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Digitale Souveränität: Europa braucht den Willen zum Handeln

von Thomas Saueressig

Europa steht an einem digitalen Wendepunkt. Geopolitischen Spannungen und wachsende Abhängigkeiten von Drittstaaten machen deutlich: Digitale Souveränität ist keine abstrakte Idee, sondern eine strategische Notwendigkeit. Dennoch verharren Politik und Gesellschaft zu oft in endlosen Debatten. Es ist Zeit, Digitalisierung pragmatisch voranzutreiben – souveräne Lösungen sind verfügbar. Souveränität darf nicht länger als Ausrede für Untätigkeit dienen.

Digitale Souveränität bedeutet weit mehr als eigene Rechenzentren. Sie umfasst die Kontrolle über Daten, Technologien, Software und angewandte Künstliche Intelligenz ebenso wie über die rechtlichen Rahmenbedingungen. Sie entscheidet darüber, ob Europa handlungsfähig bleibt – oder nur noch reagiert. Entscheidend ist, digitale Infrastruktur, Software und KI-Anwendungen als integriertes Ökosystem zu denken. Dort, wo industrielle Stärke auf digitale Innovation trifft, entsteht nachhaltige Wertschöpfung. Nur so kann Deutschland seine Industrieexpertise ausspielen.

Souveränität ist dabei kein starres Konzept, sondern abhängig vom Kontext. In sicherheitskritischen Bereichen wie Verteidigung oder Luft- und Raumfahrt gelten höchste Standards, während andere Sektoren eine differenziertere Risikoeinstufung haben. Nicht der physische Speicherort ist entscheidend, sondern die Kontrolle über Nutzung und Verarbeitung von Daten. Diese Kontrolle ist unverzichtbar und nicht verhandelbar.

Ein souveränes Europa braucht vier ineinandergreifende Dimensionen:

  • Datensouveränität – Kontrolle über Speicherung, Nutzung und Verarbeitung

  • Betriebshoheit – Autonomie im operativen Geschäft

  • Technologische Kontrolle – Transparenz und Steuerbarkeit der eingesetzten Technologien

  • Rechtliche Souveränität – Klarheit über geltendes Recht und Vertragsstrukturen

Wer bei einer dieser Dimensionen Abstriche macht, verliert Unabhängigkeit und Gestaltungskraft. Souveränität ist dabei kein Innovationshemmnis, sondern die Grundlage für resiliente Technologien, die unabhängig von geopolitischen Einflüssen funktionieren.

Die Debatte darf sich weder auf amerikanische Hyperscaler verengen noch in unrealistische Autarkievorstellungen abgleiten. Entscheidend ist, dass Europa Spitzentechnologie nutzt, die den vier Souveränitätsdimensionen entspricht, und diese Technologien existieren bereits heute. Wenn diese Dimensionen erfüllt sind, kann Spitzentechnologie bedenkenlos eingesetzt werden. Verbindet man diese Spitzentechnologie mit Europas Industriekompetenz und Prozessqualität, entstehen dort differenzierende KI-Anwendungen, die internationale Wettbewerbsfähigkeit sichern.

Deutschlands Platz 23 im IMD-Ranking zur digitalen Wettbewerbsfähigkeit verdeutlicht die Dringlichkeit. Eine technologieoffene, pragmatische Strategie ist zwingend erforderlich. Europa braucht jetzt eine gemeinsame Vision für Cloud und KI – keine nationalen Alleingänge. Ein europäisches Cloud-Ökosystem muss skalierbar, vielfältig und wertebasiert sein. Es geht nicht um Ideologie, sondern um strategische Vernunft und vor allem um entschlossenes, schnelles Handeln.

Die Zeit der Pilotprojekte ist vorbei. Jetzt muss die breite Umsetzung folgen. Beispiele von Vorreitern wie der Bundesagentur für Arbeit zeigen: Souveräner KI-Einsatz ist möglich. Es fehlt nicht an Wissen oder Technologie, sondern am Mut – gerade im öffentlichen Sektor.

Europa hat die Grundlagen, doch sie müssen mit Entschlossenheit zur Stärke geformt werden. Der Schlüssel liegt in industrieller Kompetenz und datengetriebener Intelligenz. Digitale Souveränität ist keine Option, sondern Voraussetzung für internationale Handlungsfähigkeit im 21. Jahrhundert. Wer in der digitalen Welt gestalten will, muss jetzt handeln – nicht irgendwann.

Autor: Thomas Saueressig ist seit 2019 Mitglied des Vorstands der SAP SE. Er leitet den Bereich Customer Services & Delivery mit weltweiter Verantwortung für den nachhaltigen Kundenerfolg in der Cloud.

Was ist jetzt entscheidend, um Digitale Souveränität zu erreichen? Wie transformieren wir richtig auf dem Weg zu Smart State und Smart Society? Die führenden Köpfe aus Politik, Wirtschaft, Technologie und Wissenschaft geben Handlungsimpulse für Deutschlands und Europas strategische Zukunftsfragen.

Unser Partner: Sopra Steria – das führende europäische Tech- und Beratungsunternehmen verbindet Strategie und Umsetzung mit digitaler Souveränität und europäischer Haltung in 30 Ländern.

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