Table.Briefing: Europe

Ukrainekrieg: Warum Kulebas China-Reise wichtig ist + Wie Deutschland die Cybersicherheitsrichtlinie umsetzen will

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Besetzung der Vorstände in den Ausschüssen wird das Parlament noch eine Weile beschäftigen. Wie berichtet, sind etwa in den Gremien für Haushaltskontrolle und Wirtschaft noch Stellvertreterposten unbesetzt, weil sich die Fraktionen nicht auf Kandidaten einigen konnten, die dem Prinzip der Gleichstellung entsprechen würden. Am Mittwoch reagierte die EVP auf Anwürfe der Sozialdemokraten.

“Die Konferenz der Präsidenten ist nach Artikel 27 der Geschäftsordnung für die Implementierung der Bestimmungen zuständig”, sagte der CDU-Abgeordnete Sven Simon, der dem Ausschuss für konstitutionelle Fragen vorsitzt. Der AFCO ist nach Darstellung der S&D letztlich zuständig für die Interpretation der Geschäftsordnung und damit auch für Abweichungen von Artikel 219. Der sieht eigentlich vor, dass Frauen und Männer unter den Stellvertretern ausgewogen vertreten sein müssen. Ausnahmen davon hatte sich die EVP von der Konferenz der Präsidenten abnicken lassen – gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, die die COP für nicht zuständig erklärten.

Zu der Entscheidung war die Konferenz nach Artikel 216 eben jener Geschäftsordnung aber ermächtigt, verteidigte Simon gestern die Haltung der Christdemokraten: “Der AFCO kann beauftragt werden, die Geschäftsordnung im Zweifelsfall auszulegen. Ein solcher Zweifelsfall liegt hier nicht vor.” Ob aus dem Wortgefecht über den Sommer ein substanzieller juristischer Streit wird, hängt nun vor allem von der Fraktion der “Patrioten” ab. Die hatte im Auswärtigen Ausschuss eigens eine Kandidatin aufgestellt, die aber wegen des Cordon sanitaire durchfiel.

Ich wünsche Ihnen einen guten Tag!

Ihr
Manuel Berkel
Bild von Manuel  Berkel

Analyse

Rechtsstaatlichkeit: Wo die Kommission Nachbesserungsbedarf sieht

Um den Rechtsstaat in der EU ist es besser bestellt als noch vor wenigen Jahren. Zu diesem Ergebnis kommt die EU-Kommission in ihrem fünften Rechtsstaats-Bericht, den sie am Mittwoch in Brüssel vorgelegt hat. Zwei Drittel der Empfehlungen aus dem Vorjahr seien vollständig oder teilweise umgesetzt worden. Der 2020 auf deutschen Druck eingeführte Rechtsstaats-Check habe sich bewährt, erklärte Justizkommissar Didier Reynders.

Im Detail fallen die Ergebnisse allerdings längst nicht so positiv aus. Ungarn und die Slowakei werden von der Kommission gerügt, Italien und Griechenland stehen unter Beobachtung, auch Deutschland hat noch Nachholbedarf.

Ungarn: Verstöße in allen Bereichen

In Ungarn gebe es demnach ein “systemisches Problem” mit den Grundrechten. Verstöße seien in allen vier Säulen der Rechtsstaatlichkeit festgestellt worden: im Justizsystem, bei den Maßnahmen gegen Korruption, bei der Pressefreiheit sowie bei der Gewaltenteilung. Das Land müsse “solide Nachweise” über das Vorgehen gegen Vetternwirtschaft und Korruption liefern, so die Kommission. Vor allem Ministerpräsident Viktor Orbán wird immer wieder beschuldigt, in die eigene Tasche zu wirtschaften.

Zudem müsse Regierung in Budapest die “redaktionelle Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien” stärken und Gesetze aufheben, welche die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen einschränken.

Bereits vor einem Jahr hatte Reynders dem Land, das derzeit den Ratsvorsitz hat, “sehr große Abweichungen bei der Rechtsstaatlichkeit” bescheinigt. Die EU-Kommission hatte deshalb mehrere Verfahren gegen Ungarn eingeleitet und Fördermittel in Milliardenhöhe auf Eis gelegt.

Allerdings hat Kommissionschefin Ursula von der Leyen im Dezember zehn Milliarden Euro an Ungarn ausgezahlt trotz der Probleme. Auf Nachfrage von Journalisten erklärte Reynders, dies sei kein Widerspruch. Budapest habe mit Brüssel vereinbarte “Meilensteine” erfüllt.

Sorge um Korruptionsbekämpfung in der Slowakei

Der Slowakei drohte die Kommission wegen Rechtsstaatsmängeln mit einem Verfahren. Vizekommissionspräsidentin Věra Jourová verwies auf die “Pflicht” zu handeln, wenn nationale Gesetze nicht mit den EU-Regeln übereinstimmen.

Konkret geht es um die laufende Strafrechtsreform. Laut dem Länderbericht gibt sie “Anlass zur Sorge beim Kampf gegen die Korruption, insbesondere der Korruption auf hoher Ebene”. Wie im Falle Ungarns fürchtet Brüssel, dass EU-Gelder in dunklen Kanälen versickern könnten.

Mit Sorge sieht Brüssel auch den Umbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Slowakei. Allerdings sei es hier noch zu früh für ein abschließendes Urteil, so Jourová. Man sei im Gespräch mit Regierungschef Robert Fico und müsse die Ergebnisse abwarten.

Unabhängigkeit des Rundfunks in Italien

Im Fall von Italien steht die EU-Kommission selbst unter Druck, weil sie einen kritischen Bericht über Einschränkungen der Medienfreiheit zurückgehalten haben soll. Jourová wies das zurück. Das Timing kurz vor der Sommerpause sei bewusst gewählt und nicht zu beanstanden.

Die Kommission legte Empfehlungen zur Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und zum Schutz der Journalisten vor Diffamierung vor. Auf die umstrittene Verfassungsreform, die Kritiker als Angriff auf die Demokratie bezeichnen, ging sie indes nicht näher ein.

Probleme mit der Pressefreiheit räumte Jourová auch in Griechenland ein. Allerdings habe Brüssel auf das sogenannte “Predatorgate” – einen Überwachungsskandal – zügig reagiert. Darüber hinaus sei es nicht Sache der Kommission, die Arbeit der Behörden zu kritisieren.

Deutschland: Lobbyregeln zu lasch

Für Deutschland legte die Kommission vergleichsweise unverbindliche Empfehlungen vor. So seien die deutschen Lobbyregeln nicht strikt genug. Bundesminister und parlamentarische Staatssekretäre könnten nach Dienstende zu schnell die Seiten wechseln und für Konzerne arbeiten.

Auch müsse das Auskunftsrecht der Presse gegenüber den Behörden gestärkt werden. Die Bundesregierung müsse dafür eine eigene Rechtsgrundlage schaffen. Die Berliner Ampel-Koalition hat eine Novelle des Bundestransparenzgesetzes versprochen, bisher jedoch noch nicht geliefert.

Das Europaparlament begrüßte den Rechtsstaats-Bericht. “Die heute vorgestellten Maßnahmen werden wesentlich dazu beitragen, die europäische Demokratie weiter zu stärken und widerstandsfähiger zu machen”, sagte Lena Düpont (CDU), innenpolitische Sprecherin der EVP-Fraktion. Die Kommission müsse sich nun auf die Umsetzung konzentrieren und sie mit den neuen Plänen für ein “Demokratieschild” in Einklang bringen.

Müsste die Kommission schneller reagieren?

Kritik kam vom grünen Europaabgeordneten Daniel Freund. Die Kommission habe es verpasst, frühzeitig auf negative Entwicklungen wie in Italien oder der Slowakei zu reagieren. “Hier brauchen wir ein Umdenken von Ursula von der Leyen”, sagte Freund. Brüssel müsse rechtzeitig mit Finanzsanktionen gegensteuern.

Noch schärfer äußerte sich der FDP-Parlamentarier Moritz Körner. “Solange von der Leyen Kritik an Rechtsstaatsvergehen als politische Waffe einsetzt, um Abstimmungsergebnisse in ihrem Sinne zu beeinflussen, wird sich die Achtung der europäischen Werte nicht verbessern.”

Es sei bezeichnend, dass die Präsentation des Rechtsstaatsberichts auf die Zeit nach der Wahl verschoben wurde, sagte Körner. Dies sei geschehen, “um ihre Wiederwahl nicht durch Kritik an den Mitgliedstaaten zu gefährden”.

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Ukrainekrieg: Warum Kulebas China-Reise für beide Seiten enorm wichtig ist

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba ist nach China gereist, und versucht herauszufinden, ob China nicht doch eine konstruktive Rolle für einen gerechten Frieden einnehmen könnte. Am Mittwoch traf er deshalb in der südchinesischen Stadt Guangzhou seinen chinesischen Amtskollegen Wang Yi. Mehr als drei Stunden sprachen die beiden miteinander – direkt am ersten Tag einer viertägigen Visite.

Das ist bemerkenswert und zeigt zugleich: Sowohl für die Ukraine als auch für China ist es eine enorm wichtige Reise.

Vereinbarungen vom Mittwoch zeigen Chinas Interessen

Es ist Kulebas erste Reise nach China und der erste Besuch eines ukrainischen Außenministers seit 2012. Nach den drei Stunden mit Wang sprach er am Mittwoch von gründlichen und sachlichen Diskussionen über bilaterale Beziehungen, vor allem aber auch über einen Weg zum Frieden. “Ich bin überzeugt, dass ein gerechter Frieden in der Ukraine im strategischen Interesse Chinas liegt und Chinas Rolle als globale Kraft für den Frieden wichtig ist“, sagte Kuleba – und versuchte damit, China mit dessen eigenen Interessen zu locken.

Chinas Interessen lassen sich wiederum deutlich aus den Vereinbarungen von Mittwoch herauslesen:

  • China bekräftigt seine Bereitschaft als Vermittler.
  • China wird seine Getreideimporte aus der Ukraine weiter erhöhen.
  • China will reibungslose Logistikkanäle und die internationale Lebensmittelsicherheit aufrechterhalten.
  • China wird weiter humanitäre Hilfe an die Ukraine leisten.
  • China betont, bilaterale Beziehungen müssten langfristig geplant werden.

Im Gegenzug sicherte Kuleba zu, die Ukraine sei zu Gesprächen mit Russland bereit, sollte Moskau ernsthafte Verhandlungen führen wollen. Damit fällt eines der Hauptargumente Pekings für seine bisherige Passivität weg. Und auch der Kreml erklärte direkt am Mittwoch, dass die Bereitschaft der Ukraine zu Gesprächen mit der Position Russlands im Einklang stehe. Nun müssten weitere Einzelheiten geklärt werden.

Das steht auf dem Spiel – für China und die Ukraine

Klar ist: Beide Seiten könnten von dieser Reise enorm profitieren. Für die Ukraine geht es schlicht ums Überleben. Seit 28 Monaten stellt man sich entschlossen den russischen Attacken entgegen. Doch es mehren sich die Zeichen der Erschöpfung – nicht nur in der Ukraine, sondern auch international:

  • Waffen und Munitionslieferungen werden zunehmend schwieriger zu organisieren.
  • Russlands Angriffe werden immer grausamer – wie die Bombardierung eines Kinderkrankenhauses zeigt.
  • Die USA als wichtigster Partner könnten wegbrechen, sollte Donald Trump in wenigen Monaten zum neuen US-Präsident gewählt werden.   

Doch auf für China steht einiges auf dem Spiel:

  • Die Beziehungen zu Europa.
  • Die Reputation als neutrale Friedensmacht.
  • Wirtschaftliche Interessen bei einem Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg.

Chance für neue Friedenskonferenz

Entsprechend wäre eine umfassende Friedenskonferenz unter chinesischer Führung ein fulminanter Erfolg für Peking. Und zumindest theoretisch stehen die Chancen dafür nicht allzu schlecht. Russland würde sich einer chinesischen Konferenz kaum verweigern können, angesichts seiner Abhängigkeit von der Volksrepublik. Und die Ukraine hat durch Kuleba in China nicht nur ihre Bereitschaft dazu bekräftigt, sondern auch klargestellt, dass China hierbei eine führende Rolle spielen sollte.  

Passend dazu veröffentlichten China und Brasilien im Mai einen gemeinsamen Sechs-Punkte-Friedensvorschlag und erklärten, sie unterstützten eine Friedenskonferenz, die von beiden Kriegsparteien anerkannt wird. Ein erster Versuch im Juni in der Schweiz hatte keine Auswirkungen auf die Kampfhandlungen, weil weder Russland noch China an der Konferenz teilnahmen. Auch angesichts eines möglichen Wahlsieges von Donald Trump in den USA, drängt Kiew darauf, noch in diesem Jahr einen zweiten internationalen Gipfel abzuhalten – gerne in einem Land des “globalen Südens” samt führender Rolle Chinas.

China als Friedensmacht

Dass China dazu fähig wäre, zeigt die jüngste Vergangenheit. Diese Woche brachte man in Peking die verfeindenden Gruppen von Hamas und Fatah zusammen. Im vergangenen Jahr vermittelte China eine Einigung zwischen den Erzfeinden Iran und Saudi-Arabien.

Allerdings gibt es zwei große Unterschiede zum Ukrainekrieg, die sich durchaus problematisch auswirken könnten:

Chinas ganz eigene Interpretation von Neutralität ist wohl das größte Hindernis auf dem Weg zum Frieden. Aber gerade in Zeiten von Krieg und Leid stirbt die Hoffnung bekanntlich zuletzt. Vielleicht legen Kuleba und Wang in den kommenden Tagen tatsächlich die Grundlage dafür, dass China sich mit einem Erfolg im Ukrainekrieg als globale Friedensmacht etablieren kann. Es wäre im Interesse der ganzen Welt – und nicht zuletzt eben auch von China und der Ukraine.

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Cybersicherheit in Deutschland: Deshalb drängt die Zeit bei der NIS2-Umsetzung

Die Bundesregierung hat am Mittwoch den Kabinettsentwurf zur Umsetzung der NIS2-Richtlinie und zur Stärkung der Cybersicherheit beschlossen. Ziel ist es, die Cybersicherheit in Deutschland zu verbessern und Unternehmen besser gegen Cyberangriffe zu schützen. Der Entwurf muss nun noch das parlamentarische Verfahren durchlaufen.

Die Network-and-Information-Security-Richtlinie 2.0 (NIS2-Richtlinie) der Europäischen Union muss bis Oktober 2024 in nationales Recht umgesetzt werden. Sie zielt darauf ab, das Cybersicherheitsniveau in der EU zu erhöhen. Die Richtlinie erweitert den Anwendungsbereich auf mehr Unternehmen und fordert umfassende Risikomanagementmaßnahmen und Meldepflichten bei IT-Sicherheitsvorfällen. Deutschland steht unter Druck, die Vorgaben fristgerecht umzusetzen, um finanzielle Strafzahlungen zu vermeiden und den Schutz kritischer Infrastrukturen zu gewährleisten.

Schafft das BSI den neuen Job?

Der Kabinettsentwurf sieht vor, dass rund 29.500 Unternehmen künftig umfassende IT-Sicherheitsmaßnahmen ergreifen müssen. Diese Unternehmen müssen IT-Sicherheitsvorfälle innerhalb von 24 Stunden melden und detaillierte Berichte nachreichen. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) soll als zentrale Aufsichtsbehörde fungieren und umfangreiche Kontroll- und Durchsetzungsbefugnisse erhalten. Ein dreistufiges Meldeverfahren soll eine effiziente Handhabung von Sicherheitsvorfällen ermöglichen. Die öffentliche Verwaltung bleibt in der deutschen Umsetzung von NIS2 explizit ausgenommen.

Es gibt Bedenken, ob das BSI in der Lage ist, dieser weitreichenden Ausweitung seiner Pflichten auch gerecht zu werden. Schon das vorangegangene IT-Sicherheitsgesetz 2.0, das lediglich 1.000 Betreiber kritischer Infrastruktur umfasst, hat den Behörden einiges abverlangt. “Die waren ganz schön am Rotieren”, sagt Manuel Atug, Sprecher der AG Kritis, die sich als unabhängige Gruppe zur Verbesserung der Versorgungssicherheit versteht. “Wir können Gesetze schreiben, wie wir wollen, aber wenn sie nicht durchgesetzt werden, dann hilft das keinem”, sagt Atug im Gespräch mit Table.Briefings und verweist auf Beispiele wie Rassismus im Netz, wo die Rechtsdurchsetzung “unzureichend” sei.

Kritik an EU-uneinheitlicher Implementierung

Insgesamt fallen die Reaktionen auf den Entwurf gemischt aus. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) beklagt, dass zahlreiche Vorschläge der Industrie im Kabinettsentwurf unberücksichtigt geblieben sind. Der Industrieverband fordert klare Regelungen zur Delegation der Cybersicherheitsmaßnahmen innerhalb von Konzernen. Und er fordert eine europaweit einheitliche Implementierung der Richtlinie, um bürokratischen Aufwand zu minimieren. Außerdem bemängelt der BDI, dass nur Bundesbehörden als “besonders wichtige Einrichtungen” definiert sind und fordert, auch Länder- und Kommunalbehörden einzubeziehen.

Ähnliche Bedenken hat der eco-Verband der Internetwirtschaft. “Die Bundesregierung wäre gut beraten, sich bei der nationalen Umsetzung der NIS2-Richtlinie stärker an die europäischen Vorgaben zu halten”, meint eco-Vorstand Klaus Landefeld. Das Risiko, dass der Regulierungsrahmen auseinanderfalle, sei groß. Vor allem die Einstufung als “Betreiber kritischer Anlagen” schaffe Unsicherheit für international tätige Unternehmen, die in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedliche Regeln befolgen müssten.

Zudem warnt der eco vor unzureichender Vorbereitung deutscher Unternehmen auf die neuen Cybersicherheitsanforderungen. “Viele Unternehmen wissen noch nicht, dass sie im Anwendungsbereich der Richtlinie und der daraus folgenden Gesetzgebung in Deutschland liegen”, sagt Landefeld. Daher fordert der Verband eine Verlängerung der Umsetzungsfristen, um den Unternehmen mehr Zeit zur Anpassung zu geben.

Umsetzungsfrist wohl nicht zu halten

“Jetzt schon ist klar, dass die vorgesehene Umsetzungsfrist im Oktober nicht mehr eingehalten werden kann”, merkt Ralf Wintergerst, Präsident des Digitalverbands Bitkom an. “Umso wichtiger ist es, das Gesetz zügig umzusetzen und ein Inkrafttreten zumindest bis Anfang 2025 sicherzustellen.”

Der Bitkom fordert außerdem eine stärkere Unterstützung für kleine und mittelständische Unternehmen sowie die Harmonisierung mit dem Kritis-Dachgesetz. Der Umsetzungsprozess bei Kritis stocke zurzeit ebenfalls. “Physische Sicherheit und Cybersicherheit müssen gemeinsam betrachtet und angegangen werden”, mahnt der Bitkom. Dabei sollten Unternehmen sich an einheitlichen Begriffsdefinitionen und Meldewegen orientieren können.

Kritiker bemängeln zudem, dass der Entwurf keine detaillierten Bestimmungen zur koordinierten Offenlegung von Schwachstellen enthält sowie, dass er die Rolle der Europäischen Agentur für Cybersicherheit (ENISA) und die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit mit anderen EU-Mitgliedstaaten nicht ausreichend betont. Auch sollten Sanktionen und Durchsetzungsmaßnahmen bei Nichteinhaltung der Anforderungen klarer definiert werden, finden sie.

Von Notz: Mehr Unabhängigkeit für BSI

Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen, kritisiert das zögerliche Vorgehen der Bundesregierung mit Blick auf hybride Bedrohungen “Der Schutz unserer kritischen Infrastrukturen muss endlich als originärer Bestandteil einer modernen IT-Sicherheitspolitik verstanden werden”, sagt von Notz. Hiervon sei Deutschland “noch immer ein gutes Stück entfernt.”

Von Notz kündigte unter anderem an, dafür zu sorgen, dass der Entwurf noch um Dinge ergänzt werde, die derzeit in der AG BSI verhandelt würden. Es solle ein Informationssicherheitsbeauftragter (Chief Information Security Officer, CISO) des Bunds benannt werden, der die Umsetzung der Maßnahmen koordinieren soll und das BSI als zentrale Aufsichtsbehörde in dem Bereich unabhängiger gestellt werden. “Auch werden wir sehr intensiv prüfen, ob die bisher vom BMI veranschlagten Haushaltsmittel für die hohen zusätzlichen Personalbedarfe, die mit der Gesetzgebung einhergehen, ausreichen.” Gegebenenfalls müsse das Parlament hier nachjustieren.

Maximilian Funke-Kaiser, digitalpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, erwartet keine Probleme bei der Finanzierung oder Umsetzung der NIS2-Richtlinie. “Der Bundesfinanzminister hat klargestellt, dass wir auch im Jahr 2025 keinen Sparhaushalt aufstellen werden”, sagte Funke-Kaiser. Er sei sich daher sicher, dass die Haushälter sowohl das unabhängigere BSI als auch die nationale Umsetzung der NIS-2-Richtlinie “mit angemessenen Geldmitteln ausstatten“. Er ist ebenfalls überzeugt: “Im parlamentarischen Verfahren werden wir den Kabinettsentwurf zur Umsetzung der NIS2-Richtlinie weiter verbessern.”

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Termine

26.07.2024 – 19:00-20:00 Uhr, Hamburg/online
Die Zeit, Diskussion Eine Stunde Zeit mit Annalena Baerbock
Die Zeit spricht mit Annalena Baerbock über aktuelle politische Themen und die Bundestagswahl 2025. INFOS & ANMELDUNG

29.07.-03.08.2024, Berlin
HBS, Conference Keynesian Macroeconomics and European Economic Policies
The Hans-Böckler-Stiftung (HBS) aims at providing an introduction to Keynesian macroeconomics and to the problems of European economic policies. INFOS & REGISTRATION

News

Scholz: Ausnahmen für E-Fuels nach 2035 im Sinne der Bundesregierung

Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei seiner Sommerpressekonferenz Ursula von der Leyens Pläne im Streit um das Verbrenner-Aus ab 2035 gelobt. Vorgesehen sind dabei auch Ausnahmen für mit E-Fuels betriebenen Fahrzeuge. Scholz sagte, er habe in der Vergangenheit mehrfach auch bei der Kommissionspräsidentin interveniert, die Entscheidung zu ergänzen, dass es auch möglich sei, Fahrzeuge zu betreiben, die ausschließlich mit E-Fuels betrieben werden können.

“Das hat viel Zeit, Kraft und auch Power gekostet, das da jeweils reinzuboxen”, sagte Scholz. “Und ich nehme mit einer gewissen gelassenen Zufriedenheit zur Kenntnis, dass jetzt alle das wollen.” Die Sache sei jetzt im Sinne der Bundesregierung in Europa entschieden.

Scholz: Lösungen für nach 2035

Von 2035 an gebe es mehrere technische Möglichkeiten. Scholz nannte Elektrofahrzeuge, in einem heute nicht bekannten Ausmaß Fahrzeuge, die mit Wasserstoff betrieben werden, sowie Fahrzeuge mit E-Fuels. Fahrzeuge, die bis 2035 verkauft worden seien, würden noch 20 Jahre durch die Gegend fahren. “Und auch dafür brauchen wir eine Lösung, was dann da reinkommt.”

Die wiedergewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hatte jüngst in ihrem politischen Grundsatzprogramm für die kommenden fünf Jahre eine Initiative für Ausnahmen für E-Fuels angekündigt. Konkret heißt es dort, es sei “ein technologieneutraler Ansatz erforderlich, bei dem E-Fuels eine Rolle spielen werden, indem die Vorschriften im Rahmen der geplanten Überprüfung gezielt geändert werden”. dpa

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Studie: So könnte der Wasserstoff nach Deutschland kommen

Deutschlands zukünftige Wasserstoffbedarfe lassen sich zu großen Teilen mit Pipelines aus der “erweiterten europäischen Nachbarschaft” decken. Das ist das Ergebnis einer Studie der Thinktanks Agora Energiewende und Agora Industrie. Allerdings müsste die Pipeline-Infrastruktur dafür zügig ausgebaut werden. Gelingt dies, könnten Mitte der 2030er-Jahre “rund 60 bis 100 Terawattstunden (TWh)” an grünem Wasserstoff aus benachbarten Ländern importiert werden. “Damit ließe sich ein wesentlicher Teil des von der Bundesregierung für 2030 angegebenen Neubedarfs an Wasserstoff und Derivaten decken“, so die Einschätzung der beiden Thinktanks.

In der Studie werden fünf Importkorridore untersucht. Planungen für einen Nordsee-Korridor, der Norwegen, Großbritannien und Dänemark anbinden würde, sind demnach am weitesten fortgeschritten. Sie könnten schon im Jahr 2030 zu Importen von 17 TWh führen, die im Idealfall bis 2035 auf bis zu 37 TWh erhöht werden könnten. Aus Portugal und Spanien könnten ab 2035 rund 32 TWh importiert werden. Schweden und Finnland könnten ab 2035 rund 14 TWh liefern, Algerien und Tunesien rund 16 TWh. Zwei TWh könnten ab 2035 aus der Ukraine und Griechenland stammen. Um diesen Idealfall zu erreichen, müsste es aber mehr Anstrengungen bei der Finanzierung der Pipeline-Infrastruktur und der Stimulation der Nachfrage geben, so Agora. Zudem würden die Pipelines natürlich auch Transitländern und europäischen Nachbarn zugutekommen (in der Grafik durch negative Zahlen gekennzeichnet).

Auch Bundesregierung setzt auf Pipelines

Auch die Wasserstoff-Importstrategie, die das Bundeskabinett am Mittwoch verabschiedet hat, setzt beim Import von molekularem Wasserstoff vor allem auf Pipelines aus Europa und Nordafrika. Zusätzlich sind darin Importe von Wasserstoff-Derivaten wie Ammoniak, Methanol oder E-Fuels per Schiff vorgesehen. Die Regierung geht davon aus, dass mittelfristig 50 bis 70 Prozent des deutschen Wasserstoff-Bedarfs importiert werden müssen.

Die Reaktionen auf die Strategie fielen gemischt aus: Aus der Industrie kam grundsätzlich Zustimmung, der Verband “Zukunft-Gas” vermisst darin aber “klare Prioritäten und konkrete Maßnahmen”. Umweltverbände bemängeln, dass die Strategie nicht nur auf grünen Wasserstoff aus Ökostrom setzt, sondern auch “blauen” Wasserstoff zulässt, der unter Abscheidung des CO₂ aus fossilem Erdgas gewonnen wird. Zudem vermissen sie verbindliche Nachhaltigkeitskriterien für importierten Wasserstoff. Ohne diese werde die Strategie “zur Gefahr für den Klimaschutz und die Menschen in den Exportländern”, kritisierte Christine Averbeck von der Klima-Allianz.

Deutsches Kernnetz kann starten

Einen wichtigen Fortschritt gibt es auch bei der Frage, wie der Wasserstoff künftig innerhalb von Deutschland verteilt werden soll: Die Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) haben am Montag ihren gemeinsamen Antrag für das künftige Wasserstoff-Kernnetz bei der Bundesnetzagentur eingereicht. Es umfasst eine Leitungslänge von 9.666 Kilometern, wovon etwa 60 Prozent auf die Umrüstung bestehender Erdgas-Pipelines und 40 Prozent auf Neubauten entfallen. Erste Leitungen sollen laut FNB bereits im nächsten Jahr in Betrieb genommen werden; für das Gesamtnetz wird als Zieljahr 2032 genannt. Das Investitionsvolumen wird auf knapp 20 Milliarden Euro geschätzt. Diese sollen privatwirtschaftlich aufgebracht und über Nutzungsentgelte refinanziert werden, wobei der Staat eine Ausfallgarantie übernimmt. nib/mkr

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Slowakei droht Vertragsverletzungsverfahren wegen NGO-Gesetz

Die Kommission droht der Slowakei mit rechtlichen Schritten, sollte die Regierung Maßnahmen gegen regierungsunabhängige Organisationen wie Bürgerrechtsgruppen vorantreiben. “Ich war in Bratislava und habe mich sehr klar ausgedrückt”, sagte die Vizepräsidentin der Kommission, Věra Jourová, am Mittwoch in Brüssel. Sollten die Pläne weiter verfolgt werden, werde umgehend ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.

Die slowakische Regierung plant, Nichtregierungs-Organisationen (NGO), die auch aus dem Ausland Geld erhalten, zu verpflichten, sich als “Organisationen mit ausländischer Unterstützung” zu bezeichnen. Die EU befürchtet, diese Etikettierung könne eine abschreckende Wirkung auf die Slowaken haben. Kritiker wie manche NGOs werfen der slowakischen Regierung vor, zu wenig gegen Korruption zu tun.

Ungarn hatte 2017 ein ähnliches Gesetz verabschiedet, es aber 2021 aufgehoben, nachdem der Europäische Gerichtshof es für illegal erklärt hatte. Die EU hatte unter anderem deswegen für Ungarn vorgesehene Gelder zurückgehalten. Auch mit Polen gab es ähnliche Streitigkeiten, die mit dem Regierungswechsel in Warschau im vergangenen Jahr beendet wurden. rtr

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Basel III: Marktrisiken-Rahmen wird erst ab 2026 angewendet

Die Europäische Kommission hat am Mittwoch einen delegierten Rechtsakt angenommen, der den Geltungsbeginn eines Teils der Basel-III-Standards in der EU – der grundlegenden Überprüfung des Handelsbuchs (FRTB) – um ein Jahr verschiebt. Angewendet werden soll dieser Teil dann ab dem ersten Januar 2026, teilte die Kommission mit. Mit Ausnahme des Rahmens für Marktrisiken würden die Basel-III-Standards ab dem kommenden Jahr für alle EU-Banken gelten, hieß es weiter. Die Verzögerung hatte sich zuvor schon angedeutet.

“Die Verschiebung des Geltungsbeginns der FRTB-Regeln um ein Jahr gibt uns Zeit, die internationalen Entwicklungen und unsere nächsten Schritte zu bewerten“, erklärte die Kommission in einem Pressestatement.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron war zuvor einer der vehementesten Kritiker des Inkrafttretens aller Vorschriften zum Jahreswechsel. Er verwies darauf, dass US-Banken die sogenannten Basel-III-Eigenkapitalregeln nicht anwenden würden, was zu Wettbewerbsnachteilen für die europäischen Institute führe. Im April hatte Macron dafür plädiert, die EU solle überprüfen, wie sie die Vorschriften umsetze. Die Ländergemeinschaft könne nicht der einzige Wirtschaftsraum sein, der sie anwende. lei/rtr

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Microsoft-Panne: Kommission weist Vorwürfe zurück

Die Kommission hat Behauptungen widersprochen, Zugeständnisse von Microsoft an die EU hätten den Absturz des Windows-Systems begünstigt. “Der Vorfall scheint nicht auf die EU beschränkt gewesen zu sein”, teilte ein Kommissionssprecher auf Anfrage mit. “Microsoft hat weder vor noch nach dem jüngsten Vorfall Bedenken hinsichtlich der Sicherheit gegenüber der Kommission geäußert.”

Am Freitag hatte ein fehlerhaftes Softwareupdate von Crowdstrike Microsoft-Anwendungen zum Absturz gebracht und zu einem der bislang größten Ausfälle weltweiter IT-Systeme geführt. Massive Probleme hatte vor allem der internationale Luftverkehr. Aber auch Banken und Medien berichteten von Störungen, Krankenhäuser sagten Operationen ab.

Wall Street Journal: Microsoft gibt EU Mitschuld

Das Wall Street Journal berichtete, ein Sprecher von Microsoft habe erklärt, das Unternehmen könne sein Betriebssystem nicht auf dieselbe Weise wie Apple rechtlich abschirmen. Dabei habe der Microsoft-Sprecher auf eine Vereinbarung verwiesen, die das Unternehmen nach einer Beschwerde mit der Europäischen Kommission getroffen habe. Im Jahr 2009 erklärte sich Microsoft bereit, Herstellern von Sicherheitssoftware den gleichen Zugang zu Windows zu gewähren wie Microsoft selbst.

Microsoft ist frei, sein Geschäftsmodell zu bestimmen und seine Sicherheitsinfrastruktur anzupassen, um auf Bedrohungen zu reagieren, sofern dies im Einklang mit dem EU-Wettbewerbsrecht geschieht”, sagte der Kommissionssprecher weiter. Kunden profitierten vom Wettbewerb und der Auswahl zwischen verschiedenen Cybersicherheitsanbietern. “Infolgedessen werden Vorfälle bei einem bestimmten Anbieter typischerweise nicht alle Nutzer betreffen, was die Resilienz fördert.”

Kommission sagt, sie sei vom Sicherheitsproblem nicht betroffen

Die Dienste der Kommission selbst seien von dem Sicherheitsproblem nicht betroffen gewesen, da sie die Crowdstrike-Software von Microsoft nicht verwenden. Die Kommission sei aber wie üblich mit den relevanten Stellen und Netzwerken gemäß der Standardarbeitsverfahren in Kontakt. Das seien die Computer Security Incident Response Teams in allen Mitgliedstaaten (CSIRT-Netzwerk), die EU-Agentur für Cybersicherheit (ENISA) und CERT-EU. “Wir werden die Situation weiterhin überwachen.”

Der Kommissionssprecher verwies auch auf die NIS-2-Richtlinie, die bis zum 17. Oktober 2024 von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden muss. Sie verlangt von mittelgroßen oder größeren Einrichtungen aus 18 kritischen Sektoren, Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen. Das Bundeskabinett hat am Mittwoch das entsprechende Umsetzungsgesetz auf den Weg gebracht. vis

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Standpunkt

Marcin Korolec: Europa braucht einen Fonds für grüne industrielle Entwicklung

Von Marcin Korolec
Marcin Korolec leitet das Green Economy Institute in Warschau. Zuvor war er polnischer Umweltminister.

Im Jahr 2016 sagte der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission, Jacques Delors, wenn die Politik der EU “den Zusammenhalt gefährdet und soziale Standards opfert“, dann “hat das Projekt Europa keine Chance, die Unterstützung der europäischen Bürger zu gewinnen.” Nach der Wahl zum Europäischen Parlament ist Delors Bemerkung treffender als je zuvor.

Nach den beträchtlichen Zugewinnen der extremen Rechten erwarten viele Beobachter, dass das neue Europäische Parlament sich eher um die Themen Migration, Sicherheit und die aktuelle Krise der Lebenshaltungskosten kümmert als um den Klimawandel. Und da viele der neu gewählten Abgeordneten die grüne Agenda ablehnen, könnte die EU am Ende gezwungen sein, das Erreichen der Klimaneutralität zu verschieben.

Anstatt ihren Kurs zu ändern, sollte sich die EU jedoch noch stärker für ihre Klimaziele einsetzen und sich ein Beispiel an China und den USA nehmen. Insbesondere sollte sie dem Inflation Reduction Act von US-Präsident Joe Biden nacheifern und die Energiewende mit einem “Kaufe grün und europäisch”-Programm sowie einem Europäischen Fonds für industrielle Entwicklung (EIDF) weiter ankurbeln.

China und USA setzen EU-Wirtschaft unter Druck

Die extreme Rechte führt gegen die Energiewende besonders gern an, der Europäische Grüne Deal sei zu stark von Produkten aus China und den USA abhängig. Die Einfuhren sauberer Technologien aus China sind in den letzten Jahren in die Höhe geschnellt und beliefen sich allein 2023 auf insgesamt 23,3 Milliarden US-Dollar für Lithium-Ionen-Akkus, 19,1 Milliarden US-Dollar für Solarmodule und 14,5 Milliarden US-Dollar für Elektrofahrzeuge.

In den USA dagegen wird dank Präsident Bidens Konjunkturpaket wieder mehr in erneuerbare Energien investiert. So haben die USA im zweiten Quartal 2023 beispielsweise fast zehn Milliarden US-Dollar in Technologie zur Batterieherstellung investiert. Das ist mehr als das Doppelte der Gesamtinvestitionen in den Sektoren Batterien, Solar- und Windkraft, kritische Rohstoffe und Elektrofahrzeuge im zweiten Quartal 2022.

Angesichts des immer stärkeren Wettbewerbs steht die europäische Wirtschaft von zwei Seiten unter Druck. Einerseits investieren die dynamischsten Unternehmen lieber in den USA als in Europa. Andererseits nehmen die Exporte aus China in die EU weiter zu, besonders nach Bidens neuesten Zöllen auf chinesische Waren.

Ein Europäischer Deal für die Industrie

Nun könnte man erwarten, dass ein stärker von Nationalisten geprägtes Europäisches Parlament die Aussichten für die europäische Industrie verbessert. Allerdings ließ die Befürchtung, der Erfolg der extremen Rechten könne die Klimawende ausbremsen, die Aktienkurse führender europäischer Unternehmen im Bereich der Erneuerbaren wie Vestas, Nordex und Orsted abstürzen.

Um die Wettbewerbsposition der EU zu stärken, muss die Politik kritische Industrien entschlossen unterstützen. Über 1.200 Organisationen, zu denen auch 840 führende Hersteller gehören, haben vor Kurzem die Antwerpener Erklärung unterzeichnet, die als wichtiges Element der strategischen Agenda für 2024-2029 einen “Europäischen Deal für die Industrie” fordert. Der belgische Premierminister Alexander De Croo brachte es auf den Punkt: “Wie sorgen wir dafür, dass unsere europäische Industrie weiter wächst? Die Antwort lautet: mit einem Europäischen Deal für die Industrie, der dem Europäischen Grünen Deal in nichts nachsteht.”

Gemeinsame Schulden und neue Einnahmequellen

Dazu sind vier Schritte erforderlich. Erstens muss die europäische Politik verstehen, dass jede Verzögerung der Klimawende die globale Wettbewerbsfähigkeit der EU schwächt. Die Nutzung klimaneutraler Technologien ist der beste Weg, um die Einfuhr fossiler Energieträger zu senken und unabhängig im Energiebereich zu werden. Die Beibehaltung des Status Quo dagegen untergräbt die europäische Sicherheitsstrategie und spielt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Hände.

Zweitens brauchen wir den Europäischen Industriefonds, um Energieautarkie und technische Souveränität zu erreichen. Wie die gesamteuropäischen Finanzhilfen in der Corona-Krise gezeigt haben, können die Institutionen der EU innerhalb weniger Monate kritische Entscheidungen treffen und umsetzen, wenn sie müssen.

Drittens sollte der EIDF über die Ausgabe gemeinsamer Schulden finanziert werden. Damit der Fonds auch wirklich die Produktion von Elektroautos, Wärmepumpen, PV-Modulen und anderen grünen Technologien ankurbelt, sollte dieser Fördermechanismus Unternehmen relativ einfach und ohne eine übertrieben detaillierte Berechtigungsprüfung zur Verfügung stehen. Entscheidend ist, dass der Europäische Industriefonds ohne angemessene Finanzierungsinstrumente für Unternehmen im Bereich der erneuerbaren Energien nicht funktionieren kann – ein Vorteil, den US-Unternehmen dank des Inflation Reduction Act bereits genießen. Allerdings sollte die Politik diese Fördermittel mit der Auflage verknüpfen, dass die Empfänger in Produktionskapazitäten investieren und neue Arbeitsplätze schaffen.

Und schließlich sollte die Aufnahme gemeinsamer Schulden durch die entschlossene Suche nach neuen Einnahmequellen ergänzt werden. Eine Option wäre die Einführung weiterer Einfuhrzölle auf chinesische Elektroautos. Oder man könnte anfangen, digitale Plattformen und Plastikimporte zu besteuern.

Mittelverteilung nach Bedarf und Größe der Industrie

Historisch gesehen wurden EU-Mittel stets gemäß der europäischen Kohäsionspolitik und anteilig zum Pro-Kopf-BIP der Mitgliedstaaten verteilt. Der NextGenerationEU-Fonds, der 2020 eingerichtet wurde, um die europäischen Länder beim Wiederaufbau nach der Pandemie zu unterstützen, berücksichtigte bei der Verteilung der Beihilfen und Kredite in Höhe von 800 Milliarden Euro die Auswirkungen der Corona-Krise auf die einzelnen Volkswirtschaften und schuf damit einen neuen Präzedenzfall.

Analog dazu sollten die Mittel aus dem EIDF nach dem Bedarf der einheimischen Industrien und dem Beitrag der Sektoren zum BIP des jeweiligen Mitgliedstaates verteilt werden. Das heißt, die meisten Mittel sollten in Länder mit einem relativ großen industriellen Sektor fließen, wie Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich, Polen, die Niederlande, Irland und Belgien.

Auch wenn andere Mitgliedstaaten einen solchen Ansatz womöglich ablehnen, ist er für die industrielle Renaissance Europas unverzichtbar. Die EU kann in der globalen Wirtschaft von heute nur dann wettbewerbsfähig bleiben, wenn sie den Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft noch schneller vorantreibt. Ein Europäischer Fonds für industrielle Entwicklung ist ein notwendiger Schritt in diese Richtung.

Marcin Korolec war polnischer Umweltminister und leitet heute das Green Economy Institute in Warschau. Er ist Vorsitzender der Foundation for the Promotion of Electric Vehicles. Außerdem ist er Mitglied des Beraterausschusses für Umwelt und Klima der Europäischen Investitionsbank, und Aufsichtsratsmitglied beim Institute for Sustainable Development and International Relations (IDDRI) und bei MevaEnergy, InnoEnergy und Transport & Environment. Copyright: Project Syndicate

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Personalien

Die Europäische Kommission hat Katarzyna Smyk zur neuen Leiterin ihrer Vertretung in Warschau ernannt. Sie bringe umfassende Erfahrung in Diplomatie, Management und internationalen Verhandlungen mit und verstehe die verschiedenen EU-Politikbereiche sehr gut, teilte die Kommission mit. Vor ihrer Ernennung arbeitete Smyk im Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union und war unter anderem in der G7-Koordinationsplattform für die Ukraine tätig. Smyk besitzt einen Doktortitel der Maria-Curie-Skłodowska-Universität in Lublin, Polen.

Außerdem ernannte die Kommission Thomas de Béthune zum neuen Leiter ihrer Vertretung in Brüssel. Mit 20 Jahren Erfahrung in EU-Institutionen und belgischen Behörden verfüge er über tiefgehende Kenntnisse in städtischer Entwicklung und innovativen Finanzinstrumenten zur Umsetzung von EU-Politiken, teilte die Behörde mit. Zuletzt leitete er das Team für Stadtpolitik in der Generaldirektion Regional- und Stadtpolitik der Kommission. De Béthune ist polytechnischer Ingenieur und hat sich auf Stadtentwicklung am Institut für Politikwissenschaften in Paris spezialisiert.

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

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Dessert

Sabine Weyand leitete bisher die Generaldirektion Handel – nun muss sie turnusgemäß den Posten wechseln.

Nach der Personalplanung ist vor der Personalplanung: Wenn EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen in den kommenden Wochen die Kommissarsposten verteilt hat, muss sie sich Gedanken über die Rotation ihrer Spitzenbeamten machen. Schließlich sollen Führungskräfte in der EU-Kommission alle fünf Jahre den Job wechseln. Eine große Rochade steht an.

Die Deutsche Sabine Weyand, aktuell Generaldirektorin in der Generaldirektion (GD) Handel, hat das halbe Jahrzehnt im Juni erreicht. Von der Leyen kommt das zupass, denn in ihrer zweiten Amtszeit und nach der Wahl von Keir Starmer zum britischen Premier möchte sie gerne neue Arten der Zusammenarbeit mit Großbritannien ausloten. Weyand steht für harte Brexit-Verhandlungen, ein Personalwechsel an der Spitze der DG Trade wäre ein Signal nach London.

Wer übernimmt GD Wettbewerb?

Weyand werden Ambitionen auf das Generalsekretariat nachgesagt. Von der Leyen will allerdings wohl an der Lettin Ilze Juhansone festhalten, die sich als sehr loyal erwiesen hat. Die Politologin Weyand soll sich auch für die GD Wettbewerb interessieren. Die will Amtsinhaber Olivier Guersent offenbar zum Jahresende verlassen. Für die Nachfolge des Franzosen interessiert sich allerdings auch seine Landsfrau Céline Gauer, seit 2020 Generaldirektorin für die Recovery und Resilience Task Force. Von ihr heißt es, sie wolle den Posten wechseln, ehe der Rechnungshof die Aufbau- und Resilienzfazilität überprüft habe. 

Der Ire John Berrigan erreicht kommenden März fünf Jahre an der Spitze der GD für Finanzdienstleistungen. Ein geeigneter Kandidat, der Italiener Mario Nava, hat allerdings gerade erst bei der DG für Beschäftigung angefangen. Von der Leyen hat ein Interesse daran, die Personalfragen zügig anzugehen. Nach ihrem Amtsantritt 2019 gab es intern viel Kritik, weil sich Personalentscheidungen teilweise lange hinzogenSilke Wettach

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Besetzung der Vorstände in den Ausschüssen wird das Parlament noch eine Weile beschäftigen. Wie berichtet, sind etwa in den Gremien für Haushaltskontrolle und Wirtschaft noch Stellvertreterposten unbesetzt, weil sich die Fraktionen nicht auf Kandidaten einigen konnten, die dem Prinzip der Gleichstellung entsprechen würden. Am Mittwoch reagierte die EVP auf Anwürfe der Sozialdemokraten.

    “Die Konferenz der Präsidenten ist nach Artikel 27 der Geschäftsordnung für die Implementierung der Bestimmungen zuständig”, sagte der CDU-Abgeordnete Sven Simon, der dem Ausschuss für konstitutionelle Fragen vorsitzt. Der AFCO ist nach Darstellung der S&D letztlich zuständig für die Interpretation der Geschäftsordnung und damit auch für Abweichungen von Artikel 219. Der sieht eigentlich vor, dass Frauen und Männer unter den Stellvertretern ausgewogen vertreten sein müssen. Ausnahmen davon hatte sich die EVP von der Konferenz der Präsidenten abnicken lassen – gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, die die COP für nicht zuständig erklärten.

    Zu der Entscheidung war die Konferenz nach Artikel 216 eben jener Geschäftsordnung aber ermächtigt, verteidigte Simon gestern die Haltung der Christdemokraten: “Der AFCO kann beauftragt werden, die Geschäftsordnung im Zweifelsfall auszulegen. Ein solcher Zweifelsfall liegt hier nicht vor.” Ob aus dem Wortgefecht über den Sommer ein substanzieller juristischer Streit wird, hängt nun vor allem von der Fraktion der “Patrioten” ab. Die hatte im Auswärtigen Ausschuss eigens eine Kandidatin aufgestellt, die aber wegen des Cordon sanitaire durchfiel.

    Ich wünsche Ihnen einen guten Tag!

    Ihr
    Manuel Berkel
    Bild von Manuel  Berkel

    Analyse

    Rechtsstaatlichkeit: Wo die Kommission Nachbesserungsbedarf sieht

    Um den Rechtsstaat in der EU ist es besser bestellt als noch vor wenigen Jahren. Zu diesem Ergebnis kommt die EU-Kommission in ihrem fünften Rechtsstaats-Bericht, den sie am Mittwoch in Brüssel vorgelegt hat. Zwei Drittel der Empfehlungen aus dem Vorjahr seien vollständig oder teilweise umgesetzt worden. Der 2020 auf deutschen Druck eingeführte Rechtsstaats-Check habe sich bewährt, erklärte Justizkommissar Didier Reynders.

    Im Detail fallen die Ergebnisse allerdings längst nicht so positiv aus. Ungarn und die Slowakei werden von der Kommission gerügt, Italien und Griechenland stehen unter Beobachtung, auch Deutschland hat noch Nachholbedarf.

    Ungarn: Verstöße in allen Bereichen

    In Ungarn gebe es demnach ein “systemisches Problem” mit den Grundrechten. Verstöße seien in allen vier Säulen der Rechtsstaatlichkeit festgestellt worden: im Justizsystem, bei den Maßnahmen gegen Korruption, bei der Pressefreiheit sowie bei der Gewaltenteilung. Das Land müsse “solide Nachweise” über das Vorgehen gegen Vetternwirtschaft und Korruption liefern, so die Kommission. Vor allem Ministerpräsident Viktor Orbán wird immer wieder beschuldigt, in die eigene Tasche zu wirtschaften.

    Zudem müsse Regierung in Budapest die “redaktionelle Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien” stärken und Gesetze aufheben, welche die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen einschränken.

    Bereits vor einem Jahr hatte Reynders dem Land, das derzeit den Ratsvorsitz hat, “sehr große Abweichungen bei der Rechtsstaatlichkeit” bescheinigt. Die EU-Kommission hatte deshalb mehrere Verfahren gegen Ungarn eingeleitet und Fördermittel in Milliardenhöhe auf Eis gelegt.

    Allerdings hat Kommissionschefin Ursula von der Leyen im Dezember zehn Milliarden Euro an Ungarn ausgezahlt trotz der Probleme. Auf Nachfrage von Journalisten erklärte Reynders, dies sei kein Widerspruch. Budapest habe mit Brüssel vereinbarte “Meilensteine” erfüllt.

    Sorge um Korruptionsbekämpfung in der Slowakei

    Der Slowakei drohte die Kommission wegen Rechtsstaatsmängeln mit einem Verfahren. Vizekommissionspräsidentin Věra Jourová verwies auf die “Pflicht” zu handeln, wenn nationale Gesetze nicht mit den EU-Regeln übereinstimmen.

    Konkret geht es um die laufende Strafrechtsreform. Laut dem Länderbericht gibt sie “Anlass zur Sorge beim Kampf gegen die Korruption, insbesondere der Korruption auf hoher Ebene”. Wie im Falle Ungarns fürchtet Brüssel, dass EU-Gelder in dunklen Kanälen versickern könnten.

    Mit Sorge sieht Brüssel auch den Umbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Slowakei. Allerdings sei es hier noch zu früh für ein abschließendes Urteil, so Jourová. Man sei im Gespräch mit Regierungschef Robert Fico und müsse die Ergebnisse abwarten.

    Unabhängigkeit des Rundfunks in Italien

    Im Fall von Italien steht die EU-Kommission selbst unter Druck, weil sie einen kritischen Bericht über Einschränkungen der Medienfreiheit zurückgehalten haben soll. Jourová wies das zurück. Das Timing kurz vor der Sommerpause sei bewusst gewählt und nicht zu beanstanden.

    Die Kommission legte Empfehlungen zur Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und zum Schutz der Journalisten vor Diffamierung vor. Auf die umstrittene Verfassungsreform, die Kritiker als Angriff auf die Demokratie bezeichnen, ging sie indes nicht näher ein.

    Probleme mit der Pressefreiheit räumte Jourová auch in Griechenland ein. Allerdings habe Brüssel auf das sogenannte “Predatorgate” – einen Überwachungsskandal – zügig reagiert. Darüber hinaus sei es nicht Sache der Kommission, die Arbeit der Behörden zu kritisieren.

    Deutschland: Lobbyregeln zu lasch

    Für Deutschland legte die Kommission vergleichsweise unverbindliche Empfehlungen vor. So seien die deutschen Lobbyregeln nicht strikt genug. Bundesminister und parlamentarische Staatssekretäre könnten nach Dienstende zu schnell die Seiten wechseln und für Konzerne arbeiten.

    Auch müsse das Auskunftsrecht der Presse gegenüber den Behörden gestärkt werden. Die Bundesregierung müsse dafür eine eigene Rechtsgrundlage schaffen. Die Berliner Ampel-Koalition hat eine Novelle des Bundestransparenzgesetzes versprochen, bisher jedoch noch nicht geliefert.

    Das Europaparlament begrüßte den Rechtsstaats-Bericht. “Die heute vorgestellten Maßnahmen werden wesentlich dazu beitragen, die europäische Demokratie weiter zu stärken und widerstandsfähiger zu machen”, sagte Lena Düpont (CDU), innenpolitische Sprecherin der EVP-Fraktion. Die Kommission müsse sich nun auf die Umsetzung konzentrieren und sie mit den neuen Plänen für ein “Demokratieschild” in Einklang bringen.

    Müsste die Kommission schneller reagieren?

    Kritik kam vom grünen Europaabgeordneten Daniel Freund. Die Kommission habe es verpasst, frühzeitig auf negative Entwicklungen wie in Italien oder der Slowakei zu reagieren. “Hier brauchen wir ein Umdenken von Ursula von der Leyen”, sagte Freund. Brüssel müsse rechtzeitig mit Finanzsanktionen gegensteuern.

    Noch schärfer äußerte sich der FDP-Parlamentarier Moritz Körner. “Solange von der Leyen Kritik an Rechtsstaatsvergehen als politische Waffe einsetzt, um Abstimmungsergebnisse in ihrem Sinne zu beeinflussen, wird sich die Achtung der europäischen Werte nicht verbessern.”

    Es sei bezeichnend, dass die Präsentation des Rechtsstaatsberichts auf die Zeit nach der Wahl verschoben wurde, sagte Körner. Dies sei geschehen, “um ihre Wiederwahl nicht durch Kritik an den Mitgliedstaaten zu gefährden”.

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    Ukrainekrieg: Warum Kulebas China-Reise für beide Seiten enorm wichtig ist

    Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba ist nach China gereist, und versucht herauszufinden, ob China nicht doch eine konstruktive Rolle für einen gerechten Frieden einnehmen könnte. Am Mittwoch traf er deshalb in der südchinesischen Stadt Guangzhou seinen chinesischen Amtskollegen Wang Yi. Mehr als drei Stunden sprachen die beiden miteinander – direkt am ersten Tag einer viertägigen Visite.

    Das ist bemerkenswert und zeigt zugleich: Sowohl für die Ukraine als auch für China ist es eine enorm wichtige Reise.

    Vereinbarungen vom Mittwoch zeigen Chinas Interessen

    Es ist Kulebas erste Reise nach China und der erste Besuch eines ukrainischen Außenministers seit 2012. Nach den drei Stunden mit Wang sprach er am Mittwoch von gründlichen und sachlichen Diskussionen über bilaterale Beziehungen, vor allem aber auch über einen Weg zum Frieden. “Ich bin überzeugt, dass ein gerechter Frieden in der Ukraine im strategischen Interesse Chinas liegt und Chinas Rolle als globale Kraft für den Frieden wichtig ist“, sagte Kuleba – und versuchte damit, China mit dessen eigenen Interessen zu locken.

    Chinas Interessen lassen sich wiederum deutlich aus den Vereinbarungen von Mittwoch herauslesen:

    • China bekräftigt seine Bereitschaft als Vermittler.
    • China wird seine Getreideimporte aus der Ukraine weiter erhöhen.
    • China will reibungslose Logistikkanäle und die internationale Lebensmittelsicherheit aufrechterhalten.
    • China wird weiter humanitäre Hilfe an die Ukraine leisten.
    • China betont, bilaterale Beziehungen müssten langfristig geplant werden.

    Im Gegenzug sicherte Kuleba zu, die Ukraine sei zu Gesprächen mit Russland bereit, sollte Moskau ernsthafte Verhandlungen führen wollen. Damit fällt eines der Hauptargumente Pekings für seine bisherige Passivität weg. Und auch der Kreml erklärte direkt am Mittwoch, dass die Bereitschaft der Ukraine zu Gesprächen mit der Position Russlands im Einklang stehe. Nun müssten weitere Einzelheiten geklärt werden.

    Das steht auf dem Spiel – für China und die Ukraine

    Klar ist: Beide Seiten könnten von dieser Reise enorm profitieren. Für die Ukraine geht es schlicht ums Überleben. Seit 28 Monaten stellt man sich entschlossen den russischen Attacken entgegen. Doch es mehren sich die Zeichen der Erschöpfung – nicht nur in der Ukraine, sondern auch international:

    • Waffen und Munitionslieferungen werden zunehmend schwieriger zu organisieren.
    • Russlands Angriffe werden immer grausamer – wie die Bombardierung eines Kinderkrankenhauses zeigt.
    • Die USA als wichtigster Partner könnten wegbrechen, sollte Donald Trump in wenigen Monaten zum neuen US-Präsident gewählt werden.   

    Doch auf für China steht einiges auf dem Spiel:

    • Die Beziehungen zu Europa.
    • Die Reputation als neutrale Friedensmacht.
    • Wirtschaftliche Interessen bei einem Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg.

    Chance für neue Friedenskonferenz

    Entsprechend wäre eine umfassende Friedenskonferenz unter chinesischer Führung ein fulminanter Erfolg für Peking. Und zumindest theoretisch stehen die Chancen dafür nicht allzu schlecht. Russland würde sich einer chinesischen Konferenz kaum verweigern können, angesichts seiner Abhängigkeit von der Volksrepublik. Und die Ukraine hat durch Kuleba in China nicht nur ihre Bereitschaft dazu bekräftigt, sondern auch klargestellt, dass China hierbei eine führende Rolle spielen sollte.  

    Passend dazu veröffentlichten China und Brasilien im Mai einen gemeinsamen Sechs-Punkte-Friedensvorschlag und erklärten, sie unterstützten eine Friedenskonferenz, die von beiden Kriegsparteien anerkannt wird. Ein erster Versuch im Juni in der Schweiz hatte keine Auswirkungen auf die Kampfhandlungen, weil weder Russland noch China an der Konferenz teilnahmen. Auch angesichts eines möglichen Wahlsieges von Donald Trump in den USA, drängt Kiew darauf, noch in diesem Jahr einen zweiten internationalen Gipfel abzuhalten – gerne in einem Land des “globalen Südens” samt führender Rolle Chinas.

    China als Friedensmacht

    Dass China dazu fähig wäre, zeigt die jüngste Vergangenheit. Diese Woche brachte man in Peking die verfeindenden Gruppen von Hamas und Fatah zusammen. Im vergangenen Jahr vermittelte China eine Einigung zwischen den Erzfeinden Iran und Saudi-Arabien.

    Allerdings gibt es zwei große Unterschiede zum Ukrainekrieg, die sich durchaus problematisch auswirken könnten:

    Chinas ganz eigene Interpretation von Neutralität ist wohl das größte Hindernis auf dem Weg zum Frieden. Aber gerade in Zeiten von Krieg und Leid stirbt die Hoffnung bekanntlich zuletzt. Vielleicht legen Kuleba und Wang in den kommenden Tagen tatsächlich die Grundlage dafür, dass China sich mit einem Erfolg im Ukrainekrieg als globale Friedensmacht etablieren kann. Es wäre im Interesse der ganzen Welt – und nicht zuletzt eben auch von China und der Ukraine.

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    Cybersicherheit in Deutschland: Deshalb drängt die Zeit bei der NIS2-Umsetzung

    Die Bundesregierung hat am Mittwoch den Kabinettsentwurf zur Umsetzung der NIS2-Richtlinie und zur Stärkung der Cybersicherheit beschlossen. Ziel ist es, die Cybersicherheit in Deutschland zu verbessern und Unternehmen besser gegen Cyberangriffe zu schützen. Der Entwurf muss nun noch das parlamentarische Verfahren durchlaufen.

    Die Network-and-Information-Security-Richtlinie 2.0 (NIS2-Richtlinie) der Europäischen Union muss bis Oktober 2024 in nationales Recht umgesetzt werden. Sie zielt darauf ab, das Cybersicherheitsniveau in der EU zu erhöhen. Die Richtlinie erweitert den Anwendungsbereich auf mehr Unternehmen und fordert umfassende Risikomanagementmaßnahmen und Meldepflichten bei IT-Sicherheitsvorfällen. Deutschland steht unter Druck, die Vorgaben fristgerecht umzusetzen, um finanzielle Strafzahlungen zu vermeiden und den Schutz kritischer Infrastrukturen zu gewährleisten.

    Schafft das BSI den neuen Job?

    Der Kabinettsentwurf sieht vor, dass rund 29.500 Unternehmen künftig umfassende IT-Sicherheitsmaßnahmen ergreifen müssen. Diese Unternehmen müssen IT-Sicherheitsvorfälle innerhalb von 24 Stunden melden und detaillierte Berichte nachreichen. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) soll als zentrale Aufsichtsbehörde fungieren und umfangreiche Kontroll- und Durchsetzungsbefugnisse erhalten. Ein dreistufiges Meldeverfahren soll eine effiziente Handhabung von Sicherheitsvorfällen ermöglichen. Die öffentliche Verwaltung bleibt in der deutschen Umsetzung von NIS2 explizit ausgenommen.

    Es gibt Bedenken, ob das BSI in der Lage ist, dieser weitreichenden Ausweitung seiner Pflichten auch gerecht zu werden. Schon das vorangegangene IT-Sicherheitsgesetz 2.0, das lediglich 1.000 Betreiber kritischer Infrastruktur umfasst, hat den Behörden einiges abverlangt. “Die waren ganz schön am Rotieren”, sagt Manuel Atug, Sprecher der AG Kritis, die sich als unabhängige Gruppe zur Verbesserung der Versorgungssicherheit versteht. “Wir können Gesetze schreiben, wie wir wollen, aber wenn sie nicht durchgesetzt werden, dann hilft das keinem”, sagt Atug im Gespräch mit Table.Briefings und verweist auf Beispiele wie Rassismus im Netz, wo die Rechtsdurchsetzung “unzureichend” sei.

    Kritik an EU-uneinheitlicher Implementierung

    Insgesamt fallen die Reaktionen auf den Entwurf gemischt aus. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) beklagt, dass zahlreiche Vorschläge der Industrie im Kabinettsentwurf unberücksichtigt geblieben sind. Der Industrieverband fordert klare Regelungen zur Delegation der Cybersicherheitsmaßnahmen innerhalb von Konzernen. Und er fordert eine europaweit einheitliche Implementierung der Richtlinie, um bürokratischen Aufwand zu minimieren. Außerdem bemängelt der BDI, dass nur Bundesbehörden als “besonders wichtige Einrichtungen” definiert sind und fordert, auch Länder- und Kommunalbehörden einzubeziehen.

    Ähnliche Bedenken hat der eco-Verband der Internetwirtschaft. “Die Bundesregierung wäre gut beraten, sich bei der nationalen Umsetzung der NIS2-Richtlinie stärker an die europäischen Vorgaben zu halten”, meint eco-Vorstand Klaus Landefeld. Das Risiko, dass der Regulierungsrahmen auseinanderfalle, sei groß. Vor allem die Einstufung als “Betreiber kritischer Anlagen” schaffe Unsicherheit für international tätige Unternehmen, die in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedliche Regeln befolgen müssten.

    Zudem warnt der eco vor unzureichender Vorbereitung deutscher Unternehmen auf die neuen Cybersicherheitsanforderungen. “Viele Unternehmen wissen noch nicht, dass sie im Anwendungsbereich der Richtlinie und der daraus folgenden Gesetzgebung in Deutschland liegen”, sagt Landefeld. Daher fordert der Verband eine Verlängerung der Umsetzungsfristen, um den Unternehmen mehr Zeit zur Anpassung zu geben.

    Umsetzungsfrist wohl nicht zu halten

    “Jetzt schon ist klar, dass die vorgesehene Umsetzungsfrist im Oktober nicht mehr eingehalten werden kann”, merkt Ralf Wintergerst, Präsident des Digitalverbands Bitkom an. “Umso wichtiger ist es, das Gesetz zügig umzusetzen und ein Inkrafttreten zumindest bis Anfang 2025 sicherzustellen.”

    Der Bitkom fordert außerdem eine stärkere Unterstützung für kleine und mittelständische Unternehmen sowie die Harmonisierung mit dem Kritis-Dachgesetz. Der Umsetzungsprozess bei Kritis stocke zurzeit ebenfalls. “Physische Sicherheit und Cybersicherheit müssen gemeinsam betrachtet und angegangen werden”, mahnt der Bitkom. Dabei sollten Unternehmen sich an einheitlichen Begriffsdefinitionen und Meldewegen orientieren können.

    Kritiker bemängeln zudem, dass der Entwurf keine detaillierten Bestimmungen zur koordinierten Offenlegung von Schwachstellen enthält sowie, dass er die Rolle der Europäischen Agentur für Cybersicherheit (ENISA) und die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit mit anderen EU-Mitgliedstaaten nicht ausreichend betont. Auch sollten Sanktionen und Durchsetzungsmaßnahmen bei Nichteinhaltung der Anforderungen klarer definiert werden, finden sie.

    Von Notz: Mehr Unabhängigkeit für BSI

    Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen, kritisiert das zögerliche Vorgehen der Bundesregierung mit Blick auf hybride Bedrohungen “Der Schutz unserer kritischen Infrastrukturen muss endlich als originärer Bestandteil einer modernen IT-Sicherheitspolitik verstanden werden”, sagt von Notz. Hiervon sei Deutschland “noch immer ein gutes Stück entfernt.”

    Von Notz kündigte unter anderem an, dafür zu sorgen, dass der Entwurf noch um Dinge ergänzt werde, die derzeit in der AG BSI verhandelt würden. Es solle ein Informationssicherheitsbeauftragter (Chief Information Security Officer, CISO) des Bunds benannt werden, der die Umsetzung der Maßnahmen koordinieren soll und das BSI als zentrale Aufsichtsbehörde in dem Bereich unabhängiger gestellt werden. “Auch werden wir sehr intensiv prüfen, ob die bisher vom BMI veranschlagten Haushaltsmittel für die hohen zusätzlichen Personalbedarfe, die mit der Gesetzgebung einhergehen, ausreichen.” Gegebenenfalls müsse das Parlament hier nachjustieren.

    Maximilian Funke-Kaiser, digitalpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, erwartet keine Probleme bei der Finanzierung oder Umsetzung der NIS2-Richtlinie. “Der Bundesfinanzminister hat klargestellt, dass wir auch im Jahr 2025 keinen Sparhaushalt aufstellen werden”, sagte Funke-Kaiser. Er sei sich daher sicher, dass die Haushälter sowohl das unabhängigere BSI als auch die nationale Umsetzung der NIS-2-Richtlinie “mit angemessenen Geldmitteln ausstatten“. Er ist ebenfalls überzeugt: “Im parlamentarischen Verfahren werden wir den Kabinettsentwurf zur Umsetzung der NIS2-Richtlinie weiter verbessern.”

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    Termine

    26.07.2024 – 19:00-20:00 Uhr, Hamburg/online
    Die Zeit, Diskussion Eine Stunde Zeit mit Annalena Baerbock
    Die Zeit spricht mit Annalena Baerbock über aktuelle politische Themen und die Bundestagswahl 2025. INFOS & ANMELDUNG

    29.07.-03.08.2024, Berlin
    HBS, Conference Keynesian Macroeconomics and European Economic Policies
    The Hans-Böckler-Stiftung (HBS) aims at providing an introduction to Keynesian macroeconomics and to the problems of European economic policies. INFOS & REGISTRATION

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    Scholz: Ausnahmen für E-Fuels nach 2035 im Sinne der Bundesregierung

    Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei seiner Sommerpressekonferenz Ursula von der Leyens Pläne im Streit um das Verbrenner-Aus ab 2035 gelobt. Vorgesehen sind dabei auch Ausnahmen für mit E-Fuels betriebenen Fahrzeuge. Scholz sagte, er habe in der Vergangenheit mehrfach auch bei der Kommissionspräsidentin interveniert, die Entscheidung zu ergänzen, dass es auch möglich sei, Fahrzeuge zu betreiben, die ausschließlich mit E-Fuels betrieben werden können.

    “Das hat viel Zeit, Kraft und auch Power gekostet, das da jeweils reinzuboxen”, sagte Scholz. “Und ich nehme mit einer gewissen gelassenen Zufriedenheit zur Kenntnis, dass jetzt alle das wollen.” Die Sache sei jetzt im Sinne der Bundesregierung in Europa entschieden.

    Scholz: Lösungen für nach 2035

    Von 2035 an gebe es mehrere technische Möglichkeiten. Scholz nannte Elektrofahrzeuge, in einem heute nicht bekannten Ausmaß Fahrzeuge, die mit Wasserstoff betrieben werden, sowie Fahrzeuge mit E-Fuels. Fahrzeuge, die bis 2035 verkauft worden seien, würden noch 20 Jahre durch die Gegend fahren. “Und auch dafür brauchen wir eine Lösung, was dann da reinkommt.”

    Die wiedergewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hatte jüngst in ihrem politischen Grundsatzprogramm für die kommenden fünf Jahre eine Initiative für Ausnahmen für E-Fuels angekündigt. Konkret heißt es dort, es sei “ein technologieneutraler Ansatz erforderlich, bei dem E-Fuels eine Rolle spielen werden, indem die Vorschriften im Rahmen der geplanten Überprüfung gezielt geändert werden”. dpa

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    Studie: So könnte der Wasserstoff nach Deutschland kommen

    Deutschlands zukünftige Wasserstoffbedarfe lassen sich zu großen Teilen mit Pipelines aus der “erweiterten europäischen Nachbarschaft” decken. Das ist das Ergebnis einer Studie der Thinktanks Agora Energiewende und Agora Industrie. Allerdings müsste die Pipeline-Infrastruktur dafür zügig ausgebaut werden. Gelingt dies, könnten Mitte der 2030er-Jahre “rund 60 bis 100 Terawattstunden (TWh)” an grünem Wasserstoff aus benachbarten Ländern importiert werden. “Damit ließe sich ein wesentlicher Teil des von der Bundesregierung für 2030 angegebenen Neubedarfs an Wasserstoff und Derivaten decken“, so die Einschätzung der beiden Thinktanks.

    In der Studie werden fünf Importkorridore untersucht. Planungen für einen Nordsee-Korridor, der Norwegen, Großbritannien und Dänemark anbinden würde, sind demnach am weitesten fortgeschritten. Sie könnten schon im Jahr 2030 zu Importen von 17 TWh führen, die im Idealfall bis 2035 auf bis zu 37 TWh erhöht werden könnten. Aus Portugal und Spanien könnten ab 2035 rund 32 TWh importiert werden. Schweden und Finnland könnten ab 2035 rund 14 TWh liefern, Algerien und Tunesien rund 16 TWh. Zwei TWh könnten ab 2035 aus der Ukraine und Griechenland stammen. Um diesen Idealfall zu erreichen, müsste es aber mehr Anstrengungen bei der Finanzierung der Pipeline-Infrastruktur und der Stimulation der Nachfrage geben, so Agora. Zudem würden die Pipelines natürlich auch Transitländern und europäischen Nachbarn zugutekommen (in der Grafik durch negative Zahlen gekennzeichnet).

    Auch Bundesregierung setzt auf Pipelines

    Auch die Wasserstoff-Importstrategie, die das Bundeskabinett am Mittwoch verabschiedet hat, setzt beim Import von molekularem Wasserstoff vor allem auf Pipelines aus Europa und Nordafrika. Zusätzlich sind darin Importe von Wasserstoff-Derivaten wie Ammoniak, Methanol oder E-Fuels per Schiff vorgesehen. Die Regierung geht davon aus, dass mittelfristig 50 bis 70 Prozent des deutschen Wasserstoff-Bedarfs importiert werden müssen.

    Die Reaktionen auf die Strategie fielen gemischt aus: Aus der Industrie kam grundsätzlich Zustimmung, der Verband “Zukunft-Gas” vermisst darin aber “klare Prioritäten und konkrete Maßnahmen”. Umweltverbände bemängeln, dass die Strategie nicht nur auf grünen Wasserstoff aus Ökostrom setzt, sondern auch “blauen” Wasserstoff zulässt, der unter Abscheidung des CO₂ aus fossilem Erdgas gewonnen wird. Zudem vermissen sie verbindliche Nachhaltigkeitskriterien für importierten Wasserstoff. Ohne diese werde die Strategie “zur Gefahr für den Klimaschutz und die Menschen in den Exportländern”, kritisierte Christine Averbeck von der Klima-Allianz.

    Deutsches Kernnetz kann starten

    Einen wichtigen Fortschritt gibt es auch bei der Frage, wie der Wasserstoff künftig innerhalb von Deutschland verteilt werden soll: Die Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) haben am Montag ihren gemeinsamen Antrag für das künftige Wasserstoff-Kernnetz bei der Bundesnetzagentur eingereicht. Es umfasst eine Leitungslänge von 9.666 Kilometern, wovon etwa 60 Prozent auf die Umrüstung bestehender Erdgas-Pipelines und 40 Prozent auf Neubauten entfallen. Erste Leitungen sollen laut FNB bereits im nächsten Jahr in Betrieb genommen werden; für das Gesamtnetz wird als Zieljahr 2032 genannt. Das Investitionsvolumen wird auf knapp 20 Milliarden Euro geschätzt. Diese sollen privatwirtschaftlich aufgebracht und über Nutzungsentgelte refinanziert werden, wobei der Staat eine Ausfallgarantie übernimmt. nib/mkr

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    Slowakei droht Vertragsverletzungsverfahren wegen NGO-Gesetz

    Die Kommission droht der Slowakei mit rechtlichen Schritten, sollte die Regierung Maßnahmen gegen regierungsunabhängige Organisationen wie Bürgerrechtsgruppen vorantreiben. “Ich war in Bratislava und habe mich sehr klar ausgedrückt”, sagte die Vizepräsidentin der Kommission, Věra Jourová, am Mittwoch in Brüssel. Sollten die Pläne weiter verfolgt werden, werde umgehend ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.

    Die slowakische Regierung plant, Nichtregierungs-Organisationen (NGO), die auch aus dem Ausland Geld erhalten, zu verpflichten, sich als “Organisationen mit ausländischer Unterstützung” zu bezeichnen. Die EU befürchtet, diese Etikettierung könne eine abschreckende Wirkung auf die Slowaken haben. Kritiker wie manche NGOs werfen der slowakischen Regierung vor, zu wenig gegen Korruption zu tun.

    Ungarn hatte 2017 ein ähnliches Gesetz verabschiedet, es aber 2021 aufgehoben, nachdem der Europäische Gerichtshof es für illegal erklärt hatte. Die EU hatte unter anderem deswegen für Ungarn vorgesehene Gelder zurückgehalten. Auch mit Polen gab es ähnliche Streitigkeiten, die mit dem Regierungswechsel in Warschau im vergangenen Jahr beendet wurden. rtr

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    Basel III: Marktrisiken-Rahmen wird erst ab 2026 angewendet

    Die Europäische Kommission hat am Mittwoch einen delegierten Rechtsakt angenommen, der den Geltungsbeginn eines Teils der Basel-III-Standards in der EU – der grundlegenden Überprüfung des Handelsbuchs (FRTB) – um ein Jahr verschiebt. Angewendet werden soll dieser Teil dann ab dem ersten Januar 2026, teilte die Kommission mit. Mit Ausnahme des Rahmens für Marktrisiken würden die Basel-III-Standards ab dem kommenden Jahr für alle EU-Banken gelten, hieß es weiter. Die Verzögerung hatte sich zuvor schon angedeutet.

    “Die Verschiebung des Geltungsbeginns der FRTB-Regeln um ein Jahr gibt uns Zeit, die internationalen Entwicklungen und unsere nächsten Schritte zu bewerten“, erklärte die Kommission in einem Pressestatement.

    Frankreichs Präsident Emmanuel Macron war zuvor einer der vehementesten Kritiker des Inkrafttretens aller Vorschriften zum Jahreswechsel. Er verwies darauf, dass US-Banken die sogenannten Basel-III-Eigenkapitalregeln nicht anwenden würden, was zu Wettbewerbsnachteilen für die europäischen Institute führe. Im April hatte Macron dafür plädiert, die EU solle überprüfen, wie sie die Vorschriften umsetze. Die Ländergemeinschaft könne nicht der einzige Wirtschaftsraum sein, der sie anwende. lei/rtr

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    Microsoft-Panne: Kommission weist Vorwürfe zurück

    Die Kommission hat Behauptungen widersprochen, Zugeständnisse von Microsoft an die EU hätten den Absturz des Windows-Systems begünstigt. “Der Vorfall scheint nicht auf die EU beschränkt gewesen zu sein”, teilte ein Kommissionssprecher auf Anfrage mit. “Microsoft hat weder vor noch nach dem jüngsten Vorfall Bedenken hinsichtlich der Sicherheit gegenüber der Kommission geäußert.”

    Am Freitag hatte ein fehlerhaftes Softwareupdate von Crowdstrike Microsoft-Anwendungen zum Absturz gebracht und zu einem der bislang größten Ausfälle weltweiter IT-Systeme geführt. Massive Probleme hatte vor allem der internationale Luftverkehr. Aber auch Banken und Medien berichteten von Störungen, Krankenhäuser sagten Operationen ab.

    Wall Street Journal: Microsoft gibt EU Mitschuld

    Das Wall Street Journal berichtete, ein Sprecher von Microsoft habe erklärt, das Unternehmen könne sein Betriebssystem nicht auf dieselbe Weise wie Apple rechtlich abschirmen. Dabei habe der Microsoft-Sprecher auf eine Vereinbarung verwiesen, die das Unternehmen nach einer Beschwerde mit der Europäischen Kommission getroffen habe. Im Jahr 2009 erklärte sich Microsoft bereit, Herstellern von Sicherheitssoftware den gleichen Zugang zu Windows zu gewähren wie Microsoft selbst.

    Microsoft ist frei, sein Geschäftsmodell zu bestimmen und seine Sicherheitsinfrastruktur anzupassen, um auf Bedrohungen zu reagieren, sofern dies im Einklang mit dem EU-Wettbewerbsrecht geschieht”, sagte der Kommissionssprecher weiter. Kunden profitierten vom Wettbewerb und der Auswahl zwischen verschiedenen Cybersicherheitsanbietern. “Infolgedessen werden Vorfälle bei einem bestimmten Anbieter typischerweise nicht alle Nutzer betreffen, was die Resilienz fördert.”

    Kommission sagt, sie sei vom Sicherheitsproblem nicht betroffen

    Die Dienste der Kommission selbst seien von dem Sicherheitsproblem nicht betroffen gewesen, da sie die Crowdstrike-Software von Microsoft nicht verwenden. Die Kommission sei aber wie üblich mit den relevanten Stellen und Netzwerken gemäß der Standardarbeitsverfahren in Kontakt. Das seien die Computer Security Incident Response Teams in allen Mitgliedstaaten (CSIRT-Netzwerk), die EU-Agentur für Cybersicherheit (ENISA) und CERT-EU. “Wir werden die Situation weiterhin überwachen.”

    Der Kommissionssprecher verwies auch auf die NIS-2-Richtlinie, die bis zum 17. Oktober 2024 von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden muss. Sie verlangt von mittelgroßen oder größeren Einrichtungen aus 18 kritischen Sektoren, Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen. Das Bundeskabinett hat am Mittwoch das entsprechende Umsetzungsgesetz auf den Weg gebracht. vis

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    Standpunkt

    Marcin Korolec: Europa braucht einen Fonds für grüne industrielle Entwicklung

    Von Marcin Korolec
    Marcin Korolec leitet das Green Economy Institute in Warschau. Zuvor war er polnischer Umweltminister.

    Im Jahr 2016 sagte der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission, Jacques Delors, wenn die Politik der EU “den Zusammenhalt gefährdet und soziale Standards opfert“, dann “hat das Projekt Europa keine Chance, die Unterstützung der europäischen Bürger zu gewinnen.” Nach der Wahl zum Europäischen Parlament ist Delors Bemerkung treffender als je zuvor.

    Nach den beträchtlichen Zugewinnen der extremen Rechten erwarten viele Beobachter, dass das neue Europäische Parlament sich eher um die Themen Migration, Sicherheit und die aktuelle Krise der Lebenshaltungskosten kümmert als um den Klimawandel. Und da viele der neu gewählten Abgeordneten die grüne Agenda ablehnen, könnte die EU am Ende gezwungen sein, das Erreichen der Klimaneutralität zu verschieben.

    Anstatt ihren Kurs zu ändern, sollte sich die EU jedoch noch stärker für ihre Klimaziele einsetzen und sich ein Beispiel an China und den USA nehmen. Insbesondere sollte sie dem Inflation Reduction Act von US-Präsident Joe Biden nacheifern und die Energiewende mit einem “Kaufe grün und europäisch”-Programm sowie einem Europäischen Fonds für industrielle Entwicklung (EIDF) weiter ankurbeln.

    China und USA setzen EU-Wirtschaft unter Druck

    Die extreme Rechte führt gegen die Energiewende besonders gern an, der Europäische Grüne Deal sei zu stark von Produkten aus China und den USA abhängig. Die Einfuhren sauberer Technologien aus China sind in den letzten Jahren in die Höhe geschnellt und beliefen sich allein 2023 auf insgesamt 23,3 Milliarden US-Dollar für Lithium-Ionen-Akkus, 19,1 Milliarden US-Dollar für Solarmodule und 14,5 Milliarden US-Dollar für Elektrofahrzeuge.

    In den USA dagegen wird dank Präsident Bidens Konjunkturpaket wieder mehr in erneuerbare Energien investiert. So haben die USA im zweiten Quartal 2023 beispielsweise fast zehn Milliarden US-Dollar in Technologie zur Batterieherstellung investiert. Das ist mehr als das Doppelte der Gesamtinvestitionen in den Sektoren Batterien, Solar- und Windkraft, kritische Rohstoffe und Elektrofahrzeuge im zweiten Quartal 2022.

    Angesichts des immer stärkeren Wettbewerbs steht die europäische Wirtschaft von zwei Seiten unter Druck. Einerseits investieren die dynamischsten Unternehmen lieber in den USA als in Europa. Andererseits nehmen die Exporte aus China in die EU weiter zu, besonders nach Bidens neuesten Zöllen auf chinesische Waren.

    Ein Europäischer Deal für die Industrie

    Nun könnte man erwarten, dass ein stärker von Nationalisten geprägtes Europäisches Parlament die Aussichten für die europäische Industrie verbessert. Allerdings ließ die Befürchtung, der Erfolg der extremen Rechten könne die Klimawende ausbremsen, die Aktienkurse führender europäischer Unternehmen im Bereich der Erneuerbaren wie Vestas, Nordex und Orsted abstürzen.

    Um die Wettbewerbsposition der EU zu stärken, muss die Politik kritische Industrien entschlossen unterstützen. Über 1.200 Organisationen, zu denen auch 840 führende Hersteller gehören, haben vor Kurzem die Antwerpener Erklärung unterzeichnet, die als wichtiges Element der strategischen Agenda für 2024-2029 einen “Europäischen Deal für die Industrie” fordert. Der belgische Premierminister Alexander De Croo brachte es auf den Punkt: “Wie sorgen wir dafür, dass unsere europäische Industrie weiter wächst? Die Antwort lautet: mit einem Europäischen Deal für die Industrie, der dem Europäischen Grünen Deal in nichts nachsteht.”

    Gemeinsame Schulden und neue Einnahmequellen

    Dazu sind vier Schritte erforderlich. Erstens muss die europäische Politik verstehen, dass jede Verzögerung der Klimawende die globale Wettbewerbsfähigkeit der EU schwächt. Die Nutzung klimaneutraler Technologien ist der beste Weg, um die Einfuhr fossiler Energieträger zu senken und unabhängig im Energiebereich zu werden. Die Beibehaltung des Status Quo dagegen untergräbt die europäische Sicherheitsstrategie und spielt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Hände.

    Zweitens brauchen wir den Europäischen Industriefonds, um Energieautarkie und technische Souveränität zu erreichen. Wie die gesamteuropäischen Finanzhilfen in der Corona-Krise gezeigt haben, können die Institutionen der EU innerhalb weniger Monate kritische Entscheidungen treffen und umsetzen, wenn sie müssen.

    Drittens sollte der EIDF über die Ausgabe gemeinsamer Schulden finanziert werden. Damit der Fonds auch wirklich die Produktion von Elektroautos, Wärmepumpen, PV-Modulen und anderen grünen Technologien ankurbelt, sollte dieser Fördermechanismus Unternehmen relativ einfach und ohne eine übertrieben detaillierte Berechtigungsprüfung zur Verfügung stehen. Entscheidend ist, dass der Europäische Industriefonds ohne angemessene Finanzierungsinstrumente für Unternehmen im Bereich der erneuerbaren Energien nicht funktionieren kann – ein Vorteil, den US-Unternehmen dank des Inflation Reduction Act bereits genießen. Allerdings sollte die Politik diese Fördermittel mit der Auflage verknüpfen, dass die Empfänger in Produktionskapazitäten investieren und neue Arbeitsplätze schaffen.

    Und schließlich sollte die Aufnahme gemeinsamer Schulden durch die entschlossene Suche nach neuen Einnahmequellen ergänzt werden. Eine Option wäre die Einführung weiterer Einfuhrzölle auf chinesische Elektroautos. Oder man könnte anfangen, digitale Plattformen und Plastikimporte zu besteuern.

    Mittelverteilung nach Bedarf und Größe der Industrie

    Historisch gesehen wurden EU-Mittel stets gemäß der europäischen Kohäsionspolitik und anteilig zum Pro-Kopf-BIP der Mitgliedstaaten verteilt. Der NextGenerationEU-Fonds, der 2020 eingerichtet wurde, um die europäischen Länder beim Wiederaufbau nach der Pandemie zu unterstützen, berücksichtigte bei der Verteilung der Beihilfen und Kredite in Höhe von 800 Milliarden Euro die Auswirkungen der Corona-Krise auf die einzelnen Volkswirtschaften und schuf damit einen neuen Präzedenzfall.

    Analog dazu sollten die Mittel aus dem EIDF nach dem Bedarf der einheimischen Industrien und dem Beitrag der Sektoren zum BIP des jeweiligen Mitgliedstaates verteilt werden. Das heißt, die meisten Mittel sollten in Länder mit einem relativ großen industriellen Sektor fließen, wie Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich, Polen, die Niederlande, Irland und Belgien.

    Auch wenn andere Mitgliedstaaten einen solchen Ansatz womöglich ablehnen, ist er für die industrielle Renaissance Europas unverzichtbar. Die EU kann in der globalen Wirtschaft von heute nur dann wettbewerbsfähig bleiben, wenn sie den Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft noch schneller vorantreibt. Ein Europäischer Fonds für industrielle Entwicklung ist ein notwendiger Schritt in diese Richtung.

    Marcin Korolec war polnischer Umweltminister und leitet heute das Green Economy Institute in Warschau. Er ist Vorsitzender der Foundation for the Promotion of Electric Vehicles. Außerdem ist er Mitglied des Beraterausschusses für Umwelt und Klima der Europäischen Investitionsbank, und Aufsichtsratsmitglied beim Institute for Sustainable Development and International Relations (IDDRI) und bei MevaEnergy, InnoEnergy und Transport & Environment. Copyright: Project Syndicate

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    Personalien

    Die Europäische Kommission hat Katarzyna Smyk zur neuen Leiterin ihrer Vertretung in Warschau ernannt. Sie bringe umfassende Erfahrung in Diplomatie, Management und internationalen Verhandlungen mit und verstehe die verschiedenen EU-Politikbereiche sehr gut, teilte die Kommission mit. Vor ihrer Ernennung arbeitete Smyk im Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union und war unter anderem in der G7-Koordinationsplattform für die Ukraine tätig. Smyk besitzt einen Doktortitel der Maria-Curie-Skłodowska-Universität in Lublin, Polen.

    Außerdem ernannte die Kommission Thomas de Béthune zum neuen Leiter ihrer Vertretung in Brüssel. Mit 20 Jahren Erfahrung in EU-Institutionen und belgischen Behörden verfüge er über tiefgehende Kenntnisse in städtischer Entwicklung und innovativen Finanzinstrumenten zur Umsetzung von EU-Politiken, teilte die Behörde mit. Zuletzt leitete er das Team für Stadtpolitik in der Generaldirektion Regional- und Stadtpolitik der Kommission. De Béthune ist polytechnischer Ingenieur und hat sich auf Stadtentwicklung am Institut für Politikwissenschaften in Paris spezialisiert.

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    • Heads

    Dessert

    Sabine Weyand leitete bisher die Generaldirektion Handel – nun muss sie turnusgemäß den Posten wechseln.

    Nach der Personalplanung ist vor der Personalplanung: Wenn EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen in den kommenden Wochen die Kommissarsposten verteilt hat, muss sie sich Gedanken über die Rotation ihrer Spitzenbeamten machen. Schließlich sollen Führungskräfte in der EU-Kommission alle fünf Jahre den Job wechseln. Eine große Rochade steht an.

    Die Deutsche Sabine Weyand, aktuell Generaldirektorin in der Generaldirektion (GD) Handel, hat das halbe Jahrzehnt im Juni erreicht. Von der Leyen kommt das zupass, denn in ihrer zweiten Amtszeit und nach der Wahl von Keir Starmer zum britischen Premier möchte sie gerne neue Arten der Zusammenarbeit mit Großbritannien ausloten. Weyand steht für harte Brexit-Verhandlungen, ein Personalwechsel an der Spitze der DG Trade wäre ein Signal nach London.

    Wer übernimmt GD Wettbewerb?

    Weyand werden Ambitionen auf das Generalsekretariat nachgesagt. Von der Leyen will allerdings wohl an der Lettin Ilze Juhansone festhalten, die sich als sehr loyal erwiesen hat. Die Politologin Weyand soll sich auch für die GD Wettbewerb interessieren. Die will Amtsinhaber Olivier Guersent offenbar zum Jahresende verlassen. Für die Nachfolge des Franzosen interessiert sich allerdings auch seine Landsfrau Céline Gauer, seit 2020 Generaldirektorin für die Recovery und Resilience Task Force. Von ihr heißt es, sie wolle den Posten wechseln, ehe der Rechnungshof die Aufbau- und Resilienzfazilität überprüft habe. 

    Der Ire John Berrigan erreicht kommenden März fünf Jahre an der Spitze der GD für Finanzdienstleistungen. Ein geeigneter Kandidat, der Italiener Mario Nava, hat allerdings gerade erst bei der DG für Beschäftigung angefangen. Von der Leyen hat ein Interesse daran, die Personalfragen zügig anzugehen. Nach ihrem Amtsantritt 2019 gab es intern viel Kritik, weil sich Personalentscheidungen teilweise lange hinzogenSilke Wettach

    Europe.Table Redaktion

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