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Der Campus für Demokratie: Berlins (noch) ungenutzte Chance

von Hannah Neumann

Berlin als „Stadt der Freiheit“ – seit Jahren geistert diese Formel durch den politischen Raum, doch bislang blieb sie eine leere Hülse. Die geplante Berlin Freedom Week ist nun ein erster Schritt, diesem Anspruch Substanz zu verleihen und ihn für Gegenwart und Zukunft greifbar zu machen.

Vor fast 36 Jahren setzte der Fall der Mauer ein weltweites Symbol für die friedliche Überwindung der SED-Diktatur. Bürgerinnen und Bürger der DDR erkämpften sich Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung. Der beispiellose Schritt der anschließenden Öffnung der Stasi-Akten verstärkte diese Botschaft: Aufarbeitung statt Vertuschung, Transparenz statt Vergessen.

Noch heute richten Freiheitsbewegungen weltweit ihren Blick nach Berlin. Sie hoffen, dass Unterdrückung nicht ewig währt, dass Täter benannt und Archive geöffnet werden. In meiner Arbeit als Europaabgeordnete begegne ich regelmäßig Menschen aus Iran, Afghanistan, China oder Russland, die trotz massiver Repression für ihre Rechte kämpfen – und in der deutschen Erfahrung der friedlichen Revolution und der Aufarbeitung Hoffnung und Orientierung finden. Besonders konkret zeigt sich dies derzeit in Syrien: Mit der Öffnung von Gefängnissen wie Sednaya wird das ganze Ausmaß der Gewalt sichtbar – und damit die drängende Frage nach Gerechtigkeit. Transitional Justice ist dort keine abstrakte Idee, sondern existentielle Hoffnung für Überlebende und Grundlage für einen Neuanfang. So oft lautet die Frage an mich: Wie habt ihr das in Deutschland gemacht?

Ein Schlüsselort dieser Aufarbeitung ist der „Campus für Demokratie“ auf dem Gelände der ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg. Neben dem Stasi-Unterlagen-Archiv im Bundesarchiv und dem Archiv der DDR-Opposition der Robert-Havemann-Gesellschaft arbeiten hier zahlreiche Initiativen, die die Repression dokumentieren und sichtbar machen. Doch wer das Areal heute betritt, sieht weite Flächen im Leerstand und den Verfall des denkmalgeschützten Ensembles – ein Zustand, der der historischen Bedeutung nicht gerecht wird. Die von Bundestag und Abgeordnetenhaus seit Jahren versprochene „Weiterentwicklung“ stockt: Entscheidungen werden vertagt oder versanden im politischen Verantwortungspingpong, weil sich niemand an den großen Wurf traut.

Gerade jetzt hat die schwarz-rote Koalition eine besondere Chance: Sie stellt bis mindestens nächsten Herbst sowohl im Bund als auch im Land Berlin die Mehrheit und verfügt damit über Gestaltungsmöglichkeiten, von denen andere Konstellationen nur träumen konnten. Diese Verantwortung verpflichtet. Entscheidend ist, dass Bund und Land endlich einen verbindlichen Entwicklungsplan für den Campus vorlegen – mit gesicherter Finanzierung, klaren Zeitplänen und eindeutigen Zuständigkeiten. Zentrales Element ist die Umsetzung des geplanten Archivzentrums zur SED-Diktatur und des Forums Opposition und Widerstand 1945–1990. Machbarkeitsstudien liegen vor, die Institutionen drängen auf Entscheidungen.

Meine Vision darüber hinaus: im historischen Haus 18 – dem kleinen Palast der Republik – ein „Haus der Freiheit“ zu schaffen. Ein Ort, der Initiativen und Menschen im Exil Raum gibt, die sich weltweit für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie einsetzen. Viele von ihnen leben in Berlin. So könnte ein Zentrum entstehen, das die Geschichte von Unterdrückung und Widerstand in der DDR mit den Freiheitskämpfen der Gegenwart verbindet. Ein Ort, an dem die junge Generation erkennt: Die Friedliche Revolution war kein Schlusskapitel – sie ist Auftrag für die Zukunft.

Berlin hat das Potenzial, die Brücke von 1989 in die Gegenwart und weit darüber hinaus zu schlagen – als Leuchtturm der Hoffnung für all jene, die weltweit für Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen. Die Berlin Freedom Week ist ein wichtiger Startpunkt, den Anspruch Berlins als “Stadt der Freiheit” mit Leben zu füllen. Doch Symbolik allein reicht nicht. Es braucht den Mut, Entscheidungen zu treffen, Verantwortung zu übernehmen und Freiheit lebendig zu halten. Nur ein kleines bisschen des Mutes, den die Menschen in der DDR 1989 hatten. Das sollte doch machbar sein.

Autorin: Dr. Hannah Neumann ist Mitglied des Europäischen Parlaments (Die Grünen/EFA) und Vorstandsvorsitzende des Fördervereins Campus für Demokratie e.V.

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