Table.Briefing: Europe

Verbrenner-Kompromiss + Kernfusionsreaktor ITER + Industrial-Cloud-Projekt genehmigt

Liebe Leserin, lieber Leser,

in der Nacht von Samstag auf Sonntag wurde mal wieder die Zeit umgestellt. Und mal wieder stellt sich die Frage, wann der Wechsel zwischen Sommer- und Winterzeit endet. Denn eigentlich hatte die Brüsseler Behörde schon 2018 angekündigt, die saisonalen Zeitumstellungen abschaffen zu wollen. Der Ball liegt seitdem bei den Mitgliedstaaten. Vergangene Woche erklärte ein Kommissionssprecher mal wieder, es gäbe nichts Neues zu verkünden in dieser Sache. Es braucht wohl noch etwas Zeit.

Viel Zeit gekostet hat der Streit um das Verbrenner-Aus 2035 zwischen Bundesverkehrsminister Volker Wissing und Klimakommissar Frans Timmermans. Nun ist der Streit geklärt. Wissing löst seine Blockade und bekommt im Gegenzug die Zusage, dass die Kommission “E-Fuels only”-Autos eine Chance gibt. Allerdings ist diese Zusage nicht so rechtssicher, wie es der Verkehrsminister dieser Tage darstellt.

Der Bau des Kernfusionsreaktor ITER in Südfrankreich braucht ebenfalls viel Zeit und kostet die EU Milliarden. Die Gelder werden als Klimafinanzierung verbucht, denn an der Kernfusion hängt die Hoffnung eines sauberen Energiemixes. Dabei wird der Versuchsreaktor selbst vermutlich niemals Strom erzeugen, berichtet Charlotte Wirth.

Im Porträt haben wir heute den hessischen Botschafter bei der EU, Friedrich von Heusinger, der seit über 30 Jahren in Brüssel ist und dennoch manchmal Stadt sowie die europäischen Institutionen kompliziert findet.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die neue Woche.

Ihr
Lukas Knigge
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Analyse

Verbrenner-Streit: Keine Rechtssicherheit trotz Einigung

Die FDP forderte im Streit um das Verbrenner-Aus stets Rechtssicherheit dafür, dass “E-Fuels only”-Fahrzeuge auch nach 2035 zugelassen werden können. Zwar stand eine entsprechende Forderung in einem Erwägungsgrund der verschärften EU-Flottengrenzwerte, die CO₂-Reduktionsziele für die Autohersteller vorgeben. Doch Klimakommissar Frans Timmermans hatte schon im Juni vergangenen Jahres betont, dass es der Kommission obliegt, ob sie einen solchen Vorschlag vorlegt oder nicht. Das reichte der FDP nicht, weshalb sie den Aufstand geprobt hat.

Auch die am Wochenende erzielte Einigung schafft die von Bundesverkehrsminister Volker Wissing geforderte Rechtssicherheit allerdings nicht. EU-Parlamentarier von SPD, CDU und Grünen äußern bereits erhebliche Zweifel, dass sich der Kompromiss zwischen Wissing und Timmermans in die Tat umsetzen lässt.

Keine Rechtsgrundlage für delegierten Rechtsakt

Die Einigung besagt laut Bundesverkehrsministerium:

  • Der Text der Trilog-Einigung wird unverändert angenommen.
  • Die EU-Kommission schafft mit einem Durchführungsrechtsakt innerhalb der Euro-6-Typgenehmigung eine neue Fahrzeugkategorie für Verbrenner, die ausschließlich mit synthetischen Kraftstoffen betankt werden können.
  • Anschließend soll die Kommission diese Fahrzeugkategorie über einen delegierten Rechtsakt in die Flottenregulierung integrieren.

Der letzte Schritt würde bedeuten, dass Hersteller von “E-Fuels only”-Autos sich diese für das Erreichen ihrer CO₂-Reduktionsziele anrechnen können. Doch der Kommission fehlt womöglich die rechtliche Grundlage für einen delegierten Rechtsakt. Die Co-Gesetzgeber Europaparlament und Rat müssen der Kommission erlauben, bestimmte Details eines Gesetzes über delegierte Rechtsakte zu klären. Im Falle des Gesetzes zum Verbrenner-Aus fehlt diese Erlaubnis im aktuellen Text. EU-Parlamentarier wie Michael Bloss (Grüne) haben daher schon die rechtliche Prüfung und gegebenenfalls eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof angekündigt, falls der delegierte Rechtsakt kommt.

Der CDU-Abgeordnete Peter Liese hält zwar inhaltlich nichts von einem Verbrenner-Aus, zweifelt aber an der Rechtmäßigkeit des Konstrukts: “Neun von zehn Juristen werden sagen, dass das nicht geht”, sagte er zu Table.Media. Der delegierte Rechtsakt könnte vom EuGH also einkassiert werden. Liese sagt, in der Kommission selbst gehe man auch davon aus, dass das Ganze nicht rechtssicher sei.

Alternative: Ordentliches Gesetzgebungsverfahren

Für diesen Fall haben Kommission und Bundesverkehrsministerium vereinbart, dass statt eines delegierten Rechtsakts eine ordentliche Revision der EU-Flottenregulierung erfolgen soll. Diese würde ein Mitspracherecht des Parlaments und der Mitgliedstaaten bedeuten. Beide Co-Gesetzgeber wären also in der Lage, eine Ausnahme für E-Fuels vom Verbrenner-Aus zu verhindern.

Zudem braucht dieser Prozess Zeit und wird wohl kaum vor der Europawahl im Frühjahr 2024 abgeschlossen sein. Das Verkehrsministerium selbst geht von Herbst 2024 aus. Die Zusage der Kommission, “E-Fuels only”-Autos notfalls über ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren in die Flottenregulierung zu integrieren, sei allerdings nicht rechtlich bindend, sagt Bloss. Die nächste EU-Kommission müsse sich daran nicht halten.

Ohnehin steht im aktuellen Gesetzestext bereits eine Überprüfung des Gesetzes für 2026 festgeschrieben. Wie weitreichend das Gesetz dann überarbeiten wird, obliegt der nächsten EU-Kommission und dem nächsten EU-Parlament sowie den Mitgliedstaaten. Unterm Strich bedeutet das: Wissing hat Timmermans zwar eine deutlichere Absichtserklärung als zuvor abgerungen, aber eine Garantie, dass Verbrenner auch nach 2035 noch zugelassen werden können – ob mit E-Fuels oder ohne – ist es nicht.

Fest steht: Die Blockade der FDP ist gelöst. Die EU-Botschafter werden Anfang dieser Woche eine erneute Abstimmung anberaumen, damit die formale Annahme auf Ministerebene beim Energierat am Dienstag (28. März) noch vollzogen werden kann.

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Kernfusionsreaktor ITER: Klimafinanzierung für Wissenschaftsprojekt

Baustelle des ITER-Kernforschungszentrums im südfranzösischen Cadarache.

22 Milliarden Euro wird der Kernfusionsreaktor ITER mindestens kosten. Der Reaktor entsteht in Cadarache in Südfrankreich und soll den Weg zur Stromgewinnung aus Kernfusion ebnen. Die Kernfusion könnte “bis zum Ende des Jahrhunderts die Energiegewinnung aus erneuerbaren Energiequellen in geeigneter Weise ergänzen”, schrieb die EU-Kommission 2017 in einer Mitteilung. Dafür greift die EU tief in die Tasche. Allein im Finanzrahmen 2021-2027 sind 5,6 Milliarden für die Finanzierung des Reaktors vorgesehen.

Das Projekt ITER geht auf eine Vereinbarung zwischen US-Präsident Ronald Reagan und dem sowjetischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow aus den 1980er-Jahren zurück, 2006 wurde diese formalisiert. Neben Euratom beteiligen sich Russland, die USA, China, Japan, Indien und Südkorea am Projekt.

Klima- oder Wissenschaftsprojekt

Die EU übernimmt 45 Prozent der Finanzierung. Seit 2019 verbucht sie diese Gelder als Klimafinanzierung, so hat es der Rat entschieden. “Obwohl ITER kurz- und mittelfristig nicht direkt zu den Energie- und Klimazielen beiträgt, ist das Potenzial für die Dekarbonisierung der Energielandschaft nach 2050 sehr bedeutend”, liest man im Entwurf des EU-Haushaltsplans 2023.

An ITER hängt die Hoffnung eines sauberen Energiemix nach 2050, sagt auch Hartmut Zohm, Physiker am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik. Zohm ist auf Tokamak-Reaktoren spezialisiert: “Wenn wir davon ausgehen, dass wir es nicht schaffen, mit Wind und Sonne 100 Prozent unseres Bedarfs weltweit zu decken, dann brauchen wir eine nicht-fossile Quelle für die Grundlast: Da bleiben Kernspaltung und Kernfusion.”

Im Gegensatz zu Fissionsreaktoren, wo Energie durch die Kernspaltung entsteht, funktioniert die Kernfusion nicht mit Uran, sondern Tritium, dessen Radioaktivität nach zwölf Jahren abnimmt. Dennoch besteht das Risiko, dass der radioaktive Wasserstoff beim Betrieb des Reaktors freigesetzt wird und in die Umwelt gelangt.

Zohm sagt allerdings auch: “ITER ist in erster Linie ein wissenschaftliches Projekt.” Es werde zeigen, dass ein Plasma sich selbst aufrechterhält, wenn man es einmal angezündet hat. Der Versuchsreaktor wird nie Strom erzeugen. Lediglich die Energiebilanz im Plasma wird positiv sein: ITER soll zehnmal so viel Fusionsenergie freisetzen, wie nötig ist, um die Fusionsreaktion zu starten. Das zeige wissenschaftlich, dass das Plasma brennt, so Zohm. “Wenn man dann damit noch Elektrizität generieren will und Netto-Energie herausholen will, muss man die Fusionsleistung noch steigern, etwa durch das Vergrößern der Maschine oder die Erhöhung des Magnetfelds.”

Kommission verteidigt ITER

Die EU-Kommission hat ihrerseits in den letzten Jahren rund eine Million Euro für verschiedenste Studien ausgegeben, um den wirtschaftlichen Mehrwert des Versuchsreaktors herauszuarbeiten. In einer Studie von 2018 über die Auswirkungen der ITER-Aktivitäten in der EU heißt es etwa: “Auch wenn ITER zum Ziel hat, einen Beitrag zur Entwicklung einer kommerziellen Fusionstechnologie zu leisten, liegt dies noch so weit in der Zukunft, dass es nicht der entscheidende Treiber” ist. Und: “Es ist nicht realistisch, dass ITER und DEMO – der Demonstrationsreaktor, der im Anschluss an ITER gebaut werden soll – einen signifikanten Beitrag zu den 2050er Energie- und Klimazielen leisten.”

Die Gründe, wieso Brüssel die ITER-Gelder als Klimaausgaben verrechnet, liegen womöglich woanders. Schon unter dem letzten Finanzrahmen schaffte es die EU nicht, das Ziel von 20 Prozent Klimaausgaben zu erreichen, das sie sich selbst setzte, kritisierte der Europäische Rechnungshof 2022 in einem Bericht. Die Prüfer äußerten die Befürchtung, dass auch die Klimaziele unter dem aktuellen Finanzrahmen nicht erreicht werden. “Um klimarelevant zu sein, muss der Haushalt eng mit der Verringerung der Treibhausgasemissionen verknüpft sein”, schlussfolgerten die Prüfer. Darüber, inwiefern das bei ITER zutrifft, äußerten sie sich nicht, denn im letzten Finanzrahmen galten die Beiträge noch nicht als Klimafinanzierung.

Kostspielige Verzögerungen

Derweil basiert die Kostensimulation des ITER auf einer veralteten Hochrechnung von 2016. Eine neue Berechnung hinsichtlich des Kosten- und Zeitplans sei in Arbeit, bestätigt ein Sprecher der ITER-Organisation. In den letzten Jahren kam es nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie zu signifikanten Verzögerungen. Nach der letzten offiziellen Timeline sollte das erste Plasma im Dezember 2025 gezündet werden. Die Experimente mit Tritium und Deuterium waren für 2035 angesetzt. Diese Timeline sei nicht mehr realistisch, so der Sprecher.

Auch der Krieg in der Ukraine bringt den Zeitplan durcheinander. Russland gehört zu den ITER-Staaten: Eines der zentralen Bauteile des ITER, ein Riesenmagnet, wurde unter der Aufsicht der russischen Atombehörde Rosatom hergestellt: 200 Tonnen schwer, 9 Meter Durchmesser. Herstellungsdauer: etwa zehn Jahre.

Auch deswegen ist das Reaktorprojekt eine der wenigen Ausnahmen der EU-Sanktionen gegen Moskau. Mitte Februar ist das Schiff mit dem Magneten aus Sankt Petersburg in Marseille eingelaufen. In Cadarache arbeiteten zurzeit etwa 70 russische Wissenschaftler. ITER sei keine politische Behörde, Russland habe versprochen, seine Verpflichtungen einzuhalten, so heißt es. Kritik gibt es, wenn überhaupt, dann nur versteckt. Im EU-Haushaltsplan von 2023 ist von einem “Reputationsrisiko” die Rede. Der ITER-Vertrag sieht derweil den Rückzug eines Partnerlandes gar nicht vor.

Atomaufsichtsbehörde übt Kritik

Die Verzögerungen des ITER-Projektes sind allerdings auch auf Probleme mit der französischen Nuklear-Aufsichtsbehörde ASN zurückzuführen. In deren Protokollen ist die Rede von “mangelnder Sicherheitskultur“, “nicht-behobene Nichtkonformitäten” und “Schwierigkeiten, Informationen und Dokumente zu erhalten“. Das sei eine starke Kritik, räumt Mathieu Masson, stellvertretender Leiter der Sektion Marseille der ASN und für die ITER-Kontrollen verantwortlich, ein. Er erläutert: “Was wir als ‘Sicherheitskultur’ bezeichnen, ist die Fähigkeit des Betreibers, die Risiken, die seine Tätigkeit mit sich bringt, zu beherrschen.” Derzeit befinde sich ITER in der Bauphase, die Herausforderungen an die Sicherheit seien daher gering. “Aber wir müssen sicher sein, dass Risikomanagement für Planungs- und Bauphase zufriedenstellend ist, bevor irreversiblen Bauvorgänge anstehen“, fordert Masson.

Ein solcher Bauvorgang ist die Montage des Vakuumgefäßes, in dem das für die Plasmafusion notwendige Magnetfeld erzeugt wird. Hier herrscht Baustopp, denn die dazu nötigen Teile zeigen signifikante Abweichungen auf. Der Grund: Die Teile stammen von verschiedenen Herstellern auf verschiedenen Kontinenten. “Das ist vielleicht im Sinne dessen, dass jeder ITER-Partner die Technologie lernt”, sagt Hartmut Zohm. Allerdings sei es nicht effizient. “Eine Industrie würde nie auf die Idee kommen, vier Räder für das gleiche Auto von vier Herstellern auf drei Kontinenten bauen zu lassen.”

Zohm kritisiert, dass das ITER-Team in Cadarache keine Kontrolle über die Hersteller hat. Die Ingenieure können erst dann kontrollieren, ob Bauteile konform sind und passen, wenn sie in Cadarache ankommen. Mit teuren Folgen, denn manche Teile müssen nun erst einmal angepasst oder repariert werden, bevor die ASN grünes Licht für die Zusammensetzung gibt.

Wissen fließt in DEMO

Problematisch sei nicht zuletzt, dass das Projekt aufgrund seines komplexen technischen Anspruchs und der Vielfalt der Lieferanten gleichzeitig geplant und gebaut werde, sagt Mathieu Rasson von der französischen Aufsichtsbehörde. Das mache es für den Betreiber schwieriger, der Konfiguration zu folgen.

Das bedeute aber im Umkehrschluss, dass der Bau des ITER ein ständiger Lernprozess sei, betont Hartmut Zohm: “Wir bauen eine Maschine in einer noch nie dagewesenen Komplexität. Mit Lösungen, die es noch nie gegeben hat.” Man lerne bereits jetzt, was hinsichtlich der Technologie funktioniere und was nicht. Das Wissen, das man gewinne, sei enorm, sogar vor dem Betriebsbeginn. Dieses Wissen soll denn auch in die Konzeption des DEMO-Reaktors einfließen, der erstmals auch Strom produzieren soll. Der Bau soll im Anschluss an das ITER-Projekt starten. Datum: unklar.

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News

BMWK startet Förderung von Industrial-Cloud-Projekt

Das Bundeswirtschaftsministerium hat am Freitag ein erstes Teilprojekt des EU-Programms IPCEI-CIS zur Stärkung der Cloud- und Edge-Computing-Kapazitäten in der EU vorzeitig genehmigt. Damit kann das Softwareunternehmen SAP noch vor der finalen Beihilfeentscheidung der EU-Kommission mit seinem Projekt starten.

Das IPCEI (Project of Common European Interest) ist ein Beihilfeinstrument, mit dem Mitgliedstaaten pan-europäische Innovationsprojekte fördern können. In diesem Fall geht es um die Industrial Cloud. An dem IPCEI-CIS sind 150 Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus zwölf Mitgliedstaaten beteiligt. Das Projekt von SAP ist das erste der insgesamt 22 deutschen Projekte. Ziel des EU-Projekts ist, eine einheitliche Infrastruktur für den Datenaustausch in Echtzeit zu schaffen.

Bei dem Projekt von SAP geht es um die Entwicklung von offenen Referenzarchitekturen (ORA) für eine paneuropäische Cloud-Edge-Infrastruktur. Andere Cloud-Anbieter und IT-Dienstleister sollen die entsprechenden Bausteine dann in ihren eigenen Rechenzentren nutzen können.

Mehr Resilienz und digitale Souveränität

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nannte die Industrial Cloud ein zentrales Vorhaben für mehr Resilienz und eine stärkere digitale Souveränität in der EU. Das SAP-Projekt könne eine wichtige Grundlage für das Gesamtprojekt und verschiedene Teilvorhaben legen. “Die zügige beihilferechtliche Genehmigung des IPCEI Industrial Cloud ist dann der nächste Schritt und hat für mich hohe Priorität”, sagte Habeck.

Der Digitalverband Bitkom bezeichnete den Förderstart als wichtigen industriepolitischen Impuls. Jetzt müssten aber zügig alle weiteren Teilprojekte in die Umsetzung kommen. “Entscheidend ist, dass es uns gelingt, die dezentral und regional verteilten Anbieter von Cloud- und Edge-Lösungen in Europa besser zu vernetzen und offene und inklusive Standards voranzubringen“, sagte Bitkom-Präsident Achim Berg. vis

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Data Act: Trilog beginnt Ende März

Am Freitag hat sich der Ausschuss der Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten (AStV) auf einen gemeinsamen Standpunkt zum Data Act geeinigt. Damit verfügt der Rat über ein Mandat für die Verhandlungen mit dem EU-Parlament. Der erste, eher organisatorische Termin für den Trilog ist am 29. März. Die inhaltlichen Verhandlungen sollen am 4. April beginnen. Das Parlament hatte sein Verhandlungsmandat bereits Mitte März erteilt.

Der gemeinsame Standpunkt des Rates (den Contexte veröffentlicht hat) weicht nur unwesentlich vom sechsten Kompromisspapier der schwedischen Ratspräsidentschaft ab. Es gab eine Anpassung, die klarstellt, dass der Text die nationalen oder europäischen Rechtsvorschriften über den Zugang zu Daten aus wissenschaftlichen Gründen nicht berührt.

Bundesregierung sieht Verbesserungsbedarf

Vom Kommissionsvorschlag weicht der Text allerdings deutlich ab. Die wichtigsten Änderungen sind:

  • Klarere Definition des Anwendungsbereichs der Verordnung: Der Rat hat den Schwerpunkt bei den Daten aus dem Internet der Dinge von den Produkten selbst auf die Funktionen der von den vernetzten Produkten erhobenen Daten verlagert.
  • Klarstellungen zum Zusammenspiel zwischen dem Data Act und bestehenden Rechtsvorschriften wie dem Data Governance Act und der DSGVO: Hierauf hatte auch Deutschland Wert gelegt.
  • Schutz von Geschäftsgeheimnissen und Rechten des geistigen Eigentums, ergänzt durch geeignete Schutzmaßnahmen gegen missbräuchliches Verhalten: Dieses Thema war für die deutsche Industrie von zentraler Bedeutung.
  • Zusätzliche Leitlinien in Bezug auf eine angemessene Entschädigung für die Bereitstellung der Daten und Streitbeilegungsmechanismen.
  • Feinabstimmungen bei Anträgen öffentlicher Stellen auf gemeinsame Datennutzung bei außergewöhnlichen Umständen.
  • Klarere und allgemeiner anwendbare Bestimmungen in Bezug auf den Wechsel von Cloud-Dienstleistern.

Doch auch wenn die Mitgliedstaaten nun einen gemeinsamen Standpunkt gefunden haben, sieht die Bundesregierung noch Verbesserungsbedarf. Dabei geht es insbesondere – aber nicht nur – um Geschäftsgeheimnisse und das Recht von Behörden auf den Zugang zu Daten außerhalb von öffentlichen Notständen. Beides wird jetzt auch Gegenstand der Verhandlungen mit dem Parlament sein. vis

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Tiktok: Verbot auf Diensthandys in Frankreich

Tiktok ist nun auch in Frankreich auf Diensthandys verboten. Am Freitag teilte das zuständige Ministerium mit, dass “das Herunterladen und die Installation von Freizeitanwendungen auf Diensthandys” ab sofort untersagt sei. Anwendungen wie Tiktok wiesen keine ausreichende Cybersicherheit und keinen ausreichenden Datenschutz auf, um auf Geräten von Behörden eingesetzt zu werden.

Mit dem Tiktok-Verbot auf Dienstgeräten folgt Frankreich dem Beispiel der USA, Deutschlands und Großbritanniens. Es gilt aktuell auch auf den Diensthandys der EU-Kommission. In den USA diskutieren Politiker sogar über ein vollständiges Verbot von Tiktok, wovor Bürgerrechtsorganisationen jedoch warnen.

Deutscher Verfassungsschutz hat Bauchschmerzen

Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht ebenfalls erhebliche Risiken bei der Verwendung von Tiktok. Wenn man sich den Umfang der Daten und Inhalte bei Tiktok anschaue und dann betrachte, welche Einflussmöglichkeiten staatliche Stellen auf solche Unternehmen hätten, dann habe er “Bauchschmerzen”, sagte der Vizepräsident des Inlandsgeheimdienstes, Sinan Selen, in Berlin. Es sei nicht klar genug, in welchem Ausmaß staatliche Stellen gerade in China Zugriff nehmen können. “Ich glaube, das ist das Kernproblem bei der ganzen Sache.” Unternehmen wie Tiktok seien nicht imstande, sich einer solchen Einflussnahme zu entziehen.

Während Bundesinnenministerin Nancy Faeser keine Grundlage für ein generelles Verbot der Kurzvideo-App in Deutschland sieht, fordert US-Präsident Joe Biden vom chinesischen Mutterkonzern Bytedance einen Verkauf von Tiktok, um ein Verbot abzuwenden. Allerdings ist auch in den USA unklar, wie ein solches Verbot umgesetzt werden könnte. Auch die entsprechenden Dekrete von Bidens Vorgänger Donald Trump scheiterten vor Gericht, weil sie das Recht auf freie Meinungsäußerung beeinträchtigten.

Access Now sieht Gefahr für die Meinungsfreiheit

Am Freitag wiesen Tiktok und China den US-Vorwurf der Datenspionage erneut zurück. Die Regierung in Peking lege viel Wert auf Datenschutz und -sicherheit, teilte das dortige Außenministerium am Freitag mit. Es reagierte damit auf die jüngste Anhörung von Tiktok-Chef Shou Zi Chew vor dem US-Kongress. China habe nie und werde auch nie Firmen um die Offenlegung von Daten bitten.

Die gemeinnützige Organisation Access Now, die sich für die Verteidigung der digitalen Bürgerrechte einsetzt, warnte vor einem Tiktok-Verbot. Das Verbot einer einzelnen App werde das systematische Sammeln von Daten, das die Privatsphäre und die Demokratie weltweit untergrabe, nicht aufhalten. Das Blockieren von Kommunikationsplattformen, die Millionen Menschen nutzen, sei eine extreme Maßnahme, die selten den Grundsätzen der Legalität, Verhältnismäßigkeit oder Notwendigkeit entspreche. Vielmehr bedrohten groß angelegte Sperrungen die freie Meinungsäußerung und die Demokratie weltweit. vis mit dpa

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Atomwaffen in Belarus: Polen sieht Bedrohung des Friedens in Europa

Polen hat die Ankündigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, taktische Atomwaffen im gemeinsamen Nachbarland Belarus zu stationieren, scharf kritisiert. “Wir verurteilen diese Verstärkung der Bedrohung des Friedens in Europa und der Welt”, sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Warschau der Agentur PAP zufolge am Sonntag.

Litauens Verteidigungsminister Arvydas Anusauskas reagierte dagegen gelassen auf die Ankündigung vom Kreml. Damit ziele Russlands Präsident Wladimir Putin darauf ab, die Länder einzuschüchtern, die die Ukraine unterstützen, schrieb Anusauskas am Sonntag auf Facebook. Nach Ansicht des Ministers des baltischen EU- und Nato-Landes sollte es keine besondere Reaktion auf die russischen Pläne geben.

“Die Verteidigung eines Nato-Landes gegen die Bedrohung durch Atomwaffen ist gewährleistet, unabhängig davon, ob diese Waffen westlich unserer Grenzen (Gebiet Kaliningrad), östlich (Belarus) oder nördlich (Gebiet Leningrad) stationiert sind”, schrieb Anusauskas. Litauen grenzt an die russische Exklave Kaliningrad sowie an Russlands Verbündeten Belarus. dpa

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EZB erwartet niedrigere Wachstums- und Inflationsraten

In der Europäischen Zentralbank (EZB) ist man der Ansicht, dass die jüngsten Turbulenzen im Bankensektor zu niedrigeren Wachstums- und Inflationsraten führen könnten. Das sagte ihr Vizepräsident Luis de Guindos. “Unser Eindruck ist, dass sie zu einer zusätzlichen Verschärfung der Kreditstandards im Euroraum führen werden. Und vielleicht wird sich dies in Form von geringerem Wachstum und niedrigerer Inflation auf die Wirtschaft auswirken”, sagte er der Business-Post.

Staatliche Behörden und Zentralbanken auf der ganzen Welt sind in höchster Alarmbereitschaft nach den Zusammenbrüchen der Silicon Valley Bank und der Signature Bank in den USA und der Rettungsübernahme der Credit Suisse vor einer Woche.

Nachdem die Schweizer Regierung die Übernahme der Credit Suisse durch den Züricher Konkurrenten UBS eingefädelt hatte, rückte die Deutsche Bank in den Fokus der Anleger. Die Aktien der größten deutschen Bank fielen am Freitag um 8,5 Prozent, die Kosten für die Versicherung ihrer Anleihen gegen das Risiko eines Zahlungsausfalls stiegen sprunghaft an und der Index der wichtigsten europäischen Bankaktien fiel. rtr

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Presseschau

Wissing und EU legen Verbrenner-Streit bei SOLARIFY
Nach Einigung mit der EU im Verbrennerstreit: Lindner plant Reform der Kfz-Steuer TAGESSPIEGEL
Geplante EU-Regeln: Bauministerin Geywitz gegen Sanierungszwang für Gebäude TAGESSPIEGEL
Faeser: Müssen irreguläre Migration begrenzen MIGAZIN
Kommentar: Das Recht auf Reparatur der EU mag gut tönen, ist aber Augenwischerei NZZ
Ukrainischer Botschafter sieht sein Land “mit einem Bein in der EU” OLDENBURGER-ONLINEZEITUNG
Ab 7000 Euro mit Karte zahlen: EU-Parlament plant neue Bargeld-Obergrenze N-TV
EU-Kommission: Hürden für Kauf chinesischer Röntgenscanner sind hoch HEISE
Mateusz Morawiecki: Polens Premierminister schreit nach Reformen, indem er die EU mit Russland vergleicht BERLINER-ZEITUNG
Atomwaffen in Belarus: Polen sieht Bedrohung des Friedens in Europa NAU

Heads

Friedrich von Heusinger – Botschafter Hessens in Brüssel

Friedrich von Heusinger leitet seit 2005 die hessische Landesvertretung in Brüssel.
Friedrich von Heusinger leitet seit 2005 die hessische Landesvertretung in Brüssel.

Die Entscheidung über die Karriere fiel bei einer Zugfahrt von München nach Erlangen. Friedrich von Heusinger hatte gerade das zweite juristische Staatsexamen erfolgreich abgeschlossen und bereits zugesagt, eine Richterstelle in Traunstein zu übernehmen. Da kam das Angebot aus dem bayerischen Sozialministerium. “Ich habe mich über Nacht umentschieden”, sagt Heusinger. “So bin ich zu Europa gekommen.” Inzwischen ist der heutige Leiter der hessischen Landesvertretung seit mehr als 30 Jahren in Brüssel.

Dabei wusste er zunächst nicht einmal, dass es um Europa gehen würde. Was ihn an der Stelle in der Grundsatzabteilung des bayerischen Sozialministeriums reizte, war dem ähnlich, weshalb er ursprünglich Richter werden wollte: Recht gestalten und mit über die Anwendung entscheiden können. “Die Grundsatzabteilung des Sozialministeriums bot mir dafür sogar eine noch größere Bandbreite”, erklärt Heusinger. Und im Referat Europa war diese besonders groß. “Heute werden etwa 80 Prozent der politischen Entscheidungen, die die deutsche Innenpolitik betreffen, von Brüssel entschieden oder beeinflusst.”

Der erste Mitarbeiter im Europareferat

Heusinger war gut vorbereitet, als er mit Anfang 30 im Januar 1989 im Sozialministerium in München seinen Dienst antrat. Im Jurastudium an der Universität Erlangen-Nürnberg hatte er das Wahlfach Europa- und Völkerrecht belegt. “Damals war das exotisch”, erinnert sich Heusinger. “Heute ist Europarecht Pflichtfach.”

Er wurde der erste Mitarbeiter im neu eingerichteten Europareferat. “Ein Glücksfall”, meint Heusinger, denn so konnte er das Referat mitaufbauen. Seine Aufgabe: Erklären, was aus Brüssel kommt und was es für Bayern bedeutet. Und wie er es sich gewünscht hatte, wurde er auch zum Gestalter des Rechts, denn er vertrat Bayern in der Arbeitsgruppe der Länder zur europäischen Arbeits- und Sozialpolitik. “Das war spannend”, erinnert er sich.

Da war es naheliegend, dass Heusinger bald den Wunsch hatte, nach Brüssel zu gehen und die Gelegenheit ergriff, als sie sich bot. 1991 wechselte er in die bayerische Landesvertretung nach Brüssel. Die Kollegen dort kannte er schon. Bis 2001 war er der Spiegelreferent des bayerischen Sozialministeriums bei der EU. Anschließend war er vier Jahre stellvertretender Leiter der Vertretung.

Brüssel funktioniert anders

“Man kann nicht Europapolitik machen, ohne zu wissen, wie Brüssel funktioniert”, weiß Heusinger heute. Das beginne bei der Sichtweise, die europäisch sei und eben nicht deutsch und betreffe auch die Arbeitsweise. Die Kommission entscheide immer als Kollegium – auch das unterscheide das System Berlaymont von der deutschen Bundesregierung.

2005 tat sich wieder eine spannende Chance für den 1958 in Kassel geborenen Heusinger auf: Die hessische Landesvertretung suchte einen neuen Leiter. “Als Landeskind schaut man immer auf seine Landesvertretung”, meint Heusinger. Für eine andere Landesvertretung hätte er sich wohl nicht beworben. “Es ist schon hilfreich, einen engen Bezug zu der Region zu haben, die man vertritt.”

Wechsel von Bayern nach Hessen

So hat Heusinger einen ungewöhnlichen Wechsel von Bayern nach Hessen gemacht – innerhalbs Brüssels. Inzwischen ist er seit 18 Jahren hessischer Botschafter in der europäischen Hauptstadt – und damit einer der dienstältesten Landesvertreter. Dennoch: “Ich finde Brüssel immer noch kompliziert”, sagt Heusinger. Immerhin hat er sich über die Jahre so ein belastbares Netzwerk aufgebaut, dass er immer weiß, an wen er sich wenden muss.

Umgekehrt finden auch die Kommissionsbeamten Deutschland kompliziert. “Viele wussten nicht, welche Bedeutung die Bundesländer in Deutschland haben”, erklärt Heusinger. Dabei ist Hessens Bedeutung in Europa gar nicht so gering. Immerhin hat Hessen mehr Einwohner als zwölf Mitgliedstaaten. Und mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner von 48.200 Euro lag Hessen 2021 zwischen Finnland (45.600 Euro) und den Niederlanden (49.000 Euro).

Heusinger: “Wir sind keine Lobbyisten”

Heusinger versteht sich nicht als Lobbyist. Dennoch bemüht er sich wie diese, so früh wie möglich die relevanten Leute kennenzulernen und sich einzubringen, wenn ein Thema für Hessen interessant wird. “Wir bieten Informationen an und suchen immer wieder das Gespräch, bis hoch in die Kabinette der Kommissare.” Noch nie habe er vor verschlossenen Türen gestanden, sagt Heusinger.

Doch der Botschafter Hessens bei der EU geht nicht nur zu den Leuten hin, er lädt sie auch ins eigene Haus ein. Die hessische Landesvertretung in der Rue Montoyer 21 mitten im Europaviertel ist ein Ort der Begegnung. Mehr als 1.200 Termine gibt es hier im Jahr, darunter 70 bis 80 große Veranstaltungen. 2019 – vor der Pandemie – kamen 25.000 Gäste. Das Haus will eine Plattform sein, ein Türöffner.

Das Mehr-Regionen-Haus als Alleinstellungsmerkmal

Die Hessische Landesvertretung ist als Mehr-Regionen-Haus aufgestellt und vereint die Regionen Hessen, Nouvelle Aquitaine (Frankreich), Emilia-Romagna (Italien) und Wielkopolska (Polen) unter einem Dach. Außerdem eine Reihe Europavertretungen von Unternehmen und Organisationen. “Das Mehr-Regionen-Haus ist ein Alleinstellungsmerkmal”, betont Heusinger. “Wir treten bei der EU mit vier Regionen gemeinsam auf und werden so anders wahrgenommen als andere Bundesländer.”

Europa ist zu einer Herzensangelegenheit für Heusinger geworden. Seit mehr als 30 Jahren gestaltet er europäische Politik bis hin zur Rettung des Begriffs Apfelwein, der eigentlich bei der Reform der Weinmarktordnung gestrichen werden sollte. Was ihm nicht gelungen ist? “Die europäische Bankenaufsicht nach Frankfurt zu holen.” Dafür bemüht sich Heusinger nun darum, dass die Anti-Geldwäsche-Behörde Amla an den Main kommt.

Mittlerweile leben eine Tochter und zwei Enkelinnen Heusingers ebenfalls in Brüssel. Auch ein Grund, warum er der Stadt nach seiner Pensionierung am 1. Juli 2024 treu bleiben will. Als Pensionär wird er dann mehr Zeit haben, um bei einem schönen Film oder einem historischen Roman und einem Gläschen Assmannshäuser Höllenberg zu entspannen. Corinna Visser

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Viel Zeit gekostet hat der Streit um das Verbrenner-Aus 2035 zwischen Bundesverkehrsminister Volker Wissing und Klimakommissar Frans Timmermans. Nun ist der Streit geklärt. Wissing löst seine Blockade und bekommt im Gegenzug die Zusage, dass die Kommission “E-Fuels only”-Autos eine Chance gibt. Allerdings ist diese Zusage nicht so rechtssicher, wie es der Verkehrsminister dieser Tage darstellt.

    Der Bau des Kernfusionsreaktor ITER in Südfrankreich braucht ebenfalls viel Zeit und kostet die EU Milliarden. Die Gelder werden als Klimafinanzierung verbucht, denn an der Kernfusion hängt die Hoffnung eines sauberen Energiemixes. Dabei wird der Versuchsreaktor selbst vermutlich niemals Strom erzeugen, berichtet Charlotte Wirth.

    Im Porträt haben wir heute den hessischen Botschafter bei der EU, Friedrich von Heusinger, der seit über 30 Jahren in Brüssel ist und dennoch manchmal Stadt sowie die europäischen Institutionen kompliziert findet.

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    Lukas Knigge
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    Verbrenner-Streit: Keine Rechtssicherheit trotz Einigung

    Die FDP forderte im Streit um das Verbrenner-Aus stets Rechtssicherheit dafür, dass “E-Fuels only”-Fahrzeuge auch nach 2035 zugelassen werden können. Zwar stand eine entsprechende Forderung in einem Erwägungsgrund der verschärften EU-Flottengrenzwerte, die CO₂-Reduktionsziele für die Autohersteller vorgeben. Doch Klimakommissar Frans Timmermans hatte schon im Juni vergangenen Jahres betont, dass es der Kommission obliegt, ob sie einen solchen Vorschlag vorlegt oder nicht. Das reichte der FDP nicht, weshalb sie den Aufstand geprobt hat.

    Auch die am Wochenende erzielte Einigung schafft die von Bundesverkehrsminister Volker Wissing geforderte Rechtssicherheit allerdings nicht. EU-Parlamentarier von SPD, CDU und Grünen äußern bereits erhebliche Zweifel, dass sich der Kompromiss zwischen Wissing und Timmermans in die Tat umsetzen lässt.

    Keine Rechtsgrundlage für delegierten Rechtsakt

    Die Einigung besagt laut Bundesverkehrsministerium:

    • Der Text der Trilog-Einigung wird unverändert angenommen.
    • Die EU-Kommission schafft mit einem Durchführungsrechtsakt innerhalb der Euro-6-Typgenehmigung eine neue Fahrzeugkategorie für Verbrenner, die ausschließlich mit synthetischen Kraftstoffen betankt werden können.
    • Anschließend soll die Kommission diese Fahrzeugkategorie über einen delegierten Rechtsakt in die Flottenregulierung integrieren.

    Der letzte Schritt würde bedeuten, dass Hersteller von “E-Fuels only”-Autos sich diese für das Erreichen ihrer CO₂-Reduktionsziele anrechnen können. Doch der Kommission fehlt womöglich die rechtliche Grundlage für einen delegierten Rechtsakt. Die Co-Gesetzgeber Europaparlament und Rat müssen der Kommission erlauben, bestimmte Details eines Gesetzes über delegierte Rechtsakte zu klären. Im Falle des Gesetzes zum Verbrenner-Aus fehlt diese Erlaubnis im aktuellen Text. EU-Parlamentarier wie Michael Bloss (Grüne) haben daher schon die rechtliche Prüfung und gegebenenfalls eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof angekündigt, falls der delegierte Rechtsakt kommt.

    Der CDU-Abgeordnete Peter Liese hält zwar inhaltlich nichts von einem Verbrenner-Aus, zweifelt aber an der Rechtmäßigkeit des Konstrukts: “Neun von zehn Juristen werden sagen, dass das nicht geht”, sagte er zu Table.Media. Der delegierte Rechtsakt könnte vom EuGH also einkassiert werden. Liese sagt, in der Kommission selbst gehe man auch davon aus, dass das Ganze nicht rechtssicher sei.

    Alternative: Ordentliches Gesetzgebungsverfahren

    Für diesen Fall haben Kommission und Bundesverkehrsministerium vereinbart, dass statt eines delegierten Rechtsakts eine ordentliche Revision der EU-Flottenregulierung erfolgen soll. Diese würde ein Mitspracherecht des Parlaments und der Mitgliedstaaten bedeuten. Beide Co-Gesetzgeber wären also in der Lage, eine Ausnahme für E-Fuels vom Verbrenner-Aus zu verhindern.

    Zudem braucht dieser Prozess Zeit und wird wohl kaum vor der Europawahl im Frühjahr 2024 abgeschlossen sein. Das Verkehrsministerium selbst geht von Herbst 2024 aus. Die Zusage der Kommission, “E-Fuels only”-Autos notfalls über ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren in die Flottenregulierung zu integrieren, sei allerdings nicht rechtlich bindend, sagt Bloss. Die nächste EU-Kommission müsse sich daran nicht halten.

    Ohnehin steht im aktuellen Gesetzestext bereits eine Überprüfung des Gesetzes für 2026 festgeschrieben. Wie weitreichend das Gesetz dann überarbeiten wird, obliegt der nächsten EU-Kommission und dem nächsten EU-Parlament sowie den Mitgliedstaaten. Unterm Strich bedeutet das: Wissing hat Timmermans zwar eine deutlichere Absichtserklärung als zuvor abgerungen, aber eine Garantie, dass Verbrenner auch nach 2035 noch zugelassen werden können – ob mit E-Fuels oder ohne – ist es nicht.

    Fest steht: Die Blockade der FDP ist gelöst. Die EU-Botschafter werden Anfang dieser Woche eine erneute Abstimmung anberaumen, damit die formale Annahme auf Ministerebene beim Energierat am Dienstag (28. März) noch vollzogen werden kann.

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    Kernfusionsreaktor ITER: Klimafinanzierung für Wissenschaftsprojekt

    Baustelle des ITER-Kernforschungszentrums im südfranzösischen Cadarache.

    22 Milliarden Euro wird der Kernfusionsreaktor ITER mindestens kosten. Der Reaktor entsteht in Cadarache in Südfrankreich und soll den Weg zur Stromgewinnung aus Kernfusion ebnen. Die Kernfusion könnte “bis zum Ende des Jahrhunderts die Energiegewinnung aus erneuerbaren Energiequellen in geeigneter Weise ergänzen”, schrieb die EU-Kommission 2017 in einer Mitteilung. Dafür greift die EU tief in die Tasche. Allein im Finanzrahmen 2021-2027 sind 5,6 Milliarden für die Finanzierung des Reaktors vorgesehen.

    Das Projekt ITER geht auf eine Vereinbarung zwischen US-Präsident Ronald Reagan und dem sowjetischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow aus den 1980er-Jahren zurück, 2006 wurde diese formalisiert. Neben Euratom beteiligen sich Russland, die USA, China, Japan, Indien und Südkorea am Projekt.

    Klima- oder Wissenschaftsprojekt

    Die EU übernimmt 45 Prozent der Finanzierung. Seit 2019 verbucht sie diese Gelder als Klimafinanzierung, so hat es der Rat entschieden. “Obwohl ITER kurz- und mittelfristig nicht direkt zu den Energie- und Klimazielen beiträgt, ist das Potenzial für die Dekarbonisierung der Energielandschaft nach 2050 sehr bedeutend”, liest man im Entwurf des EU-Haushaltsplans 2023.

    An ITER hängt die Hoffnung eines sauberen Energiemix nach 2050, sagt auch Hartmut Zohm, Physiker am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik. Zohm ist auf Tokamak-Reaktoren spezialisiert: “Wenn wir davon ausgehen, dass wir es nicht schaffen, mit Wind und Sonne 100 Prozent unseres Bedarfs weltweit zu decken, dann brauchen wir eine nicht-fossile Quelle für die Grundlast: Da bleiben Kernspaltung und Kernfusion.”

    Im Gegensatz zu Fissionsreaktoren, wo Energie durch die Kernspaltung entsteht, funktioniert die Kernfusion nicht mit Uran, sondern Tritium, dessen Radioaktivität nach zwölf Jahren abnimmt. Dennoch besteht das Risiko, dass der radioaktive Wasserstoff beim Betrieb des Reaktors freigesetzt wird und in die Umwelt gelangt.

    Zohm sagt allerdings auch: “ITER ist in erster Linie ein wissenschaftliches Projekt.” Es werde zeigen, dass ein Plasma sich selbst aufrechterhält, wenn man es einmal angezündet hat. Der Versuchsreaktor wird nie Strom erzeugen. Lediglich die Energiebilanz im Plasma wird positiv sein: ITER soll zehnmal so viel Fusionsenergie freisetzen, wie nötig ist, um die Fusionsreaktion zu starten. Das zeige wissenschaftlich, dass das Plasma brennt, so Zohm. “Wenn man dann damit noch Elektrizität generieren will und Netto-Energie herausholen will, muss man die Fusionsleistung noch steigern, etwa durch das Vergrößern der Maschine oder die Erhöhung des Magnetfelds.”

    Kommission verteidigt ITER

    Die EU-Kommission hat ihrerseits in den letzten Jahren rund eine Million Euro für verschiedenste Studien ausgegeben, um den wirtschaftlichen Mehrwert des Versuchsreaktors herauszuarbeiten. In einer Studie von 2018 über die Auswirkungen der ITER-Aktivitäten in der EU heißt es etwa: “Auch wenn ITER zum Ziel hat, einen Beitrag zur Entwicklung einer kommerziellen Fusionstechnologie zu leisten, liegt dies noch so weit in der Zukunft, dass es nicht der entscheidende Treiber” ist. Und: “Es ist nicht realistisch, dass ITER und DEMO – der Demonstrationsreaktor, der im Anschluss an ITER gebaut werden soll – einen signifikanten Beitrag zu den 2050er Energie- und Klimazielen leisten.”

    Die Gründe, wieso Brüssel die ITER-Gelder als Klimaausgaben verrechnet, liegen womöglich woanders. Schon unter dem letzten Finanzrahmen schaffte es die EU nicht, das Ziel von 20 Prozent Klimaausgaben zu erreichen, das sie sich selbst setzte, kritisierte der Europäische Rechnungshof 2022 in einem Bericht. Die Prüfer äußerten die Befürchtung, dass auch die Klimaziele unter dem aktuellen Finanzrahmen nicht erreicht werden. “Um klimarelevant zu sein, muss der Haushalt eng mit der Verringerung der Treibhausgasemissionen verknüpft sein”, schlussfolgerten die Prüfer. Darüber, inwiefern das bei ITER zutrifft, äußerten sie sich nicht, denn im letzten Finanzrahmen galten die Beiträge noch nicht als Klimafinanzierung.

    Kostspielige Verzögerungen

    Derweil basiert die Kostensimulation des ITER auf einer veralteten Hochrechnung von 2016. Eine neue Berechnung hinsichtlich des Kosten- und Zeitplans sei in Arbeit, bestätigt ein Sprecher der ITER-Organisation. In den letzten Jahren kam es nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie zu signifikanten Verzögerungen. Nach der letzten offiziellen Timeline sollte das erste Plasma im Dezember 2025 gezündet werden. Die Experimente mit Tritium und Deuterium waren für 2035 angesetzt. Diese Timeline sei nicht mehr realistisch, so der Sprecher.

    Auch der Krieg in der Ukraine bringt den Zeitplan durcheinander. Russland gehört zu den ITER-Staaten: Eines der zentralen Bauteile des ITER, ein Riesenmagnet, wurde unter der Aufsicht der russischen Atombehörde Rosatom hergestellt: 200 Tonnen schwer, 9 Meter Durchmesser. Herstellungsdauer: etwa zehn Jahre.

    Auch deswegen ist das Reaktorprojekt eine der wenigen Ausnahmen der EU-Sanktionen gegen Moskau. Mitte Februar ist das Schiff mit dem Magneten aus Sankt Petersburg in Marseille eingelaufen. In Cadarache arbeiteten zurzeit etwa 70 russische Wissenschaftler. ITER sei keine politische Behörde, Russland habe versprochen, seine Verpflichtungen einzuhalten, so heißt es. Kritik gibt es, wenn überhaupt, dann nur versteckt. Im EU-Haushaltsplan von 2023 ist von einem “Reputationsrisiko” die Rede. Der ITER-Vertrag sieht derweil den Rückzug eines Partnerlandes gar nicht vor.

    Atomaufsichtsbehörde übt Kritik

    Die Verzögerungen des ITER-Projektes sind allerdings auch auf Probleme mit der französischen Nuklear-Aufsichtsbehörde ASN zurückzuführen. In deren Protokollen ist die Rede von “mangelnder Sicherheitskultur“, “nicht-behobene Nichtkonformitäten” und “Schwierigkeiten, Informationen und Dokumente zu erhalten“. Das sei eine starke Kritik, räumt Mathieu Masson, stellvertretender Leiter der Sektion Marseille der ASN und für die ITER-Kontrollen verantwortlich, ein. Er erläutert: “Was wir als ‘Sicherheitskultur’ bezeichnen, ist die Fähigkeit des Betreibers, die Risiken, die seine Tätigkeit mit sich bringt, zu beherrschen.” Derzeit befinde sich ITER in der Bauphase, die Herausforderungen an die Sicherheit seien daher gering. “Aber wir müssen sicher sein, dass Risikomanagement für Planungs- und Bauphase zufriedenstellend ist, bevor irreversiblen Bauvorgänge anstehen“, fordert Masson.

    Ein solcher Bauvorgang ist die Montage des Vakuumgefäßes, in dem das für die Plasmafusion notwendige Magnetfeld erzeugt wird. Hier herrscht Baustopp, denn die dazu nötigen Teile zeigen signifikante Abweichungen auf. Der Grund: Die Teile stammen von verschiedenen Herstellern auf verschiedenen Kontinenten. “Das ist vielleicht im Sinne dessen, dass jeder ITER-Partner die Technologie lernt”, sagt Hartmut Zohm. Allerdings sei es nicht effizient. “Eine Industrie würde nie auf die Idee kommen, vier Räder für das gleiche Auto von vier Herstellern auf drei Kontinenten bauen zu lassen.”

    Zohm kritisiert, dass das ITER-Team in Cadarache keine Kontrolle über die Hersteller hat. Die Ingenieure können erst dann kontrollieren, ob Bauteile konform sind und passen, wenn sie in Cadarache ankommen. Mit teuren Folgen, denn manche Teile müssen nun erst einmal angepasst oder repariert werden, bevor die ASN grünes Licht für die Zusammensetzung gibt.

    Wissen fließt in DEMO

    Problematisch sei nicht zuletzt, dass das Projekt aufgrund seines komplexen technischen Anspruchs und der Vielfalt der Lieferanten gleichzeitig geplant und gebaut werde, sagt Mathieu Rasson von der französischen Aufsichtsbehörde. Das mache es für den Betreiber schwieriger, der Konfiguration zu folgen.

    Das bedeute aber im Umkehrschluss, dass der Bau des ITER ein ständiger Lernprozess sei, betont Hartmut Zohm: “Wir bauen eine Maschine in einer noch nie dagewesenen Komplexität. Mit Lösungen, die es noch nie gegeben hat.” Man lerne bereits jetzt, was hinsichtlich der Technologie funktioniere und was nicht. Das Wissen, das man gewinne, sei enorm, sogar vor dem Betriebsbeginn. Dieses Wissen soll denn auch in die Konzeption des DEMO-Reaktors einfließen, der erstmals auch Strom produzieren soll. Der Bau soll im Anschluss an das ITER-Projekt starten. Datum: unklar.

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    BMWK startet Förderung von Industrial-Cloud-Projekt

    Das Bundeswirtschaftsministerium hat am Freitag ein erstes Teilprojekt des EU-Programms IPCEI-CIS zur Stärkung der Cloud- und Edge-Computing-Kapazitäten in der EU vorzeitig genehmigt. Damit kann das Softwareunternehmen SAP noch vor der finalen Beihilfeentscheidung der EU-Kommission mit seinem Projekt starten.

    Das IPCEI (Project of Common European Interest) ist ein Beihilfeinstrument, mit dem Mitgliedstaaten pan-europäische Innovationsprojekte fördern können. In diesem Fall geht es um die Industrial Cloud. An dem IPCEI-CIS sind 150 Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus zwölf Mitgliedstaaten beteiligt. Das Projekt von SAP ist das erste der insgesamt 22 deutschen Projekte. Ziel des EU-Projekts ist, eine einheitliche Infrastruktur für den Datenaustausch in Echtzeit zu schaffen.

    Bei dem Projekt von SAP geht es um die Entwicklung von offenen Referenzarchitekturen (ORA) für eine paneuropäische Cloud-Edge-Infrastruktur. Andere Cloud-Anbieter und IT-Dienstleister sollen die entsprechenden Bausteine dann in ihren eigenen Rechenzentren nutzen können.

    Mehr Resilienz und digitale Souveränität

    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nannte die Industrial Cloud ein zentrales Vorhaben für mehr Resilienz und eine stärkere digitale Souveränität in der EU. Das SAP-Projekt könne eine wichtige Grundlage für das Gesamtprojekt und verschiedene Teilvorhaben legen. “Die zügige beihilferechtliche Genehmigung des IPCEI Industrial Cloud ist dann der nächste Schritt und hat für mich hohe Priorität”, sagte Habeck.

    Der Digitalverband Bitkom bezeichnete den Förderstart als wichtigen industriepolitischen Impuls. Jetzt müssten aber zügig alle weiteren Teilprojekte in die Umsetzung kommen. “Entscheidend ist, dass es uns gelingt, die dezentral und regional verteilten Anbieter von Cloud- und Edge-Lösungen in Europa besser zu vernetzen und offene und inklusive Standards voranzubringen“, sagte Bitkom-Präsident Achim Berg. vis

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    Data Act: Trilog beginnt Ende März

    Am Freitag hat sich der Ausschuss der Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten (AStV) auf einen gemeinsamen Standpunkt zum Data Act geeinigt. Damit verfügt der Rat über ein Mandat für die Verhandlungen mit dem EU-Parlament. Der erste, eher organisatorische Termin für den Trilog ist am 29. März. Die inhaltlichen Verhandlungen sollen am 4. April beginnen. Das Parlament hatte sein Verhandlungsmandat bereits Mitte März erteilt.

    Der gemeinsame Standpunkt des Rates (den Contexte veröffentlicht hat) weicht nur unwesentlich vom sechsten Kompromisspapier der schwedischen Ratspräsidentschaft ab. Es gab eine Anpassung, die klarstellt, dass der Text die nationalen oder europäischen Rechtsvorschriften über den Zugang zu Daten aus wissenschaftlichen Gründen nicht berührt.

    Bundesregierung sieht Verbesserungsbedarf

    Vom Kommissionsvorschlag weicht der Text allerdings deutlich ab. Die wichtigsten Änderungen sind:

    • Klarere Definition des Anwendungsbereichs der Verordnung: Der Rat hat den Schwerpunkt bei den Daten aus dem Internet der Dinge von den Produkten selbst auf die Funktionen der von den vernetzten Produkten erhobenen Daten verlagert.
    • Klarstellungen zum Zusammenspiel zwischen dem Data Act und bestehenden Rechtsvorschriften wie dem Data Governance Act und der DSGVO: Hierauf hatte auch Deutschland Wert gelegt.
    • Schutz von Geschäftsgeheimnissen und Rechten des geistigen Eigentums, ergänzt durch geeignete Schutzmaßnahmen gegen missbräuchliches Verhalten: Dieses Thema war für die deutsche Industrie von zentraler Bedeutung.
    • Zusätzliche Leitlinien in Bezug auf eine angemessene Entschädigung für die Bereitstellung der Daten und Streitbeilegungsmechanismen.
    • Feinabstimmungen bei Anträgen öffentlicher Stellen auf gemeinsame Datennutzung bei außergewöhnlichen Umständen.
    • Klarere und allgemeiner anwendbare Bestimmungen in Bezug auf den Wechsel von Cloud-Dienstleistern.

    Doch auch wenn die Mitgliedstaaten nun einen gemeinsamen Standpunkt gefunden haben, sieht die Bundesregierung noch Verbesserungsbedarf. Dabei geht es insbesondere – aber nicht nur – um Geschäftsgeheimnisse und das Recht von Behörden auf den Zugang zu Daten außerhalb von öffentlichen Notständen. Beides wird jetzt auch Gegenstand der Verhandlungen mit dem Parlament sein. vis

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    Tiktok: Verbot auf Diensthandys in Frankreich

    Tiktok ist nun auch in Frankreich auf Diensthandys verboten. Am Freitag teilte das zuständige Ministerium mit, dass “das Herunterladen und die Installation von Freizeitanwendungen auf Diensthandys” ab sofort untersagt sei. Anwendungen wie Tiktok wiesen keine ausreichende Cybersicherheit und keinen ausreichenden Datenschutz auf, um auf Geräten von Behörden eingesetzt zu werden.

    Mit dem Tiktok-Verbot auf Dienstgeräten folgt Frankreich dem Beispiel der USA, Deutschlands und Großbritanniens. Es gilt aktuell auch auf den Diensthandys der EU-Kommission. In den USA diskutieren Politiker sogar über ein vollständiges Verbot von Tiktok, wovor Bürgerrechtsorganisationen jedoch warnen.

    Deutscher Verfassungsschutz hat Bauchschmerzen

    Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht ebenfalls erhebliche Risiken bei der Verwendung von Tiktok. Wenn man sich den Umfang der Daten und Inhalte bei Tiktok anschaue und dann betrachte, welche Einflussmöglichkeiten staatliche Stellen auf solche Unternehmen hätten, dann habe er “Bauchschmerzen”, sagte der Vizepräsident des Inlandsgeheimdienstes, Sinan Selen, in Berlin. Es sei nicht klar genug, in welchem Ausmaß staatliche Stellen gerade in China Zugriff nehmen können. “Ich glaube, das ist das Kernproblem bei der ganzen Sache.” Unternehmen wie Tiktok seien nicht imstande, sich einer solchen Einflussnahme zu entziehen.

    Während Bundesinnenministerin Nancy Faeser keine Grundlage für ein generelles Verbot der Kurzvideo-App in Deutschland sieht, fordert US-Präsident Joe Biden vom chinesischen Mutterkonzern Bytedance einen Verkauf von Tiktok, um ein Verbot abzuwenden. Allerdings ist auch in den USA unklar, wie ein solches Verbot umgesetzt werden könnte. Auch die entsprechenden Dekrete von Bidens Vorgänger Donald Trump scheiterten vor Gericht, weil sie das Recht auf freie Meinungsäußerung beeinträchtigten.

    Access Now sieht Gefahr für die Meinungsfreiheit

    Am Freitag wiesen Tiktok und China den US-Vorwurf der Datenspionage erneut zurück. Die Regierung in Peking lege viel Wert auf Datenschutz und -sicherheit, teilte das dortige Außenministerium am Freitag mit. Es reagierte damit auf die jüngste Anhörung von Tiktok-Chef Shou Zi Chew vor dem US-Kongress. China habe nie und werde auch nie Firmen um die Offenlegung von Daten bitten.

    Die gemeinnützige Organisation Access Now, die sich für die Verteidigung der digitalen Bürgerrechte einsetzt, warnte vor einem Tiktok-Verbot. Das Verbot einer einzelnen App werde das systematische Sammeln von Daten, das die Privatsphäre und die Demokratie weltweit untergrabe, nicht aufhalten. Das Blockieren von Kommunikationsplattformen, die Millionen Menschen nutzen, sei eine extreme Maßnahme, die selten den Grundsätzen der Legalität, Verhältnismäßigkeit oder Notwendigkeit entspreche. Vielmehr bedrohten groß angelegte Sperrungen die freie Meinungsäußerung und die Demokratie weltweit. vis mit dpa

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    Atomwaffen in Belarus: Polen sieht Bedrohung des Friedens in Europa

    Polen hat die Ankündigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, taktische Atomwaffen im gemeinsamen Nachbarland Belarus zu stationieren, scharf kritisiert. “Wir verurteilen diese Verstärkung der Bedrohung des Friedens in Europa und der Welt”, sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Warschau der Agentur PAP zufolge am Sonntag.

    Litauens Verteidigungsminister Arvydas Anusauskas reagierte dagegen gelassen auf die Ankündigung vom Kreml. Damit ziele Russlands Präsident Wladimir Putin darauf ab, die Länder einzuschüchtern, die die Ukraine unterstützen, schrieb Anusauskas am Sonntag auf Facebook. Nach Ansicht des Ministers des baltischen EU- und Nato-Landes sollte es keine besondere Reaktion auf die russischen Pläne geben.

    “Die Verteidigung eines Nato-Landes gegen die Bedrohung durch Atomwaffen ist gewährleistet, unabhängig davon, ob diese Waffen westlich unserer Grenzen (Gebiet Kaliningrad), östlich (Belarus) oder nördlich (Gebiet Leningrad) stationiert sind”, schrieb Anusauskas. Litauen grenzt an die russische Exklave Kaliningrad sowie an Russlands Verbündeten Belarus. dpa

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    EZB erwartet niedrigere Wachstums- und Inflationsraten

    In der Europäischen Zentralbank (EZB) ist man der Ansicht, dass die jüngsten Turbulenzen im Bankensektor zu niedrigeren Wachstums- und Inflationsraten führen könnten. Das sagte ihr Vizepräsident Luis de Guindos. “Unser Eindruck ist, dass sie zu einer zusätzlichen Verschärfung der Kreditstandards im Euroraum führen werden. Und vielleicht wird sich dies in Form von geringerem Wachstum und niedrigerer Inflation auf die Wirtschaft auswirken”, sagte er der Business-Post.

    Staatliche Behörden und Zentralbanken auf der ganzen Welt sind in höchster Alarmbereitschaft nach den Zusammenbrüchen der Silicon Valley Bank und der Signature Bank in den USA und der Rettungsübernahme der Credit Suisse vor einer Woche.

    Nachdem die Schweizer Regierung die Übernahme der Credit Suisse durch den Züricher Konkurrenten UBS eingefädelt hatte, rückte die Deutsche Bank in den Fokus der Anleger. Die Aktien der größten deutschen Bank fielen am Freitag um 8,5 Prozent, die Kosten für die Versicherung ihrer Anleihen gegen das Risiko eines Zahlungsausfalls stiegen sprunghaft an und der Index der wichtigsten europäischen Bankaktien fiel. rtr

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    Wissing und EU legen Verbrenner-Streit bei SOLARIFY
    Nach Einigung mit der EU im Verbrennerstreit: Lindner plant Reform der Kfz-Steuer TAGESSPIEGEL
    Geplante EU-Regeln: Bauministerin Geywitz gegen Sanierungszwang für Gebäude TAGESSPIEGEL
    Faeser: Müssen irreguläre Migration begrenzen MIGAZIN
    Kommentar: Das Recht auf Reparatur der EU mag gut tönen, ist aber Augenwischerei NZZ
    Ukrainischer Botschafter sieht sein Land “mit einem Bein in der EU” OLDENBURGER-ONLINEZEITUNG
    Ab 7000 Euro mit Karte zahlen: EU-Parlament plant neue Bargeld-Obergrenze N-TV
    EU-Kommission: Hürden für Kauf chinesischer Röntgenscanner sind hoch HEISE
    Mateusz Morawiecki: Polens Premierminister schreit nach Reformen, indem er die EU mit Russland vergleicht BERLINER-ZEITUNG
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    Friedrich von Heusinger – Botschafter Hessens in Brüssel

    Friedrich von Heusinger leitet seit 2005 die hessische Landesvertretung in Brüssel.
    Friedrich von Heusinger leitet seit 2005 die hessische Landesvertretung in Brüssel.

    Die Entscheidung über die Karriere fiel bei einer Zugfahrt von München nach Erlangen. Friedrich von Heusinger hatte gerade das zweite juristische Staatsexamen erfolgreich abgeschlossen und bereits zugesagt, eine Richterstelle in Traunstein zu übernehmen. Da kam das Angebot aus dem bayerischen Sozialministerium. “Ich habe mich über Nacht umentschieden”, sagt Heusinger. “So bin ich zu Europa gekommen.” Inzwischen ist der heutige Leiter der hessischen Landesvertretung seit mehr als 30 Jahren in Brüssel.

    Dabei wusste er zunächst nicht einmal, dass es um Europa gehen würde. Was ihn an der Stelle in der Grundsatzabteilung des bayerischen Sozialministeriums reizte, war dem ähnlich, weshalb er ursprünglich Richter werden wollte: Recht gestalten und mit über die Anwendung entscheiden können. “Die Grundsatzabteilung des Sozialministeriums bot mir dafür sogar eine noch größere Bandbreite”, erklärt Heusinger. Und im Referat Europa war diese besonders groß. “Heute werden etwa 80 Prozent der politischen Entscheidungen, die die deutsche Innenpolitik betreffen, von Brüssel entschieden oder beeinflusst.”

    Der erste Mitarbeiter im Europareferat

    Heusinger war gut vorbereitet, als er mit Anfang 30 im Januar 1989 im Sozialministerium in München seinen Dienst antrat. Im Jurastudium an der Universität Erlangen-Nürnberg hatte er das Wahlfach Europa- und Völkerrecht belegt. “Damals war das exotisch”, erinnert sich Heusinger. “Heute ist Europarecht Pflichtfach.”

    Er wurde der erste Mitarbeiter im neu eingerichteten Europareferat. “Ein Glücksfall”, meint Heusinger, denn so konnte er das Referat mitaufbauen. Seine Aufgabe: Erklären, was aus Brüssel kommt und was es für Bayern bedeutet. Und wie er es sich gewünscht hatte, wurde er auch zum Gestalter des Rechts, denn er vertrat Bayern in der Arbeitsgruppe der Länder zur europäischen Arbeits- und Sozialpolitik. “Das war spannend”, erinnert er sich.

    Da war es naheliegend, dass Heusinger bald den Wunsch hatte, nach Brüssel zu gehen und die Gelegenheit ergriff, als sie sich bot. 1991 wechselte er in die bayerische Landesvertretung nach Brüssel. Die Kollegen dort kannte er schon. Bis 2001 war er der Spiegelreferent des bayerischen Sozialministeriums bei der EU. Anschließend war er vier Jahre stellvertretender Leiter der Vertretung.

    Brüssel funktioniert anders

    “Man kann nicht Europapolitik machen, ohne zu wissen, wie Brüssel funktioniert”, weiß Heusinger heute. Das beginne bei der Sichtweise, die europäisch sei und eben nicht deutsch und betreffe auch die Arbeitsweise. Die Kommission entscheide immer als Kollegium – auch das unterscheide das System Berlaymont von der deutschen Bundesregierung.

    2005 tat sich wieder eine spannende Chance für den 1958 in Kassel geborenen Heusinger auf: Die hessische Landesvertretung suchte einen neuen Leiter. “Als Landeskind schaut man immer auf seine Landesvertretung”, meint Heusinger. Für eine andere Landesvertretung hätte er sich wohl nicht beworben. “Es ist schon hilfreich, einen engen Bezug zu der Region zu haben, die man vertritt.”

    Wechsel von Bayern nach Hessen

    So hat Heusinger einen ungewöhnlichen Wechsel von Bayern nach Hessen gemacht – innerhalbs Brüssels. Inzwischen ist er seit 18 Jahren hessischer Botschafter in der europäischen Hauptstadt – und damit einer der dienstältesten Landesvertreter. Dennoch: “Ich finde Brüssel immer noch kompliziert”, sagt Heusinger. Immerhin hat er sich über die Jahre so ein belastbares Netzwerk aufgebaut, dass er immer weiß, an wen er sich wenden muss.

    Umgekehrt finden auch die Kommissionsbeamten Deutschland kompliziert. “Viele wussten nicht, welche Bedeutung die Bundesländer in Deutschland haben”, erklärt Heusinger. Dabei ist Hessens Bedeutung in Europa gar nicht so gering. Immerhin hat Hessen mehr Einwohner als zwölf Mitgliedstaaten. Und mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner von 48.200 Euro lag Hessen 2021 zwischen Finnland (45.600 Euro) und den Niederlanden (49.000 Euro).

    Heusinger: “Wir sind keine Lobbyisten”

    Heusinger versteht sich nicht als Lobbyist. Dennoch bemüht er sich wie diese, so früh wie möglich die relevanten Leute kennenzulernen und sich einzubringen, wenn ein Thema für Hessen interessant wird. “Wir bieten Informationen an und suchen immer wieder das Gespräch, bis hoch in die Kabinette der Kommissare.” Noch nie habe er vor verschlossenen Türen gestanden, sagt Heusinger.

    Doch der Botschafter Hessens bei der EU geht nicht nur zu den Leuten hin, er lädt sie auch ins eigene Haus ein. Die hessische Landesvertretung in der Rue Montoyer 21 mitten im Europaviertel ist ein Ort der Begegnung. Mehr als 1.200 Termine gibt es hier im Jahr, darunter 70 bis 80 große Veranstaltungen. 2019 – vor der Pandemie – kamen 25.000 Gäste. Das Haus will eine Plattform sein, ein Türöffner.

    Das Mehr-Regionen-Haus als Alleinstellungsmerkmal

    Die Hessische Landesvertretung ist als Mehr-Regionen-Haus aufgestellt und vereint die Regionen Hessen, Nouvelle Aquitaine (Frankreich), Emilia-Romagna (Italien) und Wielkopolska (Polen) unter einem Dach. Außerdem eine Reihe Europavertretungen von Unternehmen und Organisationen. “Das Mehr-Regionen-Haus ist ein Alleinstellungsmerkmal”, betont Heusinger. “Wir treten bei der EU mit vier Regionen gemeinsam auf und werden so anders wahrgenommen als andere Bundesländer.”

    Europa ist zu einer Herzensangelegenheit für Heusinger geworden. Seit mehr als 30 Jahren gestaltet er europäische Politik bis hin zur Rettung des Begriffs Apfelwein, der eigentlich bei der Reform der Weinmarktordnung gestrichen werden sollte. Was ihm nicht gelungen ist? “Die europäische Bankenaufsicht nach Frankfurt zu holen.” Dafür bemüht sich Heusinger nun darum, dass die Anti-Geldwäsche-Behörde Amla an den Main kommt.

    Mittlerweile leben eine Tochter und zwei Enkelinnen Heusingers ebenfalls in Brüssel. Auch ein Grund, warum er der Stadt nach seiner Pensionierung am 1. Juli 2024 treu bleiben will. Als Pensionär wird er dann mehr Zeit haben, um bei einem schönen Film oder einem historischen Roman und einem Gläschen Assmannshäuser Höllenberg zu entspannen. Corinna Visser

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