Table.Briefing: Research

Biontech: London Calling + Verpuffte Fördermilliarden + Dati: Kretschmer hat Zweifel + Sprind: Die kleine Freiheit

  • Warum Biontech künftig in London forscht
  • Milliarden aus Forschungszulage verpuffen
  • IRA: Abwanderung der Wasserstoffforschung droht
  • Meyer-Guckel fordert Transformations-Roadmap
  • Dati: Kretschmer vermisst “innovative Elemente”
  • Koalitionsstreit um Sprind-Gesetz
  • CO2-Entnahme: Vorschläge für CDR-Strategie
  • Heads: Ruth Schimanowski und der DAAD in China
  • Q.E.D.: Pionier-Regionen sind nur schwer einholbar
Liebe Leserin, lieber Leser,

wir begrüßen Sie zum neuen Research.Table, dem Professional Briefing für Wissenschaftspolitik, Forschungsstrategie, Innovationsmanagement und Research Funding. Sie lesen heute die erste Ausgabe unseres Informationsangebots. Wir hoffen, der Start gefällt Ihnen. Aber wir möchten Ihre Wünsche noch genauer kennenlernen, schreiben Sie Ihre Einschätzung gern an: research@table.media.

Ab sofort berichten wir – immer donnerstags – für die Köpfe in Parlamenten und Ministerien, Universitäten und Instituten, Unternehmen, Stiftungen, Verbänden und Think-Tanks.

In unseren Vorbereitungen für dieses Professional Briefing war stets sehr präsent, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine auf die deutsche Forschungsszene haben und welche zusätzlichen Herausforderungen dies bedeutet.

Doch was ist die richtige Reaktion aus der Forschung auf die großen Fragen, die sich zugegebenermaßen nicht erst seit den jüngsten Krisenzeiten stellen? Wir möchten ein Forum für diese Debatten sein, Sie über Entwicklungen informieren und Einordnung bieten.

In dieser ersten Ausgabe berichten wir über ungenutzte Milliardenchancen in der steuerlichen Forschungsförderung. Otmar D. Wiestler äußert sich zum Weggang von Biontechs Krebsforschungssparte. Stifterverband-Generalsekretär Volker Meyer-Guckel fordert im Interview 1000 neue Transferprofessuren.

Wir, das sind meine Kollegen, die Wissenschaftsjournalisten Markus Weißkopf, Tim Gabel und ich. Unser Dank gilt den vielen Kollegen von Table.Media, die uns bei dieser Premiere unterstützt haben. Wir wünschen Ihnen eine inspirierende Lektüre!

Wenn Ihnen der Research.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail weitergeleitet wurde: Hier können Sie sich für den Research.Table kostenlos anmelden.  

Ihre
Nicola Kuhrt
Bild von Nicola  Kuhrt
  • Biotechnologie
  • Forschungsförderung
  • Innovation
  • Sprind

Analyse

Biontech: London Calling 

Ugur Sahin Biontech
Biontech baut sein Forschungs- und Entwicklungszentrum für Krebstherapie in Großbritannien. CEO Uğur Şahin gibt Deutschland einige Hausaufgaben auf.

Biontech-CEO Uğur Şahin ist voll des Lobes. “Wir haben gesehen, dass die Entwicklung von Arzneimitteln beschleunigt werden kann – ohne dabei Abkürzungen zu nehmen -, wenn alle nahtlos zusammen auf das gleiche Ziel hinarbeiten.” Gemeint sind britischen Behörden, Forschungseinrichtungen und der private Sektor. In Deutschland hat Şahin diese Beschleunigung offenbar nicht beobachtet. Mit dem BMBF gab es bezüglich einer Kooperation keine Gespräche, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit.  

Vier Hauptgründe für den Gang nach Großbritannien

Nach Recherchen und Gesprächen mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Politik zeigen sich vier Hauptgründe für die Entscheidung Biontechs, mit seinem wichtigsten Forschungsbereich nach Großbritannien zu gehen:  

  • Organisation klinischer Studien: Das zentralisierte britische Gesundheitssystem mit dem National Health Service (NHS) im Mittelpunkt erleichtert die Rekrutierung passender Patientinnen und Patienten. Die klinischen Studienzentren stehen dort in direktem Kontakt mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten vor Ort. Das bedeutet: Zentralisierte Organisation, schnellere Kommunikations- und Entscheidungswege. Dagegen gilt das föderale Deutschland im Bereich Patientenrekrutierung und Genehmigung klinischer Studien als besonders bürokratisch und langsam. Christof von Kalle vom Berlin Institute of Health bemängelt die mangelnde Ausstattung deutscher Universitäten im Bereich des Datenschutzes oder der Rechtsberatung. “Bis in Deutschland die Verträge fertig sind, haben andere bereits die Patientenrekrutierung abgeschlossen.” Dadurch werde es immer schwieriger, an internationalen Projekten teilzunehmen. Auch der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, Otmar D. Wiestler, warnt, dass Deutschland im Vergleich zu Ländern wie den USA, Großbritannien oder Israel weit zurückfallen könne. 
  • Umfeld: Das Sanger-Wellcome-Institut in der Nähe von Cambridge ist bis heute eines der weltweit führenden Zentren der Genomforschung. Das kürzlich von Biontech akquirierte KI-Start-up Instadeep sitzt in London, genauso wie Konkurrent Deep Mind.
     
  • Genomdatenbanken: Die Briten fördern Genomsequenzierungen von Patienten mit Krebs oder seltenen Erkrankungen bereits seit rund 10 Jahren, gestartet mit dem 100.000 Genomes-Project. “By unlocking the power of DNA data, the NHS will lead the global race for better tests, better drugs and above all better care”, hatte der damalige Premier David Cameron den Schritt begründet. Durch die direkte Beteiligung der Patienten konnten sehr niedrigschwellige Einwilligungserklärungen für die Bereitstellung von Patientendaten geschaffen werden. Ein Participant Panel fungiert als beratendes Gremium von Genomics England, zusätzlich werden viele Ressourcen in die Kommunikation mit Patienten und der Öffentlichkeit investiert. Damit wachsen Datenbanken und das Vertrauen der Bürger in das System.  
  • Zulassung: Die Zulassung der individualisierten Krebstherapien könnte eine große Herausforderung werden, da quasi jedem Patienten ein “eigenes” Medikament gegeben wird. Die britischen Zulassungsbehörden haben bereits bei den Corona-Impfstoffen gezeigt, dass sie die entsprechenden Prozesse schnell organisieren und flexibel reagieren können. In der Europäischen Union erfolgt zunächst eine Zulassungsempfehlung durch die EMA (European Medicines Agency) für alle 27 Mitgliedsstaaten. Diese können dann national umgesetzt werden.  

Forderung: Stringentere Studienorganisation 

Zahlreiche Experten und Politiker fordern seit langem eine verantwortungsbewusste, aber stringentere Organisation klinischer Studien: Wenn Forschung und Entwicklung gerade im Bereich der Krebstherapien in Deutschland oder der EU stattfinden sollen, dann brauche es schnellere Schritte an allen Stellen, ohne dabei die Sicherheit und Unversehrtheit der Patientinnen und Patienten zu gefährden. In Deutschland wurde nun im Rahmen der Medizininformatikinitiative (MII) ein bundesweit abgestimmter Mustertext einer Patienteneinwilligung etabliert, der eine zukünftige breite Datennutzung innerhalb der medizinischen Forschung ermöglicht (“Broad Consent”).

Dies geschah in enger Abstimmung mit den Datenschutzbehörden der Länder und des Bundes sowie unter Einbindung von Patientenvertretungen. Diese befindet sich aber derzeit erst in der Einführungsphase. Das sei ein erster Schritt, der sich aber nur mittelbar auf die Therapiestudien auswirke, sagt Stefan Fröhling, Geschäftsführender Direktor am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg. Insgesamt gelte es im Zusammenspiel verschiedener Akteure die Geschwindigkeit für Zulassung und Organisation klinischer Studien deutlich zu erhöhen. 

Insbesondere der Datenschutz ist ein Problem  

Gegenüber Reseach.Table sagt Clemens Hoch, rheinland-pfälzischer Minister für Wissenschaft und Gesundheit: “Es ist seit langem bekannt, dass das deutsche Datenschutzrecht Forschungsaktivitäten im medizinischen-pharmazeutischen Bereich häufig verhindert. Rheinland-Pfalz setzt sich deshalb für eine Novellierung beim Bund ein”. Immerhin ist im Koalitionsvertrag ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz vorgesehen, in das die Forschungscommunity Hoffnungen setzt.  

Als eine seiner letzten Amtshandlungen hatte Jens Spahn einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht, das eine Ganzgenomsequenzierungen in der Regelversorgung bei Krebs und seltenen Krankheiten ermöglichen soll. Zum 1.1.2024 soll darauf basierend ein Modellvorhaben starten. Um das komplexe Werk zu entwickeln, hat das Gesundheitsministerium einen Expertenrat einberufen. Ziel ist es, eine Datenbank mit Genomsequenzen von Patienten mit Krebs oder seltenen Erkrankungen aufzubauen. Für Otmar D. Wiestler kommt das Modellvorhaben zu spät: “Wir brauchen aussagekräftige Piloten. Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen mit seinen künftig sechs Standorten könnte hier eine Vorreiterrolle spielen.” 

Ein europäischer Gesundheitsdatenraum soll geschaffen werden 

Parallel dazu gibt es die ‘1+ Million Genomes Initiative‘ (1+MG) der Europäischen Union (EU), der Deutschland 2020 beigetreten ist. Das Ziel von 1+MG ist es, länderübergreifend den sicheren Zugang, Austausch und die Analyse von Genomdaten und weiterer klinischer Informationen zu ermöglichen. Hier wird laut BMBF an konkreten technischen und rechtlichen Lösungen, etwa zu standardisierten Verfahren der dezentralen Datenspeicherung, des geregelten Datenzugriffs bzw. -austauschs gearbeitet.  

Wenn es gelänge, den europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) und eine zugehörige Vertrauensarchitektur zu schaffen, könnte dies in Zukunft sogar zu einem Vorteil für den europäischen Forschungsraum werden. Zu diesem EHDS ist der Entwurf eines Rechtsakts in Abstimmung, der neben technischen und organisatorischen auch rechtliche Aspekte mit einschließt. 

Allerdings bleibt das Problem, dass die Genomsequenzen nicht gekoppelt an andere Patientendaten vorliegen, sagt Christof von Kalle. Dies sei in Deutschland bisher nur in bestimmten standortübergreifenden Netzwerken der Fall, erklärt sein Kollege Stefan Fröhling. 

Rahmenbedingungen für Zulassung verbessern 

Wenn das geschafft ist, bleibt noch die notwendige Beschleunigung und Flexibilisierung der Zulassungsprozesse neuer Medikamente und Therapien in Deutschland und der EU. Doch Otmar D. Wiestler sieht auch hier Bewegung. Gerade Biontech habe gemeinsam mit dem Paul-Ehrlich-Institut während der Corona-Pandemie neue Prozesse angestoßen und ein Umdenken in Gang gesetzt.  

Der Bundestagsabgeordnete Stephan Albani (CDU) betont: “Biontech und andere werden in diesem Bereich noch mehr Forschungs- und Entwicklungszentren bauen. Wir müssen jetzt die Rahmenbedingungen verbessern, damit diese dann in Deutschland stehen. Hier muss ressortübergreifend unter Führung des BMBF mit dem BMWK und dem BMG zusammengearbeitet werden.” Welche Maßnahmen insbesondere das BMBF plant, um diese Verbesserungen herbeizuführen, das ist Teil einer Kleinen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion.  

Otmar D. Wiestler verweist auf die Bedeutung der Gesundheitswirtschaft für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Diese sei gleichbedeutend, wenn nicht sogar höher als die der Automobilindustrie, was jedoch von der Politik kaum gesehen werde. Gerade mit der Entdeckung eines neuen Wirkprinzips in der Medizin gelte es nun, die mRNA-Technologien in Deutschland massiv zu fördern. Entsprechende Rahmenbedingungen müssten geschaffen werden, um Wertschöpfung in Deutschland zu behalten.   

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Forschungszulage: Versprochene Fördermilliarden verpuffen      

Bettina Stark-Watzinger: Steuerliches Forschungsförderinstrument kommt nicht an.

Die im Januar 2021 eingeführte Forschungszulage hat einen Stolperstart hingelegt. Das geht aus einer aktuellen Befragung des Leibniz-Zentrums für Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) hervor. Diese soll am heutigen Donnerstag erscheinen und liegt dem Research.Table bereits vor.  

  • Zum 01.01.2020 ist das Gesetz zur steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung (FZulG; BGBl I S. 2763) in Kraft getreten. 
  • Das Gesetz ermöglicht die steuerliche Begünstigung von Forschungsausgaben. Projektbasiert können bis zu vier Millionen Euro von der Steuer abgesetzt werden. 
  • Die Forschungszulage bekommen Unternehmen unabhängig von Größe, Rechtsform und Branche. Es soll Anreize für Firmen setzen in FuE zu investieren.  

“Nach den Plänen der Bundesregierung sollten bis zu 2,5 Milliarden Euro pro Jahr an forschende Unternehmen gezahlt werden. Wenn wir das Ergebnis unserer Befragung hochrechnen, ist von einem Abfluss aus der Forschungszulage von deutlich weniger als zehn Prozent der budgetierten Mittel auszugehen”, sagt Christian Rammer, zuständiger Projektleiter im ZEW. 

Doppelt oder dreimal so viele Anträge erwartet

Irritierend ist der Stolperstart der Forschungszulage auch, weil es einen breiten politischen Konsens dazu gab und auch in der Ampelregierung geben müsste. Neben SPD und CDU, die die Zulage im Kabinett Merkel IV umsetzten, gehörte die FDP zu den größten Befürwortern der steuerlichen Forschungsförderung. Sowohl das BMF, das BMBF als auch das BMWK haben gemeinsam an der Forschungszulage gearbeitet. 

Aktuell wird die Forschungszulage nach Ergebnissen der Analyse nicht ausreichend bei den möglichen Antragstellern vorgestellt und als wichtiges Förderinstrument eingebracht – trotz FDP-Ressortverantwortung über die beiden federführenden Ministerien (BMF und das BMBF). Dabei diente die Forschungszulage auch als ein Paradebeispiel der Ressortzusammenarbeit

Nach Angaben des Bundesforschungsministeriums, das die neu geschaffene Bescheinigungsstelle Forschungszulage (BSFZ) beauftragt, wurden dort seit der Möglichkeit zur Antragsstellung im September 2020 (rückwirkend) bis zum 31. Dezember 2022 bislang 11.790 Anträge auf Bescheinigung von 7.932 Unternehmen gestellt. Rund dreiviertel der Anträge konnten bewilligt werden. Nach Informationen von Research.Table waren zu Beginn der Forschungszulage allerdings doppelt oder sogar dreimal so viele Anträge erwartet worden

Auch das BMBF spricht von “zögerlichem Start”

Ein Sprecher des BMBF nennt es auf Anfrage einen “zögerlichen Start der steuerlichen FuE-Förderung“. Auch in einer Befragung der Deutschen Industrie- und Handelskammer unter 600 Unternehmen in Deutschland heißt es, die Zahl der Anträge bleibe “bei Weitem hinter den Erwartungen zurück”

Grafik FuE-aktive Unternehmen

Research.Table hat mit Experten aus den Verbänden und dem BMBF über die Entwicklung der Forschungszulage gesprochen. Folgende Faktoren haben demnach zu der fehlenden Inanspruchnahme der steuerlichen Forschungsförderung geführt: 

  • Viele förderberechtigte Unternehmen wissen nichts oder zu wenig über die Forschungszulage. Die Befragungen, die DIHK und ZEW/VDMA durchgeführt haben, kommen zum eindeutigen Ergebnis: Es gibt ein Informationsdefizit. Die BSFZ hat nach Angaben des BMBF bei einer bundesweiten Roadshow fast 40 öffentliche virtuelle Veranstaltungen durchgeführt und bietet auf dem übersichtlichen Antragsportal gut verständliche Erklärvideos und Praxisbeispiele. Damit werden aber nicht alle förderfähigen Unternehmen erreicht. 
     
    Größere Stellschrauben der Öffentlichkeitsarbeit von BMBF und BMF werden nicht genutzt: Informationen über die Forschungszulage fehlen in wichtigen Publikationen der Bundesregierung. Auch die Förderberatung des Bundes, die erst im vergangenen Jahr vom BMBF neu ausgeschrieben und beauftragt wurde, gibt aktiv keine Informationen zur Forschungszulage heraus
     
    Gegenüber Research.Table erklärt ein BMBF-Sprecher, “die Förderberatung Forschung und Innovation des Bundes berät zur Förderung von Forschungs- und Innovationsvorhaben im Rahmen von Förder- bzw. Fachprogrammen“, man würde bei Anfrage von Interessenten auf die BSFZ verweisen. Eine aktive Information von Förderberechtigten durch die Förderberatung ist aber nicht vorgesehen
     
    Das BMF und das BMBF sehen darüber hinaus auch die jeweiligen Verbände und Kammern sowie die Steuerberater in der Pflicht, “ihre Mitglieder über Fördermöglichkeiten entsprechend zu informieren bzw. zu beraten“. Ulrich Meißner vom VDMA sieht an dieser Stelle durchaus noch Potenzial: “Wir haben schon auf zahlreichen Veranstaltungen zu dem Thema informiert, können unsere Anstrengungen aber sicher auch noch ausbauen”.

“Förderregime” sind nicht miteinander verknüpft

  • Es fehlt die Verzahnung und Kooperation mit den vorhandenen Förderstrukturen. Im Interview mit Research.Table sagt der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des VDMA, Hartmut Rauen, dass die Forschungszulage mit ihrem “Bottom-up-Ansatz und dem Verzicht auf Verbundforschung” eine passende Ergänzung zur klassischen Projektförderung und der Industriellen Gemeinschaftsforschung sei. 
     
    Informationen und Verweise aus der klassischen Projektförderung bekommen Zuwendungsempfänger dort jedoch nicht. Aus dem Ministerium heißt es dazu: “Es handelt sich […] um verschiedene Förderregime, die nicht miteinander verknüpft sind. Insofern ist eine gegenseitige Information über die verschiedenen Fördermöglichkeiten in der Regel nicht vorgesehen“.
  • Das zweistufige Verfahren wird als zu bürokratisch wahrgenommen. Im Gegensatz zur Projektförderung ist die Forschungszulage deutlich einfacher zu beantragen. Trotzdem sehen viele Unternehmen in den Befragungen von DIHK und ZEW/VDMA die Bürokratie als Hindernis für eine Beantragung. Das zweistufige Verfahren und ein zu enger Begriff von FuE-Vorhaben nach dem Frascati-Handbuch der OECD seien Gründe dafür, sagt Ulrich Meißner. 

Unternehmen können Zulage rückwirkend beantragen

Als neue steuerliche Regelung müsse eine solche Fördermaßnahme “zunächst auch bekannt werden” sagt ein Sprecher des BMBF. Unsicherheiten seitens der Unternehmen “im Hinblick auf die Prüfungserfordernisse durch die Finanzverwaltung” seien inzwischen durch ein Schreiben des Bundesfinanzministeriums aus dem November 2021 ausgeräumt. Das BMBF verweist auch darauf, dass Unternehmen die Forschungszulage noch vier Jahre rückwirkend beantragen können. 

Tatsächlich zeigt sich auch in der aktuellen Befragung des VDMA unter rund 250 Branchenunternehmen eine “dynamischere Entwicklung” bis zum Befragungsende im November 2022. Die Anzahl der Antragsteller im Maschinen- und Anlagenbau erhöhte sich etwa im Laufe eines Jahres um 94 Prozent, die Anzahl der gestellten Anträge um 125 Prozent. Diese Zunahme geht allerdings von einem insgesamt sehr niedrigen Niveau aus und so fällt die anschließende Diagnose ernüchternd aus: Es gäbe “weiterhin eine große Anzahl von im Grunde förderfähigen Unternehmen, die derzeit keine Antragstellung planen”, heißt es im Bericht. 

IRA: Abwanderung der Wasserstoffforschung droht

Elektrolyse
Power to Gas: Überschüssiger Windstrom wird per Elektrolyseur zu Wasserstoff.

Das Szenario erinnert an ein tragisches Kapitel vor rund 20 Jahren: den Niedergang der deutschen Solarindustrie. Das mögliche Opfer ist die deutsche Forschung und Industrie im Bereich grüner Wasserstoff. Hier ist Deutschland derzeit eine der weltweit führenden Nationen. Erst in der vergangenen Woche hat dies eine Studie des Europäischen Patentamts (EPA) und der Internationalen Energieagentur (IEA) gezeigt.

Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger lobte das “große Potenzial der Wasserstofftechnologien, made in Germany'” und kündigte weitere Förderungen ihres Hauses an. Die Frage ist: Wird ein “weiter so” reichen? Grund zur Skepsis liefert vor allem der “Inflation Reduction Act”. Das 369 Milliarden Dollar schwere Anti-Inflationspaket der US-Regierung aus dem Jahr 2022 sieht großzügige Subventionen für Unternehmen aus dem Bereich Erneuerbare Energien vor.

Die USA preschen vor, China könnte folgen

Der Flaschenhals des weltweiten Hochlaufs für Wasserstoff als Energieträger ist die Produktion von Elektrolyseuren. “Die Größe der Produktionsanlagen liefert den entscheidenden Schub im Markt”, sagt Felix Matthes, Forschungskoordinator für Energie- und Klimaschutz beim Öko-Institut. “Den Schritt hat Deutschland bei der Solarenergie damals gemacht, zum Beispiel mit dem ‘Solar Valley’ in Bitterfeld, aber dann den Anschluss verloren.”

China erstritt mit enormen Subventionen die Marktführerschaft. Matthes: “Das ist exakt das, was bei der Elektrolyse bevorsteht.” Die USA sind diesmal vorgeprescht, China könnte folgen. Der Nationale Wasserstoffrat (NWR) befürchtet eine Abwanderung von innovativen deutschen Unternehmen und Forschenden in die USA, denen eine “Vorreiterrolle im Bereich der Wasserstofftechnologie” zugeschrieben wird.

“Mit dem Inflation Reduction Act ist unsere Welt aus den Angeln gehoben”, sagt Karsten Pinkwart, Professor für Elektrochemische Energiespeicher und -wandler an der Hochschule Karlsruhe und NWR-Mitglied gegenüber Table.Media. Das werde großen Einfluss darauf haben, wie sich Unternehmen ausrichten. “Wie durchgreifend und einfach das Programm ist, hat kaum jemand erwartet.”

Engpässe bei Elektrolyseuren und fehlende Importe

Auf europäischer Seite ist ebenfalls viel Geld im Spiel. Aber dem stringenten IRA stehen vielfältige nationale Strategien, EU-Programme und ein “wilder Dschungel” an Förderungen gegenüber, sagt Felix Matthes, ebenfalls NWR-Mitglied, zu Table Media: “Die USA packen die Bazooka aus, das ist für den Klimaschutz erstmal eine gute Nachricht.” Im Wettbewerb mit Europa seien sie damit aber “klar in der Pole Position.”

Laut NWR könnte grüner Wasserstoff schon im Jahr 2025 in den USA die wirtschaftlichste Form der Wasserstofferzeugung sein. Zugleich wird der Hochlauf in Deutschland – vor allem wegen der erwarteten Engpässe bei Elektrolyseuren – verzögert. Und für Importe im großen Stil fehlt noch die Infrastruktur. Der Rat fürchtet “stranded assets” im Bereich der Industrie. Davon betroffen: prominente Projekte der Stahlindustrie.

Wenn Großunternehmen abwandern, folgen Wissenschaftler

“Ein mittelständisches Technologie-Unternehmen wird nicht so leicht in die USA umsiedeln. Aber bei großen, börsennotierten Unternehmen kann das sehr schnell gehen“, prognostiziert Pinkwart. Dies gelte auch für die Verlagerung von Innovationsaktivitäten: “Wenn Großunternehmen in den USA Kapazitäten aufbauen, ziehen Forschende nach.”

Auch der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, Otmar D. Wiestler, nennt im Gespräch mit Table.Media die USA als Beispiel für gelungene Innovationspolitik im Bereich der Energiepolitik: “Dort herrscht Aufbruchstimmung, es wird massiv in die Zukunft des Landes investiert. Im Biden-Paket stecken große Wissenschaftskomponenten. Alle Forschungsorganisationen dort haben einen signifikanten Budgetaufwuchs bekommen. Und sie arbeiten strategisch”, sagt Wiestler.

Deutschland hat in diesem Wettlauf viel zu verlieren

Deutschland hat in diesem Wettlauf viel zu verlieren. Das Land hat Expertise und führende Unternehmen bei der Entwicklung von Elektrolyseuren, dort vor allem bei Katalysatoren, und auch in der Brennstoffzellen-Technologie. Eine besondere Stärke liegt in der Entwicklung von modernen Hochtemperatur-Verfahren, wie sie die weltweit beachtete Firma Sunfire aus Dresden verfolgt.

Der radikale Ansatz der USA lässt die staatliche Förderung in Deutschland schlagartig recht hilflos erscheinen. Genau wie das Ringen um nationale Interessen auf europäischer Ebene. Ein viel diskutiertes Beispiel hier ist das IPCEI-Programm der EU, bei dem etliche deutsche Bewerber an den Einstiegshürden scheiterten oder von sich aus abwinkten.

Erster Entwurf für eine IRA-Antwort von EU-Wettbewerbskommissarin

“Wir müssen das Geld, das ja da ist, schneller und unkomplizierter ins System bringen“, sagt Felix Matthes. Die Stellungnahme des Nationalen Wasserstoffrats fordert als Antwort auf den IRA eine “Energie-Union Plus”, als europäische Förderallianz: Ziel müsse ein “auf EU-Ebene abgestimmtes Gesamtkonzept sein, das den Wasserstoffhochlauf massiv vereinfacht und beschleunigt sowie regulatorische Hürden beseitigt, statt neue zu schaffen.”

Einen ersten Einblick, wie diese Antwort aussehen könnte, hat Ende letzter Woche EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager gegeben: Sie werde dafür einen “Temporären Krisen- und Übergangsrahmen” vorschlagen, schrieb Vestager. Laut ihrem Brief an die Wirtschafts- und Finanzminister der EU sollen

  • Anreize für Investitionen in neue Fabriken gesetzt,
  • die Genehmigungsverfahren für staatliche Hilfen beschleunigt,
  • mehr Ausnahmen für staatliche Fördermaßnahmen ermöglicht und
  • die IPCEI-Verfahren verschlankt werden.

Deutschland und etliche weitere Regierungen drängen auf eine schnelle Lockerung der Beihilferegeln, um eine Abwanderung der heimischen Hersteller und Forscher zu verhindern. Eine Energie-Union Plus ist der erste Vorstoß von Vestager noch nicht. Raimund Witkop

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Meyer-Guckel: “Es braucht eine nationale Transformations-Roadmap”

Will einen Wumms für die Forschung: Volker Meyer-Guckel. Foto: Stifterverband
Für Zukunftsforen, neue Akteurskonstellationen: Volker Meyer-Guckel, Generalsekretär des Stifterverbands.

Die Konsequenzen des Kriegs gegen die Ukraine, – gestiegene Energiekosten, Versorgungs- und Lieferkettenengpässe – werden den Forschungsstandort Deutschland deutlich treffen: Zwei Drittel der Forschungs-Investitionen in Deutschland kommen aus der Industrie, sodass die Situation für das gesamte F&E-Investment in Deutschland nicht gut sei, sagt Volker Meyer Guckel.

Zwei Grundtrends seien in der Entwicklung besonders besorgniserregend: Die Investitionen ins Ausland stiegen an, ein langjähriger Trend, der strukturell fatal sei und – wie es aussieht – weiter zunehmen werde. “Wir müssen in Deutschland für kollaborative Forschung attraktiver werden.” In den USA beispielsweise gebe es viel mehr Spitzenforschungszentren in kollaborativer Betreiberschaft. Große Unternehmen, arbeiten zusammen mit der National Science Foundation in gemeinsamen Joint Funding-Projekten, Leuchtturm Research-Center werden gemeinsam finanziert. “Ein solches Modell gibt es in Deutschland nicht”, kritisiert Meyer-Guckel.

Für kollaborative Forschung attraktiver werden

Es brauche dringend neue Strukturen, neue Ansätze, neue Konsortien, das Pooling von Ressourcen, um in der Weltliga weiter mitzuspielen. “Die Rahmenbedingungen haben sich global geändert. Etwas plakativ kann man sagen: China skaliert, die USA innoviert, Deutschland und die EU regulieren.”

Es brauche missionsgetriebene nachhaltige Innovations- und Investitionsprogramme auf der Grundlage von Road Maps, die auch das Skalierungsthema adressieren, sagt Meyer-Guckel. In Deutschland gebe es zwar viele Forschungsförderprogramme, die auf unterschiedliche Ministerien verteilt sind: Forschung, Wirtschaft, Digitales, Umwelt, Gesundheit. Jeder habe sein Töpfchen und jeder bediene seine Klientel und seine Themen. “Was fehlt, auch in der Zukunftsstrategie, ist eine nationale Transformations-Roadmap. Die Ziele sind gut beschrieben in der Zukunftsstrategie des BMBF, aber wir brauchen eine Akteurskonstellation, die eine Roadmap verwirklichen kann.”

Der Blick auf Beispiele etwa aus den USA zeige, wie es funktionieren könne. “Wir brauchen Orte, an denen Missionsagenden und Transformationsprozesse zusammen gedacht werden, und zwar im Schulterschluss mit privaten forschungsstarken Akteuren.”

Zukunftsforen für Forschung und Innovation

Der Stifterverband will gemeinsam mit Partnern selbst aktiv werden. “Wir wollen große Förderstiftungen, Unternehmen, Wissenschaftsorganisationen, zivilgesellschaftliche Akteure und die Politik in Zukunftsforen zusammenbringen, wo man in neuen Akteurskonstellationen über den eigenen Tellerrand hinausschaut.”

Dabei wünscht sich Meyer-Guckel nach dem Wumms für die Verteidigung und dem Wumms für die Energieversorgung den nächsten Wumms für Forschung und Innovation, gepaart mit einem Strukturveränderungs-Willen. “2023 wird ein Jahr der Weichenstellungen für die Zukunft.” Ein Programm, das tausend Transferprofessuren an deutschen Universitäten etabliert, wäre dabei eine wichtige Ergänzung.

Das Interview wurde für die Publikation “Was jetzt, Forschung?” geführt. Die Publikation enthält Impulse aus den Gesprächen u.a. mit Martina Brockmeier (Leibniz), Jan Wörner (Acatech), Heyo Kroemer (Charité), Rafael Laguna de la Vera (Sprind), Volker Meyer-Guckel (Stifterverband), Georg Schütte (VolkswagenStiftung) und Dorothea Wagner (Wissenschaftsrat). Den kostenlosen Reader erhalten Sie hier.

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Termine

25.01.2023 – 16.30-18.00 Uhr, Berlin/Futurium
Auftaktveranstaltung Das Wissenschaftsjahr 2023 – Unser Universum mehr

25.01.2023, 9.30 Uhr bis 26.01.2023, 13:30 Uhr Berlin/Online
Online-Forum Centrum für Hochschulentwicklung: Transfer & Wissenschaft mehr

31.01.2023, 13:15-18:15 Uhr anschließend Empfang, Berlin
Online-Veranstaltung Universitätsallianz (UA) 11+: Politik und Wissenstransfer mehr

01.02.2023, 13:30-17:15 Uhr, Wien
Joint-Academy Day Herausforderungen der Wissenschaftskommunikation in Zeiten der multiplen Krise mehr

02.03.2023-05.03.2023, Washington D.C./Online
AAAS – Annual Meeting “Science for Humanity” ist das Motto der diesjährigen Tagung der American Association for the Advancement of Science. Mehr

News

Kretschmer zu Dati: “Es fehlen innovative Elemente”

Angesichts der bedeutsamen Zielsetzung der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (Dati) fehlen Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) “bislang die innovativen Elemente im Konzept“. Das sagte Kretschmer jetzt gegenüber Research.Table. Das aktuell vorliegende Konzept hatte er zuvor schon als zu “technokratisch” bezeichnet. “Es sollen zahlreiche neue Organe geschaffen werden. Diese beraten und kontrollieren sich zum Teil gegenseitig, statt all ihre Kraft in den Transfer zu stecken“, sagt Kretschmer.

Gemeint sind damit etwa die neu zu schaffenden Leitungsgremien, Aufsichtsgremien, der Transfer- und Innovationsrat oder die Regional-Coaches mit Service-Centern für die Regionen. Generell sei das Ziel der Dati, für mehr Dynamik beim Transfer von Innovationen in die Wirtschaft zu sorgen, “gut und richtig”. Die neue Agentur biete die Chance, “strukturelle Besonderheiten der Regionen im Innovations- und Transfergeschehen stärker zu berücksichtigen“.

Nach Kretschmers Ansicht müssten diese bei der weiteren Konzeptentwicklung im Mittelpunkt stehen. “Auf jeden Fall sollten bestehende Förderinstrumente von Bund und Ländern stärker vernetzt und deren Wirksamkeit auch durch zusätzliche Mittel gestärkt werden.” Kretschmer verweist aber auch auf die bestehende Trennung der Kompetenzen von Bund und Land und das Subsidiaritätsprinzip: “Der Aufbau der Agentur darf nicht zu einer Zentralisierung der Förderung führen. Diese muss dezentral bleiben.”

Es wird sich zeigen, ob diese Punkte in dem neuen Konzept bereits enthalten sind, das das BMBF am morgigen Freitag (20.1.) in einer neuen Runde des sogenannten “Datilogs” vorstellen wird. Dieses Mal kommt man sektorenübergreifend und nicht mehr innerhalb der einzelnen Stakeholdergruppen wie Wirtschaft oder Hochschulen zusammen, um über das Konzept zu beraten.

Neben den von Michael Kretschmer benannten Punkten wird es unter anderem darum gehen, welche Institutionen in einem neuen Förderprogramm überhaupt antragsberechtigt sind und welche Rolle soziale Innovationen spielen werden. Parallel zur weiteren Diskussion und Entwicklung des Konzepts, “erfolgt eine Analyse der Transfer- und Innovationsförderlandschaft auf Ebene des Bundes und der Länder, um Lücken und auch Schnittstellen zu identifizieren und somit Doppelstrukturen zu vermeiden”, sagte ein BMBF-Sprecher gegenüber Research.Table. Weiterhin soll laut BMBF schon im ersten Halbjahr 2023 eine Dati-Pilotlinie vorgestellt werden, um neue “Förderformate und -verfahren” zu erproben. mw

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Koalitionsstreit um Sprind-Gesetz: Die kleine Freiheit

Rafael Laguna de la Vera will nicht spekulieren. Seit mehr als einem Jahr wartet er auf das angekündigte Freiheitsgesetz, das seiner Agentur für Sprunginnovationen (Sprind) “eine flexiblere und schnellere Projektförderung” ermöglichen soll. Nur so viel verriet er dann doch: Es hänge offenbar im Bundesfinanzministerium. 

Im Dezember deutete er in einem Interview mit dem Handelsblatt dezent einen persönlichen Rücktritt an. Nun macht er zwar weiter, hat den Fortgang seines Arbeitsverhältnisses aber eng mit der Einführung des Freiheitsgesetzes verknüpft. 

Es steht im Koalitionsvertrag: Die Aufgaben und Befugnisse der Sprind sollen in einem Freiheitsgesetz verankert werden, sodass diese künftig unbürokratisch arbeiten kann. Bettina Stark-Watzinger unterstrich die Absicht noch einmal im März 2022. Die Weiterentwicklung habe “höchste Priorität”, sagte die Forschungsministerin. “Wir haben ein umfangreiches Maßnahmenpaket geschnürt, welches in einigen Kernelementen bereits umgesetzt werden konnte.” Darüber hinaus sollen die Aufgaben und Befugnisse perspektivisch in einem Freiheitsgesetz verankert werden.

Noch im Juni 2022 war Laguna in Interviews optimistisch, dass man in 2023 “richtig loslegen” könne. Doch der Entwurf ging nicht ins Parlament. Auch aus dem Termin zum Jahresende wurde nichts.  

Erste Stimmen stellen längst die Notwendigkeit eines eigenen Gesetzes infrage. “Dass die Sprind mehr Autonomie erhalten soll, ist in der Koalition Konsens”, sagt Wiebke Esdar (SPD). Aber: “Es muss klar werden, wozu es überhaupt ein eigenes Freiheitsgesetz braucht”. Alles, was gefordert ist, wäre auch mit kleineren Regelungen zu schaffen. So wurde bereits durch Ausnahmeregelungen einiges erreicht, insbesondere durch die Optimierung der Governance-Struktur (Verschiebung von Kompetenzen von der Gesellschafterin zum Aufsichtsrat), vergaberechtliche Flexibilisierung unterhalb der EU-Schwellenwerte für die Tochtergesellschaften sowie die anteilige Zuweisung von Selbstbewirtschaftungsmitteln im Haushaltsgesetz 2022. 

Bei weitergehenden Zugeständnissen wie einem Wegfall des Besserstellungsverbots steht die SPD vor einem Dilemma. Einerseits möchte sie Entbürokratisierung ermöglichen. “Andererseits stehe die SPD auch dafür ein, dass niemand schlechter gestellt wird und die Tarife eingehalten werden”, erklärt Esdar. Man warte nun, dass die Ressorts von BMBF und BMF sich auf einen Entwurf einigen. “Erst dann können wir im parlamentarischen Raum unter den Ampel-Parteien konkretes verhandeln”.  

In der Zwischenzeit seien zudem für 2023 Mittel freigegeben worden, “um zu unterstreichen, dass wir zu Sprind stehen.” Dabei seien die Gelder für 2022 durch die Agentur für Sprunginnovationen gar nicht alle abgerufen worden. Laut Einzelplan 30 waren dies aus dem vergangenen Jahr immerhin rund 18,5 Millionen Euro. 

Ist bei den Ministerien denn eine Einigung in Sicht? Während das BMF schweigt, weicht das BMBF aus. Es sei von Anfang an eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Sprind vorgesehen gewesen, erklärt wortreich eine Sprecherin. “Derzeit findet dazu eine Vorabstimmung innerhalb der Bundesregierung statt, um zeitnah einen Referentenentwurf in die Ressortabstimmung geben zu können.”  

Kritik am Stillstand kommt seitens der Opposition. “Das BMF bleibt bei der Haltung, es gibt keine Ausnahme vom Besserstellungsverbot. Das BMBF erzeugt dennoch die ganze Zeit den Eindruck, es gehe voran, doch es passiert eben nichts”, sagt Stephan Albani (CDU). Es fehle seitens des BMBF die klare Aussage, wie man das Ziel erreichen kann oder eben die ehrliche Aussage, dass man manche Dinge – wie die Ausnahme vom Besserstellungsverbot – so eben nicht realisieren kann oder will.  

Hat Rafael Laguna de la Vera noch Hoffnung? “Ich bin sehr zuversichtlich, dass das Sprind-Freiheitsgesetz in diesem Jahr kommen wird”, erklärt er gegenüber Research.Table. “Wir haben vor und nach Weihnachten sehr positive Signale aus dem BMBF erhalten, dass die Ministerien auf einem guten Weg sind, sich zeitnah auf einen Referentenentwurf zu einigen.” nik

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  • Sprind

CO2-Entnahme: Vorschläge für eine CDR-Strategie

Weltweit emittiert die Menschheit derzeit mehr als 41 Milliarden Tonnen CO2 im Jahr. Rechnet man andere Treibhausgase hinzu, steigt die Menge auf rund 50 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente. Zugleich werden – das ist ein erster Schätzwert – der Atmosphäre etwa zwei Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr entnommen. Doch das meiste davon beruht auf Aufforstung. Neuartige Verfahren des Carbon Dioxide Removal (CDR) tragen nur zwei Millionen Tonnen zur CO2-Entnahme bei.

Die Zahlen stammen aus dem gerade erschienenen Report “State of Carbon Dioxide Removal. Es ist die erste wissenschaftliche CDR-Bestandsaufnahme. Der Bericht zeigt, dass neuartige CDR-Verfahren wie BECCS, Pflanzenkohle oder Direct Air Capture noch ganz am Anfang stehen – und wie dringend es wäre, sie zu skalieren.

Doch die Politik hat keinen Plan, um damit umzugehen. Auch das zeigt der Bericht. In den aktuellen Klimaschutzplänen und Langfriststrategien der einzelnen Staaten seien “die anvisierten Mengen für CO2-Entnahmen nur geringfügig größer als die heutigen Mengen”, sagt Jan Minx, Klimawissenschaftler am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC). Minx hat den CDR-Report mit verfasst. Laut Bericht enthält keine der Langfriststrategien ein Ziel, das quantifiziert, welche Rolle CDR in Zukunft spielen solle.

Im Ergebnis sehen die Forscher deshalb eine “beträchtliche Lücke” zwischen den Mengen an CDR, die nötig wären, um die Pariser Klimaziele zu erreichen, und den konkreten CDR-Vorhaben der Regierungen. Selbst im Fall von ehrgeizigem Klimaschutz, von dem die Welt “meilenweit entfernt” sei, werde diese Lücke sich so schnell nicht schließen, kritisiert Minx. “Das gilt insbesondere für innovative Methoden wie BECCS und Direct Air Capture”.

Oliver Geden, Klimaforscher der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) und ebenfalls Autor des CDR-Reports, formuliert konkrete Anforderungen an die Bundesregierung. Sie brauche eine CDR-Strategie

  • mit konkreten, messbaren Zielen, die an Zahlen festmachen, zu welchem Zeitpunkt der Beitrag von CDR zu den Netto-Null-Plänen der Regierung wie hoch sein solle,
  • mit Kriterien, um zu unterscheiden, wo Emissionsminderung aufhöre und CDR beginne, zum Beispiel im Moorschutz,
  • mit einer Entscheidung, welche neuartigen Technologien sie fördern wolle.

Noch wichtiger aber sei, dass Deutschland auf europäischer Ebene für eine klare Regulierung eintrete. Denn dort entscheide sich auch die deutsche Klimapolitik. ae

  • BECCS

Presseschau

FAZ – Deutsche Forscher kooperieren mit Chinas Militär: Das Center for Research Security and Integrity hat herausgefunden, dass Deutschland besonders viele Forschungskooperationen zu Militärs aus China unterhält. Geforscht wird etwa zu Explosionsschutz, Roboterhänden oder Personenerkennung. Namhafte Forschungseinrichtungen haben eine sehr laxe Praxis oder wissen nicht, mit wem sie forschen. Universitäten plädieren für Wissenschaftsfreiheit. Die Bundesregierung beobachtet und wartet ab.

Tagesspiegel – Ampel strebt ins All: Laut Anna Christmann (Grüne) wird die Ampel im Herbst eine Weltraumstrategie beschließen. Insbesondere bei der Satellitentechnik will man die Rahmenbedingungen verbessern und deutsche Innovationen auch in Wertschöpfung überführen. Auch beim Thema Mondtransporter möchte man mit dabei sein und deutsche Astronauten mit heimischer Technologie auf den Erdtrabanten bringen.

New York Times – Alarmed by A.I. Chatbots, Universities Start Revamping How They Teach: Die zunehmende Nutzung von ChatGPT durch Studierende bringt das Thema an vielen Universitäten ganz nach oben auf die Tagesordnung. Die Verwaltungen richten Arbeitsgruppen ein und veranstalten Diskussionsrunden. Dabei steht die Anpassung an die Technologie im Fokus: Wie können Kurse neu gestaltet und Prüfungsformen verändert werden? Research.Table hat vergangene Woche zu den Chancen und Folgen von ChatGPT mit Hochschulpräsident Robert Lepenies (Karlshochschule) gesprochen.

Economist – Drogen fördern die Kreativität nicht, Kreativräume schaden: Cannabis verbessert die schöpferische Leistung nicht, verschlechtert aber das Urteilsvermögen: Bedröhnte finden eigene Ideen und die anderer besser, die Nüchternen nicht. Auch Psylocybin bringt nichts. Aufwendig ausstaffierte Kreativräume können sogar einen schädlichen Effekt haben im Vergleich mit langweiligen, genormten Büros. Die Economist-Kolumne Bartleby nennt drei Studien und endet bei Agatha Christie: Nichts hilft beim Schöpferischen mehr als Langeweile.

Heads

Ruth Schimanowski – Verteidigerin der Brücken nach China

Ruth-Schimanowski über die akademischen Beziehungen zwischen Deutschland und China
Ruth Schimanowski leitet die DAAD-Außenstelle in Peking.

Die Karriere von Ruth Schimanowski läuft nach dem Prinzip “next level learning by doing”. Den Ausdruck hat die Leiterin der DAAD-Außenstelle in Peking bei ihren Kindern aufgeschnappt. Was mehr oder weniger im Scherz dahingesagt ist, sei aber “wirklich typisch für Karrieren in China”. Man bekomme derart früh so viel Verantwortung aufgebürdet, dass man gar nicht anders kann, als sich weiterzuentwickeln. 1999 kam Ruth Schimanowski als Stipendiatin über den DAAD nach China. “Und seitdem bin ich hier.”

Die Außenstelle in Peking ist 1994 eröffnet, 2017 in China als ausländische NGO registriert worden und arbeitet landesweit. Schimanowski ist dafür verantwortlich, den Überblick zu behalten, damit die Programme am Laufen gehalten und beworben werden. Durch die isolationistische Politik der kommunistischen Partei ist das Kerngeschäft des DAAD natürlich enorm erschwert worden, teilweise sogar zusammengebrochen.

Keine zehn Stipendiaten aus Deutschland – 40.000 Studierende aus China

Derzeit befinden sich weniger als zehn deutsche Stipendiatinnen und Stipendiaten in China. Vor der Pandemie waren es mehr als 150. “Umgekehrt ist das Interesse an einem Studium in Deutschland bei Chinesen immer noch hoch”. Im Wintersemester 2021/2022 waren über 40.000 chinesische Studierende an deutschen Hochschulen immatrikuliert.

In keinem Fall aber dürfe man sich auf dem momentanen Status ausruhen, meint Schimanowski. Zum einen schrumpft der Aufholbedarf vonseiten Chinas täglich, besonders in den von Peking ausgemachten Schlüsseltechnologien: Künstliche Intelligenz, Quantentechnologien, IT-Technologien, Hirnforschung, sowie Biotechnologie, Luft- und Raumfahrt. Der 14. Fünfjahresplan von 2021 sieht vor, dass die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis 2025 jährlich um mindestens sieben Prozent steigen sollen. Bis 2050 will China an die Weltspitze.

Außerdem sollen weibliche Talente gestärkt werden. Zwar liege der Anteil der Frauen an den wissenschaftlichen und technologischen Personalressourcen bei etwa 40 Prozent und damit über dem weltweiten Niveau, “aber die meisten von ihnen befinden sich in einer Grundstufe.” Den Aufholbedarf sieht Peking also bei hochqualifizierten weiblichen wissenschaftlichen Talenten, denen zukünftig günstigere Rahmenbedingungen geboten werden sollen.

Balanceakt zwischen Spionagerisiken und Kollaborationen

Kontrolle ist überall. Seit 2017 werden Chinas Top-Universitäten und deren Lehrmaterialien inspiziert, um die Einhaltung der Parteilinientreue zu garantieren. Und die internationalen Kooperationen, die China zum Erreichen seiner Ambitionen bis auf Weiteres benötigen wird, gestalten sich zunehmend vertrackter: “Es wird schwieriger, das Risiko der Spionage und den Transfer von sensiblen Daten zu minimieren und gleichzeitig für gesunde akademische Kollaborationen offen und damit wettbewerbsfähig zu bleiben. Es ist ein Balanceakt”.

Schimanowski befürwortet das Aufrechterhalten einer gegenseitigen Abhängigkeit auf Augenhöhe: “Wir brauchen Reziprozität in den Austauschbeziehungen.” Ein Interesse an der Zusammenarbeit besteht weiterhin, auch von den deutschen Hochschulen, die sich einen fairen Zugang zu der chinesischen Forschungsinfrastruktur wünschen.

Dreiklang mit Schräglage: “Partner-Wettbewerber-Rivalität”

Die Möglichkeiten dazu versiegen aber nach und nach: “Steigende geopolitische Spannungen, eine kritische Haltung gegenüber China in Deutschland und steigende Kosten durch das Einführen von Compliance-Strukturen auf deutscher Seite belasten das China-Engagement.” Im eingeübten Dreiklang von ‘Partner-Wettbewerber-Rivalität’ werde derzeit die Rivalität überbetont. Die Erfolgschancen für Visaanträge chinesischer Wissenschaftlerinnen seien in den vergangenen Jahren durch verschärfte Sicherheitsüberprüfungen deutlich geringer geworden, sagt Schimanowski.

Es seien große Löcher gerissen worden, ganze Jahrgänge sind verloren gegangen. Für Schimanowski jedoch kein Grund zum Verzagen: “Offensichtlich ist der akademische Austausch in eine Schieflage geraten, stellenweise zusammengebrochen – aber das macht unsere Arbeit doch nur noch wichtiger.” Julius Schwarzwälder

Personalia

Markus Blume, Staatsminister für Wissenschaft und Kunst des Freistaats Bayern, übernimmt den Vorsitz in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) im Jahr 2023. Er wurde als länderseitiger Vorsitzender am 4. November 2022 von der GWK für das Jahr 2023 bestellt. Stellvertretende Vorsitzende ist Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung. In der GWK wechseln sich Bund und Länder jährlich im Vorsitz ab.

Gerald Haug, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften – Leopoldina, übernahm turnusgemäß zum 1. Januar 2023 die Sprecherrolle der Allianz der Wissenschaftsorganisationen. Im Jahr 2022 hatte die DFG die Federführung für die Allianz inne. Haug löst damit DFG-Präsidentin Katja Becker in der Sprecherrolle ab.

Robert Schögl ist seit dem 1. Januar 2023 Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung. Der Chemiker ist Nachfolger von Hans-Christian Pape. Ein kurzes Portrait Schlögls, der auch Vizepräsident der Leopoldina ist, findet sich auf der Webseite der Stiftung.

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie uns gerne einen Hinweis für diese Rubrik an research@table.media!

q.e.d. – Was zu beweisen war…

Regionale Entwicklung der zuziehenden Wissenschaftler in der Halbleiterforschung. Zeitperioden: 1954-1970 (A); 1970-1986 (B); 1986-2002 (C); 2002-2020 (D)

Etablieren Pioniere ein Forschungsfeld oder eine Technologie, erhöht das die Wahrscheinlichkeit, dass Forscherinnen und Forscher in dieses neue Umfeld wechseln. In einer Studie des Complexity Science Hub Vienna (CSH) werden die Vorteile von First-Mover-Regionen deutlich.   

Entgegen der Ausgangsthese der Studie, braucht es keine kritische Masse an Forschenden, um in einer Region ein neues Forschungsfeld erfolgreich etablieren. Vielmehr seien “frühzeitige Investitionen in aufstrebende Forschungsbereiche eine wichtige Triebfeder für wissenschaftliche Vorherrschaft” sagt CSH-Forscher Vito D. P. Servedio. Diese Vormachtstellung bleibe dann auch in der Zukunft erhalten. Regionen können später aufholen, aber das kostet viel Geld.  

Mithilfe der Dimensions-Datenbank analysierten die CSH-Forscher die Bewegungen von Wissenschaftlern in drei Bereichen – Halbleiterforschung, embryonale Stammzellen (ESC) und Internet-Forschung – in verschiedenen Regionen der Welt (sie leiteten diese Bewegungen aus den jeweiligen Affiliationen der Wissenschaftler ab). Auf diese Weise analysierten die Forscher Daten aus mehreren Jahrzehnten mit Informationen über Millionen von Veröffentlichungen, 20 Millionen Forscher und mehr als 98.000 Forschungseinrichtungen weltweit.   

Die Ergebnisse zeigten deutlich: “Wenn Regionen in einem Bereich führend werden wollen, müssen sie versuchen, sich frühzeitig zu engagieren. Es ist möglich, aufzuholen, aber das ist mit enormen Kosten verbunden”, sagen die Autoren Stefan Thurner und Vito Servedio. Das Modell des Aufbaus wissenschaftlicher Kapazitäten sei jedoch eine Vereinfachung. Natürlich gebe es auch noch andere Faktoren, die zum Erfolg eines Feldes und einer Region beitragen.  

Für die künftige Förderung von Innovation in Regionen kann man zumindest einen Punkt mitnehmen: Es braucht eine mutige Unterstützung wissenschaftlicher Pioniere! Markus Weißkopf

Research.Table Redaktion

RESEARCH.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Warum Biontech künftig in London forscht
    • Milliarden aus Forschungszulage verpuffen
    • IRA: Abwanderung der Wasserstoffforschung droht
    • Meyer-Guckel fordert Transformations-Roadmap
    • Dati: Kretschmer vermisst “innovative Elemente”
    • Koalitionsstreit um Sprind-Gesetz
    • CO2-Entnahme: Vorschläge für CDR-Strategie
    • Heads: Ruth Schimanowski und der DAAD in China
    • Q.E.D.: Pionier-Regionen sind nur schwer einholbar
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    wir begrüßen Sie zum neuen Research.Table, dem Professional Briefing für Wissenschaftspolitik, Forschungsstrategie, Innovationsmanagement und Research Funding. Sie lesen heute die erste Ausgabe unseres Informationsangebots. Wir hoffen, der Start gefällt Ihnen. Aber wir möchten Ihre Wünsche noch genauer kennenlernen, schreiben Sie Ihre Einschätzung gern an: research@table.media.

    Ab sofort berichten wir – immer donnerstags – für die Köpfe in Parlamenten und Ministerien, Universitäten und Instituten, Unternehmen, Stiftungen, Verbänden und Think-Tanks.

    In unseren Vorbereitungen für dieses Professional Briefing war stets sehr präsent, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine auf die deutsche Forschungsszene haben und welche zusätzlichen Herausforderungen dies bedeutet.

    Doch was ist die richtige Reaktion aus der Forschung auf die großen Fragen, die sich zugegebenermaßen nicht erst seit den jüngsten Krisenzeiten stellen? Wir möchten ein Forum für diese Debatten sein, Sie über Entwicklungen informieren und Einordnung bieten.

    In dieser ersten Ausgabe berichten wir über ungenutzte Milliardenchancen in der steuerlichen Forschungsförderung. Otmar D. Wiestler äußert sich zum Weggang von Biontechs Krebsforschungssparte. Stifterverband-Generalsekretär Volker Meyer-Guckel fordert im Interview 1000 neue Transferprofessuren.

    Wir, das sind meine Kollegen, die Wissenschaftsjournalisten Markus Weißkopf, Tim Gabel und ich. Unser Dank gilt den vielen Kollegen von Table.Media, die uns bei dieser Premiere unterstützt haben. Wir wünschen Ihnen eine inspirierende Lektüre!

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    Ihre
    Nicola Kuhrt
    Bild von Nicola  Kuhrt
    • Biotechnologie
    • Forschungsförderung
    • Innovation
    • Sprind

    Analyse

    Biontech: London Calling 

    Ugur Sahin Biontech
    Biontech baut sein Forschungs- und Entwicklungszentrum für Krebstherapie in Großbritannien. CEO Uğur Şahin gibt Deutschland einige Hausaufgaben auf.

    Biontech-CEO Uğur Şahin ist voll des Lobes. “Wir haben gesehen, dass die Entwicklung von Arzneimitteln beschleunigt werden kann – ohne dabei Abkürzungen zu nehmen -, wenn alle nahtlos zusammen auf das gleiche Ziel hinarbeiten.” Gemeint sind britischen Behörden, Forschungseinrichtungen und der private Sektor. In Deutschland hat Şahin diese Beschleunigung offenbar nicht beobachtet. Mit dem BMBF gab es bezüglich einer Kooperation keine Gespräche, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit.  

    Vier Hauptgründe für den Gang nach Großbritannien

    Nach Recherchen und Gesprächen mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Politik zeigen sich vier Hauptgründe für die Entscheidung Biontechs, mit seinem wichtigsten Forschungsbereich nach Großbritannien zu gehen:  

    • Organisation klinischer Studien: Das zentralisierte britische Gesundheitssystem mit dem National Health Service (NHS) im Mittelpunkt erleichtert die Rekrutierung passender Patientinnen und Patienten. Die klinischen Studienzentren stehen dort in direktem Kontakt mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten vor Ort. Das bedeutet: Zentralisierte Organisation, schnellere Kommunikations- und Entscheidungswege. Dagegen gilt das föderale Deutschland im Bereich Patientenrekrutierung und Genehmigung klinischer Studien als besonders bürokratisch und langsam. Christof von Kalle vom Berlin Institute of Health bemängelt die mangelnde Ausstattung deutscher Universitäten im Bereich des Datenschutzes oder der Rechtsberatung. “Bis in Deutschland die Verträge fertig sind, haben andere bereits die Patientenrekrutierung abgeschlossen.” Dadurch werde es immer schwieriger, an internationalen Projekten teilzunehmen. Auch der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, Otmar D. Wiestler, warnt, dass Deutschland im Vergleich zu Ländern wie den USA, Großbritannien oder Israel weit zurückfallen könne. 
    • Umfeld: Das Sanger-Wellcome-Institut in der Nähe von Cambridge ist bis heute eines der weltweit führenden Zentren der Genomforschung. Das kürzlich von Biontech akquirierte KI-Start-up Instadeep sitzt in London, genauso wie Konkurrent Deep Mind.
       
    • Genomdatenbanken: Die Briten fördern Genomsequenzierungen von Patienten mit Krebs oder seltenen Erkrankungen bereits seit rund 10 Jahren, gestartet mit dem 100.000 Genomes-Project. “By unlocking the power of DNA data, the NHS will lead the global race for better tests, better drugs and above all better care”, hatte der damalige Premier David Cameron den Schritt begründet. Durch die direkte Beteiligung der Patienten konnten sehr niedrigschwellige Einwilligungserklärungen für die Bereitstellung von Patientendaten geschaffen werden. Ein Participant Panel fungiert als beratendes Gremium von Genomics England, zusätzlich werden viele Ressourcen in die Kommunikation mit Patienten und der Öffentlichkeit investiert. Damit wachsen Datenbanken und das Vertrauen der Bürger in das System.  
    • Zulassung: Die Zulassung der individualisierten Krebstherapien könnte eine große Herausforderung werden, da quasi jedem Patienten ein “eigenes” Medikament gegeben wird. Die britischen Zulassungsbehörden haben bereits bei den Corona-Impfstoffen gezeigt, dass sie die entsprechenden Prozesse schnell organisieren und flexibel reagieren können. In der Europäischen Union erfolgt zunächst eine Zulassungsempfehlung durch die EMA (European Medicines Agency) für alle 27 Mitgliedsstaaten. Diese können dann national umgesetzt werden.  

    Forderung: Stringentere Studienorganisation 

    Zahlreiche Experten und Politiker fordern seit langem eine verantwortungsbewusste, aber stringentere Organisation klinischer Studien: Wenn Forschung und Entwicklung gerade im Bereich der Krebstherapien in Deutschland oder der EU stattfinden sollen, dann brauche es schnellere Schritte an allen Stellen, ohne dabei die Sicherheit und Unversehrtheit der Patientinnen und Patienten zu gefährden. In Deutschland wurde nun im Rahmen der Medizininformatikinitiative (MII) ein bundesweit abgestimmter Mustertext einer Patienteneinwilligung etabliert, der eine zukünftige breite Datennutzung innerhalb der medizinischen Forschung ermöglicht (“Broad Consent”).

    Dies geschah in enger Abstimmung mit den Datenschutzbehörden der Länder und des Bundes sowie unter Einbindung von Patientenvertretungen. Diese befindet sich aber derzeit erst in der Einführungsphase. Das sei ein erster Schritt, der sich aber nur mittelbar auf die Therapiestudien auswirke, sagt Stefan Fröhling, Geschäftsführender Direktor am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg. Insgesamt gelte es im Zusammenspiel verschiedener Akteure die Geschwindigkeit für Zulassung und Organisation klinischer Studien deutlich zu erhöhen. 

    Insbesondere der Datenschutz ist ein Problem  

    Gegenüber Reseach.Table sagt Clemens Hoch, rheinland-pfälzischer Minister für Wissenschaft und Gesundheit: “Es ist seit langem bekannt, dass das deutsche Datenschutzrecht Forschungsaktivitäten im medizinischen-pharmazeutischen Bereich häufig verhindert. Rheinland-Pfalz setzt sich deshalb für eine Novellierung beim Bund ein”. Immerhin ist im Koalitionsvertrag ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz vorgesehen, in das die Forschungscommunity Hoffnungen setzt.  

    Als eine seiner letzten Amtshandlungen hatte Jens Spahn einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht, das eine Ganzgenomsequenzierungen in der Regelversorgung bei Krebs und seltenen Krankheiten ermöglichen soll. Zum 1.1.2024 soll darauf basierend ein Modellvorhaben starten. Um das komplexe Werk zu entwickeln, hat das Gesundheitsministerium einen Expertenrat einberufen. Ziel ist es, eine Datenbank mit Genomsequenzen von Patienten mit Krebs oder seltenen Erkrankungen aufzubauen. Für Otmar D. Wiestler kommt das Modellvorhaben zu spät: “Wir brauchen aussagekräftige Piloten. Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen mit seinen künftig sechs Standorten könnte hier eine Vorreiterrolle spielen.” 

    Ein europäischer Gesundheitsdatenraum soll geschaffen werden 

    Parallel dazu gibt es die ‘1+ Million Genomes Initiative‘ (1+MG) der Europäischen Union (EU), der Deutschland 2020 beigetreten ist. Das Ziel von 1+MG ist es, länderübergreifend den sicheren Zugang, Austausch und die Analyse von Genomdaten und weiterer klinischer Informationen zu ermöglichen. Hier wird laut BMBF an konkreten technischen und rechtlichen Lösungen, etwa zu standardisierten Verfahren der dezentralen Datenspeicherung, des geregelten Datenzugriffs bzw. -austauschs gearbeitet.  

    Wenn es gelänge, den europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) und eine zugehörige Vertrauensarchitektur zu schaffen, könnte dies in Zukunft sogar zu einem Vorteil für den europäischen Forschungsraum werden. Zu diesem EHDS ist der Entwurf eines Rechtsakts in Abstimmung, der neben technischen und organisatorischen auch rechtliche Aspekte mit einschließt. 

    Allerdings bleibt das Problem, dass die Genomsequenzen nicht gekoppelt an andere Patientendaten vorliegen, sagt Christof von Kalle. Dies sei in Deutschland bisher nur in bestimmten standortübergreifenden Netzwerken der Fall, erklärt sein Kollege Stefan Fröhling. 

    Rahmenbedingungen für Zulassung verbessern 

    Wenn das geschafft ist, bleibt noch die notwendige Beschleunigung und Flexibilisierung der Zulassungsprozesse neuer Medikamente und Therapien in Deutschland und der EU. Doch Otmar D. Wiestler sieht auch hier Bewegung. Gerade Biontech habe gemeinsam mit dem Paul-Ehrlich-Institut während der Corona-Pandemie neue Prozesse angestoßen und ein Umdenken in Gang gesetzt.  

    Der Bundestagsabgeordnete Stephan Albani (CDU) betont: “Biontech und andere werden in diesem Bereich noch mehr Forschungs- und Entwicklungszentren bauen. Wir müssen jetzt die Rahmenbedingungen verbessern, damit diese dann in Deutschland stehen. Hier muss ressortübergreifend unter Führung des BMBF mit dem BMWK und dem BMG zusammengearbeitet werden.” Welche Maßnahmen insbesondere das BMBF plant, um diese Verbesserungen herbeizuführen, das ist Teil einer Kleinen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion.  

    Otmar D. Wiestler verweist auf die Bedeutung der Gesundheitswirtschaft für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Diese sei gleichbedeutend, wenn nicht sogar höher als die der Automobilindustrie, was jedoch von der Politik kaum gesehen werde. Gerade mit der Entdeckung eines neuen Wirkprinzips in der Medizin gelte es nun, die mRNA-Technologien in Deutschland massiv zu fördern. Entsprechende Rahmenbedingungen müssten geschaffen werden, um Wertschöpfung in Deutschland zu behalten.   

    • BioNTech
    • Europapolitik
    • Forschung
    • Technologie

    Forschungszulage: Versprochene Fördermilliarden verpuffen      

    Bettina Stark-Watzinger: Steuerliches Forschungsförderinstrument kommt nicht an.

    Die im Januar 2021 eingeführte Forschungszulage hat einen Stolperstart hingelegt. Das geht aus einer aktuellen Befragung des Leibniz-Zentrums für Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) hervor. Diese soll am heutigen Donnerstag erscheinen und liegt dem Research.Table bereits vor.  

    • Zum 01.01.2020 ist das Gesetz zur steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung (FZulG; BGBl I S. 2763) in Kraft getreten. 
    • Das Gesetz ermöglicht die steuerliche Begünstigung von Forschungsausgaben. Projektbasiert können bis zu vier Millionen Euro von der Steuer abgesetzt werden. 
    • Die Forschungszulage bekommen Unternehmen unabhängig von Größe, Rechtsform und Branche. Es soll Anreize für Firmen setzen in FuE zu investieren.  

    “Nach den Plänen der Bundesregierung sollten bis zu 2,5 Milliarden Euro pro Jahr an forschende Unternehmen gezahlt werden. Wenn wir das Ergebnis unserer Befragung hochrechnen, ist von einem Abfluss aus der Forschungszulage von deutlich weniger als zehn Prozent der budgetierten Mittel auszugehen”, sagt Christian Rammer, zuständiger Projektleiter im ZEW. 

    Doppelt oder dreimal so viele Anträge erwartet

    Irritierend ist der Stolperstart der Forschungszulage auch, weil es einen breiten politischen Konsens dazu gab und auch in der Ampelregierung geben müsste. Neben SPD und CDU, die die Zulage im Kabinett Merkel IV umsetzten, gehörte die FDP zu den größten Befürwortern der steuerlichen Forschungsförderung. Sowohl das BMF, das BMBF als auch das BMWK haben gemeinsam an der Forschungszulage gearbeitet. 

    Aktuell wird die Forschungszulage nach Ergebnissen der Analyse nicht ausreichend bei den möglichen Antragstellern vorgestellt und als wichtiges Förderinstrument eingebracht – trotz FDP-Ressortverantwortung über die beiden federführenden Ministerien (BMF und das BMBF). Dabei diente die Forschungszulage auch als ein Paradebeispiel der Ressortzusammenarbeit

    Nach Angaben des Bundesforschungsministeriums, das die neu geschaffene Bescheinigungsstelle Forschungszulage (BSFZ) beauftragt, wurden dort seit der Möglichkeit zur Antragsstellung im September 2020 (rückwirkend) bis zum 31. Dezember 2022 bislang 11.790 Anträge auf Bescheinigung von 7.932 Unternehmen gestellt. Rund dreiviertel der Anträge konnten bewilligt werden. Nach Informationen von Research.Table waren zu Beginn der Forschungszulage allerdings doppelt oder sogar dreimal so viele Anträge erwartet worden

    Auch das BMBF spricht von “zögerlichem Start”

    Ein Sprecher des BMBF nennt es auf Anfrage einen “zögerlichen Start der steuerlichen FuE-Förderung“. Auch in einer Befragung der Deutschen Industrie- und Handelskammer unter 600 Unternehmen in Deutschland heißt es, die Zahl der Anträge bleibe “bei Weitem hinter den Erwartungen zurück”

    Grafik FuE-aktive Unternehmen

    Research.Table hat mit Experten aus den Verbänden und dem BMBF über die Entwicklung der Forschungszulage gesprochen. Folgende Faktoren haben demnach zu der fehlenden Inanspruchnahme der steuerlichen Forschungsförderung geführt: 

    • Viele förderberechtigte Unternehmen wissen nichts oder zu wenig über die Forschungszulage. Die Befragungen, die DIHK und ZEW/VDMA durchgeführt haben, kommen zum eindeutigen Ergebnis: Es gibt ein Informationsdefizit. Die BSFZ hat nach Angaben des BMBF bei einer bundesweiten Roadshow fast 40 öffentliche virtuelle Veranstaltungen durchgeführt und bietet auf dem übersichtlichen Antragsportal gut verständliche Erklärvideos und Praxisbeispiele. Damit werden aber nicht alle förderfähigen Unternehmen erreicht. 
       
      Größere Stellschrauben der Öffentlichkeitsarbeit von BMBF und BMF werden nicht genutzt: Informationen über die Forschungszulage fehlen in wichtigen Publikationen der Bundesregierung. Auch die Förderberatung des Bundes, die erst im vergangenen Jahr vom BMBF neu ausgeschrieben und beauftragt wurde, gibt aktiv keine Informationen zur Forschungszulage heraus
       
      Gegenüber Research.Table erklärt ein BMBF-Sprecher, “die Förderberatung Forschung und Innovation des Bundes berät zur Förderung von Forschungs- und Innovationsvorhaben im Rahmen von Förder- bzw. Fachprogrammen“, man würde bei Anfrage von Interessenten auf die BSFZ verweisen. Eine aktive Information von Förderberechtigten durch die Förderberatung ist aber nicht vorgesehen
       
      Das BMF und das BMBF sehen darüber hinaus auch die jeweiligen Verbände und Kammern sowie die Steuerberater in der Pflicht, “ihre Mitglieder über Fördermöglichkeiten entsprechend zu informieren bzw. zu beraten“. Ulrich Meißner vom VDMA sieht an dieser Stelle durchaus noch Potenzial: “Wir haben schon auf zahlreichen Veranstaltungen zu dem Thema informiert, können unsere Anstrengungen aber sicher auch noch ausbauen”.

    “Förderregime” sind nicht miteinander verknüpft

    • Es fehlt die Verzahnung und Kooperation mit den vorhandenen Förderstrukturen. Im Interview mit Research.Table sagt der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des VDMA, Hartmut Rauen, dass die Forschungszulage mit ihrem “Bottom-up-Ansatz und dem Verzicht auf Verbundforschung” eine passende Ergänzung zur klassischen Projektförderung und der Industriellen Gemeinschaftsforschung sei. 
       
      Informationen und Verweise aus der klassischen Projektförderung bekommen Zuwendungsempfänger dort jedoch nicht. Aus dem Ministerium heißt es dazu: “Es handelt sich […] um verschiedene Förderregime, die nicht miteinander verknüpft sind. Insofern ist eine gegenseitige Information über die verschiedenen Fördermöglichkeiten in der Regel nicht vorgesehen“.
    • Das zweistufige Verfahren wird als zu bürokratisch wahrgenommen. Im Gegensatz zur Projektförderung ist die Forschungszulage deutlich einfacher zu beantragen. Trotzdem sehen viele Unternehmen in den Befragungen von DIHK und ZEW/VDMA die Bürokratie als Hindernis für eine Beantragung. Das zweistufige Verfahren und ein zu enger Begriff von FuE-Vorhaben nach dem Frascati-Handbuch der OECD seien Gründe dafür, sagt Ulrich Meißner. 

    Unternehmen können Zulage rückwirkend beantragen

    Als neue steuerliche Regelung müsse eine solche Fördermaßnahme “zunächst auch bekannt werden” sagt ein Sprecher des BMBF. Unsicherheiten seitens der Unternehmen “im Hinblick auf die Prüfungserfordernisse durch die Finanzverwaltung” seien inzwischen durch ein Schreiben des Bundesfinanzministeriums aus dem November 2021 ausgeräumt. Das BMBF verweist auch darauf, dass Unternehmen die Forschungszulage noch vier Jahre rückwirkend beantragen können. 

    Tatsächlich zeigt sich auch in der aktuellen Befragung des VDMA unter rund 250 Branchenunternehmen eine “dynamischere Entwicklung” bis zum Befragungsende im November 2022. Die Anzahl der Antragsteller im Maschinen- und Anlagenbau erhöhte sich etwa im Laufe eines Jahres um 94 Prozent, die Anzahl der gestellten Anträge um 125 Prozent. Diese Zunahme geht allerdings von einem insgesamt sehr niedrigen Niveau aus und so fällt die anschließende Diagnose ernüchternd aus: Es gäbe “weiterhin eine große Anzahl von im Grunde förderfähigen Unternehmen, die derzeit keine Antragstellung planen”, heißt es im Bericht. 

    IRA: Abwanderung der Wasserstoffforschung droht

    Elektrolyse
    Power to Gas: Überschüssiger Windstrom wird per Elektrolyseur zu Wasserstoff.

    Das Szenario erinnert an ein tragisches Kapitel vor rund 20 Jahren: den Niedergang der deutschen Solarindustrie. Das mögliche Opfer ist die deutsche Forschung und Industrie im Bereich grüner Wasserstoff. Hier ist Deutschland derzeit eine der weltweit führenden Nationen. Erst in der vergangenen Woche hat dies eine Studie des Europäischen Patentamts (EPA) und der Internationalen Energieagentur (IEA) gezeigt.

    Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger lobte das “große Potenzial der Wasserstofftechnologien, made in Germany'” und kündigte weitere Förderungen ihres Hauses an. Die Frage ist: Wird ein “weiter so” reichen? Grund zur Skepsis liefert vor allem der “Inflation Reduction Act”. Das 369 Milliarden Dollar schwere Anti-Inflationspaket der US-Regierung aus dem Jahr 2022 sieht großzügige Subventionen für Unternehmen aus dem Bereich Erneuerbare Energien vor.

    Die USA preschen vor, China könnte folgen

    Der Flaschenhals des weltweiten Hochlaufs für Wasserstoff als Energieträger ist die Produktion von Elektrolyseuren. “Die Größe der Produktionsanlagen liefert den entscheidenden Schub im Markt”, sagt Felix Matthes, Forschungskoordinator für Energie- und Klimaschutz beim Öko-Institut. “Den Schritt hat Deutschland bei der Solarenergie damals gemacht, zum Beispiel mit dem ‘Solar Valley’ in Bitterfeld, aber dann den Anschluss verloren.”

    China erstritt mit enormen Subventionen die Marktführerschaft. Matthes: “Das ist exakt das, was bei der Elektrolyse bevorsteht.” Die USA sind diesmal vorgeprescht, China könnte folgen. Der Nationale Wasserstoffrat (NWR) befürchtet eine Abwanderung von innovativen deutschen Unternehmen und Forschenden in die USA, denen eine “Vorreiterrolle im Bereich der Wasserstofftechnologie” zugeschrieben wird.

    “Mit dem Inflation Reduction Act ist unsere Welt aus den Angeln gehoben”, sagt Karsten Pinkwart, Professor für Elektrochemische Energiespeicher und -wandler an der Hochschule Karlsruhe und NWR-Mitglied gegenüber Table.Media. Das werde großen Einfluss darauf haben, wie sich Unternehmen ausrichten. “Wie durchgreifend und einfach das Programm ist, hat kaum jemand erwartet.”

    Engpässe bei Elektrolyseuren und fehlende Importe

    Auf europäischer Seite ist ebenfalls viel Geld im Spiel. Aber dem stringenten IRA stehen vielfältige nationale Strategien, EU-Programme und ein “wilder Dschungel” an Förderungen gegenüber, sagt Felix Matthes, ebenfalls NWR-Mitglied, zu Table Media: “Die USA packen die Bazooka aus, das ist für den Klimaschutz erstmal eine gute Nachricht.” Im Wettbewerb mit Europa seien sie damit aber “klar in der Pole Position.”

    Laut NWR könnte grüner Wasserstoff schon im Jahr 2025 in den USA die wirtschaftlichste Form der Wasserstofferzeugung sein. Zugleich wird der Hochlauf in Deutschland – vor allem wegen der erwarteten Engpässe bei Elektrolyseuren – verzögert. Und für Importe im großen Stil fehlt noch die Infrastruktur. Der Rat fürchtet “stranded assets” im Bereich der Industrie. Davon betroffen: prominente Projekte der Stahlindustrie.

    Wenn Großunternehmen abwandern, folgen Wissenschaftler

    “Ein mittelständisches Technologie-Unternehmen wird nicht so leicht in die USA umsiedeln. Aber bei großen, börsennotierten Unternehmen kann das sehr schnell gehen“, prognostiziert Pinkwart. Dies gelte auch für die Verlagerung von Innovationsaktivitäten: “Wenn Großunternehmen in den USA Kapazitäten aufbauen, ziehen Forschende nach.”

    Auch der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, Otmar D. Wiestler, nennt im Gespräch mit Table.Media die USA als Beispiel für gelungene Innovationspolitik im Bereich der Energiepolitik: “Dort herrscht Aufbruchstimmung, es wird massiv in die Zukunft des Landes investiert. Im Biden-Paket stecken große Wissenschaftskomponenten. Alle Forschungsorganisationen dort haben einen signifikanten Budgetaufwuchs bekommen. Und sie arbeiten strategisch”, sagt Wiestler.

    Deutschland hat in diesem Wettlauf viel zu verlieren

    Deutschland hat in diesem Wettlauf viel zu verlieren. Das Land hat Expertise und führende Unternehmen bei der Entwicklung von Elektrolyseuren, dort vor allem bei Katalysatoren, und auch in der Brennstoffzellen-Technologie. Eine besondere Stärke liegt in der Entwicklung von modernen Hochtemperatur-Verfahren, wie sie die weltweit beachtete Firma Sunfire aus Dresden verfolgt.

    Der radikale Ansatz der USA lässt die staatliche Förderung in Deutschland schlagartig recht hilflos erscheinen. Genau wie das Ringen um nationale Interessen auf europäischer Ebene. Ein viel diskutiertes Beispiel hier ist das IPCEI-Programm der EU, bei dem etliche deutsche Bewerber an den Einstiegshürden scheiterten oder von sich aus abwinkten.

    Erster Entwurf für eine IRA-Antwort von EU-Wettbewerbskommissarin

    “Wir müssen das Geld, das ja da ist, schneller und unkomplizierter ins System bringen“, sagt Felix Matthes. Die Stellungnahme des Nationalen Wasserstoffrats fordert als Antwort auf den IRA eine “Energie-Union Plus”, als europäische Förderallianz: Ziel müsse ein “auf EU-Ebene abgestimmtes Gesamtkonzept sein, das den Wasserstoffhochlauf massiv vereinfacht und beschleunigt sowie regulatorische Hürden beseitigt, statt neue zu schaffen.”

    Einen ersten Einblick, wie diese Antwort aussehen könnte, hat Ende letzter Woche EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager gegeben: Sie werde dafür einen “Temporären Krisen- und Übergangsrahmen” vorschlagen, schrieb Vestager. Laut ihrem Brief an die Wirtschafts- und Finanzminister der EU sollen

    • Anreize für Investitionen in neue Fabriken gesetzt,
    • die Genehmigungsverfahren für staatliche Hilfen beschleunigt,
    • mehr Ausnahmen für staatliche Fördermaßnahmen ermöglicht und
    • die IPCEI-Verfahren verschlankt werden.

    Deutschland und etliche weitere Regierungen drängen auf eine schnelle Lockerung der Beihilferegeln, um eine Abwanderung der heimischen Hersteller und Forscher zu verhindern. Eine Energie-Union Plus ist der erste Vorstoß von Vestager noch nicht. Raimund Witkop

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    Meyer-Guckel: “Es braucht eine nationale Transformations-Roadmap”

    Will einen Wumms für die Forschung: Volker Meyer-Guckel. Foto: Stifterverband
    Für Zukunftsforen, neue Akteurskonstellationen: Volker Meyer-Guckel, Generalsekretär des Stifterverbands.

    Die Konsequenzen des Kriegs gegen die Ukraine, – gestiegene Energiekosten, Versorgungs- und Lieferkettenengpässe – werden den Forschungsstandort Deutschland deutlich treffen: Zwei Drittel der Forschungs-Investitionen in Deutschland kommen aus der Industrie, sodass die Situation für das gesamte F&E-Investment in Deutschland nicht gut sei, sagt Volker Meyer Guckel.

    Zwei Grundtrends seien in der Entwicklung besonders besorgniserregend: Die Investitionen ins Ausland stiegen an, ein langjähriger Trend, der strukturell fatal sei und – wie es aussieht – weiter zunehmen werde. “Wir müssen in Deutschland für kollaborative Forschung attraktiver werden.” In den USA beispielsweise gebe es viel mehr Spitzenforschungszentren in kollaborativer Betreiberschaft. Große Unternehmen, arbeiten zusammen mit der National Science Foundation in gemeinsamen Joint Funding-Projekten, Leuchtturm Research-Center werden gemeinsam finanziert. “Ein solches Modell gibt es in Deutschland nicht”, kritisiert Meyer-Guckel.

    Für kollaborative Forschung attraktiver werden

    Es brauche dringend neue Strukturen, neue Ansätze, neue Konsortien, das Pooling von Ressourcen, um in der Weltliga weiter mitzuspielen. “Die Rahmenbedingungen haben sich global geändert. Etwas plakativ kann man sagen: China skaliert, die USA innoviert, Deutschland und die EU regulieren.”

    Es brauche missionsgetriebene nachhaltige Innovations- und Investitionsprogramme auf der Grundlage von Road Maps, die auch das Skalierungsthema adressieren, sagt Meyer-Guckel. In Deutschland gebe es zwar viele Forschungsförderprogramme, die auf unterschiedliche Ministerien verteilt sind: Forschung, Wirtschaft, Digitales, Umwelt, Gesundheit. Jeder habe sein Töpfchen und jeder bediene seine Klientel und seine Themen. “Was fehlt, auch in der Zukunftsstrategie, ist eine nationale Transformations-Roadmap. Die Ziele sind gut beschrieben in der Zukunftsstrategie des BMBF, aber wir brauchen eine Akteurskonstellation, die eine Roadmap verwirklichen kann.”

    Der Blick auf Beispiele etwa aus den USA zeige, wie es funktionieren könne. “Wir brauchen Orte, an denen Missionsagenden und Transformationsprozesse zusammen gedacht werden, und zwar im Schulterschluss mit privaten forschungsstarken Akteuren.”

    Zukunftsforen für Forschung und Innovation

    Der Stifterverband will gemeinsam mit Partnern selbst aktiv werden. “Wir wollen große Förderstiftungen, Unternehmen, Wissenschaftsorganisationen, zivilgesellschaftliche Akteure und die Politik in Zukunftsforen zusammenbringen, wo man in neuen Akteurskonstellationen über den eigenen Tellerrand hinausschaut.”

    Dabei wünscht sich Meyer-Guckel nach dem Wumms für die Verteidigung und dem Wumms für die Energieversorgung den nächsten Wumms für Forschung und Innovation, gepaart mit einem Strukturveränderungs-Willen. “2023 wird ein Jahr der Weichenstellungen für die Zukunft.” Ein Programm, das tausend Transferprofessuren an deutschen Universitäten etabliert, wäre dabei eine wichtige Ergänzung.

    Das Interview wurde für die Publikation “Was jetzt, Forschung?” geführt. Die Publikation enthält Impulse aus den Gesprächen u.a. mit Martina Brockmeier (Leibniz), Jan Wörner (Acatech), Heyo Kroemer (Charité), Rafael Laguna de la Vera (Sprind), Volker Meyer-Guckel (Stifterverband), Georg Schütte (VolkswagenStiftung) und Dorothea Wagner (Wissenschaftsrat). Den kostenlosen Reader erhalten Sie hier.

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    Termine

    25.01.2023 – 16.30-18.00 Uhr, Berlin/Futurium
    Auftaktveranstaltung Das Wissenschaftsjahr 2023 – Unser Universum mehr

    25.01.2023, 9.30 Uhr bis 26.01.2023, 13:30 Uhr Berlin/Online
    Online-Forum Centrum für Hochschulentwicklung: Transfer & Wissenschaft mehr

    31.01.2023, 13:15-18:15 Uhr anschließend Empfang, Berlin
    Online-Veranstaltung Universitätsallianz (UA) 11+: Politik und Wissenstransfer mehr

    01.02.2023, 13:30-17:15 Uhr, Wien
    Joint-Academy Day Herausforderungen der Wissenschaftskommunikation in Zeiten der multiplen Krise mehr

    02.03.2023-05.03.2023, Washington D.C./Online
    AAAS – Annual Meeting “Science for Humanity” ist das Motto der diesjährigen Tagung der American Association for the Advancement of Science. Mehr

    News

    Kretschmer zu Dati: “Es fehlen innovative Elemente”

    Angesichts der bedeutsamen Zielsetzung der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (Dati) fehlen Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) “bislang die innovativen Elemente im Konzept“. Das sagte Kretschmer jetzt gegenüber Research.Table. Das aktuell vorliegende Konzept hatte er zuvor schon als zu “technokratisch” bezeichnet. “Es sollen zahlreiche neue Organe geschaffen werden. Diese beraten und kontrollieren sich zum Teil gegenseitig, statt all ihre Kraft in den Transfer zu stecken“, sagt Kretschmer.

    Gemeint sind damit etwa die neu zu schaffenden Leitungsgremien, Aufsichtsgremien, der Transfer- und Innovationsrat oder die Regional-Coaches mit Service-Centern für die Regionen. Generell sei das Ziel der Dati, für mehr Dynamik beim Transfer von Innovationen in die Wirtschaft zu sorgen, “gut und richtig”. Die neue Agentur biete die Chance, “strukturelle Besonderheiten der Regionen im Innovations- und Transfergeschehen stärker zu berücksichtigen“.

    Nach Kretschmers Ansicht müssten diese bei der weiteren Konzeptentwicklung im Mittelpunkt stehen. “Auf jeden Fall sollten bestehende Förderinstrumente von Bund und Ländern stärker vernetzt und deren Wirksamkeit auch durch zusätzliche Mittel gestärkt werden.” Kretschmer verweist aber auch auf die bestehende Trennung der Kompetenzen von Bund und Land und das Subsidiaritätsprinzip: “Der Aufbau der Agentur darf nicht zu einer Zentralisierung der Förderung führen. Diese muss dezentral bleiben.”

    Es wird sich zeigen, ob diese Punkte in dem neuen Konzept bereits enthalten sind, das das BMBF am morgigen Freitag (20.1.) in einer neuen Runde des sogenannten “Datilogs” vorstellen wird. Dieses Mal kommt man sektorenübergreifend und nicht mehr innerhalb der einzelnen Stakeholdergruppen wie Wirtschaft oder Hochschulen zusammen, um über das Konzept zu beraten.

    Neben den von Michael Kretschmer benannten Punkten wird es unter anderem darum gehen, welche Institutionen in einem neuen Förderprogramm überhaupt antragsberechtigt sind und welche Rolle soziale Innovationen spielen werden. Parallel zur weiteren Diskussion und Entwicklung des Konzepts, “erfolgt eine Analyse der Transfer- und Innovationsförderlandschaft auf Ebene des Bundes und der Länder, um Lücken und auch Schnittstellen zu identifizieren und somit Doppelstrukturen zu vermeiden”, sagte ein BMBF-Sprecher gegenüber Research.Table. Weiterhin soll laut BMBF schon im ersten Halbjahr 2023 eine Dati-Pilotlinie vorgestellt werden, um neue “Förderformate und -verfahren” zu erproben. mw

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    Koalitionsstreit um Sprind-Gesetz: Die kleine Freiheit

    Rafael Laguna de la Vera will nicht spekulieren. Seit mehr als einem Jahr wartet er auf das angekündigte Freiheitsgesetz, das seiner Agentur für Sprunginnovationen (Sprind) “eine flexiblere und schnellere Projektförderung” ermöglichen soll. Nur so viel verriet er dann doch: Es hänge offenbar im Bundesfinanzministerium. 

    Im Dezember deutete er in einem Interview mit dem Handelsblatt dezent einen persönlichen Rücktritt an. Nun macht er zwar weiter, hat den Fortgang seines Arbeitsverhältnisses aber eng mit der Einführung des Freiheitsgesetzes verknüpft. 

    Es steht im Koalitionsvertrag: Die Aufgaben und Befugnisse der Sprind sollen in einem Freiheitsgesetz verankert werden, sodass diese künftig unbürokratisch arbeiten kann. Bettina Stark-Watzinger unterstrich die Absicht noch einmal im März 2022. Die Weiterentwicklung habe “höchste Priorität”, sagte die Forschungsministerin. “Wir haben ein umfangreiches Maßnahmenpaket geschnürt, welches in einigen Kernelementen bereits umgesetzt werden konnte.” Darüber hinaus sollen die Aufgaben und Befugnisse perspektivisch in einem Freiheitsgesetz verankert werden.

    Noch im Juni 2022 war Laguna in Interviews optimistisch, dass man in 2023 “richtig loslegen” könne. Doch der Entwurf ging nicht ins Parlament. Auch aus dem Termin zum Jahresende wurde nichts.  

    Erste Stimmen stellen längst die Notwendigkeit eines eigenen Gesetzes infrage. “Dass die Sprind mehr Autonomie erhalten soll, ist in der Koalition Konsens”, sagt Wiebke Esdar (SPD). Aber: “Es muss klar werden, wozu es überhaupt ein eigenes Freiheitsgesetz braucht”. Alles, was gefordert ist, wäre auch mit kleineren Regelungen zu schaffen. So wurde bereits durch Ausnahmeregelungen einiges erreicht, insbesondere durch die Optimierung der Governance-Struktur (Verschiebung von Kompetenzen von der Gesellschafterin zum Aufsichtsrat), vergaberechtliche Flexibilisierung unterhalb der EU-Schwellenwerte für die Tochtergesellschaften sowie die anteilige Zuweisung von Selbstbewirtschaftungsmitteln im Haushaltsgesetz 2022. 

    Bei weitergehenden Zugeständnissen wie einem Wegfall des Besserstellungsverbots steht die SPD vor einem Dilemma. Einerseits möchte sie Entbürokratisierung ermöglichen. “Andererseits stehe die SPD auch dafür ein, dass niemand schlechter gestellt wird und die Tarife eingehalten werden”, erklärt Esdar. Man warte nun, dass die Ressorts von BMBF und BMF sich auf einen Entwurf einigen. “Erst dann können wir im parlamentarischen Raum unter den Ampel-Parteien konkretes verhandeln”.  

    In der Zwischenzeit seien zudem für 2023 Mittel freigegeben worden, “um zu unterstreichen, dass wir zu Sprind stehen.” Dabei seien die Gelder für 2022 durch die Agentur für Sprunginnovationen gar nicht alle abgerufen worden. Laut Einzelplan 30 waren dies aus dem vergangenen Jahr immerhin rund 18,5 Millionen Euro. 

    Ist bei den Ministerien denn eine Einigung in Sicht? Während das BMF schweigt, weicht das BMBF aus. Es sei von Anfang an eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Sprind vorgesehen gewesen, erklärt wortreich eine Sprecherin. “Derzeit findet dazu eine Vorabstimmung innerhalb der Bundesregierung statt, um zeitnah einen Referentenentwurf in die Ressortabstimmung geben zu können.”  

    Kritik am Stillstand kommt seitens der Opposition. “Das BMF bleibt bei der Haltung, es gibt keine Ausnahme vom Besserstellungsverbot. Das BMBF erzeugt dennoch die ganze Zeit den Eindruck, es gehe voran, doch es passiert eben nichts”, sagt Stephan Albani (CDU). Es fehle seitens des BMBF die klare Aussage, wie man das Ziel erreichen kann oder eben die ehrliche Aussage, dass man manche Dinge – wie die Ausnahme vom Besserstellungsverbot – so eben nicht realisieren kann oder will.  

    Hat Rafael Laguna de la Vera noch Hoffnung? “Ich bin sehr zuversichtlich, dass das Sprind-Freiheitsgesetz in diesem Jahr kommen wird”, erklärt er gegenüber Research.Table. “Wir haben vor und nach Weihnachten sehr positive Signale aus dem BMBF erhalten, dass die Ministerien auf einem guten Weg sind, sich zeitnah auf einen Referentenentwurf zu einigen.” nik

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    CO2-Entnahme: Vorschläge für eine CDR-Strategie

    Weltweit emittiert die Menschheit derzeit mehr als 41 Milliarden Tonnen CO2 im Jahr. Rechnet man andere Treibhausgase hinzu, steigt die Menge auf rund 50 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente. Zugleich werden – das ist ein erster Schätzwert – der Atmosphäre etwa zwei Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr entnommen. Doch das meiste davon beruht auf Aufforstung. Neuartige Verfahren des Carbon Dioxide Removal (CDR) tragen nur zwei Millionen Tonnen zur CO2-Entnahme bei.

    Die Zahlen stammen aus dem gerade erschienenen Report “State of Carbon Dioxide Removal. Es ist die erste wissenschaftliche CDR-Bestandsaufnahme. Der Bericht zeigt, dass neuartige CDR-Verfahren wie BECCS, Pflanzenkohle oder Direct Air Capture noch ganz am Anfang stehen – und wie dringend es wäre, sie zu skalieren.

    Doch die Politik hat keinen Plan, um damit umzugehen. Auch das zeigt der Bericht. In den aktuellen Klimaschutzplänen und Langfriststrategien der einzelnen Staaten seien “die anvisierten Mengen für CO2-Entnahmen nur geringfügig größer als die heutigen Mengen”, sagt Jan Minx, Klimawissenschaftler am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC). Minx hat den CDR-Report mit verfasst. Laut Bericht enthält keine der Langfriststrategien ein Ziel, das quantifiziert, welche Rolle CDR in Zukunft spielen solle.

    Im Ergebnis sehen die Forscher deshalb eine “beträchtliche Lücke” zwischen den Mengen an CDR, die nötig wären, um die Pariser Klimaziele zu erreichen, und den konkreten CDR-Vorhaben der Regierungen. Selbst im Fall von ehrgeizigem Klimaschutz, von dem die Welt “meilenweit entfernt” sei, werde diese Lücke sich so schnell nicht schließen, kritisiert Minx. “Das gilt insbesondere für innovative Methoden wie BECCS und Direct Air Capture”.

    Oliver Geden, Klimaforscher der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) und ebenfalls Autor des CDR-Reports, formuliert konkrete Anforderungen an die Bundesregierung. Sie brauche eine CDR-Strategie

    • mit konkreten, messbaren Zielen, die an Zahlen festmachen, zu welchem Zeitpunkt der Beitrag von CDR zu den Netto-Null-Plänen der Regierung wie hoch sein solle,
    • mit Kriterien, um zu unterscheiden, wo Emissionsminderung aufhöre und CDR beginne, zum Beispiel im Moorschutz,
    • mit einer Entscheidung, welche neuartigen Technologien sie fördern wolle.

    Noch wichtiger aber sei, dass Deutschland auf europäischer Ebene für eine klare Regulierung eintrete. Denn dort entscheide sich auch die deutsche Klimapolitik. ae

    • BECCS

    Presseschau

    FAZ – Deutsche Forscher kooperieren mit Chinas Militär: Das Center for Research Security and Integrity hat herausgefunden, dass Deutschland besonders viele Forschungskooperationen zu Militärs aus China unterhält. Geforscht wird etwa zu Explosionsschutz, Roboterhänden oder Personenerkennung. Namhafte Forschungseinrichtungen haben eine sehr laxe Praxis oder wissen nicht, mit wem sie forschen. Universitäten plädieren für Wissenschaftsfreiheit. Die Bundesregierung beobachtet und wartet ab.

    Tagesspiegel – Ampel strebt ins All: Laut Anna Christmann (Grüne) wird die Ampel im Herbst eine Weltraumstrategie beschließen. Insbesondere bei der Satellitentechnik will man die Rahmenbedingungen verbessern und deutsche Innovationen auch in Wertschöpfung überführen. Auch beim Thema Mondtransporter möchte man mit dabei sein und deutsche Astronauten mit heimischer Technologie auf den Erdtrabanten bringen.

    New York Times – Alarmed by A.I. Chatbots, Universities Start Revamping How They Teach: Die zunehmende Nutzung von ChatGPT durch Studierende bringt das Thema an vielen Universitäten ganz nach oben auf die Tagesordnung. Die Verwaltungen richten Arbeitsgruppen ein und veranstalten Diskussionsrunden. Dabei steht die Anpassung an die Technologie im Fokus: Wie können Kurse neu gestaltet und Prüfungsformen verändert werden? Research.Table hat vergangene Woche zu den Chancen und Folgen von ChatGPT mit Hochschulpräsident Robert Lepenies (Karlshochschule) gesprochen.

    Economist – Drogen fördern die Kreativität nicht, Kreativräume schaden: Cannabis verbessert die schöpferische Leistung nicht, verschlechtert aber das Urteilsvermögen: Bedröhnte finden eigene Ideen und die anderer besser, die Nüchternen nicht. Auch Psylocybin bringt nichts. Aufwendig ausstaffierte Kreativräume können sogar einen schädlichen Effekt haben im Vergleich mit langweiligen, genormten Büros. Die Economist-Kolumne Bartleby nennt drei Studien und endet bei Agatha Christie: Nichts hilft beim Schöpferischen mehr als Langeweile.

    Heads

    Ruth Schimanowski – Verteidigerin der Brücken nach China

    Ruth-Schimanowski über die akademischen Beziehungen zwischen Deutschland und China
    Ruth Schimanowski leitet die DAAD-Außenstelle in Peking.

    Die Karriere von Ruth Schimanowski läuft nach dem Prinzip “next level learning by doing”. Den Ausdruck hat die Leiterin der DAAD-Außenstelle in Peking bei ihren Kindern aufgeschnappt. Was mehr oder weniger im Scherz dahingesagt ist, sei aber “wirklich typisch für Karrieren in China”. Man bekomme derart früh so viel Verantwortung aufgebürdet, dass man gar nicht anders kann, als sich weiterzuentwickeln. 1999 kam Ruth Schimanowski als Stipendiatin über den DAAD nach China. “Und seitdem bin ich hier.”

    Die Außenstelle in Peking ist 1994 eröffnet, 2017 in China als ausländische NGO registriert worden und arbeitet landesweit. Schimanowski ist dafür verantwortlich, den Überblick zu behalten, damit die Programme am Laufen gehalten und beworben werden. Durch die isolationistische Politik der kommunistischen Partei ist das Kerngeschäft des DAAD natürlich enorm erschwert worden, teilweise sogar zusammengebrochen.

    Keine zehn Stipendiaten aus Deutschland – 40.000 Studierende aus China

    Derzeit befinden sich weniger als zehn deutsche Stipendiatinnen und Stipendiaten in China. Vor der Pandemie waren es mehr als 150. “Umgekehrt ist das Interesse an einem Studium in Deutschland bei Chinesen immer noch hoch”. Im Wintersemester 2021/2022 waren über 40.000 chinesische Studierende an deutschen Hochschulen immatrikuliert.

    In keinem Fall aber dürfe man sich auf dem momentanen Status ausruhen, meint Schimanowski. Zum einen schrumpft der Aufholbedarf vonseiten Chinas täglich, besonders in den von Peking ausgemachten Schlüsseltechnologien: Künstliche Intelligenz, Quantentechnologien, IT-Technologien, Hirnforschung, sowie Biotechnologie, Luft- und Raumfahrt. Der 14. Fünfjahresplan von 2021 sieht vor, dass die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis 2025 jährlich um mindestens sieben Prozent steigen sollen. Bis 2050 will China an die Weltspitze.

    Außerdem sollen weibliche Talente gestärkt werden. Zwar liege der Anteil der Frauen an den wissenschaftlichen und technologischen Personalressourcen bei etwa 40 Prozent und damit über dem weltweiten Niveau, “aber die meisten von ihnen befinden sich in einer Grundstufe.” Den Aufholbedarf sieht Peking also bei hochqualifizierten weiblichen wissenschaftlichen Talenten, denen zukünftig günstigere Rahmenbedingungen geboten werden sollen.

    Balanceakt zwischen Spionagerisiken und Kollaborationen

    Kontrolle ist überall. Seit 2017 werden Chinas Top-Universitäten und deren Lehrmaterialien inspiziert, um die Einhaltung der Parteilinientreue zu garantieren. Und die internationalen Kooperationen, die China zum Erreichen seiner Ambitionen bis auf Weiteres benötigen wird, gestalten sich zunehmend vertrackter: “Es wird schwieriger, das Risiko der Spionage und den Transfer von sensiblen Daten zu minimieren und gleichzeitig für gesunde akademische Kollaborationen offen und damit wettbewerbsfähig zu bleiben. Es ist ein Balanceakt”.

    Schimanowski befürwortet das Aufrechterhalten einer gegenseitigen Abhängigkeit auf Augenhöhe: “Wir brauchen Reziprozität in den Austauschbeziehungen.” Ein Interesse an der Zusammenarbeit besteht weiterhin, auch von den deutschen Hochschulen, die sich einen fairen Zugang zu der chinesischen Forschungsinfrastruktur wünschen.

    Dreiklang mit Schräglage: “Partner-Wettbewerber-Rivalität”

    Die Möglichkeiten dazu versiegen aber nach und nach: “Steigende geopolitische Spannungen, eine kritische Haltung gegenüber China in Deutschland und steigende Kosten durch das Einführen von Compliance-Strukturen auf deutscher Seite belasten das China-Engagement.” Im eingeübten Dreiklang von ‘Partner-Wettbewerber-Rivalität’ werde derzeit die Rivalität überbetont. Die Erfolgschancen für Visaanträge chinesischer Wissenschaftlerinnen seien in den vergangenen Jahren durch verschärfte Sicherheitsüberprüfungen deutlich geringer geworden, sagt Schimanowski.

    Es seien große Löcher gerissen worden, ganze Jahrgänge sind verloren gegangen. Für Schimanowski jedoch kein Grund zum Verzagen: “Offensichtlich ist der akademische Austausch in eine Schieflage geraten, stellenweise zusammengebrochen – aber das macht unsere Arbeit doch nur noch wichtiger.” Julius Schwarzwälder

    Personalia

    Markus Blume, Staatsminister für Wissenschaft und Kunst des Freistaats Bayern, übernimmt den Vorsitz in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) im Jahr 2023. Er wurde als länderseitiger Vorsitzender am 4. November 2022 von der GWK für das Jahr 2023 bestellt. Stellvertretende Vorsitzende ist Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung. In der GWK wechseln sich Bund und Länder jährlich im Vorsitz ab.

    Gerald Haug, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften – Leopoldina, übernahm turnusgemäß zum 1. Januar 2023 die Sprecherrolle der Allianz der Wissenschaftsorganisationen. Im Jahr 2022 hatte die DFG die Federführung für die Allianz inne. Haug löst damit DFG-Präsidentin Katja Becker in der Sprecherrolle ab.

    Robert Schögl ist seit dem 1. Januar 2023 Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung. Der Chemiker ist Nachfolger von Hans-Christian Pape. Ein kurzes Portrait Schlögls, der auch Vizepräsident der Leopoldina ist, findet sich auf der Webseite der Stiftung.

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    q.e.d. – Was zu beweisen war…

    Regionale Entwicklung der zuziehenden Wissenschaftler in der Halbleiterforschung. Zeitperioden: 1954-1970 (A); 1970-1986 (B); 1986-2002 (C); 2002-2020 (D)

    Etablieren Pioniere ein Forschungsfeld oder eine Technologie, erhöht das die Wahrscheinlichkeit, dass Forscherinnen und Forscher in dieses neue Umfeld wechseln. In einer Studie des Complexity Science Hub Vienna (CSH) werden die Vorteile von First-Mover-Regionen deutlich.   

    Entgegen der Ausgangsthese der Studie, braucht es keine kritische Masse an Forschenden, um in einer Region ein neues Forschungsfeld erfolgreich etablieren. Vielmehr seien “frühzeitige Investitionen in aufstrebende Forschungsbereiche eine wichtige Triebfeder für wissenschaftliche Vorherrschaft” sagt CSH-Forscher Vito D. P. Servedio. Diese Vormachtstellung bleibe dann auch in der Zukunft erhalten. Regionen können später aufholen, aber das kostet viel Geld.  

    Mithilfe der Dimensions-Datenbank analysierten die CSH-Forscher die Bewegungen von Wissenschaftlern in drei Bereichen – Halbleiterforschung, embryonale Stammzellen (ESC) und Internet-Forschung – in verschiedenen Regionen der Welt (sie leiteten diese Bewegungen aus den jeweiligen Affiliationen der Wissenschaftler ab). Auf diese Weise analysierten die Forscher Daten aus mehreren Jahrzehnten mit Informationen über Millionen von Veröffentlichungen, 20 Millionen Forscher und mehr als 98.000 Forschungseinrichtungen weltweit.   

    Die Ergebnisse zeigten deutlich: “Wenn Regionen in einem Bereich führend werden wollen, müssen sie versuchen, sich frühzeitig zu engagieren. Es ist möglich, aufzuholen, aber das ist mit enormen Kosten verbunden”, sagen die Autoren Stefan Thurner und Vito Servedio. Das Modell des Aufbaus wissenschaftlicher Kapazitäten sei jedoch eine Vereinfachung. Natürlich gebe es auch noch andere Faktoren, die zum Erfolg eines Feldes und einer Region beitragen.  

    Für die künftige Förderung von Innovation in Regionen kann man zumindest einen Punkt mitnehmen: Es braucht eine mutige Unterstützung wissenschaftlicher Pioniere! Markus Weißkopf

    Research.Table Redaktion

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