eigentlich sollte unser Boden CO₂ speichern, mehr noch als der Wald. Doch inzwischen gibt der Boden – auch in Deutschland – mehr Treibhausgas ab, als er speichert. 70 Prozent der Böden in der EU sind in schlechtem Zustand, hat die EU-Kommission ermittelt. Darum will sie den Boden gesetzlich besser schützen. Daran ist sie schon einmal gescheitert, wagt aber jetzt einen neuen Anlauf. Die Bauern halten das für keine gute Idee, sie wollen das Problem lieber lokal lösen, wie mein Kollege Timo Landenberger herausgefunden hat.
Für keine gute Idee hielten es auch die Beobachter in vielen Nachbarländern, als die Italiener Georgia Meloni zur ersten Ministerpräsidentin ihres Landes wählten. Die Befürchtungen waren groß. Was war von einer postfaschistischen Politikerin und ihrer Partei Fratelli d’Italia zu erwarten? Mit der EU jedenfalls hat sie sich nicht angelegt. Im Gegenteil, eine richtungslose EVP im Parlament könnte Unterstützung bei Meloni suchen. Das meint jedenfalls Giovanni Orsina, Direktor der School of Government an der Universität Luiss-Guido Carli in Rom, mit dem Isabel Cuesta unter anderem gesprochen hat, um Melonis derzeitige Perspektiven zu analysieren.
Eine streitbare Perspektive nimmt auch das Bundespresseamt ein. Es möchte die Wählerinnen und Wähler dort erreichen, wo sie sich aufhalten – nämlich bei Facebook. Dass Facebook in Sachen Cookies die EU-Regeln womöglich nicht einhält, das sei nicht Sache des Presseamtes, findet dieses. Das sieht der Bundesdatenschutzbeauftragte anders und hat dem Amt den Betrieb der Seite untersagt. Klären wird das nun das Verwaltungsgericht Köln.
Die Chancen stehen gut, dass die Verteidigungsminister der EU am heutigen Montag das zwei Milliarden Euro schwere Beschaffungsprogramm für Artilleriemunition verabschieden können. Die EU-Botschafter hätten eine Grundlage für eine politische Einigung gefunden, zeigten Diplomaten sich am Sonntagabend zuversichtlich.
Währenddessen reist Chinas Präsident Xi Jinping diese Woche nach Russland, das erste Mal seit Beginn des Ukraine-Kriegs. Der ehemalige Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, rechnet damit, dass Xi und Putin dort Einigkeit zeigen werden. Auch Europa sollte Einigkeit zeigen – meint Ischinger.
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Woche,
In einem offenen Brief an die Europäische Kommission fordert die Soil Health Coalition ein ehrgeiziges EU-Gesetz zum Schutz der Bodengesundheit. Effektiver Bodenschutz sei die Grundvoraussetzung für erfolgreichen Klimaschutz, die Wiederherstellung der Natur und Artenvielfalt, eine gute Wasserversorgung sowie die Ernährungssicherung, heißt es in dem Schreiben.
Zu dem Bündnis gehören mehr als 250 Vertreter der Wirtschaft, Wissenschaft und der Zivilgesellschaft, darunter der Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), der Naturschutzbund (NABU) und das Europäische Umweltbüro sowie Nahrungsmittelkonzerne wie Nestlé oder Unilever.
Die konkreten Forderungen lauten:
“Ein ambitioniertes EU-Bodenschutzgesetz ist nicht nur ökologisch notwendig, sondern auch ökonomisch sinnvoll”, erklärt NABU-Experte Simon Krämer. Überwachung und der Schutz der Bodengesundheit würden immer günstiger, während die rapide Verschlechterung des Zustands immer höhere Kosten für Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft verursache.
So stellen die Böden beispielsweise den größten CO₂-Speicher an Land dar, noch vor den Wäldern. Nach Berechnungen des NABU entzieht eine Tonne neu gebildeter Humus der Atmosphäre rund 1,8 Tonnen CO₂. “Doch selbst in Deutschland, wo wir im Verhältnis nach wie vor sehr gute Böden haben, werden diese immer mehr vom Speicher zu Emittenten und verlieren im Schnitt 0,19 Tonnen CO₂ pro Hektar und Jahr”, sagt Krämer. In anderen Ländern, darunter Frankreich, sehe es noch deutlich schlechter aus.
Besonders problematisch: das Wassermanagement. Tatsächlich nimmt die mittlere jährliche Niederschlagsmenge in Deutschland seit Jahrzehnten zu. Gleichzeitig sind die Grundwasserpegel auf besorgniserregenden Tiefständen. In der Landwirtschaft muss mit großflächigen Bewässerungsanlagen nachgeholfen werden und Trinkwasserversorger schlagen Alarm.
Wie passt das zusammen? “Wir haben zwar insgesamt nicht weniger Niederschlag, aber es regnet seltener und dafür stärker”, beschreibt Krämer die Lage. Die zunehmend hydrophoben Böden seien jedoch immer weniger in der Lage, diese Regenfälle zu verarbeiten. Es fehle an Wurzelwerk, an organischem Material, an Leben, das die Erde auflockert. “Die Böden sind wie zugeschweißt. Biologisch tot.”
Die Folge: Überschwemmungen, Erosion, Rückgang der Bodenfruchtbarkeit und damit der Ernteerträge bis hin zur Wüstenbildung. “Noch haben wir in Deutschland in vielen Regionen diesen Tipping-Point nicht erreicht und können durch maximale Düngung Ernterekorde einfahren”, sagt Krämer. Deshalb sei die Sensibilität für das Problem unter den Landwirten noch nicht sehr ausgeprägt. Anders in den USA, wo die Dürre bereits stärker fortgeschritten sei und mit ihr die Transformation der Landwirtschaft.
In der EU-Kommission ist man sich des Problems bewusst. 70 Prozent der Böden in der EU seien in schlechtem Zustand. Grund dafür seien nicht nachhaltige Bewirtschaftung, Übernutzung und Überdüngung, teilt die Brüsseler Behörde mit. In ihrer Bodenstrategie vom November 2021 hat die Kommission ein entsprechendes Gesetz angekündigt, das sie im Juni vorstellen will.
Die Strategie sieht vor, die Bodenverschmutzung bis 2050 so weit zu verringern, dass für Mensch und Umwelt keine Gefahr mehr besteht und möglichst viele natürliche Bodenfunktionen erfüllt werden können. Zu den Zielen der Kommission gehört auch, den Einsatz von Düngemitteln um mindestens 20 Prozent zu reduzieren.
Die Bundesregierung begrüßt die Initiative. Die nationalen Regelungen, auch das bestehende Schutzniveau in Deutschland, seien nicht ausreichend, teilt das Umweltministerium mit. Den zunehmenden Herausforderungen, etwa durch den Klimawandel, könne nur staatenübergreifend begegnet werden. Ein harmonisiertes Vorgehen sei außerdem im Koalitionsvertrag vereinbart worden. Das könne “beispielsweise helfen, die Erzeugung von landwirtschaftlichen Produkten in Deutschland vor Wettbewerbsverzerrungen durch ungleiche Schutzniveaus zu schützen”, erklärt das BMUV.
“Die Landwirtschaft braucht keine EU-Bodenschutzrichtlinie. Ein zentrales Brüsseler Regelwerk dazu wäre sogar kontraproduktiv“, hält Udo Hämmerling, stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands (DBV) dagegen. “Die konkrete Entscheidung über die Bewirtschaftung der Äcker und Wiesen kann nur standortbezogen vom Landwirt getroffen werden, nicht zentral in Brüsseler oder Berliner Behörden.” Landwirte hätten schließlich ein unmittelbares Eigeninteresse, die Fruchtbarkeit der Böden zu erhalten und zu verbessern. Dabei sei jeder Acker verschieden, was durch zentralisierte Regelungen missachtet würde.
Tatsächlich unternahm die Europäische Union bereits in den Jahren 2008 bis 2014 den Versuch, ein EU-Gesetz zum Bodenschutz einzuführen – und scheiterte vor allem am Subsidiaritätsprinzip. Auch deshalb will die Kommission eine genaue Prüfung vornehmen, das Gesetz als Richtlinie ausgestalten und “dafür sorgen, dass nationale und regionale Lösungen angewandt werden können, wenn dies sinnvoller ist.”
Giorgia Meloni hat sich in den ersten fünf Monaten ihrer Amtszeit als gemäßigte und verantwortungsbewusste Regierungschefin in nationalen und internationalen Fragen gezeigt. Und da sie derzeit keine ernsthaften Rivalen innerhalb oder außerhalb ihrer Koalitionsregierung fürchten muss, kann sie sogar zur Stabilität Italiens beitragen. Ein mögliches Bündnis mit der Europäischen Volkspartei (EVP) von Manfred Weber könnte der italienischen Ministerpräsidentin bei den Europawahlen 2024 außerdem eine relevante Position in Europa sichern.
Das Phänomen Meloni lässt sich aus mehreren Perspektiven erklären. Sie hat davon profitiert, dass eine politikverdrossene Gesellschaft nun Antworten bei einer rechten Partei wie der Fratelli d’Italia (FdI) sucht. Meloni hat die Partei modernisiert und auf einen pro-europäischen und atlantischen Diskurs ausgerichtet. In den jüngsten Umfragen hat Fratelli D’Italia mit einem Anteil von 30 Prozent ihre Position als stärkste Kraft im Land gefestigt. Ihre Koalitionspartner, Berlusconis Forza Italia (FI) und Matteo Salvinis Lega, erreichten dagegen zusammen nur 16 Prozent.
“Die Krise des Berlusconismus ist gereift und abgeschlossen“, erklärt Giovanni Orsina, Direktor der School of Government an der Universität Luiss-Guido Carli in Rom. “Die Fähigkeit Berlusconis, die rechte Koalition zu dominieren, geht zu Ende.” Zuerst sei da Salvini gewesen in den Jahren 2018 bis 2019 und jetzt Meloni. “Die historisch rechte Wählerschaft hat sich neu konstituiert”, sagt Orsina, “aber nicht um die Mitte-Rechts-Kraft von Berlusconi, sondern um die rechtsgerichteten Kräfte.” (Das vollständige Interview mit Giovanni Orsina lesen Sie hier.)
Doch ein Rückzug Berlusconis von der politischen Bühne würde Meloni nicht nützen, meint Orsina. “In dem Moment, in dem Berlusconi aus der Politik ausscheidet, würde bei Forza Italia Chaos herrschen. Meloni ist an Stabilität interessiert. Im Moment garantiert Berlusconi Stabilität.“
Für die Zukunft könnte Meloni versuchen, sich breiter aufzustellen und mehr ins Zentrum rücken. “Die Entscheidung, dieses ganze Spektrum zu bedienen, wie es Berlusconi getan hat, könnte Meloni jedoch schwächen. Denn sie müsste alle Positionen befriedigen”, sagt Luca Verzichelli, Vorsitzender der italienischen Vereinigung für Politikwissenschaft.
Die Opposition ist zersplittert: Matteo Renzis und Mario Calendas zentristischer Terzo Polo kommt derzeit auf acht Prozent, die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und die Partito Democratico (PD) jeweils auf rund 17 Prozent. Die PD beginnt gerade, sich mit ihrer neuen Chefin Elly Schlein neu auszurichten.
Die Tatsache, dass es derzeit keine ernsthaften Konkurrenten zu Meloni gibt, zeigt paradoxerweise sowohl eine Krise der Demokratie als auch eine Chance. “Es gibt im Moment keine Alternative zu Meloni und es wird auch keine geben, zumindest nicht bis zu den Wahlen 2024″, meint Orsina. “Meloni könnte mit substanziellen politischen Initiativen antreten, anstatt sich in der Tagespolitik zu verlieren.”
Der Professor für Zeitgeschichte betont, dass die Demokratie zwar durch das Fehlen von Alternativen zu Meloni geschwächt sein möge, dass es aber zumindest eine Regierung gibt, die ein klares Wahlmandat erhalten hat. Dies ist ein nicht unerheblicher Fortschritt im Vergleich zu vor einem Jahr.
Im Durchschnitt wird in Italien alle 13 Monate eine neue Regierung gebildet. “Melonis Regierung hat gute Chancen, bis zum Ende der Legislaturperiode zu bestehen – vorausgesetzt, es kommt nicht zu unvorhersehbaren Wendungen. Was in Italien immer möglich ist”, sagt Verzichelli.
Zudem haben sich die Befürchtungen über Meloni und die Herkunft ihrer Partei aus dem postfaschistischen Spektrum bisher als weitgehend unbegründet erwiesen. “Ideologisch hat Meloni heute mit dem Faschismus überhaupt nichts zu tun”, sagt Orsina. Dies ändere jedoch nichts an der Tatsache, dass die FdI eine andere Vorstellung von Europa habe, erklärt Verzichelli. “Aber das ist zum einen Demokratie und Meinungsvielfalt, und zum anderen weiß die Partei genau, dass Italien innerhalb der EU gut funktioniert.”
Meloni zeigt in der Zusammenarbeit auf EU-Ebene politische Verantwortung und eine pro-europäische Haltung. Sowohl wirtschaftlich, indem sie der Linie von Draghi folgt, als auch in ihrer Solidarität mit der Ukraine.
Das gute Verhältnis zwischen Meloni und Weber ist offenkundig. Es bleibt abzuwarten, ob sich ein Bündnis zwischen der EVP und der FdI für die EU-Wahlen 2024 formieren wird – oder danach. Trotz Berlusconis Fehltritten mit seinen Äußerungen zur Ukraine beharrt Weber auf seiner Unterstützung für Forza Italia.
“Die EVP steht nun vor der Frage, welche Partei sie sein will: Will sie eine Mitte-Rechts-Kraft sein, die den Dialog mit den Konservativen eröffnet? Oder will sie eine Kraft der Mitte sein, die sich mit den Liberalen und Sozialdemokraten verbündet? Dies ist ein politischer Kampf innerhalb der EVP“, analysiert Orsina.
Die Frage ist also, ob es möglich sein wird, die “maggioranza Ursula” wiederherzustellen – so wird die Mehrheitskoalition im EU-Parlament zwischen der EVP, den Sozialdemokraten und den Liberalen in Italien genannt. Es gibt einen Teil der EVP, der in Meloni eine Verbündete sieht, die das Kräfteverhältnis im EU-Parlament ausgleichen kann.
Der erfahrene Diplomat und ehemalige Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, rechnet vor dem Treffen von Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin damit, dass beide Regierungschefs ihre “grenzenlose Partnerschaft” bekräftigen werden. Das sagte er in einem Interview mit Table.Media vor dem Treffen am Montag. (Das vollständige Interview lesen Sie hier.)
Angesichts des desolaten aktuellen Zustands der US-chinesischen Beziehungen könne er kaum einen Grund erkennen, warum sich “Xi in Moskau auch nur einen einzigen Millimeter wegbewegen sollte”. Er fürchte deshalb, dass es lediglich ein Replay dessen sein werde, was Xi und Putin schon im Februar vergangenen Jahres in Peking zelebriert haben.
Auch über Chinas Rolle mit Blick auf Europa äußerte er sich kritisch: “China betreibt eine immer ambitioniertere Außenpolitik. Manche sprechen von aggressiverer Außenpolitik.” China präsentiere sich als Champion des globalen Südens und als möglicher Mittler und denke vermutlich, dass es gar nicht so schlecht sei, wenn dieser Krieg noch ein Weilchen andauere. “Dieser Krieg bindet nämlich die USA in Europa”, erklärte Wolfgang Ischinger.
Aber er glaube auch, dass Chinas Reputation in Europa leide, wenn es nur als Partner des Aggressors Russland auftrete. Chinas europäische Beziehungen seien in Mitleidenschaft gezogen worden. “Da macht es Sinn, eine Position zu präsentieren, die so abstrakt formuliert ist, dass Russland nur abstrakt kritisiert und 90 Prozent des globalen Südens zustimmen können.”
Ischinger hält es für strategisch dringend notwendig, dass die Europäische Union sich insgesamt endlich zusammenraufe. “Wir müssen in der Chinapolitik mit einer Stimme sprechen – in Peking, aber auch in Washington”, mahnte der Diplomat. “Wir müssen weg davon kommen, deutsch-chinesisch zu agieren, portugiesisch-chinesisch oder französisch-chinesisch.” Aus der Sicht Pekings seien die Europäer nichts anderes als Kleinstaaten. Aus seiner Sicht sollte Europa mit Peking in einen vertieften Dialog über den kürzlich von Peking präsentierten zwölf Punkteplan eintreten.
Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (BPA) hat am Donnerstag gegen einen Bescheid des Bundesdatenschutzbeauftragten (BfDI) Ulrich Kelber Klage beim Verwaltungsgericht Köln erhoben. Der hatte der Behörde Ende Februar in einer Art Musterverfahren den Betrieb der Facebook-Seite “Bundesregierung” untersagt. Am Freitag teilte das BPA mit, zum Ablauf der Umsetzungsfrist den Gerichtsweg beschritten zu haben.
Hintergrund der Rechtsstreitigkeit ist die Frage, wer die Verantwortung trägt, wenn Facebook sich nicht an EU-Datenschutzrecht hält. Konkret geht es in dem Verfahren um Cookies, die im Rechtsrahmen der e-Privacy-Richtlinie beziehungsweise deren Umsetzung in deutsches Recht gesetzt werden. Die Cookies setzt Facebook sowohl bei registrierten Nutzern als auch bei solchen, die die Seite aufrufen, ohne mit Facebook in Verbindung zu stehen. Hier hatte es Facebook bislang nicht geschafft, die Mängel auszuräumen, die der BfDI festgestellt hat.
Zentral für die Frage, ob die Bundesregierung hierfür eine Mitverantwortung trägt, ist die sogenannte gemeinsame Verantwortlichkeit. Trifft den Betreiber einer Fanpage zusätzlich zum Anbieter die Pflicht, die Einhaltung von Datenschutzrecht zu garantieren?
Zweimal bereits hatte der Europäische Gerichtshof die gemeinsame Verantwortlichkeit bejaht (Urteile zu “Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein” und “FashionID”). Die Bundesregierung glaubt, dass der Fall ihrer Fanpage ganz anders gelagert sei. “Wir sind der Auffassung, dass allein Facebook für seine Datenverarbeitung datenschutzrechtlich verantwortlich ist und insoweit datenschutzrechtliche Fragen allein im Verhältnis zu Facebook zu klären sind”, erläuterte eine Sprecherin auf Anfrage.
Der BfDI wäre für ein reines Verfahren nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) nicht zuständig, sondern im ersten Schritt die umstrittene irische Datenschutzaufsichtsbehörde. Weil die ePrivacy-Verordnung der EU, die ursprünglich parallel zur DSGVO im Jahr 2018 wirksam werden sollte, immer noch aussteht, nutzt Kelber seine Zuständigkeit für die deutsche Umsetzung der Richtlinie. So macht das etwa auch die Datenschutzaufsicht CNIL in Frankreich regelmäßig.
Für das Presse- und Informationsamt, dem Regierungssprecher Steffen Hebestreit vorsteht, ist zentral, Bürger auf allen Wegen erreichen zu können. “Die Bundesregierung hat einen verfassungsrechtlich gebotenen Auftrag, die Bürgerinnen und Bürger über die Tätigkeit, Vorhaben und Ziele der Bundesregierung zu informieren”, erklärte die Sprecherin. “Um die Bürgerinnen und Bürger zu erreichen, müssen wir uns an deren tatsächlicher Mediennutzung orientieren.” Einen TikTok-Kanal betreibt das BPA trotz großer Nutzerzahlen allerdings nicht.
Sollte das Gericht dem Bundesdatenschutzbeauftragten recht geben, müsste das BPA die Seite abschalten. Dann würden mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Verfahren gegen andere Betreiber folgen. Eine Geldstrafe ist für Behörden bei Verstößen gegen das Datenschutzrecht nicht vorgesehen. Wahrscheinlich ist, dass das Verwaltungsgericht Köln Auslegungsfragen dem Europäischen Gerichtshof vorlegt.
Das Verfahren könnte allerdings auch auf einem anderen Wege ein Ende finden: Sollte die Angemessenheitsentscheidung der EU-Kommission für das EU-US-Data-Privacy-Framework rechtzeitig kommen und Facebook sich diesem unterwerfen, würde sich die Rechtslage massiv verändern. Die Bedenken der Datenschutzaufsichtsbehörden zum Vorschlag von EU-Justizkommissar Didier Reynders waren geringer als erwartet. Falk Steiner
Der Europäische Verbraucherverband (BEUC) erhofft sich von den für Mittwoch angekündigten Entwürfen für eine Green-Claims-Richtlinie und das Recht auf Reparatur einen wichtigen Beitrag für nachhaltigere Konsummodelle. “Viele Menschen wollen nachhaltiger konsumieren”, sagte Monique Goyens, Geschäftsführerin von BEUC. “Irreführende grüne Behauptungen und Greenwashing sowie fehlende Möglichkeiten, um Produkte zu reparieren, stellen dann jedoch frustrierende Hindernisse dar.”
Um Greenwashing zu bekämpfen und Verbrauchern verlässliche Informationen zu garantieren, will die EU-Kommission in ihrer Green Claims-Richtlinie Angaben über die Umweltfreundlichkeit von Produkten und Dienstleistungen regulieren. Die Angaben sowie Umwelt-Labels müssen laut einem geleakten Entwurf, über den Table.Media bereits berichtet hat, auf einer wissenschaftlich fundierten Methodik wie dem Umweltfußabdruck basieren. Die ebenfalls für Mittwoch angekündigte Richtlinie über den nachhaltigen Konsum von Waren soll das Recht der Verbraucher auf Reparatur stärken.
Mit Blick auf die Green-Claims-Richtlinie fordert BEUC, umweltbezogene Aussagen auf Produkten sollten auf der Grundlage gemeinsamer und transparenter Regeln auf EU-Ebene begründet und kommuniziert werden. Behauptungen über die Klimaneutralität von Produkten sollten ganz verboten werden, da sie laut dem Verbraucherverband wissenschaftlich unzutreffend sind und die Verbraucher in die Irre führen.
“Nachdem wir so lange auf das Recht auf Reparatur gewartet haben, erwarte ich von der Kommission einen ambitionierten und weitreichenden Gesetzesvorschlag“, sagte Anna Cavazzini (Grüne). Die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im Parlament fordert, die Gewährleistung von Produkten an deren erwartete Lebensdauer anzupassen, einen Reparaturindex einzuführen, den Zugang zu Ersatzteilen und Anleitungen zu vereinfachen und die Hersteller stärker in die Verantwortung zu nehmen.
Den Entwurf für das Recht auf Reparatur wollte die Kommission ursprünglich im vergangenen Juli vorlegen. Er wird nun übermorgen gemeinsam mit der Green Claims-Richtlinie als “Verbraucher-Paket” vorgestellt. leo
Nach zwölfstündigen Verhandlungen im nordmazedonischen Ohrid haben die Spitzenvertreter Serbiens und des Kosovos Fortschritte erzielt. “Wir haben einen Deal”, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am späten Samstagabend. “Wir haben eine Einigung darüber, wie es zu machen ist.” Borrell und der Balkan-Sondergesandte der EU, Miroslav Lajcak, hatten bei den Gesprächen zwischen dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und dem kosovarischen Ministerpräsidenten Albin Kurti vermittelt.
Bereits Ende Februar hatten die beiden Politiker in Brüssel einem von der EU vorgelegte Abkommen verbal zugestimmt, das die Beziehungen zwischen den beiden verfeindeten Balkanstaaten grundlegend regeln soll. Am Samstag einigten sie sich auf den Anhang des Abkommens, der dessen konkrete Umsetzung festlegt. Vučić weigerte sich jedoch am Ende wie schon in Brüssel, die Abmachungen zu unterschreiben.
Das neue Abkommen sieht vor, dass Belgrad das Kosovo zwar nicht völkerrechtlich anerkennt, aber die Eigenstaatlichkeit seiner ehemaligen Provinz zur Kenntnis nimmt. Insbesondere soll es die Reisepässe, Kfz-Kennzeichen und Zollpapiere des Kosovos anerkennen. Das Kosovo soll die Rechte der serbischen Volksgruppe im Land institutionell absichern.
Am Samstag verhandelten Vučić und Kurti über den Anhang zu dem Abkommen, das den ursprünglichen Plänen der EU-Vermittler zufolge konkrete Fristen für die Umsetzung der einzelnen Punkte hätte enthalten sollen. Das am Sonntagmorgen von der EU veröffentlichte Dokument beinhaltet jedoch kaum zeitliche Zusagen. So steht darin lediglich, dass die Seiten innerhalb von 30 Tagen einen Gemeinsamen Monitoring-Ausschuss bilden würden, der für die Überwachung des Abkommens zuständig sein wird.
Borrell räumte ein, dass die Vermittler “mit einem ambitiöseren und detaillierten Vorschlag für den Anhang” in die Verhandlungen gegangen seien. “Unglücklicherweise vermochten sich die Seiten nicht auf den detaillierten Vorschlag zu einigen”, sagte er. Das Kosovo hätte “Flexibilität in der Substanz” vermissen lassen, Serbien wiederum habe von Anfang an darauf bestanden, nichts unterschreiben zu wollen. dpa
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg haben auf der größten Bohrinsel der Erde den Stellenwert norwegischer Gaslieferungen für Europas Sicherheit betont. Begleitet von Norwegens Regierungschef Jonas Gahr Støre und in Sichtweite einer internationalen Nato-Flotte auf See besuchten die Spitzen von EU-Kommission und Nato am Freitag die norwegische Gasförderplattform Troll A in der Nordsee. Unter anderem ging es für Stoltenberg und von der Leyen per Fahrstuhl tief hinunter in den Schaft der riesigen Anlage – mehr als 300 Meter unter die Wasseroberfläche.
“Gasanlagen wie die Troll-Plattform sind für unsere Wirtschaft, unsere Industrie, aber auch für unsere Sicherheit von entscheidender Bedeutung“, sagte Stoltenberg. Russlands Präsident Wladimir Putin habe versucht, Energie im Krieg gegen die Ukraine als Waffe einzusetzen. Norwegisches Gas habe dabei geholfen, sicherzustellen, dass er damit scheitert.
Auch von der Leyen verwies auf die Bedeutung der norwegischen Lieferungen für die EU. Die Troll-Plattform symbolisiere, dass Norwegen seine Gasproduktion erhöht habe. “Das hat uns geholfen, Putins Erpressung zu widerstehen.” Norwegen habe seine Produktion von 78 auf 90 Milliarden Kubikmeter erhöht. “Putin hat die von ihm entfachte Energieschlacht eindeutig verloren, und seine Erpressung hat nicht funktioniert”, sagte von der Leyen. Im Gegenteil habe er damit erreicht, dass die EU nun viel stärker von Verbündeten wie Norwegen und den USA mit Energie versorgt werde. dpa
“Es gibt keinen dümmeren Spruch als ‘Der Markt regelt alles allein’“, findet Holger Lösch. Der 59-Jährige ist Vize-Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). “Die Ziele und den Rahmen muss die Politik setzen.” Ein gutes Beispiel sei der US-Inflation Reduction Act (IRA). Mit “pragmatischen Steuergutschriften” mache die Biden-Regierung die USA zu “einem der wettbewerbsfähigsten Orte der Welt für die Erzeugung von grünem Wasserstoff”, sagt Lösch. Deutschland und Europa bräuchten eine “wirksame Antwort” auf den IRA, so Lösch mit Blick auf die für den BDI enttäuschende Weiterentwicklung der Nationalen Wasserstoffstrategie.
Volldampf voraus also für Industriepolitik und Staatsdirigismus? Das will der Verbandsmensch Lösch dann allerdings auch nicht. Für den exakten Weg zur Umsetzung – etwa der Klimaneutralität – seien die Marktmechanismen klar überlegen. Einen Weg zeigt die BDI-Studie “Klimapfade 2.0” auf, die Lösch vor zwei Jahren betreut hat. Die zentralen Ergebnisse: Die Transformation zum klimaneutralen Industrieland ist möglich, die deutschen Ziele für 2030 und 2045 lassen sich “mit schnellem Handeln” einhalten.
Lösch arbeitet seit 2008 für den Industrieverband, der mit seinen Mitgliedern 100.000 deutsche Unternehmen vertritt. Als stellvertretender Hauptgeschäftsführer arbeiten ihm fünf Abteilungen mit zusammen rund 50 Mitarbeitern zu. Eine davon ist die Abteilung Energie- und Klimapolitik. Insofern sorgt sich Lösch gleichzeitig um anhaltend hohe Energiepreise und die drohende Klimakatastrophe: “Eine Plus-vier-Grad-Welt wäre sicher auch kein Paradies für Unternehmer.” Aus seiner Sicht verzettelt sich Europa allerdings zu sehr in detaillierter Regulierung, etwa dazu, welche Technologien zum Ziel führen.
Die Folge: “In der Umsetzung sind wir nicht an dem Punkt, wo wir sein wollen.” Ein Hebel, das zu ändern, sei die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. “Wenn wir drei Mal so viele Erneuerbare wollen wie aktuell, dann schaffen wir das im bestehenden System nicht.” Der US-amerikanische IRA könne als Vorbild dienen, wie man simpel – etwa durch Steuergutschriften – für mehr Geschwindigkeit sorgen könnte. Ein hochrangiger US-Beamter habe zu ihm mal über die Mentalitätsunterschiede zwischen US- und EU-Klimapolitik gesagt: “Ihr macht Dinge tiefgrün, wir machen Dinge, die Bargeld-grün sind.”
Der Spruch verfolgt ihn seitdem – und treffe zu, wenn man sich ansehe, wie ausgerechnet im republikanisch regierten Texas die Windräder aus dem Boden sprießen. Allerdings kritisiert er die Abschottungselemente, die im Subventionsprogramm der Amerikaner stecken: “Wir müssen ihnen klar sagen, wo knallharte Grenzen des Protektionismus sind, die für uns als Partner nicht tragbar sind.”
Eine andere Grenze in Löschs Leben sei nicht so hart, die zwischen beruflichen und privaten Interessen. Ähnlich wie in seinem ehemaligen Job als TV-Journalist beim BR könne er “seinen Themen” in der Regel kaum entkommen, wenn er abends auf der Couch die Tagesschau gucke.
Manchmal ärgere er sich auch darüber, wie Dinge diskutiert würden. Sein Beruf sei nun mal nicht nur ein Vehikel zum Geldverdienen. Der Versuch, Wirtschafts- und Klimafragen in Einklang zu bringen, sei eine gesellschaftliche Aufgabe, zu der er etwas beitragen wolle. Vor ein paar Tagen war er im Rotterdamer Hafen unterwegs und hat sich das Wasserstoffnetz angesehen, an dem dort gerade gebaut wird. Ein “super Tag”, der ihn wieder hoffnungsvoller gestimmt habe, dass Europa bald schneller vorankommt. Paul Meerkamp
eigentlich sollte unser Boden CO₂ speichern, mehr noch als der Wald. Doch inzwischen gibt der Boden – auch in Deutschland – mehr Treibhausgas ab, als er speichert. 70 Prozent der Böden in der EU sind in schlechtem Zustand, hat die EU-Kommission ermittelt. Darum will sie den Boden gesetzlich besser schützen. Daran ist sie schon einmal gescheitert, wagt aber jetzt einen neuen Anlauf. Die Bauern halten das für keine gute Idee, sie wollen das Problem lieber lokal lösen, wie mein Kollege Timo Landenberger herausgefunden hat.
Für keine gute Idee hielten es auch die Beobachter in vielen Nachbarländern, als die Italiener Georgia Meloni zur ersten Ministerpräsidentin ihres Landes wählten. Die Befürchtungen waren groß. Was war von einer postfaschistischen Politikerin und ihrer Partei Fratelli d’Italia zu erwarten? Mit der EU jedenfalls hat sie sich nicht angelegt. Im Gegenteil, eine richtungslose EVP im Parlament könnte Unterstützung bei Meloni suchen. Das meint jedenfalls Giovanni Orsina, Direktor der School of Government an der Universität Luiss-Guido Carli in Rom, mit dem Isabel Cuesta unter anderem gesprochen hat, um Melonis derzeitige Perspektiven zu analysieren.
Eine streitbare Perspektive nimmt auch das Bundespresseamt ein. Es möchte die Wählerinnen und Wähler dort erreichen, wo sie sich aufhalten – nämlich bei Facebook. Dass Facebook in Sachen Cookies die EU-Regeln womöglich nicht einhält, das sei nicht Sache des Presseamtes, findet dieses. Das sieht der Bundesdatenschutzbeauftragte anders und hat dem Amt den Betrieb der Seite untersagt. Klären wird das nun das Verwaltungsgericht Köln.
Die Chancen stehen gut, dass die Verteidigungsminister der EU am heutigen Montag das zwei Milliarden Euro schwere Beschaffungsprogramm für Artilleriemunition verabschieden können. Die EU-Botschafter hätten eine Grundlage für eine politische Einigung gefunden, zeigten Diplomaten sich am Sonntagabend zuversichtlich.
Währenddessen reist Chinas Präsident Xi Jinping diese Woche nach Russland, das erste Mal seit Beginn des Ukraine-Kriegs. Der ehemalige Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, rechnet damit, dass Xi und Putin dort Einigkeit zeigen werden. Auch Europa sollte Einigkeit zeigen – meint Ischinger.
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Woche,
In einem offenen Brief an die Europäische Kommission fordert die Soil Health Coalition ein ehrgeiziges EU-Gesetz zum Schutz der Bodengesundheit. Effektiver Bodenschutz sei die Grundvoraussetzung für erfolgreichen Klimaschutz, die Wiederherstellung der Natur und Artenvielfalt, eine gute Wasserversorgung sowie die Ernährungssicherung, heißt es in dem Schreiben.
Zu dem Bündnis gehören mehr als 250 Vertreter der Wirtschaft, Wissenschaft und der Zivilgesellschaft, darunter der Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), der Naturschutzbund (NABU) und das Europäische Umweltbüro sowie Nahrungsmittelkonzerne wie Nestlé oder Unilever.
Die konkreten Forderungen lauten:
“Ein ambitioniertes EU-Bodenschutzgesetz ist nicht nur ökologisch notwendig, sondern auch ökonomisch sinnvoll”, erklärt NABU-Experte Simon Krämer. Überwachung und der Schutz der Bodengesundheit würden immer günstiger, während die rapide Verschlechterung des Zustands immer höhere Kosten für Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft verursache.
So stellen die Böden beispielsweise den größten CO₂-Speicher an Land dar, noch vor den Wäldern. Nach Berechnungen des NABU entzieht eine Tonne neu gebildeter Humus der Atmosphäre rund 1,8 Tonnen CO₂. “Doch selbst in Deutschland, wo wir im Verhältnis nach wie vor sehr gute Böden haben, werden diese immer mehr vom Speicher zu Emittenten und verlieren im Schnitt 0,19 Tonnen CO₂ pro Hektar und Jahr”, sagt Krämer. In anderen Ländern, darunter Frankreich, sehe es noch deutlich schlechter aus.
Besonders problematisch: das Wassermanagement. Tatsächlich nimmt die mittlere jährliche Niederschlagsmenge in Deutschland seit Jahrzehnten zu. Gleichzeitig sind die Grundwasserpegel auf besorgniserregenden Tiefständen. In der Landwirtschaft muss mit großflächigen Bewässerungsanlagen nachgeholfen werden und Trinkwasserversorger schlagen Alarm.
Wie passt das zusammen? “Wir haben zwar insgesamt nicht weniger Niederschlag, aber es regnet seltener und dafür stärker”, beschreibt Krämer die Lage. Die zunehmend hydrophoben Böden seien jedoch immer weniger in der Lage, diese Regenfälle zu verarbeiten. Es fehle an Wurzelwerk, an organischem Material, an Leben, das die Erde auflockert. “Die Böden sind wie zugeschweißt. Biologisch tot.”
Die Folge: Überschwemmungen, Erosion, Rückgang der Bodenfruchtbarkeit und damit der Ernteerträge bis hin zur Wüstenbildung. “Noch haben wir in Deutschland in vielen Regionen diesen Tipping-Point nicht erreicht und können durch maximale Düngung Ernterekorde einfahren”, sagt Krämer. Deshalb sei die Sensibilität für das Problem unter den Landwirten noch nicht sehr ausgeprägt. Anders in den USA, wo die Dürre bereits stärker fortgeschritten sei und mit ihr die Transformation der Landwirtschaft.
In der EU-Kommission ist man sich des Problems bewusst. 70 Prozent der Böden in der EU seien in schlechtem Zustand. Grund dafür seien nicht nachhaltige Bewirtschaftung, Übernutzung und Überdüngung, teilt die Brüsseler Behörde mit. In ihrer Bodenstrategie vom November 2021 hat die Kommission ein entsprechendes Gesetz angekündigt, das sie im Juni vorstellen will.
Die Strategie sieht vor, die Bodenverschmutzung bis 2050 so weit zu verringern, dass für Mensch und Umwelt keine Gefahr mehr besteht und möglichst viele natürliche Bodenfunktionen erfüllt werden können. Zu den Zielen der Kommission gehört auch, den Einsatz von Düngemitteln um mindestens 20 Prozent zu reduzieren.
Die Bundesregierung begrüßt die Initiative. Die nationalen Regelungen, auch das bestehende Schutzniveau in Deutschland, seien nicht ausreichend, teilt das Umweltministerium mit. Den zunehmenden Herausforderungen, etwa durch den Klimawandel, könne nur staatenübergreifend begegnet werden. Ein harmonisiertes Vorgehen sei außerdem im Koalitionsvertrag vereinbart worden. Das könne “beispielsweise helfen, die Erzeugung von landwirtschaftlichen Produkten in Deutschland vor Wettbewerbsverzerrungen durch ungleiche Schutzniveaus zu schützen”, erklärt das BMUV.
“Die Landwirtschaft braucht keine EU-Bodenschutzrichtlinie. Ein zentrales Brüsseler Regelwerk dazu wäre sogar kontraproduktiv“, hält Udo Hämmerling, stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands (DBV) dagegen. “Die konkrete Entscheidung über die Bewirtschaftung der Äcker und Wiesen kann nur standortbezogen vom Landwirt getroffen werden, nicht zentral in Brüsseler oder Berliner Behörden.” Landwirte hätten schließlich ein unmittelbares Eigeninteresse, die Fruchtbarkeit der Böden zu erhalten und zu verbessern. Dabei sei jeder Acker verschieden, was durch zentralisierte Regelungen missachtet würde.
Tatsächlich unternahm die Europäische Union bereits in den Jahren 2008 bis 2014 den Versuch, ein EU-Gesetz zum Bodenschutz einzuführen – und scheiterte vor allem am Subsidiaritätsprinzip. Auch deshalb will die Kommission eine genaue Prüfung vornehmen, das Gesetz als Richtlinie ausgestalten und “dafür sorgen, dass nationale und regionale Lösungen angewandt werden können, wenn dies sinnvoller ist.”
Giorgia Meloni hat sich in den ersten fünf Monaten ihrer Amtszeit als gemäßigte und verantwortungsbewusste Regierungschefin in nationalen und internationalen Fragen gezeigt. Und da sie derzeit keine ernsthaften Rivalen innerhalb oder außerhalb ihrer Koalitionsregierung fürchten muss, kann sie sogar zur Stabilität Italiens beitragen. Ein mögliches Bündnis mit der Europäischen Volkspartei (EVP) von Manfred Weber könnte der italienischen Ministerpräsidentin bei den Europawahlen 2024 außerdem eine relevante Position in Europa sichern.
Das Phänomen Meloni lässt sich aus mehreren Perspektiven erklären. Sie hat davon profitiert, dass eine politikverdrossene Gesellschaft nun Antworten bei einer rechten Partei wie der Fratelli d’Italia (FdI) sucht. Meloni hat die Partei modernisiert und auf einen pro-europäischen und atlantischen Diskurs ausgerichtet. In den jüngsten Umfragen hat Fratelli D’Italia mit einem Anteil von 30 Prozent ihre Position als stärkste Kraft im Land gefestigt. Ihre Koalitionspartner, Berlusconis Forza Italia (FI) und Matteo Salvinis Lega, erreichten dagegen zusammen nur 16 Prozent.
“Die Krise des Berlusconismus ist gereift und abgeschlossen“, erklärt Giovanni Orsina, Direktor der School of Government an der Universität Luiss-Guido Carli in Rom. “Die Fähigkeit Berlusconis, die rechte Koalition zu dominieren, geht zu Ende.” Zuerst sei da Salvini gewesen in den Jahren 2018 bis 2019 und jetzt Meloni. “Die historisch rechte Wählerschaft hat sich neu konstituiert”, sagt Orsina, “aber nicht um die Mitte-Rechts-Kraft von Berlusconi, sondern um die rechtsgerichteten Kräfte.” (Das vollständige Interview mit Giovanni Orsina lesen Sie hier.)
Doch ein Rückzug Berlusconis von der politischen Bühne würde Meloni nicht nützen, meint Orsina. “In dem Moment, in dem Berlusconi aus der Politik ausscheidet, würde bei Forza Italia Chaos herrschen. Meloni ist an Stabilität interessiert. Im Moment garantiert Berlusconi Stabilität.“
Für die Zukunft könnte Meloni versuchen, sich breiter aufzustellen und mehr ins Zentrum rücken. “Die Entscheidung, dieses ganze Spektrum zu bedienen, wie es Berlusconi getan hat, könnte Meloni jedoch schwächen. Denn sie müsste alle Positionen befriedigen”, sagt Luca Verzichelli, Vorsitzender der italienischen Vereinigung für Politikwissenschaft.
Die Opposition ist zersplittert: Matteo Renzis und Mario Calendas zentristischer Terzo Polo kommt derzeit auf acht Prozent, die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und die Partito Democratico (PD) jeweils auf rund 17 Prozent. Die PD beginnt gerade, sich mit ihrer neuen Chefin Elly Schlein neu auszurichten.
Die Tatsache, dass es derzeit keine ernsthaften Konkurrenten zu Meloni gibt, zeigt paradoxerweise sowohl eine Krise der Demokratie als auch eine Chance. “Es gibt im Moment keine Alternative zu Meloni und es wird auch keine geben, zumindest nicht bis zu den Wahlen 2024″, meint Orsina. “Meloni könnte mit substanziellen politischen Initiativen antreten, anstatt sich in der Tagespolitik zu verlieren.”
Der Professor für Zeitgeschichte betont, dass die Demokratie zwar durch das Fehlen von Alternativen zu Meloni geschwächt sein möge, dass es aber zumindest eine Regierung gibt, die ein klares Wahlmandat erhalten hat. Dies ist ein nicht unerheblicher Fortschritt im Vergleich zu vor einem Jahr.
Im Durchschnitt wird in Italien alle 13 Monate eine neue Regierung gebildet. “Melonis Regierung hat gute Chancen, bis zum Ende der Legislaturperiode zu bestehen – vorausgesetzt, es kommt nicht zu unvorhersehbaren Wendungen. Was in Italien immer möglich ist”, sagt Verzichelli.
Zudem haben sich die Befürchtungen über Meloni und die Herkunft ihrer Partei aus dem postfaschistischen Spektrum bisher als weitgehend unbegründet erwiesen. “Ideologisch hat Meloni heute mit dem Faschismus überhaupt nichts zu tun”, sagt Orsina. Dies ändere jedoch nichts an der Tatsache, dass die FdI eine andere Vorstellung von Europa habe, erklärt Verzichelli. “Aber das ist zum einen Demokratie und Meinungsvielfalt, und zum anderen weiß die Partei genau, dass Italien innerhalb der EU gut funktioniert.”
Meloni zeigt in der Zusammenarbeit auf EU-Ebene politische Verantwortung und eine pro-europäische Haltung. Sowohl wirtschaftlich, indem sie der Linie von Draghi folgt, als auch in ihrer Solidarität mit der Ukraine.
Das gute Verhältnis zwischen Meloni und Weber ist offenkundig. Es bleibt abzuwarten, ob sich ein Bündnis zwischen der EVP und der FdI für die EU-Wahlen 2024 formieren wird – oder danach. Trotz Berlusconis Fehltritten mit seinen Äußerungen zur Ukraine beharrt Weber auf seiner Unterstützung für Forza Italia.
“Die EVP steht nun vor der Frage, welche Partei sie sein will: Will sie eine Mitte-Rechts-Kraft sein, die den Dialog mit den Konservativen eröffnet? Oder will sie eine Kraft der Mitte sein, die sich mit den Liberalen und Sozialdemokraten verbündet? Dies ist ein politischer Kampf innerhalb der EVP“, analysiert Orsina.
Die Frage ist also, ob es möglich sein wird, die “maggioranza Ursula” wiederherzustellen – so wird die Mehrheitskoalition im EU-Parlament zwischen der EVP, den Sozialdemokraten und den Liberalen in Italien genannt. Es gibt einen Teil der EVP, der in Meloni eine Verbündete sieht, die das Kräfteverhältnis im EU-Parlament ausgleichen kann.
Der erfahrene Diplomat und ehemalige Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, rechnet vor dem Treffen von Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin damit, dass beide Regierungschefs ihre “grenzenlose Partnerschaft” bekräftigen werden. Das sagte er in einem Interview mit Table.Media vor dem Treffen am Montag. (Das vollständige Interview lesen Sie hier.)
Angesichts des desolaten aktuellen Zustands der US-chinesischen Beziehungen könne er kaum einen Grund erkennen, warum sich “Xi in Moskau auch nur einen einzigen Millimeter wegbewegen sollte”. Er fürchte deshalb, dass es lediglich ein Replay dessen sein werde, was Xi und Putin schon im Februar vergangenen Jahres in Peking zelebriert haben.
Auch über Chinas Rolle mit Blick auf Europa äußerte er sich kritisch: “China betreibt eine immer ambitioniertere Außenpolitik. Manche sprechen von aggressiverer Außenpolitik.” China präsentiere sich als Champion des globalen Südens und als möglicher Mittler und denke vermutlich, dass es gar nicht so schlecht sei, wenn dieser Krieg noch ein Weilchen andauere. “Dieser Krieg bindet nämlich die USA in Europa”, erklärte Wolfgang Ischinger.
Aber er glaube auch, dass Chinas Reputation in Europa leide, wenn es nur als Partner des Aggressors Russland auftrete. Chinas europäische Beziehungen seien in Mitleidenschaft gezogen worden. “Da macht es Sinn, eine Position zu präsentieren, die so abstrakt formuliert ist, dass Russland nur abstrakt kritisiert und 90 Prozent des globalen Südens zustimmen können.”
Ischinger hält es für strategisch dringend notwendig, dass die Europäische Union sich insgesamt endlich zusammenraufe. “Wir müssen in der Chinapolitik mit einer Stimme sprechen – in Peking, aber auch in Washington”, mahnte der Diplomat. “Wir müssen weg davon kommen, deutsch-chinesisch zu agieren, portugiesisch-chinesisch oder französisch-chinesisch.” Aus der Sicht Pekings seien die Europäer nichts anderes als Kleinstaaten. Aus seiner Sicht sollte Europa mit Peking in einen vertieften Dialog über den kürzlich von Peking präsentierten zwölf Punkteplan eintreten.
Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (BPA) hat am Donnerstag gegen einen Bescheid des Bundesdatenschutzbeauftragten (BfDI) Ulrich Kelber Klage beim Verwaltungsgericht Köln erhoben. Der hatte der Behörde Ende Februar in einer Art Musterverfahren den Betrieb der Facebook-Seite “Bundesregierung” untersagt. Am Freitag teilte das BPA mit, zum Ablauf der Umsetzungsfrist den Gerichtsweg beschritten zu haben.
Hintergrund der Rechtsstreitigkeit ist die Frage, wer die Verantwortung trägt, wenn Facebook sich nicht an EU-Datenschutzrecht hält. Konkret geht es in dem Verfahren um Cookies, die im Rechtsrahmen der e-Privacy-Richtlinie beziehungsweise deren Umsetzung in deutsches Recht gesetzt werden. Die Cookies setzt Facebook sowohl bei registrierten Nutzern als auch bei solchen, die die Seite aufrufen, ohne mit Facebook in Verbindung zu stehen. Hier hatte es Facebook bislang nicht geschafft, die Mängel auszuräumen, die der BfDI festgestellt hat.
Zentral für die Frage, ob die Bundesregierung hierfür eine Mitverantwortung trägt, ist die sogenannte gemeinsame Verantwortlichkeit. Trifft den Betreiber einer Fanpage zusätzlich zum Anbieter die Pflicht, die Einhaltung von Datenschutzrecht zu garantieren?
Zweimal bereits hatte der Europäische Gerichtshof die gemeinsame Verantwortlichkeit bejaht (Urteile zu “Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein” und “FashionID”). Die Bundesregierung glaubt, dass der Fall ihrer Fanpage ganz anders gelagert sei. “Wir sind der Auffassung, dass allein Facebook für seine Datenverarbeitung datenschutzrechtlich verantwortlich ist und insoweit datenschutzrechtliche Fragen allein im Verhältnis zu Facebook zu klären sind”, erläuterte eine Sprecherin auf Anfrage.
Der BfDI wäre für ein reines Verfahren nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) nicht zuständig, sondern im ersten Schritt die umstrittene irische Datenschutzaufsichtsbehörde. Weil die ePrivacy-Verordnung der EU, die ursprünglich parallel zur DSGVO im Jahr 2018 wirksam werden sollte, immer noch aussteht, nutzt Kelber seine Zuständigkeit für die deutsche Umsetzung der Richtlinie. So macht das etwa auch die Datenschutzaufsicht CNIL in Frankreich regelmäßig.
Für das Presse- und Informationsamt, dem Regierungssprecher Steffen Hebestreit vorsteht, ist zentral, Bürger auf allen Wegen erreichen zu können. “Die Bundesregierung hat einen verfassungsrechtlich gebotenen Auftrag, die Bürgerinnen und Bürger über die Tätigkeit, Vorhaben und Ziele der Bundesregierung zu informieren”, erklärte die Sprecherin. “Um die Bürgerinnen und Bürger zu erreichen, müssen wir uns an deren tatsächlicher Mediennutzung orientieren.” Einen TikTok-Kanal betreibt das BPA trotz großer Nutzerzahlen allerdings nicht.
Sollte das Gericht dem Bundesdatenschutzbeauftragten recht geben, müsste das BPA die Seite abschalten. Dann würden mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Verfahren gegen andere Betreiber folgen. Eine Geldstrafe ist für Behörden bei Verstößen gegen das Datenschutzrecht nicht vorgesehen. Wahrscheinlich ist, dass das Verwaltungsgericht Köln Auslegungsfragen dem Europäischen Gerichtshof vorlegt.
Das Verfahren könnte allerdings auch auf einem anderen Wege ein Ende finden: Sollte die Angemessenheitsentscheidung der EU-Kommission für das EU-US-Data-Privacy-Framework rechtzeitig kommen und Facebook sich diesem unterwerfen, würde sich die Rechtslage massiv verändern. Die Bedenken der Datenschutzaufsichtsbehörden zum Vorschlag von EU-Justizkommissar Didier Reynders waren geringer als erwartet. Falk Steiner
Der Europäische Verbraucherverband (BEUC) erhofft sich von den für Mittwoch angekündigten Entwürfen für eine Green-Claims-Richtlinie und das Recht auf Reparatur einen wichtigen Beitrag für nachhaltigere Konsummodelle. “Viele Menschen wollen nachhaltiger konsumieren”, sagte Monique Goyens, Geschäftsführerin von BEUC. “Irreführende grüne Behauptungen und Greenwashing sowie fehlende Möglichkeiten, um Produkte zu reparieren, stellen dann jedoch frustrierende Hindernisse dar.”
Um Greenwashing zu bekämpfen und Verbrauchern verlässliche Informationen zu garantieren, will die EU-Kommission in ihrer Green Claims-Richtlinie Angaben über die Umweltfreundlichkeit von Produkten und Dienstleistungen regulieren. Die Angaben sowie Umwelt-Labels müssen laut einem geleakten Entwurf, über den Table.Media bereits berichtet hat, auf einer wissenschaftlich fundierten Methodik wie dem Umweltfußabdruck basieren. Die ebenfalls für Mittwoch angekündigte Richtlinie über den nachhaltigen Konsum von Waren soll das Recht der Verbraucher auf Reparatur stärken.
Mit Blick auf die Green-Claims-Richtlinie fordert BEUC, umweltbezogene Aussagen auf Produkten sollten auf der Grundlage gemeinsamer und transparenter Regeln auf EU-Ebene begründet und kommuniziert werden. Behauptungen über die Klimaneutralität von Produkten sollten ganz verboten werden, da sie laut dem Verbraucherverband wissenschaftlich unzutreffend sind und die Verbraucher in die Irre führen.
“Nachdem wir so lange auf das Recht auf Reparatur gewartet haben, erwarte ich von der Kommission einen ambitionierten und weitreichenden Gesetzesvorschlag“, sagte Anna Cavazzini (Grüne). Die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im Parlament fordert, die Gewährleistung von Produkten an deren erwartete Lebensdauer anzupassen, einen Reparaturindex einzuführen, den Zugang zu Ersatzteilen und Anleitungen zu vereinfachen und die Hersteller stärker in die Verantwortung zu nehmen.
Den Entwurf für das Recht auf Reparatur wollte die Kommission ursprünglich im vergangenen Juli vorlegen. Er wird nun übermorgen gemeinsam mit der Green Claims-Richtlinie als “Verbraucher-Paket” vorgestellt. leo
Nach zwölfstündigen Verhandlungen im nordmazedonischen Ohrid haben die Spitzenvertreter Serbiens und des Kosovos Fortschritte erzielt. “Wir haben einen Deal”, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am späten Samstagabend. “Wir haben eine Einigung darüber, wie es zu machen ist.” Borrell und der Balkan-Sondergesandte der EU, Miroslav Lajcak, hatten bei den Gesprächen zwischen dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und dem kosovarischen Ministerpräsidenten Albin Kurti vermittelt.
Bereits Ende Februar hatten die beiden Politiker in Brüssel einem von der EU vorgelegte Abkommen verbal zugestimmt, das die Beziehungen zwischen den beiden verfeindeten Balkanstaaten grundlegend regeln soll. Am Samstag einigten sie sich auf den Anhang des Abkommens, der dessen konkrete Umsetzung festlegt. Vučić weigerte sich jedoch am Ende wie schon in Brüssel, die Abmachungen zu unterschreiben.
Das neue Abkommen sieht vor, dass Belgrad das Kosovo zwar nicht völkerrechtlich anerkennt, aber die Eigenstaatlichkeit seiner ehemaligen Provinz zur Kenntnis nimmt. Insbesondere soll es die Reisepässe, Kfz-Kennzeichen und Zollpapiere des Kosovos anerkennen. Das Kosovo soll die Rechte der serbischen Volksgruppe im Land institutionell absichern.
Am Samstag verhandelten Vučić und Kurti über den Anhang zu dem Abkommen, das den ursprünglichen Plänen der EU-Vermittler zufolge konkrete Fristen für die Umsetzung der einzelnen Punkte hätte enthalten sollen. Das am Sonntagmorgen von der EU veröffentlichte Dokument beinhaltet jedoch kaum zeitliche Zusagen. So steht darin lediglich, dass die Seiten innerhalb von 30 Tagen einen Gemeinsamen Monitoring-Ausschuss bilden würden, der für die Überwachung des Abkommens zuständig sein wird.
Borrell räumte ein, dass die Vermittler “mit einem ambitiöseren und detaillierten Vorschlag für den Anhang” in die Verhandlungen gegangen seien. “Unglücklicherweise vermochten sich die Seiten nicht auf den detaillierten Vorschlag zu einigen”, sagte er. Das Kosovo hätte “Flexibilität in der Substanz” vermissen lassen, Serbien wiederum habe von Anfang an darauf bestanden, nichts unterschreiben zu wollen. dpa
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg haben auf der größten Bohrinsel der Erde den Stellenwert norwegischer Gaslieferungen für Europas Sicherheit betont. Begleitet von Norwegens Regierungschef Jonas Gahr Støre und in Sichtweite einer internationalen Nato-Flotte auf See besuchten die Spitzen von EU-Kommission und Nato am Freitag die norwegische Gasförderplattform Troll A in der Nordsee. Unter anderem ging es für Stoltenberg und von der Leyen per Fahrstuhl tief hinunter in den Schaft der riesigen Anlage – mehr als 300 Meter unter die Wasseroberfläche.
“Gasanlagen wie die Troll-Plattform sind für unsere Wirtschaft, unsere Industrie, aber auch für unsere Sicherheit von entscheidender Bedeutung“, sagte Stoltenberg. Russlands Präsident Wladimir Putin habe versucht, Energie im Krieg gegen die Ukraine als Waffe einzusetzen. Norwegisches Gas habe dabei geholfen, sicherzustellen, dass er damit scheitert.
Auch von der Leyen verwies auf die Bedeutung der norwegischen Lieferungen für die EU. Die Troll-Plattform symbolisiere, dass Norwegen seine Gasproduktion erhöht habe. “Das hat uns geholfen, Putins Erpressung zu widerstehen.” Norwegen habe seine Produktion von 78 auf 90 Milliarden Kubikmeter erhöht. “Putin hat die von ihm entfachte Energieschlacht eindeutig verloren, und seine Erpressung hat nicht funktioniert”, sagte von der Leyen. Im Gegenteil habe er damit erreicht, dass die EU nun viel stärker von Verbündeten wie Norwegen und den USA mit Energie versorgt werde. dpa
“Es gibt keinen dümmeren Spruch als ‘Der Markt regelt alles allein’“, findet Holger Lösch. Der 59-Jährige ist Vize-Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). “Die Ziele und den Rahmen muss die Politik setzen.” Ein gutes Beispiel sei der US-Inflation Reduction Act (IRA). Mit “pragmatischen Steuergutschriften” mache die Biden-Regierung die USA zu “einem der wettbewerbsfähigsten Orte der Welt für die Erzeugung von grünem Wasserstoff”, sagt Lösch. Deutschland und Europa bräuchten eine “wirksame Antwort” auf den IRA, so Lösch mit Blick auf die für den BDI enttäuschende Weiterentwicklung der Nationalen Wasserstoffstrategie.
Volldampf voraus also für Industriepolitik und Staatsdirigismus? Das will der Verbandsmensch Lösch dann allerdings auch nicht. Für den exakten Weg zur Umsetzung – etwa der Klimaneutralität – seien die Marktmechanismen klar überlegen. Einen Weg zeigt die BDI-Studie “Klimapfade 2.0” auf, die Lösch vor zwei Jahren betreut hat. Die zentralen Ergebnisse: Die Transformation zum klimaneutralen Industrieland ist möglich, die deutschen Ziele für 2030 und 2045 lassen sich “mit schnellem Handeln” einhalten.
Lösch arbeitet seit 2008 für den Industrieverband, der mit seinen Mitgliedern 100.000 deutsche Unternehmen vertritt. Als stellvertretender Hauptgeschäftsführer arbeiten ihm fünf Abteilungen mit zusammen rund 50 Mitarbeitern zu. Eine davon ist die Abteilung Energie- und Klimapolitik. Insofern sorgt sich Lösch gleichzeitig um anhaltend hohe Energiepreise und die drohende Klimakatastrophe: “Eine Plus-vier-Grad-Welt wäre sicher auch kein Paradies für Unternehmer.” Aus seiner Sicht verzettelt sich Europa allerdings zu sehr in detaillierter Regulierung, etwa dazu, welche Technologien zum Ziel führen.
Die Folge: “In der Umsetzung sind wir nicht an dem Punkt, wo wir sein wollen.” Ein Hebel, das zu ändern, sei die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. “Wenn wir drei Mal so viele Erneuerbare wollen wie aktuell, dann schaffen wir das im bestehenden System nicht.” Der US-amerikanische IRA könne als Vorbild dienen, wie man simpel – etwa durch Steuergutschriften – für mehr Geschwindigkeit sorgen könnte. Ein hochrangiger US-Beamter habe zu ihm mal über die Mentalitätsunterschiede zwischen US- und EU-Klimapolitik gesagt: “Ihr macht Dinge tiefgrün, wir machen Dinge, die Bargeld-grün sind.”
Der Spruch verfolgt ihn seitdem – und treffe zu, wenn man sich ansehe, wie ausgerechnet im republikanisch regierten Texas die Windräder aus dem Boden sprießen. Allerdings kritisiert er die Abschottungselemente, die im Subventionsprogramm der Amerikaner stecken: “Wir müssen ihnen klar sagen, wo knallharte Grenzen des Protektionismus sind, die für uns als Partner nicht tragbar sind.”
Eine andere Grenze in Löschs Leben sei nicht so hart, die zwischen beruflichen und privaten Interessen. Ähnlich wie in seinem ehemaligen Job als TV-Journalist beim BR könne er “seinen Themen” in der Regel kaum entkommen, wenn er abends auf der Couch die Tagesschau gucke.
Manchmal ärgere er sich auch darüber, wie Dinge diskutiert würden. Sein Beruf sei nun mal nicht nur ein Vehikel zum Geldverdienen. Der Versuch, Wirtschafts- und Klimafragen in Einklang zu bringen, sei eine gesellschaftliche Aufgabe, zu der er etwas beitragen wolle. Vor ein paar Tagen war er im Rotterdamer Hafen unterwegs und hat sich das Wasserstoffnetz angesehen, an dem dort gerade gebaut wird. Ein “super Tag”, der ihn wieder hoffnungsvoller gestimmt habe, dass Europa bald schneller vorankommt. Paul Meerkamp