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Raus aus der Komplexitätsfalle: So kommen wir vom Reden ins Bauen

von Albert Dürr

Nach drei Jahren Stagnation steht Deutschland vor einer Richtungsentscheidung. Das Vertrauen in den Staat ist angeschlagen. Die neue Bundesregierung muss liefern – und zwar schnell. Als Bauunternehmer achte ich vor allem auf die ersten Signale für unsere Branche, und die machen Hoffnung. Bundeskanzler Friedrich Merz hat mit seiner Teilnahme am Tag der Bauindustrie ein Zeichen der Wertschätzung gesetzt. Auch Bauministerin Verena Hubertz zeigte sich lösungsorientiert. Selbst aus der Opposition kamen konstruktive Töne: Grünen-Vorsitzende Dr. Franziska Brantner kündigte an, ihre Partei werde Verantwortung übernehmen. Ein politischer Schulterschluss der demokratischen Parteien ist genau das richtige Mittel gegen die AfD.

Die Lage der Bauwirtschaft ist paradox. Zum einen gibt es einen enormen Bedarf: Es fehlen Wohnungen, Schulen, Kitas. Straßen, Brücken und Schienen sind vielerorts marode. Megatrends wie Dekarbonisierung, Digitalisierung und Demografie verlangen zügige bauliche Antworten. Zum anderen wird viel zu wenig umgesetzt. Entscheidend ist deshalb, dass wir vom Reden ins Bauen kommen – mutiger und schneller. Die gute Nachricht: Mit dem Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für Infrastruktur und Klimaschutz hat die Regierung Führungsverantwortung übernommen und finanzielle Planungssicherheit geschaffen. Dieses Paket sollten wir nicht zerreden. Es kann eine Aufbruchstimmung entfachen – und genau die brauchen wir.

Reformen für mehr Umsetzungskraft

Geld allein baut keine Brücke. Auch die Rahmenbedingungen für Bauprojekte müssen sich grundlegend ändern. Das Land steckt in der Komplexitätsfalle – und braucht große strukturelle Reformen: weniger Bürokratie, einfachere Planungs- und Genehmigungsverfahren, ein flexibleres Vergaberecht. Um diese Themen ernsthaft anzugehen, muss der Staat auch in die Detailebene eintauchen. Ein Beispiel: Das virtuelle Bauamt funktioniert nur, wenn die Behörden über ausreichend IT-Ausstattung verfügen und das Personal entsprechend geschult ist. Piloteinheiten, Servicestellen oder Anlaufstellen für Störungsmanagement könnten die Umsetzung zusätzlich beschleunigen.

Ein weiteres Beispiel ist der Gebäudetyp E. Die Idee überzeugt: Weg von überregulierten Anforderungen, hin zu dem, was das Bauwerk tatsächlich leisten soll. Doch solange unklar ist, ob die Beteiligten bei reduzierten Standards rechtlich abgesichert sind, bleibt die Umsetzung schwierig.

Koordination statt Zuständigkeitswirrwarr

Parallel zu den großen Reformen gibt es viele kleine Stellschrauben, an denen die öffentliche Hand sehr zügig drehen kann, um das Bauen zu verbessern und Prozesse zu verschlanken. Ein Beispiel: Wer heute baut, hat es mit etlichen Ämtern und Zuständigkeiten zu tun – aber oft keinem, der das große Ganze im Blick hat. Manche Kommunen haben deshalb einen Baukoordinator eingeführt. Er verfolgt bei Bauprojekten die Gesamtstrategie der Stadt und sorgt dafür, dass sich Verwaltungseinheiten nicht gegenseitig blockieren. Für Investoren ist es generell sehr hilfreich, wenn die Verwaltung ihre Spielräume nutzt und Entscheidungen trifft, damit sich Projekte nicht im Behördendschungel verlieren.

Erst fertig planen, dann bauen

Auch beim Management eigener Bauprojekte kann die öffentliche Hand vieles falsch oder richtig machen. Die Realität ist häufig die „produktionsbegleitende Planung“: Es wird noch geplant, während die Bagger schon rollen. Das führt zu Störungen, die Zeit und Geld kosten. Das Bausoll muss klar sein, bevor die Ausführung beginnt. Dafür braucht es den Willen, möglichst viele Entscheidungen möglichst früh zu treffen – und die konsequente Anwendung bewährter Methoden. Das beginnt mit der Wahl eines partnerschaftlichen Vertragsmodells, bei dem Planung und Bauausführung als Gesamtpaket vergeben werden. Es folgt das digitale und schlanke Bauen. Building Information Management (BIM) und Lean Construction sind die passenden Instrumente: Bei BIM wird der Entstehungsprozess eines Bauwerks virtuell durchgespielt, bevor real gebaut wird. Lean-Methoden optimieren die Zusammenarbeit der Gewerke und schaffen klare Abläufe auf der Baustelle. Beide Instrumente machen Projektstände sichtbar – und fördern so gute Entscheidungen.

Die neue Bundesregierung hat eine historische Chance, Deutschland aus der Komplexitätsfalle zu führen. Vertrauen entsteht nicht durch Ankündigungen, sondern durch sichtbare Resultate. Jetzt ist die Zeit, den Baukran zur Metapher für den Fortschritt zu machen.

Autor: Dr. Albert Dürr ist Geschäftsführender Gesellschafter des Bauunternehmens Wolff & Müller mit Sitz in Stuttgart.

Die neue Regierung steht. Wie sind Planungen und erste Umsetzungsschritte zu bewerten? Wir stellen im Table.Forum Regierungsagenda die Impulse wichtiger Stimmen aus Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft und Interessengruppen öffentlich und kompakt zur Diskussion.

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