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Digitale Souveränität: Machtfrage statt Moralfrage

von Ann Cathrin Riedel

Macht entspricht der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln“, schrieb Hannah Arendt 1970 in ihrem Essay Macht und Gewalt.

Wenn wir in Europa – und besonders in Deutschland – über digitale Souveränität sprechen, sprechen wir meist über unsere Werte. Manchmal auch über wirtschaftliches Potenzial. Selten aber geht es um die Frage, welche Macht wir hätten, wenn wir – ganz im Sinne Arendts – gemeinsam handeln würden. Dabei wäre genau das der entscheidende Hebel.

Das Streben nach einem handlungsfähigen Staat war kurz en vogue, droht aber bereits wieder zu versanden. Dabei ist klar: Der Staat muss in der Lage sein, seine Aufgaben nicht nur umzusetzen, sondern dies auch zeitnah, effektiv und nachvollziehbar zu tun. Aktuell halten ihn 70 Prozent der Bürger:innen laut Umfrage des Deutschen Beamtenbunds dazu nicht mehr für fähig.

Eine digital transformierte Verwaltung ist mittlerweile Grundvoraussetzung für staatliche Handlungsfähigkeit. Digitale Souveränität ist in diesem Kontext kein Nebenschauplatz, sondern ein zentraler Faktor – sie wird jedoch in der öffentlichen Debatte oft verkürzt: auf Wertefragen oder den Einsatz von Open Source. Drei entscheidende Aspekte geraten dabei aus dem Blick:

●      eigene machtpolitische Interessen,

●      eine neue geoökonomische Weltordnung und

●      die Sicherstellung staatlicher Handlungsfähigkeit – als Vertrauensbasis für unsere Demokratie.

Deutschland tut sich traditionell schwer damit, eigene Interessen zu formulieren – ob in der Außenpolitik oder der Digitalpolitik. Wie tief die digitale Sphäre heute mit allen anderen Politikfeldern verwoben ist, wird noch zu selten erkannt – in der politischen Debatte ebenso wie in der Publizistik. Dabei gilt: Wer bei Software, Hardware und Infrastruktur von anderen Staaten oder Konzernen abhängig ist, kann eigene politische Ziele womöglich nicht mehr umsetzen. Das betrifft alle Politikbereiche – vom Bildungswesen über den Gesundheitssektor bis hin zur Landesverteidigung.

Sich dieser Abhängigkeiten bewusst zu werden und die Interessen, die daraus resultieren müssen, ist die Grundlage, das eigene Machtpotenzial überhaupt zu erkennen. Stattdessen neigen wir dazu, uns vorschnell geschlagen zu geben – als könnten wir im globalen Tech-Wettbewerb ohnehin nichts ausrichten. Dass gemeinsames Handeln jedoch neue Möglichkeitsräume schafft – genau wie Arendt es beschreibt –, wird selten bedacht.

Dabei wäre das Potenzial enorm: Würde sich allein die öffentliche Hand in Deutschland auf eine gemeinsame Strategie zur digitalen Souveränität – wie etwa vom IT-Planungsrat definiert – verständigen, könnten echte Machtressourcen mobilisiert werden. Noch größer wären die Hebel auf europäischer Ebene. Die EU zeigt bereits, dass es geht.

Mit der EuroStack-Initiative reagiert sie auf neue politische Realitäten. Diese umfassen nicht nur ein instabiler gewordenes westliches Bündnis, sondern auch technologische Machtverschiebungen zwischen Staaten – und die zunehmende Rolle von Konzernen als geopolitische Akteure. In dieser neuen geoökonomischen Ordnung werden Handelskonflikte über Chips ausgetragen, Technologien zum Sicherheitsrisiko und digitale Infrastrukturen zu geopolitischem Terrain.

Staaten sind heute in bislang unbekanntem Maß auf private Unternehmen angewiesen: Sei es beim Zugang zum Weltraum (SpaceX), bei der Internetkonnektivität aus diesem (Starlink) oder beim Betrieb von Unterseekabeln für die Internetverbindung von Kontinent zu Kontinent (Google, Meta). Während die Abhängigkeit von Rohstoffen wie Seltenen Erden und die Unmöglichkeit, ohne diese zu produzieren, inzwischen im Bewusstsein angekommen sind, fehlt dieses bei digitaler Infrastruktur, Hard- und Software weitgehend – außerhalb kleiner Expertendebatten.

Die neue Ordnung bedeutet auch, dass vermeintlich neutrale Institutionen und Infrastrukturen gezielt für geoökonomische und -politische Interessen genutzt werden. Beispiele reichen vom Chipkrieg zwischen China und den USA bis zur Bereitstellung von Internet in der Ukraine oder der Rolle des Zahlungssystems SWIFT bei Sanktionen.

Die EuroStack-Initiative ist eine Antwort auf diese Realität. Sie erkennt an, dass es um mehr geht als Marktregulierung – nämlich um die Kontrolle über Infrastruktur, Lieferketten und Datenflüsse als Voraussetzung politischer Souveränität.

Wer diese Zusammenhänge ignoriert, riskiert die staatliche Handlungsfähigkeit. Was einzelne Cyberangriffe auf Verwaltungen bereits gezeigt haben, ist ein Vorgeschmack auf das, was im Ernstfall droht: ein Staat, der digital nicht mehr funktioniert. Ohne digitale Souveränität bricht der Vollzug zusammen – kein Zugang zu Sozialleistungen, keine Steuerabwicklung, keine Justiz. Die Grundfunktionen von Demokratie und Rechtsstaat geraten ins Wanken.

Wie real diese Gefahr ist, zeigte zuletzt der Fall, in dem vermutet wurde, Microsoft habe die US-Sanktionen gegen den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs umgesetzt und dessen E-Mail-Zugang gesperrt, was wohl nicht zutrifft. Aber: Die Vorstellung, dass Gerichtsbarkeit durch private Infrastrukturbetreiber unterlaufen wird, ist nun keine Dystopie mehr – sondern ein reales Risiko. Dänemark zieht aus den Handlungen der aktuellen Trump-Administration daher Konsequenzen und setzt konsequenter auf Open Source. Kanada und die Niederlande warnen seit Jahren vor zu großer Abhängigkeit von US-Konzernen.

Ein Staat, der digital brachliegt, kann nicht mehr handeln. Und genau das gefährdet Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Aber – und das ist zentral – wir sind dem nicht ausgeliefert. Wir können unser Machtpotenzial erkennen, gemeinsame Interessen definieren und – ganz nach Hannah Arendt – ins Handeln kommen. Denn wer gemeinsam handelt, hat Macht. Schleswig-Holstein zeigt aktuell, dass es geht, wenn man es will.

Unsere politischen Systeme, unsere Gesellschaft, unsere Demokratie – all das ist heute untrennbar mit dem Digitalen verwoben. Und doch behandeln wir die digitale Sphäre nicht als das, was sie ist: die alles verbindende Infrastruktur unserer Zeit. Dass Politikbereiche heute hochgradig miteinander vernetzt sind, wird zunehmend anerkannt. Aber wie sehr diese Vernetzung ins Digitale reicht, ist noch längst nicht durchdrungen.

Hannah Arendt stellt in ihrem Essay übrigens ernüchternd fest, dass die Mehrheit sich manchmal einfach weigere, von ihrer Macht Gebrauch zu machen.

Autorin: Ann Cathrin Riedel ist Publizistin und Expertin für Digitalpolitik, Verwaltungstransformation und Demokratie. Als Geschäftsführerin von NExT e.V. setzt sie Impulse für die Modernisierung der Verwaltung, um Digitalisierung als Schlüssel für eine zukunftsfähige Gesellschaft und stabile Demokratien zu nutzen. 2022 wurde sie in den Digitalbeirat der Bundesregierung und den Digitalrat des Landes Sachsen-Anhalt berufen. Sie ist Beirätin des Think Tanks Center for Middle East and Global Order (CMEG).

Digitale Souveränität entscheidet über Deutschlands und Europas Handlungsfähigkeit im globalen Wettbewerb. Experten aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft erläutern in diesem Table.Forum, warum und wie strategisch investiert, föderale Strukturen modernisiert und digitale Kompetenzen gestärkt werden müssen – technisch, politisch und gesellschaftlich.

Unser Partner: Schwarz Digits ist die IT- und Digitalsparte der Schwarz Gruppe, einer international führenden Handelsgruppe (Lidl, Kaufland). Schwarz Digits bietet digitale Produkte und Services an, die den hohen deutschen Datenschutzstandards entsprechen. Zu den souveränen Kernleistungen von Schwarz Digits gehören Cloud, Cybersicherheit, Künstliche Intelligenz, Kommunikation und Workplace.

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