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Der Weg zur europäischen Datengesellschaft: Wie Europa seine Digital-Decade-Ziele erreicht

Axel Voss

Europa steht vor der Frage, wie wir es schaffen können, auf europäischer Ebene endlich den „Dreh zu bekommen“, um in der digitalen Welt ein echter Player zu werden. Oft hat man das Gefühl, wir seien so abhängig von den USA, dass es gar nicht mehr anders geht. Dabei muss man konstatieren: Wir haben in Europa alles, was wir brauchen. Wir könnten vieles auf den Weg bringen – wenn der politische Wille und politische Führung vorhanden wären. Genau daran zweifle ich zunehmend.

Die Europäische Digitale Dekade soll eigentlich unser Fahrplan sein. Aber man muss sich fragen, ob er ambitioniert genug ist. Natürlich wäre es schon ein Fortschritt, wenn wir die gesetzten Hauptziele überhaupt erreichten: digitale Kompetenzen für Bürgerinnen und Bürger, eine sichere und leistungsfähige digitale Infrastruktur, den digitalen Wandel der Unternehmen und die Digitalisierung der öffentlichen Dienste. Doch all das muss parallel funktionieren – und genau das ist in einem föderalen System schwierig. Bestimmte Strukturen passen schlicht nicht mehr zur digitalen Logik. Je zentraler Entscheidungen und Daten fallen, desto besser wäre es. Diese Erkenntnis setzt sich aber nicht schnell genug durch.

Europa befindet sich inzwischen in einer Defensivposition. Wir müssen uns darauf konzentrieren, was wir wirklich wollen: Souveränität, Kompetenz und Wahrnehmung im digitalen Bereich. Aber haben wir dafür überhaupt die Grundvoraussetzungen? Leistungsfähige Infrastruktur, Cybersicherheit und vor allem: Geld. Gleichzeitig brauchen wir Prioritäten, entlang klarer inhaltlicher Linien – etwa Biotechnologie, Robotik, humanoide Robotik, Green Tech oder Smart Farming. In einigen Bereichen, wie dem Quantum Computing, sind wir bereits gut. Aber wir müssen Wissenschaft und Wirtschaft enger zusammenbringen, um daraus Geschäftsmodelle zu entwickeln. Mut und Risikobereitschaft erkenne ich derzeit kaum.

Hinzu kommt ein zentrales strukturelles Problem: Es fehlt an politischer Führung. In Frankreich, in Deutschland, aber auch in der Europäischen Kommission. Die demokratischen Strukturen sind so behäbig, dass sie nicht darauf ausgelegt sind, technologische Veränderungen innerhalb von wenigen Monaten zu umrahmen. Die DSGVO hat fünf Jahre gedauert, der AI Act über drei Jahre – und am Ende hat sich das Problem oft längst weiterentwickelt. Die politische Fragmentierung verschärft das zusätzlich.

Aktuell beschäftigen wir uns im Europäischen Parlament mit dem digitalen Omnibus, der verschiedene Gesetzesakte zusammenführen soll. Doch unsere Struktur ist dafür nicht geeignet. Ausschusskämpfe, Zuweisungen, Zuständigkeitsdebatten – es dauert alles zu lange. Dabei bräuchten wir endlich ein Gesamtbild, eine strategische Linie, und eine Kommission, die „top-down“ managt.

Besorgt bin ich auch über die Rolle großer Sprachmodelle wie ChatGPT, Gemini oder Lama. Diese Modelle dringen tief in Unternehmen ein und entwickeln Gestaltungsmacht. Kombiniert mit einer politischen Führung in den USA, die nicht wertebezogen agiert, entsteht der Eindruck, dass es um Dominanz, Einfluss und Macht geht. Das hat Auswirkungen auf Presse, Meinungsvielfalt und Informationsflüsse. Umso wichtiger ist es, mehr „Buy European“ oder „Use European“ zu denken – wir haben Rechenzentren, Software, Rechenpower vor Ort.

Beim Datenschutz würde ich gerne weg vom Verbot mit Erlaubnisvorbehalt kommen und stärker über Privatsphärenschutz statt über Daten im engeren Sinne sprechen. Das wird politisch schwierig, aber wir könnten bereits jetzt ansetzen: einheitliche Auslegung europäischer Regeln in allen Mitgliedstaaten und ein risikobasierter Ansatz, der große Plattformen stärker adressiert als kleine Vereine oder Handwerker. Es macht keinen Sinn mehr, alle über einen Kamm zu scheren.

Auch beim AI-Act braucht es Pragmatismus. Ich wäre dafür, den Rechtsakt laufen zu lassen, aber die Sanktionen auszusetzen – damit wir anhand realer Use Cases über zwei bis drei Jahre herausfinden, wo genau die Linie zwischen „gut“ und „böse“ verläuft und Rechtsklarheit schaffen, statt Unternehmen im Dunkeln tappen zu lassen.

Schließlich müssen wir beim Urheberrecht einen Ausgleich finden. Ein hundertprozentiger Urheberrechtsansatz funktioniert nicht. Entwickler brauchen maschinenlesbare, praktikable Lizenzierungswege. Denn in Large Language Models lassen sich Urheberrechte, Persönlichkeitsrechte oder Diskriminierungsrechte derzeit weder sauber erkennen noch rechtlich durchsetzen. Auch das müssen wir lösen.

Autor: Axel Voss ist Mitglied des Europäischen Parlaments und gehört dem Rechtsausschuss an. Zudem ist er stellvertretendes Mitglied im Binnenmarktausschuss und rechtspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion. Schwerpunkt seiner parlamentarischen Arbeit ist die Digitalpolitik. 

Dieser Beitrag basiert auf seinem Impuls beim High-Level-Round-Table des Table.Forum Datengesellschaft am 27. November 2025.

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