Table.Forum

Kann uns künstliche Intelligenz dabei helfen die Natur zu schützen?

von Joanna Radeke

Die Frage, wie künstliche Intelligenz zum Schutz der Natur und der biologischen Vielfalt beitragen kann, rückt zunehmend in den Fokus. Auch an der ESMT Berlin greifen wir dieses Thema in verschiedenen Formaten auf. Dazu gehört der Sustainable Business Roundtable, ein seit 2011 bestehendes Treffen international aktiver Unternehmen, die sich im Bereich Nachhaltigkeit engagieren und sich zweimal im Jahr vertraulich über bewährte Ansätze und neue Ideen austauschen. Ebenso fließen Erkenntnisse aus öffentlichen Gesprächen wie der ESMT Insight Hour zum Internationalen Tag der biologischen Vielfalt ein. Die folgenden Beobachtungen bündeln zentrale Einsichten aus diesen Diskussionen und zeigen, wo künstliche Intelligenz Potenziale bietet und wo sie neue Risiken schafft.

Biodiversität gehört zu den zentralen planetaren Belastungsgrenzen, die das Erdsystem stabil halten (Rockström et al., 2009). Anders als beim Klimawandel lässt sie sich jedoch nicht auf eine einzelne Kennzahl wie ausgestoßene Tonnen CO2 reduzieren. Der Verlust von Arten, der Rückgang von Lebensräumen und Veränderungen in Ökosystemleistungen sind komplex und oft lokal begrenzt. Das macht Biodiversität schwer messbar und führt dazu, dass sie in der Berichterstattung von Unternehmen häufig unsichtbar bleibt.

Künstliche Intelligenz beginnt, dies zu verändern. Studien zeigen, wie maschinelles Lernen Arten erkennen, Lebensräume kartieren und Belastungen nahezu in Echtzeit verfolgen kann, indem Bilder, Videos, Texte, Audioaufnahmen und DNA ausgewertet werden (Pollock et. al, 2025). Solche Instrumente halten zunehmend Einzug in die Unternehmenspraxis. Unternehmen können künstliche Intelligenz nutzen, um Entwaldungsrisiken in Lieferketten zu überwachen, Veränderungen in der Landnutzung rund um Beschaffungsstandorte besser zu verstehen oder komplexe Datensätze in einfache naturbezogene Risikokennzahlen zu übersetzen. Werden diese Erkenntnisse mit konkreten Geschäftskontexten verknüpft, wird Biodiversität für Entscheidungsträger greifbarer.

Gleichzeitig hat künstliche Intelligenz einen eigenen ökologischen Fußabdruck. Sie benötigt große Mengen an Strom und Wasser, und Rechenzentren brauchen Fläche und Kühlung. Die Hardware hängt von seltenen Erden und anderen Rohstoffen ab, deren Abbau Lebensräume und Arten schädigt. Untersuchungen warnen, dass ein schnelles Wachstum der Infrastruktur künstlicher Intelligenz den Stromverbrauch, den Wasserbedarf und das Aufkommen an Elektroschrott erheblich erhöhen könnte, wenn keine klaren Standards für Effizienz, erneuerbare Energien und die zirkuläre Nutzung von Materialien gesetzt werden. Ohne ein gezieltes Management könnten diese Auswirkungen den Druck auf natürliche Ökosysteme verstärken, statt zu ihrer Erhaltung beizutragen.

Eine zentrale Einsicht lautet daher, künstliche Intelligenz mit menschlicher und natürlicher Intelligenz zu verbinden. Künstliche Intelligenz hilft, von der Natur zu lernen. Ein eindrucksvolles Beispiel ist der Walhai, wie von Frauke Fischer und Hilke Oberhansberg beschrieben. Künstliche Intelligenz kann einzelne Tiere anhand des Punktmusters auf ihrer Haut identifizieren. Taucher laden Fotos hoch, und die Systeme verknüpfen die Bilder. In Kombination mit Ozeandaten können Modelle Wanderbewegungen vorhersagen und Schiffen helfen, Kollisionen zu vermeiden. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie natürliche und künstliche Intelligenz zusammenwirken. Tiere liefern Daten. Künstliche Intelligenz erkennt Muster. Menschen treffen Entscheidungen.

Genau eine solche Abfolge von Entscheidungen ist beim Schutz der biologischen Vielfalt nötig. In der Realität belohnen Wirtschaftssysteme nach wie vor Aktivitäten, die der Natur schaden. Schädliche Subventionen bestehen fort. Umweltkosten werden im Regelfall nicht in Preisen abgebildet. Das Ziel, bis 2030 dreißig Prozent der Landflächen, Gewässer und Meere zu schützen, wie es im Kunming Montreal Global Biodiversity Framework festgelegt wurde, wird nur funktionieren, wenn es durch reale Finanzmittel hinterlegt wird.

Auf die Frage nach der Rolle künstlicher Intelligenz beim Schutz der Natur berichtete etwa Dr. Christof Schenck von der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt im Rahmen einer ESMT Insight Hour zum Thema Biodiversität, dass im kolumbianischen Amazonas neue Instrumente künstlicher Intelligenz helfen, illegale Entwaldung nahezu in Echtzeit zu erkennen und eine schnellere Durchsetzung zu ermöglichen. So wirkungsvoll diese Instrumente sind, sie reichen allein nicht aus. Der Schutz und die Wiederherstellung der Natur erfordern weiterhin unternehmerischen und politischen Willen sowie Investitionen vor Ort.

Die gleiche Botschaft ging auch aus unseren Gesprächen beim letzten Sustainable Business Roundtable hervor. Künstliche Intelligenz funktioniert am besten, wenn Menschen sie mit einem klaren Ziel leiten. Wir müssen den Verlust der Natur stoppen und die Ökosysteme wiederherstellen, die Leben und wirtschaftliche Aktivität ermöglichen. Die Instrumente, die uns dabei unterstützen können, werden immer leistungsfähiger. Die entscheidende Frage ist nun, ob wir sie nutzen, um schnellere und bessere Entscheidungen zum Schutz der Natur zu treffen oder ob wir das Problem in einem nie dagewesenen Ausmaß verschärfen.

Autorin: Joanna Radeke ist Director of Sustainability an der ESMT Berlin.

Biodiversität ist entscheidend für die Zukunft von Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt, da ihr Verlust nicht nur Ökosysteme, sondern auch Wertschöpfung, Investitionen und Innovationskraft gefährdet. Gleichzeitig erkennen immer mehr Akteure aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, dass der Schutz und die Förderung der Natur Chancen für nachhaltige Entwicklung, neue Geschäftsmodelle und größere Resilienz bieten. Das Table.Forum widmet sich einer natur-positiven Zukunft und zeigt anhand konkreter Beispiele, wie Unternehmen, Forschung und Zivilgesellschaft diesen Wandel aktiv gestalten. Im Mittelpunkt stehen dabei praxisnahe Fragen: Wie kann Biodiversität in der Kommunikation, im Geschäftsmodell und als Investitionschance erfolgreich genutzt werden?

Unsere Partner: Biodiversity Bridge ist ein gemeinnütziger Zusammenschluss erfahrener Biodiversitäts-Expertinnen und -Experten, die European Biodiversity Coalition ist eine sektorübergreifende Plattform, die Verantwortungsträger großer europäischer Unternehmen zusammenbringt, um geschäftsgetriebene Maßnahmen für Biodiversität zu beschleunigen und das Museum für Naturkunde Berlin ist eines der weltweit bedeutendsten Forschungsmuseen für biologische und geowissenschaftliche Evolution und Biodiversität.

Impressum

Table.Forum ist ein Angebot von Table.Briefings
Leitung: Regine Kreitz (v.i.S.v. § 18 Abs. 2 MStV)
Table Media GmbH, Wöhlertstraße 12-13, 10115 Berlin · Deutschland,
Telefon +49 30 30 809 520
Amtsgericht Charlottenburg HRB 212399B, USt.-ID DE815849087
Geschäftsführer Dr. Thomas Feinen, Jochen Beutgen