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Mit Mut zu mehr Forschung in Deutschland

von Patrick van der Loo

Wir müssen die klinische Forschung strategisch, vernetzt und patientennah denken. Und Mut zur Veränderung haben.

Verstaubte Aktenordner, analoge Prozesse, vertane Chancen. Das ist in Deutschland noch zu oft Alltag – in Behörden, Unternehmen, Forschungseinrichtungen. Wenn man Deutschland einem Gesundheitscheck unterziehen würde, lautete die Diagnose vermutlich: Digitalisierungsstörung mit chronischem Datenmangel. Gerade in der klinischen Forschung sind die Folgen gravierend: Die Innovationskraft der Pharmabranche bleibt hinter ihren Möglichkeiten zurück, die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts leidet – und Patient:innen profitieren später als notwendig von neuen Therapien.

Dabei hat die Bundesregierung die Chancen von Digitalisierung und Daten längst erkannt. Mit dem Medizinforschungsgesetz (MFG) und dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) sind  erste wichtige Weichen gestellt. Entscheidend ist nun, dass diese Gesetze nicht nebeneinanderstehen, sondern weiterentwickelt und zugleich Teil einer kohärenten, nationalen Forschungsstrategie werden. Wenn Deutschland bei klinischen Studien wieder zur Weltspitze aufschließen will, an der wir lange standen, sehe ich drei Handlungsfelder.

  1. Forschung braucht Strategie und Geduld

Innovationen entstehen selten über Nacht. Sie wachsen dort, wo langfristige Strategien mit klaren Zielen, Meilensteinen und regelmäßiger Evaluation konsequent umgesetzt werden. Während in der Pandemie die Impfstoffentwicklung in Rekordzeit geschafft wurde, dauert die Entwicklung eines neuen Arzneimittels normalerweise zehn bis 15 Jahre – deutlich länger als eine Legislaturperiode. Forschung braucht also Kontinuität über Wahlzyklen hinaus.

Das MFG kann dabei ein zentraler Baustein sein: Es sollte den Rahmen für eine verbindliche Roadmap schaffen, die Forschung als integralen Bestandteil der Gesundheitsversorgung etabliert. Wer Forschung strategisch denkt, plant in Ökosystemen: von der Datenerhebung über die Analyse bis zur Anwendung in der Versorgung. Erfolgreiche Cluster – etwa im Umfeld der Berliner Charité – zeigen, dass solche Ökosysteme langlebiger sind als kurzfristige Förderprogramme.  

  1. Zentrale Koordination statt Flickenteppich

Aktuell existieren viele gute Ansätze – von Datenräumen über Register bis zu dezentralen Studienplattformen. Doch zu oft bleiben sie voneinander isoliert. Eine ressortübergreifende Steuerung ist notwendig, um zentrale Themen wie Datenschutz, Genehmigungsverfahren und Digitalisierung gemeinsam zu lösen.

Vertrags- und Genehmigungsprozesse müssen weiter standardisiert und harmonisiert werden, um Studien zügig und planbar realisieren zu können. Die auf Grundlage des MFG entwickelten Standardvertragsklauseln sind ein guter Schritt in die richtige Richtung. Ebenso wichtig ist der Ausbau digitaler Infrastrukturen – von einheitlichen Systemen bei der Erfassung von Gesundheitsdaten bis zur besseren Nutzung der elektronischen Patientenakte. Um Datenzugang, Rechtssicherheit und das nötige Tempo in Einklang zu bringen, braucht es politische Führung, klare Zuständigkeiten und Mut zu einheitlichen Standards.

  1. Forschung dorthin bringen, wo die Patientinnen und Patienten sind

Noch immer findet der Großteil klinischer Forschung an universitären Zentren statt, obwohl sich die medizinische Versorgung durch den technologischen Fortschritt längst mehr in den ambulanten Bereich verlagert hat. Haus- und Fachärzt:innen sowie Pflegekräfte sollten strukturell und finanziell stärker in Studienaktivitäten eingebunden werden. Das erfordert gezielte Förderprogramme, zentrale Koordinierungsstellen, mehr qualifiziertes Studienpersonal – etwa Study Nurses – und transparente Vergütungsmodelle. Eine solche Entwicklung würde auch bei der Rekrutierung von Patientinnen und Patienten helfen – dem wichtigsten Handlungsfeld. Während in Dänemark fast 30.000 Menschen pro Million Einwohner an einer klinischen Studie teilnehmen, sind es in Deutschland nur rund 1.500.  

Netze aus Forschungspraxen und Fachgesellschaften können Weiterbildungsangebote schaffen, um die Forschungskompetenz im Land zu stärken und so mehr Patient:innen an ihrem Versorgungsort in Studien zu bringen. Akzeptanz und Teilnahmebereitschaft wachsen, wenn die Menschen frühzeitig informiert und aktiv eingebunden werden. So wird Forschung nicht nur exzellenter, sondern auch gerechter – ein Spiegel der realen Versorgung.

Forschung darf kein Privileg weniger Institutionen sein, sondern muss Teil eines Gesundheitssystems werden, das sich mitten im Wandel befindet. Wir müssen dafür sorgen, dass Daten frei, sicher und effizient zirkulieren können. Deutschland hat das Wissen, die Talente und die Technologien für erstklassige Forschung – jetzt braucht es den Mut der Politik, dauerhaft innovationsfreundliche Strukturen zu schaffen.

Autor: Patrick van der Loo ist Pfizer-Deutschlandchef.

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