
Die EU-Landwirtschaftsminister treffen sich am kommenden Dienstag in Brüssel. Eines der Hauptgerichte werden Gespräche mit dem ukrainischen Landwirtschaftsminister sein, der an dem Treffen teilnehmen wird. Auch auf dem Menü: Der portugiesische Landwirtschaftsminister wird über die Dürre in seinem Land und die Auswirkungen auf den nationalen Agrarsektor sprechen.
Eine Besonderheit der Agrarbranche ist, dass sie Opfer und Lösung des Klimawandels zugleich ist. Dieses Paradoxon nährt die politischen Spannungen um den landwirtschaftlichen Teil des Fit-for-55-Pakets. Denn es ist eine Tatsache: Die globale Erwärmung und die dadurch verursachten wiederkehrenden Dürren machen die Verwundbarkeit des landwirtschaftlichen Systems deutlich.
Der Sektor ist auch deswegen so anfällig, weil ihm der ökologische Wandel bislang nicht gelungen ist – sei es durch die Reduzierung der Treibhausgasemissionen oder die Senkung der Abhängigkeit von Pestiziden. Im Gegensatz zum Energiesektor hat er sich noch nicht strukturell auf einen kohlenstoffarmen Pfad begeben und den Übergang noch vor sich.
Wie dieser Übergang gelingen kann, ist Gegenstand erbitterter Auseinandersetzungen in Brüssel. Die von der Europäischen Kommission vorgelegten Vorschläge zur Wiederherstellung der Natur und zur Reduzierung von Pestiziden wurden diese Woche von den parlamentarischen Ausschüssen AGRI und PECH abgelehnt.
Persönlicher Bezug zur Landwirtschaft
Die Ablehnung durch den AGRI-Ausschuss hat in den ansonsten gedämpften Korridoren der Rue Wiertz so viel Aufsehen erregt, weil dieses Gremium auf dem politischen Schachbrett Europas ein ganz besonderes Gewicht hat. „Alle haben Angst vor den Landwirten“, sagt eine dem Europäischen Parlament nahestehende Quelle.
In den Debatten zwischen dem Leiter des Green Deal, Frans Timmermans, und dem Ausschuss betonten viele der Parlamentarier, dass sie selbst Landwirte seien oder aus landwirtschaftlichen Familien stammten. Ihre Biografien verleihen ihnen eine besondere Färbung: Könnte man sich vorstellen, dass die Europaabgeordneten im ITRE-Ausschuss, der für Energiefragen zuständig ist, darauf verweisen, dass sie Elektriker sind oder aus Familien stammen, die mit dem Energiesektor zu tun haben?
Schadet sich AGRI selbst?
Während das politische Gewicht des AGRI-Ausschusses unbestritten ist, wirft sein Verhalten Fragen auf: Hat sich das Gremium möglicherweise selbst ins Knie geschossen, als es Timmermans mit Verve vertretenen Vorschlag ablehnte? Denn wenn die Gesetzgeber gegen einen Vorschlag stimmen, verlieren sie die Möglichkeit, die Debatte durch eigene Änderungsanträge und durch die Beteiligung an der Ausarbeitung des Gesetzes zu beeinflussen.
So weisen andere Parlamentarier darauf hin, dass sie den Vorschlag der Kommission zwar nicht befürworten, aber ausreichend Möglichkeiten für Änderungen sehen. Aus diesem Grund haben sie gegen die Ablehnung gestimmt: um sich ihren Handlungsspielraum zu sichern.
Renew als entscheidende Partei
Die Ablehnung durch die beiden Parlamentsausschüsse führt dazu, dass dem ENVI-Ausschuss eine besondere Bedeutung zukommt – ebenso wie seinem Vorsitzenden, dem Franzosen Pascal Canfin. Der war mal Mitglied der Grünen, ist mittlerweile aber zu Renew gewechselt. Das ist jene Fraktion, zu der bekanntlich auch die Partei Emmanuel Macrons gehört.
Der französische Präsident ist kürzlich mit seiner Forderung nach einer „Regulierungspause“ im Bereich Klimaschutz aufgefallen. Diese Pause soll sowohl für die Industrie als auch für die Landwirtschaft gelten, da dieser Sektor für die französische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung ist.
Der ENVI-Ausschuss wird am 15. Juni über die Texte abstimmen. Und für die Parlamentarier der anderen Fraktionen besteht die Frage darin, ob die Renew-Fraktion eine einheitliche Position einnehmen wird oder nicht. Vor der Presse in Brüssel räumte Pascal Canfin „interne Diskussionen“ über das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur ein.