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Der Europäische Traum: Unsere größte Chance

von Robert Gentz

Zalando ist im europäischen Binnenmarkt aufgewachsen. Als wir das Unternehmen mitten in der Finanzkrise gründeten, ahnten wir nicht, dass wir einmal über 52 Millionen Kund*innen in 26 Ländern bedienen würden. Wir haben die wunderbare Vielfalt Europas zu unserem Vorteil gemacht. Von Italien bis Norwegen, von Spanien bis Estland und überall dazwischen fragen sich die Menschen jeden Tag: Was ziehe ich heute an? Wir wollen diese Frage beantworten: mit der richtigen digitalen Inspiration zum richtigen Zeitpunkt, mit den Marken, die die Menschen lieben, mit schneller Zustellung und den bequemsten Zahlungsmethoden.

Auf unserem Weg haben uns auch die viel zitierten Rahmenbedingungen geholfen: Investoren, die an uns geglaubt haben. Talente, die aus 140 Ländern an den Aufbruchsort Berlin gekommen sind, um mit uns an etwas Großem zu arbeiten. Markenpartner, die erkannt hatten, dass das Internet den Modemarkt in Europa demokratisieren wird. Unsere Geschichte zeigt, was in und dank Europa möglich ist.

Wenn heute über Europa gesprochen wird, nehme ich eine andere Tonalität wahr. Wir diskutieren, wie viel wir zu verlieren haben und wie wir das verhindern können. Und tatsächlich hat sich auch die Realität verändert. Wir sind langsamer geworden, schauen scheinbar ohnmächtig auf andere und geben uns immer neue Regeln – in der vagen Hoffnung, dass sie sich weltweit als Standard durchsetzen. Das Ergebnis: In den Mitgliedsstaaten herrscht Uneinigkeit, es gibt mehr nationale Alleingänge, es entstehen Fliehkräfte. Die europäische Vielfalt erscheint plötzlich als Hemmschuh.

Dabei hat Europa alles, was es braucht, um wieder nach vorn zu kommen: 450 Millionen Bürger*innen in der Europäischen Union in freien demokratischen Gesellschaften, die größte Wirtschaft der Welt, hoher Bildungsstandard, ausgebaute Infrastruktur. Dieses Potenzial schöpfen wir zur Zeit nicht aus. Es fehlt an Vorstellungskraft, an gemeinsamer Vision, an Optimismus und auch an Mut.

Es ist Zeit für den Europäischen Traum

Der Amerikanische Traum war lange Zeit eine Vision mit globaler Anziehungskraft. Aus aller Welt kamen die Menschen in die USA mit dem Glauben, durch gute Ideen und harte Arbeit praktisch alles erreichen zu können. Heute hat dieses verheißungsvolle Versprechen an Zugkraft verloren. Darin steckt eine Chance für Europa.

Statt Europa kleinzureden und uns in Details zu verlieren, sollten wir selbstbewusst sein, uns auf das konzentrieren, was wir gewinnen können und eine eigene Vision formulieren: einen Europäischen Traum.

Dazu müssen wir fragen: Was können wir tun, damit Unternehmer*innen sagen: „Ich gründe in Europa!“? Wie geben wir ihnen die Zuversicht, dass es sich lohnt, hier zu investieren und zu wachsen? Wir müssen ihnen zurufen: Europa ist ein Ort voller Möglichkeiten. Europa ist der Ort, an dem Ihr Eure Ideen umsetzen könnt, in Freiheit und doch geschützt. Wir müssen ihnen zeigen: Europa will Unternehmertum, Europa will Technologie und Innovation, Europa ruht sich nicht auf der Vergangenheit aus!

Schon heute können wir aus Deutschland heraus und mit der Unterstützung der Bundesregierung die ersten Signale setzen:

  1. Wir brauchen einfachere Regeln. Zugespitzt formuliert galt vor 15 Jahren das BGB für unser Kerngeschäft, heute müssen wir Dutzende verschiedene, teils widersprüchliche Regelwerke befolgen und deren Auslegung und Durchsetzung in den Mitgliedsstaaten verfolgen. Hinzu kommen unnötige Berichtspflichten und Bürokratie. Das erzeugt Unsicherheit und bremst Innovationen und Investitionen. Die EU-Gesetzgebung muss einen einheitlichen Rahmen setzen, der schnelles grenzüberschreitendes Wachstum fördert. Deutschland kann sich hier stärker einbringen!

  2. Wir müssen Innovation vor Regulierung stellen. Europa eilt heute ein Ruf als Regulierungsweltmeister voraus. Dabei ist die Idee des sogenannten „Brüssel Effekts“, bei dem unsere Standards weltweit übernommen werden, nicht nur wirkungslos, wenn niemand uns folgt - er wirkt auch noch kontraproduktiv. Wir können es uns nicht leisten, mit neuen Regelwerken wie dem Digital Fairness Act technologische Scheuklappen anzulegen und Wachstum zu bremsen. Stattdessen brauchen wir eine neue Offenheit für Innovationen!

  3. Wir müssen unseren Heimvorteil nutzen. Dazu gehören höhere Produktivität und flexiblere Arbeitsmärkte. Es ist außerdem richtig und wichtig, dass wir hohe Standards haben, zum Beispiel im Verbraucherschutz. Aber diese Stärke wird zu unserem größten Nachteil, wenn wir unsere Regeln nicht konsequent durchsetzen (können). Wir dürfen es auswärtigen Unternehmen nicht leichter machen, in Europa erfolgreich zu sein als unserer heimischen Wirtschaft.

Der Europäische Traum ist ein realistisches Ziel. Vielen liegt die Zukunft Europas am Herzen, und sie sind bereit, diese aktiv mitzugestalten. Sie wollen etwas leisten und ihren Teil zum gemeinsamen Erfolg beitragen. Die Vision ist der Europäische Traum – eine große Aufgabe und unsere größte Chance.

Autor: Robert Gentz ist Mitgründer und Co-CEO von Zalando SE.

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