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Wer (Geo)Strategie sagt, muss den Globalen Süden meinen

von Sebastian Brandis

Warum Zusammenarbeit für gemeinsame Entwicklung kein moralischer Luxus, sondern strategische Notwendigkeit ist

Als China Anfang der 2000er Jahre begann, massiv in Infrastrukturprojekte in Afrika zu investieren – Straßen, Häfen, Telekommunikation – wurde das vielerorts belächelt. Heute ist China der wichtigste Handelspartner vieler afrikanischer Staaten, während Europa um Einfluss ringt. Wer damals strategisch gedacht und gehandelt hat, hat heute geopolitische Vorteile. Wer gezögert hat, zahlt nun den Preis.

Die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) ist in Deutschland ein politisches Murmeltier: Bei anstehenden Haushaltskürzungen wird sie regelmäßig als entbehrlich eingestuft, weil sie als weit vom Alltag der Wählerinnen und Wähler entfernt gilt. Dabei ist sie längst auch ein wesentlicher Baustein wirtschaftlicher Zukunftssicherung.

Doch die deutsche Debatte bleibt gefangen im „Entweder-oder“:

  • EZ oder wirtschaftliche Investitionen

  • BMZ oder Auswärtiges Amt

  • Für die anderen oder für uns

Diese Dichotomien sind nicht nur überholt – sie sind gefährlich, weil sie am eigentlichen Thema vorbeigehen.

Wer heute 30 ist, hat zumeist die Großeltern erlebt, die vielleicht 60 Jahre älter waren. Wer in 60 Jahren lebt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer Welt leben, in der 40 Prozent der Bevölkerung afrikanischer Herkunft sind. Das ist ein sehr überschaubarer Zeitraum, bis Afrika zur demografischen Supermacht wird und damit zur zentralen Größe globaler Entwicklung.

Was in der Debatte ebenfalls viel zu wenig berücksichtigt wird: Durch die konstant sinkenden Geburtenraten werden viele afrikanische Länder in wenigen Jahrzehnten in eine Phase eintreten, wo die sogenannte demografische Dividende ein wesentlicher Hebel für einen wirtschaftlichen Aufschwung wie in Ostasien der letzten Jahrzehnte werden kann.

Europa ist zwar geografisch und kulturell der nächste Nachbar. Doch Nähe allein garantiert keine präferierte Partnerschaft. Afrika wird sich seine Partner aussuchen oder sie schlicht nicht mehr brauchen. Eine weitere Wahrheit, die es endlich anzunehmen gilt.

Investitionen allein greifen zu kurz, wenn Grundversorgung fehlt. Grundversorgung allein ist nicht nachhaltig ohne wirtschaftliche Perspektiven. Es braucht also ein verzahntes Modell aus:

  • Infrastruktur für Wasser, Ernährung, Bildung, Gesundheit

  • Nachhaltigen wirtschaftlichen Investitionen

  • Gemeinwohlorientierung und privatwirtschaftlichem Engagement

Nur im symbiotischen Zusammenspiel entsteht Stabilität und somit Zukunft, kein „entweder-oder“, sondern ein „sowohl-als-auch“

Gefordert, das ist allzu offensichtlich, sind langfristige Strategien. Die sind rar in einem politischen System, das auf Legislaturperioden getaktet ist. Doch es gibt Akteure mit langem Atem, die die Lücke füllen können: Familienunternehmen mit generationenübergreifender Perspektive, Stiftungen mit zivilgesellschaftlichem Mandat und Institutionen mit stabilen Rahmenbedingungen.

Sie könnten Träger eines ganzheitlichen Plans sein, wenn die Politik ihnen den Raum dazu gibt.

Wer glaubt, diesen Entwicklungen könne mit ruhiger Hand begegnet werden, der sollte spätestens beim Beispiel Kaffee wach werden: Wenn Ressourcen in den Herkunftsländern knapp werden, Lieferketten stocken und Preise steigen, wird der Globale Süden plötzlich ganz nah. Dann betrifft Entwicklungszusammenarbeit nicht mehr „die anderen“, sondern alle Wählerinnen und Wähler. Makroskopische Entwicklungen sind nicht aufzuhalten und geben auch uns den Takt vor.

Autor: Dr. Sebastian Brandis ist seit 2016 Vorstandssprecher der Stiftung Menschen für Menschen, die seit über 40 Jahren integrierte Entwicklungszusammenarbeit in Äthiopien umsetzt. Zuvor war er viele Jahre in leitenden Positionen in Unternehmen der IT- und Telekommunikationsbranche tätig – Dr. Brandis vereint Wirtschafts- und NGO-Expertise in einer Person.

Der Globale Süden umfasst 85 Prozent der Weltbevölkerung, ist in der Berichterstattung deutschsprachiger Medien jedoch vergleichsweise selten vertreten. Häufig stehen dann Krisen im Vordergrund, während andere Entwicklungen weniger Beachtung finden. Das Table.Forum Global South richtet den Scheinwerfer auf solchen Perspektiven und Erkenntnisse und lässt Expertenstimmen aus dieser Weltregion zu Wort kommen.

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