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Nicht auf 6G warten: Wer KI will, muss bereits 5G KI-fähig machen

von Thorsten Jelinek

Karsten Wildberger hat sich zum Ziel gesetzt, sein neues Ministerium als „Motor für konkrete, sichtbare Fortschritte in der Digitalisierung“ zu etablieren. Zwei konkrete Querschnittsthemen stechen natürlich hervor: Künstliche Intelligenz (KI) und Mobilfunknetze der fünften und bald auch der sechsten Generation (5G/6G). Beide Schlüsseltechnologien wurden bislang getrennt voneinander betrachtet – doch genau darin liegt eine zentrale Herausforderung für das neue Ministerium: 5G und KI sind inzwischen zu einer infrastrukturellen „Schicksalsgemeinschaft“ geworden, die nicht länger getrennt gedacht werden kann.

Netze sind Voraussetzung für KI-Anwendungen – doch inzwischen gilt auch das Umgekehrte: 5G ist auf KI angewiesen, um künftig komplexe KI-Systeme überhaupt ermöglichen zu können. Die hohe 5G-Abdeckung in Deutschland täuscht darüber hinweg, dass das Netz ursprünglich nicht für KI-Anwendungen entwickelt wurde. Genau deshalb wird im 2025 Gaps Analysis Report die 5G-KI-Integration als ein „Step-Change to 5G Architectures“ bezeichnet – eine technologische Zäsur, die bestehende Netzarchitekturen grundlegend transformiert. Nur durch diese Integration wird der sektorübergreifende Einsatz komplexer KI-Systeme in Wirtschaft und Gesellschaft möglich.

Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung wird KI als zentraler Treiber für Wirtschaftswachstum erkannt. Eine aktuelle, von Google in Auftrag gegebene Studie hat das Wachstumspotenzial quantifiziert: In Deutschland könnten „bis zu 330 Milliarden Euro zusätzliche Bruttowertschöpfung“ realisiert werden – allerdings „nur unter der Voraussetzung, dass mindestens 50 Prozent der Unternehmen KI einsetzen“. Um das mit KI verbundene Produktivitätspotenzial zu realisieren und zugleich eine Antwort auf Mario Draghis alarmierenden Bericht zur stagnierenden Wettbewerbsfähigkeit Europas im vergangenen Jahr zu geben, sieht der Koalitionsvertrag eine Reihe konkreter Maßnahmen vor: Regulatorische Hürden sollen abgebaut und zugleich massiv in Cloud- und Recheninfrastrukturen investiert werden – etwa durch das 100.000-GPU-Programm. Darüber hinaus sollen Open Source und Interoperabilität gezielt gefördert, die digitale Abhängigkeit von derzeit rund 80 Prozent reduziert und KI insbesondere in Industrie und Forschung durch innovationsfreundliche Rahmenbedingungen und gezielte Förderinstrumente breit implementiert werden.

Zweifellos setzt der Koalitionsvertrag an den richtigen Stellen an. Auch die Informations- und Kommunikationsinfrastruktur (IKT) wird als Schlüsseltechnologie benannt. Was jedoch fehlt, ist die Aufnahme der 5G-KI-Integration als strategisches Handlungsfeld mit sichtbarem Wirkungsversprechen. Die bestehenden 5G-Netze stoßen bereits heute an ihre Grenzen – einerseits durch das rasant wachsende Datenvolumen, vor allem aber aufgrund einer konzeptionellen Lücke in ihrer Architektur.

Das Datenvolumen wird in den kommenden Jahren weiter stark steigen – nicht primär durch das Training neuer, zunehmend recheneffizienter KI-Modelle, sondern vor allem durch deren breite Anwendung. Komplexe KI-Systeme erzeugen, analysieren und übertragen kontinuierlich große Datenmengen – etwa zur Steuerung autonomer Systeme, der Auswertung sensorischer Daten oder für Entscheidungen in Echtzeit. Schon heute stoßen viele Netzwerke an ihre Kapazitätsgrenzen. Vodafone warnte kürzlich vor einer Überlastung durch Autoplay, endloses Scrollen und Preloading – datenintensive Funktionen, die durch die Geschäftsmodelle großer Plattformen gezielt verstärkt werden. Für Netzbetreiber sind sie wirtschaftlich kaum relevant und gelten als ineffiziente Datennutzung oder „Network Traffic Waste“, die Energie- und Ressourcenverbrauch kontinuierlich erhöht. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass künftige KI-Systeme ein Vielfaches an Daten erzeugen werden – insbesondere, wenn zukünftig ganze Sektoren über KI-gesteuerte cyber-physische Systeme koordiniert werden.

Noch gravierender ist jedoch das strukturelle Defizit in der Netzarchitektur selbst: Die heutigen 5G-Netze wurden für vergangenheitsorientierte Nutzungsmuster entwickelt – insbesondere für den Downlink datenintensiver Anwendungen wie Video-Streaming und Gaming. Zwar reduziert 5G die Latenz gegenüber 4G deutlich – in der Praxis auf etwa 10 ms, im Idealfall unter 1 ms –, was die Verarbeitungsgeschwindigkeit und Reaktionsfähigkeit um bis zu 60 Prozent steigert. Für künftige KI-Anwendungen reicht das jedoch nicht: Sie benötigen neben einem schnellen Downlink vor allem eine stabile Uplink-Kapazität, um große Datenmengen zuverlässig und verzögerungsarm ins Netz zu übertragen. Nur so lassen sich KI-Systeme realisieren, die Echtzeitdaten verarbeiten, Entscheidungen treffen und Prozesse unmittelbar steuern – etwa in autonomer Mobilität, Industrierobotik oder Telemedizin. Doch aktuelle 5G-Implementierungen priorisieren – wie schon 4G – den Downlink, auch weil der Uplink mehr Energie auf Endgeräten verbraucht und für Netzbetreiber höhere Kosten verursacht.

Die Lösung liegt in einem Paradigmenwechsel von statischer Konnektivität hin zu intelligenter Infrastruktur. Die KI soll nicht nur auf den Netzwerken laufen – sie muss selbst integraler Bestandteil ihrer Steuerung, Optimierung und Resilienz werden. Eine solche Transformation verlangt jedoch mehr als punktuelle Modernisierung: Es geht um den Aufbau einer neuen Netzlogik, die auf drei eng verzahnten Ebenen basiert. Ein KI-gesteuertes 5G-Netz erfordert zunächst (1) eine durchgängige Edge-to-Core-Infrastruktur für latenzoptimierte Datenflüsse. Sie bildet die Voraussetzung, um KI wirksam einzusetzen für (2) eine intelligente Steuerung zur dynamischen Ressourcenallokation – insbesondere zur Behebung bestehender Uplink-Engpässe – sowie (3) autonome Betriebsprozesse für vorausschauende Wartung, automatisierte Fehlerbehebung und SLA-konforme Netzperformance.

Erst durch die Integration von KI in 5G-Netze lassen sich die dauerhaft ultraniedrige Latenz und stabile Uplink-Kapazität effizient bereitstellen, die fortgeschrittene KI-Systeme erfordern. Die gute Nachricht: Deutschland verfügt bereits über eine 90-prozentige Abdeckung mit 5G Standalone – also jener Netzarchitektur, die eine tiefgreifende KI-Integration ermöglicht, im Unterschied zu 5G Non-Standalone, das noch auf 4G-Infrastruktur basiert. Die schlechte Nachricht: Die tatsächliche Nutzung von 5G SA ist bislang gering – und der Uplink wird weiterhin nicht systematisch priorisiert.

Deutschland kann es sich nicht leisten, auf ein voll KI-fähiges 6G-Netz zu warten – schon um nicht denselben Fehler wie in der Elektromobilität zu wiederholen: Der Ladeinfrastruktur-Ausbau stockt, weil auf mehr E-Autos gewartet wird, während Käufer zögern, weil es zu wenige Ladepunkte gibt. Auch bei KI droht eine solche Blockade, wenn der Ausbau der IKT-Infrastruktur von der Nachfrage abhängig gemacht wird. Statt zu warten, bis Anwendungen entstehen, braucht es jetzt eine KI-fähige Infrastruktur – denn sie ist Voraussetzung für Innovation und die Entwicklung komplexer KI-Systeme. Zugleich gilt: Nur wer 5G jetzt KI-fähig macht, kann bei 6G mitreden. Gelingt diese Transformation, eröffnet sie nicht nur Telekommunikationsanbietern die Chance, sich als zentrale Akteure der digitalen Wertschöpfungskette zu positionieren – sie wird auch für ganz Deutschland zu einem strategischen Hebel für Produktivität, digitale Souveränität und industrielle Wettbewerbsfähigkeit im KI-Zeitalter.

Autor: Dr. Thorsten Jelinek ist Research Fellow am Centre for Digital Governance der Hertie School.

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