und Hochschulentwicklung: Empirie, Transfer und Wirkungen Mehr
27.-29. September 2023, Freie Universität Berlin
Gemeinsame Konferenz der Berliner Hochschulen Open-Access-Tage 2023 “Visionen gestalten” Mehr
28. September 2023, 18-21.30 Uhr, Medizinhistorisches Museum Berlin
Diskussionsveranstaltung der Arbeitsgruppe “Hochschulen als MINT-Innovationsmotor” im Nationalen MINT Forum Any other subject: Wie die Erweiterung des MINT-Begriffs neue Zielgruppen erschließt Mehr
16. November 2023, Wilhelm Büchner Hochschule, Darmstadt
Tagung WBH Wissenschaftsforum 2023 – “Transformation gestalten” Mehr
Ineffiziente Verfahren und lange Bearbeitungszeiten behindern die Entwicklung neuer Medikamente. So lautet die Kritik von Biontech-Gründer Uğur Şahin in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeine Zeitung. Die Zusammenarbeit mit den Behörden sei in der Corona-Zeit, als es um die Zulassung der ersten Impfstoffe ging, so intensiv wie noch nie gewesen, sagte Şahin. “Jetzt sind wir wieder im Normalzustand, und das bedeutet lange Bearbeitungszeiten. Wir haben sehr kompetente Regulatoren in Deutschland und in Europa, aber zunehmend ineffiziente Prozesse, die sehr viele Ressourcen sowohl bei den Behörden als auch bei Arzneimittelentwicklern verschlingen.”
Bereits im Rahmen der Entscheidung Biontechs, sein Forschungs- und Entwicklungszentrum für die Krebstherapie nicht in Deutschland, sondern in Großbritannien aufzubauen, hatten langsame Zulassungsprozesse in Deutschland und der EU eine Rolle gespielt.
Insgesamt gebe es ein Missverhältnis zwischen technologischen Möglichkeiten und dem, was die Bürokratie zulasse, sagte Şahin. “Ein Grund ist die redundante Bürokratie, ein anderer ein Mangel an Ressourcen, was Bearbeitungszeiten in die Länge zieht.” Er mahnte: “Medizin ist so wichtig, dass Trägheit des Systems nicht der Flaschenhals sein darf, der Zulassungen verzögert.”
Der Zulassung neuer Medikamente geht in der EU ein mehrstufiges Verfahren voraus, für das unter anderem mehrere klinische Studien vorgeschrieben sind. Am Ende gibt die Europäische Arzneimittelagentur EMA eine Einschätzung ab, die Europäische Kommission entscheidet dann über die Zulassung. Nach Plänen der EU-Kommissionen sollen die Fristen für die letzten beiden Schritte künftig verkürzt werden. mw/dpa
Die EU unterstützt das chinesische Unternehmen Huawei mit Forschungsgeldern. Einheiten des Unternehmens mit Sitz in Europa seien an 13 Finanzvereinbarungen beteiligt, darunter eine ansässig in Großbritannien, teilte Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager am Freitag als Antwort auf eine Parlamentsanfrage mit. Huawei-Einrichtungen mit Sitz in China seien nicht beteiligt.
Dass Huawei von Forschungsprogrammen der EU profitiert, ist bemerkenswert: Die Kommission betrachtet Huawei inzwischen als riskanten Anbieter und hat das Unternehmen von ihren eigenen Netzen ausgeschlossen. Binnenmarktkommissar Thierry Breton hatte die Mitgliedstaaten aufgefordert, dasselbe mithilfe der 5G-Toolbox zu tun. Allerdings weist die Kommission in ihrer Antwort darauf hin, dass alle Finanzhilfen aus Aufforderungen im Rahmen der Arbeitsprogramme von Horizont Europa 2021 bis 2022 stammten – also bevor die Kommission die Entscheidung traf, Huawei zu verbannen.
Fragesteller war der niederländische Europaabgeordnete Bart Groothuis (Renew), der Mitglied im Industrieausschuss (ITRE) sowie im Sonderausschuss zu Einflussnahme aus dem Ausland (ING2) des Parlaments ist. Er bezog sich bei seiner Anfrage auf einen Bericht der Financial Times, wonach Huawei an elf Horizont-Europa-Projekten beteiligt war, die sich mit sensiblen Kommunikationssystemen befassen.
Groothuis verweist darauf, dass nach der Horizont-Europa-Verordnung (Artikel 22.5) ausländische Anbieter von der Teilnahme an Maßnahmen ausgeschlossen werden können, die “im Zusammenhang mit strategischen Vermögenswerten, Interessen, der Autonomie oder Sicherheit der Union stehen”. Der Abgeordnete wollte nun wissen, an welchen Programmen Huawei teilgenommen hat, ob hier die Beschränkungen galten und falls ja, warum sie umgangen wurden. Er fragte auch, wie die Kommission das künftig verhindern will.
Die Verordnung schreibe vor, dass alle Beschränkungen im Voraus in den Arbeitsprogrammen von Horizont Europa festgelegt werden müssten, schreibt die Kommission. Die Themen, an denen Huawei beteiligt ist, seien zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Arbeitsprogramme jedoch nicht als Gefahr eingestuft worden, sodass die Einschränkungen nicht zur Anwendung kamen.
Inzwischen vertrete die Kommission jedoch die Auffassung, dass Huawei und ZTE tatsächlich ein wesentlich höheres Risiko darstellten als andere 5G-Anbieter. Daher beabsichtige sie, dies in allen einschlägigen EU-Förderprogrammen und -Instrumenten – einschließlich Horizont Europa – zu berücksichtigen. vis
Die Falling Walls Foundation hat die Shortlist für die “Science Breakthroughs of the Year 2023” bekannt gegeben. Die Jury hat dazu über 1.000 Einsendungen geprüft. Unter den ausgewählten Projekten in der Kategorie Biowissenschaften ist etwa Adam Cohen (Harvard University). Mit seinem Team entwickelt er fluoreszierende, spannungsanzeigende Proteine, die eine optische Kartierung neuronaler Aktivität ermöglichen. Claudia Höbartner von der Universität Würzburg entdeckte das erste Methyltransferase-Ribozym – eine katalytisch aktive Ribonukleinsäure (RNA), die zum Markieren jeder gewünschten RNA umfunktioniert werden kann.
Nominiert in der Kategorie Physik ist Arne Thomas von der TU Berlin. Sein Hauptinteresse gilt der Synthese von Materialien, deren Struktur und Eigenschaften zielgerichtet für eine bestimmte Anwendung eingestellt werden. Mithilfe eines Mikroskops mit atomarer Auflösung entdeckte Leo Gross vom Forschungszentrum IBM Research aus Zürich chemische Reaktionen, die neue Molekülstrukturen offenbaren und sich auf eine sauberere Verbrennung, medizinische Forschung, chemische Synthese und die Entwicklung neuartiger molekularer Maschinen auswirken können. Steve Albrecht und sein Team vom Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie stellten mehrere Weltrekorde bei der Effizienz von Tandem-Solarzellen auf Perowskit-Basis auf. Sie sind in der Kategorie Chemie nominiert.
Am 13. September werden die Gewinner bekannt gegeben. Sie präsentieren ihre wissenschaftlichen Durchbrüche am 9. November auf dem Falling Walls Science Summit in Berlin. nik
Biochemie, Medizin, Chemie, Mathematik, Informatik – schon im Studium fand Thomas Hartung es faszinierend, fachlich breit aufgestellt zu sein. Heute hat er fünf Professuren an drei Universitäten. Außerdem ist er leitender Redakteur der Fachpublikation Frontiers of Artificial Intelligence und leitet das Center for Alternatives to Animal Testing (CAAT) an der Johns Hopkins University in Baltimore im US-Bundesstaat Maryland. Seine Interessen und Forschungsthemen sind also weiterhin breit gefächert.
Ein klarer roter Faden zieht sich jedoch durch Hartungs Karriere: Er möchte Tierversuche überflüssig machen. “Ich mag Tiere. Ich habe meinen Anteil an Tierversuchen gehabt in der Ausbildung. Aber ich habe das nie gemocht”, sagt Hartung. Zwar habe er nur mit Mäusen und Ratten gearbeitet, aber es gebe kein “nur” bei diesen Versuchen. “Ich habe jedes Mal ein großes Glas Whiskey gebraucht am Abend danach”, sagt er.
Seine Kritik geht über ethische Fragen hinaus. Er zweifelt auch an der Aussagekraft der Versuche. “Wir haben ein unglaubliches Unwissen über das, was Chemikalien tun, weil ein Tierversuch mindestens so viele falsche wie richtige Resultate für den Menschen bringt”, sagt der Toxikologe. Wiederhole er einen Versuch an einer Maus, den er vorher an einer Ratte gemacht habe, stimmten die Ergebnisse nur noch zu 60 Prozent überein, weil selbst diese Tiere sich sehr unterscheiden.
Hartungs Lösung für dieses Problem ist ein neuronales Netz aus menschlichen Hirnzellen – sogenannte Hirnorganoide. 2013 erschien die erste Publikation, in der Wissenschaftler berichten, wie sie aus Stammzellen ein menschliches Hirnorganoid geschaffen haben. Zwei Jahre später stellten Hartung und seine Kollegen ein Konzept vor, mit dem sich diese winzigen Gebilde in Masse produzieren lassen. Die Stammzellen gewinnen sie aus umprogrammierten Blut- oder Hautzellen – so sind sie nicht auf Spenden angewiesen.
“Ich bin vor allem daran interessiert, dass aussagekräftige und machbare Methoden verwendet werden”, sagt Hartung. Die Organoide seien einheitlicher als Tierversuche, bei denen sich die Ratten voneinander unterscheiden. Das sei vor allem für ihn als Pharmakologen und Toxikologen wichtig. “So können wir auch Interaktionen zwischen genetischen Veranlagungen und Umwelteinflüssen erforschen.” Hartung möchte mit seiner Forschung unter anderem herausfinden, welche Chemikalien die Entwicklung von Alzheimer beeinflussen. Die Forschung an menschlichen Organoiden sei viel relevanter als ein Versuch an einer Ratte, sagt Hartung.
Die Tierversuche, die er ersetzen will, wurden größtenteils eingeführt, als der 59-Jährige noch nicht geboren war. “Daran sieht man, wie anachronistisch das ist”, sagt er. In der Zukunft will er diese Versuche mit seinen Organoiden ablösen: “Ich stelle mir eine Art Bank vor für solche Organoide. Ich kann also einfach in mein Labor gehen und sagen: Ach, ich brauche heute ein Alzheimerhirn, dann noch eines von einem gesunden Patienten und ich nehme Hirne von beiden Geschlechtern.”
Bei diesen Zellkulturen geht es Hartung aber um mehr, als Tiere zu ersetzen. Er und seine Kollegen wollen die Architektur und Funktion eines Gehirns reproduzieren. Dabei verbindet er die Zellkulturen mit Computern und versucht, ihnen Fähigkeiten beizubringen. “Wir stehen aber noch ganz am Anfang. Ich wäre froh, wenn meine Kulturen 1 + 1 = 2 rechnen könnten.” Die Ethiker seien aber von Anfang an mit an Bord. “Wenn ich damit spiele, kognitive Fähigkeiten zu realisieren, kommen diese Fragen unumgehbar auf”, sagt er.
Seine Forschung hat Hartung überwiegend in den USA aufgebaut. Die EU fördere Forschungsprojekte oft nur für fünf Jahre. Die USA scheuten sich aber nicht, viel Geld in langfristige Projekte zu investieren. Und gerade die Verbindung von Biochemie, Medizin und Informatik kostet viel Geld.
Künstliche Intelligenz und Computer sind ständige Begleiter seiner Forschung. Damit kann er die riesigen Datenmengen auswerten, die die trainierten Minihirne ausspucken. Aber auch wenn Hartung den Einfluss von Chemikalien testet, greift er immer häufiger auf KI zurück. Toxikologische Eigenschaften von Chemikalien ließen sich mit KI besser vorhersagen als mit dem klassischen Tierversuch. Er und sein Team haben die Klassifizierungen von 190.000 Chemikalien analysiert und jede einzelne vorhergesagt. Dank KI lagen sie bei 87 Prozent richtig, sagt Hartung. Bei Tierversuchen liegt die Reproduzierbarkeit nur bei 81 Prozent. “Ich bekomme diese Information in Minuten, anders als bei den Versuchen”, sagt er. “Ich muss mich nicht ausschließlich auf den Computer verlassen, aber den Nutzen dieser Methoden kann man nicht leugnen.”
Künftig will Hartung Krankheitsmodelle aufbauen. “Wenn man mit Gehirnorganoiden von Alzheimerpatienten arbeitet, sieht man, dass diese Gehirne sich anders verhalten.” Das mache ihm Hoffnung. “Die Erkenntnisse unserer Forschung können dazu beitragen, dass wir irgendwann ein Medikament gegen Alzheimer finden oder verstehen, welche Chemikalien zur Entwicklung dieser Krankheit beitragen.” Svenja Schlicht
Africa.Table. Ewia Green Investments hält an Westafrika fest. Ungeachtet der hohen Unsicherheit in der Sahelzone nach dem Militärputsch in Niger hält die Ewia Green Investments GmbH an ihrem Engagement in Westafrika fest. Ewia mit Sitz in München baut, finanziert und betreibt Solaranlagen für gewerbliche und industrielle Kunden in Afrika. Mehr
Agrifood.Table. “Neue Züchtungstechnologien müssen nutzbar gemacht werden”. Christine Schneider, Abgeordnete im EU-Parlament für die EVP, erklärt im Interview ihre Prognose für für die deutsche und europäische Agrar- und Ernährungspolitik. Sie ist sicher: Es müssen dringend neue Züchtungstechnologien zugelassen und nutzbar gemacht werden. Es brauche verbesserte Bedingungen bei der Erforschung alternativer Pflanzenschutzmethoden und eine optimierte Zulassung. Mehr
Climate.Table. “Wir müssen die alten Blöcke in der Klimapolitik aufbrechen”. Die abgebrochene Reise der Außenministerin nach Ozeanien sollte die Pazifikstaaten in der Klima- und Sicherheitspolitik enger an die EU binden. An ihrer Strategie will Annalena Baerbock trotzdem festhalten, erklärt sie Table.Media: Den Inselstaaten Alternativen zu Peking bieten, Versprechen einhalten, mehr Länder finanziell in die Pflicht nehmen und bei der COP28 den Einsatz der CCS-Technik möglichst begrenzen. Mehr
China.Table. Habeck plant Umkehr der Beweislast bei Investitionen aus dem Ausland. In der China-Strategie war eine Überarbeitung der Investitionsprüfungen angekündigt – jetzt gibt es zumindest schon ein Eckpunktepapier. Das Wirtschaftsministerium will die Genehmigungspflichten auf mehr Fälle ausweiten. Es geht hier vor allem um Zukäufe chinesischer Firmen in Deutschland. Mehr
Der Forschungsausschuss ist da. Staatssekretär Jens Brandenburg auch. Einige der Präsidentinnen und Präsidenten der Allianzorganisationen ebenso. Und noch weitere Vertreter der deutschen Wissenschaftseliten treffen sich in dieser Woche zur Gain23 in Boston. Dort geht es den ganzen Tag darum, junge Talente (wieder) nach Deutschland zu locken. Da man nach einem langen und anstrengenden Tag sicher etwas Entspannung sucht, versorgen wir die Reisegruppe noch mit einem Einkehrtipp.
Das Cheers in der Beacon Street war immerhin Kulisse der bekannten gleichnamigen Comedy Serie. In dieser sind die Rollen klar verteilt und die Aussagen zumeist erwartbar. Das optimale Ambiente für die deutsche Wissenschaft also. Oder auch die Gelegenheit, bei einem kühlen Getränk aus festgefahrenen Rollen auszubrechen und mutige Zukunftsvisionen zu entwickeln. Wir sind gespannt. Cheers. Markus Weißkopf