willkommen in Straßburg, wo die Anspannung so hoch ist wie die Temperaturen. In wenigen Stunden werden die Europaabgeordneten über das Schicksal des mittlerweile zum politischen Dynamit gewordenen Renaturierungsgesetzes entscheiden. Der Ausgang der Abstimmung ist ungewiss, wenige Stimmen dürften nach Einschätzung einiger Beobachter den Ausschlag geben. “Plus oder minus fünf Stimmen”, schätzt Pascal Canfin, Vorsitzender des Umweltausschusses und starker Befürworter des Gesetzes.
Am Dienstagmorgen hatten sich Befürworter und Gegner, nur wenige Meter voneinander entfernt, vor dem Vorplatz des Parlaments versammelt: auf der einen Seite die Jugend um Greta Thunberg, flankiert von Mitgliedern der Grünen, Sozialdemokraten und Linken; auf der anderen Seite EVP-Abgeordnete und Bauern mit Traktoren, die vom mächtigen Lobbyverband Copa-Cogeca mobilisiert worden waren.
Zwischen beiden Lagern steht die liberale Renew-Fraktion – ihre Stimmen werden die Waage in die eine oder andere Richtung kippen lassen. Laut dem Renew-Vorsitzenden Stéphane Séjourné wird seine Fraktion zu 30 Prozent für die Ablehnung des Textes stimmen und zu 70 Prozent dagegen.
Renew hat Änderungsanträge eingereicht, die die Position des Rates aufgreifen. Die Hoffnung: EVP-Abgeordnete würden es nicht wagen, sich einem Text zu widersetzen, der von christdemokratischen Regierungen in der Heimat unterstützt wird. Sollten die Abgeordneten dennoch für die Ablehnung des Vorschlags stimmen, bedeute das “Game Over”, so Canfin: Das Dossier könne erst nach den Europawahlen im Juni 2024 wieder aufgenommen werden.
EVP-Fraktionschef Manfred Weber könnte wiederum zeigen, dass er auch andere Mehrheiten als im Bündnis mit Sozialisten, Renew, Grünen und Linken formen kann. Dies wird sicherlich bei anderen Texten zum Green Deal eine Rolle spielen. Mein Kollege Timo Landenberger bietet Ihnen mit seiner Analyse über die Rolle der Moore einen guten Einblick.
Eine spannende Lektüre wünsche ich Ihnen.
Letzte Chance für das Renaturierungssgesetz der EU: Heute Mittag stimmt das Europäische Parlament über das umstrittene neue Regelwerk zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law, NRL) ab. Noch immer ist der Ausgang ungewiss.
Neben dem Erhalt der Biodiversität geht es auch um den Schutz des Klimas. Vor allem die Wiedervernässung von Mooren gilt als entscheidender Hebel, um die Treibhausgas-Emissionen weiter zu senken und darüber hinaus CO₂ aus der Atmosphäre zu entziehen und langfristig zu speichern.
Studien des Greifswald Moor Centrums (GMC) und Wetlands International zufolge wurden mehr als 50 Prozent aller Moorflächen in Europa trockengelegt, um die Böden land- oder forstwirtschaftlich nutzen zu können. In Deutschland sind es sogar fast 100 Prozent. Was einst als kulturhistorische Großtat gefeiert und staatlich gefördert wurde, gilt heute als klimatologisches Desaster.
Denn: Moore sind besonders reich an Kohlenstoff. Durch die Entwässerung und die Verbindung mit Sauerstoff entweicht viel CO₂. So wurden die Gebiete über die Jahrzehnte immer mehr vom Kohlenstoffspeicher zum Emittenten und machen laut GMC derzeit etwa sieben Prozent des gesamten Treibhausgas-Ausstoßes der EU aus. Würde der Wasserstand wieder auf Bodenkante angehoben, könnten diese Emissionen vermieden und langfristig sogar Negativ-Emissionen erreicht werden.
“Darauf können wir nicht verzichten, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen”, sagt Jutta Paulus, NRL-Schattenberichterstatterin der Grünen. Das gelte im Speziellen für die im vergangenen Jahr verabschiedete Verordnung über Landnutzung und Forstwirtschaft (LULUCF). Darin wurde das Ziel für die natürliche Treibhausgas-Senkleistung des Sektors, aufgeteilt auf die EU-Staaten, auf 310 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente ab 2030 festgelegt.
Bislang beruht diese Leistung überwiegend auf Wäldern, deren Speicherfähigkeit war jedoch in Folge von Trockenheit, Waldbränden und Schädlingen zuletzt deutlich gesunken und nimmt weiter ab. “Ohne die Moore wird das also nicht zu schaffen sein”, sagt Paulus. Das gelte auch für den Erhalt der Biodiversität. So seien rund 60 Prozent aller Vogelarten in Europa auf intakte Moore und Feuchtgebiete angewiesen.
Die Position des Umweltrats, der nun auch bei der heutigen Plenarabstimmung die meisten Chancen ausgerechnet werden, sieht vor, die Ziele für die Renaturierung von Mooren für die Jahre 2030, 2040 und 2050 auf 30, 40 beziehungsweise 50 Prozent der Fläche festzulegen. Das sei zu wenig, kritisiert Paulus und setzt sich für die ursprünglichen Kommissionsziele von 30, 50 und 70 Prozent ein.
Doch auch der Kommissionsvorschlag sei noch nicht ambitioniert genug. Schließlich lässt dieser die forstwirtschaftlich genutzten Moorböden außen vor, beschränkt sich auf die Landwirtschaft “und damit ausgerechnet auf jene Flächen mit den größten Nutzungskonflikten”, so Paulus.
So befürchten Gegner des Gesetzesvorhabens eine Verknappung der Nahrungsmittelproduktion und damit eine Verschärfung der ohnehin angespannten Lage. Betroffene Landwirte fürchten gar um ihre Existenzgrundlage.
Franziska Tanneberger, Leiterin des Greifswald Moor Centrums, hält dagegen: “Wir sprechen von lediglich drei Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche der EU, die auf entwässerten Moorböden liegt. Demgegenüber steht ein Viertel der gesamten Agraremissionen, die dadurch entstehen und vermieden werden könnten.”
Dabei gehe es nicht um eine Stilllegung der wiedervernässten Flächen. Vielmehr sei die weitere Bewirtschaftung nicht nur denkbar, sondern auch sinnvoll. Eine Möglichkeit dieser sogenannten Paludikultur: der Anbau von Schilf. Die Pflanzen entziehen der Atmosphäre CO₂ und eignen sich als nachhaltiges Verpackungsmaterial oder als Baustoff.
Nachfrage gebe es beispielsweise bei der Dachdeckung vieler Häuser in Norddeutschland. “Das in Deutschland verwendete Reet wird zu 85 Prozent importiert, großteils aus China”, sagt Tanneberger. “Im Einklang mit Natur- und Klimaschutz könnte auf den Moorflächen also ein nachhaltiges Material produziert werden, an dem großes Interesse besteht. Dies ist eine riesengroße Chance.”
Um bei allen Beteiligten für Planungssicherheit zu sorgen, müssten jedoch die passenden politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Das NRL sei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, andere Bereiche müssten nachziehen, fordert die Landschaftsökologin. So werde etwa durch die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) die Landwirtschaft auf entwässerten Moorböden auch nach der jüngsten Reform weiterhin genauso gefördert, wie bisher. “Daran festzuhalten, steht im Widerspruch zum Green Deal. Denn so ist der Anreiz für eine Umstellung nicht sehr groß, aber irgendwann muss sie erfolgen”, sagt Tanneberger.
Doch das gehe nur im Einvernehmen mit den Betroffenen, fordert der Deutsche Bauernverband (DBV). Voraussetzung sei die Schaffung von gleichwertigen wirtschaftlichen Alternativen für die landwirtschaftlichen Betriebe und deren Familien.
Tatsächlich soll die Wiedervernässung auch nach den Moorschutz-Plänen der Bundesregierung auf Freiwilligkeit beruhen. Das birgt Herausforderungen. Schließlich kann der Wasserstand nicht punktuell auf einzelnen Feldern, sondern nur in zusammenhängenden Gebieten angehoben werden. Entsprechend müssten alle Eigentümer mitziehen. Dazu kommen bürokratische Hürden, und bei einem Planfeststellungsverfahren gehen in der Regel etliche Jahre ins Land.
Weiteres Problem: Bei der Wiedervernässung entsteht Methan, das vor allem auf kurze Sicht weitaus klimaschädlicher ist als CO₂. Langfristig sei der kühlende Effekt der CO₂-Emissionsminderung jedoch erheblich höher, sagt Franziska Tanneberger. Der zusätzliche Nutzen als natürliche Senke noch nicht miteinberechnet.
Bei der Reform der Geschäftsordnung im Europaparlament nach der Bestechungsaffäre um die inzwischen abgesetzte Vizepräsidentin Eva Kaili zeichnen sich mehrheitsfähige Kompromisse ab. Demnach könnte es zu einer deutlichen Verschärfung der Regeln zu Interessenskonflikten, Nebeneinnahmen sowie Lobbykontakten kommen. Es wird keine Einigung auf einen beratenden Ausschuss geben, dem auch externe Experten angehören und der bei Interessenskonflikten Entscheidungen fällen und Sanktionen aussprechen könnte. Das sind die Ergebnisse der Arbeit der “Workinggroup” unter Leitung von Rainer Wieland (CDU), die Parlamentspräsidentin Roberta Metsola mit der Umsetzung ihres 14-Punkte-Plans für mehr Transparenz eingesetzt hatte.
Berichterstatterin ist Gaby Bischoff (SPD). Ihr Bericht wird im Verfassungsausschuss (AFCO) nächste Woche vorgestellt und Anfang September im Ausschuss und im Plenum abgestimmt. Die Hürde für das Inkrafttreten der Geschäftsordnungsreformen ist hoch: Die Hälfte der 705 Abgeordneten muss zustimmen.
Bei Hinzuverdiensten neben der Abgeordnetentätigkeit mussten bisher die Einnahmen in fünf Verdienstschwellen bis “über 10.000 Euro” monatlich angegeben werden. Künftig müssen Einnahmen in Euro und Cent angegeben werden, sobald der Abgeordnete mehr als 500 Euro im Monat dazuverdient. Der Abgeordnete muss zudem den Namen des Arbeitgebers angeben, den Arbeitsbereich und auch, was er dort genau macht.
Wenn ein Abgeordneter mehrere Tätigkeiten ausübt, müssen die Einnahmen einzeln ausgewiesen werden. Diese Angaben gehören zu der neuen Erklärung der privaten Interessen, die jeder Abgeordnete beim Antritt seines Mandats abgeben muss. Bislang durften Abgeordnete nicht ein Amt im Parlament übernehmen oder Berichterstatter werden, wenn sie nicht die Erklärung abgegeben haben. Künftig ist die Abgabe der Erklärung auch Voraussetzung dafür, dass sie Schattenberichterstatter werden.
Schon jetzt müssen mögliche Interessenskonflikte von Abgeordneten angezeigt werden. Künftig soll der Abgeordnete eine Erklärung abgeben, dass er keinen Interessenkonflikt hat, bevor er Vizepräsident, Quästor, Ausschussvorsitzender oder Vize eines Ausschusses wird. Wenn der Abgeordnete selbst einen Interessenkonflikt sieht, entscheidet das betroffene Parlamentsgremium, ob er dennoch das Amt antreten kann.
Bei Berichterstattern, die einen Interessenkonflikt publik machen, soll im Ausschuss abgestimmt werden, ob er trotzdem den Bericht übernehmen darf. Bei Schattenberichterstattern mit Interessenskonflikt entscheidet die eigene Fraktion. Der Ausschuss kann die Entscheidung der Fraktion mit zwei Dritteln der Stimmen rückgängig machen.
Auch bei der Ausweisung von Lobbykontakten werden die Regeln verschärft. Bislang mussten Ausschussvorsitzende, Berichterstatter und Schattenberichterstatter ihre Kontakte angeben. Jetzt heißt es: Abgeordnete sollen alle Kontakte offenlegen, die parlamentarische Angelegenheiten betreffen, in denen sie als Abgeordnete “eine aktive Rolle spielen”. Das betrifft Aktivitäten wie:
Es wird davon ausgegangen, dass zu den Regeln für Lobbykontakte Grüne, S&D und Linke noch Änderungsanträge stellen.
Streitpunkt bleiben Zusammensetzung und Kompetenzen des beratenden Ausschusses, der für Verstöße zuständig ist. Auf Drängen von S&D und Grünen war die EVP bereit, bei der Besetzung der fünf Mitglieder die Parität der Geschlechter zu akzeptieren. S&D und Grüne wollen, dass im beratenden Ausschuss auch drei unabhängige Experten von außen mitentscheiden. Die EVP wäre bereit gewesen, Ex-Abgeordnete aufzunehmen, nicht aber Parlamentsfremde.
Zu den Kompetenzen heißt es: “Der beratende Ausschuss soll proaktiv darüber wachen, ob die Abgeordneten sich an den Code of Conduct und die Umsetzung der Maßnahmen halten.” Außerdem solle der Ausschuss bei etwaigen Verstößen den Parlamentspräsidenten informieren. Sanktionen werden vom Parlamentspräsidenten verhängt. S&D und Grüne fordern dagegen, dass der Ausschuss formell den Auftrag bekommt, eigene Nachforschungen anzustellen und selbst über Sanktionen entscheidet.
Auch bei der Position des Parlaments zum Vorschlag der Kommission für die institutionenübergreifende Ethikbehörde gibt es Dissens: Die EVP hat sich aus den Verhandlungen über den Entschließungsantrag verabschiedet und wird bei der heutigen Abstimmung mehrheitlich nicht zustimmen.
S&D, Renew, Grüne und Linke üben in der Resolution sehr deutlich Kritik am Vorschlag der Kommission. Die für Donnerstag geplante letzte Sitzung der Fraktionschefs (Conference of Presidents) vor der Sommerpause wurde abgesagt. Damit wird die Abstimmung im Europaparlament über die Koordinierung der Verhandlungen mit den anderen Institutionen über das Ethikgremium auf September verschoben.
In der EU, Japan und den USA geht es bei der Regulierung Künstlicher Intelligenz voran. Anfang der Woche hat die spanische Ratspräsidentschaft ein Papier zur Vorbereitung des Trilogs für den AI Act am 18. Juli vorgelegt. Bis zum heutigen Mittwoch fragen die Japaner die Meinungen der G7-Länder ab, welche Rahmenbedingungen sie für die Entwicklung generativer KI gemeinsam beschließen wollen (Hiroshima AI Process, HAP). Währenddessen hat das Weiße Haus nach Informationen aus Brüssel beschlossen, dass das alles zu langsam geht. Und macht einen eigenen Vorstoß.
Ziel der EU wie auch der G7 ist es, bis zum Jahresende die jeweiligen Verhandlungen abgeschlossen zu haben. Höhepunkt der Beratungen sowohl zum AI Act als auch bei den G7 wird das vierte Quartal sein. Im Herbst wollen die Japaner noch einmal eine Zusammenkunft der Digitalminister organisieren. Derzeit finden Treffen auf Arbeitsebene zum HAP statt. Sowohl Inhalt als auch die Form einer möglichen Vereinbarung – nur Leitlinien oder ein Code of Conduct – sind noch offen.
Brüssel denkt beim HAP über generative KI hinaus und will Foundation Models auch im Anwendungsbereich einer möglichen Vereinbarung sehen. Zudem will die EU einen zentralen Stakeholder-Konsultationsprozess. Und sie will, dass am Ende mehr als eine Deklaration der beteiligten Staaten dabei herauskommt, nämlich ein Code of Conduct, zu dem sich die Unternehmen selbst verpflichten. Diese Selbstverpflichtung soll die Zeit überbrücken bis gesetzliche Regeln in Kraft treten.
Insgesamt 41 Jurisdiktionen weltweit, so heißt es aus informierter Quelle, führen derzeit Konsultationen durch, wie KI regulatorisch beherrscht werden kann. Die EU selbst sieht sich als Vorreiter, denn sie arbeitet bereits seit drei Jahren am AI Act.
Doch jetzt hat die EU ein Problem. Die Amerikaner, die beim Handels- und Technologierat (TTC) in Schweden noch gemeinsam mit der EU der Motor im G7-Prozess sein wollten, wollen jetzt alles schneller und anders machen. Vom gemeinsamen Fahrplan, von dem noch Ende Mai die Rede war, haben sich die Amerikaner wohl verabschiedet.
Nach dem Willen von Präsident Joe Biden sollen die großen Player seines Landes sich freiwillig einem Verhaltenskodex unterwerfen. Offenbar hat das Weiße Haus erkannt, wie viel Aufmerksamkeit das Thema auf sich zieht. Jetzt wird in Brüssel und Washington hinter den Kulissen intensiv diskutiert, wie das mit dem G7-Prozess zu vereinbaren ist.
Parallel laufen die Vorbereitungen zum Trilog. In ihrem Vorbereitungspapier, das Contexte veröffentlicht hat, schreiben die Spanier, dass in den bisherigen technischen Sitzungen bereits einige Teile des Textes für die Bestätigung auf politischer Ebene vorbereitet sind, wie Pflichten im Zusammenhang mit Hochrisikosystemen, Notifizierung und Standards.
Darüber hinaus haben die Spanier weitere Kompromissvorschläge gemacht und bitten die Mitgliedstaaten nun, ihre Haltung dazu mitzuteilen. Hierbei geht es um die Reallabore (regulatory sandboxes) und das Grundrechte-Assessment bei Hochrisiko-KI-Systemen.
Im weiteren Verhandlungsverlauf wird das Thema generative KI der schwierigste Part sein. Federführend beim AI Act auf deutscher Seite sind das Wirtschafts- und Justizministerium. Das Digitalministerium ist jedoch zuständig für die Verhandlungen im Rahmen des Hiroshima AI Process. Dabei gibt es in Berlin auch die Auffassung, dass es womöglich keine gute Idee sei, generative KI jetzt noch in den AI Act einzubauen. Denn sie passt systematisch nicht hinein.
Stattdessen kommt der Vorschlag, lieber am Feinschliff eines “schon sehr guten AI Acts” zu arbeiten und die Frage generativer KI über eine verpflichtende Selbstregulierung im Rahmen eines Code of Conduct zu lösen. Der Vorteil: Das wäre ein Mechanismus mit einer gewissen Flexibilität, der bei der schnellen Entwicklung generativer KI angemessen sei.
Die EU-Kommission hat eine neue Strategie zum Web 4.0 und virtuellen Welten beschlossen. So will sie den technologischen Wandel steuern und ein vertrauenswürdiges, sicheres Umfeld für die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen schaffen. Mit ihrer Mitteilung setzt die EU ein politisches Signal, dass auch im Metaverse die Regeln der EU gelten und dass die EU hier eine führende Rolle spielen will. Besondere Chancen rechnet sich die Kommission in den industriellen Anwendungen des Web 4.0 aus.
Die Strategie basiert auf den Zielen des Politikprogramms für die digitale Dekade für 2030. Sie hat drei Säulen: Kompetenzen, Unternehmen und Verwaltung. Die vierte Säule, Infrastrukturen, ist Gegenstand des Konnektivitätspakets der Kommission. Das Geld für die Projekte kommt aus den Programmen Digitales Europa und Kreatives Europa sowie Horizont Europa.
Im Einzelnen sieht die Strategie vor:
Die Kommission hat darauf verzichtet, mit ihrer Strategie neue Vorschriften zu machen. Stattdessen ist sie zu der Ansicht gekommen, dass der vorhandene Rechtsrahmen – unter anderem bestehend aus DSGVO, DSA, DMA und demnächst auch AI Act – ausreicht, um die Risiken immersiver Technologien zu begrenzen. Es stehe ein ausreichender Werkzeugkasten bereit, heißt es aus der Kommission. Nicht einmal Empfehlungen an die Mitgliedstaaten hat sie ausgegeben.
Kommissar Thierry Breton hatte sich wohl mehr vorgestellt, als er seine Initiative im vergangenen Jahr ankündigte und auf Twitter bewarb. Gestern war ihm die Verkündung weder eine Pressekonferenz noch einen Tweet wert.
Dabei hat die Kommission viel Aufwand in die Erarbeitung der Strategie zu virtuellen Welten gesteckt. Sie konsultierte Stakeholder und veranstaltete ein europäisches Bürgerforum. Die 23 Empfehlungen des Forums flossen nach Angaben der Kommission in die Strategie ein. Bereits im September 2022 hatte die Kommission die Industriekoalition für virtuelle und erweiterte Realität etabliert. Sie bringt Industrie und politische Entscheidungsträger zusammen. vis
Nach Zalando wehrt sich nun auch Amazon gegen die Einstufung als sehr große Internet-Plattform durch die EU-Kommission. Wenn andere große Einzelhändler nicht ebenfalls unter die damit verbundene verschärfte Regulierung fielen, wäre dies eine unfaire Behandlung, teilte der Online-Händler am Dienstag mit. Das Unternehmen bezweifelt, eine “Very Large Online Platform” (VLOP) im Sinne des EU-Digitalgesetzes DSA zu sein. Daher soll ein Gericht die Einstufung widerrufen.
Zalando argumentiert, als Modehändler stellten die Inhalte auf der Webseite kein “systemisches Risiko” für die Verbreitung schädlicher oder illegaler Inhalte von Dritten dar. Dem deutschen Konzern zufolge hat die EU zudem die Nutzerzahlen falsch interpretiert, sodass Zalando unterhalb der für VLOP wichtigen Schwelle von 45 Millionen bleibe.
Neben Zalando wertet die Kommission unter anderem Apple und Google als VLOP. Die Unternehmen haben für die Umsetzung der verschärften Regularien bis August Zeit. Bei Verstößen drohen Bußgelder von bis zu sechs Prozent des Jahresumsatzes. Der EU zufolge haben Klagen keine aufschiebende Wirkung für die Umsetzung der strengeren Regeln. Außerdem gehe es nicht nur um Hassrede, Desinformation und Cybermobbing, sondern auch um Maßnahmen gegen die Einfuhr illegaler oder unsicherer Produkte. rtr
Der Nato-Gipfel in Vilnius sollte ein Zeichen der Geschlossenheit Richtung Moskau setzen. Nun droht am zweiten Gipfeltag in Litauens Hauptstadt Streit auf offener Bühne, wenn Wolodymyr Selenskyj zur Runde hinzukommt. Der Präsident der Ukraine hatte sich vom Gipfel einen klaren Fahrplan für einen Beitritt seines Landes in die Allianz erhofft und muss sich jetzt mit vagen Zusagen zufriedengeben: “Wir laden die Ukraine ein, Mitglied der Allianz zu werden, wenn die Verbündeten sich einig sind und die Bedingungen erfüllt sind”, heißt es im Communiqué, das die Staats- und Regierungschefs am ersten Tag verabschiedet haben.
“Die Signale, die wir auf dem Weg nach Vilnius erhalten, sind enttäuschend”, hatte Selenskyj schon auf der Anreise per Twitter beklagt. Die Ukraine verdiene Respekt. Es sei “beispiellos und absurd”, wenn weder für die Einladung noch für die Mitgliedschaft ein Zeitrahmen festgelegt würde. Es bestehe offenbar nicht die Bereitschaft, die Ukraine aufzunehmen. Selenskyj warnte davor, eine allfällige Nato-Mitgliedschaft zur Verhandlungsmasse für spätere Friedensverhandlungen mit Russland zu machen. Diese Unsicherheit werde Wladimir Putin nur motivieren, seinen Terror fortzusetzen.
Balten und Polen hatten sich an der Seite der Ukraine klar verbindliche Zusagen gewünscht. Sie verstehe, dass ein Beitritt der Ukraine nicht möglich sei, solange der Krieg andauere, sagte Estlands Regierungschefin Kaja Kallas bei der Ankunft. Der Gipfel müsse aber einen eindeutigen Weg für die Ukraine in die Nato vorzeichnen. Eine Mitgliedschaft sei die billigste und beste Sicherheitsgarantie für die Ukraine.
Insbesondere Deutschland und die USA bremsten jedoch. Die Nato dürfe sich nicht in einen Krieg mit Russland hineinziehen lassen, hatte US-Präsident Joe Biden schon im Vorfeld von Vilnius gesagt. Dies würde unweigerlich geschehen, sollte das Bündnis die Ukraine mitten in einem Krieg aufnehmen. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz blieb mit Blick auf eine verbindliche Einladung oder ein Datum vage. Wichtig seien jetzt Sicherheitszusagen, die nach einem Friedensschluss wirksam werden müssten.
Der Protest des ukrainischen Präsidenten verwunderte einige Diplomaten, blieb aber ohne Wirkung. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg musste die schwierige Aufgabe übernehmen, das Ergebnis als Erfolg zu verkaufen. Der Norweger zählte drei konkrete Punkte auf. So erlässt die Nato der Ukraine den sogenannten “Membership Action Plan” (MAP), eine Art Vorprogramm, das Kandidatenstaaten vor einer Einladung sonst absolvieren müssen. Die Nato verspricht der Ukraine zudem jährlich 500 Millionen Euro, um Soldaten auszubilden und die Streitkräfte für eine Zusammenarbeit mit den Verbündeten fit zu machen.
Stoltenberg verwies auch auf die umfangreichen Unterstützungspakete, die unter anderem die USA, Deutschland und Frankreich rechtzeitig zum Gipfel in Vilnius verkündeten. Frankreich liefert erstmals Langstreckenraketen vom Typ Scalp mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern, während Olaf Scholz weitere Munition, Panzer und Luftabwehrsysteme im Wert von 600 Millionen Euro in Aussicht stellte.
Neu eingerichtet wird zudem ein eigener Nato-Ukraine-Rat. Wolodymyr Selenskyj soll heute bei der Premiere dabei sein. In dem neuen Format würden sich die Verbündeten und die Ukraine auf Augenhöhe über Reformen und Sicherheitsfragen austauschen, sagte Jens Stoltenberg. Ob der ukrainische Präsident seine Enttäuschung bis dahin überwunden hat, wird sich zeigen. Feierstimmung für diese Premiere ist jedenfalls nicht garantiert.
Selenskyj traf schon am Abend zusammen mit seiner Frau in Vilnius ein, rechtzeitig für einen Auftritt auf dem Hauptplatz. Bei seiner Rede vor einem Meer von Flaggen in den Farben der Ukraine und Litauens hatte der Präsident das Publikum fest auf seiner Seite. Für die meisten Litauer gehört die Ukraine eindeutig in die Nato.
Er sei mit dem Glauben an eine starke Allianz nach Vilnius gekommen, sagte Selenskyi. Im Glauben an ein Bündnis, das nicht zögere und keine Zeit verschwende. Er hoffe, dass aus diesem Glauben Vertrauen werde. Das sei doch nicht zu viel erwartet, sagte der Präsident der Ukraine und klang da schon sehr enttäuscht. Auf die Staats- und Regierungschefs wartet heute noch viel Überzeugungsarbeit, wenn der Gipfel nicht mit Misstönen zu Ende gehen soll. sti
Aus dem von der deutschen Wirtschaft geforderten raschen Abschluss eines australisch-europäischen Freihandelsabkommens wird vorerst nichts. Beide Seiten hätten es nicht geschafft, die Verhandlungen zu Ende zu führen, sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Dienstag in Brüssel. Die EU und Australien hatten 2018 Verhandlungen aufgenommen und zuletzt in Aussicht gestellt, ein Abkommen am Rande des noch bis Mittwoch laufenden Nato-Gipfels in Litauen unter Dach und Fach zu bringen.
“Wir bedauern, dass es diese Woche nicht möglich war, unsere Gespräche mit Australien abzuschließen”, sagte der Kommissionssprecher. “Wir haben Fortschritte gemacht, aber es bedarf weiterer Arbeit, um wichtige offene Fragen anzugehen.”
Zuvor hatte sich die deutsche Wirtschaft für einen Abschluss am Rande des Nato-Gipfels in Vilnius ausgesprochen, an dem der australische Premierminister Anthony Albanese teilnimmt. Dies wäre “ein Riesenschritt, um die Lieferkettendiversifizierung der heimischen Wirtschaft voranzubringen”, sagte der Außenhandelschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Volker Treier, der Nachrichtenagentur Reuters. Das gemeinsame Handelsabkommen könnte ein Ausrufezeichen gegen den weltweit zunehmenden Protektionismus setzen. Es hätte Zölle umfassend abgeschafft und neue Marktzugänge etwa für öffentliche Beschaffungsmärkte und im Dienstleistungsbereich gesichert, sagte Treier.
Die DIHK fordert die EU dazu auf, sich auch über Australien hinaus stärker in der wirtschaftlichen Potenzialregion Indopazifik zu engagieren. “Der Ausbau und die Sicherung dieser Handelsbeziehungen, an denen Millionen Arbeitsplätze in Europa hängen, sollte im Fokus der handelspolitischen Zeitenwende der EU stehen”, sagte Treier. Weitere Handelsabkommen mit Indien, Indonesien, Thailand, den Philippinen und Malaysia sollten abgeschlossen werden, auch um durch eine stärkere Diversifizierung die derzeitigen Lieferkettenprobleme zu reduzieren. rtr
Das EU-Parlament fordert eine OSZE-Wahlbeobachtermission für die anstehenden Wahlen in Polen. Hintergrund ist unter anderem eine “tiefe Besorgnis” über Änderungen des polnischen Wahlgesetzes, wie aus einer am Dienstag in Straßburg verabschiedeten Resolution hervorgeht. Das Parlament befürchtet unter anderem, dass die Änderungen Wählerinnen und Wähler im Ausland benachteiligen könnten. Die Resolution ist rechtlich nicht bindend.
Polen wählt im Oktober ein neues Parlament, der genaue Termin steht noch nicht fest. Die seit 2015 in Polen amtierende PiS-Regierung ist durch hohe Inflation und zahlreiche Skandale unter Druck geraten. In einem vor knapp einer Woche veröffentlichten Interview hatte der Friedensnobelpreisträger und frühere polnische Präsident Lech Wałęsa ebenfalls die Befürchtung geäußert, dass die Wahl in Polen manipuliert werden könnte.
“Es ist erschütternd, dass wir uns in einem der größten EU-Mitgliedstaaten derartige Sorgen um den Zustand der Demokratie machen müssen”, sagte der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund. Der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner kritisierte: “Zunächst hat die polnische Rechtsregierung das Justizwesen demoliert, dann das EU-Recht für irrelevant erklärt, und nun soll das Wahlrecht den eigenen Interessen untergeordnet werden.” EU-Parlamentsvize Katarina Barley (SPD) sagte: “Die PiS-Regierung greift die Rechte freier Medien und der Opposition frontal an.” Die EU dürfe diesem Abbau des Rechtsstaats nicht tatenlos zusehen. dpa
Das Europäische Parlament hat am Dienstag für die Überarbeitung eines Gesetzes zur Regulierung von Industrieemissionen (IED) gestimmt. Die Abgeordneten sprachen sich darin gegen die Ausweitung des Geltungsbereichs der Richtlinie aus, wie es die EU-Kommission vorgeschlagen hatte. Die Richtlinie legt Regeln für die Vermeidung und Kontrolle von Emissionen großer agroindustrieller Anlagen in Luft, Wasser und Boden fest. Mit der Positionierung des Parlaments können die Trilog-Verhandlungen mit Kommission und Mitgliedstaaten beginnen.
Wie erwartet stimmte die Mehrheit für die vom Landwirtschaftsausschuss (AGRI) eingebrachten Änderungsanträge. Der Ausschuss wollte den Status quo für landwirtschaftliche Betriebe beibehalten, während der federführende Umweltausschuss (ENVI) eine Ausweitung des Geltungsbereichs auf mehr Tierhaltungsbetriebe forderte. Ein von Renew eingebrachter Kompromissvorschlag, der zwischen beiden Ausschusspositionen lag, konnte sich nicht durchsetzen.
So stimmten die Abgeordneten dafür, die derzeitige Regelung beizubehalten: Die Auflagen gelten für Schweinehaltungsbetriebe mit mehr als 2.000 Mastschweinen (über 30 kg) oder mehr als 750 Zuchtsäuen sowie Geflügelhaltungsbetriebe mit mehr als 40.000 Tieren und Betriebe mit mehr als 750 Großvieheinheiten (GVE). Die Kommission hatte ursprünglich einen Schwellenwert von 150 GVE für den gesamten Viehbestand vorgeschlagen.
Die Rinderzucht wird somit nicht in dem Gesetz erfasst. Das begrüßt Peter Liese, umweltpolitischer Sprecher der EVP. “Rinder werden in der Regel in offenen Ställen gehalten. Das kann man mit Industriebetrieben überhaupt nicht vergleichen”, sagt er. Noch wichtiger sei, dass es der EVP “gelungen ist”, einen Antrag zur Wirtschaftstransformation durchzubringen. “Es ist wichtig, dass die Unternehmen, die sich auf den Weg zur Klimaneutralität machen, nicht mit zusätzlichen Auflagen belastet werden.” cst
Das Europäische Parlament hat am Dienstag die Trilog-Ergebnisse zweier Fit-for-55-Gesetze angenommen. Zum einen haben die Abgeordneten mit großer Mehrheit die Regeln für alternative Kraftstoffe (Alternative Fuel Infrastructure Regulation, AFIR) gebilligt. Zum anderen wurden neue Vorschriften für umweltfreundlichere Schiffskraftstoffe (FuelEU Maritime) beschlossen.
Schiffe mit einer Bruttoraumzahl über 5000 müssen ihre Treibhausgasemissionen ab 2025 im Vergleich zum Jahr 2020 um zwei Prozent, ab 2030 um sechs Prozent, ab 2040 um 31 Prozent und ab 2050 um 80 Prozent senken. Fahrten, bei denen Start- oder Zielhafen außerhalb der EU liegen, sind zur Hälfte von den neuen Regeln betroffen. Die EU will mit dieser Verordnung ihren Teil zum Erreichen der globalen Klimaziele des Maritim-Sektors beitragen. Erst vergangene Woche hatte die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) beschlossen, bis etwa 2050 die Netto-Treibhausgasemissionen der Schiffe auf null zu senken.
Mit der AFIR muss für Elektro-Pkw bis Ende 2025 alle 60 Kilometer eine Ladeleistung von mindestens 400 kW installiert und bis Ende 2027 auf 600 kW erhöht werden. Zudem müssen die Mitgliedstaaten pro neu zugelassenem Elektroauto 1,3 kW Ladeleistung und bis Ende 2030 alle 200 Kilometer eine Wasserstofftankstelle zubauen.
Die Mitgliedstaaten müssen beide Gesetze noch final annehmen, anschließend können sie im Amtsblatt der EU veröffentlicht werden. Die AFIR tritt sechs Monate nach der Veröffentlichung in Kraft, die neuen Vorschriften für nachhaltige Schiffskraftstoffe ab 2025. luk
Die Nachfrage nach kritischen Mineralien für grüne Technologien könnte sich bis 2030 verdoppeln. Das geht aus einem neuen Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) hervor. Demnach ist es den Importeuren bisher nicht gelungen, die Rohstoffabhängigkeit von wenigen Lieferländern zu verringern. E-Autos sind bei vielen Rohstoffen der größte Treiber einer erhöhten Nachfrage.
Mit dem Wachstum bei E-Autos, Energiespeichern, Wind- und Solaranlagen und anderen “grünen Technologien” geht eine hohe Nachfrage nach kritischen Mineralien wie Kupfer, Lithium, Kobalt, Nickel und vielen anderen Rohstoffen einher, so die IEA. Setzen die Staaten ihre angekündigten Klimaziele für das Jahr 2030 um, könnte sich die Nachfrage nach diesen Rohstoffen demnach verdoppeln – durch schon angekündigte neue Minen könne das Angebot jedoch schon fast mithalten. Wären die staatlichen Verpflichtungen mit einem Netto-Null-Pfad vereinbar, würde die Nachfrage bis 2030 sogar um das 3,5-fache steigen. Dazu bräuchte es laut IEA weitere Rohstoffförderprojekte.
E-Autos sind bei vielen Rohstoffen für einen Großteil des Nachfrageanstiegs verantwortlich: Laut IEA-Szenario werden E-Autos im Jahr 2030 fast 80 Prozent der weltweiten Lithium-Nachfrage ausmachen, circa 40 Prozent der Kobalt-Nachfrage, gut 35 Prozent der Nickel-Nachfrage und gut 20 Prozent der Neodym-Nachfrage.
Die globale Nachfrage nach Kupfer für grüne Technologien wird sich zwischen 2022 und 2040 verdoppeln. Auch die Wind- und Solarkraft und der Ausbau der Stromnetze wird zu einer erhöhten Rohstoffnachfrage führen. Allerdings sind hier die Anteile an der Gesamtnachfrage nach Rohstoffen nicht so hoch wie bei E-Autos.
Laut IEA ist es den Importeuren bisher nicht gelungen, ihre Abhängigkeit von wenigen Lieferländern zu senken. Teilweise sei die Abhängigkeit in den vergangenen drei Jahren sogar gestiegen:
Europäische Start-ups waren 2022 laut dem Bericht vor allem in den Bereichen Seltene Erden, Wiederverwendung von Batterien und Versorgung mit Batteriematerial tätig. Im Batterie-Recycling sei China zwar weiterhin führend, doch Europa hole auf: Mehr als 300.000 Tonnen Recyclingkapazitäten pro Jahr sind dort laut Berechnungen der IEA geplant, mehr als doppelt so viel wie in den USA.
Europa werde Schätzungen zufolge im Jahr 2030 etwa 15 Prozent des weltweiten Pools an Batterieschrott ausmachen. Daher seien weitere Anreize für das Recycling und eine Standardisierung des Batteriedesigns notwendig, die die EU in der neuen Batterieverordnung adressiert. nib/leo
Sie sei ein Kind der alten Bonner Republik, sagt Katharina Hofmann De Moura. Geboren ist sie in Bonn, aufgewachsen in West-Berlin in den 80er-Jahren. Nach einem Studium in Politikwissenschaft und Internationalen Beziehungen an der FU Berlin absolvierte sie ein Praktikum bei der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Kolumbien.
Seit 2006 arbeitet sie für die SPD-nahe politische Stiftung. Die FES schickte sie nach Shanghai als Projektassistentin, sie wurde Büroleiterin in Mosambik und Brasilien. Aktuell arbeitet sie als Referentin im Think-Tank der Stiftung, dem Referat Globale und Europäische Politik. Sie beobachtet die Sozialdemokratien in Europa und weltweit.
“Das Besondere an der FES ist unser Netzwerk aus 100 Auslandsbüros“, sagt Hofmann De Moura. “Dadurch haben wir einen anderen Zugang in der Analyse der Welt. Wir arbeiten mit lokalen Organisationen vor Ort zusammen.” Sie kooperiert außerdem viel mit externen Wissenschaftlern und ist Herausgeberin des FES-Buchs “Towards a social democratic century?”. Ansonsten organisiert Hofmann De Moura Gespräche zwischen sozialdemokratischen Akteuren. Der Think-Tank will Anreize zur Erneuerung der Sozialdemokratien weltweit geben. “Unser Ziel ist es natürlich auch, die Macht von rechten Parteien einzudämmen.”
Die Lage der sozialdemokratischen Bewegung in Europa beurteilt Hofmann De Moura als schwierig. “Wir befinden uns in einem populistischen Moment in der europäischen Geschichte”, sagt sie. Insbesondere durch die “Poly-krise”, also die Vielzahl an Krisen, und dem Abbau des Wohlfahrtsstaats, wenden sich immer mehr von der Politik ab, und damit eben auch von der Sozialdemokratie.
“Wir befinden uns in einer Wirtschaftsordnung, die in einigen Sektoren wenig staatlich reguliert ist.” Ein Beispiel in Europa sei der Wohnungsmarkt, der derart überhitzt sei, dass Wohnen in Städten für viele Menschen der Mittelschicht unbezahlbar werde. Populisten gaukeln den Wählern bessere Antworten vor. “Ich glaube aber, die haben sie nicht.”
“Sozialdemokraten müssen sich wieder mehr mit den Belangen der Menschen der unteren Mittelschicht beschäftigen“, sagt Hofmann De Moura. “Europa kann eine Chance sein, wenn wir das nicht nur als freien Markt, sondern auch als weltweit einzigartiges soziales System begreifen.” Europäische Firmen müssten deshalb auch außerhalb Europas Sozialstandards setzen. Das Europäische Lieferkettengesetz hält Hofmann De Moura ebenfalls für eine gute Idee.
Gleichzeitig hat die EU mit einem Bedeutungsverlust zu kämpfen. “Die Überheblichkeit, mit der Europa nach außen auftritt, ist nicht mehr angebracht”, sagt Hofmann De Moura. Für wohlhabende Asiaten sei Europa kein Traumziel mehr, sondern nur noch ein historisches Museum.
Schon bald geht es für Hofmann De Moura wieder weg aus dem Berliner FES-Büro. Wie im Auswärtigen Amt rotieren Referenten zwischen Auslandsstation und Zentrale. Wohin genau sie geht, kann sie noch nicht verraten. Tom Schmidtgen
willkommen in Straßburg, wo die Anspannung so hoch ist wie die Temperaturen. In wenigen Stunden werden die Europaabgeordneten über das Schicksal des mittlerweile zum politischen Dynamit gewordenen Renaturierungsgesetzes entscheiden. Der Ausgang der Abstimmung ist ungewiss, wenige Stimmen dürften nach Einschätzung einiger Beobachter den Ausschlag geben. “Plus oder minus fünf Stimmen”, schätzt Pascal Canfin, Vorsitzender des Umweltausschusses und starker Befürworter des Gesetzes.
Am Dienstagmorgen hatten sich Befürworter und Gegner, nur wenige Meter voneinander entfernt, vor dem Vorplatz des Parlaments versammelt: auf der einen Seite die Jugend um Greta Thunberg, flankiert von Mitgliedern der Grünen, Sozialdemokraten und Linken; auf der anderen Seite EVP-Abgeordnete und Bauern mit Traktoren, die vom mächtigen Lobbyverband Copa-Cogeca mobilisiert worden waren.
Zwischen beiden Lagern steht die liberale Renew-Fraktion – ihre Stimmen werden die Waage in die eine oder andere Richtung kippen lassen. Laut dem Renew-Vorsitzenden Stéphane Séjourné wird seine Fraktion zu 30 Prozent für die Ablehnung des Textes stimmen und zu 70 Prozent dagegen.
Renew hat Änderungsanträge eingereicht, die die Position des Rates aufgreifen. Die Hoffnung: EVP-Abgeordnete würden es nicht wagen, sich einem Text zu widersetzen, der von christdemokratischen Regierungen in der Heimat unterstützt wird. Sollten die Abgeordneten dennoch für die Ablehnung des Vorschlags stimmen, bedeute das “Game Over”, so Canfin: Das Dossier könne erst nach den Europawahlen im Juni 2024 wieder aufgenommen werden.
EVP-Fraktionschef Manfred Weber könnte wiederum zeigen, dass er auch andere Mehrheiten als im Bündnis mit Sozialisten, Renew, Grünen und Linken formen kann. Dies wird sicherlich bei anderen Texten zum Green Deal eine Rolle spielen. Mein Kollege Timo Landenberger bietet Ihnen mit seiner Analyse über die Rolle der Moore einen guten Einblick.
Eine spannende Lektüre wünsche ich Ihnen.
Letzte Chance für das Renaturierungssgesetz der EU: Heute Mittag stimmt das Europäische Parlament über das umstrittene neue Regelwerk zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law, NRL) ab. Noch immer ist der Ausgang ungewiss.
Neben dem Erhalt der Biodiversität geht es auch um den Schutz des Klimas. Vor allem die Wiedervernässung von Mooren gilt als entscheidender Hebel, um die Treibhausgas-Emissionen weiter zu senken und darüber hinaus CO₂ aus der Atmosphäre zu entziehen und langfristig zu speichern.
Studien des Greifswald Moor Centrums (GMC) und Wetlands International zufolge wurden mehr als 50 Prozent aller Moorflächen in Europa trockengelegt, um die Böden land- oder forstwirtschaftlich nutzen zu können. In Deutschland sind es sogar fast 100 Prozent. Was einst als kulturhistorische Großtat gefeiert und staatlich gefördert wurde, gilt heute als klimatologisches Desaster.
Denn: Moore sind besonders reich an Kohlenstoff. Durch die Entwässerung und die Verbindung mit Sauerstoff entweicht viel CO₂. So wurden die Gebiete über die Jahrzehnte immer mehr vom Kohlenstoffspeicher zum Emittenten und machen laut GMC derzeit etwa sieben Prozent des gesamten Treibhausgas-Ausstoßes der EU aus. Würde der Wasserstand wieder auf Bodenkante angehoben, könnten diese Emissionen vermieden und langfristig sogar Negativ-Emissionen erreicht werden.
“Darauf können wir nicht verzichten, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen”, sagt Jutta Paulus, NRL-Schattenberichterstatterin der Grünen. Das gelte im Speziellen für die im vergangenen Jahr verabschiedete Verordnung über Landnutzung und Forstwirtschaft (LULUCF). Darin wurde das Ziel für die natürliche Treibhausgas-Senkleistung des Sektors, aufgeteilt auf die EU-Staaten, auf 310 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente ab 2030 festgelegt.
Bislang beruht diese Leistung überwiegend auf Wäldern, deren Speicherfähigkeit war jedoch in Folge von Trockenheit, Waldbränden und Schädlingen zuletzt deutlich gesunken und nimmt weiter ab. “Ohne die Moore wird das also nicht zu schaffen sein”, sagt Paulus. Das gelte auch für den Erhalt der Biodiversität. So seien rund 60 Prozent aller Vogelarten in Europa auf intakte Moore und Feuchtgebiete angewiesen.
Die Position des Umweltrats, der nun auch bei der heutigen Plenarabstimmung die meisten Chancen ausgerechnet werden, sieht vor, die Ziele für die Renaturierung von Mooren für die Jahre 2030, 2040 und 2050 auf 30, 40 beziehungsweise 50 Prozent der Fläche festzulegen. Das sei zu wenig, kritisiert Paulus und setzt sich für die ursprünglichen Kommissionsziele von 30, 50 und 70 Prozent ein.
Doch auch der Kommissionsvorschlag sei noch nicht ambitioniert genug. Schließlich lässt dieser die forstwirtschaftlich genutzten Moorböden außen vor, beschränkt sich auf die Landwirtschaft “und damit ausgerechnet auf jene Flächen mit den größten Nutzungskonflikten”, so Paulus.
So befürchten Gegner des Gesetzesvorhabens eine Verknappung der Nahrungsmittelproduktion und damit eine Verschärfung der ohnehin angespannten Lage. Betroffene Landwirte fürchten gar um ihre Existenzgrundlage.
Franziska Tanneberger, Leiterin des Greifswald Moor Centrums, hält dagegen: “Wir sprechen von lediglich drei Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche der EU, die auf entwässerten Moorböden liegt. Demgegenüber steht ein Viertel der gesamten Agraremissionen, die dadurch entstehen und vermieden werden könnten.”
Dabei gehe es nicht um eine Stilllegung der wiedervernässten Flächen. Vielmehr sei die weitere Bewirtschaftung nicht nur denkbar, sondern auch sinnvoll. Eine Möglichkeit dieser sogenannten Paludikultur: der Anbau von Schilf. Die Pflanzen entziehen der Atmosphäre CO₂ und eignen sich als nachhaltiges Verpackungsmaterial oder als Baustoff.
Nachfrage gebe es beispielsweise bei der Dachdeckung vieler Häuser in Norddeutschland. “Das in Deutschland verwendete Reet wird zu 85 Prozent importiert, großteils aus China”, sagt Tanneberger. “Im Einklang mit Natur- und Klimaschutz könnte auf den Moorflächen also ein nachhaltiges Material produziert werden, an dem großes Interesse besteht. Dies ist eine riesengroße Chance.”
Um bei allen Beteiligten für Planungssicherheit zu sorgen, müssten jedoch die passenden politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Das NRL sei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, andere Bereiche müssten nachziehen, fordert die Landschaftsökologin. So werde etwa durch die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) die Landwirtschaft auf entwässerten Moorböden auch nach der jüngsten Reform weiterhin genauso gefördert, wie bisher. “Daran festzuhalten, steht im Widerspruch zum Green Deal. Denn so ist der Anreiz für eine Umstellung nicht sehr groß, aber irgendwann muss sie erfolgen”, sagt Tanneberger.
Doch das gehe nur im Einvernehmen mit den Betroffenen, fordert der Deutsche Bauernverband (DBV). Voraussetzung sei die Schaffung von gleichwertigen wirtschaftlichen Alternativen für die landwirtschaftlichen Betriebe und deren Familien.
Tatsächlich soll die Wiedervernässung auch nach den Moorschutz-Plänen der Bundesregierung auf Freiwilligkeit beruhen. Das birgt Herausforderungen. Schließlich kann der Wasserstand nicht punktuell auf einzelnen Feldern, sondern nur in zusammenhängenden Gebieten angehoben werden. Entsprechend müssten alle Eigentümer mitziehen. Dazu kommen bürokratische Hürden, und bei einem Planfeststellungsverfahren gehen in der Regel etliche Jahre ins Land.
Weiteres Problem: Bei der Wiedervernässung entsteht Methan, das vor allem auf kurze Sicht weitaus klimaschädlicher ist als CO₂. Langfristig sei der kühlende Effekt der CO₂-Emissionsminderung jedoch erheblich höher, sagt Franziska Tanneberger. Der zusätzliche Nutzen als natürliche Senke noch nicht miteinberechnet.
Bei der Reform der Geschäftsordnung im Europaparlament nach der Bestechungsaffäre um die inzwischen abgesetzte Vizepräsidentin Eva Kaili zeichnen sich mehrheitsfähige Kompromisse ab. Demnach könnte es zu einer deutlichen Verschärfung der Regeln zu Interessenskonflikten, Nebeneinnahmen sowie Lobbykontakten kommen. Es wird keine Einigung auf einen beratenden Ausschuss geben, dem auch externe Experten angehören und der bei Interessenskonflikten Entscheidungen fällen und Sanktionen aussprechen könnte. Das sind die Ergebnisse der Arbeit der “Workinggroup” unter Leitung von Rainer Wieland (CDU), die Parlamentspräsidentin Roberta Metsola mit der Umsetzung ihres 14-Punkte-Plans für mehr Transparenz eingesetzt hatte.
Berichterstatterin ist Gaby Bischoff (SPD). Ihr Bericht wird im Verfassungsausschuss (AFCO) nächste Woche vorgestellt und Anfang September im Ausschuss und im Plenum abgestimmt. Die Hürde für das Inkrafttreten der Geschäftsordnungsreformen ist hoch: Die Hälfte der 705 Abgeordneten muss zustimmen.
Bei Hinzuverdiensten neben der Abgeordnetentätigkeit mussten bisher die Einnahmen in fünf Verdienstschwellen bis “über 10.000 Euro” monatlich angegeben werden. Künftig müssen Einnahmen in Euro und Cent angegeben werden, sobald der Abgeordnete mehr als 500 Euro im Monat dazuverdient. Der Abgeordnete muss zudem den Namen des Arbeitgebers angeben, den Arbeitsbereich und auch, was er dort genau macht.
Wenn ein Abgeordneter mehrere Tätigkeiten ausübt, müssen die Einnahmen einzeln ausgewiesen werden. Diese Angaben gehören zu der neuen Erklärung der privaten Interessen, die jeder Abgeordnete beim Antritt seines Mandats abgeben muss. Bislang durften Abgeordnete nicht ein Amt im Parlament übernehmen oder Berichterstatter werden, wenn sie nicht die Erklärung abgegeben haben. Künftig ist die Abgabe der Erklärung auch Voraussetzung dafür, dass sie Schattenberichterstatter werden.
Schon jetzt müssen mögliche Interessenskonflikte von Abgeordneten angezeigt werden. Künftig soll der Abgeordnete eine Erklärung abgeben, dass er keinen Interessenkonflikt hat, bevor er Vizepräsident, Quästor, Ausschussvorsitzender oder Vize eines Ausschusses wird. Wenn der Abgeordnete selbst einen Interessenkonflikt sieht, entscheidet das betroffene Parlamentsgremium, ob er dennoch das Amt antreten kann.
Bei Berichterstattern, die einen Interessenkonflikt publik machen, soll im Ausschuss abgestimmt werden, ob er trotzdem den Bericht übernehmen darf. Bei Schattenberichterstattern mit Interessenskonflikt entscheidet die eigene Fraktion. Der Ausschuss kann die Entscheidung der Fraktion mit zwei Dritteln der Stimmen rückgängig machen.
Auch bei der Ausweisung von Lobbykontakten werden die Regeln verschärft. Bislang mussten Ausschussvorsitzende, Berichterstatter und Schattenberichterstatter ihre Kontakte angeben. Jetzt heißt es: Abgeordnete sollen alle Kontakte offenlegen, die parlamentarische Angelegenheiten betreffen, in denen sie als Abgeordnete “eine aktive Rolle spielen”. Das betrifft Aktivitäten wie:
Es wird davon ausgegangen, dass zu den Regeln für Lobbykontakte Grüne, S&D und Linke noch Änderungsanträge stellen.
Streitpunkt bleiben Zusammensetzung und Kompetenzen des beratenden Ausschusses, der für Verstöße zuständig ist. Auf Drängen von S&D und Grünen war die EVP bereit, bei der Besetzung der fünf Mitglieder die Parität der Geschlechter zu akzeptieren. S&D und Grüne wollen, dass im beratenden Ausschuss auch drei unabhängige Experten von außen mitentscheiden. Die EVP wäre bereit gewesen, Ex-Abgeordnete aufzunehmen, nicht aber Parlamentsfremde.
Zu den Kompetenzen heißt es: “Der beratende Ausschuss soll proaktiv darüber wachen, ob die Abgeordneten sich an den Code of Conduct und die Umsetzung der Maßnahmen halten.” Außerdem solle der Ausschuss bei etwaigen Verstößen den Parlamentspräsidenten informieren. Sanktionen werden vom Parlamentspräsidenten verhängt. S&D und Grüne fordern dagegen, dass der Ausschuss formell den Auftrag bekommt, eigene Nachforschungen anzustellen und selbst über Sanktionen entscheidet.
Auch bei der Position des Parlaments zum Vorschlag der Kommission für die institutionenübergreifende Ethikbehörde gibt es Dissens: Die EVP hat sich aus den Verhandlungen über den Entschließungsantrag verabschiedet und wird bei der heutigen Abstimmung mehrheitlich nicht zustimmen.
S&D, Renew, Grüne und Linke üben in der Resolution sehr deutlich Kritik am Vorschlag der Kommission. Die für Donnerstag geplante letzte Sitzung der Fraktionschefs (Conference of Presidents) vor der Sommerpause wurde abgesagt. Damit wird die Abstimmung im Europaparlament über die Koordinierung der Verhandlungen mit den anderen Institutionen über das Ethikgremium auf September verschoben.
In der EU, Japan und den USA geht es bei der Regulierung Künstlicher Intelligenz voran. Anfang der Woche hat die spanische Ratspräsidentschaft ein Papier zur Vorbereitung des Trilogs für den AI Act am 18. Juli vorgelegt. Bis zum heutigen Mittwoch fragen die Japaner die Meinungen der G7-Länder ab, welche Rahmenbedingungen sie für die Entwicklung generativer KI gemeinsam beschließen wollen (Hiroshima AI Process, HAP). Währenddessen hat das Weiße Haus nach Informationen aus Brüssel beschlossen, dass das alles zu langsam geht. Und macht einen eigenen Vorstoß.
Ziel der EU wie auch der G7 ist es, bis zum Jahresende die jeweiligen Verhandlungen abgeschlossen zu haben. Höhepunkt der Beratungen sowohl zum AI Act als auch bei den G7 wird das vierte Quartal sein. Im Herbst wollen die Japaner noch einmal eine Zusammenkunft der Digitalminister organisieren. Derzeit finden Treffen auf Arbeitsebene zum HAP statt. Sowohl Inhalt als auch die Form einer möglichen Vereinbarung – nur Leitlinien oder ein Code of Conduct – sind noch offen.
Brüssel denkt beim HAP über generative KI hinaus und will Foundation Models auch im Anwendungsbereich einer möglichen Vereinbarung sehen. Zudem will die EU einen zentralen Stakeholder-Konsultationsprozess. Und sie will, dass am Ende mehr als eine Deklaration der beteiligten Staaten dabei herauskommt, nämlich ein Code of Conduct, zu dem sich die Unternehmen selbst verpflichten. Diese Selbstverpflichtung soll die Zeit überbrücken bis gesetzliche Regeln in Kraft treten.
Insgesamt 41 Jurisdiktionen weltweit, so heißt es aus informierter Quelle, führen derzeit Konsultationen durch, wie KI regulatorisch beherrscht werden kann. Die EU selbst sieht sich als Vorreiter, denn sie arbeitet bereits seit drei Jahren am AI Act.
Doch jetzt hat die EU ein Problem. Die Amerikaner, die beim Handels- und Technologierat (TTC) in Schweden noch gemeinsam mit der EU der Motor im G7-Prozess sein wollten, wollen jetzt alles schneller und anders machen. Vom gemeinsamen Fahrplan, von dem noch Ende Mai die Rede war, haben sich die Amerikaner wohl verabschiedet.
Nach dem Willen von Präsident Joe Biden sollen die großen Player seines Landes sich freiwillig einem Verhaltenskodex unterwerfen. Offenbar hat das Weiße Haus erkannt, wie viel Aufmerksamkeit das Thema auf sich zieht. Jetzt wird in Brüssel und Washington hinter den Kulissen intensiv diskutiert, wie das mit dem G7-Prozess zu vereinbaren ist.
Parallel laufen die Vorbereitungen zum Trilog. In ihrem Vorbereitungspapier, das Contexte veröffentlicht hat, schreiben die Spanier, dass in den bisherigen technischen Sitzungen bereits einige Teile des Textes für die Bestätigung auf politischer Ebene vorbereitet sind, wie Pflichten im Zusammenhang mit Hochrisikosystemen, Notifizierung und Standards.
Darüber hinaus haben die Spanier weitere Kompromissvorschläge gemacht und bitten die Mitgliedstaaten nun, ihre Haltung dazu mitzuteilen. Hierbei geht es um die Reallabore (regulatory sandboxes) und das Grundrechte-Assessment bei Hochrisiko-KI-Systemen.
Im weiteren Verhandlungsverlauf wird das Thema generative KI der schwierigste Part sein. Federführend beim AI Act auf deutscher Seite sind das Wirtschafts- und Justizministerium. Das Digitalministerium ist jedoch zuständig für die Verhandlungen im Rahmen des Hiroshima AI Process. Dabei gibt es in Berlin auch die Auffassung, dass es womöglich keine gute Idee sei, generative KI jetzt noch in den AI Act einzubauen. Denn sie passt systematisch nicht hinein.
Stattdessen kommt der Vorschlag, lieber am Feinschliff eines “schon sehr guten AI Acts” zu arbeiten und die Frage generativer KI über eine verpflichtende Selbstregulierung im Rahmen eines Code of Conduct zu lösen. Der Vorteil: Das wäre ein Mechanismus mit einer gewissen Flexibilität, der bei der schnellen Entwicklung generativer KI angemessen sei.
Die EU-Kommission hat eine neue Strategie zum Web 4.0 und virtuellen Welten beschlossen. So will sie den technologischen Wandel steuern und ein vertrauenswürdiges, sicheres Umfeld für die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen schaffen. Mit ihrer Mitteilung setzt die EU ein politisches Signal, dass auch im Metaverse die Regeln der EU gelten und dass die EU hier eine führende Rolle spielen will. Besondere Chancen rechnet sich die Kommission in den industriellen Anwendungen des Web 4.0 aus.
Die Strategie basiert auf den Zielen des Politikprogramms für die digitale Dekade für 2030. Sie hat drei Säulen: Kompetenzen, Unternehmen und Verwaltung. Die vierte Säule, Infrastrukturen, ist Gegenstand des Konnektivitätspakets der Kommission. Das Geld für die Projekte kommt aus den Programmen Digitales Europa und Kreatives Europa sowie Horizont Europa.
Im Einzelnen sieht die Strategie vor:
Die Kommission hat darauf verzichtet, mit ihrer Strategie neue Vorschriften zu machen. Stattdessen ist sie zu der Ansicht gekommen, dass der vorhandene Rechtsrahmen – unter anderem bestehend aus DSGVO, DSA, DMA und demnächst auch AI Act – ausreicht, um die Risiken immersiver Technologien zu begrenzen. Es stehe ein ausreichender Werkzeugkasten bereit, heißt es aus der Kommission. Nicht einmal Empfehlungen an die Mitgliedstaaten hat sie ausgegeben.
Kommissar Thierry Breton hatte sich wohl mehr vorgestellt, als er seine Initiative im vergangenen Jahr ankündigte und auf Twitter bewarb. Gestern war ihm die Verkündung weder eine Pressekonferenz noch einen Tweet wert.
Dabei hat die Kommission viel Aufwand in die Erarbeitung der Strategie zu virtuellen Welten gesteckt. Sie konsultierte Stakeholder und veranstaltete ein europäisches Bürgerforum. Die 23 Empfehlungen des Forums flossen nach Angaben der Kommission in die Strategie ein. Bereits im September 2022 hatte die Kommission die Industriekoalition für virtuelle und erweiterte Realität etabliert. Sie bringt Industrie und politische Entscheidungsträger zusammen. vis
Nach Zalando wehrt sich nun auch Amazon gegen die Einstufung als sehr große Internet-Plattform durch die EU-Kommission. Wenn andere große Einzelhändler nicht ebenfalls unter die damit verbundene verschärfte Regulierung fielen, wäre dies eine unfaire Behandlung, teilte der Online-Händler am Dienstag mit. Das Unternehmen bezweifelt, eine “Very Large Online Platform” (VLOP) im Sinne des EU-Digitalgesetzes DSA zu sein. Daher soll ein Gericht die Einstufung widerrufen.
Zalando argumentiert, als Modehändler stellten die Inhalte auf der Webseite kein “systemisches Risiko” für die Verbreitung schädlicher oder illegaler Inhalte von Dritten dar. Dem deutschen Konzern zufolge hat die EU zudem die Nutzerzahlen falsch interpretiert, sodass Zalando unterhalb der für VLOP wichtigen Schwelle von 45 Millionen bleibe.
Neben Zalando wertet die Kommission unter anderem Apple und Google als VLOP. Die Unternehmen haben für die Umsetzung der verschärften Regularien bis August Zeit. Bei Verstößen drohen Bußgelder von bis zu sechs Prozent des Jahresumsatzes. Der EU zufolge haben Klagen keine aufschiebende Wirkung für die Umsetzung der strengeren Regeln. Außerdem gehe es nicht nur um Hassrede, Desinformation und Cybermobbing, sondern auch um Maßnahmen gegen die Einfuhr illegaler oder unsicherer Produkte. rtr
Der Nato-Gipfel in Vilnius sollte ein Zeichen der Geschlossenheit Richtung Moskau setzen. Nun droht am zweiten Gipfeltag in Litauens Hauptstadt Streit auf offener Bühne, wenn Wolodymyr Selenskyj zur Runde hinzukommt. Der Präsident der Ukraine hatte sich vom Gipfel einen klaren Fahrplan für einen Beitritt seines Landes in die Allianz erhofft und muss sich jetzt mit vagen Zusagen zufriedengeben: “Wir laden die Ukraine ein, Mitglied der Allianz zu werden, wenn die Verbündeten sich einig sind und die Bedingungen erfüllt sind”, heißt es im Communiqué, das die Staats- und Regierungschefs am ersten Tag verabschiedet haben.
“Die Signale, die wir auf dem Weg nach Vilnius erhalten, sind enttäuschend”, hatte Selenskyj schon auf der Anreise per Twitter beklagt. Die Ukraine verdiene Respekt. Es sei “beispiellos und absurd”, wenn weder für die Einladung noch für die Mitgliedschaft ein Zeitrahmen festgelegt würde. Es bestehe offenbar nicht die Bereitschaft, die Ukraine aufzunehmen. Selenskyj warnte davor, eine allfällige Nato-Mitgliedschaft zur Verhandlungsmasse für spätere Friedensverhandlungen mit Russland zu machen. Diese Unsicherheit werde Wladimir Putin nur motivieren, seinen Terror fortzusetzen.
Balten und Polen hatten sich an der Seite der Ukraine klar verbindliche Zusagen gewünscht. Sie verstehe, dass ein Beitritt der Ukraine nicht möglich sei, solange der Krieg andauere, sagte Estlands Regierungschefin Kaja Kallas bei der Ankunft. Der Gipfel müsse aber einen eindeutigen Weg für die Ukraine in die Nato vorzeichnen. Eine Mitgliedschaft sei die billigste und beste Sicherheitsgarantie für die Ukraine.
Insbesondere Deutschland und die USA bremsten jedoch. Die Nato dürfe sich nicht in einen Krieg mit Russland hineinziehen lassen, hatte US-Präsident Joe Biden schon im Vorfeld von Vilnius gesagt. Dies würde unweigerlich geschehen, sollte das Bündnis die Ukraine mitten in einem Krieg aufnehmen. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz blieb mit Blick auf eine verbindliche Einladung oder ein Datum vage. Wichtig seien jetzt Sicherheitszusagen, die nach einem Friedensschluss wirksam werden müssten.
Der Protest des ukrainischen Präsidenten verwunderte einige Diplomaten, blieb aber ohne Wirkung. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg musste die schwierige Aufgabe übernehmen, das Ergebnis als Erfolg zu verkaufen. Der Norweger zählte drei konkrete Punkte auf. So erlässt die Nato der Ukraine den sogenannten “Membership Action Plan” (MAP), eine Art Vorprogramm, das Kandidatenstaaten vor einer Einladung sonst absolvieren müssen. Die Nato verspricht der Ukraine zudem jährlich 500 Millionen Euro, um Soldaten auszubilden und die Streitkräfte für eine Zusammenarbeit mit den Verbündeten fit zu machen.
Stoltenberg verwies auch auf die umfangreichen Unterstützungspakete, die unter anderem die USA, Deutschland und Frankreich rechtzeitig zum Gipfel in Vilnius verkündeten. Frankreich liefert erstmals Langstreckenraketen vom Typ Scalp mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern, während Olaf Scholz weitere Munition, Panzer und Luftabwehrsysteme im Wert von 600 Millionen Euro in Aussicht stellte.
Neu eingerichtet wird zudem ein eigener Nato-Ukraine-Rat. Wolodymyr Selenskyj soll heute bei der Premiere dabei sein. In dem neuen Format würden sich die Verbündeten und die Ukraine auf Augenhöhe über Reformen und Sicherheitsfragen austauschen, sagte Jens Stoltenberg. Ob der ukrainische Präsident seine Enttäuschung bis dahin überwunden hat, wird sich zeigen. Feierstimmung für diese Premiere ist jedenfalls nicht garantiert.
Selenskyj traf schon am Abend zusammen mit seiner Frau in Vilnius ein, rechtzeitig für einen Auftritt auf dem Hauptplatz. Bei seiner Rede vor einem Meer von Flaggen in den Farben der Ukraine und Litauens hatte der Präsident das Publikum fest auf seiner Seite. Für die meisten Litauer gehört die Ukraine eindeutig in die Nato.
Er sei mit dem Glauben an eine starke Allianz nach Vilnius gekommen, sagte Selenskyi. Im Glauben an ein Bündnis, das nicht zögere und keine Zeit verschwende. Er hoffe, dass aus diesem Glauben Vertrauen werde. Das sei doch nicht zu viel erwartet, sagte der Präsident der Ukraine und klang da schon sehr enttäuscht. Auf die Staats- und Regierungschefs wartet heute noch viel Überzeugungsarbeit, wenn der Gipfel nicht mit Misstönen zu Ende gehen soll. sti
Aus dem von der deutschen Wirtschaft geforderten raschen Abschluss eines australisch-europäischen Freihandelsabkommens wird vorerst nichts. Beide Seiten hätten es nicht geschafft, die Verhandlungen zu Ende zu führen, sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Dienstag in Brüssel. Die EU und Australien hatten 2018 Verhandlungen aufgenommen und zuletzt in Aussicht gestellt, ein Abkommen am Rande des noch bis Mittwoch laufenden Nato-Gipfels in Litauen unter Dach und Fach zu bringen.
“Wir bedauern, dass es diese Woche nicht möglich war, unsere Gespräche mit Australien abzuschließen”, sagte der Kommissionssprecher. “Wir haben Fortschritte gemacht, aber es bedarf weiterer Arbeit, um wichtige offene Fragen anzugehen.”
Zuvor hatte sich die deutsche Wirtschaft für einen Abschluss am Rande des Nato-Gipfels in Vilnius ausgesprochen, an dem der australische Premierminister Anthony Albanese teilnimmt. Dies wäre “ein Riesenschritt, um die Lieferkettendiversifizierung der heimischen Wirtschaft voranzubringen”, sagte der Außenhandelschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Volker Treier, der Nachrichtenagentur Reuters. Das gemeinsame Handelsabkommen könnte ein Ausrufezeichen gegen den weltweit zunehmenden Protektionismus setzen. Es hätte Zölle umfassend abgeschafft und neue Marktzugänge etwa für öffentliche Beschaffungsmärkte und im Dienstleistungsbereich gesichert, sagte Treier.
Die DIHK fordert die EU dazu auf, sich auch über Australien hinaus stärker in der wirtschaftlichen Potenzialregion Indopazifik zu engagieren. “Der Ausbau und die Sicherung dieser Handelsbeziehungen, an denen Millionen Arbeitsplätze in Europa hängen, sollte im Fokus der handelspolitischen Zeitenwende der EU stehen”, sagte Treier. Weitere Handelsabkommen mit Indien, Indonesien, Thailand, den Philippinen und Malaysia sollten abgeschlossen werden, auch um durch eine stärkere Diversifizierung die derzeitigen Lieferkettenprobleme zu reduzieren. rtr
Das EU-Parlament fordert eine OSZE-Wahlbeobachtermission für die anstehenden Wahlen in Polen. Hintergrund ist unter anderem eine “tiefe Besorgnis” über Änderungen des polnischen Wahlgesetzes, wie aus einer am Dienstag in Straßburg verabschiedeten Resolution hervorgeht. Das Parlament befürchtet unter anderem, dass die Änderungen Wählerinnen und Wähler im Ausland benachteiligen könnten. Die Resolution ist rechtlich nicht bindend.
Polen wählt im Oktober ein neues Parlament, der genaue Termin steht noch nicht fest. Die seit 2015 in Polen amtierende PiS-Regierung ist durch hohe Inflation und zahlreiche Skandale unter Druck geraten. In einem vor knapp einer Woche veröffentlichten Interview hatte der Friedensnobelpreisträger und frühere polnische Präsident Lech Wałęsa ebenfalls die Befürchtung geäußert, dass die Wahl in Polen manipuliert werden könnte.
“Es ist erschütternd, dass wir uns in einem der größten EU-Mitgliedstaaten derartige Sorgen um den Zustand der Demokratie machen müssen”, sagte der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund. Der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner kritisierte: “Zunächst hat die polnische Rechtsregierung das Justizwesen demoliert, dann das EU-Recht für irrelevant erklärt, und nun soll das Wahlrecht den eigenen Interessen untergeordnet werden.” EU-Parlamentsvize Katarina Barley (SPD) sagte: “Die PiS-Regierung greift die Rechte freier Medien und der Opposition frontal an.” Die EU dürfe diesem Abbau des Rechtsstaats nicht tatenlos zusehen. dpa
Das Europäische Parlament hat am Dienstag für die Überarbeitung eines Gesetzes zur Regulierung von Industrieemissionen (IED) gestimmt. Die Abgeordneten sprachen sich darin gegen die Ausweitung des Geltungsbereichs der Richtlinie aus, wie es die EU-Kommission vorgeschlagen hatte. Die Richtlinie legt Regeln für die Vermeidung und Kontrolle von Emissionen großer agroindustrieller Anlagen in Luft, Wasser und Boden fest. Mit der Positionierung des Parlaments können die Trilog-Verhandlungen mit Kommission und Mitgliedstaaten beginnen.
Wie erwartet stimmte die Mehrheit für die vom Landwirtschaftsausschuss (AGRI) eingebrachten Änderungsanträge. Der Ausschuss wollte den Status quo für landwirtschaftliche Betriebe beibehalten, während der federführende Umweltausschuss (ENVI) eine Ausweitung des Geltungsbereichs auf mehr Tierhaltungsbetriebe forderte. Ein von Renew eingebrachter Kompromissvorschlag, der zwischen beiden Ausschusspositionen lag, konnte sich nicht durchsetzen.
So stimmten die Abgeordneten dafür, die derzeitige Regelung beizubehalten: Die Auflagen gelten für Schweinehaltungsbetriebe mit mehr als 2.000 Mastschweinen (über 30 kg) oder mehr als 750 Zuchtsäuen sowie Geflügelhaltungsbetriebe mit mehr als 40.000 Tieren und Betriebe mit mehr als 750 Großvieheinheiten (GVE). Die Kommission hatte ursprünglich einen Schwellenwert von 150 GVE für den gesamten Viehbestand vorgeschlagen.
Die Rinderzucht wird somit nicht in dem Gesetz erfasst. Das begrüßt Peter Liese, umweltpolitischer Sprecher der EVP. “Rinder werden in der Regel in offenen Ställen gehalten. Das kann man mit Industriebetrieben überhaupt nicht vergleichen”, sagt er. Noch wichtiger sei, dass es der EVP “gelungen ist”, einen Antrag zur Wirtschaftstransformation durchzubringen. “Es ist wichtig, dass die Unternehmen, die sich auf den Weg zur Klimaneutralität machen, nicht mit zusätzlichen Auflagen belastet werden.” cst
Das Europäische Parlament hat am Dienstag die Trilog-Ergebnisse zweier Fit-for-55-Gesetze angenommen. Zum einen haben die Abgeordneten mit großer Mehrheit die Regeln für alternative Kraftstoffe (Alternative Fuel Infrastructure Regulation, AFIR) gebilligt. Zum anderen wurden neue Vorschriften für umweltfreundlichere Schiffskraftstoffe (FuelEU Maritime) beschlossen.
Schiffe mit einer Bruttoraumzahl über 5000 müssen ihre Treibhausgasemissionen ab 2025 im Vergleich zum Jahr 2020 um zwei Prozent, ab 2030 um sechs Prozent, ab 2040 um 31 Prozent und ab 2050 um 80 Prozent senken. Fahrten, bei denen Start- oder Zielhafen außerhalb der EU liegen, sind zur Hälfte von den neuen Regeln betroffen. Die EU will mit dieser Verordnung ihren Teil zum Erreichen der globalen Klimaziele des Maritim-Sektors beitragen. Erst vergangene Woche hatte die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) beschlossen, bis etwa 2050 die Netto-Treibhausgasemissionen der Schiffe auf null zu senken.
Mit der AFIR muss für Elektro-Pkw bis Ende 2025 alle 60 Kilometer eine Ladeleistung von mindestens 400 kW installiert und bis Ende 2027 auf 600 kW erhöht werden. Zudem müssen die Mitgliedstaaten pro neu zugelassenem Elektroauto 1,3 kW Ladeleistung und bis Ende 2030 alle 200 Kilometer eine Wasserstofftankstelle zubauen.
Die Mitgliedstaaten müssen beide Gesetze noch final annehmen, anschließend können sie im Amtsblatt der EU veröffentlicht werden. Die AFIR tritt sechs Monate nach der Veröffentlichung in Kraft, die neuen Vorschriften für nachhaltige Schiffskraftstoffe ab 2025. luk
Die Nachfrage nach kritischen Mineralien für grüne Technologien könnte sich bis 2030 verdoppeln. Das geht aus einem neuen Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) hervor. Demnach ist es den Importeuren bisher nicht gelungen, die Rohstoffabhängigkeit von wenigen Lieferländern zu verringern. E-Autos sind bei vielen Rohstoffen der größte Treiber einer erhöhten Nachfrage.
Mit dem Wachstum bei E-Autos, Energiespeichern, Wind- und Solaranlagen und anderen “grünen Technologien” geht eine hohe Nachfrage nach kritischen Mineralien wie Kupfer, Lithium, Kobalt, Nickel und vielen anderen Rohstoffen einher, so die IEA. Setzen die Staaten ihre angekündigten Klimaziele für das Jahr 2030 um, könnte sich die Nachfrage nach diesen Rohstoffen demnach verdoppeln – durch schon angekündigte neue Minen könne das Angebot jedoch schon fast mithalten. Wären die staatlichen Verpflichtungen mit einem Netto-Null-Pfad vereinbar, würde die Nachfrage bis 2030 sogar um das 3,5-fache steigen. Dazu bräuchte es laut IEA weitere Rohstoffförderprojekte.
E-Autos sind bei vielen Rohstoffen für einen Großteil des Nachfrageanstiegs verantwortlich: Laut IEA-Szenario werden E-Autos im Jahr 2030 fast 80 Prozent der weltweiten Lithium-Nachfrage ausmachen, circa 40 Prozent der Kobalt-Nachfrage, gut 35 Prozent der Nickel-Nachfrage und gut 20 Prozent der Neodym-Nachfrage.
Die globale Nachfrage nach Kupfer für grüne Technologien wird sich zwischen 2022 und 2040 verdoppeln. Auch die Wind- und Solarkraft und der Ausbau der Stromnetze wird zu einer erhöhten Rohstoffnachfrage führen. Allerdings sind hier die Anteile an der Gesamtnachfrage nach Rohstoffen nicht so hoch wie bei E-Autos.
Laut IEA ist es den Importeuren bisher nicht gelungen, ihre Abhängigkeit von wenigen Lieferländern zu senken. Teilweise sei die Abhängigkeit in den vergangenen drei Jahren sogar gestiegen:
Europäische Start-ups waren 2022 laut dem Bericht vor allem in den Bereichen Seltene Erden, Wiederverwendung von Batterien und Versorgung mit Batteriematerial tätig. Im Batterie-Recycling sei China zwar weiterhin führend, doch Europa hole auf: Mehr als 300.000 Tonnen Recyclingkapazitäten pro Jahr sind dort laut Berechnungen der IEA geplant, mehr als doppelt so viel wie in den USA.
Europa werde Schätzungen zufolge im Jahr 2030 etwa 15 Prozent des weltweiten Pools an Batterieschrott ausmachen. Daher seien weitere Anreize für das Recycling und eine Standardisierung des Batteriedesigns notwendig, die die EU in der neuen Batterieverordnung adressiert. nib/leo
Sie sei ein Kind der alten Bonner Republik, sagt Katharina Hofmann De Moura. Geboren ist sie in Bonn, aufgewachsen in West-Berlin in den 80er-Jahren. Nach einem Studium in Politikwissenschaft und Internationalen Beziehungen an der FU Berlin absolvierte sie ein Praktikum bei der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Kolumbien.
Seit 2006 arbeitet sie für die SPD-nahe politische Stiftung. Die FES schickte sie nach Shanghai als Projektassistentin, sie wurde Büroleiterin in Mosambik und Brasilien. Aktuell arbeitet sie als Referentin im Think-Tank der Stiftung, dem Referat Globale und Europäische Politik. Sie beobachtet die Sozialdemokratien in Europa und weltweit.
“Das Besondere an der FES ist unser Netzwerk aus 100 Auslandsbüros“, sagt Hofmann De Moura. “Dadurch haben wir einen anderen Zugang in der Analyse der Welt. Wir arbeiten mit lokalen Organisationen vor Ort zusammen.” Sie kooperiert außerdem viel mit externen Wissenschaftlern und ist Herausgeberin des FES-Buchs “Towards a social democratic century?”. Ansonsten organisiert Hofmann De Moura Gespräche zwischen sozialdemokratischen Akteuren. Der Think-Tank will Anreize zur Erneuerung der Sozialdemokratien weltweit geben. “Unser Ziel ist es natürlich auch, die Macht von rechten Parteien einzudämmen.”
Die Lage der sozialdemokratischen Bewegung in Europa beurteilt Hofmann De Moura als schwierig. “Wir befinden uns in einem populistischen Moment in der europäischen Geschichte”, sagt sie. Insbesondere durch die “Poly-krise”, also die Vielzahl an Krisen, und dem Abbau des Wohlfahrtsstaats, wenden sich immer mehr von der Politik ab, und damit eben auch von der Sozialdemokratie.
“Wir befinden uns in einer Wirtschaftsordnung, die in einigen Sektoren wenig staatlich reguliert ist.” Ein Beispiel in Europa sei der Wohnungsmarkt, der derart überhitzt sei, dass Wohnen in Städten für viele Menschen der Mittelschicht unbezahlbar werde. Populisten gaukeln den Wählern bessere Antworten vor. “Ich glaube aber, die haben sie nicht.”
“Sozialdemokraten müssen sich wieder mehr mit den Belangen der Menschen der unteren Mittelschicht beschäftigen“, sagt Hofmann De Moura. “Europa kann eine Chance sein, wenn wir das nicht nur als freien Markt, sondern auch als weltweit einzigartiges soziales System begreifen.” Europäische Firmen müssten deshalb auch außerhalb Europas Sozialstandards setzen. Das Europäische Lieferkettengesetz hält Hofmann De Moura ebenfalls für eine gute Idee.
Gleichzeitig hat die EU mit einem Bedeutungsverlust zu kämpfen. “Die Überheblichkeit, mit der Europa nach außen auftritt, ist nicht mehr angebracht”, sagt Hofmann De Moura. Für wohlhabende Asiaten sei Europa kein Traumziel mehr, sondern nur noch ein historisches Museum.
Schon bald geht es für Hofmann De Moura wieder weg aus dem Berliner FES-Büro. Wie im Auswärtigen Amt rotieren Referenten zwischen Auslandsstation und Zentrale. Wohin genau sie geht, kann sie noch nicht verraten. Tom Schmidtgen