Table.Forum

Vom Wissen ins Handeln: Die Senckenberg Synthesis & Solutions Labs

von Klement Tockner

„Vom Wissen zum Handeln.“ Dieses Credo wird gerne genutzt, wenn es um die Übersetzung und Umsetzung von Forschungsergebnissen in politische und gesellschaftliche Aktivitäten geht. Wissen rund um Biodiversität und die Folgen des Biodiversitätsverlustes ist keine Mangelware. Die Wissenschaft produziert nahezu täglich neue Ergebnisse, stellt Zusammenhänge dar, beleuchtet Konsequenzen des menschlichen Handelns auf die Biodiversität sowie mögliche Ansätze zu deren Schutz. Aber es hapert häufig am Handeln und an praktikablen Lösungsansätzen. Woran das liegt, dazu geben unterschiedliche Gruppen natürlich auch verschiedene Antworten.

Hier kommt eine neue Initiative ins Spiel, die Senckenberg Synthesis & Solutions Labs. Gegründet von engagierten Frankfurter Bürger*innen, betreibt Senckenberg seit über 200 Jahren Naturforschung. Der Dialog mit der Gesellschaft über Forschungsergebnisse ist Teil unserer DNA, nicht zuletzt in den drei Naturmuseen, die Senckenberg in Görlitz, Dresden und Frankfurt am Main unterhält. Weil aber die Herausforderungen der Biodiversitätskrise so drängend sind, haben wir beschlossen, neue Wege zu gehen – vom Dialog zur Denkwerkstatt, die unterschiedlichste Perspektiven aus Wissenschaft und Gesellschaft zu verschiedenen Themen an einen Tisch bringt.

Die einzelnen Projekte – „Labs“ – haben zum Ziel, vorhandenes Wissen aus Forschung und Praxis zu verschiedensten Themen rund um den Schutz der Biodiversität aufzubereiten und Lösungsansätze und Handlungsoptionen zu entwickeln, die die Biodiversität nachhaltig und sozial gerecht fördern. Die Labs bieten Raum für Debatten und Experimente, und entwickeln realisierbare, praktikable Lösungen, die für alle Gruppen tragbar sind. Jedes Lab baut auf bestehenden Forschungsprojekten auf und führt Daten und Wissen aus Forschung und Praxis zusammen. Gemeinsam werden mit unterschiedlichsten Gruppen Handlungsoptionen erarbeitet – von der lokalen Behörde über die betroffene Bürgerin bis hin zum Wirtschaftsunternehmen, das vor Ort tätig ist.

Die Labs schaffen gegenseitiges Verständnis und Vertrauen und unterstützen den Aufbau neuer strategischer Partnerschaften zur Förderung und Schutz der biologischen Vielfalt. Ein wichtiges Stichwort ist „Transdisziplinarität“ – also die Integration verschiedener Perspektiven aus Forschung und Gesellschaft, über Disziplin- und Institutionengrenzen hinweg. Die Senckenberg Synthesis & Solutions Labs sind sehr bewusst transdisziplinär angelegt. Senckenberg arbeitet dazu eng mit dem Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE), einem Vorreiter der transdisziplinären Forschung, zusammen. Wer transdisziplinär an ein Problem herangeht, betrachtet es eben nicht nur aus naturwissenschaftlicher oder sozialwissenschaftlicher Perspektive, sieht nicht nur die wirtschaftlichen oder politischen Auswirkungen, sondern bringt all diese Blickwinkel und noch viele mehr an einen Tisch. Wissenschaftliche Disziplinen sowie gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Gruppen treten in den Dialog. Nur so können nachhaltige Handlungsoptionen erarbeitet werden.

„Aber das kostet alles so viel und ist sozial nicht verträglich!“ Dem vermeintlichen Dilemma Umweltschutz versus Kosten gehen die Senckenberg Labs nicht aus dem Weg, im Gegenteil. Jedes Lab hat zur Aufgabe, die gesellschaftlichen Auswirkungen von Maßnahmen zum Biodiversitätsschutz von Anfang an mitzudenken. Auch hierbei hilft es, unterschiedlichste Gruppen zusammenzubringen und vorhandenes Wissen und Erfahrungen zusammenzuführen. Zugleich muss gelten, dass Vorsorge und Schutz immer Vorrang vor Wiederherstellung haben.

Welchen Raum gibt es für Insekten in Siedlungsräumen? Das erste Senckenberg Lab bringt Kommunen, Behörden und Privatpersonen mit der Wissenschaft zusammen. Sie entwickeln Maßnahmen, die Insektenvielfalt auf Grünflächen fördern. Sie sprechen über Hindernisse, die kostengünstigen Maßnahmen zur Biodiversitätsförderung im Weg stehen. Es gibt Räume zur gemeinsamen Reflexion, Experimente werden angestoßen und praktische Handlungsempfehlungen formuliert.

Was hat mein Mittagessen mit dem Artensterben zu tun? Das zweite Senckenberg Lab reicht von Brasilien bis nach Deutschland. In Zusammenarbeit mit Sekundarschulen in Hessen und São Paulo werden die Zusammenhänge zwischen unserem Ernährungssystem und dem Biodiversitätsverlust sichtbar gemacht. Hier sitzen Schüler und Lehrerin, Kantinenbetreiber und Forscherin zusammen. Anhand der Lieferkette betrachtet man gemeinsam, wie Lebensmittelproduktion von der Biodiversität abhängt, diese aber auch gefährden kann. Unterrichtseinheiten thematisieren die Essgewohnheiten der jungen Menschen und fordern dazu auf, sich gemeinsam über die Wechselwirkungen von Ernährung und Biodiversitätsverlust Gedanken zu machen. Über Generationen und Kulturen hinweg wird hier reflektiert und ausgehandelt.

Mit diesen Labs bieten wir ein innovatives Format an, um vom Wissen zum Handeln zu kommen – zum Wohle von Natur und Mensch.

Autor: Prof. Dr. Klement Tockner ist Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.

Biodiversität ist entscheidend für die Zukunft von Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt, da ihr Verlust nicht nur Ökosysteme, sondern auch Wertschöpfung, Investitionen und Innovationskraft gefährdet. Gleichzeitig erkennen immer mehr Akteure aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, dass der Schutz und die Förderung der Natur Chancen für nachhaltige Entwicklung, neue Geschäftsmodelle und größere Resilienz bieten. Das Table.Forum widmet sich einer natur-positiven Zukunft und zeigt anhand konkreter Beispiele, wie Unternehmen, Forschung und Zivilgesellschaft diesen Wandel aktiv gestalten. Im Mittelpunkt stehen dabei praxisnahe Fragen: Wie kann Biodiversität in der Kommunikation, im Geschäftsmodell und als Investitionschance erfolgreich genutzt werden?

Unsere Partner: Biodiversity Bridge ist ein gemeinnütziger Zusammenschluss erfahrener Biodiversitäts-Expertinnen und -Experten, die European Biodiversity Coalition ist eine sektorübergreifende Plattform, die Verantwortungsträger großer europäischer Unternehmen zusammenbringt, um geschäftsgetriebene Maßnahmen für Biodiversität zu beschleunigen und das Museum für Naturkunde Berlin ist eines der weltweit bedeutendsten Forschungsmuseen für biologische und geowissenschaftliche Evolution und Biodiversität.

Impressum

Table.Forum ist ein Angebot von Table.Briefings
Leitung: Regine Kreitz (v.i.S.v. § 18 Abs. 2 MStV)
Table Media GmbH, Wöhlertstraße 12-13, 10115 Berlin · Deutschland,
Telefon +49 30 30 809 520
Amtsgericht Charlottenburg HRB 212399B, USt.-ID DE815849087
Geschäftsführer Dr. Thomas Feinen, Jochen Beutgen