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Creative Bureaucracy als diplomatischer Hebel für Europa

von Caroline Paulick-Thiel

Demokratien werden angegriffen, Vertrauen erodiert, Institutionen wanken. Das Creative Bureaucracy Festival (CBF) reagiert darauf mit einem Raum, der öffentliche Handlungsfähigkeit erneuert und zugleich vertrauensvolle Verständigung jenseits offizieller Mandate ermöglicht. Neben Trenddebatten macht das Festival vor allem das Unsichtbare sichtbar – unser emotionales, soziales und kulturelles Gewebe, das demokratische Strukturen verbindet und trägt.

Von der Lücke zum Möglichkeitsraum

Die diesjährige Academy, seit 2018 von Politics for Tomorrow initiiert, zeigte erneut, wie ein Lernlabor zum politischen Seismographen werden kann. Was als Experimentierwerkstatt begann, verwandelte sich in einen Resonanzraum, in dem Brüche, Paradoxien, Erschöpfung und kollektiver Gestaltungswille offen aufeinandertrafen.

Über 200 Teilnehmende aus mehr als 30 Ländern fragten, wie der öffentliche Dienst #InServiceOfLife handeln kann, um Leben nicht nur zu verwalten, sondern aktiv zu kultivieren. Besonders eindringlich waren Stimmen aus den USA, wo Verwaltungen bereits unter offenem politischem Beschuss stehen. Was in Europa noch als Reformbedarf gilt, ist dort eine existenzielle Auseinandersetzung um physische und institutionelle Integrität. Diese Differenz wurde nicht überspielt, sondern gehalten – und machte spürbar, wie kostbar jedes demokratische Gefüge ist, das über Mittel und Routinen zur Selbstreflexion verfügt.

Kreative Verantwortung als vordiplomatische Aufgabe

Während Behörden vielerorts zwischen Überforderung und Absicherung pendeln, öffnete die Academy – gemeinsam mit starken Partnerinnen und Partnern – einen Resonanzraum, in dem Spannungen zwischen Sicherheitsbedürfnis und Veränderungsdruck, zwischen systemischer Ohnmacht und individueller Wirksamkeit produktiv bearbeitet werden konnten.

Berlin verleiht diesem Experiment besonderes Gewicht. Die Hauptstadt ist eine historische wie geografische Nahtstelle Europas, ein Ort, an dem Macht, Teilung und Versöhnung bis heute aufeinandertreffen. Die Rückkehr von Grenzkontrollen – selbst wenn sie nur symbolisch gemeint sind – zeigt, wie fragil die Koordinaten von Zugehörigkeit, Vertrauen und Kontrolle geworden sind.

Gerade in solchen Wendezeiten kann das Festival mehr sein als eine Konferenz: Es hat das Potenzial, zu einer vordiplomatischen Infrastruktur zu wachsen. Kulturelle Diplomatie eröffnet dafür den Spielraum, in Arendts Sinn „ohne Geländer zu denken“ – das öffentlich Wünschbare zu fühlen und auszusprechen, bevor es verwaltungstechnisch fixiert oder politisch instrumentalisiert wird.

Strategische Aufgaben für diese Legislatur

Die Academy 2025 hat verdeutlicht, wo das Creative Bureaucracy Festival ansetzen kann, um sich vom Ereignis zur Infrastruktur zu entwickeln. Die aktuelle Legislatur bietet ein essentielles Zeitfenster, um eine belastbare Basis aufzubauen und Schwerpunkte zu priorisieren.

  • Verwaltung als Friedensakteurin etablieren: Dauerhafte Dialogformate zwischen Verwaltungen und osteuropäischen sowie transatlantischen Partnerinnen und Partnern aufsetzen. Öffentliche Institutionen sind Hebel für Frieden, Klima- und Versorgungsfragen; ihre Diplomatie darf nicht allein den Außenministerien überlassen bleiben.

  • Resilienz als Gemeinschaftsleistung fördern: Strukturwandel ernst nehmen und als kollektive Gestaltungsaufgabe verstehen. Dafür sind neue Formate notwendig, um das Spektrum des Festival als „Spa-Day“ hin zu Therapieraum und Fitnessstudio zu erweitern. Die Academy kann dabei als Ökosystemakteur unterstützen.

  • Technologische Disruption proaktiv gestalten: Gerade im Bereich KI und digitaler Infrastruktur fehlen der Verwaltung aktuell die Kapazitäten, um vorauszudenken und zu handeln. Das CBF kann hier Kreativräume jenseits reaktiver Regulierung eröffnen, die gemeinsame Handlungsspielräume intersektoral ausleuchten.

Ein Raum, den wir nicht delegieren dürfen

Wenn soziale Medien spalten, Parlamente überfordert wirken und Märkte Prioritäten diktieren, braucht es gemeinwohlorientierte Verwaltungen, die zugleich Halt geben und lernfähig bleiben. Dieses Zusammenspiel aus Stabilität und Anpassungsfähigkeit entsteht nicht von selbst; es lebt von Menschen, die demokratische Strukturen sorgsam pflegen und mutig weiterentwickeln.

Das Creative Bureaucracy Festival öffnet dafür Türen – und kann diesen Kulturraum weiter ausbauen, wenn wir ihn nicht als Ausnahmeerscheinung, sondern als unverzichtbare Infrastruktur unserer Demokratie behandeln.

Autorin: Caroline Paulick-Thiel ist Direktorin bei Politics for Tomorrow.

Verwaltungsinnovation entscheidet mit über die Zukunftsfähigkeit unseres Landes: über eine leistungsfähigere Verwaltung, eine resilientere Wirtschaft und ein besseres Leben für alle Bürgerinnen und Bürger. In diesem Table.Forum diskutieren Fachleute aus Verwaltung, Wissenschaft und Politik, wie der öffentliche Sektor effizienter, bürgernäher und vertrauensstiftender gestaltet werden kann – strategisch, pragmatisch und im richtigen Tempo.

Unser Partner: Das Creative Bureaucracy Festival ist eine internationale Plattform für Verwaltungspioniere und wird von der Falling Walls Foundation gemeinsam mit PD – Berater der öffentlichen Hand ausgerichtet. Jedes Jahr bringt es rund 2.000 Teilnehmende aus der öffentlichen Verwaltung zusammen und zeigt, wie innovative Projekte echten gesellschaftlichen Mehrwert schaffen.

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