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Staat am Limit – Warum die Kommunen jetzt mehr als warme Worte brauchen

von Stefan Evers

Berlin steht beispielhaft für eine Entwicklung, die sich bundesweit abzeichnet: Die Kommunen geraten aufgrund ihrer sozialgesetzlichen Verpflichtungen an die Grenze ihrer finanziellen Möglichkeiten. Inzwischen gefährdet die dramatische Schieflage der kommunalen Haushalte nicht nur Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Sicherheit – sie untergräbt auch das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit unseres Staates und in unsere Demokratie.

In Berlin sind allein 2024 die Transferausgaben um historische 800 Millionen Euro gestiegen. Und das ist keine einmalige Spitze, sondern Ausdruck eines anhaltenden, besorgniserregenden Trends. Bemerkenswert: Nicht nur steigende Fallzahlen treiben die Ausgaben in diese Höhe – sondern vor allem exponentiell steigende Fallkosten. Ursache ist ein Sozialrecht, das auf komplexe Einzelfallprüfungen und weitreichende individuelle Rechtsansprüche setzt. Damit wird eine ohnehin stark belastete Verwaltung zusätzlich gelähmt. Steuerung? Immer schwieriger. Planung? Kaum mehr möglich.

Klar ist: Immer mehr Schulden sind keine Lösung. Für Investitionen in Schulen, Digitalisierung oder Klimaschutz kann Kreditaufnahme geboten sein, aber Schulden zur Deckung laufender Sozialausgaben sind pures Gift für die öffentlichen Haushalte von morgen. Es braucht endlich eine dauerhafte strukturelle Entlastung für die Kommunen. Dazu gehört eine tiefgreifende Reform der Sozialgesetzgebung – mit dem Ziel, das System wieder steuerbar, bezahlbar und generationengerecht zu gestalten.

Zwar ist im Koalitionsvertrag des Bundes eine Reform vorgesehen, doch bislang ist daraus nichts Konkretes entstanden. Stattdessen wird auf Arbeitsergebnisse einer Sozialstaatskommission verwiesen, die noch nicht existiert. Ich sage mit Blick auf die dramatische Finanzlage der Kommunen ganz klar: Die Zeit drängt! Diese Kommission muss jetzt kommen – unter Führung des Bundesfinanzministeriums und mit Einbindung der Länder und Kommunen. Sie darf keine Plauderrunde werden, sondern muss konkrete Vorschläge für ein neues Sozialstaatsmodell vorlegen: klar definierte Leistungen, verbindliche Standards, wirkungsorientierte Budgets statt grenzenloser Einzelfallbürokratie.

Auch die Folgen irregulärer Migration verschärfen die Lage. Berlin gibt 2025 rund 2,1 Milliarden Euro für fluchtbedingte Aufgaben aus – das sind etwa fünf Prozent des Landeshaushalts. Die Rücklagen sind aufgebraucht, eine fluchtbedingte Haushaltsnotlage rückt näher. Wer vor diesem Hintergrund noch unbegrenzte Ansprüche verspricht, gefährdet nicht nur die Steuerungsfähigkeit, sondern auch die gesellschaftliche Akzeptanz von Migration.

Immerhin: Die Zusage des Bundes, kommunale Einnahmeausfälle aus den geplanten Steuerentlastungen zu kompensieren, zeigt ein wachsendes Problembewusstsein. Doch das reicht nicht. Das Kernproblem liegt im ungebremsten Aufgaben- und Ausgabenzuwachs – meist durch Bundesgesetze veranlasst, die vor Ort kaum noch umzusetzen sind.

Hinzu kommt eine lähmende Bürokratie. Pflegekräfte, soziale Träger, auch die Beschäftigten der Verwaltung verbringen bald mehr Zeit mit Formularen als mit Menschen. Auch die Finanzierbarkeit von Infrastrukturprojekten scheitert zunehmend an Vorschriften, Verfahren und Zuständigkeiten. Wir sind zu teuer, zu langsam, zu kompliziert. So sehr ich das Infrastruktur-Sondervermögen des Bundes begrüße: Vor allem Beschleunigung und Vereinfachung müssen jetzt Priorität haben.

Und noch ein wichtiger Punkt: Wer neue Aufgaben beschließt, muss künftig auch dauerhaft für deren Finanzierung sorgen. Oder andere Aufgaben streichen. Das Prinzip „Wer bestellt, bezahlt“ – das sogenannte Konnexitätsprinzip – muss endlich konsequent umgesetzt werden. Berlin geht hier mit gutem Beispiel voran: Wir haben das Konnexitätsprinzip gerade in unsere Verfassung aufgenommen – ein zentraler Baustein unserer Verwaltungsreform.

Berlin übernimmt Verantwortung: durch einen klaren Konsolidierungspfad, ein strenges Haushaltsmanagement und die Priorisierung öffentlicher Ausgaben. Doch ohne grundlegende Strukturreformen auf Bundesebene drohen diese Anstrengungen ins Leere zu laufen. Es braucht jetzt politischen Mut – für einen Staat, der seine Kernaufgaben auch morgen noch zuverlässig erfüllen kann.

Autor: Stefan Evers ist Bürgermeister und Finanzsenator von Berlin.

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