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Industrielle KI: Deutschlands Chance auf eine digitale Spitzenposition

von Gunther Kegel

Europa steht an einem digitalen Wendepunkt. Die industrielle KI – also der Einsatz künstlicher Intelligenz in industriellen Anwendungen – bietet die historische Chance, Deutschlands Rolle als führende Industrienation auch im digitalen Zeitalter zu sichern. Doch diese Chance ist gefährdet, wenn wir nicht endlich die regulatorischen Bremsklötze beseitigen, die Innovation hemmen und Unternehmen verunsichern.

Allein in der vergangenen Legislaturperiode hat die EU 116 zusätzliche Rechtsakte und Initiativen im Bereich Digitalisierung auf den Weg gebracht. Einzelregelungen wie der AI Act, der Data Act oder der Cyber Resilience Act sind zwar gut gemeint, führen aber in ihrer Summe zu Doppelregulierungen, Rechtsunsicherheit und unnötiger Bürokratie.

Viele industrielle KI-Anwendungen unterliegen bereits strengen sektoralen Vorschriften. Dazu zählen unter anderem die Maschinenrichtlinie und das Produktsicherheitsrecht. Der AI Act droht hier Doppelregulierungen zu schaffen, die schlicht unnötig sind und damit Innovationen hemmen.

Ein substanzielles Problem ergibt sich darüber hinaus aus den unklaren Definitionen von Hochrisiko-KI: Die zugrunde gelegten Kriterien bleiben in dieser Frage zu vage. Damit besteht die Gefahr, dass selbst einfache industrielle Steuerungen oder Haushaltsgeräte als Hochrisiko-KI eingestuft werden.

Der AI Act steht im Spannungsfeld zu anderen EU-Digitalgesetzen wie dem Digital Services Act und der DSGVO. Es fehlt eine klare Abstimmung, insbesondere bei Verantwortlichkeiten und Datenverarbeitung. Dies muss korrigiert werden. Für den ZVEI ist klar: Der AI Act muss so gestaltet werden, dass er nicht zur Innovationsbremse wird. Das heißt zum Beispiel, dass nur tatsächlich risikobehaftete Anwendungen als Hochrisiko-KI gelten sollten. Unsere Unternehmen brauchen eine schnelle und eindeutige Klarstellung zur Auslegung des AI Acts.

Ein One-Stop-Shop für Unternehmen sollte in diesem Zusammenhang geschaffen werden. Um unterschiedliche Auslegungen in den Bundesländern zu vermeiden, sollte es eine bundesweite Zentralstelle für KI-Regulierung geben. Bestehende Marktüberwachungsbehörden müssen dabei in die Umsetzung integriert werden, aber es muss ein klarer Ansprechpartner für Unternehmen existieren. Für die Umsetzung der neuen Anforderungen benötigt die Industrie außerdem ausreichend lange Fristen, um eine realistische Anpassung zu ermöglichen.

Bei passender Regulierung hat Deutschland beste Chancen, bei industrieller KI weltweit eine Spitzenposition einzunehmen. Unsere Unternehmen haben das Domänenwissen, um das uns die Welt beneidet. Bereits heute ist dieser Markt 51,6 Milliarden Euro schwer – und soll laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft bis 2035 auf rund 380 Milliarden Euro anwachsen. Um dieses Potenzial zu heben, muss industrielle KI als eigenständiges Technologiefeld strategisch gefördert werden. Das bedeutet: Sie muss in die Hightech-Strategie der Bundesregierung integriert, mit gezielten Förderlinien unterstützt und ressortübergreifend gedacht werden.

Ein zentraler Baustein dafür sind souveräne Datenräume wie Manufacturing-X. Sie ermöglichen einen sicheren und vertrauenswürdigen Datenaustausch entlang der industriellen Wertschöpfungsketten – und sind damit die Voraussetzung für datengetriebene Innovationen in der Produktion, in der Wartung und in der Logistik.

Die Elektro- und Digitalindustrie spielt dabei eine Schlüsselrolle. Mit einem Umsatz von 220 Milliarden Euro und hoher Wertschöpfung zählt sie zu den stärksten Branchen Deutschlands. Laut IW-Studie im Auftrag des BDI hat sie das größte Wachstumspotenzial innerhalb der Industrie – insbesondere durch Zukunftsfelder wie industrielle KI und Automation. Bis 2035 kann allein die Wertschöpfung aus diesen Märkten auf 182 Milliarden Euro verdoppelt werden – mit weiterem Potenzial darüber hinaus.

Industrielle KI ist kein Nischenthema. Sie ist der Hebel für die digitale Transformation der Industrie, für nachhaltige Produktion und für die Sicherung unseres Wohlstands. Damit Deutschland diese Chance nutzen kann, braucht es jetzt politischen Mut, strategische Klarheit und regulatorische Entschlossenheit.

Autor: Dr. Gunther Kegel ist Präsident des Verbandes der Elektro- und Digitalindustrie e.V. (ZVEI).

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