von Stefan Heumann
Bisher ist digitale Souveränität nicht mehr als ein Buzzword
Seit Jahren kommt keine digitalpolitische Diskussion ohne den Begriff der digitalen Souveränität aus. Ob digitale Kompetenzen in der Bevölkerung, die Verbesserung der IT-Sicherheit oder die Abhängigkeit von großen, in der Regel ausländischen Tech-Unternehmen, das Table.Forum selbst zeigt eindrücklich, warum digitale Souveränität ein so beliebtes Konzept ist: der Begriff lässt sich nahezu beliebig auf ganz unterschiedliche digitalpolitische Themen anwenden. Zugleich liegt hier auch das größte Problem. Wenn nicht klar ist, was gemeint ist, kann natürlich auch niemand dagegen sein. Auf jeder noch so kontroversen Paneldiskussion lässt sich ganz schnell zustimmendes Nicken bei allen Diskutanten und im Publikum erzeugen, wenn man den Begriff in die Debatte wirft. Digitale Souveränität ist zu einer Phrase verkommen, die Debatten eher beendet, als dass es sie voranbringt.
Das ist ein großes Problem. Denn in einer zunehmend digitalisierten Welt selbstbestimmt und nach eigenen Werten und Interessen handeln zu können, ist ein hohes Gut – nicht nur für Individuen oder Unternehmen, sondern vor allem für unseren Staat. Wie in vergangenen Regierungsprogrammen greift auch dieser Koalitionsvertrag digitale Souveränität in einem Absatz prominent auf, um den Leser dann ratlos zurückzulassen. Denn neben Investitionen in Open Source werden dort ein Datendoppelerhebungsverbot und die Abschaffung von Digitalisierungshemmnissen wie der Schriftformerfordernis genannt. Auch hier verkommt der Begriff zur Phrase, unter der man beliebig zusammengewürfelte Vorhaben subsumieren kann. Wie hierbei Handlungsfähigkeit durch Reduktion technologischer Abhängigkeiten gestärkt werden soll, bleibt ein Rätsel.
Digitale Souveränität auf Investitionen in digitale Handlungsfähigkeit des Staates fokussieren
Wie kommen wir endlich von Phrasendrescherei zu einer wirklichen Debatte über digitale Souveränität? Hierzu müssen wir die Debatte fokussieren und endlich auch die Kosten digitaler Souveränität in den Blick nehmen. Fokussieren sollten wir die Debatte auf die digitalen Technologien und Infrastrukturen, die öffentliche Hand und Verwaltung zu ihrer Aufgabenerfüllung brauchen. Gerade in unserem demokratischen Gemeinwesen ist es zentral, dass diese staatliche Aufgabenerfüllung im Einklang mit unseren Werten und politischen Interessen erfolgen kann. Und wir müssen hierbei dringend auf die Kosten schauen. Denn die besten Strategien zur Stärkung digitaler Souveränität bringen wenig, wenn die für die Umsetzung der Strategie Verantwortlichen nicht in der Lage sind, öffentliche Förderung, Investitionen und Beschaffung anhand einer solchen Strategie auszurichten.
So wie jedes Unternehmen anhand der zur Verfügung stehenden Ressourcen, Anforderungsbedarfe und strategischen Ziele sein IT-Budget entsprechend ausrichten und kontrollieren muss, muss dies auch endlich der Staat tun. In diesem Sinne ist digitale Souveränität ohne entsprechende Haushaltssteuerung und -kontrolle gar nicht möglich. Und nur so lässt sich sinnvoll diskutieren, wie ein kluger Umgang mit ausländischen IT-Anbietern aussieht und wo es dringend Investitionen in eigene staatliche Fähigkeiten oder technische Lösungen aus Deutschland und Europa braucht.
Erste Voraussetzung hierfür ist die Bereitschaft, in der Politik den Begriff digitaler Souveränität endlich ernst zu nehmen, anstatt sich weiter hinter Buzzwords zu verstecken. Strategisches IT-Controlling ist kein Selbstläufer, sondern braucht einen starken politischen Willen. Denn gerade an Ausgabentransparenz und ressortübergreifender Steuerung hat es in der Digitalpolitik auf Bundesebene in den vergangenen Jahren gemangelt. Nun besteht endlich die Chance, es besser zu machen. Im Koalitionsvertrag steht, dass das IT-Budget strategisch ausgerichtet werden soll. Mit dem Digitalministerium haben wir endlich eine starke Steuerungseinheit auf Bundesebene. Und wenn er richtig ausgestaltet wird, bekommt das neue Ministerium mit dem Digitalvorbehalt auch das entsprechende ressortübergreifende Steuerungsinstrument.
Wir brauchen Kennzahlen für digitale Souveränität
Nächster Schritt ist eine transparente belastbare, kennzahlenbasierte Steuerung der IT-Ausgaben. Denn nur wer misst, kann auch steuern. Klassische Budgetkontrollen reichen dafür nicht aus – es braucht Kennziffern, die gezielt die Abhängigkeiten, Risiken und Innovationsfähigkeit im Kontext digitaler Souveränität abbilden. Bei der Entwicklung der Kennziffern muss notgedrungen konkretisiert werden, was unter digitaler Souveränität zu verstehen ist, und das wird die Debatte entscheidend voranbringen.
Folgende Aspekte sollte ein solches IT-Controlling umfassen:
Abhängigkeitsquote: Welcher Anteil der eingesetzten Software-, Cloud- und Infrastrukturservices stammt von Anbietern außerhalb der EU, und wie stark konzentrieren sich die Gesamtausgaben, unabhängig vom Sitz, auf die drei größten Anbieter? Hohe Werte bei einem der beiden Teilindikatoren signalisieren Souveränitätsrisiken.
Open-Source-Anteil: Der prozentuale Anteil quelloffener Softwarelösungen in den IT-Strukturen gibt Auskunft über Kontrollmöglichkeiten, Anpassungsfähigkeit und Nachhaltigkeit.
Eigenentwicklungsquote: Wie viel Prozent der eingesetzten Software wurde inhouse oder in öffentlich kontrollierten Projekten entwickelt? Entscheidend ist dabei nicht nur, dass selbst entwickelt wird – sondern womit: Eigenentwicklungen auf quelloffener Basis bieten mehr Kontrolle und Anpassbarkeit als solche, die proprietäre Abhängigkeiten fortschreiben.
Digitaler Resilienzgrad: Eine Kennziffer, die Risiken durch Single-Vendor-Abhängigkeit, fehlende Redundanzen, eingeschränkte Interoperabilität und Verzicht auf offene Standards in der Systemarchitektur erfasst.
Diese und ähnliche Kennzahlen helfen nicht nur bei der Ausgabenkontrolle, sondern ermöglichen eine evidenzbasierte Steuerung hin zu mehr Unabhängigkeit, Sicherheit und Innovationsfähigkeit. Sie schaffen Transparenz über bestehende Abhängigkeiten und fördern gezielte Investitionen in souveräne Alternativen.
Fazit: IT-Ausgaben-Kontrolle als Schlüssel zu digitaler Souveränität
Wer digitale Souveränität wirklich ernst nimmt, muss seine IT-Ausgaben strategisch lenken – auf Basis fundierter Kennzahlen. Nur so lässt sich verhindern, dass kurzfristige Bequemlichkeit langfristige Abhängigkeiten schafft. Der Staat steht den Bürgern gegenüber in einer besonderen Verantwortung die Hoheit über seine digitalen Grundlagen zu sichern – durch kluge Investitionen, transparente Strukturen und mutige Entscheidungen. Digitale Souveränität darf nicht länger eine Phrase bleiben. Digitale Souveränität erreichen wir, indem wir unsere Ausgaben an ihr ausrichten. Hierzu ist die IT-Ausgaben Steuerung über entsprechende Kennziffern der entscheidende Schlüssel.
Autor: Dr. Stefan Heumann ist Geschäftsführer des gemeinnützigen Think Tanks Agora Digitale Transformation.
Digitale Souveränität entscheidet über Deutschlands und Europas Handlungsfähigkeit im globalen Wettbewerb. Experten aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft erläutern in diesem Table.Forum, warum und wie strategisch investiert, föderale Strukturen modernisiert und digitale Kompetenzen gestärkt werden müssen – technisch, politisch und gesellschaftlich.
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