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Unsichere Zeiten fordern neue Wege – Europa kann den Globalen Süden nicht länger ignorieren

von Udo Bullmann

Seit dem Zweiten Weltkrieg sind die USA aus guten Gründen der wichtigste Partner Europas. Die Befreiung vom Naziterror, die Gründung globaler multilateraler Institutionen und ein gemeinsamer Wertekanon aus Menschenrechten und freien Märkten schufen den Rahmen, der das Wachstum der Europäischen Union ermöglichte. Diese transatlantische Allianz war lange Zeit das Fundament einer regelbasierten Weltordnung und sicherte Europas Platz auf der globalen Bühne. 

Doch Europas Aufstieg blieb nicht ohne Herausforderung. Wladimir Putin und Donald Trump betrieben den Brexit und schwächten so Europa als eigenständige globale Macht. In Trumps zweiter Amtszeit wird das Ziel verfolgt, das Regelwerk internationaler Zusammenarbeit zu demontieren und multilaterale Institutionen zu schwächen. Aus dem Verfechter der „freien Welt“ wurde ein Vorreiter einseitiger autoritärer Politik. 

Vor diesem Hintergrund steht Europa vor der Aufgabe, seine Rolle in der Welt neu zu definieren. Zwischen Chinas selbstbewusstem Auftritt und Trumps egozentrischem Aktionismus kann Europa nur überleben, wenn es als glaubwürdiger Anker für internationale Regeln und Menschenrechte gemeinsam mit gleichgesinnten Partnern agiert. Angesichts seiner Größe und Wirtschaftskraft besitzt Europa das Potenzial, strategische Allianzen für Nachhaltigkeit und gerechten Wandel zu schaffen. Dies sollte die Leitlinie der künftigen Agenda sein.  

Dem europäischen Antritt auf der internationalen Bühne fehlt es jedoch weiterhin an entschiedenem Einsatz und an klarer Strategie. Die Zolleinigung von Ursula von der Leyen mit den USA, beispielsweise, zeigt klare Schwächen. Sie hat sich zu einem Abkommen überreden lassen, bei dem auf europäische Exporte 15 Prozent Zölle entfallen, während die USA 0 Prozent zahlen. Europäische Stahl- und Aluminiumproduzenten trifft es gar mit 50 Prozent. 

Dabei warten, neben Ländern wie Großbritannien, Kanada und Japan, große Teile Südamerikas, Afrikas und Asiens auf Europa. Besonders die Länder des Globalen Südens fühlen sich oft vernachlässigt oder einseitigen Interessen ausgeliefert. Hier muss die EU zeigen, dass sie in dieser neuen globalen Ära ein verlässlicher Partner ist, der langfristige Beziehungen auf Augenhöhe anstrebt - keine neue Runde extraktiver Ausbeutung.  

Unsere Kooperationen sollten darauf abzielen, nachhaltig Arbeitsplätze zu schaffen und strukturelle Ungleichheiten wirksam zu reduzieren. Demokratische Stabilität basiert maßgeblich auf sozialer Gerechtigkeit und inklusiver Teilhabe. Staaten wie Brasilien und Südafrika verfolgen diesen Pfad und verdienen deshalb unsere gezielte Unterstützung.   

Unsere Finanzierungsinstrumente müssen genau darauf ausgerichtet werden. Im Rahmen der Global Gateway Strategie sollen beispielsweise 1,2 Milliarden Euro in hochwertige Infrastruktur auf dem afrikanischen Kontinent investiert werden. Dies darf nicht nur dem Handel mit kritischen Rohstoffen dienen, sondern muss zugleich einem breiten Spektrum der Gesellschaft vor Ort nutzen.  

Ähnlich muss der mehrjährige Finanzrahmen für 2028-2034 gestaltet werden, der aktuell verhandelt wird. Der Topf für Entwicklungszusammenarbeit darf nicht - wie nach dem Entwurf der EU-Kommission absehbar - zur Steuerung von Migration oder zur beliebigen Durchsetzung wirtschaftlicher Eigeninteressen instrumentalisiert werden. Dies würde die europäische Entwicklungspolitik immer weiter vom eigentlichen Zweck - der Bekämpfung von Armut und Ungleichheit, die EU-vertraglich als zentrales Ziel festgeschrieben ist - entfernen.  

Hinzu kommt der Zentralisierungsversuch Ursula von der Leyens über den nächsten EU-Haushalt. Das mag der Kommission zwar den Umgang mit den Geldern erleichtern, geht aber zulasten von Planungssicherheit, Transparenz und parlamentarischer Kontrolle. Der Haushalt darf kein Spielball politischer Manöver sein. Die demokratischen Grundregeln müssen respektiert werden und die Nachverfolgbarkeit der außenpolitischen Mittel muss beibehalten werden. Nur so kann die EU als starker demokratischer Partner in der Welt ernstgenommen werden.

Autor: Udo Bullmann ist Europaabgeordneter der Sozialdemokratischen Fraktion, Vorsitzender der Delegation zur Republik Südafrika und Mitglied in den Ausschüssen für Entwicklung (als Koordinator) und Internationalen Handel. Seine Schwerpunkte sind Global Politics und Nord-Süd-Beziehungen.

Der Globale Süden umfasst 85 Prozent der Weltbevölkerung, ist in der Berichterstattung deutschsprachiger Medien jedoch vergleichsweise selten vertreten. Häufig stehen dann Krisen im Vordergrund, während andere Entwicklungen weniger Beachtung finden. Das Table.Forum Global South richtet den Scheinwerfer auf solchen Perspektiven und Erkenntnisse und lässt Expertenstimmen aus dieser Weltregion zu Wort kommen. 

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