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Der „Globale Süden“- eine übersehene Chance für Deutschland und Europa!

von Ulrich Hemel

Früher sprach man von der „Dritten Welt“: Das waren jene Staaten, die weder zur „Ersten Welt“ der Industrieländer noch zur „Zweiten Welt“ der Länder des damals so genannten „Ostblocks“ gehörten, sondern die als „Entwicklungsländer“ bezeichnet wurden. 

Heute sprechen wir etwas weniger vollmundig von den Ländern des „Globalen Südens“. Dieser Sammelbegriff umfasst freilich eine unglaubliche Vielzahl von regionalen Wirklichkeiten, meistens bezogen auf Afrika und Lateinamerika.  

Dort ändert sich die Welt derzeit rasant. Das Internet funktioniert in Ghana besser als in Deutschland, Bankgeschäfte gehen überwiegend per Smartphone. Und bei meinem Besuch in Peru warb der nationale Industrieverband händeringend um Investitionen aus Europa. „Ihr seid zu zögerlich“, hieß es, „und bei den Chinesen erhalten wir innerhalb weniger Tage eine Antwort“.  

Tatsächlich wurde im November 2024 der Hafen Chancay in Peru eingeweiht, der die Schiffsroute nach China um ganze zehn Tage auf 25 Tage verkürzt. Trotzdem: „Entwicklung“ ist zweischneidig, denn der Hafen wurde praktisch nur von chinesischen Arbeitern ohne erkennbaren Nutzen für die lokale Bevölkerung gebaut. Und in Nigeria, mit über 250 Millionen Menschen das bevölkerungsreichste Land Afrikas, klagen die Menschen ganz offen über den Raubbau an der Natur, etwa beim Kohletagbau der Chinesen in Enugu. Ich war im April 2025 dort und fragte, warum sich niemand wehrt. „Weil unsere Gouverneure korrupt sind“, war die Antwort, „wenn auch unser eigener Gouverneur etwas weniger tief in die Tasche greift“. 

Ob in Ghana oder Simbabwe, ob in Peru oder Mexiko: Wir erleben dort trotz unglaublicher Herausforderungen überall eine Hoffnungs- und Aufbruchsstimmung, verbunden mit der Frage an uns Europäer: „Wo bleibt hr eigentlich?“ Damit ist nicht die oft sehr bürokratische „Entwicklungshilfe“ oder „internationale Zusammenarbeit“ gemeint, sondern das Investment des Mittelstands. Die digitale Infrastruktur ist oft recht gut, aber es fehlt an Transportwegen und an verarbeitender Industrie. „Wir wollen doch nicht nur Lebensmittel wie Kakao und Kaffee liefern, sondern verarbeitete Produkte: Helft uns bei der Verbesserung der Landwirtschaft und beim Aufbau von Lebensmittelindustrie“, heißt es allenthalben. 

Das ist tatsächlich meist keine Sache von Konzernen. Aber es fehlt der Wille, sich vor Ort zu engagieren, ob es um eine Fachschule für Hotellerie und Gastronomie in Togo oder um Deutschkurse für peruanische Krankenschwestern geht. Was wir brauchen, ist ein Umsteuern in der Internationalen Zusammenarbeit, aber auch ein neuer Schwung für Investitionen kleiner und mittlerer Betriebe. Die Welt wächst zusammen, trotz aller geopolitischen Konflikte. Denn die Welt ist größer als Russland, China und die USA. Über fünf Milliarden Menschen, die weder in der EU noch in den USA, China oder Russland leben, schauen noch immer nach Europa und speziell Deutschland. Und so unterschiedlich die Länder sind, so eint sie doch das eine Leitmotiv, die eine Frage: „Wo bleibt ihr Europäer eigentlich? Seid ihr so satt, dass ihr mit uns keine Projekte angehen, keinen Handel treiben, keine Investitionen tätigen wollt?“ 

Und überall ist durchaus klar, dass wir ökonomische und ökologische Entwicklung zusammen denken müssen. In den neuen Generationen ist es auch keine Frage mehr, dass das alte Spiel von „Naming und Blaming“ nicht mehr funktioniert: Ja, der Kolonialismus war schrecklich, aber jetzt ist eine neue Zeit - ganz abgesehen von den aktuellen, neo-imperialen Verhaltensweisen von Großmächten. Und ganz abgesehen von der riesigen Herausforderung, gegen Korruption und organisiertes Verbrechen im eigenen Land vorzugehen. „Wir sind eine Diktatur des Narko-Populismus“, sagte mir ein Mexikaner kürzlich.  

Das mag zugespitzt sein und gilt sicher nicht für alle Länder. Doch wenn es etwas gibt, was allseits noch immer bewundert wird, dann ist es die blühende Zivilgesellschaft, die Deutschland und Europa auszeichnet. „Wie schafft ihr es, gegen Korruption vorzugehen?“ Oder „Wie gelingt es, gesellschaftliches Vertrauen zu stiften?“, das sind die Fragen, die sich heute stellen. 

Kaum zu glauben, wenn wir unsere eigene Stimmung reflektieren, die unsere Ängste vor gesellschaftlicher Spaltung spiegelt. Und doch ist es so: Über fünf Milliarden Menschen in einer multipolaren Welt warten und hoffen darauf, ein anerkannter Teil der globalen Zivilgesellschaft zu werden, ihren Beitrag zu leisten und sich vor Ort, in ihrer eigenen Heimat, für Frieden und Wohlstand zu engagieren. Und der Tenor klingt unglaublich, so einfach er ist: „Helft uns, damit wir uns selbst helfen können“. 

Autor: Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel ist Direktor a.D. des Weltethos-Instituts in Tübingen, Ehrenvorsitzender Bund Katholischer Unternehmer und Kuratoriumsvorsitzender der entwicklungspolitischen Afos-Stiftung.

Der Globale Süden umfasst 85 Prozent der Weltbevölkerung, ist in der Berichterstattung deutschsprachiger Medien jedoch vergleichsweise selten vertreten. Häufig stehen dann Krisen im Vordergrund, während andere Entwicklungen weniger Beachtung finden. Das Table.Forum Global South richtet den Scheinwerfer auf solchen Perspektiven und Erkenntnisse und lässt Expertenstimmen aus dieser Weltregion zu Wort kommen.  

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