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Nachwachsende Rohstoffe als Herausforderung und Chance

von Peer Stähler

Bereits vor über 2000 Jahren erkannte der indische Kaiser Ashoka die zentrale Rolle des verantwortungsvollen Umgangs mit natürlichen Ressourcen als Fundament menschlicher Zivilisation. Er initiierte gezielte Schutzmaßnahmen für Wälder, Tiere und die Natur und dokumentierte diese öffentlich in Steininschriften im gesamten Reich. Ashoka blieb nicht der einzige Vertreter einer Hochkultur in der langen Geschichte der Menschheit, der dieses Dilemma ganz im Sinne heutiger Nachhaltigkeitsstrategien angehen wollte.

Im Zeitalter des Anthropozäns stellt sich die Frage nach der Balance zwischen Nutzung und Schutz der Natur noch drängender und nicht mehr nur auf regionaler Ebene, sondern global. Das Konzepte der planetaren Grenzen verdeutlicht, dass die Herausforderungen weit über das Klima hinausreichen: Biosphäre und Biodiversität leiden unter vielfältigen Belastungen und menschengemachte Emissionen und Artefakte haben die abgelegensten Winkel der Erde erreicht. Damit wird sie zum Garten, den wir bestellen oder verwüsten, nachhaltig nutzen oder vergeuden könnten. Wir sind – ohne jede Hybris – die planetaren Gärtner.

Wer kann aktiv zur Lösung beitragen? Neben Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sind Unternehmen gefragt. Seit Einführung der CSRD-Richtlinie in Europa im vergangenen Jahr sind viele Unternehmen verpflichtet, ihre Auswirkungen auf Natur, Umwelt und Gesellschaft auf einem höheren Niveau transparent zu machen. Diese Bestandsaufnahme kann neue Dynamiken für nachhaltiges Handeln und gezielte Investitionen auslösen und so die Transformation wirkungsvoll unterstützen.

Insbesondere die Chemiebranche steht im Zentrum dieser Transformation. Als „Industrie der Industrien“ beeinflusst sie zahlreiche Wertschöpfungsketten und ist Innovationstreiber und Möglichmacher. Chemieunternehmen sind nun auch über Berichterstattung gefordert, die Auswirkungen ihrer Rohstoffbeschaffung und Produktionsprozesse auf Natur und Biodiversität kritisch zu prüfen und Verantwortung für die gesamte Wertschöpfungskette zu übernehmen.

Mit der Nutzung nachwachsender Rohstoffe ist zudem eine fundamentale, eher geräuschlos erfolgte Innovation in der chemischen Industrie verknüpft. Während noch vor wenigen Jahre fast nur fossile Rohstoffe das große Spektrum an Kohlenstoff-basierten Produkten wie Polymeren, Kunststoffen oder Lacken ermöglichten, sind mittlerweile Verfahren für die skalierbare Nutzung unterschiedlichster biologischer Rohstoffe etabliert, von Holzresten über Biogas aus Gäranlagen bis zu Bioethanol und Pflanzenölen. So kann „fossil“ gegen „nachwachsend“ ausgetauscht werden und damit eine Defossilierung erfolgen, wo keine Dekarbonisierung möglich ist. Diese Rohstoffwende als Teil der grünen Transformation ist technisch weitgehend umsetzbar. Die nicht geringe Herausforderung besteht nun darin, sie ökonomisch möglich zu machen und gleichzeitig die Auswirkungen auf Ökologie und Natur in eine positive Richtung zu lenken.

Schutz von Natur und Biodiversität bleibt dabei oft Stückwerk, da viele Initiativen nur unzureichend an wirtschaftlichen Erfolg geknüpft sind. Umso wichtiger sind skalierbare Hebel, die negative Effekte auf Natur und Menschen mindern und Regeneration ermöglichen. Besonders im Rohstoffbereich eröffnen sich Handlungsfelder: Der Wandel zu biologischen Rohstoffen aus Land- und Forstwirtschaft bietet Potenzial für eine nachhaltigere Industrie. Und Landwirtschaft kann dabei nicht nur negative Auswirkungen minimieren, sie kann auch die Regeneration von Natur fördern.

Bei BASF beschäftigt sich die „Biodiversity Expert Group“ mit diesem komplexen Feld. Und sie sieht zwei aufeinander aufbauende Horizonte: Zunächst die weiter zunehmende Nutzung zertifizierter und dadurch naturverträglicherer nachwachsender Rohstoffe zur Verringerung des CO2-Fussabdrucks von Chemie-Produkten. Darauf aufbauend strebt BASF eine Weiterentwicklung hin zur aktiven Regeneration von Land und Ökosystemen an. Vielversprechende Ansätze dazu gibt es schon, zum Beispiel durch bessere Nutzung und Regeneration von marginalem Land mit Nutzpflanzen wie der Macauba-Palme oder dem Pongamia-Baum in tropischen und subtropischen Ländern oder über Zwischenfrüchte und die ganzheitlichere Nutzung von Biomasse in Europa.

Mit dem Wandel zu nachwachsenden Rohstoffen schlägt die Chemieindustrie ein neues Kapitel auf. Die Transformation verlangt Pragmatismus und Lernbereitschaft und gelingt nur im Zusammenspiel vieler Akteure. Zur Wahrheit gehört dabei auch, dass „grüne“ Produkte auf Dauer teurer sein dürften als ihre fossilen Pendants. Die Defossilierung der chemischen Industrie ist ein wichtiger Baustein der Transformation. Der Aufbau einer dynamischen, naturfreundlichen Bioökonomie bietet dazu eine Chance von großem gesellschaftlichem Interesse. Wir können als verantwortungsvolle Gärtner den Planeten nachhaltiger bewirtschaften, wenn es uns gelingt, diese Veränderungen ökologisch, sozial und ökonomisch tragfähig zu gestalten.

Autor: Peer Stähler ist Nachhaltigkeitsstratege und Biotechnologie-Pionier mit besonderem Interesse an den verschiedenen Dimensionen der Biodiversität und ihrer Erfassung in Messystemen, von Hochdurchsatz-Sequenzierung bis zum Satelliten-Monitoring. Derzeit baut er in der „Biodiversity Expert Group“ der BASF die Möglichkeiten für Strategieentwicklung mit integrierter Berücksichtigung von Natur-Impacts aus.

Biodiversität ist entscheidend für die Zukunft von Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt, da ihr Verlust nicht nur Ökosysteme, sondern auch Wertschöpfung, Investitionen und Innovationskraft gefährdet. Gleichzeitig erkennen immer mehr Akteure aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, dass der Schutz und die Förderung der Natur Chancen für nachhaltige Entwicklung, neue Geschäftsmodelle und größere Resilienz bieten. Das Table.Forum widmet sich einer natur-positiven Zukunft und zeigt anhand konkreter Beispiele, wie Unternehmen, Forschung und Zivilgesellschaft diesen Wandel aktiv gestalten. Im Mittelpunkt stehen dabei praxisnahe Fragen: Wie kann Biodiversität in der Kommunikation, im Geschäftsmodell und als Investitionschance erfolgreich genutzt werden?

Unsere Partner: Biodiversity Bridge ist ein gemeinnütziger Zusammenschluss erfahrener Biodiversitäts-Expertinnen und -Experten, die European Biodiversity Coalition ist eine sektorübergreifende Plattform, die Verantwortungsträger großer europäischer Unternehmen zusammenbringt, um geschäftsgetriebene Maßnahmen für Biodiversität zu beschleunigen und das Museum für Naturkunde Berlin ist eines der weltweit bedeutendsten Forschungsmuseen für biologische und geowissenschaftliche Evolution und Biodiversität.

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