Table.Briefing: Europe

Von der Leyens Pläne + Die Rolle der Grünen

Liebe Leserin, lieber Leser,

Ursula von der Leyen ist Politprofi, das hat sie am Donnerstag erneut bewiesen. Über Wochen hat die alte und neue Kommissionspräsidentin um die Europaparlamentarier geworben, nun haben sie ihr eine komfortable Mehrheit verschafft. Sie hat es verstanden, all die Anliegen, Wünsche und Sensibilitäten zu einem Mosaik zusammenzufügen. Anders als 2019 stützt sie sich bei ihrer Wiederwahl fast nur auf die Fraktionen der proeuropäischen Mitte, einschließlich der Grünen. Von der Leyen tat gut daran, auch die Ökopartei zu umwerben – ohne deren Stimmen wäre sie womöglich durchgefallen.

Nach einer kurzen Sommerpause wird sich von der Leyen daran machen, ihre neue Kommission zusammenzustellen. Fingerspitzengefühl braucht sie auch hier: Im Parlament ist die CDU-Politikerin auf die zweitgrößte Fraktion der Sozialdemokraten angewiesen, im Rat haben diese aber stark an Einfluss verloren und werden damit auch im neuen Kollegium nur mit wenigen Kommissaren vertreten sein. Um das auszutarieren, könnte sie den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Nicolas Schmit zu einem starken Vizepräsidenten machen, doch dafür ist sie auf die Zustimmung des christdemokratischen Ministerpräsidenten Luxemburgs angewiesen.

Abwägen muss von der Leyen auch, ob sie einen neuen Anlauf nimmt, um Giorgia Meloni über ein gewichtiges Portfolio in ihrer Kommission stärker einzubinden. Doch Italiens rechte Regierungschefin scheint nicht recht zu wissen, was sie will.

Die zweite Amtszeit von der Leyens dürfte zudem zu einer Fahrt in stürmischer See werden. In Paris herrscht politisches Chaos, in den USA könnte ab November erneut Donald Trump die Macht übernehmen, und der Querulant Viktor Orbán wird in den kommenden Monaten die Bühne weiter nutzen, die ihm die Ratspräsidentschaft bietet. Sich unter solchen Bedingungen den erstarkenden nationalistischen Fliehkräften entgegenzustemmen, ist auch für einen Politprofi wie von der Leyen eine Herkulesaufgabe.

Ihr
Till Hoppe
Bild von Till  Hoppe

Analyse

Grüne Stimmen machen von der Leyen wieder zur Kommissionspräsidentin

EVP-Chef Manfred Weber gratuliert der Kommissionspräsidentin. Weber wollte die Grünen nicht in der informellen Koalition haben, doch deren Stimmen sicherten Ursula von der Leyen nun die Wiederwahl.

Ursula von der Leyen ist mit den Stimmen der proeuropäischen Mitte-Fraktionen im Europaparlament für eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin gewählt worden. Sie erhielt in geheimer Wahl 401 Stimmen – 41 Stimmen mehr als nötig für die absolute Mehrheit von 360 Sitzen. 284 Abgeordnete stimmten mit Nein, 22 Stimmzettel waren ungültig oder nicht ausgefüllt.

Die CDU-Politikerin konnte sich auf die überwiegende Zahl der Stimmen aus dem informellen Bündnis von EVP, Sozialdemokraten sowie Liberalen stützen, die zusammen 401 Abgeordnete stellen. Sie dürfte im eigenen Lager etwa 40 Stimmen nicht bekommen haben, erhielt aber einen Großteil der Stimmen aus der Grünen-Fraktion mit ihren 53 Sitzen, obwohl diese nicht Teil der informellen Koalition sind. Die Rechtsaußen-Fraktionen stimmten offenbar weitgehend geschlossen gegen die CDU-Politikerin. Ohne die Stimmen der Grünen wäre sie daher vermutlich nicht gewählt worden.

Von der Leyen sei “mit einem starken Mandat aus der demokratischen Mitte des Europäischen Parlaments gewählt” worden, sagte Europa-Staatsministerin Anna Lührmann (Grüne) zu Table.Briefings. Die Unterstützung der Grünen für eine zweite Amtszeit sei “wichtig und richtig”. Von der Leyen habe sich in ihrer Bewerbung klar zum Green Deal bekannt und zugesagt, sich für EU-Reformen, Rechtsstaatlichkeit und einen Clean Industry Deal einzusetzen, sagt die Grünen-Politikerin..

Keine Kooperation mit undemokratischen Kräften

Von der Leyen schloss in ihrer Rede mehrfach eine Zusammenarbeit mit “nicht demokratischen Kräften” aus. Diese Ansage könnte dazu beigetragen haben, dass sie wohl nur wenige Stimmen aus der nationalkonservativen EKR-Fraktion bekommen hat. Grüne und Sozialisten zählen die EKR nicht zu den demokratischen Kräften. Sie warnen die EVP davor, in der Gesetzgebung gemeinsame Sache mit der EKR zu machen. “Wir müssen die EVP davon abhalten, dirty deals mit Rechtsaußen zu machen”, hieß es aus der S&D-Fraktion. Die EVP zeigte sich davon unbeeindruckt: Im Europaparlament gebe es keinen Fraktionszwang, heißt es dort. Ob und welche Mehrheiten ein Bericht bekomme, ergebe sich im Gesetzgebungsverfahren.

Die 188 Abgeordneten der christdemokratischen Fraktion dürften fast alle für ihre Spitzenkandidatin im Wahlkampf gestimmt haben. In der Fraktionssitzung nach ihrer Rede im Plenum war man sich einig, dass von der Leyen mit der Rede und den Leitlinien eine Kurskorrektur vornehme im Vergleich zu ihrem ersten Mandat an der Spitze der Kommission. Intonierung und politische Inhalte stimmten jetzt, hieß es anerkennend.

37 EVP-Forderungen in den Leitlinien

Alle politischen EVP-Forderungen fänden sich wieder. Die Fraktionsführung listete 37 EVP-Forderungen auf, die Niederschlag in von der Leyens Leitlinien gefunden hätten. Wie viele Nein-Stimmen es aus der EVP-Fraktion gab, ist Spekulation: Kritisch geäußert hatten sich zuvor die sechsköpfige französische Delegation um François-Xavier Bellamy sowie vier slowenische Abgeordnete. Einer der vier Slowenen postete sogar auf X seinen ausgefüllten Wahlzettel samt Personalausweis. Bellamy gab anschließend auf X an, seine Delegation habe von der Leyen abgelehnt. In der EVP-Fraktionssitzung hatte er aber für eine zweite Amtszeit geworben, wie mehrere Teilnehmer berichten.

Von der Leyen hatte in ihrer Rede und ihren politischen Leitlinien viele der Punkte angesprochen, die die vier Mitte-Fraktionen von ihr erwartet hatten. Den Sozialdemokraten stellte sie unter anderem einen Kommissar für den Wohnungsbau in Aussicht und grenzte sich klar von den Rechtsaußen-Kräften ab. Damit haben sie die Wogen geglättet, sagte ein führender Sozialdemokrat, die Fraktionssitzung nach der Rede verlief laut Teilnehmern entsprechend unaufgeregt.  

In der Sitzung kündigte lediglich der irische S&D-Delegierte an, von der Leyen nicht mittragen zu wollen. Zwei Abgeordnete aus dem französischsprachigen Teil Belgiens erklärten, sich enthalten zu wollen. Die große italienische PD-Delegation habe hingegen Zustimmung signalisiert, wenn auch mit Bedenken. Ein erfahrener Abgeordneter schätzt, dass rund 85 Prozent der S&D-Parlamentarier von der Leyen ihre Stimmen gaben.

FDP kritisiert “Respektlosigkeit”

Ähnlich die Lage bei den Liberalen: Offen gegen von der Leyen sprachen sich nur die irischen Abgeordneten aus – und die FDP-Delegation. Deren Vorsitzende Marie-Agnes Strack-Zimmermann kritisierte, von der Leyens Programm bedeute “größtenteils ein ‘Weiter so'”. Sie habe zudem in ihrer Rede neue europäische Schulden nicht ausgeschlossen, wolle im Gegenteil “den Haushalt aufblähen, ohne zu sagen, woher das Geld kommen soll”. Zum Thema Rechtsstaatlichkeit habe sie zwar schöne Worte gefunden, aber nichts Konkretes vorgeschlagen.

Die fünf FDP-Abgeordneten hatten im Vorfeld von der Leyen aufgefordert, zu diesen und anderen Themen wie dem Verbrenner-Aus klar Position zu beziehen. Es sei “eine Respektlosigkeit der besonderen Art“, dass diese es nicht für nötig befunden habe zu antworten, heißt es in der Delegation. Erst als man das eigene Nein öffentlich gemacht habe, habe von der Leyens Team hektisch versucht, Strack-Zimmermann zu kontaktieren.

Grüne sehen sich als Präsidentinnen-Macher

Die Grünen nehmen für sich in Anspruch, Präsidentinnen-Macher zu sein. In der Fraktionssitzung vor dem Wahlgang im Plenum gab es eine Probeabstimmung. Von 53 Abgeordneten stimmten dabei 44 für von der Leyen. Die neun Gegenstimmen kamen von Abgeordneten aus Frankreich, Italien und Spanien. Allerdings gibt es Hinweise, dass einige von ihnen anschließend bei der geheimen Wahl im Plenum ihre Stimme doch von der Leyen gegeben haben.

Den Ausschlag gab, dass etwa das Klimaziel für 2040 (minus 90 Prozent) Eingang in die Leitlinien gefunden hat. Der großen Zustimmung tat es auch keinen Abbruch, dass die Grünen entgegen ihres mehrfach geäußerten Wunsches nicht Teil der informellen Koalition sind. Dafür sei aber nicht von der Leyen verantwortlich, sondern EVP-Chef Manfred Weber, hieß es in der Fraktion. Weber sei noch im Wahlkampfmodus. Bei der Verteilung der Ausschussposten aus dem “Cordon sanitaire” und bei der Wahl der Vizepräsidenten habe man aber gesehen, dass die Absprachen mit den Parteien der Plattform hielten.

EKR will bei Gesetzen mitmischen

Nur wenige der 78 EKR-Abgeordneten dürften für von der Leyen gestimmt haben: drei Abgeordnete der flämischen NVA sowie zwei von drei Abgeordneten der tschechischen ODS. Alexandr Vondra, ebenfalls ODS, sagte auf X, dass ihm von der Leyens Rede nicht gefallen habe, er aber nicht sage, wie er in geheimer Wahl abgestimmt habe.

Die 24 italienischen Abgeordneten der Fratelli haben nach Auskunft von Fraktionschef Nicolas Procaccini gegen von der Leyen gestimmt. Es war spekuliert worden, dass EKR-Chefin Giorgia Meloni der italienischen Fratelli-Delegation die Wahl von der Leyens empfiehlt. Fraktionschef Procaccini machte aber deutlich, dass die Fraktion bei der Gesetzgebung mitmischen will: “Die Mehrheit im neuen Europaparlament ist zentristisch-rechts von der Mitte. Dies werden wir in den nächsten Jahren merken.”

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Von der Leyen: Wettbewerbsfähigkeit ist Top-Priorität

Bei ihrer ersten Bewerbungsrede 2019 hatte Ursula von der Leyen die Wirtschaftspolitik nur am Rande gestreift, gestern war das anders: “Unsere oberste Priorität sind Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit”, sagte sie vor dem Europaparlament. Die Notwendigkeit ergebe sich aus den geopolitischen Spannungen – denn sonst drohe Abhängigkeit von unfreundlich gesinnten Akteuren.

Viele Industrievertreter werfen der CDU-Politikerin vor, die Interessen der Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren als Kommissionspräsidentin sträflich vernachlässigt zu haben. Sie beklagen, wie VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann, “unsägliche Detailregulierungen und überbordende Bürokratie”, insbesondere im Rahmen der Nachhaltigkeitsgesetzgebung. Parteifreunde und Vertreter der Liberalen hatten von der Leyen deshalb gedrängt, auf diese Sorgen einzugehen.

Vizepräsident für Entbürokratisierung

Und von der Leyen tat dies in ihrer Rede und ihren politischen Leitlinien: “Wir brauchen weniger Berichterstattung, weniger Bürokratie und mehr Vertrauen, eine bessere Durchsetzung und schnellere Genehmigungen”, sagte sie. Über die Umsetzung in der neuen Kommission wachen soll ein neuer Vizepräsident für Umsetzung, Vereinfachung und interinstitutionelle Beziehungen, der einmal pro Jahr dem Parlament über die Fortschritte berichtet. Dieser werde den gesamten EU-Acquis einem Stresstest unterziehen, versprach von der Leyen, und dann Vorschläge zur Vereinfachung der Rechtsvorschriften vorlegen. Zudem sollen Gesetzesinitiativen gesonderte KMU- und Wettbewerbsfähigkeitschecks durchlaufen, bevor die Kommission sie vorlegt.

Von der Leyen will überdies eine langjährige Forderung aus der deutschen Wirtschaft erfüllen und die europäische KMU-Definition um eine neue Kategorie für kleine Midcap-Unternehmen erweitern. Die angekündigten Maßnahmen leiteten “hoffentlich den längst überfälligen Kulturwandel hin zu einer besseren Rechtssetzung ein”, sagte Freya Lemcke, Leiterin der Vertretung der DIHK bei der EU. VDMA-Vertreter Brodtmann bezeichnete die konkreten Ideen als “vielversprechend”.

Der CDU-Abgeordnete Andreas Schwab lobte, von der Leyen habe sich für das Prinzip der vertrauensbasierten Regulierung ausgesprochen, das Unternehmen von überbordenden Nachweispflichten verschone. Er mahnt aber auch: “Eine radikale Vereinfachung verlangt natürlich entsprechende politische Mehrheiten, darum werden wir kämpfen müssen”.

Green Deal wird zum Clean Industrial Deal

Von der Leyen bekennt sich zudem zu den Zielen des Green Deals, einer “Umsetzung des bestehenden Rechtsrahmens” und einem Klimaziel von 90 Prozent CO2-Reduktion bis 2040. Wie erwartet will sie den Grünen zu einem Clean Industrial Deal weiterentwickeln – als 100-Tage-Programm. Ein Rechtsakt zur beschleunigten Dekarbonisierung der Industrie soll Investitionen erleichtern, Leitmärkte für saubere Technologien schaffen und Ausschreibungen sowie Genehmigungen vereinfachen.

Für die chemische Industrie wird es gar ein eigenes Paket geben. Der erneute Anlauf für eine Reform von REACH soll die Chemikalienverordnung vereinfachen und auch für “Ewigkeitschemikalien” (PFAS) soll die Kommission endlich Klarheit schaffen.

Die Rezepte aus ihren Leitlinien für günstige Energie sind bekannt: der Ausbau sauberer Energien, eine Vollendung des Binnenmarktes und eine Ausweitung der gemeinsamen Beschaffung von Erdgas auf Wasserstoff – und kritische Rohstoffe. Den Zugang zu Letzteren will die Kommission außerdem mit einem neuen Rechtsakt für die Kreislaufwirtschaft vereinfachen, für Abfälle soll ein echter Binnenmarkt entstehen.

E-Fuels im Verbrenner über 2035 hinaus

Nur in den Leitlinien, nicht in der Rede im Plenum kommt das Aus für das Verbrenner-Aus vor. Ein Satz behandelt das Thema, das vor allem in Deutschland viel Beachtung gefunden hat: Es ist ein “technologieneutraler Ansatz erforderlich, bei dem E-Fuels eine Rolle spielen werden, indem die Vorschriften im Rahmen der geplanten Überprüfung gezielt geändert werden.”

Das heißt: Die Kommission wird die CO₂-Flottengesetzgebung einer Überprüfung unterziehen. Dies ist laut Gesetz 2026 vorgesehen. Es gibt keinen Hinweis, dass die Überprüfung um ein Jahr vorgezogen wird, wie gemutmaßt wurde. Im Zuge der Überprüfung soll es dabei bleiben, dass der Flottengrenzwert 2035 von Neufahrzeugen auf null Gramm CO₂ je gefahrenen Kilometer absinkt.

Die Änderung besteht darin, dass E-Fuels als klimaneutraler Kraftstoff zur Erreichung des CO₂-Flottenziels anerkannt werden – und zwar im Rechtstext selbst und nicht, wie bisher, in einem unverbindlichen Erwägungsgrund. Auch über das Jahr 2035 hinaus könnten dann Neufahrzeuge mit Verbrennungsmotor zugelassen werden, die mit klimaneutral erzeugten E-Fuels gefahren werden.

SPD warnt vor Aufweichen der CO2-Standards

Jens Gieseke (CDU), Koordinator im Umweltausschuss, begrüßte von der Leyens Worte: “Die Ankündigung ist ein wichtiges und deutliches Signal für die Technologieoffenheit. Es ist richtig, dass dieser Fehler des Verbrennerverbots nun behoben wird.” Es komme jetzt aber darauf an, das Versprechen schnellstmöglich umzusetzen: “Wir sollten nicht bis zur vorgesehenen Prüfung im Jahr 2026 warten.”

Tiemo Wölken (SPD), der wieder Koordinator im Umweltausschuss werden möchte, gibt zu bedenken: “Der Weg birgt die Gefahr, dass die EVP mit den Rechten das Verbrenner-Aus angreift.” Denkbar wären etwa Forderungen wie, den CO₂-Ausstoß 2035 nicht um 100 Prozent, sondern nur um 90 Prozent zu senken oder auch den Einsatz von Biofuels zu erlauben.

Kapitalmarktunion mit neuem Anstrich

Investitionen will die aktuelle und künftige Kommissionspräsidentin ebenfalls voll auf Wettbewerbsfähigkeit ausrichten. “Europäische Start-ups sollten nicht in die USA oder nach Asien schauen müssen, um ihre Expansion zu finanzieren”, schreibt von der Leyen in ihren Leitlinien. Deshalb schlägt sie eine Spar- und Investitionsunion für Banken und Kapitalmärkte vor, die auch Enrico Letta in seinem Binnenmarktbericht vorgeschlagen hatte.

Im Wesentlichen geht es dabei um das Projekt der Kapitalmarktunion, das schon seit zehn Jahren in Brüssel besprochen wird. In den vergangenen Monaten versuchten EU-Regierungschefs und einzelne Finanzminister das Projekt weiter vorwärtszubringen, aber die konkreten Harmonisierungsvorschläge kommen aufgrund nationaler Interessen nicht wesentlich vom Fleck.

28. Regime soll Unternehmen schneller wachsen lassen

Von der Leyen bleibt in den Detailfragen der Kapitalmarktunion vage, jedoch will sie “einen neuen EU-weiten Rechtsstatus vorschlagen, um innovative Unternehmen beim Wachstum zu unterstützen.” Unternehmen mit diesem EU-weiten Rechtsstatus würden von einem 28. Regime profitieren, das “den Unternehmen die Möglichkeit gibt, in bestimmten Bereichen ein einfacheres, harmonisiertes Regelwerk zu nutzen.”

Auch die Idee des 28. Regimes ist nicht neu. Dass die Idee wieder hervorgeholt wird, ist auch vor dem Hintergrund der technisch komplexen, politisch schwierigen und bisher mehrheitlich erfolglosen Harmonisierungsbemühungen im Steuer-, Insolvenz-, und Unternehmensrecht zu verstehen. Die Frage ist, ob die im EU-Rat versammelten Minister ein Interesse haben an einer europäischen Unternehmensform, die attraktiver ist als ihr jeweiliges nationales Regime.

Sander Tordoir, Chefökonom des Think-Tanks Centre for European Reform (CER), begrüsst von der Leyens Ankündigung zum 28. Regime. Es würde jungen EU-Firmen dabei helfen, “schneller in mehreren Ländern aktiv zu werden und von einer größeren Marktgröße zu profitieren – was vor allem in den Bereichen Technologie und digitale Dienstleistungen wichtig ist”, sagte er Table.Briefings. Zudem würde es “den Unternehmen den Zugang zu Kapital erleichtern, indem es die Investitionsbedingungen für internationale und gesamteuropäische Investoren transparenter und einheitlicher macht.”

Competitiveness Fund soll Investitionen fördern

Privatkapital allein wird die notwendigen Investitionen nicht bereitstellen können. Von der Leyen kündigt deshalb einen “Europäischen Fonds für Wettbewerbsfähigkeit” (Competitiveness Fund) an, mit dem die EU strategische Technologien fördern soll. Die Mittel des Fonds sollen durch öffentliche Garantien Risiken für Privatinvestoren minimieren und somit eine Hebelwirkung erzeugen. Je stärker die Kommission jedoch auf solche Hebelwirkungen setzt, desto schwieriger wird es, den tatsächlichen Effekt des Fonds zu beurteilen.

Der Wettbewerbsfähigkeitsfonds, den von der Leyen 2025 im Rahmen des Vorschlags für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen ab 2028 präsentieren will, erinnert an den Souveränitätsfonds, den von der Leyen 2022 angekündigt hatte. Die Idee musste sie aufgrund nationaler Widerstände – insbesondere aus Deutschland – wieder fallen lassen. Dennoch fordert von der Leyen einen “aufgestockten” Haushalt für die nächste Haushaltsperiode von 2028 bis 2034. Sie präzisiert aber nicht, wie hoch der neue Haushalt ausfallen soll.

Buy European im Beschaffungswesen

Von der Leyens Programm kann auch als vorsichtigen Umbau des europäischen Wirtschaftsmodells begriffen werden. Die Wirtschaftspolitik soll sich stärker am Heimmarkt orientieren. So soll die heimische Industrie auch in der öffentlichen Beschaffung stärker bevorzugt werden.

“Ich werde eine Überarbeitung der Richtlinie über die Vergabe öffentlicher Aufträge vorschlagen. So wird es möglich sein, europäischen Produkten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in bestimmten strategischen Sektoren den Vorzug zu geben”, schreibt von der Leyen in ihrem Programm. Dies soll den Beschaffungsmarkt, der 14 Prozent des europäischen BIPs ausmacht, stärker in den Dienst der europäischen Wirtschaft stellen – eine Forderung, die bisher vor allem Frankreich vorbrachte.

Partnerschaften statt klassischem Freihandel

Auch bei der Handelspolitik geht es um mehr als nur die Förderung des Außenhandels. Der stark exportorientierte Verband der deutschen Maschinenhersteller VDMA äußerte sich besorgt über den “sehr stark nach innen ausgerichtete[n]” wirtschaftspolitischen Ansatz von der Leyens. “Die Öffnung von Märkten oder gar konkrete Pläne, laufende Verhandlungen abzuschließen und Freihandelsabkommen umzusetzen, haben in ihrer Rede gefehlt”, so Hauptgeschäftsführer Brodtmann.

In ihrer neuen “Außenwirtschaftspolitik für die heutigen Realitäten” gehe es um wirtschaftliche Sicherheit, Handel und Investitionen in Partnerschaften. Statt über große neue Freihandelsverträge spricht von der Leyen über “Clean Trade and Investment Partnerships”, in denen die Marktöffnung in Drittstaaten, mit dem Zugang zu kritischen Rohstoffen und europäischen Investitionen in die Partnerländer kombiniert werden.

Neil Makaroff vom Thinktank Strategic Perspectives begrüßt diese Entwicklung als “Möglichkeit, Win-Win-Partnerschaften mit Drittstaaten und für die Dekarbonisierung zu schließen.” Unter einer wichtigen Bedingung, die als Frage über von der Leyens ganzen Wirtschaftsagenda schwebt: “Es bleibt abzuwarten, ob es den Europäern gelingt, die Mittel hinter diese neue industrielle Situation zu stellen”, sagte Makaroff zu Table.Briefings.

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Leitlinien in der Digitalpolitik: Konzentration auf Um- und Durchsetzung

Die Leitlinien Ursula von der Leyens für die Wahlperiode 2024-2029 bauen im Digital- und Innovationsbereich auf den Zielen des vorherigen Mandats auf. Sie setzen jedoch einen anderen Fokus, der im neuen Mandat auf der Um- und Durchsetzung bestehender Gesetze liegt. “Wir werden nun unsere Durchsetzung in der kommenden Mandatsperiode deutlich intensivieren“, heißt es in den Leitlinien. Vorgesehen sind auch mehr Investitionen in neue Technologien.

Der Schutz der Demokratie und die Bekämpfung von Desinformation bleiben zentrale Themen. Dabei legen die neuen Leitlinien einen klaren Schwerpunkt auf die Rolle der großen Technologiekonzerne. “Technologieriesen müssen Verantwortung für ihre enorme systemische Macht in unserer Gesellschaft und Wirtschaft übernehmen”, lautet die Forderung.

Das Kapitel zur Digitalpolitik ist mit “Steigerung der Produktivität durch Verbreitung digitaler Technologien” überschrieben. Es steigt mit der Feststellung ein, dass Europas Wettbewerbsfähigkeit durch “seine geringere Produktivität im Vergleich zu seinen unmittelbaren globalen Wettbewerbern beeinträchtigt” sei. Ursache dafür sei die unzureichende Verbreitung digitaler Technologien. Das soll sich ändern.

Schaffung eines echten digitalen Binnenmarkts

Im Einzelnen will von der Leyen im neuen Mandat folgende Themen angehen, um einen echten digitalen Binnenmarkt aufzubauen:

  • Zoll-, Steuer- und Sicherheitskontrollen sowie Nachhaltigkeitsstandards gegenüber großem Plattformen wirksam durchsetzen, mit dem Ziel gleicher Wettbewerbsbedingungen
  • eine Strategie für die Europäische Datenunion vorlegen, um das Datentauschen bei hohen Datenschutz- und Sicherheitsstandards zu ermöglichen
  • in die nächste Generation von Pioniertechnologien investieren – vor allem Hochleistungsrechner, Halbleiter, Internet der Dinge, Genomik, Quanteninformatik, Weltraumtechnologie
  • in den ersten 100 Tagen soll eine Initiative für KI-Fabriken dafür sorgen, dass KI-Start-ups und Industrie Zugang zu maßgeschneiderten Hochleistungsrechenkapazitäten erhalten. Europa soll weltweit führend bei Künstlicher Intelligenz werden
  • eine Strategie “KI anwenden” entwickeln, um neue industrielle und öffentliche Anwendungen von KI zu fördern. Ein Europäischer KI-Forschungsrat soll alle Ressourcen bündeln.

Der von Binnenmarktkommissar Thierry Breton zum Ende des abgelaufenen Mandats vorgeschlagene Digital Networks Act findet sich dagegen kaum in den Leitlinien wieder. Breton hatte dazu ein Weißbuch vorgelegt, mit dem Plan, dass die kommende Kommission daraus ein Gesetz macht, um den digitalen Binnenmarkt umzusetzen. Die angedachten Maßnahmen – wie etwa eine Beteiligung der großen Technologiekonzerne an den Netzwerkkosten – kommen nicht vor.

Höhere Ausgaben für die Forschung und ein Innovationsrat

Um Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen, will von der Leyen zudem “ein neues Zeitalter des Erfindungsreichtums” einläuten und dazu “Forschung und Innovation, Wissenschaft und Technologie in den Mittelpunkt unserer Wirtschaft” stellen. Dazu sollen die Forschungsausgaben steigen und sich stärker auf “strategische Prioritäten, bahnbrechende Grundlagenforschung und disruptive Innovation sowie auf wissenschaftliche Exzellenz” konzentrieren. Zudem soll ein Europäischer Innovationsrat den Europäischen Forschungsrat ergänzen.

Von der Leyen möchte, dass Europa “die Biotechnologie-Revolution optimal nutzt” und kündigte an, 2025 einen neuen europäischen Biotech-Rechtsakt vorzuschlagen. Dieser werde Teil einer breiter angelegten Strategie für europäische Biowissenschaften sein.

Mehr Sicherheit für Kinder und Jugendliche im digitalen Raum

Zum Schutz von Kindern und Jugendlichen im digitalen Raum plant von der Leyen eine EU-weite Untersuchung, um die Auswirkungen sozialer Medien auf das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen zu verstehen. Zudem sagt sie gefährlichen Praktiken von Online-Plattformen – wie endloses Scrollen, automatische Wiedergabe und ständige Push-Benachrichtigungen – den Kampf an. Auch ein Aktionsplan zur Bekämpfung von Cybermobbing steht auf der Agenda, um den zunehmenden Missbrauch im Internet zu adressieren.

Wie in ihrer Rede, so betont von der Leyen auch in den Leitlinien, wie zentral eine freie und unabhängige Presse für Demokratie und Rechtsstaat sind. In den Leitlinien verpflichtet sie sich, den Europäischen Rechtsakt zur Medienfreiheit (European Media Freedom Act) umzusetzen, um unabhängige Medien und Journalisten zu schützen.

Ein Schutzschild für die Demokratie

Als entscheidend für den Schutz der Demokratie sieht von der Leyen auch die Verhinderung von Desinformation und ausländischer Manipulation. Dazu schlägt sie ein neues Europäisches Schutzschild für die Demokratie vor. “Dabei werden wir nach dem Beispiel der französischen Behörde Viginum oder des schwedischen Amts für psychologische Landesverteidigung daran arbeiten, der ausländischen Manipulation von Informationen und der Einflussnahme über das Internet entgegenzuwirken.” Dazu gehören:

  • die Einrichtung eines europäischen Netzwerks von Faktenprüfern
  • Maßnahmen zur Bekämpfung von Deepfakes
  • Umsetzung der Transparenzanforderungen des KI-Rechtsakts und Stärkung des Umgangs mit KI-erzeugten Inhalten

Betrachtet man allein die Quantität, so fällt auf, dass die Digitalthemen in den neuen Leitlinien deutlich weniger Raum einnehmen, als noch im Jahr 2019. Damals widmeten sich insgesamt etwa sieben Seiten (von 24 Seiten) explizit digitalen und Innovationsthemen, was etwa 29 Prozent des Dokuments ausmachte. Im aktuellen Dokument sind es circa fünf Seiten (von 35), was lediglich rund 14 Prozent des Dokuments entspricht.

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  • Nachhaltigkeitsstandards
  • Ursula von der Leyen

EU-Monitoring

22.07.-25.07.2024
Erste Ausschusssitzungswoche der neuen Legislaturperiode des EU-Parlaments
Themen: Die Mitglieder des EU-Parlaments kommen zum ersten Mal in der neuen Legislaturperiode in den Ausschüssen zusammen. Infos

22.07.-23.07.2024
Informelle Ministertagung Justiz und Innen
Themen: Die zuständigen Minister kommen zu Beratungen zusammen. Infos

22.07.2024 – 09:00 Uhr
Rat der EU: Auswärtige Angelegenheiten
Themen: Gedankenaustausche zur russischen Aggression gegen die Ukraine und zur Situation im Nahen Osten. Vorläufige Tagesordnung

24.07.-25.07.2024
Informelle Ministertagung Gesundheit
Themen: Die zuständigen Minister kommen zu Beratungen zusammen. Vorläufige Tagesordnung

24.07.2024
Wöchentliche Kommissionssitzung
Themen: Bericht zur Rechtsstaatlichkeit 2024. Vorläufige Tagesordnung

News

“Eine neue Ära”: Von der Leyen setzt auf Verteidigungsunion

Ursula von der Leyen kündigt in ihren politischen Leitlinien eine “neue Ära für Sicherheit und Verteidigung” an. Das neue Topthema kommt am nächsten an den “Mann-auf-dem-Mond-Moment” von 2019, als der Green Deal im Vordergrund stand. Für die Kommissionspräsidentin geht dabei die Unterstützung der Ukraine Hand in Hand mit der neuen Priorität für die EU. Die beste Investition in die europäische Sicherheit sei die Investition in die Sicherheit der Ukraine.

Den größten Applaus bekam die Kandidatin, als sie Viktor Orbán für dessen “Friedensmission” in Moskau kritisierte. Was Ungarns Regierungschef betreibe, sei Beschwichtigungspolitik. Zwei Tage nach Orbáns Besuch bei Wladimir Putin habe Russland das Kinderkrankenhaus in Kiew bombardiert, sagte Ursula von der Leyen. Das sei kein Irrtum gewesen, sondern eine klare Botschaft, eine “abschreckende Botschaft an uns alle”.

Die Kommissionspräsidentin verspricht, die nächsten fünf Jahre den Fokus auf den Aufbau einer “echten europäischen Verteidigungsunion” zu legen. Von der Leyen bekräftigt, dass sie einen Kommissar für Verteidigung ernennen wird, der die Koordination zur Stärkung der industriellen Basis und der Innovation im Rüstungssektor übernehmen soll. Für den neuen Schlüsselposten gibt es bereits verschiedenen Interessenten, unter anderem den bisherigen Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Der Franzose müsste dann allerdings mit der neuen EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas zusammenarbeiten.

“Höhere Ausgaben, bessere Ausgaben und gemeinsame Ausgaben”

In den ersten 100 Tagen ihres Mandats will Ursula von der Leyen ein Weißbuch zur Zukunft der europäischen Verteidigung vorlegen. Im Mittelpunkt werde dort der Ausbau der Zusammenarbeit zwischen der EU und der Nato stehen, die in den vergangenen Jahren allerdings durch den ungelösten Zypernkonflikt blockiert wurde. Wie diese Blockade zwischen den EU-Mitgliedern Griechenland und Zypern sowie zwischen dem Nato-Mitglied Türkei aufgelöst werden soll, bleibt allerdings offen.

Im Weißbuch soll auch der Investitionsbedarf ermittelt werden, ein heikles Thema mit Blick auf die ungelöste Frage der Finanzierung. Nötig seien “höhere Ausgaben, bessere Ausgaben und gemeinsame Ausgaben”. Verteidigungsetats würden zwar nach wie vor vorwiegend auf nationaler Ebene ausgegeben, so von der Leyen. Sie will aber den Aufbau des Europäischen Verteidigungsfonds vorantreiben, der in hoch entwickelte Verteidigungsfähigkeiten “wie See-, Boden und Luftkampf sowie weltraumgestützte Frühwarnung und Cyberabwehr” investieren soll.

Über den Ausbau des Programms für die europäische Verteidigungsindustrie sollen ferner Anreize gesetzt werden, besonders kritische Lücken bei den militärischen Fähigkeiten über gemeinsame Beschaffungen zu schließen. Es müssten Ressourcen zusammengeführt werden, um den gemeinsamen Bedrohungen durch Vorzeigeprojekte der europäischen Verteidigungsunion zu begegnen. Konkret erwähnt werden die Projekte für einen europäischen Luftschild und zur gemeinsamen Cyberabwehr.

Vorschläge zu Verteidigungsinvestitionen sollen folgen

Die Reizbegriffe Eurobonds oder gemeinsame Schulden vermied von der Leyen sowohl in den Leitlinien als auch in ihrer Bewerbungsrede. Es brauche zuerst Anreize für private Investitionen in die Verteidigung. Das Stichwort Taxonomie kommt zwar nicht vor, könnte aber gemeint sein. Korrekturen bei der Taxonomie könnten ein Weg sein, damit Rüstungsunternehmen einfacher an private Gelder kommen. Verstärkt einspannen will die Kommissionspräsidentin die Europäische Investitionsbank. Nötig seien zudem europäische Investitionen im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen.

Ursula von der Leyen kündigt auch an, zusätzlich weitere Vorschläge in Bezug auf den dringenden Bedarf bei Verteidigungsinvestitionen zu unterbreiten. Bis zum nächsten EU-Gipfel im Oktober soll das Optionenpapier vorliegen, das bereits im Juni erwartet und dann aus Rücksicht auf Befindlichkeiten in Berlin zurückgestellt worden war. Spätestens im Herbst dürfte der Konflikt um gemeinsame Schulden, höhere nationale Beiträge in den Haushalt oder neue Eigenmittel wieder aufkochen. Denn ohne ausreichende Finanzierung bleibt die Verteidigungsunion ein Papiertiger. sti

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Migration: Von der Leyen will Frontex-Personal verdreifachen

In der Asyl- und Migrationspolitik hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen massiven Ausbau der EU-Grenzschutzbehörde Frontex angekündigt. Das Frontex-Personal soll verdreifacht werden – auf 30.000 Grenzschützer und Küstenwachen. In welchem Zeitraum das geschehen soll, blieb offen. Bisher wurde der Ausbau immer wieder durch Personalmangel gebremst. Außerdem kündigte von der Leyen ein “integriertes” und voll digitalisiertes Grenzmanagment an. Damit werde die EU “zum fortschrittlichsten Reiseziel der Welt”. Die Grundrechte sollen aber gewahrt werden – was bei Frontex in der Vergangenheit nicht immer der Fall war.

Von der Leyen kündigte außerdem einen “neuen gemeinsamen Ansatz für Rückführungen” von nicht anerkannten Asylsuchenden an. Dazu werde es auch einen neuen Rechtsrahmen geben, der für schnellere und einfachere Verfahren sorgen soll. Zudem will die neue Kommission sicherstellen, dass bei den Rückführungen die Würde der Menschen geachtet wird und Rückkehrentscheidungen gegenseitig anerkannt werden. Bisher scheitern Rückführungen oft an einem Mangel an grenzüberschreitender Kooperation.

Asylverfahren in Drittstaaten schafften es nicht in die Leitlinien

Nicht in die Leitlinien aufgenommen wurden die umstrittenen Asylverfahren in Drittstaaten, wie sie die EVP fordert. Hier konnten sich offenbar Sozialdemokraten und Liberale durchsetzen. Stattdessen wird nun die legale Einwanderung betont. “Wir werden Mitgliedstaaten und Unternehmen bei der legalen Migration in Abhängigkeit vom Fachkräftebedarf unserer Volkswirtschaften und unserer Regionen unterstützen”, heißt es. Dies kommt Deutschland entgegen, das entsprechende Pläne gefordert hatte.

Bei der inneren Sicherheit kündigt von der Leyen eine neue europäische Strategie an. Es gehe darum, Sicher-heitsaspekte durchgängig im Recht und in der Politik der EU zu berücksichtigen. Außerdem will die EU-Kommission härter gegen organisierte Kriminalität vorgehen. Die geltenden Vorschriften sollen überarbeitet werden. ebo

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Erweiterung und Reform: vorsichtiger Ansatz

Ursula von der Leyen will sich in der zweiten Amtszeit für die Aufnahme neuer EU-Mitglieder einsetzen. Wie schnell dies geschehen soll und mit welchen Reformen im Gefüge der EU die Erweiterung verbunden werden sollte, dazu blieb die Kommissionspräsidentin aber erneut vage.

Die Aufnahme der Staaten des Westbalkans, der Ukraine, Moldaus und Georgiens sei ein “moralisches, politisches und geostrategisches Gebot” für Europa, so von der Leyen. Aber nur wer sämtliche Kriterien erfülle, könne letztlich beitreten. Um die Heranführung soll sich ein eigens dafür verantwortlicher Erweiterungskommissar kümmern – bislang war dieser zugleich für die europäische Nachbarschaftspolitik zuständig.

Die Erweiterung der Union auf 30 Mitgliedstaaten oder mehr erfordere aber ein “ehrgeiziges Reformprogramm” für die EU selbst, so von der Leyen. Sie zeigte sich erneut grundsätzlich offen für eine Änderung des Lissaboner Vertrages, wie ihn das Europaparlament fordert, blieb aber unkonkret: “Sie sagt nicht, wie der Prozess aussehen soll oder wo es notwendig wäre”, so Thu Nguyen, Expertin des Jacques Delors Centre in Berlin.

Analyse in den ersten 100 Tagen

Ähnlich wie Kanzler Olaf Scholz scheint von der Leyen einen pragmatischeren Ansatz zu bevorzugen, der die hohen Zustimmungshürden für eine Vertragsreform möglichst vermeiden will. Die Vorschläge zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit sollten sich “auf das konzentrieren, was bereits jetzt getan werden kann, und auf die Bereiche, in denen sich ein breiter Konsens abzeichnet”, heißt in den Leitlinien. Als Grundlage dafür soll die Kommission in den ersten 100 Tagen ihre Analysen vorlegen, welche Folgen eine Erweiterung auf einzelne Bereiche wie Rechtsstaatlichkeit, Binnenmarkt, Landwirtschaft, Kohäsion oder Verteidigung haben wird.

Von der Leyen spreche wichtige Punkte an, habe aber nichts Bahnbrechendes oder für sie Risikoreiches gesagt, um ihre Wiederwahl nicht zu gefährden, analysiert Thu Nguyen. Als politische Landschaftspflege ist wohl auch ihre Zusage zu verstehen, sich weiter für ein Gesetzesinitiativrecht für das Europarlament einzusetzen. Künftig sollen die Kommissionsmitglieder mit den parlamentarischen Ausschüssen in strukturierte Dialoge über deren Initiativberichte treten. tho

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Das plant von der Leyen in der Sozialpolitik

Erstmals soll ein Kommissionsmitglied für das Thema Wohnen zuständig sein. Das kündigte Ursula von der Leyen am Donnerstag in ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament an. “Europa befindet sich in einer Wohnungskrise, von der Menschen jeden Alters und Familien jeder Größe betroffen sind”, sagte von der Leyen zur Begründung. “Ich [werde] ein Kommissionsmitglied ernennen, dessen Zuständigkeitsbereich auch den Wohnraum umfasst”, führt sie in ihren Leitlinien aus.

Von der FDP im Bundestag kam prompt Kritik. “Die EU sollte sich um die großen Themen kümmern und sich nicht nach Belieben neue Themen nehmen”, sagte der wohnungspolitische Sprecher Daniel Föst. Die “extrem kleinteilige Bürokratie” der europäischen Gebäuderichtlinie und der Taxonomie habe dem Wohnungsbau bereits massiv geschadet. Der Wohnungsverband GdW begrüßte von der Leyens Ankündigung jedoch.

Mehr Kohäsionsmittel sollen in Wohnungsbau fließen

Wie die Kommissionspräsidentin weiter ausführte, sollen die Staaten in einem ersten Schritt die Möglichkeit bekommen, ihre kohäsionspolitischen Investitionen für bezahlbaren Wohnraum zu verdoppeln. Die Beihilferegeln für soziales und energieeffizientes Wohnen sollen zudem überarbeitet werden und ein europäischer Aktionsplan für erschwinglichen Wohnraum folgen.  

Der Schritt war angesichts eklatant gestiegener Immobilien- und Mietkosten von verschiedenen Stellen gefordert worden, etwa von Enrico Letta in seinem Binnenmarktbericht. Die irischen Sozialdemokraten forderten am Donnerstag den ehemaligen irischen Minister Michael McGrath auf, sich um die Stelle des Wohnkommissars zu bewerben. McGrath ist der Nominierte für einen Kommissarsjob der irischen Regierung.

Grundsicherungsrichtlinie kein Thema  

Von der Leyen bekannte sich zudem zur Sozialen Säule der EU und kündigte einen Aktionsplan zur weiteren Umsetzung an. Als Handlungsfelder nannte sie konkret ein “Recht auf Abschalten” für Beschäftigte. Auch das Thema KI und Arbeitsrechte erwähnte sie – was in eine Richtlinie zum algorithmischen Management münden könnte.

Eine von den Linken, Grünen, S&D im Wahlkampf geforderte europäische Grundsicherungsrichtlinie wurde in der Rede von der Leyens dagegen weder direkt noch indirekt genannt. Allerdings kündigte sie einen Aktionsplan gegen Armut an. Dieser könnte nach Einschätzung von Beobachtern mit entsprechendem parlamentarischen Druck auch in Richtung dieser Maßnahme ausgelegt werden. Die Erfolgsaussichten sind aber eher durchwachsen.  

Bischoff: Vorstöße zu Subunternehmern und sozialem Wandel 

Die S&D-Vizevorsitzende Gaby Bischoff sagte gegenüber Table.Briefings: “Der erste Schritt ist geschafft. Von der Leyen hat in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ein paar Türen geöffnet.” In einem zweiten Schritt ginge es jetzt um Präzisierungen: “Bisher ist nur das Recht auf Abschalten als konkrete legislative Maßnahme genannt worden. Da wollen wir als S&D jetzt weiter Druck machen, wenn es um die Formulierung der Mission Letter und dann auch die Anhörung der Kommissare geht.” Wichtig sei ihr etwa ein konkreter Vorstoß zur Subunternehmerbegrenzung und eine Richtlinie zur sozial gerechten ökologischen Transformation.  

Dennis Radtke, EVP-Koordinator im Arbeits- und Sozialausschuss sagte Table.Briefings: “Von der Leyen hat sich zur weiteren Implementierung der Sozialen Säule bekannt. Wenn sie das so offensiv formuliert, verknüpft sich damit eine andere Erwartungshaltung, als wenn es nur pflichtschuldig daherkommt.”  

Er lobte, dass von der Leyen das Thema Wohnraum aufgegriffen hat. “Es gibt Themen, die die Menschen schlichtweg umtreiben. Bezahlbarer Wohnraum und Lebenshaltungskosten, das berührt die Menschen. Es ist wichtig, dass wir das als EU angehen und im Rahmen unserer Möglichkeiten Beiträge leisten.” lei

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S&D vergibt Zuständigkeiten

Die Sozialdemokraten im EU-Parlament haben erste Koordinatoren für die Ausschüsse benannt und die Zuständigkeiten innerhalb des Vorstands geklärt. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gaby Bischoff (SPD) übernimmt die Zuständigkeiten für nachhaltiges Wirtschaften, das soziale Europa und den Binnenmarkt, teilte die Fraktion gestern über X mit. Die Portugiesin Ana Catarina Mendes wird zuständig sein für das Thema Rechtsstaatlichkeit, für Verteidigung der Grieche Yannis Maniatis.

Deutsche Sozialdemokraten übernehmen wieder mehrere Rollen als Koordinatoren: Delegationschef René Repasi für Recht, Udo Bullmann für Entwicklung und Birgit Sippel für Justiz. ber

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Wiederwahl: Diese China-Punkte stehen in von der Leyens Manifest

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen wurde am Donnerstag in ihrem Amt wiedergewählt. Das Europäische Parlament bestätigte von der Leyen mit 401 Stimmen. 2019 fand China keine Erwähnung in ihrem politischen Manifest für ihre erste Amtszeit. In den am Donnerstag veröffentlichten politischen Richtlinien für die kommenden fünf Jahre zeichnet von der Leyen nun jedoch den China-Kurs vor.

Die wichtigsten Punkte: 

  • De-Risking: “Wir haben die Gefahren von Abhängigkeiten oder ausfransenden Lieferketten am eigenen Leib erfahren – von medizinischen Produkten während der Pandemie über Putins Energieerpressung bis hin zu Chinas Monopol auf Rohstoffe, die für Batterien oder Chips unverzichtbar sind.”
  • Verteidigung: “Die kombinierten Verteidigungsausgaben der EU sind von 2019 bis 2021 um 20 Prozent gestiegen. In dieser Zeit stiegen die Verteidigungsausgaben Russlands um fast 300 Prozent und die Chinas um fast 600 Prozent. Gleichzeitig sind unsere Ausgaben zu unkoordiniert und nicht europäisch genug. Das müssen wir ändern.”
  • Wettbewerbsfähigkeit: “Die aggressivere Haltung und der unfaire Wirtschaftswettbewerb Chinas, seine grenzenlose Freundschaft mit Russland – und die Dynamik seiner Beziehungen zu Europa – spiegeln eine Verschiebung von der Kooperation zum Wettbewerb wider.”
  • Wirtschaftliche Sicherheit: “Die Kommission wird der Förderung der wirtschaftlichen Sicherheit und der wirtschaftspolitischen Gestaltung Europas höchste Priorität einräumen. Dies bedeutet, die Wettbewerbsfähigkeit im Inland zu steigern und in Forschungskapazitäten für strategische und Dual-Use-Technologien zu investieren, die für Wirtschaft und Sicherheit von wesentlicher Bedeutung sind.”
  • Wirtschaftliche Sicherheit II: “Wir müssen unsere Wirtschaft energischer vor dem Abfluss wichtiger Technologien und vor Sicherheitsbedenken schützen. Dieses Problem ist besonders akut, wenn wir es mit Unternehmen zu tun haben, die zugleich strategische Konkurrenten und systemische Rivalen sind.”
  • Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen: “Dies wird auf einer klarsichtigen Risikobewertung und unserem Grundsatz ‘Risikominderung statt Entkopplung’ basieren. Wir werden die Überprüfung des Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen abschließen, einen wirklich koordinierten Ansatz für Exportkontrollen entwickeln und die Risiken von Auslandsinvestitionen angehen.”
  • Global Gateway: “Wir werden Global Gateway auf die nächste Ebene bringen, indem wir unseren Partnern ein integriertes Angebot unterbreiten – mit Infrastrukturinvestitionen, Handel und makroökonomischer Unterstützung als Teil des Pakets.”
  • Indopazifik: “Wir werden mit Japan, Korea, Neuseeland und Australien zusammenarbeiten, mit denen wir gemeinsame Herausforderungen im Cyberspace, im Weltraum und bei der sicheren Versorgung mit kritischen Mineralien und Technologien bewältigen müssen.”
  • Taiwan: “Das umfasst unsere gemeinsamen Bemühungen, die gesamte Bandbreite unserer vereinten Staatskunst einzusetzen, um China davon abzuhalten, den Status quo einseitig mit militärischen Mitteln zu ändern, insbesondere in Bezug auf Taiwan.” ari
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Zollstreit mit Peking: Welche Exporteure auf dem Prüfstand stehen

Im Handelsstreit mit der EU eröffnet China nun direkte Untersuchungen bei drei führenden europäischen Schweinefleischlieferanten. Konkret handelt es sich um das dänische Unternehmen Danish Crown, die niederländische Firma Vion Boxtel BV und den spanischen Produzenten Litera Meat S.L.U., wie das Handelsministerium in Peking am Donnerstag mitteilte. Die Unternehmen sind die größten Lieferanten von Schweinefleischprodukten aus der Europäischen Union nach China.

Die chinesische Behörde will nach eigenen Angaben prüfen, ob diese Exporteure ihre Produkte zu Preisen verkaufen, die unter dem normalen Marktwert liegen, wodurch der chinesischen Industrie Schaden zugefügt werden könnte. Die Untersuchung soll voraussichtlich bis zum 17. Juni 2025 laufen, könne bei Bedarf aber um weitere sechs Monate verlängert werden.

China bezog 2023 Schweinefleisch im Wert von umgerechnet 5,5 Milliarden Dollar aus dem Ausland, einschließlich Nebenprodukten wie Füße, Ohren und Innereien, die in China anders als in Europa sehr begehrt sind. Mehr als die Hälfte der Waren kamen aus der EU. Dänemark, die Niederlanden und Spanien hatten sich für Zusatzzölle auf chinesische E-Fahrzeuge ausgesprochen.

EU-Branntwein-Importe im Visier

Neben Fleischprodukten hat es China auch auf Branntwein-Importe aus Europa abgesehen. Im Jahr 2023 importierte China 43,31 Millionen Liter Brandy, mehr als 96 Prozent davon aus Frankreich, das sich ebenfalls für die Zölle ausgesprochen hatte.

Hochrangige Vertreter französischer Cognac-Produzenten und der EU nahmen am Donnerstag an einer Anhörung in Peking teil, wie der französische Lobbyverband BNIC mitteilte. Auf dem Prüfstand stehen demnach Firmen, die sich unter anderem im Besitz von Remy Cointreau, Pernod Ricard und LVMH befinden. Das Treffen habe den Cognac-Herstellern eine erste Gelegenheit geboten, sich persönlich zu den Vorwürfen zu äußern. rtr/jul

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Kolumne

What’s cooking in Paris? Ein Sieg für Macron

Während die Abgeordneten des Europäischen Parlaments am gestrigen Donnerstag Ursula von der Leyen als Präsidentin der Europäischen Kommission bestätigten, wählten die französischen Abgeordneten Yaël Braun-Pivet, die bisherige Präsidentin der Nationalversammlung, erneut in das Amt.

Dies ist ein Etappensieg für Präsident Emmanuel Macron, der wegen seiner Entscheidung, das Parlament nur eine Stunde nach den Ergebnissen der Europawahlen aufzulösen, heftig in der Kritik steht. Alle Augen richten sich nun auf den Élysée-Palast: Wie wird der Präsident auf das Wahlergebnis reagieren?

Ein guter Moment für Macron

Selten wurde die Wahl des Vorsitzes der Nationalversammlung so intensiv von nationalen wie internationalen Medien kommentiert und verfolgt. Denn sie ist der erste Schritt auf dem Weg zur Regierungsbildung, die noch immer auf sich warten lässt. “Es ist ein Signal, aber sicherlich keine Lösung auf dem Weg zur baldigen Ernennung einer Regierung“, kommentierte eine französische Parlamentsquelle.

Diese Verzögerung ist gut für Macron. Denn je länger diese Regierung auf sich warten lässt, desto mehr verliert die politische Dynamik zugunsten der Linken an Schwung. Das Sahnehäubchen auf dem Kuchen: In einer Woche beginnen in Frankreich die Olympischen Spiele. Eine perfekte Gelegenheit für Macron, die derzeitige politische Verwirrung vergessen zu machen.

Die Kämpfe innerhalb des Nouveau Front Populaire (NFP) kommen dem Präsidenten zugute: Die Sozialisten und La France Insoumise streiten so heftig darüber, wer Kandidatin oder Kandidat für den Posten des Premierministers werden soll, dass sie die Beratungen gestoppt haben. Und das, obwohl die Zeit für das Linkslager drängt.

“Enttäuscht uns nicht, bevor ihr überhaupt regiert habt”

Nun steigt auch die Frustration in der Zivilgesellschaft. Ein breites Kollektiv aus Gewerkschaften, Verbänden, Künstlern und Intellektuellen forderte in einem Beitrag für “Le Monde” die linken Kräfte auf, “endlich” die Parteispaltungen zu beenden. “Im Falle eines Scheiterns wäre die Desillusionierung der Wähler immens”, warnen die Unterzeichner. Sophie Binet, die Generalsekretärin der Gewerkschaft CGT, die der Kommunistischen Partei nahesteht, sagte: “Enttäuscht uns nicht, bevor ihr überhaupt regiert habt.”

Bisher unterstützen drei der vier Parteien des NFP weiterhin die Kandidatur der Wirtschaftswissenschaftlerin und Klimadiplomatin Laurence Tubiana, die eine entscheidende Rolle bei der Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens im Jahr 2015 gespielt hat. Die Partei La France Insoumise lehnt ihre Kandidatur weiterhin ab, da sie Tubiana für zu nah an den Positionen des Macron-Lagers hält.

Tubiana ist Gegnerin der Rentenreform

Tubiana lässt sich davon nicht beeindrucken, sie sei “bereit”, Premierministerin zu werden. “Ich verlange nichts, aber es ist die Zeit des Engagements, und das passt zu mir”, sagte sie. “Der Nouveau Front Populaire hat nicht die absolute Mehrheit gewonnen”, aber er hat “einen Erfolg erzielt”. Für Tubiana bietet das NFP-Programm eine Antwort auf die “soziale und ökologische Notlage in Frankreich”.

Diese Politik müsse für “Steuergerechtigkeit” sorgen, sich um die “Wiederaufnahme des sozialen Dialogs über die Löhne” bemühen und die Rentenreform auf den Prüfstand stellen: “Man muss die Reform aufheben, sie einfrieren, alles, was man will, aber man wendet sie nicht an”, sagt Tubiana. Auch Macrons verschärftes Einwanderungsgesetz möchte sie rückgängig machen.

Diese Haltung ist eindeutig schwer mit den Positionen von Macron zu vereinbaren. Umso wichtiger ist es für sein Lager, auf Zeit zu spielen. Doch nun schaltet sich der französische Senat ein. Die Senatoren nahmen ihre Arbeit in Sorge über die politische Krise kurzzeitig wieder auf und versprachen, eine “Kraft des Ausgleichs” zu sein. Der konservative Senator Claude Malhuret sagte, dass sich Frankreich zum ersten Mal “in einer Sackgasse” befinde.

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Ursula von der Leyen ist Politprofi, das hat sie am Donnerstag erneut bewiesen. Über Wochen hat die alte und neue Kommissionspräsidentin um die Europaparlamentarier geworben, nun haben sie ihr eine komfortable Mehrheit verschafft. Sie hat es verstanden, all die Anliegen, Wünsche und Sensibilitäten zu einem Mosaik zusammenzufügen. Anders als 2019 stützt sie sich bei ihrer Wiederwahl fast nur auf die Fraktionen der proeuropäischen Mitte, einschließlich der Grünen. Von der Leyen tat gut daran, auch die Ökopartei zu umwerben – ohne deren Stimmen wäre sie womöglich durchgefallen.

    Nach einer kurzen Sommerpause wird sich von der Leyen daran machen, ihre neue Kommission zusammenzustellen. Fingerspitzengefühl braucht sie auch hier: Im Parlament ist die CDU-Politikerin auf die zweitgrößte Fraktion der Sozialdemokraten angewiesen, im Rat haben diese aber stark an Einfluss verloren und werden damit auch im neuen Kollegium nur mit wenigen Kommissaren vertreten sein. Um das auszutarieren, könnte sie den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Nicolas Schmit zu einem starken Vizepräsidenten machen, doch dafür ist sie auf die Zustimmung des christdemokratischen Ministerpräsidenten Luxemburgs angewiesen.

    Abwägen muss von der Leyen auch, ob sie einen neuen Anlauf nimmt, um Giorgia Meloni über ein gewichtiges Portfolio in ihrer Kommission stärker einzubinden. Doch Italiens rechte Regierungschefin scheint nicht recht zu wissen, was sie will.

    Die zweite Amtszeit von der Leyens dürfte zudem zu einer Fahrt in stürmischer See werden. In Paris herrscht politisches Chaos, in den USA könnte ab November erneut Donald Trump die Macht übernehmen, und der Querulant Viktor Orbán wird in den kommenden Monaten die Bühne weiter nutzen, die ihm die Ratspräsidentschaft bietet. Sich unter solchen Bedingungen den erstarkenden nationalistischen Fliehkräften entgegenzustemmen, ist auch für einen Politprofi wie von der Leyen eine Herkulesaufgabe.

    Ihr
    Till Hoppe
    Bild von Till  Hoppe

    Analyse

    Grüne Stimmen machen von der Leyen wieder zur Kommissionspräsidentin

    EVP-Chef Manfred Weber gratuliert der Kommissionspräsidentin. Weber wollte die Grünen nicht in der informellen Koalition haben, doch deren Stimmen sicherten Ursula von der Leyen nun die Wiederwahl.

    Ursula von der Leyen ist mit den Stimmen der proeuropäischen Mitte-Fraktionen im Europaparlament für eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin gewählt worden. Sie erhielt in geheimer Wahl 401 Stimmen – 41 Stimmen mehr als nötig für die absolute Mehrheit von 360 Sitzen. 284 Abgeordnete stimmten mit Nein, 22 Stimmzettel waren ungültig oder nicht ausgefüllt.

    Die CDU-Politikerin konnte sich auf die überwiegende Zahl der Stimmen aus dem informellen Bündnis von EVP, Sozialdemokraten sowie Liberalen stützen, die zusammen 401 Abgeordnete stellen. Sie dürfte im eigenen Lager etwa 40 Stimmen nicht bekommen haben, erhielt aber einen Großteil der Stimmen aus der Grünen-Fraktion mit ihren 53 Sitzen, obwohl diese nicht Teil der informellen Koalition sind. Die Rechtsaußen-Fraktionen stimmten offenbar weitgehend geschlossen gegen die CDU-Politikerin. Ohne die Stimmen der Grünen wäre sie daher vermutlich nicht gewählt worden.

    Von der Leyen sei “mit einem starken Mandat aus der demokratischen Mitte des Europäischen Parlaments gewählt” worden, sagte Europa-Staatsministerin Anna Lührmann (Grüne) zu Table.Briefings. Die Unterstützung der Grünen für eine zweite Amtszeit sei “wichtig und richtig”. Von der Leyen habe sich in ihrer Bewerbung klar zum Green Deal bekannt und zugesagt, sich für EU-Reformen, Rechtsstaatlichkeit und einen Clean Industry Deal einzusetzen, sagt die Grünen-Politikerin..

    Keine Kooperation mit undemokratischen Kräften

    Von der Leyen schloss in ihrer Rede mehrfach eine Zusammenarbeit mit “nicht demokratischen Kräften” aus. Diese Ansage könnte dazu beigetragen haben, dass sie wohl nur wenige Stimmen aus der nationalkonservativen EKR-Fraktion bekommen hat. Grüne und Sozialisten zählen die EKR nicht zu den demokratischen Kräften. Sie warnen die EVP davor, in der Gesetzgebung gemeinsame Sache mit der EKR zu machen. “Wir müssen die EVP davon abhalten, dirty deals mit Rechtsaußen zu machen”, hieß es aus der S&D-Fraktion. Die EVP zeigte sich davon unbeeindruckt: Im Europaparlament gebe es keinen Fraktionszwang, heißt es dort. Ob und welche Mehrheiten ein Bericht bekomme, ergebe sich im Gesetzgebungsverfahren.

    Die 188 Abgeordneten der christdemokratischen Fraktion dürften fast alle für ihre Spitzenkandidatin im Wahlkampf gestimmt haben. In der Fraktionssitzung nach ihrer Rede im Plenum war man sich einig, dass von der Leyen mit der Rede und den Leitlinien eine Kurskorrektur vornehme im Vergleich zu ihrem ersten Mandat an der Spitze der Kommission. Intonierung und politische Inhalte stimmten jetzt, hieß es anerkennend.

    37 EVP-Forderungen in den Leitlinien

    Alle politischen EVP-Forderungen fänden sich wieder. Die Fraktionsführung listete 37 EVP-Forderungen auf, die Niederschlag in von der Leyens Leitlinien gefunden hätten. Wie viele Nein-Stimmen es aus der EVP-Fraktion gab, ist Spekulation: Kritisch geäußert hatten sich zuvor die sechsköpfige französische Delegation um François-Xavier Bellamy sowie vier slowenische Abgeordnete. Einer der vier Slowenen postete sogar auf X seinen ausgefüllten Wahlzettel samt Personalausweis. Bellamy gab anschließend auf X an, seine Delegation habe von der Leyen abgelehnt. In der EVP-Fraktionssitzung hatte er aber für eine zweite Amtszeit geworben, wie mehrere Teilnehmer berichten.

    Von der Leyen hatte in ihrer Rede und ihren politischen Leitlinien viele der Punkte angesprochen, die die vier Mitte-Fraktionen von ihr erwartet hatten. Den Sozialdemokraten stellte sie unter anderem einen Kommissar für den Wohnungsbau in Aussicht und grenzte sich klar von den Rechtsaußen-Kräften ab. Damit haben sie die Wogen geglättet, sagte ein führender Sozialdemokrat, die Fraktionssitzung nach der Rede verlief laut Teilnehmern entsprechend unaufgeregt.  

    In der Sitzung kündigte lediglich der irische S&D-Delegierte an, von der Leyen nicht mittragen zu wollen. Zwei Abgeordnete aus dem französischsprachigen Teil Belgiens erklärten, sich enthalten zu wollen. Die große italienische PD-Delegation habe hingegen Zustimmung signalisiert, wenn auch mit Bedenken. Ein erfahrener Abgeordneter schätzt, dass rund 85 Prozent der S&D-Parlamentarier von der Leyen ihre Stimmen gaben.

    FDP kritisiert “Respektlosigkeit”

    Ähnlich die Lage bei den Liberalen: Offen gegen von der Leyen sprachen sich nur die irischen Abgeordneten aus – und die FDP-Delegation. Deren Vorsitzende Marie-Agnes Strack-Zimmermann kritisierte, von der Leyens Programm bedeute “größtenteils ein ‘Weiter so'”. Sie habe zudem in ihrer Rede neue europäische Schulden nicht ausgeschlossen, wolle im Gegenteil “den Haushalt aufblähen, ohne zu sagen, woher das Geld kommen soll”. Zum Thema Rechtsstaatlichkeit habe sie zwar schöne Worte gefunden, aber nichts Konkretes vorgeschlagen.

    Die fünf FDP-Abgeordneten hatten im Vorfeld von der Leyen aufgefordert, zu diesen und anderen Themen wie dem Verbrenner-Aus klar Position zu beziehen. Es sei “eine Respektlosigkeit der besonderen Art“, dass diese es nicht für nötig befunden habe zu antworten, heißt es in der Delegation. Erst als man das eigene Nein öffentlich gemacht habe, habe von der Leyens Team hektisch versucht, Strack-Zimmermann zu kontaktieren.

    Grüne sehen sich als Präsidentinnen-Macher

    Die Grünen nehmen für sich in Anspruch, Präsidentinnen-Macher zu sein. In der Fraktionssitzung vor dem Wahlgang im Plenum gab es eine Probeabstimmung. Von 53 Abgeordneten stimmten dabei 44 für von der Leyen. Die neun Gegenstimmen kamen von Abgeordneten aus Frankreich, Italien und Spanien. Allerdings gibt es Hinweise, dass einige von ihnen anschließend bei der geheimen Wahl im Plenum ihre Stimme doch von der Leyen gegeben haben.

    Den Ausschlag gab, dass etwa das Klimaziel für 2040 (minus 90 Prozent) Eingang in die Leitlinien gefunden hat. Der großen Zustimmung tat es auch keinen Abbruch, dass die Grünen entgegen ihres mehrfach geäußerten Wunsches nicht Teil der informellen Koalition sind. Dafür sei aber nicht von der Leyen verantwortlich, sondern EVP-Chef Manfred Weber, hieß es in der Fraktion. Weber sei noch im Wahlkampfmodus. Bei der Verteilung der Ausschussposten aus dem “Cordon sanitaire” und bei der Wahl der Vizepräsidenten habe man aber gesehen, dass die Absprachen mit den Parteien der Plattform hielten.

    EKR will bei Gesetzen mitmischen

    Nur wenige der 78 EKR-Abgeordneten dürften für von der Leyen gestimmt haben: drei Abgeordnete der flämischen NVA sowie zwei von drei Abgeordneten der tschechischen ODS. Alexandr Vondra, ebenfalls ODS, sagte auf X, dass ihm von der Leyens Rede nicht gefallen habe, er aber nicht sage, wie er in geheimer Wahl abgestimmt habe.

    Die 24 italienischen Abgeordneten der Fratelli haben nach Auskunft von Fraktionschef Nicolas Procaccini gegen von der Leyen gestimmt. Es war spekuliert worden, dass EKR-Chefin Giorgia Meloni der italienischen Fratelli-Delegation die Wahl von der Leyens empfiehlt. Fraktionschef Procaccini machte aber deutlich, dass die Fraktion bei der Gesetzgebung mitmischen will: “Die Mehrheit im neuen Europaparlament ist zentristisch-rechts von der Mitte. Dies werden wir in den nächsten Jahren merken.”

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    Von der Leyen: Wettbewerbsfähigkeit ist Top-Priorität

    Bei ihrer ersten Bewerbungsrede 2019 hatte Ursula von der Leyen die Wirtschaftspolitik nur am Rande gestreift, gestern war das anders: “Unsere oberste Priorität sind Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit”, sagte sie vor dem Europaparlament. Die Notwendigkeit ergebe sich aus den geopolitischen Spannungen – denn sonst drohe Abhängigkeit von unfreundlich gesinnten Akteuren.

    Viele Industrievertreter werfen der CDU-Politikerin vor, die Interessen der Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren als Kommissionspräsidentin sträflich vernachlässigt zu haben. Sie beklagen, wie VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann, “unsägliche Detailregulierungen und überbordende Bürokratie”, insbesondere im Rahmen der Nachhaltigkeitsgesetzgebung. Parteifreunde und Vertreter der Liberalen hatten von der Leyen deshalb gedrängt, auf diese Sorgen einzugehen.

    Vizepräsident für Entbürokratisierung

    Und von der Leyen tat dies in ihrer Rede und ihren politischen Leitlinien: “Wir brauchen weniger Berichterstattung, weniger Bürokratie und mehr Vertrauen, eine bessere Durchsetzung und schnellere Genehmigungen”, sagte sie. Über die Umsetzung in der neuen Kommission wachen soll ein neuer Vizepräsident für Umsetzung, Vereinfachung und interinstitutionelle Beziehungen, der einmal pro Jahr dem Parlament über die Fortschritte berichtet. Dieser werde den gesamten EU-Acquis einem Stresstest unterziehen, versprach von der Leyen, und dann Vorschläge zur Vereinfachung der Rechtsvorschriften vorlegen. Zudem sollen Gesetzesinitiativen gesonderte KMU- und Wettbewerbsfähigkeitschecks durchlaufen, bevor die Kommission sie vorlegt.

    Von der Leyen will überdies eine langjährige Forderung aus der deutschen Wirtschaft erfüllen und die europäische KMU-Definition um eine neue Kategorie für kleine Midcap-Unternehmen erweitern. Die angekündigten Maßnahmen leiteten “hoffentlich den längst überfälligen Kulturwandel hin zu einer besseren Rechtssetzung ein”, sagte Freya Lemcke, Leiterin der Vertretung der DIHK bei der EU. VDMA-Vertreter Brodtmann bezeichnete die konkreten Ideen als “vielversprechend”.

    Der CDU-Abgeordnete Andreas Schwab lobte, von der Leyen habe sich für das Prinzip der vertrauensbasierten Regulierung ausgesprochen, das Unternehmen von überbordenden Nachweispflichten verschone. Er mahnt aber auch: “Eine radikale Vereinfachung verlangt natürlich entsprechende politische Mehrheiten, darum werden wir kämpfen müssen”.

    Green Deal wird zum Clean Industrial Deal

    Von der Leyen bekennt sich zudem zu den Zielen des Green Deals, einer “Umsetzung des bestehenden Rechtsrahmens” und einem Klimaziel von 90 Prozent CO2-Reduktion bis 2040. Wie erwartet will sie den Grünen zu einem Clean Industrial Deal weiterentwickeln – als 100-Tage-Programm. Ein Rechtsakt zur beschleunigten Dekarbonisierung der Industrie soll Investitionen erleichtern, Leitmärkte für saubere Technologien schaffen und Ausschreibungen sowie Genehmigungen vereinfachen.

    Für die chemische Industrie wird es gar ein eigenes Paket geben. Der erneute Anlauf für eine Reform von REACH soll die Chemikalienverordnung vereinfachen und auch für “Ewigkeitschemikalien” (PFAS) soll die Kommission endlich Klarheit schaffen.

    Die Rezepte aus ihren Leitlinien für günstige Energie sind bekannt: der Ausbau sauberer Energien, eine Vollendung des Binnenmarktes und eine Ausweitung der gemeinsamen Beschaffung von Erdgas auf Wasserstoff – und kritische Rohstoffe. Den Zugang zu Letzteren will die Kommission außerdem mit einem neuen Rechtsakt für die Kreislaufwirtschaft vereinfachen, für Abfälle soll ein echter Binnenmarkt entstehen.

    E-Fuels im Verbrenner über 2035 hinaus

    Nur in den Leitlinien, nicht in der Rede im Plenum kommt das Aus für das Verbrenner-Aus vor. Ein Satz behandelt das Thema, das vor allem in Deutschland viel Beachtung gefunden hat: Es ist ein “technologieneutraler Ansatz erforderlich, bei dem E-Fuels eine Rolle spielen werden, indem die Vorschriften im Rahmen der geplanten Überprüfung gezielt geändert werden.”

    Das heißt: Die Kommission wird die CO₂-Flottengesetzgebung einer Überprüfung unterziehen. Dies ist laut Gesetz 2026 vorgesehen. Es gibt keinen Hinweis, dass die Überprüfung um ein Jahr vorgezogen wird, wie gemutmaßt wurde. Im Zuge der Überprüfung soll es dabei bleiben, dass der Flottengrenzwert 2035 von Neufahrzeugen auf null Gramm CO₂ je gefahrenen Kilometer absinkt.

    Die Änderung besteht darin, dass E-Fuels als klimaneutraler Kraftstoff zur Erreichung des CO₂-Flottenziels anerkannt werden – und zwar im Rechtstext selbst und nicht, wie bisher, in einem unverbindlichen Erwägungsgrund. Auch über das Jahr 2035 hinaus könnten dann Neufahrzeuge mit Verbrennungsmotor zugelassen werden, die mit klimaneutral erzeugten E-Fuels gefahren werden.

    SPD warnt vor Aufweichen der CO2-Standards

    Jens Gieseke (CDU), Koordinator im Umweltausschuss, begrüßte von der Leyens Worte: “Die Ankündigung ist ein wichtiges und deutliches Signal für die Technologieoffenheit. Es ist richtig, dass dieser Fehler des Verbrennerverbots nun behoben wird.” Es komme jetzt aber darauf an, das Versprechen schnellstmöglich umzusetzen: “Wir sollten nicht bis zur vorgesehenen Prüfung im Jahr 2026 warten.”

    Tiemo Wölken (SPD), der wieder Koordinator im Umweltausschuss werden möchte, gibt zu bedenken: “Der Weg birgt die Gefahr, dass die EVP mit den Rechten das Verbrenner-Aus angreift.” Denkbar wären etwa Forderungen wie, den CO₂-Ausstoß 2035 nicht um 100 Prozent, sondern nur um 90 Prozent zu senken oder auch den Einsatz von Biofuels zu erlauben.

    Kapitalmarktunion mit neuem Anstrich

    Investitionen will die aktuelle und künftige Kommissionspräsidentin ebenfalls voll auf Wettbewerbsfähigkeit ausrichten. “Europäische Start-ups sollten nicht in die USA oder nach Asien schauen müssen, um ihre Expansion zu finanzieren”, schreibt von der Leyen in ihren Leitlinien. Deshalb schlägt sie eine Spar- und Investitionsunion für Banken und Kapitalmärkte vor, die auch Enrico Letta in seinem Binnenmarktbericht vorgeschlagen hatte.

    Im Wesentlichen geht es dabei um das Projekt der Kapitalmarktunion, das schon seit zehn Jahren in Brüssel besprochen wird. In den vergangenen Monaten versuchten EU-Regierungschefs und einzelne Finanzminister das Projekt weiter vorwärtszubringen, aber die konkreten Harmonisierungsvorschläge kommen aufgrund nationaler Interessen nicht wesentlich vom Fleck.

    28. Regime soll Unternehmen schneller wachsen lassen

    Von der Leyen bleibt in den Detailfragen der Kapitalmarktunion vage, jedoch will sie “einen neuen EU-weiten Rechtsstatus vorschlagen, um innovative Unternehmen beim Wachstum zu unterstützen.” Unternehmen mit diesem EU-weiten Rechtsstatus würden von einem 28. Regime profitieren, das “den Unternehmen die Möglichkeit gibt, in bestimmten Bereichen ein einfacheres, harmonisiertes Regelwerk zu nutzen.”

    Auch die Idee des 28. Regimes ist nicht neu. Dass die Idee wieder hervorgeholt wird, ist auch vor dem Hintergrund der technisch komplexen, politisch schwierigen und bisher mehrheitlich erfolglosen Harmonisierungsbemühungen im Steuer-, Insolvenz-, und Unternehmensrecht zu verstehen. Die Frage ist, ob die im EU-Rat versammelten Minister ein Interesse haben an einer europäischen Unternehmensform, die attraktiver ist als ihr jeweiliges nationales Regime.

    Sander Tordoir, Chefökonom des Think-Tanks Centre for European Reform (CER), begrüsst von der Leyens Ankündigung zum 28. Regime. Es würde jungen EU-Firmen dabei helfen, “schneller in mehreren Ländern aktiv zu werden und von einer größeren Marktgröße zu profitieren – was vor allem in den Bereichen Technologie und digitale Dienstleistungen wichtig ist”, sagte er Table.Briefings. Zudem würde es “den Unternehmen den Zugang zu Kapital erleichtern, indem es die Investitionsbedingungen für internationale und gesamteuropäische Investoren transparenter und einheitlicher macht.”

    Competitiveness Fund soll Investitionen fördern

    Privatkapital allein wird die notwendigen Investitionen nicht bereitstellen können. Von der Leyen kündigt deshalb einen “Europäischen Fonds für Wettbewerbsfähigkeit” (Competitiveness Fund) an, mit dem die EU strategische Technologien fördern soll. Die Mittel des Fonds sollen durch öffentliche Garantien Risiken für Privatinvestoren minimieren und somit eine Hebelwirkung erzeugen. Je stärker die Kommission jedoch auf solche Hebelwirkungen setzt, desto schwieriger wird es, den tatsächlichen Effekt des Fonds zu beurteilen.

    Der Wettbewerbsfähigkeitsfonds, den von der Leyen 2025 im Rahmen des Vorschlags für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen ab 2028 präsentieren will, erinnert an den Souveränitätsfonds, den von der Leyen 2022 angekündigt hatte. Die Idee musste sie aufgrund nationaler Widerstände – insbesondere aus Deutschland – wieder fallen lassen. Dennoch fordert von der Leyen einen “aufgestockten” Haushalt für die nächste Haushaltsperiode von 2028 bis 2034. Sie präzisiert aber nicht, wie hoch der neue Haushalt ausfallen soll.

    Buy European im Beschaffungswesen

    Von der Leyens Programm kann auch als vorsichtigen Umbau des europäischen Wirtschaftsmodells begriffen werden. Die Wirtschaftspolitik soll sich stärker am Heimmarkt orientieren. So soll die heimische Industrie auch in der öffentlichen Beschaffung stärker bevorzugt werden.

    “Ich werde eine Überarbeitung der Richtlinie über die Vergabe öffentlicher Aufträge vorschlagen. So wird es möglich sein, europäischen Produkten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in bestimmten strategischen Sektoren den Vorzug zu geben”, schreibt von der Leyen in ihrem Programm. Dies soll den Beschaffungsmarkt, der 14 Prozent des europäischen BIPs ausmacht, stärker in den Dienst der europäischen Wirtschaft stellen – eine Forderung, die bisher vor allem Frankreich vorbrachte.

    Partnerschaften statt klassischem Freihandel

    Auch bei der Handelspolitik geht es um mehr als nur die Förderung des Außenhandels. Der stark exportorientierte Verband der deutschen Maschinenhersteller VDMA äußerte sich besorgt über den “sehr stark nach innen ausgerichtete[n]” wirtschaftspolitischen Ansatz von der Leyens. “Die Öffnung von Märkten oder gar konkrete Pläne, laufende Verhandlungen abzuschließen und Freihandelsabkommen umzusetzen, haben in ihrer Rede gefehlt”, so Hauptgeschäftsführer Brodtmann.

    In ihrer neuen “Außenwirtschaftspolitik für die heutigen Realitäten” gehe es um wirtschaftliche Sicherheit, Handel und Investitionen in Partnerschaften. Statt über große neue Freihandelsverträge spricht von der Leyen über “Clean Trade and Investment Partnerships”, in denen die Marktöffnung in Drittstaaten, mit dem Zugang zu kritischen Rohstoffen und europäischen Investitionen in die Partnerländer kombiniert werden.

    Neil Makaroff vom Thinktank Strategic Perspectives begrüßt diese Entwicklung als “Möglichkeit, Win-Win-Partnerschaften mit Drittstaaten und für die Dekarbonisierung zu schließen.” Unter einer wichtigen Bedingung, die als Frage über von der Leyens ganzen Wirtschaftsagenda schwebt: “Es bleibt abzuwarten, ob es den Europäern gelingt, die Mittel hinter diese neue industrielle Situation zu stellen”, sagte Makaroff zu Table.Briefings.

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    Leitlinien in der Digitalpolitik: Konzentration auf Um- und Durchsetzung

    Die Leitlinien Ursula von der Leyens für die Wahlperiode 2024-2029 bauen im Digital- und Innovationsbereich auf den Zielen des vorherigen Mandats auf. Sie setzen jedoch einen anderen Fokus, der im neuen Mandat auf der Um- und Durchsetzung bestehender Gesetze liegt. “Wir werden nun unsere Durchsetzung in der kommenden Mandatsperiode deutlich intensivieren“, heißt es in den Leitlinien. Vorgesehen sind auch mehr Investitionen in neue Technologien.

    Der Schutz der Demokratie und die Bekämpfung von Desinformation bleiben zentrale Themen. Dabei legen die neuen Leitlinien einen klaren Schwerpunkt auf die Rolle der großen Technologiekonzerne. “Technologieriesen müssen Verantwortung für ihre enorme systemische Macht in unserer Gesellschaft und Wirtschaft übernehmen”, lautet die Forderung.

    Das Kapitel zur Digitalpolitik ist mit “Steigerung der Produktivität durch Verbreitung digitaler Technologien” überschrieben. Es steigt mit der Feststellung ein, dass Europas Wettbewerbsfähigkeit durch “seine geringere Produktivität im Vergleich zu seinen unmittelbaren globalen Wettbewerbern beeinträchtigt” sei. Ursache dafür sei die unzureichende Verbreitung digitaler Technologien. Das soll sich ändern.

    Schaffung eines echten digitalen Binnenmarkts

    Im Einzelnen will von der Leyen im neuen Mandat folgende Themen angehen, um einen echten digitalen Binnenmarkt aufzubauen:

    • Zoll-, Steuer- und Sicherheitskontrollen sowie Nachhaltigkeitsstandards gegenüber großem Plattformen wirksam durchsetzen, mit dem Ziel gleicher Wettbewerbsbedingungen
    • eine Strategie für die Europäische Datenunion vorlegen, um das Datentauschen bei hohen Datenschutz- und Sicherheitsstandards zu ermöglichen
    • in die nächste Generation von Pioniertechnologien investieren – vor allem Hochleistungsrechner, Halbleiter, Internet der Dinge, Genomik, Quanteninformatik, Weltraumtechnologie
    • in den ersten 100 Tagen soll eine Initiative für KI-Fabriken dafür sorgen, dass KI-Start-ups und Industrie Zugang zu maßgeschneiderten Hochleistungsrechenkapazitäten erhalten. Europa soll weltweit führend bei Künstlicher Intelligenz werden
    • eine Strategie “KI anwenden” entwickeln, um neue industrielle und öffentliche Anwendungen von KI zu fördern. Ein Europäischer KI-Forschungsrat soll alle Ressourcen bündeln.

    Der von Binnenmarktkommissar Thierry Breton zum Ende des abgelaufenen Mandats vorgeschlagene Digital Networks Act findet sich dagegen kaum in den Leitlinien wieder. Breton hatte dazu ein Weißbuch vorgelegt, mit dem Plan, dass die kommende Kommission daraus ein Gesetz macht, um den digitalen Binnenmarkt umzusetzen. Die angedachten Maßnahmen – wie etwa eine Beteiligung der großen Technologiekonzerne an den Netzwerkkosten – kommen nicht vor.

    Höhere Ausgaben für die Forschung und ein Innovationsrat

    Um Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen, will von der Leyen zudem “ein neues Zeitalter des Erfindungsreichtums” einläuten und dazu “Forschung und Innovation, Wissenschaft und Technologie in den Mittelpunkt unserer Wirtschaft” stellen. Dazu sollen die Forschungsausgaben steigen und sich stärker auf “strategische Prioritäten, bahnbrechende Grundlagenforschung und disruptive Innovation sowie auf wissenschaftliche Exzellenz” konzentrieren. Zudem soll ein Europäischer Innovationsrat den Europäischen Forschungsrat ergänzen.

    Von der Leyen möchte, dass Europa “die Biotechnologie-Revolution optimal nutzt” und kündigte an, 2025 einen neuen europäischen Biotech-Rechtsakt vorzuschlagen. Dieser werde Teil einer breiter angelegten Strategie für europäische Biowissenschaften sein.

    Mehr Sicherheit für Kinder und Jugendliche im digitalen Raum

    Zum Schutz von Kindern und Jugendlichen im digitalen Raum plant von der Leyen eine EU-weite Untersuchung, um die Auswirkungen sozialer Medien auf das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen zu verstehen. Zudem sagt sie gefährlichen Praktiken von Online-Plattformen – wie endloses Scrollen, automatische Wiedergabe und ständige Push-Benachrichtigungen – den Kampf an. Auch ein Aktionsplan zur Bekämpfung von Cybermobbing steht auf der Agenda, um den zunehmenden Missbrauch im Internet zu adressieren.

    Wie in ihrer Rede, so betont von der Leyen auch in den Leitlinien, wie zentral eine freie und unabhängige Presse für Demokratie und Rechtsstaat sind. In den Leitlinien verpflichtet sie sich, den Europäischen Rechtsakt zur Medienfreiheit (European Media Freedom Act) umzusetzen, um unabhängige Medien und Journalisten zu schützen.

    Ein Schutzschild für die Demokratie

    Als entscheidend für den Schutz der Demokratie sieht von der Leyen auch die Verhinderung von Desinformation und ausländischer Manipulation. Dazu schlägt sie ein neues Europäisches Schutzschild für die Demokratie vor. “Dabei werden wir nach dem Beispiel der französischen Behörde Viginum oder des schwedischen Amts für psychologische Landesverteidigung daran arbeiten, der ausländischen Manipulation von Informationen und der Einflussnahme über das Internet entgegenzuwirken.” Dazu gehören:

    • die Einrichtung eines europäischen Netzwerks von Faktenprüfern
    • Maßnahmen zur Bekämpfung von Deepfakes
    • Umsetzung der Transparenzanforderungen des KI-Rechtsakts und Stärkung des Umgangs mit KI-erzeugten Inhalten

    Betrachtet man allein die Quantität, so fällt auf, dass die Digitalthemen in den neuen Leitlinien deutlich weniger Raum einnehmen, als noch im Jahr 2019. Damals widmeten sich insgesamt etwa sieben Seiten (von 24 Seiten) explizit digitalen und Innovationsthemen, was etwa 29 Prozent des Dokuments ausmachte. Im aktuellen Dokument sind es circa fünf Seiten (von 35), was lediglich rund 14 Prozent des Dokuments entspricht.

    • Digitalpolitik
    • EMFA
    • Forschung
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    • Künstliche Intelligenz
    • Nachhaltigkeitsstandards
    • Ursula von der Leyen

    EU-Monitoring

    22.07.-25.07.2024
    Erste Ausschusssitzungswoche der neuen Legislaturperiode des EU-Parlaments
    Themen: Die Mitglieder des EU-Parlaments kommen zum ersten Mal in der neuen Legislaturperiode in den Ausschüssen zusammen. Infos

    22.07.-23.07.2024
    Informelle Ministertagung Justiz und Innen
    Themen: Die zuständigen Minister kommen zu Beratungen zusammen. Infos

    22.07.2024 – 09:00 Uhr
    Rat der EU: Auswärtige Angelegenheiten
    Themen: Gedankenaustausche zur russischen Aggression gegen die Ukraine und zur Situation im Nahen Osten. Vorläufige Tagesordnung

    24.07.-25.07.2024
    Informelle Ministertagung Gesundheit
    Themen: Die zuständigen Minister kommen zu Beratungen zusammen. Vorläufige Tagesordnung

    24.07.2024
    Wöchentliche Kommissionssitzung
    Themen: Bericht zur Rechtsstaatlichkeit 2024. Vorläufige Tagesordnung

    News

    “Eine neue Ära”: Von der Leyen setzt auf Verteidigungsunion

    Ursula von der Leyen kündigt in ihren politischen Leitlinien eine “neue Ära für Sicherheit und Verteidigung” an. Das neue Topthema kommt am nächsten an den “Mann-auf-dem-Mond-Moment” von 2019, als der Green Deal im Vordergrund stand. Für die Kommissionspräsidentin geht dabei die Unterstützung der Ukraine Hand in Hand mit der neuen Priorität für die EU. Die beste Investition in die europäische Sicherheit sei die Investition in die Sicherheit der Ukraine.

    Den größten Applaus bekam die Kandidatin, als sie Viktor Orbán für dessen “Friedensmission” in Moskau kritisierte. Was Ungarns Regierungschef betreibe, sei Beschwichtigungspolitik. Zwei Tage nach Orbáns Besuch bei Wladimir Putin habe Russland das Kinderkrankenhaus in Kiew bombardiert, sagte Ursula von der Leyen. Das sei kein Irrtum gewesen, sondern eine klare Botschaft, eine “abschreckende Botschaft an uns alle”.

    Die Kommissionspräsidentin verspricht, die nächsten fünf Jahre den Fokus auf den Aufbau einer “echten europäischen Verteidigungsunion” zu legen. Von der Leyen bekräftigt, dass sie einen Kommissar für Verteidigung ernennen wird, der die Koordination zur Stärkung der industriellen Basis und der Innovation im Rüstungssektor übernehmen soll. Für den neuen Schlüsselposten gibt es bereits verschiedenen Interessenten, unter anderem den bisherigen Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Der Franzose müsste dann allerdings mit der neuen EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas zusammenarbeiten.

    “Höhere Ausgaben, bessere Ausgaben und gemeinsame Ausgaben”

    In den ersten 100 Tagen ihres Mandats will Ursula von der Leyen ein Weißbuch zur Zukunft der europäischen Verteidigung vorlegen. Im Mittelpunkt werde dort der Ausbau der Zusammenarbeit zwischen der EU und der Nato stehen, die in den vergangenen Jahren allerdings durch den ungelösten Zypernkonflikt blockiert wurde. Wie diese Blockade zwischen den EU-Mitgliedern Griechenland und Zypern sowie zwischen dem Nato-Mitglied Türkei aufgelöst werden soll, bleibt allerdings offen.

    Im Weißbuch soll auch der Investitionsbedarf ermittelt werden, ein heikles Thema mit Blick auf die ungelöste Frage der Finanzierung. Nötig seien “höhere Ausgaben, bessere Ausgaben und gemeinsame Ausgaben”. Verteidigungsetats würden zwar nach wie vor vorwiegend auf nationaler Ebene ausgegeben, so von der Leyen. Sie will aber den Aufbau des Europäischen Verteidigungsfonds vorantreiben, der in hoch entwickelte Verteidigungsfähigkeiten “wie See-, Boden und Luftkampf sowie weltraumgestützte Frühwarnung und Cyberabwehr” investieren soll.

    Über den Ausbau des Programms für die europäische Verteidigungsindustrie sollen ferner Anreize gesetzt werden, besonders kritische Lücken bei den militärischen Fähigkeiten über gemeinsame Beschaffungen zu schließen. Es müssten Ressourcen zusammengeführt werden, um den gemeinsamen Bedrohungen durch Vorzeigeprojekte der europäischen Verteidigungsunion zu begegnen. Konkret erwähnt werden die Projekte für einen europäischen Luftschild und zur gemeinsamen Cyberabwehr.

    Vorschläge zu Verteidigungsinvestitionen sollen folgen

    Die Reizbegriffe Eurobonds oder gemeinsame Schulden vermied von der Leyen sowohl in den Leitlinien als auch in ihrer Bewerbungsrede. Es brauche zuerst Anreize für private Investitionen in die Verteidigung. Das Stichwort Taxonomie kommt zwar nicht vor, könnte aber gemeint sein. Korrekturen bei der Taxonomie könnten ein Weg sein, damit Rüstungsunternehmen einfacher an private Gelder kommen. Verstärkt einspannen will die Kommissionspräsidentin die Europäische Investitionsbank. Nötig seien zudem europäische Investitionen im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen.

    Ursula von der Leyen kündigt auch an, zusätzlich weitere Vorschläge in Bezug auf den dringenden Bedarf bei Verteidigungsinvestitionen zu unterbreiten. Bis zum nächsten EU-Gipfel im Oktober soll das Optionenpapier vorliegen, das bereits im Juni erwartet und dann aus Rücksicht auf Befindlichkeiten in Berlin zurückgestellt worden war. Spätestens im Herbst dürfte der Konflikt um gemeinsame Schulden, höhere nationale Beiträge in den Haushalt oder neue Eigenmittel wieder aufkochen. Denn ohne ausreichende Finanzierung bleibt die Verteidigungsunion ein Papiertiger. sti

    • EU-Gipfel
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    • Ukraine
    • Verteidigung

    Migration: Von der Leyen will Frontex-Personal verdreifachen

    In der Asyl- und Migrationspolitik hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen massiven Ausbau der EU-Grenzschutzbehörde Frontex angekündigt. Das Frontex-Personal soll verdreifacht werden – auf 30.000 Grenzschützer und Küstenwachen. In welchem Zeitraum das geschehen soll, blieb offen. Bisher wurde der Ausbau immer wieder durch Personalmangel gebremst. Außerdem kündigte von der Leyen ein “integriertes” und voll digitalisiertes Grenzmanagment an. Damit werde die EU “zum fortschrittlichsten Reiseziel der Welt”. Die Grundrechte sollen aber gewahrt werden – was bei Frontex in der Vergangenheit nicht immer der Fall war.

    Von der Leyen kündigte außerdem einen “neuen gemeinsamen Ansatz für Rückführungen” von nicht anerkannten Asylsuchenden an. Dazu werde es auch einen neuen Rechtsrahmen geben, der für schnellere und einfachere Verfahren sorgen soll. Zudem will die neue Kommission sicherstellen, dass bei den Rückführungen die Würde der Menschen geachtet wird und Rückkehrentscheidungen gegenseitig anerkannt werden. Bisher scheitern Rückführungen oft an einem Mangel an grenzüberschreitender Kooperation.

    Asylverfahren in Drittstaaten schafften es nicht in die Leitlinien

    Nicht in die Leitlinien aufgenommen wurden die umstrittenen Asylverfahren in Drittstaaten, wie sie die EVP fordert. Hier konnten sich offenbar Sozialdemokraten und Liberale durchsetzen. Stattdessen wird nun die legale Einwanderung betont. “Wir werden Mitgliedstaaten und Unternehmen bei der legalen Migration in Abhängigkeit vom Fachkräftebedarf unserer Volkswirtschaften und unserer Regionen unterstützen”, heißt es. Dies kommt Deutschland entgegen, das entsprechende Pläne gefordert hatte.

    Bei der inneren Sicherheit kündigt von der Leyen eine neue europäische Strategie an. Es gehe darum, Sicher-heitsaspekte durchgängig im Recht und in der Politik der EU zu berücksichtigen. Außerdem will die EU-Kommission härter gegen organisierte Kriminalität vorgehen. Die geltenden Vorschriften sollen überarbeitet werden. ebo

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    Erweiterung und Reform: vorsichtiger Ansatz

    Ursula von der Leyen will sich in der zweiten Amtszeit für die Aufnahme neuer EU-Mitglieder einsetzen. Wie schnell dies geschehen soll und mit welchen Reformen im Gefüge der EU die Erweiterung verbunden werden sollte, dazu blieb die Kommissionspräsidentin aber erneut vage.

    Die Aufnahme der Staaten des Westbalkans, der Ukraine, Moldaus und Georgiens sei ein “moralisches, politisches und geostrategisches Gebot” für Europa, so von der Leyen. Aber nur wer sämtliche Kriterien erfülle, könne letztlich beitreten. Um die Heranführung soll sich ein eigens dafür verantwortlicher Erweiterungskommissar kümmern – bislang war dieser zugleich für die europäische Nachbarschaftspolitik zuständig.

    Die Erweiterung der Union auf 30 Mitgliedstaaten oder mehr erfordere aber ein “ehrgeiziges Reformprogramm” für die EU selbst, so von der Leyen. Sie zeigte sich erneut grundsätzlich offen für eine Änderung des Lissaboner Vertrages, wie ihn das Europaparlament fordert, blieb aber unkonkret: “Sie sagt nicht, wie der Prozess aussehen soll oder wo es notwendig wäre”, so Thu Nguyen, Expertin des Jacques Delors Centre in Berlin.

    Analyse in den ersten 100 Tagen

    Ähnlich wie Kanzler Olaf Scholz scheint von der Leyen einen pragmatischeren Ansatz zu bevorzugen, der die hohen Zustimmungshürden für eine Vertragsreform möglichst vermeiden will. Die Vorschläge zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit sollten sich “auf das konzentrieren, was bereits jetzt getan werden kann, und auf die Bereiche, in denen sich ein breiter Konsens abzeichnet”, heißt in den Leitlinien. Als Grundlage dafür soll die Kommission in den ersten 100 Tagen ihre Analysen vorlegen, welche Folgen eine Erweiterung auf einzelne Bereiche wie Rechtsstaatlichkeit, Binnenmarkt, Landwirtschaft, Kohäsion oder Verteidigung haben wird.

    Von der Leyen spreche wichtige Punkte an, habe aber nichts Bahnbrechendes oder für sie Risikoreiches gesagt, um ihre Wiederwahl nicht zu gefährden, analysiert Thu Nguyen. Als politische Landschaftspflege ist wohl auch ihre Zusage zu verstehen, sich weiter für ein Gesetzesinitiativrecht für das Europarlament einzusetzen. Künftig sollen die Kommissionsmitglieder mit den parlamentarischen Ausschüssen in strukturierte Dialoge über deren Initiativberichte treten. tho

    • EU-Erweiterung
    • Europapolitik

    Das plant von der Leyen in der Sozialpolitik

    Erstmals soll ein Kommissionsmitglied für das Thema Wohnen zuständig sein. Das kündigte Ursula von der Leyen am Donnerstag in ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament an. “Europa befindet sich in einer Wohnungskrise, von der Menschen jeden Alters und Familien jeder Größe betroffen sind”, sagte von der Leyen zur Begründung. “Ich [werde] ein Kommissionsmitglied ernennen, dessen Zuständigkeitsbereich auch den Wohnraum umfasst”, führt sie in ihren Leitlinien aus.

    Von der FDP im Bundestag kam prompt Kritik. “Die EU sollte sich um die großen Themen kümmern und sich nicht nach Belieben neue Themen nehmen”, sagte der wohnungspolitische Sprecher Daniel Föst. Die “extrem kleinteilige Bürokratie” der europäischen Gebäuderichtlinie und der Taxonomie habe dem Wohnungsbau bereits massiv geschadet. Der Wohnungsverband GdW begrüßte von der Leyens Ankündigung jedoch.

    Mehr Kohäsionsmittel sollen in Wohnungsbau fließen

    Wie die Kommissionspräsidentin weiter ausführte, sollen die Staaten in einem ersten Schritt die Möglichkeit bekommen, ihre kohäsionspolitischen Investitionen für bezahlbaren Wohnraum zu verdoppeln. Die Beihilferegeln für soziales und energieeffizientes Wohnen sollen zudem überarbeitet werden und ein europäischer Aktionsplan für erschwinglichen Wohnraum folgen.  

    Der Schritt war angesichts eklatant gestiegener Immobilien- und Mietkosten von verschiedenen Stellen gefordert worden, etwa von Enrico Letta in seinem Binnenmarktbericht. Die irischen Sozialdemokraten forderten am Donnerstag den ehemaligen irischen Minister Michael McGrath auf, sich um die Stelle des Wohnkommissars zu bewerben. McGrath ist der Nominierte für einen Kommissarsjob der irischen Regierung.

    Grundsicherungsrichtlinie kein Thema  

    Von der Leyen bekannte sich zudem zur Sozialen Säule der EU und kündigte einen Aktionsplan zur weiteren Umsetzung an. Als Handlungsfelder nannte sie konkret ein “Recht auf Abschalten” für Beschäftigte. Auch das Thema KI und Arbeitsrechte erwähnte sie – was in eine Richtlinie zum algorithmischen Management münden könnte.

    Eine von den Linken, Grünen, S&D im Wahlkampf geforderte europäische Grundsicherungsrichtlinie wurde in der Rede von der Leyens dagegen weder direkt noch indirekt genannt. Allerdings kündigte sie einen Aktionsplan gegen Armut an. Dieser könnte nach Einschätzung von Beobachtern mit entsprechendem parlamentarischen Druck auch in Richtung dieser Maßnahme ausgelegt werden. Die Erfolgsaussichten sind aber eher durchwachsen.  

    Bischoff: Vorstöße zu Subunternehmern und sozialem Wandel 

    Die S&D-Vizevorsitzende Gaby Bischoff sagte gegenüber Table.Briefings: “Der erste Schritt ist geschafft. Von der Leyen hat in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ein paar Türen geöffnet.” In einem zweiten Schritt ginge es jetzt um Präzisierungen: “Bisher ist nur das Recht auf Abschalten als konkrete legislative Maßnahme genannt worden. Da wollen wir als S&D jetzt weiter Druck machen, wenn es um die Formulierung der Mission Letter und dann auch die Anhörung der Kommissare geht.” Wichtig sei ihr etwa ein konkreter Vorstoß zur Subunternehmerbegrenzung und eine Richtlinie zur sozial gerechten ökologischen Transformation.  

    Dennis Radtke, EVP-Koordinator im Arbeits- und Sozialausschuss sagte Table.Briefings: “Von der Leyen hat sich zur weiteren Implementierung der Sozialen Säule bekannt. Wenn sie das so offensiv formuliert, verknüpft sich damit eine andere Erwartungshaltung, als wenn es nur pflichtschuldig daherkommt.”  

    Er lobte, dass von der Leyen das Thema Wohnraum aufgegriffen hat. “Es gibt Themen, die die Menschen schlichtweg umtreiben. Bezahlbarer Wohnraum und Lebenshaltungskosten, das berührt die Menschen. Es ist wichtig, dass wir das als EU angehen und im Rahmen unserer Möglichkeiten Beiträge leisten.” lei

    • EPBD
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    S&D vergibt Zuständigkeiten

    Die Sozialdemokraten im EU-Parlament haben erste Koordinatoren für die Ausschüsse benannt und die Zuständigkeiten innerhalb des Vorstands geklärt. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gaby Bischoff (SPD) übernimmt die Zuständigkeiten für nachhaltiges Wirtschaften, das soziale Europa und den Binnenmarkt, teilte die Fraktion gestern über X mit. Die Portugiesin Ana Catarina Mendes wird zuständig sein für das Thema Rechtsstaatlichkeit, für Verteidigung der Grieche Yannis Maniatis.

    Deutsche Sozialdemokraten übernehmen wieder mehrere Rollen als Koordinatoren: Delegationschef René Repasi für Recht, Udo Bullmann für Entwicklung und Birgit Sippel für Justiz. ber

    • Europawahlen 2024
    • S+D

    Wiederwahl: Diese China-Punkte stehen in von der Leyens Manifest

    EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen wurde am Donnerstag in ihrem Amt wiedergewählt. Das Europäische Parlament bestätigte von der Leyen mit 401 Stimmen. 2019 fand China keine Erwähnung in ihrem politischen Manifest für ihre erste Amtszeit. In den am Donnerstag veröffentlichten politischen Richtlinien für die kommenden fünf Jahre zeichnet von der Leyen nun jedoch den China-Kurs vor.

    Die wichtigsten Punkte: 

    • De-Risking: “Wir haben die Gefahren von Abhängigkeiten oder ausfransenden Lieferketten am eigenen Leib erfahren – von medizinischen Produkten während der Pandemie über Putins Energieerpressung bis hin zu Chinas Monopol auf Rohstoffe, die für Batterien oder Chips unverzichtbar sind.”
    • Verteidigung: “Die kombinierten Verteidigungsausgaben der EU sind von 2019 bis 2021 um 20 Prozent gestiegen. In dieser Zeit stiegen die Verteidigungsausgaben Russlands um fast 300 Prozent und die Chinas um fast 600 Prozent. Gleichzeitig sind unsere Ausgaben zu unkoordiniert und nicht europäisch genug. Das müssen wir ändern.”
    • Wettbewerbsfähigkeit: “Die aggressivere Haltung und der unfaire Wirtschaftswettbewerb Chinas, seine grenzenlose Freundschaft mit Russland – und die Dynamik seiner Beziehungen zu Europa – spiegeln eine Verschiebung von der Kooperation zum Wettbewerb wider.”
    • Wirtschaftliche Sicherheit: “Die Kommission wird der Förderung der wirtschaftlichen Sicherheit und der wirtschaftspolitischen Gestaltung Europas höchste Priorität einräumen. Dies bedeutet, die Wettbewerbsfähigkeit im Inland zu steigern und in Forschungskapazitäten für strategische und Dual-Use-Technologien zu investieren, die für Wirtschaft und Sicherheit von wesentlicher Bedeutung sind.”
    • Wirtschaftliche Sicherheit II: “Wir müssen unsere Wirtschaft energischer vor dem Abfluss wichtiger Technologien und vor Sicherheitsbedenken schützen. Dieses Problem ist besonders akut, wenn wir es mit Unternehmen zu tun haben, die zugleich strategische Konkurrenten und systemische Rivalen sind.”
    • Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen: “Dies wird auf einer klarsichtigen Risikobewertung und unserem Grundsatz ‘Risikominderung statt Entkopplung’ basieren. Wir werden die Überprüfung des Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen abschließen, einen wirklich koordinierten Ansatz für Exportkontrollen entwickeln und die Risiken von Auslandsinvestitionen angehen.”
    • Global Gateway: “Wir werden Global Gateway auf die nächste Ebene bringen, indem wir unseren Partnern ein integriertes Angebot unterbreiten – mit Infrastrukturinvestitionen, Handel und makroökonomischer Unterstützung als Teil des Pakets.”
    • Indopazifik: “Wir werden mit Japan, Korea, Neuseeland und Australien zusammenarbeiten, mit denen wir gemeinsame Herausforderungen im Cyberspace, im Weltraum und bei der sicheren Versorgung mit kritischen Mineralien und Technologien bewältigen müssen.”
    • Taiwan: “Das umfasst unsere gemeinsamen Bemühungen, die gesamte Bandbreite unserer vereinten Staatskunst einzusetzen, um China davon abzuhalten, den Status quo einseitig mit militärischen Mitteln zu ändern, insbesondere in Bezug auf Taiwan.” ari
    • Chips
    • De-Risking
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    Zollstreit mit Peking: Welche Exporteure auf dem Prüfstand stehen

    Im Handelsstreit mit der EU eröffnet China nun direkte Untersuchungen bei drei führenden europäischen Schweinefleischlieferanten. Konkret handelt es sich um das dänische Unternehmen Danish Crown, die niederländische Firma Vion Boxtel BV und den spanischen Produzenten Litera Meat S.L.U., wie das Handelsministerium in Peking am Donnerstag mitteilte. Die Unternehmen sind die größten Lieferanten von Schweinefleischprodukten aus der Europäischen Union nach China.

    Die chinesische Behörde will nach eigenen Angaben prüfen, ob diese Exporteure ihre Produkte zu Preisen verkaufen, die unter dem normalen Marktwert liegen, wodurch der chinesischen Industrie Schaden zugefügt werden könnte. Die Untersuchung soll voraussichtlich bis zum 17. Juni 2025 laufen, könne bei Bedarf aber um weitere sechs Monate verlängert werden.

    China bezog 2023 Schweinefleisch im Wert von umgerechnet 5,5 Milliarden Dollar aus dem Ausland, einschließlich Nebenprodukten wie Füße, Ohren und Innereien, die in China anders als in Europa sehr begehrt sind. Mehr als die Hälfte der Waren kamen aus der EU. Dänemark, die Niederlanden und Spanien hatten sich für Zusatzzölle auf chinesische E-Fahrzeuge ausgesprochen.

    EU-Branntwein-Importe im Visier

    Neben Fleischprodukten hat es China auch auf Branntwein-Importe aus Europa abgesehen. Im Jahr 2023 importierte China 43,31 Millionen Liter Brandy, mehr als 96 Prozent davon aus Frankreich, das sich ebenfalls für die Zölle ausgesprochen hatte.

    Hochrangige Vertreter französischer Cognac-Produzenten und der EU nahmen am Donnerstag an einer Anhörung in Peking teil, wie der französische Lobbyverband BNIC mitteilte. Auf dem Prüfstand stehen demnach Firmen, die sich unter anderem im Besitz von Remy Cointreau, Pernod Ricard und LVMH befinden. Das Treffen habe den Cognac-Herstellern eine erste Gelegenheit geboten, sich persönlich zu den Vorwürfen zu äußern. rtr/jul

    • EU
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    • Subventionen
    • Zoll

    Must-Reads

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    Scholz reist mit EU-Delegation nach Belgrad: Europa steht vor wichtigem Lithium-Deal mit Serbien TAGESSPIEGEL
    EZB lässt Leitzinsen unverändert HANDELSBLATT
    Aufarbeitung der PiS-Regierung in Polen: Der Staat als Eigentum der Partei FAZ
    Teile von Tunnel zwischen Deutschland und Dänemark fertig DW
    Holocaust-Forscher entsetzt: Kirche in Rumänien will Extremisten heiligsprechen N-TV
    ICMPD bricht Bosnien-Projekt nach Korruptionsverdacht ab DER STANDARD

    Kolumne

    What’s cooking in Paris? Ein Sieg für Macron

    Während die Abgeordneten des Europäischen Parlaments am gestrigen Donnerstag Ursula von der Leyen als Präsidentin der Europäischen Kommission bestätigten, wählten die französischen Abgeordneten Yaël Braun-Pivet, die bisherige Präsidentin der Nationalversammlung, erneut in das Amt.

    Dies ist ein Etappensieg für Präsident Emmanuel Macron, der wegen seiner Entscheidung, das Parlament nur eine Stunde nach den Ergebnissen der Europawahlen aufzulösen, heftig in der Kritik steht. Alle Augen richten sich nun auf den Élysée-Palast: Wie wird der Präsident auf das Wahlergebnis reagieren?

    Ein guter Moment für Macron

    Selten wurde die Wahl des Vorsitzes der Nationalversammlung so intensiv von nationalen wie internationalen Medien kommentiert und verfolgt. Denn sie ist der erste Schritt auf dem Weg zur Regierungsbildung, die noch immer auf sich warten lässt. “Es ist ein Signal, aber sicherlich keine Lösung auf dem Weg zur baldigen Ernennung einer Regierung“, kommentierte eine französische Parlamentsquelle.

    Diese Verzögerung ist gut für Macron. Denn je länger diese Regierung auf sich warten lässt, desto mehr verliert die politische Dynamik zugunsten der Linken an Schwung. Das Sahnehäubchen auf dem Kuchen: In einer Woche beginnen in Frankreich die Olympischen Spiele. Eine perfekte Gelegenheit für Macron, die derzeitige politische Verwirrung vergessen zu machen.

    Die Kämpfe innerhalb des Nouveau Front Populaire (NFP) kommen dem Präsidenten zugute: Die Sozialisten und La France Insoumise streiten so heftig darüber, wer Kandidatin oder Kandidat für den Posten des Premierministers werden soll, dass sie die Beratungen gestoppt haben. Und das, obwohl die Zeit für das Linkslager drängt.

    “Enttäuscht uns nicht, bevor ihr überhaupt regiert habt”

    Nun steigt auch die Frustration in der Zivilgesellschaft. Ein breites Kollektiv aus Gewerkschaften, Verbänden, Künstlern und Intellektuellen forderte in einem Beitrag für “Le Monde” die linken Kräfte auf, “endlich” die Parteispaltungen zu beenden. “Im Falle eines Scheiterns wäre die Desillusionierung der Wähler immens”, warnen die Unterzeichner. Sophie Binet, die Generalsekretärin der Gewerkschaft CGT, die der Kommunistischen Partei nahesteht, sagte: “Enttäuscht uns nicht, bevor ihr überhaupt regiert habt.”

    Bisher unterstützen drei der vier Parteien des NFP weiterhin die Kandidatur der Wirtschaftswissenschaftlerin und Klimadiplomatin Laurence Tubiana, die eine entscheidende Rolle bei der Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens im Jahr 2015 gespielt hat. Die Partei La France Insoumise lehnt ihre Kandidatur weiterhin ab, da sie Tubiana für zu nah an den Positionen des Macron-Lagers hält.

    Tubiana ist Gegnerin der Rentenreform

    Tubiana lässt sich davon nicht beeindrucken, sie sei “bereit”, Premierministerin zu werden. “Ich verlange nichts, aber es ist die Zeit des Engagements, und das passt zu mir”, sagte sie. “Der Nouveau Front Populaire hat nicht die absolute Mehrheit gewonnen”, aber er hat “einen Erfolg erzielt”. Für Tubiana bietet das NFP-Programm eine Antwort auf die “soziale und ökologische Notlage in Frankreich”.

    Diese Politik müsse für “Steuergerechtigkeit” sorgen, sich um die “Wiederaufnahme des sozialen Dialogs über die Löhne” bemühen und die Rentenreform auf den Prüfstand stellen: “Man muss die Reform aufheben, sie einfrieren, alles, was man will, aber man wendet sie nicht an”, sagt Tubiana. Auch Macrons verschärftes Einwanderungsgesetz möchte sie rückgängig machen.

    Diese Haltung ist eindeutig schwer mit den Positionen von Macron zu vereinbaren. Umso wichtiger ist es für sein Lager, auf Zeit zu spielen. Doch nun schaltet sich der französische Senat ein. Die Senatoren nahmen ihre Arbeit in Sorge über die politische Krise kurzzeitig wieder auf und versprachen, eine “Kraft des Ausgleichs” zu sein. Der konservative Senator Claude Malhuret sagte, dass sich Frankreich zum ersten Mal “in einer Sackgasse” befinde.

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