von Frédéric Munch
Deutschland ist Weltmeister im Bau digitaler Leuchttürme. In unzähligen Labs, Innovationshubs und Pilotprojekten beweisen wir täglich technologische Exzellenz. Doch diese Leuchttürme stehen isoliert, werfen keinen Schatten, verbinden sich nicht. Das Ergebnis: ein Friedhof brillanter Prototypen, die nie den Weg in die breite Anwendung finden. Wir sind stark im Erfinden, aber schwach im Überführen. Wir meistern den Prototyp – und scheitern an der Skalierung.
Die Ursache liegt nicht in der Technik, sondern in unserer Kultur: im Silo-Infarkt. Was uns groß gemacht hat – die Perfektionierung in der Tiefe, im eigenen Fachgebiet – wird im vernetzten Zeitalter zur tödlichen Schwäche. Jedes Organ ist für sich Weltklasse, aber die Adern dazwischen sind verstopft. Die Durchblutung stockt. Innovationen bleiben stecken und sterben dort, anstatt das gesamte System zu stärken.
Um den drohenden Infarkt zu verhindern, müssen wir die Silos aufbrechen – an vier lebenswichtigen Stellen:
Erstens: unsere Ernährung. Heute kaufen viele Unternehmen Digitalisierung wie Fastfood: in abgeteilten IT-Budgets, als austauschbare Stundensätze. Doch mehr Kalorien machen keinen gesunden Körper. Transformation entsteht nicht durch Body Leasing, sondern durch ergebnisorientierte Investitionen, die über Abteilungen hinweg wirken und das Zusammenspiel erzwingen.
Zweitens: unsere Gefäße. Zwischen Business und IT braucht es Brücken, die den lebenswichtigen Wissensfluss ermöglichen. „Zweisprachige“ BizTech-Teams, die beides verstehen, sind diese Gefäße. Sie halten den Kreislauf offen, räumen Missverständnisse aus und verhindern, dass die Energie in den Silos versackt.
Drittens: unser Herzschlag. Ohne Vertrauen fließt nichts. Der AI Act ist kein Hemmschuh, sondern die Chance auf ein gemeinsames, verlässliches Betriebssystem. Er liefert die Standards und Regeln, die Zusammenarbeit erst möglich machen – zwischen Unternehmen, Branchen, Nationen. Er ist der Taktgeber, der unseren Kreislauf am Leben hält.
Viertens: unsere Muskeln. Ein Körper kann noch so gut ernährt, durchblutet und gesteuert sein – wenn er keine Muskelkraft entfaltet, bleibt er schwach. Genau das ist unser Kernproblem. Wir sind Ingenieure von Weltrang, bauen Technologien auf Top-Niveau. Aber zu oft fehlt uns die Kraft, daraus Produkte zu machen, die den Markt bewegen. Muskeln stehen für Kommerzialisierung und Skalierung: die Fähigkeit, Lösungen aus dem Labor auf die Straße zu bringen, in die Breite. Andere – vor allem die USA – haben genau hier ihre Stärke. Sie sind nicht besser im Erfinden, sondern im Verkaufen, Verpacken und Skalieren. Wenn wir in Europa bestehen wollen, müssen wir unsere Muskeln trainieren: Technologien nicht nur entwickeln, sondern in marktfähige Produkte und Services verwandeln, die Märkte prägen, Menschen begeistern und unsere europäische Wirtschaft tragen.
Deutschland hat die Wahl: Brechen wir die Silos auf, bringen wir Blut und Sauerstoff wieder in den Organismus – oder bleiben wir in unserer Komfortzone, bis jedes für sich perfekte Organ im Gesamtversagen kollabiert? Entweder wir bringen unser System wieder zum Schlagen – oder wir erleben seinen Stillstand.
Autor: Frédéric Munch ist CEO Germany & Austria von Sopra Steria.
Was ist jetzt entscheidend, um Digitale Souveränität zu erreichen? Wie transformieren wir richtig auf dem Weg zu Smart State und Smart Society? Die führenden Köpfe aus Politik, Wirtschaft, Technologie und Wissenschaft geben Handlungsimpulse für Deutschlands und Europas strategische Zukunftsfragen.
Unser Partner: Sopra Steria – das führende europäische Tech- und Beratungsunternehmen verbindet Strategie und Umsetzung mit digitaler Souveränität und europäischer Haltung in 30 Ländern.
Impressum
Table.Forum ist ein Angebot von Table.Briefings
Leitung: Regine Kreitz (v.i.S.v. § 18 Abs. 2 MStV)
Table Media GmbH, Wöhlertstraße 12-13, 10115 Berlin · Deutschland,
Telefon +49 30 30 809 520
Amtsgericht Charlottenburg HRB 212399B, USt.-ID DE815849087
Geschäftsführer Dr. Thomas Feinen, Jochen Beutgen