Table.Briefing: Europe

Von der Leyen in Kritik + Corona-Fonds + Schweiz rückt nach rechts

Liebe Leserin, lieber Leser,

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte schon vergangene Woche Kritik einstecken müssen für ihre Haltung im Konflikt zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas. Auch in der Kommission gibt es Unruhe. So berichten Medien, mehr als 800 Beamte und Mitarbeiter der Kommission hätten namentlich eine Erklärung unterzeichnet. In dem Schreiben, das Table.Media vorliegt, wird die Kommission unter Führung von der Leyens wörtlich beschuldigt, “freie Hand für die Beschleunigung und Legitimierung eines Kriegsverbrechens im Gaza-Streifen” zu geben.

Die Breitseiten in dem Schreiben sind ganz großes Kaliber. Die Unterzeichnenden bemängeln: “Wir erkennen kaum die Werte der EU in der scheinbaren Gleichgültigkeit, die unsere Institution in den letzten Tagen gegenüber dem anhaltenden Massaker an Zivilisten im Gazastreifen an den Tag gelegt hat.”

Dass Kommissionsmitarbeiter öffentlich so hart mit der Behörde und ihrer Spitze ins Gericht gehen, kommt nicht so häufig vor. Beamte erinnern sich zuletzt an eine öffentliche Erklärung 2010, als die Kommission von Jacques Santer wegen massiver Korruptionsvorwürfe gegen die Forschungskommissarin Edith Cresson zurücktreten musste.

Reinhard Bütikofer, seit 2009 Europaabgeordneter und ausgewiesener Experte für Außenpolitik, sagt dazu im Gespräch mit Table.Media: “Dass ein paar Hundert von insgesamt über 30.000 Kommissionsbeamten ihre eigene Präsidentin wegen deren Israel-Politik in einer Erklärung kritisieren, ist ungewöhnlich, aber gewiss zulässig. Meinungsfreiheit gilt auch für Beamte.” Von der Leyen müsse das aushalten.

Damit setzten diese EU-Bediensteten aber auch einen neuen Standard, sagte der Grünen-Abgeordnete weiter: “Man wird in Zukunft sicher genau hinhören, welche Offenen Briefe es gibt, wenn ein Ratspräsident Michel zu Chinas Unterdrückungspolitik keine klaren Worte finden kann oder wenn ein Kommissar Várhelyi den serbischen Autokraten Vučić hofiert.” Und dann nimmt Bütikofer Stellung in der Sache: “Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Solidarität mit Israel, die Frau von der Leyen zeigt, gut ist.”

Einen guten Wochenstart wünscht Ihnen

Ihr
Markus Grabitz
Bild von Markus  Grabitz

Analyse

Hohlmeier zu Corona-Wiederaufbaufonds: “Gelder sind kaum nachverfolgbar”

Die Chefin des Haushaltskontrollausschusses im Europaparlament, Monika Hohlmeier (CSU), kritisiert, dass die Kommission die Umsetzung der Projekte aus dem Corona-Wiederaufbaufonds (RRF) nicht ausreichend kontrolliert.

Frau Hohlmeier, mit dem Corona-Wiederaufbaufonds (RRF) zahlt die EU 338 Milliarden Euro an Zuschüssen und 385 Milliarden Euro an Darlehen an die Mitgliedstaaten aus. Es gibt schlechte Noten vom Rechnungshof. Ist das Projekt gescheitert?

Der Corona-Wiederaufbaufonds sollte ein Kriseninstrument sein. Es sollte Mitgliedstaaten geholfen werden, die besonders von der Pandemie und ihren Folgen betroffen waren. Sie sollten mit dem Geld aus der Krise herauskommen. Das war die Idee. Ende 2022 sind nicht einmal 15 Prozent der Projekte umgesetzt worden, die zur wirtschaftlichen Wiederbelebung führen sollten. Nehmen wir das Beispiel Spanien. Spanien war schwer betroffen von Corona. Spanien hat mittlerweile 70 Milliarden Euro an Zuschüssen bekommen. Der Großteil des Geldes ist aber in der realen Wirtschaft noch nicht angekommen, obwohl das Geld auf Spaniens Konten liegt. Viele Projekte werden erst 2024 bis 2026 umgesetzt werden. Am Beispiel von Spanien sehen wir, dass das Kriseninstrument RRF zu einem Kohäsionsinstrument geworden ist. Das Kriseninstrument ist kein Kriseninstrument mehr.

Aber das Instrument ist auch für den Wiederaufbau gedacht …

Bei Wiederaufbau stelle ich mir vor, dass zum Beispiel Krankenhäuser, die für eine Pandemie nicht ausreichend ausgestattet waren, entsprechende Unterstützung erhalten, damit nicht mehr so viele Menschen wegen Mangel an medizinischer Versorgung sterben. Der Tourismus als wesentlicher Wirtschaftszweig in Spanien braucht keinen Wiederaufbau, der läuft längst wieder. Ich habe grundsätzlich Zweifel: Das Instrument ist auf sechs Jahre angelegt. Es wird ein Plan mit wirtschaftlichen und reformerischen Schritten aufgelegt. Das erinnert mich an sozialistische Planwirtschaft. Das hat nichts mehr mit dem Bekenntnis zu der Kraft des europäischen Binnenmarktes und der sozialen Marktwirtschaft zu tun. Sechsjahrespläne sind schwierig, weil der Planungshorizont so lang ist, dass der Plan permanent korrigiert werden muss. Das erleben wir gerade. Corona ist Geschichte, längst geht es um die Folgen des Krieges in der Ukraine, die Krise im Nahen Osten und die Flüchtlingskrise. Die Folgen dieser Krisen treffen andere Mitgliedstaaten. Hinzu kommen Planungs-, Verwaltungs- und Ausschreibungsprobleme. 

Rechnungsprüfer ohne Zugang zu Datenbanken

Die Haushaltskontrolleure schauen sich jetzt vermehrt die Auszahlungen an die Mitgliedstaaten an, was sehen Sie?

Die Gelder sind kaum nachverfolgbar. Die Kommission verweigert dem Europäischen Rechnungshof den uneingeschränkten und dauerhaften Zugang zu den relevanten Datenbanken. Auch wir als Haushaltskontrolleure vom Parlament haben Probleme, adäquate Daten zu erhalten. Die Kommission gibt als Endempfänger von europäischen Geldern ein Ministerium oder eine Behörde an. Das ist zwar interessant, aber nicht das, was wir wissen wollen. Die Rechnungsprüfer müssen doch Ausschreibungen und Projektausgaben im Einzelnen prüfen können. Dies lässt die Kommission nur sehr begrenzt zu, da sie dies für die Verantwortung der Mitgliedstaaten hält. Wer jedoch in den vergangenen Jahren die Rechnungshofberichte aufmerksam gelesen hat, der wird feststellen, dass die Mitgliedstaaten mit einer geringen Verwaltungskapazität oder mit Rechtsstaatlichkeitsproblemen vor allem im Bereich von Ausschreibungen und Projektvergaben mit massiven Irregularitäten auffallen. Wenn wir gar nicht wissen, wo das Geld ausgegeben wird, können wir nicht prüfen. Es fehlt die Transparenz.

Die Kommission darf aber doch nur auszahlen, wenn die Mitgliedstaaten nachweisbar ihre Meilensteine erledigt haben?

Das ist zwar richtig. Wir wissen, dass EU-weit im vergangenen Jahr 15 der 281 Meilensteine und Ziele entweder nicht zufriedenstellend erfüllt worden sind oder den Förderkriterien nicht entsprachen, das sind mehr als fünf Prozent. Die Überprüfung von Meilensteinen und Zielen unterliegt einem Verhandlungsverfahren. In dem Verfahren gibt es einen weiten Spielraum, was als “zufriedenstellend” angesehen wird oder nicht. Die Kommission stellt sich dann auf den Standpunkt, dass sie damit schon ihre Kontrollfunktion erfüllt hat. Es ist jedoch erforderlich, nachzuprüfen, ob die geplanten Projekte auch implementiert werden und laufen. Es gibt keinen Stand der konkreten Implementierung.

Mitgliedstaaten informieren Parlamente unzureichend

Dann müssen Sie sich an die Mitgliedstaaten wenden 

Auch die Mitgliedstaaten verweigern den Einblick in die konkrete Realisierung der Projekte. Übrigens verweigern sie ihn auch den nationalen Parlamenten. 

Was fällt noch auf?

Doppelfinanzierung, die Finanzierung national wiederkehrender Ausgaben, und Ausschreibungsprobleme. Die spanische Regierung hat beispielsweise sich wiederholende Zahlungen, die sie seit 2017 aus ihrem nationalen Haushalt geleistet hat, einfach über den RRF gebucht. Sie hat es anders etikettiert, als neues Projekt zur Förderung einer spezifischen Maßnahme deklariert. Das ist gemäß den gesetzlichen Vorgaben ausdrücklich verboten. In der Slowakei wurde zum ersten Mal eine Doppelfinanzierung identifiziert, bei der ein Projekt sowohl aus dem europäischen Sozialfonds als auch dem RRF finanziert wurde. In beiden Fällen sieht man: Das hat mit dem Corona-Wiederaufbaufonds nichts zu tun.

Hat die spanische Regierung denn dafür gesorgt, dass die Voraussetzungen erfüllt sind?

Die spanische Regierung hat sich verpflichtet, eine grundlegende Rentenreform durchzuführen, da die Instabilität des spanischen Rentensystems als möglicher zukünftiger Krisenherd angesehen wird. Diese Reform ist Voraussetzung für die Erfüllung eines Meilensteins und damit für die Genehmigung des Geldes. Der spanische Vorschlag zur Rentenreform ist jedoch eher Augenwischerei als nachhaltig. Ich bin gespannt, wie die Kommission damit umgehen wird.

Probleme in der Slowakei, Rumänien und Bulgarien

Und in anderen Mitgliedstaaten?

Wir stellen fest, dass es in der Slowakei, Rumänien und Bulgarien große Probleme bei der Implementierung gibt. In Frankreich etwa wurde ein ursprünglich geplantes Projekt zur CO₂-Einsparung bei der Stahlproduktion ausgetauscht. Die Kommission winkt den Austausch der Projekte letztlich durch, weil ansonsten das Geld nicht ausgezahlt werden kann.

Was ist Ihr abschließendes Fazit?

Ich halte diese Art der Finanzierung für nicht zukunftsfähig. Die Kommission ist laut Vertrag verpflichtet, die Verwendung der Gelder zu überwachen. Das ist schließlich Steuerzahlergeld. Sie muss wissen, wofür das Geld konkret verwendet wird. Ich habe ein gewisses Verständnis für die Vorfinanzierung. Aber eine Auszahlung von Geldern, Jahre bevor Projekte beginnen, ist nicht sinnvoll. Zudem stelle ich die 100-Prozent Finanzierungen infrage, da sie oft zu einem mangelhaften europäischen Mehrwert führen oder nur bloße Mitnahmeeffekte generieren. Wir brauchen viel Geld für Wettbewerbsfähigkeit, neue Technologien und Innovationen, zudem sind die Krisen zu bewältigen. Die EU verfügt über zu wenig Geld, als dass es über Jahre gebunkert werden könnte und dann teilweise nicht zielorientiert ausgegeben wird. Wir müssen aus den Fehlern ernsthafte Lehren ziehen.

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EU-Batterieverordnung macht Unternehmen in China Beine

Die Batterieverordnung ist ein ambitioniertes Projekt der EU. Es geht darum, den gesamten Lebenszyklus und die vollständige Wertschöpfungskette eines Produktes nachhaltiger zu gestalten. Es soll eine Kreislaufwirtschaft entstehen, die Europa unabhängiger von Drittstaaten macht. Wegen der Verkehrs- und Energiewende gelten Batterien als eine der Schlüsselindustrien der Zukunft. Bislang ist Europa in hohem Maße von China abhängig. China verfügte 2021 nach Angaben des Europäischen Rechnungshofes über 76 Prozent der weltweiten Produktionskapazitäten. 

Batterieverordnung will Markt neu regeln 

Und es ist ein lohnendes Geschäftsfeld. Die Unternehmensberatung McKinsey rechnet vor, dass die Nachfrage nach Lithium-Ionen-Akkus bis zum Jahr 2030 um jährlich 27 Prozent steigen wird – von 700 Gigawattstunden auf 4,7 Terawattstunden. Entlang der Wertschöpfungskette entstehe so ein Markt mit einem Umsatz von 400 Milliarden Dollar. Die Batterieverordnung soll den Anteil Europas an diesem Geschäft langfristig sichern.  

Um das zu erreichen, setzt die Batterieverordnung unter anderem auf folgende zentrale Instrumente

  • Die Inverkehrbringer der Batterien müssen den CO₂-Fußabdruck der Batterie angeben. Unabhängige dritte Stellen müssen die Angabe vorher überprüfen. Außerdem werden schrittweise Höchstwerte eingeführt. 
  • Jede Batterie (über 2 kWh und Traktionsbatterien) benötigt ab 2027 einen digitalen Batteriepass. Darin sind 90 Informationen unter anderem zu den verwendeten Materialien, der Reparatur und dem Recyclingverfahren enthalten. 
  • Ab 2025 werden schrittweise Zielvorgaben für die Recyclingeffizienz, die Materialverwertung und den recycelten Inhalt eingeführt. 
  • Entlang der gesamten Wertschöpfungskette sind die Inverkehrbringer für soziale und ökologische Risiken verantwortlich. 

“Insgesamt ist die Idee der Batterieverordnung, im Kontext des EU Green Deals nachhaltige Geschäftsmodelle aufzubauen und diese zu incentivieren, um im globalen Wettbewerb nicht ins Hintertreffen zu geraten”, fasst Achim Teuber die Batterieverordnung zusammen. Er ist Analyst bei der Unternehmensberatung SystemIQ (sprich: ‘Systemic’), die sich auf Nachhaltigkeit spezialisiert hat.  

Dass die Batterieverordnung trotz aller Nachhaltigkeitsgedanken auch geopolitische Ziele verfolgt, lasse sich dabei nicht von der Hand weisen, argumentiert Christoph Lienemann, Managing Director bei PEM Motion – Beratungsunternehmen und Ingenieursdienstleister im Bereich der E-Mobilität. “Da wir in Deutschland und Europa noch eine vergleichsweise kleine Batterieindustrie haben, geht es auch darum, möglichst viele Rohstoffe hier vor Ort zu halten und energie- und ressourceneffiziente Lösungen für die Produktion und das Recycling zu finden. Das minimiert die Abhängigkeiten – und wir konkurrieren hier nicht nur mit Asien.” 

China sieht Batterieverordnung als Anreiz 

Für China entsteht als Weltmarktführer eine enorme Drucksituation. Denn Europa ist der größte Exportmarkt für Hersteller aus der Volksrepublik. Allein bei Autobatterien beträgt der Marktanteil 34 Prozent. Die neuen Regelungen wurden jedoch längst nicht so negativ aufgenommen, wie es in der Berichterstattung oft durchgeklungen ist. “In Gesprächen mit den chinesischen Anbietern kommt raus, dass sie jetzt schon anfangen, sich auf die Anforderungen vorzubereiten und sie gewillt sind, sie einzuhalten. Der größte Hersteller in China hat zum Beispiel öffentlich angekündigt, dass 2025 die Produktion CO₂-neutral sein soll und 2035 die gesamte Lieferkette”, sagt Teuber.  

Und Gerrit Bockey, Experte für Battery Production Technologies bei PEM Motion und Leiter von Battery-News, ergänzt: “Grundsätzlich gab es Diskussionen darüber, ob das grüner Protektionismus sei. Aber viel stärker wurde darüber diskutiert, dass es ein Anreiz sei, sich auf dem Markt stärker zu etablieren.” Ein Beispiel ist der CO₂-Fußabdruck. Batterien aus China kommen – auch aufgrund des Energiemixes in der Produktion – mit einem Rucksack von 105 Gramm CO₂ pro Kilowattstunde nach Europa. Hiesige Produzenten (darunter natürlich auch chinesische) liegen 20 bis 30 Prozent darunter. “Es gibt entlang der gesamten Wertschöpfungskette Firmen, die sich hier niederlassen, um im Rahmen der Batterieverordnung einen gewissen Vorteil beim Markteinstieg zu haben. Es ist ein Anreiz dafür, den Heimatmarkt zu verlassen und in Europa zu investieren”, sagt Bockey weiter. 

Milliardeninvestitionen nötig 

Klar ist auch, dass die Batterieverordnung ohne chinesische Investitionen nur schwer erfüllt werden kann. Laut Teuber bräuchte es bis 2030 zusätzliche Investitionen in Höhe von 62 Milliarden Euro, um die Ziele der Batterieverordnung einzuhalten: 44 Milliarden in der Zellproduktion, zwölf Milliarden bei der Kathoden-Material-Produktion und 6 Milliarden bei der Anoden-Material-Produktion. “Entscheidend ist, wer die Investitionen tätigt und wer die Möglichkeiten hat, sie umzusetzen. Derzeit kommen 90 Prozent der Anoden und Kathoden aus China und 60 Prozent der Elektroautos. Für diese Unternehmen ist es natürlich interessant, hier ihre Investments zu tätigen und die Auflagen zu erfüllen”, so die Schlussfolgerung von Teuber. 

Auch deswegen haben die Investitionen aus China in den Batteriesektor zugenommen. Im Jahr 2022 machten sie mit 4,5 Milliarden Euro einen Anteil von 57 Prozent der chinesischen Gesamtinvestitionen in Europa aus, rechnete das Mercator Institute for China Studies (MERICS) vor. Dabei geht es vor allem um Neugründungen und weniger um Übernahmen. “Wenige Großprojekte – fast ausschließlich in der Autoindustrie – stehen hinter dem Anstieg der Greenfield-Investitionen. Chinesische Batterieriesen wie CATL, Envision AESC und SVOLT investierten in Werke in Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Ungarn”, fasst MERICS zusammen. 

  • China
  • EU-Batterieverordnung

News

Gipfel zu Handelsthemen: EU und USA werden sich nicht einig

EU und USA können sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen gegen China einigen. Zwar teilten beide Seiten nach ihrem Gipfel am Freitag mit, dass man im Umgang mit China ein einheitliches Vorgehen anstrebe. Doch im Detail hakte es wie so oft. So verständigten sich beide Seiten auf die Formulierung, dass China den globalen Stahlmarkt verzerre. Doch das erwartete Abkommen für nachhaltige Stahl- und Aluminium-Produktion, das auch eine EU-Untersuchung zu Antidumping-Zöllen gegen chinesische Metallprodukte beinhalten sollte, kam nicht zustande.

Die EU-Seite hatte Bedenken hinsichtlich der Einhaltung der Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) geäußert. Auch die von den USA gewünschte Einbindung einer Snapback-Klausel, die die Wiedereinführung von US-Zöllen gegen EU-Metallprodukte ermöglichen würde, soll letztendlich dazu geführt haben, dass die Gespräche ohne Einigung endeten. Diese Zölle stammen aus der Trump-Zeit und sind derzeit ausgesetzt. Die EU hofft auf eine dauerhafte Abschaffung. USA und EU wollen ihre Gespräche dazu der gemeinsamen Erklärung zufolge vor Ablauf einer Frist zum Jahresende fortsetzen.

Kein Abkommen zu kritischen Rohstoffen

Auch die Verhandlungen um ein Abkommen zu kritischen Rohstoffen waren nicht erfolgreich. Sie ziehen sich bereits seit Monaten hin. Ein Deal etwa zu den Batterierohstoffen würde besonders der Autoindustrie helfen: Die EU würde als gleichberechtigter Freihandelspartner im Inflation Reduction Act (IRA) anerkannt, sodass die Hersteller leichter die Förderbedingungen in den USA erfüllen könnten.

Einig ist man sich indessen über die Probleme. “Wir teilen die Besorgnis über die Herausforderungen, die unter anderem durch wirtschaftlichen Zwang, durch die Nutzung wirtschaftlicher Abhängigkeiten als Waffe sowie nicht marktorientierte Politiken und Praktiken entstehen”, hieß es in der gemeinsamen Erklärung. Die EU betonte erneut die genauere Betrachtung eines möglichen Outbound Investment Screenings: “Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten prüfen ebenfalls auf der Grundlage einer Risikobewertung, ob Auslandsinvestitionsmaßnahmen ihr bestehendes Instrumentarium ergänzen könnten.”ari

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  • Handelspolitik
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EU-Strommarkt: FDP gegen die Ratsposition

Die FDP-Fraktion im Bundestag stellt sich gegen die Position der EU-Staaten zur europäischen Strommarktreform. Bei den Koalitionsgesprächen und den jüngsten Novellen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) habe die Koalition zweiseitige Differenzverträge abgelehnt, sagte FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler Table.Media. “Falls am Ende des Trilogs erneuerbare Energien nur noch über zweiseitige CfDs gefördert werden können, sehen wir als Liberale keine Chance für eine weitere Erneuerbaren-Förderung in Deutschland.”

“Differenzverträge machen Strom ein gutes Stück teurer als die Ausschreibungen nach dem EEG”, argumentiert Köhler. Und weiter: “Die Investoren werden es einpreisen, wenn sie für zehn bis 15 Jahre keine Gewinne über dem vereinbarten Ausübungspreis machen können.” Nach dem geltenden EEG müssen Investoren in Wind- und Solarparks an Ausschreibungen teilnehmen. Den gebotenen Preis erhalten sie als Mindestvergütung. Erwirtschaften sie am Strommarkt höhere Gewinne, dürfen sie diese derzeit behalten. Eine Mehrheit der EU-Staaten und auch das Parlament wollen Gewinne oberhalb des vereinbarten Preises aber künftig abschöpfen und versprechen sich davon anders als die FDP sinkende Preise für die Verbraucher.

Falls die Erneuerbaren-Förderung in Deutschland tatsächlich früher auslaufen müsste, sieht Köhler keine Gefahr für die Klimaziele: “Wir glauben, dass sich erneuerbare Energien inzwischen am Markt behaupten können.” Hinter der FDP-Forderung steht aber auch ein Grundsatzstreit über die Rolle des Staates in der Energiepolitik. “Ein CfD-System passt konzeptionell besser zu einer dauerhaften detaillierten und technologiescharfen staatlichen Steuerung von Ausbaumengen”, schreibt der Berater Christoph Maurer in einem Gutachten für den Energiekonzern EnBW, auf das sich die Liberalen berufen. ber

  • Strommarkt

Medienfreiheitsgesetz: Fortschritte bei erstem Trilog

Beim ersten Trilog zum European Media Freedom Act (EMFA) sind erste Fortschritte erzielt worden. Das Parlament wird dabei von Sabine Verheyen (CDU) als Berichterstatterin vertreten, für den Rat wird das Dossier von der spanischen Ratspräsidentschaft verhandelt.

Obwohl der erste Trilog üblicherweise vor allem dem Kennenlernen und der Festlegung der weiteren Agenda dient, wurden auch schon die ersten inhaltlichen Punkte diskutiert. Fortschritte wurden vor allem bei weniger strittigen Themen wie der Reichweitenmessung (Artikel 23) oder Benutzeroberflächen (Artikel 19) erzielt.

Zugleich zeichnet sich aber ab, dass bei anderen Regelungen nur schwer ein Konsens gefunden werden dürfte. Während das Parlament weitere Schutzmaßnahmen für Journalisten fordert, stehen viele Mitgliedstaaten dem Ansinnen als Eingriff in die nationalen Kompetenzen extrem kritisch gegenüber. Ob das Dossier noch in diesem Jahr und damit unter spanischer Ratspräsidentschaft abgeschlossen wird, ist daher fraglich – auch wenn sich nun ein dritter politischer Trilogtermin im Dezember abzeichnet. Der zweite politische Trilog ist für den 29. November angesetzt.

Morde an Journalisten in der Slowakei und Malta

Hintergrund für den EMFA sind Fehlentwicklungen in Mitgliedstaaten. Dazu zählt etwa die Ermordung von Journalisten in Malta und der Slowakei, die ungerechtfertigte Ausspähung von Journalisten in Griechenland, Frankreich, Polen und weiteren Mitgliedstaaten sowie nicht zuletzt fehlende Staatsferne von einigen Medien.

Fehlende Staatsferne entsteht direkt, wenn etwa in Frankreich das Parlament das Budget des öffentlichen Rundfunks beschließt oder durch Anzeigenvergaben der Regierung in Österreich. Aber auch indirekt, etwa durch die Übernahme von Medienanbietern durch staatskontrollierte Betriebe oder Stiftungen wie in Polen oder Ungarn. Dessen Ministerpräsident Viktor Orbán behauptet öffentlich, dass “Brüssel” mit dem Media Freedom Act “die Medien kontrollieren” wolle. Kritik am Vorhaben üben aber auch die deutschen Bundesländer, die ihre verfassungsrechtlich garantierte Zuständigkeit für Medienpolitk durch den EMFA gefährdet sehen. fst

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Weltweit steigen Treibhausgasemissionen, in Europa sinken sie

53,8 Gigatonnen CO₂-Äquivalent wurden im vergangenen Jahr weltweit ausgestoßen – ein Rekordwert. Durch die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Pandemie stiegen die globalen Treibhausgasemissionen 2022 wieder an. Das geht aus einem Bericht der gemeinsamen Forschungsstelle (JRC) der EU-Kommission hervor, der sich auf Daten der Emissions Database for Global Atmospheric Research (EDGAR) stützt.

Nachdem die Emissionen 2020 aufgrund der Pandemie um 3,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken waren, stiegen sie 2021 wieder an – um 4,8 Prozent. 2022 nahmen sie weiter zu – um 1,4 Prozent – und lagen laut dem Bericht um 2,3 Prozent über den Werten vor der Pandemie. Die größten Emittenten 2022 waren China, die USA, Indien, die EU, Russland und Brasilien. Auf sie entfallen die Hälfte der Weltbevölkerung, 61,2 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP), 63,4 Prozent des globalen Verbrauchs fossiler Brennstoffe und 61,6 Prozent der globalen THG-Emissionen.

In der EU sinken die Emissionen 2022 wieder

Zwar zählt Europa weiter zu den größten Verursachern des Klimawandels, doch nach dem Anstieg der THG-Emissionen 2021 (5,6 Prozent) im Vergleich zum Covid-Jahr 2020, sanken die Emissionen der EU 2022 wieder um 0,8 Prozent. Sie liegen damit unter dem Vor-Corona-Niveau. Laut den EDGAR-Daten ist auch der Anteil der EU an den weltweiten Emissionen über die Jahrzehnte zurückgegangen: von 14,8 Prozent im Jahr 1990 auf 6,7 Prozent 2022. Sowohl weltweit als auch in der EU machen die Sektoren Energie und Verkehr den größten Anteil an THG-Emissionen aus.

Am Dienstag will die EU-Kommission ihren jährlichen Climate Action Progress Report vorstellen, in den erstmals auch ein Fortschrittsbericht zum Erreichen das Klimaneutralitätsziel der EU für 2050 integriert ist. Die EDGAR-Zahlen sowie das fertig verhandelte Fit-for-55-Paket dürften die Grundlage für diese Analyse bilden.

Zahlreiche NECPs noch nicht eingereicht

Offen ist noch, wie die Kommission die Fortschritte in den Mitgliedstaaten bewerten wird. Denn elf Länder haben ihre nationalen Energie- und Klimaschutzpläne (NECPs) noch nicht eingereicht. Deutschland will seinen NECP bis Ende Oktober nach Brüssel schicken, die eigentliche Deadline war Ende Juni dieses Jahres. In ihren NECPs legen die Länder dar, wie sie die EU-Klimaziele für 2030 erreichen wollen. Unter anderem darauf basierend analysiert die Kommission den Fortschritt zum Erreichen des Ziels. luk

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Schweiz rückt bei Wahlen weiter nach rechts

Bei den Parlamentswahlen in der Schweiz hat die national-konservative Schweizerische Volkspartei (SVP) ihre Vormachtstellung voraussichtlich ausgebaut. Die Partei kommt Hochrechnungen des Schweizer Fernsehens zufolge auf einen Anteil von 29,0 Prozent. Die SVP setzte im Wahlkampf vor allem auf ihr traditionelles Steckenpferd, die Begrenzung der Zuwanderung. “Wir haben ein Asylchaos. Wir haben Probleme bei der Immigration, und wir haben Probleme bei der Energieversorgung”, sagte Parteipräsident Marco Chiesa. “Die Schweizer Bevölkerung hat uns den Auftrag gegeben, diese Probleme zu lösen.”

Den Zahlen zufolge konnte die SVP die Einbußen der vergangenen Wahlen zum Nationalrat praktisch wettmachen. Damals kam die vom Milliardär Christoph Blocher geprägte Partei in der großen Kammer auf 25,6 Prozent. Deutlich schlechter als zuletzt schnitten den Hochrechnungen zufolge die Grünen ab. Nach 13,2 Prozent in der stark von der Klimadiskussion geprägten Wahl 2019 sackte ihr Anteil nun auf 9,2 Prozent ab. Zwar legten die Sozialdemokraten leicht zu. Insgesamt dürfte sich die große Kammer des Schweizer Parlaments aber leicht nach rechts bewegen. rtr

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Presseschau

Gipfel-Treffen zur Nahostkrise: EU ruft in Kairo zu Friedensbemühungen auf SRF
Gipfeltreffen in Washington: USA und EU bekräftigen Beistand für Israel und die Ukraine DEUTSCHLANDFUNK
Europäische Wirtschaft von EU-USA-Gipfel enttäuscht AACHENER-ZEITUNG
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen: Müssen Schleuser und Schlepper bekämpfen DEUTSCHLANDFUNK
Aufstand von EU-Mitarbeitern gegen Ursula von der Leyen: Doppelte Standards des Westens BERLINER-ZEITUNG
Energiewende: EU will den Windkraft-Turbo einlegen SUEDDEUTSCHE
EU in Sorge: Krieg und Pipeline-Sabotage drohen Gaspreis zu verteuern BERLINER-ZEITUNG
EU considers price cap extension to avert winter gas crisis FT
Battery 2030+: EU investiert 150 Millionen Euro in nachhaltige Batterien CETODAY
Neuer Anlauf: EU drängt auf Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Kosovo und Serbien EURONEWS
Vorerst zehn Tage lang – Jetzt auch Slowenien und Kroatien: Grenzkontrollen in fast der ganzen EU TT
EU und China: Zwischen Kooperation und Systemrivalität INFORADIO
Fluchtbewegungen aus Nahost? “Die EU-Staaten müssen Vorkehrungen treffen” TAGESSPIEGEL
Im selben Strom wie Europa, aber nicht im selben Boot: In welche Richtung steuert Georgien? BERLINER-ZEITUNG
Der Handel mit Kokain in Europa nimmt zu, und Drogenkartelle rekrutieren vermehrt Kinder – jetzt verstärkt die EU die Massnahmen NZZ
eHealth: KI-Verordnung, EU-Gesundheitsdatenraum und Co. aus rechtlicher Sicht HEISE
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“Fair Share”: Italien und Digital-Lobby fordern endgültiges Aus für Datenmaut HEISE

Standpunkt

“Meloni sucht bei Zuwanderung nach Sündenböcken”

Von Sandro Gozi
Sandro Gozi ist Generalsekretär der Europäischen Demokratischen Partei und Mitglied des Europäischen Parlaments. Gozi wurde im Dezember 2022 Koordinator der Fraktion Renew Europe im Ausschuss für konstitutionelle Fragen des Europäischen Parlaments. Er tritt für eine transnationale Europapolitik ein.
Der Europaabgeordnete Sandro Gozi von der Fraktion Renew tritt für eine transnationale Migrationspolitik ein.

Sehen wir den Tatsachen ins Auge und hören wir auf, über die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni so zu reden, wie wir sie gerne hätten, sondern so, wie sie wirklich ist. Vor etwa einem Jahr übernahmen sie und ihre Regierung mit dem Slogan “Wir sind bereit” die Führung in Italien und behaupteten, eine neue Kraft zu sein, die bereit ist, das Land umzugestalten. Leider hat sich diese Rhetorik schnell von der Realität entfernt.

Giorgia Meloni befindet sich nun in einer prekären Lage und sucht verzweifelt nach neuen Alibis, um ihre wachsende Inkompetenz und ihren Mangel an Konsequenz zu kaschieren. Zusammen mit ihrem wichtigsten Verbündeten, Matteo Salvini, der die rechtsextreme Partei Lega führt, scheint sie eine Strategie verfolgt zu haben, die darin besteht, um jeden Preis zu denunzieren, zu stigmatisieren und Ausreden zu erfinden. Der jüngste Massenansturm von Migranten auf Lampedusa zeigt, dass sie in ihrer Propaganda und ihren Widersprüchen gefangen ist.

Während der italienischen Wahlen versprach sie eine Seeblockade, um Schlepper zu stoppen, und bekräftigte damit die Unabhängigkeit der Nation von Europa. Seit sie an der Macht ist, ist die Zahl der irregulären Ankünfte von Migranten in Italien jedoch erheblich gestiegen, von 105.129 im Jahr 2022 auf 133.617 in den ersten neun Monaten des Jahres 2023, wie das italienische Innenministerium berichtet.

Keine Zeit für die Entwicklung einer gemeinsamen Strategie

Sie ruft nun zur europäischen Solidarität auf, aber ihre eigenen Verbündeten in Polen und Ungarn haben bislang jede europäische Lösung blockiert. Sie nimmt sich keine Zeit, um nach gemeinsamen Strategien zu suchen. In Budapest hingegen hatte sie an der Seite des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán – der sich seit langem gegen eine europäische Strategie in der Migrationskrise ausspricht – genügend Zeit, um sich zur Verteidigerin Gottes und der (natürlich traditionellen!) Familie zu erklären. Wir hoffen, dass dies nicht ohne seinen Segen geschieht.

Außerdem zögert Polen bislang, Solidarität mit Italien zu zeigen, und die Regierungen Ungarns und Tschechiens haben erst kürzlich die Verhandlungen über die Verordnung zur “Bewältigung der Migrationskrise” abgelehnt.

Spaltung unter den Nationalisten

Diese politischen Widersprüche sind offensichtlich. Giorgia Meloni war bislang die Verbündete ihrer tatsächlichen Gegner und die Gegnerin ihrer potenziellen Verbündeten. Die Widersprüche, mit denen sie konfrontiert ist, sind die gleichen wie die der französischen und europäischen extremen Rechten. Marine Le Pen und Matteo Salvini kritisierten das Eingreifen Europas in die Migration, während Marion Maréchal ein Handeln der Europäischen Union forderte und Giorgia Meloni die europäische Solidarität unterstützte.

Dies zeigt eine klare Spaltung unter den Nationalisten, und das sogar innerhalb derselben Regierung, wie in Italien, wo Giorgia Meloni und Matteo Salvini gegensätzliche Positionen vertreten.

Im Juni unterstützte Italien den neuen europäischen Pakt zu Asyl und Migration, der auf eine bessere Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union abzielt. Marine Le Pen und Eric Zemmour, die sich an den nationalistischen Regierungen Ungarns und Polens orientieren, kritisierten diese Maßnahme hingegen und veranschaulichten damit die Unfähigkeit der Nationalisten, gemeinsame Lösungen zu finden.

Alle verfügbaren Hebel müssen genutzt werden

Die angeschlagene Giorgia Meloni versucht, ihre Unzulänglichkeiten und Widersprüchlichkeit zu verbergen, indem sie Sündenböcke ausmacht. So will sie davon abzulenken, dass sie ihre Wahlversprechen nicht einhalten kann.

Die Absicht ist, Stärke, Identität, Durchhaltevermögen und die Fähigkeit zu zeigen, sich dem Diktat und den “Verschwörungen” Europas, der Migranten, der Banken, der NGOs, der LGBTQI+ und der multinationalen Konzerne zu entziehen. Dies zeigt jedoch eindeutig eher eine Schwäche als eine Stärke. Wir befinden uns in einer Phase der Verschleierung, der Massenablenkung und der Propaganda, die bis zu den Europawahlen im Juni 2024 andauern könnte.

Die Kontrolle durch Meloni von den öffentlichen Medien in Italien ist der Vielfalt der Debatten nicht förderlich. Die Steuerung der Migration kann nur durch europäische Zusammenarbeit erfolgen, nicht durch Konkurrenz oder Konfrontation. Es ist von entscheidender Bedeutung, alle verfügbaren Hebel wie Visa, Entwicklungshilfe und Handelsabkommen zu nutzen, um eine stärkere Zusammenarbeit der Herkunftsländer zu erreichen.

Dies erfordert eine konzertierte Aktion der europäischen Länder, insbesondere Frankreich, Italien, Deutschland und Spanien, sowie der europäischen Institutionen. Giorgia Meloni scheint in letzter Zeit verstanden zu haben, dass die Verständigung zwischen Italien und Frankreich für eine wirksame europäische Lösung der Migrationsfrage von entscheidender Bedeutung ist, wie ihr Treffen Ende September mit Präsident Emmanuel Macron in Rom zeigte.

Ein kleiner Schritt zum umfassenden Abkommen

Die soeben erzielte Einigung zur Bewältigung der Migrationskrisensituationen ist ein erstes Ergebnis. Es ist ermutigend, dass der Dialog konstruktiv war und eine Mehrheit gefunden wurde, ohne Polen und Ungarn, die wieder einmal dagegen gestimmt haben. Dies ist ein sehr nützlicher kleiner Schritt in Richtung eines umfassenden Abkommens.

Das Treffen der Staats- und Regierungschefs der Europa-Mittelmeer-Länder Ende September in Malta bot die Gelegenheit, die Notwendigkeit zu bekräftigen, in dieser Frage schnell und gemeinsam voranzukommen. Wir werden sehen, ob in den kommenden Wochen das Verantwortungsbewusstsein über Wahltaktik siegen wird – in Rom wie auch anderswo.

Es ist nämlich zwingend erforderlich, den neuen europäischen Pakt zu Asyl und Migration, der von Frankreich und der Europäischen Kommission nachdrücklich gewünscht wird, in Absprache mit dem Europäischen Parlament endgültig zu verabschieden und so schnell wie möglich umzusetzen.

Wenn die Europäer dem “Jeder für sich” nachgeben, werden die Probleme für alle größer. Während wir als Europäer die Kontrolle zurückgewinnen können, indem wir unsere gemeinsamen Werte respektieren und unsere gemeinsamen Interessen schützen.

Sandro Gozi ist Abgeordneter des Europäischen Parlaments und gehört der Fraktion Renew an. Er war von 2014 bis 2018 Staatssekretär für europäische Angelegenheiten in Italien.

  • Italien
  • Migrationspolitik

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte schon vergangene Woche Kritik einstecken müssen für ihre Haltung im Konflikt zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas. Auch in der Kommission gibt es Unruhe. So berichten Medien, mehr als 800 Beamte und Mitarbeiter der Kommission hätten namentlich eine Erklärung unterzeichnet. In dem Schreiben, das Table.Media vorliegt, wird die Kommission unter Führung von der Leyens wörtlich beschuldigt, “freie Hand für die Beschleunigung und Legitimierung eines Kriegsverbrechens im Gaza-Streifen” zu geben.

    Die Breitseiten in dem Schreiben sind ganz großes Kaliber. Die Unterzeichnenden bemängeln: “Wir erkennen kaum die Werte der EU in der scheinbaren Gleichgültigkeit, die unsere Institution in den letzten Tagen gegenüber dem anhaltenden Massaker an Zivilisten im Gazastreifen an den Tag gelegt hat.”

    Dass Kommissionsmitarbeiter öffentlich so hart mit der Behörde und ihrer Spitze ins Gericht gehen, kommt nicht so häufig vor. Beamte erinnern sich zuletzt an eine öffentliche Erklärung 2010, als die Kommission von Jacques Santer wegen massiver Korruptionsvorwürfe gegen die Forschungskommissarin Edith Cresson zurücktreten musste.

    Reinhard Bütikofer, seit 2009 Europaabgeordneter und ausgewiesener Experte für Außenpolitik, sagt dazu im Gespräch mit Table.Media: “Dass ein paar Hundert von insgesamt über 30.000 Kommissionsbeamten ihre eigene Präsidentin wegen deren Israel-Politik in einer Erklärung kritisieren, ist ungewöhnlich, aber gewiss zulässig. Meinungsfreiheit gilt auch für Beamte.” Von der Leyen müsse das aushalten.

    Damit setzten diese EU-Bediensteten aber auch einen neuen Standard, sagte der Grünen-Abgeordnete weiter: “Man wird in Zukunft sicher genau hinhören, welche Offenen Briefe es gibt, wenn ein Ratspräsident Michel zu Chinas Unterdrückungspolitik keine klaren Worte finden kann oder wenn ein Kommissar Várhelyi den serbischen Autokraten Vučić hofiert.” Und dann nimmt Bütikofer Stellung in der Sache: “Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Solidarität mit Israel, die Frau von der Leyen zeigt, gut ist.”

    Einen guten Wochenstart wünscht Ihnen

    Ihr
    Markus Grabitz
    Bild von Markus  Grabitz

    Analyse

    Hohlmeier zu Corona-Wiederaufbaufonds: “Gelder sind kaum nachverfolgbar”

    Die Chefin des Haushaltskontrollausschusses im Europaparlament, Monika Hohlmeier (CSU), kritisiert, dass die Kommission die Umsetzung der Projekte aus dem Corona-Wiederaufbaufonds (RRF) nicht ausreichend kontrolliert.

    Frau Hohlmeier, mit dem Corona-Wiederaufbaufonds (RRF) zahlt die EU 338 Milliarden Euro an Zuschüssen und 385 Milliarden Euro an Darlehen an die Mitgliedstaaten aus. Es gibt schlechte Noten vom Rechnungshof. Ist das Projekt gescheitert?

    Der Corona-Wiederaufbaufonds sollte ein Kriseninstrument sein. Es sollte Mitgliedstaaten geholfen werden, die besonders von der Pandemie und ihren Folgen betroffen waren. Sie sollten mit dem Geld aus der Krise herauskommen. Das war die Idee. Ende 2022 sind nicht einmal 15 Prozent der Projekte umgesetzt worden, die zur wirtschaftlichen Wiederbelebung führen sollten. Nehmen wir das Beispiel Spanien. Spanien war schwer betroffen von Corona. Spanien hat mittlerweile 70 Milliarden Euro an Zuschüssen bekommen. Der Großteil des Geldes ist aber in der realen Wirtschaft noch nicht angekommen, obwohl das Geld auf Spaniens Konten liegt. Viele Projekte werden erst 2024 bis 2026 umgesetzt werden. Am Beispiel von Spanien sehen wir, dass das Kriseninstrument RRF zu einem Kohäsionsinstrument geworden ist. Das Kriseninstrument ist kein Kriseninstrument mehr.

    Aber das Instrument ist auch für den Wiederaufbau gedacht …

    Bei Wiederaufbau stelle ich mir vor, dass zum Beispiel Krankenhäuser, die für eine Pandemie nicht ausreichend ausgestattet waren, entsprechende Unterstützung erhalten, damit nicht mehr so viele Menschen wegen Mangel an medizinischer Versorgung sterben. Der Tourismus als wesentlicher Wirtschaftszweig in Spanien braucht keinen Wiederaufbau, der läuft längst wieder. Ich habe grundsätzlich Zweifel: Das Instrument ist auf sechs Jahre angelegt. Es wird ein Plan mit wirtschaftlichen und reformerischen Schritten aufgelegt. Das erinnert mich an sozialistische Planwirtschaft. Das hat nichts mehr mit dem Bekenntnis zu der Kraft des europäischen Binnenmarktes und der sozialen Marktwirtschaft zu tun. Sechsjahrespläne sind schwierig, weil der Planungshorizont so lang ist, dass der Plan permanent korrigiert werden muss. Das erleben wir gerade. Corona ist Geschichte, längst geht es um die Folgen des Krieges in der Ukraine, die Krise im Nahen Osten und die Flüchtlingskrise. Die Folgen dieser Krisen treffen andere Mitgliedstaaten. Hinzu kommen Planungs-, Verwaltungs- und Ausschreibungsprobleme. 

    Rechnungsprüfer ohne Zugang zu Datenbanken

    Die Haushaltskontrolleure schauen sich jetzt vermehrt die Auszahlungen an die Mitgliedstaaten an, was sehen Sie?

    Die Gelder sind kaum nachverfolgbar. Die Kommission verweigert dem Europäischen Rechnungshof den uneingeschränkten und dauerhaften Zugang zu den relevanten Datenbanken. Auch wir als Haushaltskontrolleure vom Parlament haben Probleme, adäquate Daten zu erhalten. Die Kommission gibt als Endempfänger von europäischen Geldern ein Ministerium oder eine Behörde an. Das ist zwar interessant, aber nicht das, was wir wissen wollen. Die Rechnungsprüfer müssen doch Ausschreibungen und Projektausgaben im Einzelnen prüfen können. Dies lässt die Kommission nur sehr begrenzt zu, da sie dies für die Verantwortung der Mitgliedstaaten hält. Wer jedoch in den vergangenen Jahren die Rechnungshofberichte aufmerksam gelesen hat, der wird feststellen, dass die Mitgliedstaaten mit einer geringen Verwaltungskapazität oder mit Rechtsstaatlichkeitsproblemen vor allem im Bereich von Ausschreibungen und Projektvergaben mit massiven Irregularitäten auffallen. Wenn wir gar nicht wissen, wo das Geld ausgegeben wird, können wir nicht prüfen. Es fehlt die Transparenz.

    Die Kommission darf aber doch nur auszahlen, wenn die Mitgliedstaaten nachweisbar ihre Meilensteine erledigt haben?

    Das ist zwar richtig. Wir wissen, dass EU-weit im vergangenen Jahr 15 der 281 Meilensteine und Ziele entweder nicht zufriedenstellend erfüllt worden sind oder den Förderkriterien nicht entsprachen, das sind mehr als fünf Prozent. Die Überprüfung von Meilensteinen und Zielen unterliegt einem Verhandlungsverfahren. In dem Verfahren gibt es einen weiten Spielraum, was als “zufriedenstellend” angesehen wird oder nicht. Die Kommission stellt sich dann auf den Standpunkt, dass sie damit schon ihre Kontrollfunktion erfüllt hat. Es ist jedoch erforderlich, nachzuprüfen, ob die geplanten Projekte auch implementiert werden und laufen. Es gibt keinen Stand der konkreten Implementierung.

    Mitgliedstaaten informieren Parlamente unzureichend

    Dann müssen Sie sich an die Mitgliedstaaten wenden 

    Auch die Mitgliedstaaten verweigern den Einblick in die konkrete Realisierung der Projekte. Übrigens verweigern sie ihn auch den nationalen Parlamenten. 

    Was fällt noch auf?

    Doppelfinanzierung, die Finanzierung national wiederkehrender Ausgaben, und Ausschreibungsprobleme. Die spanische Regierung hat beispielsweise sich wiederholende Zahlungen, die sie seit 2017 aus ihrem nationalen Haushalt geleistet hat, einfach über den RRF gebucht. Sie hat es anders etikettiert, als neues Projekt zur Förderung einer spezifischen Maßnahme deklariert. Das ist gemäß den gesetzlichen Vorgaben ausdrücklich verboten. In der Slowakei wurde zum ersten Mal eine Doppelfinanzierung identifiziert, bei der ein Projekt sowohl aus dem europäischen Sozialfonds als auch dem RRF finanziert wurde. In beiden Fällen sieht man: Das hat mit dem Corona-Wiederaufbaufonds nichts zu tun.

    Hat die spanische Regierung denn dafür gesorgt, dass die Voraussetzungen erfüllt sind?

    Die spanische Regierung hat sich verpflichtet, eine grundlegende Rentenreform durchzuführen, da die Instabilität des spanischen Rentensystems als möglicher zukünftiger Krisenherd angesehen wird. Diese Reform ist Voraussetzung für die Erfüllung eines Meilensteins und damit für die Genehmigung des Geldes. Der spanische Vorschlag zur Rentenreform ist jedoch eher Augenwischerei als nachhaltig. Ich bin gespannt, wie die Kommission damit umgehen wird.

    Probleme in der Slowakei, Rumänien und Bulgarien

    Und in anderen Mitgliedstaaten?

    Wir stellen fest, dass es in der Slowakei, Rumänien und Bulgarien große Probleme bei der Implementierung gibt. In Frankreich etwa wurde ein ursprünglich geplantes Projekt zur CO₂-Einsparung bei der Stahlproduktion ausgetauscht. Die Kommission winkt den Austausch der Projekte letztlich durch, weil ansonsten das Geld nicht ausgezahlt werden kann.

    Was ist Ihr abschließendes Fazit?

    Ich halte diese Art der Finanzierung für nicht zukunftsfähig. Die Kommission ist laut Vertrag verpflichtet, die Verwendung der Gelder zu überwachen. Das ist schließlich Steuerzahlergeld. Sie muss wissen, wofür das Geld konkret verwendet wird. Ich habe ein gewisses Verständnis für die Vorfinanzierung. Aber eine Auszahlung von Geldern, Jahre bevor Projekte beginnen, ist nicht sinnvoll. Zudem stelle ich die 100-Prozent Finanzierungen infrage, da sie oft zu einem mangelhaften europäischen Mehrwert führen oder nur bloße Mitnahmeeffekte generieren. Wir brauchen viel Geld für Wettbewerbsfähigkeit, neue Technologien und Innovationen, zudem sind die Krisen zu bewältigen. Die EU verfügt über zu wenig Geld, als dass es über Jahre gebunkert werden könnte und dann teilweise nicht zielorientiert ausgegeben wird. Wir müssen aus den Fehlern ernsthafte Lehren ziehen.

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    EU-Batterieverordnung macht Unternehmen in China Beine

    Die Batterieverordnung ist ein ambitioniertes Projekt der EU. Es geht darum, den gesamten Lebenszyklus und die vollständige Wertschöpfungskette eines Produktes nachhaltiger zu gestalten. Es soll eine Kreislaufwirtschaft entstehen, die Europa unabhängiger von Drittstaaten macht. Wegen der Verkehrs- und Energiewende gelten Batterien als eine der Schlüsselindustrien der Zukunft. Bislang ist Europa in hohem Maße von China abhängig. China verfügte 2021 nach Angaben des Europäischen Rechnungshofes über 76 Prozent der weltweiten Produktionskapazitäten. 

    Batterieverordnung will Markt neu regeln 

    Und es ist ein lohnendes Geschäftsfeld. Die Unternehmensberatung McKinsey rechnet vor, dass die Nachfrage nach Lithium-Ionen-Akkus bis zum Jahr 2030 um jährlich 27 Prozent steigen wird – von 700 Gigawattstunden auf 4,7 Terawattstunden. Entlang der Wertschöpfungskette entstehe so ein Markt mit einem Umsatz von 400 Milliarden Dollar. Die Batterieverordnung soll den Anteil Europas an diesem Geschäft langfristig sichern.  

    Um das zu erreichen, setzt die Batterieverordnung unter anderem auf folgende zentrale Instrumente

    • Die Inverkehrbringer der Batterien müssen den CO₂-Fußabdruck der Batterie angeben. Unabhängige dritte Stellen müssen die Angabe vorher überprüfen. Außerdem werden schrittweise Höchstwerte eingeführt. 
    • Jede Batterie (über 2 kWh und Traktionsbatterien) benötigt ab 2027 einen digitalen Batteriepass. Darin sind 90 Informationen unter anderem zu den verwendeten Materialien, der Reparatur und dem Recyclingverfahren enthalten. 
    • Ab 2025 werden schrittweise Zielvorgaben für die Recyclingeffizienz, die Materialverwertung und den recycelten Inhalt eingeführt. 
    • Entlang der gesamten Wertschöpfungskette sind die Inverkehrbringer für soziale und ökologische Risiken verantwortlich. 

    “Insgesamt ist die Idee der Batterieverordnung, im Kontext des EU Green Deals nachhaltige Geschäftsmodelle aufzubauen und diese zu incentivieren, um im globalen Wettbewerb nicht ins Hintertreffen zu geraten”, fasst Achim Teuber die Batterieverordnung zusammen. Er ist Analyst bei der Unternehmensberatung SystemIQ (sprich: ‘Systemic’), die sich auf Nachhaltigkeit spezialisiert hat.  

    Dass die Batterieverordnung trotz aller Nachhaltigkeitsgedanken auch geopolitische Ziele verfolgt, lasse sich dabei nicht von der Hand weisen, argumentiert Christoph Lienemann, Managing Director bei PEM Motion – Beratungsunternehmen und Ingenieursdienstleister im Bereich der E-Mobilität. “Da wir in Deutschland und Europa noch eine vergleichsweise kleine Batterieindustrie haben, geht es auch darum, möglichst viele Rohstoffe hier vor Ort zu halten und energie- und ressourceneffiziente Lösungen für die Produktion und das Recycling zu finden. Das minimiert die Abhängigkeiten – und wir konkurrieren hier nicht nur mit Asien.” 

    China sieht Batterieverordnung als Anreiz 

    Für China entsteht als Weltmarktführer eine enorme Drucksituation. Denn Europa ist der größte Exportmarkt für Hersteller aus der Volksrepublik. Allein bei Autobatterien beträgt der Marktanteil 34 Prozent. Die neuen Regelungen wurden jedoch längst nicht so negativ aufgenommen, wie es in der Berichterstattung oft durchgeklungen ist. “In Gesprächen mit den chinesischen Anbietern kommt raus, dass sie jetzt schon anfangen, sich auf die Anforderungen vorzubereiten und sie gewillt sind, sie einzuhalten. Der größte Hersteller in China hat zum Beispiel öffentlich angekündigt, dass 2025 die Produktion CO₂-neutral sein soll und 2035 die gesamte Lieferkette”, sagt Teuber.  

    Und Gerrit Bockey, Experte für Battery Production Technologies bei PEM Motion und Leiter von Battery-News, ergänzt: “Grundsätzlich gab es Diskussionen darüber, ob das grüner Protektionismus sei. Aber viel stärker wurde darüber diskutiert, dass es ein Anreiz sei, sich auf dem Markt stärker zu etablieren.” Ein Beispiel ist der CO₂-Fußabdruck. Batterien aus China kommen – auch aufgrund des Energiemixes in der Produktion – mit einem Rucksack von 105 Gramm CO₂ pro Kilowattstunde nach Europa. Hiesige Produzenten (darunter natürlich auch chinesische) liegen 20 bis 30 Prozent darunter. “Es gibt entlang der gesamten Wertschöpfungskette Firmen, die sich hier niederlassen, um im Rahmen der Batterieverordnung einen gewissen Vorteil beim Markteinstieg zu haben. Es ist ein Anreiz dafür, den Heimatmarkt zu verlassen und in Europa zu investieren”, sagt Bockey weiter. 

    Milliardeninvestitionen nötig 

    Klar ist auch, dass die Batterieverordnung ohne chinesische Investitionen nur schwer erfüllt werden kann. Laut Teuber bräuchte es bis 2030 zusätzliche Investitionen in Höhe von 62 Milliarden Euro, um die Ziele der Batterieverordnung einzuhalten: 44 Milliarden in der Zellproduktion, zwölf Milliarden bei der Kathoden-Material-Produktion und 6 Milliarden bei der Anoden-Material-Produktion. “Entscheidend ist, wer die Investitionen tätigt und wer die Möglichkeiten hat, sie umzusetzen. Derzeit kommen 90 Prozent der Anoden und Kathoden aus China und 60 Prozent der Elektroautos. Für diese Unternehmen ist es natürlich interessant, hier ihre Investments zu tätigen und die Auflagen zu erfüllen”, so die Schlussfolgerung von Teuber. 

    Auch deswegen haben die Investitionen aus China in den Batteriesektor zugenommen. Im Jahr 2022 machten sie mit 4,5 Milliarden Euro einen Anteil von 57 Prozent der chinesischen Gesamtinvestitionen in Europa aus, rechnete das Mercator Institute for China Studies (MERICS) vor. Dabei geht es vor allem um Neugründungen und weniger um Übernahmen. “Wenige Großprojekte – fast ausschließlich in der Autoindustrie – stehen hinter dem Anstieg der Greenfield-Investitionen. Chinesische Batterieriesen wie CATL, Envision AESC und SVOLT investierten in Werke in Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Ungarn”, fasst MERICS zusammen. 

    • China
    • EU-Batterieverordnung

    News

    Gipfel zu Handelsthemen: EU und USA werden sich nicht einig

    EU und USA können sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen gegen China einigen. Zwar teilten beide Seiten nach ihrem Gipfel am Freitag mit, dass man im Umgang mit China ein einheitliches Vorgehen anstrebe. Doch im Detail hakte es wie so oft. So verständigten sich beide Seiten auf die Formulierung, dass China den globalen Stahlmarkt verzerre. Doch das erwartete Abkommen für nachhaltige Stahl- und Aluminium-Produktion, das auch eine EU-Untersuchung zu Antidumping-Zöllen gegen chinesische Metallprodukte beinhalten sollte, kam nicht zustande.

    Die EU-Seite hatte Bedenken hinsichtlich der Einhaltung der Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) geäußert. Auch die von den USA gewünschte Einbindung einer Snapback-Klausel, die die Wiedereinführung von US-Zöllen gegen EU-Metallprodukte ermöglichen würde, soll letztendlich dazu geführt haben, dass die Gespräche ohne Einigung endeten. Diese Zölle stammen aus der Trump-Zeit und sind derzeit ausgesetzt. Die EU hofft auf eine dauerhafte Abschaffung. USA und EU wollen ihre Gespräche dazu der gemeinsamen Erklärung zufolge vor Ablauf einer Frist zum Jahresende fortsetzen.

    Kein Abkommen zu kritischen Rohstoffen

    Auch die Verhandlungen um ein Abkommen zu kritischen Rohstoffen waren nicht erfolgreich. Sie ziehen sich bereits seit Monaten hin. Ein Deal etwa zu den Batterierohstoffen würde besonders der Autoindustrie helfen: Die EU würde als gleichberechtigter Freihandelspartner im Inflation Reduction Act (IRA) anerkannt, sodass die Hersteller leichter die Förderbedingungen in den USA erfüllen könnten.

    Einig ist man sich indessen über die Probleme. “Wir teilen die Besorgnis über die Herausforderungen, die unter anderem durch wirtschaftlichen Zwang, durch die Nutzung wirtschaftlicher Abhängigkeiten als Waffe sowie nicht marktorientierte Politiken und Praktiken entstehen”, hieß es in der gemeinsamen Erklärung. Die EU betonte erneut die genauere Betrachtung eines möglichen Outbound Investment Screenings: “Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten prüfen ebenfalls auf der Grundlage einer Risikobewertung, ob Auslandsinvestitionsmaßnahmen ihr bestehendes Instrumentarium ergänzen könnten.”ari

    • China
    • Handelspolitik
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    EU-Strommarkt: FDP gegen die Ratsposition

    Die FDP-Fraktion im Bundestag stellt sich gegen die Position der EU-Staaten zur europäischen Strommarktreform. Bei den Koalitionsgesprächen und den jüngsten Novellen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) habe die Koalition zweiseitige Differenzverträge abgelehnt, sagte FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler Table.Media. “Falls am Ende des Trilogs erneuerbare Energien nur noch über zweiseitige CfDs gefördert werden können, sehen wir als Liberale keine Chance für eine weitere Erneuerbaren-Förderung in Deutschland.”

    “Differenzverträge machen Strom ein gutes Stück teurer als die Ausschreibungen nach dem EEG”, argumentiert Köhler. Und weiter: “Die Investoren werden es einpreisen, wenn sie für zehn bis 15 Jahre keine Gewinne über dem vereinbarten Ausübungspreis machen können.” Nach dem geltenden EEG müssen Investoren in Wind- und Solarparks an Ausschreibungen teilnehmen. Den gebotenen Preis erhalten sie als Mindestvergütung. Erwirtschaften sie am Strommarkt höhere Gewinne, dürfen sie diese derzeit behalten. Eine Mehrheit der EU-Staaten und auch das Parlament wollen Gewinne oberhalb des vereinbarten Preises aber künftig abschöpfen und versprechen sich davon anders als die FDP sinkende Preise für die Verbraucher.

    Falls die Erneuerbaren-Förderung in Deutschland tatsächlich früher auslaufen müsste, sieht Köhler keine Gefahr für die Klimaziele: “Wir glauben, dass sich erneuerbare Energien inzwischen am Markt behaupten können.” Hinter der FDP-Forderung steht aber auch ein Grundsatzstreit über die Rolle des Staates in der Energiepolitik. “Ein CfD-System passt konzeptionell besser zu einer dauerhaften detaillierten und technologiescharfen staatlichen Steuerung von Ausbaumengen”, schreibt der Berater Christoph Maurer in einem Gutachten für den Energiekonzern EnBW, auf das sich die Liberalen berufen. ber

    • Strommarkt

    Medienfreiheitsgesetz: Fortschritte bei erstem Trilog

    Beim ersten Trilog zum European Media Freedom Act (EMFA) sind erste Fortschritte erzielt worden. Das Parlament wird dabei von Sabine Verheyen (CDU) als Berichterstatterin vertreten, für den Rat wird das Dossier von der spanischen Ratspräsidentschaft verhandelt.

    Obwohl der erste Trilog üblicherweise vor allem dem Kennenlernen und der Festlegung der weiteren Agenda dient, wurden auch schon die ersten inhaltlichen Punkte diskutiert. Fortschritte wurden vor allem bei weniger strittigen Themen wie der Reichweitenmessung (Artikel 23) oder Benutzeroberflächen (Artikel 19) erzielt.

    Zugleich zeichnet sich aber ab, dass bei anderen Regelungen nur schwer ein Konsens gefunden werden dürfte. Während das Parlament weitere Schutzmaßnahmen für Journalisten fordert, stehen viele Mitgliedstaaten dem Ansinnen als Eingriff in die nationalen Kompetenzen extrem kritisch gegenüber. Ob das Dossier noch in diesem Jahr und damit unter spanischer Ratspräsidentschaft abgeschlossen wird, ist daher fraglich – auch wenn sich nun ein dritter politischer Trilogtermin im Dezember abzeichnet. Der zweite politische Trilog ist für den 29. November angesetzt.

    Morde an Journalisten in der Slowakei und Malta

    Hintergrund für den EMFA sind Fehlentwicklungen in Mitgliedstaaten. Dazu zählt etwa die Ermordung von Journalisten in Malta und der Slowakei, die ungerechtfertigte Ausspähung von Journalisten in Griechenland, Frankreich, Polen und weiteren Mitgliedstaaten sowie nicht zuletzt fehlende Staatsferne von einigen Medien.

    Fehlende Staatsferne entsteht direkt, wenn etwa in Frankreich das Parlament das Budget des öffentlichen Rundfunks beschließt oder durch Anzeigenvergaben der Regierung in Österreich. Aber auch indirekt, etwa durch die Übernahme von Medienanbietern durch staatskontrollierte Betriebe oder Stiftungen wie in Polen oder Ungarn. Dessen Ministerpräsident Viktor Orbán behauptet öffentlich, dass “Brüssel” mit dem Media Freedom Act “die Medien kontrollieren” wolle. Kritik am Vorhaben üben aber auch die deutschen Bundesländer, die ihre verfassungsrechtlich garantierte Zuständigkeit für Medienpolitk durch den EMFA gefährdet sehen. fst

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    Weltweit steigen Treibhausgasemissionen, in Europa sinken sie

    53,8 Gigatonnen CO₂-Äquivalent wurden im vergangenen Jahr weltweit ausgestoßen – ein Rekordwert. Durch die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Pandemie stiegen die globalen Treibhausgasemissionen 2022 wieder an. Das geht aus einem Bericht der gemeinsamen Forschungsstelle (JRC) der EU-Kommission hervor, der sich auf Daten der Emissions Database for Global Atmospheric Research (EDGAR) stützt.

    Nachdem die Emissionen 2020 aufgrund der Pandemie um 3,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken waren, stiegen sie 2021 wieder an – um 4,8 Prozent. 2022 nahmen sie weiter zu – um 1,4 Prozent – und lagen laut dem Bericht um 2,3 Prozent über den Werten vor der Pandemie. Die größten Emittenten 2022 waren China, die USA, Indien, die EU, Russland und Brasilien. Auf sie entfallen die Hälfte der Weltbevölkerung, 61,2 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP), 63,4 Prozent des globalen Verbrauchs fossiler Brennstoffe und 61,6 Prozent der globalen THG-Emissionen.

    In der EU sinken die Emissionen 2022 wieder

    Zwar zählt Europa weiter zu den größten Verursachern des Klimawandels, doch nach dem Anstieg der THG-Emissionen 2021 (5,6 Prozent) im Vergleich zum Covid-Jahr 2020, sanken die Emissionen der EU 2022 wieder um 0,8 Prozent. Sie liegen damit unter dem Vor-Corona-Niveau. Laut den EDGAR-Daten ist auch der Anteil der EU an den weltweiten Emissionen über die Jahrzehnte zurückgegangen: von 14,8 Prozent im Jahr 1990 auf 6,7 Prozent 2022. Sowohl weltweit als auch in der EU machen die Sektoren Energie und Verkehr den größten Anteil an THG-Emissionen aus.

    Am Dienstag will die EU-Kommission ihren jährlichen Climate Action Progress Report vorstellen, in den erstmals auch ein Fortschrittsbericht zum Erreichen das Klimaneutralitätsziel der EU für 2050 integriert ist. Die EDGAR-Zahlen sowie das fertig verhandelte Fit-for-55-Paket dürften die Grundlage für diese Analyse bilden.

    Zahlreiche NECPs noch nicht eingereicht

    Offen ist noch, wie die Kommission die Fortschritte in den Mitgliedstaaten bewerten wird. Denn elf Länder haben ihre nationalen Energie- und Klimaschutzpläne (NECPs) noch nicht eingereicht. Deutschland will seinen NECP bis Ende Oktober nach Brüssel schicken, die eigentliche Deadline war Ende Juni dieses Jahres. In ihren NECPs legen die Länder dar, wie sie die EU-Klimaziele für 2030 erreichen wollen. Unter anderem darauf basierend analysiert die Kommission den Fortschritt zum Erreichen des Ziels. luk

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    Schweiz rückt bei Wahlen weiter nach rechts

    Bei den Parlamentswahlen in der Schweiz hat die national-konservative Schweizerische Volkspartei (SVP) ihre Vormachtstellung voraussichtlich ausgebaut. Die Partei kommt Hochrechnungen des Schweizer Fernsehens zufolge auf einen Anteil von 29,0 Prozent. Die SVP setzte im Wahlkampf vor allem auf ihr traditionelles Steckenpferd, die Begrenzung der Zuwanderung. “Wir haben ein Asylchaos. Wir haben Probleme bei der Immigration, und wir haben Probleme bei der Energieversorgung”, sagte Parteipräsident Marco Chiesa. “Die Schweizer Bevölkerung hat uns den Auftrag gegeben, diese Probleme zu lösen.”

    Den Zahlen zufolge konnte die SVP die Einbußen der vergangenen Wahlen zum Nationalrat praktisch wettmachen. Damals kam die vom Milliardär Christoph Blocher geprägte Partei in der großen Kammer auf 25,6 Prozent. Deutlich schlechter als zuletzt schnitten den Hochrechnungen zufolge die Grünen ab. Nach 13,2 Prozent in der stark von der Klimadiskussion geprägten Wahl 2019 sackte ihr Anteil nun auf 9,2 Prozent ab. Zwar legten die Sozialdemokraten leicht zu. Insgesamt dürfte sich die große Kammer des Schweizer Parlaments aber leicht nach rechts bewegen. rtr

    • Schweiz

    Presseschau

    Gipfel-Treffen zur Nahostkrise: EU ruft in Kairo zu Friedensbemühungen auf SRF
    Gipfeltreffen in Washington: USA und EU bekräftigen Beistand für Israel und die Ukraine DEUTSCHLANDFUNK
    Europäische Wirtschaft von EU-USA-Gipfel enttäuscht AACHENER-ZEITUNG
    EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen: Müssen Schleuser und Schlepper bekämpfen DEUTSCHLANDFUNK
    Aufstand von EU-Mitarbeitern gegen Ursula von der Leyen: Doppelte Standards des Westens BERLINER-ZEITUNG
    Energiewende: EU will den Windkraft-Turbo einlegen SUEDDEUTSCHE
    EU in Sorge: Krieg und Pipeline-Sabotage drohen Gaspreis zu verteuern BERLINER-ZEITUNG
    EU considers price cap extension to avert winter gas crisis FT
    Battery 2030+: EU investiert 150 Millionen Euro in nachhaltige Batterien CETODAY
    Neuer Anlauf: EU drängt auf Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Kosovo und Serbien EURONEWS
    Vorerst zehn Tage lang – Jetzt auch Slowenien und Kroatien: Grenzkontrollen in fast der ganzen EU TT
    EU und China: Zwischen Kooperation und Systemrivalität INFORADIO
    Fluchtbewegungen aus Nahost? “Die EU-Staaten müssen Vorkehrungen treffen” TAGESSPIEGEL
    Im selben Strom wie Europa, aber nicht im selben Boot: In welche Richtung steuert Georgien? BERLINER-ZEITUNG
    Der Handel mit Kokain in Europa nimmt zu, und Drogenkartelle rekrutieren vermehrt Kinder – jetzt verstärkt die EU die Massnahmen NZZ
    eHealth: KI-Verordnung, EU-Gesundheitsdatenraum und Co. aus rechtlicher Sicht HEISE
    CEO of Web Summit tech conference resigns over Israel comments NPR
    Brüssel ist Europas Lobbying-Mekka: wer am meisten Geld ausgibt, wie viel Berater kassieren und wie aktiv die Schweizer sind NZZ
    GC korrigiert EU-Importprognose nach oben PROPLANTA
    “Fair Share”: Italien und Digital-Lobby fordern endgültiges Aus für Datenmaut HEISE

    Standpunkt

    “Meloni sucht bei Zuwanderung nach Sündenböcken”

    Von Sandro Gozi
    Sandro Gozi ist Generalsekretär der Europäischen Demokratischen Partei und Mitglied des Europäischen Parlaments. Gozi wurde im Dezember 2022 Koordinator der Fraktion Renew Europe im Ausschuss für konstitutionelle Fragen des Europäischen Parlaments. Er tritt für eine transnationale Europapolitik ein.
    Der Europaabgeordnete Sandro Gozi von der Fraktion Renew tritt für eine transnationale Migrationspolitik ein.

    Sehen wir den Tatsachen ins Auge und hören wir auf, über die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni so zu reden, wie wir sie gerne hätten, sondern so, wie sie wirklich ist. Vor etwa einem Jahr übernahmen sie und ihre Regierung mit dem Slogan “Wir sind bereit” die Führung in Italien und behaupteten, eine neue Kraft zu sein, die bereit ist, das Land umzugestalten. Leider hat sich diese Rhetorik schnell von der Realität entfernt.

    Giorgia Meloni befindet sich nun in einer prekären Lage und sucht verzweifelt nach neuen Alibis, um ihre wachsende Inkompetenz und ihren Mangel an Konsequenz zu kaschieren. Zusammen mit ihrem wichtigsten Verbündeten, Matteo Salvini, der die rechtsextreme Partei Lega führt, scheint sie eine Strategie verfolgt zu haben, die darin besteht, um jeden Preis zu denunzieren, zu stigmatisieren und Ausreden zu erfinden. Der jüngste Massenansturm von Migranten auf Lampedusa zeigt, dass sie in ihrer Propaganda und ihren Widersprüchen gefangen ist.

    Während der italienischen Wahlen versprach sie eine Seeblockade, um Schlepper zu stoppen, und bekräftigte damit die Unabhängigkeit der Nation von Europa. Seit sie an der Macht ist, ist die Zahl der irregulären Ankünfte von Migranten in Italien jedoch erheblich gestiegen, von 105.129 im Jahr 2022 auf 133.617 in den ersten neun Monaten des Jahres 2023, wie das italienische Innenministerium berichtet.

    Keine Zeit für die Entwicklung einer gemeinsamen Strategie

    Sie ruft nun zur europäischen Solidarität auf, aber ihre eigenen Verbündeten in Polen und Ungarn haben bislang jede europäische Lösung blockiert. Sie nimmt sich keine Zeit, um nach gemeinsamen Strategien zu suchen. In Budapest hingegen hatte sie an der Seite des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán – der sich seit langem gegen eine europäische Strategie in der Migrationskrise ausspricht – genügend Zeit, um sich zur Verteidigerin Gottes und der (natürlich traditionellen!) Familie zu erklären. Wir hoffen, dass dies nicht ohne seinen Segen geschieht.

    Außerdem zögert Polen bislang, Solidarität mit Italien zu zeigen, und die Regierungen Ungarns und Tschechiens haben erst kürzlich die Verhandlungen über die Verordnung zur “Bewältigung der Migrationskrise” abgelehnt.

    Spaltung unter den Nationalisten

    Diese politischen Widersprüche sind offensichtlich. Giorgia Meloni war bislang die Verbündete ihrer tatsächlichen Gegner und die Gegnerin ihrer potenziellen Verbündeten. Die Widersprüche, mit denen sie konfrontiert ist, sind die gleichen wie die der französischen und europäischen extremen Rechten. Marine Le Pen und Matteo Salvini kritisierten das Eingreifen Europas in die Migration, während Marion Maréchal ein Handeln der Europäischen Union forderte und Giorgia Meloni die europäische Solidarität unterstützte.

    Dies zeigt eine klare Spaltung unter den Nationalisten, und das sogar innerhalb derselben Regierung, wie in Italien, wo Giorgia Meloni und Matteo Salvini gegensätzliche Positionen vertreten.

    Im Juni unterstützte Italien den neuen europäischen Pakt zu Asyl und Migration, der auf eine bessere Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union abzielt. Marine Le Pen und Eric Zemmour, die sich an den nationalistischen Regierungen Ungarns und Polens orientieren, kritisierten diese Maßnahme hingegen und veranschaulichten damit die Unfähigkeit der Nationalisten, gemeinsame Lösungen zu finden.

    Alle verfügbaren Hebel müssen genutzt werden

    Die angeschlagene Giorgia Meloni versucht, ihre Unzulänglichkeiten und Widersprüchlichkeit zu verbergen, indem sie Sündenböcke ausmacht. So will sie davon abzulenken, dass sie ihre Wahlversprechen nicht einhalten kann.

    Die Absicht ist, Stärke, Identität, Durchhaltevermögen und die Fähigkeit zu zeigen, sich dem Diktat und den “Verschwörungen” Europas, der Migranten, der Banken, der NGOs, der LGBTQI+ und der multinationalen Konzerne zu entziehen. Dies zeigt jedoch eindeutig eher eine Schwäche als eine Stärke. Wir befinden uns in einer Phase der Verschleierung, der Massenablenkung und der Propaganda, die bis zu den Europawahlen im Juni 2024 andauern könnte.

    Die Kontrolle durch Meloni von den öffentlichen Medien in Italien ist der Vielfalt der Debatten nicht förderlich. Die Steuerung der Migration kann nur durch europäische Zusammenarbeit erfolgen, nicht durch Konkurrenz oder Konfrontation. Es ist von entscheidender Bedeutung, alle verfügbaren Hebel wie Visa, Entwicklungshilfe und Handelsabkommen zu nutzen, um eine stärkere Zusammenarbeit der Herkunftsländer zu erreichen.

    Dies erfordert eine konzertierte Aktion der europäischen Länder, insbesondere Frankreich, Italien, Deutschland und Spanien, sowie der europäischen Institutionen. Giorgia Meloni scheint in letzter Zeit verstanden zu haben, dass die Verständigung zwischen Italien und Frankreich für eine wirksame europäische Lösung der Migrationsfrage von entscheidender Bedeutung ist, wie ihr Treffen Ende September mit Präsident Emmanuel Macron in Rom zeigte.

    Ein kleiner Schritt zum umfassenden Abkommen

    Die soeben erzielte Einigung zur Bewältigung der Migrationskrisensituationen ist ein erstes Ergebnis. Es ist ermutigend, dass der Dialog konstruktiv war und eine Mehrheit gefunden wurde, ohne Polen und Ungarn, die wieder einmal dagegen gestimmt haben. Dies ist ein sehr nützlicher kleiner Schritt in Richtung eines umfassenden Abkommens.

    Das Treffen der Staats- und Regierungschefs der Europa-Mittelmeer-Länder Ende September in Malta bot die Gelegenheit, die Notwendigkeit zu bekräftigen, in dieser Frage schnell und gemeinsam voranzukommen. Wir werden sehen, ob in den kommenden Wochen das Verantwortungsbewusstsein über Wahltaktik siegen wird – in Rom wie auch anderswo.

    Es ist nämlich zwingend erforderlich, den neuen europäischen Pakt zu Asyl und Migration, der von Frankreich und der Europäischen Kommission nachdrücklich gewünscht wird, in Absprache mit dem Europäischen Parlament endgültig zu verabschieden und so schnell wie möglich umzusetzen.

    Wenn die Europäer dem “Jeder für sich” nachgeben, werden die Probleme für alle größer. Während wir als Europäer die Kontrolle zurückgewinnen können, indem wir unsere gemeinsamen Werte respektieren und unsere gemeinsamen Interessen schützen.

    Sandro Gozi ist Abgeordneter des Europäischen Parlaments und gehört der Fraktion Renew an. Er war von 2014 bis 2018 Staatssekretär für europäische Angelegenheiten in Italien.

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