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Erscheinungsdatum: 17. Juli 2025

Warum Europa auch im Zahlungsverkehr souverän werden muss

Miriam Wohlfarth
Miriam Wohlfarth ist Expertin für Digitalwirtschaft. (Helena Heilig)

Beim Bezahlen mit Paypal oder Apple Pay kümmert es die Wenigsten, dass internationale Anbieter dahinter stecken. Ein europäisches Zahlungssystem würde mehr Kontrolle über sensible Daten und Marktbedingungen bringen, fordert die FinTech-Expertin Miriam Wohlfarth.

Ich bezahle gerne mit Visa, Amex, Paypal oder Apple Pay – es funktioniert, ist bequem und weltweit akzeptiert. Doch was viele nicht wissen: Hinter Paypal oder Apple Pay steckt fast immer eine klassische Kreditkarte. Die meisten Menschen machen sich darüber keine Gedanken. Sie sehen nur die Oberfläche, nicht das System dahinter.

Der Großteil unserer digitalen Transaktionen läuft über Systeme, die außerhalb europäischer Kontrolle liegen. Die Nutzung ist für Verbraucher:innen bequem, schnell, reibungslos und vertraut. Doch hinter dieser Oberfläche steckt eine strukturelle Schwäche: Die Steuerung liegt fast komplett bei außereuropäischen Anbietern.

Das müssen wir ändern. Denn wer die Infrastruktur des Zahlungsverkehrs bereitstellt – also Netzwerke, Plattformen und Schnittstellen –, kontrolliert auch die Geldströme, Daten, Geschäftsmodelle und Marktzugänge. Diese Tatsache wird in Europa und in Deutschland bislang kaum diskutiert.

Die Schweiz macht es vor. Dort ist TWINT mit Abstand das meistgenutzte mobile Zahlungssystem – obwohl Kreditkarten überall akzeptiert werden. Über die Hälfte der Bevölkerung nutzt TWINT regelmäßig. Laut BrandAsset Valuator 2025 ist es sogar die stärkste Marke des Landes, vor Migros, Google oder Nivea. Apple Pay spielt dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Warum? Weil sich die Banken in der Schweiz auf eine gemeinsame Lösung verständigt haben. Eine koordinierte Entscheidung – in Deutschland oder der EU derzeit schwer vorstellbar.

Ohne institutionelle Zusammenarbeit bleibt jede Initiative auf halber Strecke stehen. TWINT basiert auf einem direkten Konto-zu-Konto-Modell über das Schweizer SIC-Zahlungssystem, das von der Schweizerischen Nationalbank kontrolliert wird, unabhängig von internationalen Kartennetzwerken.

Auch Schweden zeigt mit Swish, wie stark nationale Lösungen sein können. Und zwar, wenn Banken, Regulatoren und Nutzer:innen konsequent zusammenarbeiten. Swish wurde von den größten schwedischen Banken gemeinsam aufgebaut und ist heute im ganzen Land tief im Alltag verankert – vom P2P-Transfer bis hin zum stationären Handel. Die technische Infrastruktur dahinter ist das Echtzeit-Zahlungssystem „BiR“ der schwedischen Notenbank in Kombination mit der nationalen BankID zur Identifikation. Es zeigt: Es braucht keine internationalen Plattformkonzerne, um Vertrauen, Reichweite und Nutzung zu schaffen – sondern konsequente Zusammenarbeit.

Europa hat die Infrastruktur – aber keinen gemeinsamen Willen. SEPA, SEPA Instant, der digitale Euro, EUDI, eine aktive FinTech-Szene – all das ist längst vorhanden. Mit Wero gibt es sogar eine echte europäische Payment-Anwendung. Doch die European Payments Initiative kommt kaum voran. Banken agieren zögerlich, Regierungen priorisieren andere Themen, und die öffentliche Aufmerksamkeit ist gering.

Solange jede Bank und jeder Mitgliedstaat isoliert handelt, wird Wero nicht skalieren. Was fehlt, ist eine europäische Perspektive – und eine Lösung, die im Alltag funktioniert. Sie muss mindestens so nutzerfreundlich sein wie Apple Pay. Denn Bequemlichkeit entscheidet darüber, was genutzt wird – nicht Herkunft oder Absicht.

Zahlungssysteme sind nicht neutral. Wer sie betreibt, hat Zugriff auf sensible Daten, steuert Geschäftsmodelle und gestaltet Marktbedingungen. Solange Europa hier keine eigene Lösung entwickelt, bleibt es in einem zentralen Bereich seiner digitalen Wirtschaft extrem abhängig.

Diese Infrastruktur entscheidet mit über wirtschaftliche Eigenständigkeit. Zahlungsverkehr ist nicht einfach Technik – er ist Teil unserer Handlungsfähigkeit in einer zunehmend digitalen Welt.

Was jetzt passieren muss:

  • Ein europäisches Zahlungssystem, das einfach zu bedienen, interoperabel und skalierbar ist

  • Politischer Rückhalt und Push – nicht als Konzept, sondern als konkreter Hebel

  • Schluss mit nationalen Alleingängen – es braucht Zusammenarbeit auf Augenhöhe

  • Nutzerfreundlichkeit auf Top-Niveau – sonst wird es im Alltag keine Rolle spielen.

Die Schweiz und Schweden machen vor, was möglich ist, wenn alle zusammenarbeiten. Europa braucht auch im Zahlungsverkehr mehr Souveränität. Nicht irgendwann – sondern jetzt.

Miriam Wohlfarth ist Geschäftsführerin und Gründerin der Unternehmens Ratepay für Zahlungsmethoden und Banxware für Lending-Methoden. Sie ist eine der ersten FinTech-Gründerinnen in Deutschland und war unter anderem Mitglied im Bitkom-Präsidium.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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