Frans Timmermans verlässt Brüssel. Auch wenn bereits seit Monaten darüber spekuliert wurde, war das in EU-Kreisen gestern die Nachricht des Tages. Der Kommissionsvize will es noch einmal auf nationaler Ebene wissen und Ministerpräsident in den Niederlanden werden. Egal, ob er die Wahl gewinnt oder verliert, der EU-Kommission wird er voraussichtlich schon ab Mitte August den Rücken kehren, wenn das rot-grüne Bündnis offiziell ihren Kandidaten kürt. Was der Abgang Timmermans’ für Brüssel bedeutet, haben mein Kollege Till Hoppe und ich analysiert.
Für den Green Deal ist Timmermans’ geplanter Umzug nach Den Haag ein großer Verlust, galt er doch als der Macher und Verteidiger des EU-Klima- und Umweltpakets. Und mit der Wahl in Spanien könnte den Befürwortern bald eine weitere Stütze im Rat wegbrechen. Claire Stam schreibt in ihrer Kolumne, wie sich ein Wahlsieg der konservativen Volkspartei (PP) Spaniens auf den Green Deal auswirken kann.
Wofür Alberto Núñez Feijóo – der mögliche Wahlsieger der PP – steht, erfahren Sie im Stück meiner Kollegin Isabel Cuesta Camacho.
Viel Spaß beim Lesen und ein erholsames Wochenende
“Ich habe heute Morgen der Arbeiterpartei und GroenLinks mitgeteilt, dass ich bei den nächsten Wahlen als Spitzenkandidat für diese beiden Parteien kandidieren möchte”, sagte Frans Timmermans am Donnerstag. Damit ist offiziell, was seit Ende vergangenen Jahres als Gerücht kursierte und sich seit dem Rücktritt des niederländischen Premierministers Mark Rutte vor zwei Wochen konkretisiert hatte: Timmermans will Brüssel den Rücken zukehren, um Ruttes Nachfolger zu werden.
Das ist gleichbedeutend mit seinem frühzeitigen Aus als Exekutiv-Vizepräsident der Kommission und Chef des Green Deal. Allerdings nicht sofort. Die beiden Bündnis-Parteien PvdA und GroenLinks wollen ihren Spitzenkandidaten bis zum 22. August benennen. Solange kann der 62-Jährige noch in der Kommission bleiben.
Das stellte auch ein Sprecher am Donnerstag klar: Die Kandidatur sei zunächst hypothetisch und Gegenstand eines parteiinternen Verfahrens. Bis zum Abschluss dieses Prozesses habe dies keine Auswirkungen auf Timmermans’ Verfügbarkeit als Mitglied des Kollegiums. Der Verhaltenskodex für Kommissare sieht vor, dass die Mitglieder in “unbezahlten Wahlurlaub” gehen, wenn sie bei einer nationalen Wahl antreten. Allerdings könnte Timmermans gleich ganz ausscheiden: In einem Interview kündigte er an, ins niederländische Parlament einziehen zu wollen, wenn er nicht Premier werde.
Die einen bedauern Timmermans’ Rückzug aus Brüssel. So kommentierte der grüne EU-Abgeordnete Michael Bloss, die Kommission verliere den visionären Baumeister des Green Deals, dessen Erfolge historisch seien. Der niederländische Sozialdemokrat Mohammed Chahim sagte, Timmermans sei das, was die Niederlande brauchten: “Führung und Vision, um die Niederlande grüner und sozialer zu machen.”
Andere begrüßen hingegen, dass Timmermans Brüssel den Rücken kehrt. Timmermans Weggang sei gut für den Klimaschutz, sagte Peter Liese, umweltpolitischer Sprecher der EVP. Mit seiner provokanten Art habe er die Diskussion um das Renaturierungsgesetz verkompliziert. Lieses Pateikollege Dennis Radtke schrieb: “Es gibt wohl kaum jemanden, der in den letzten Jahren so großen Schaden angerichtet hat in Europa und dem Arbeitsplätze und sozialer Ausgleich so egal waren.”
Wegen Timmermans’ Kandidatur steht von der Leyen nun im letzten Jahr der Amtsperiode eine größere Personalrochade bevor. Mit Margrethe Vestager hatte zuvor bereits eine andere ihrer Executive Vice Presidents (EVPs) die Beurlaubung beantragt, um sich für die Spitze der Europäischen Investitionsbank zu bewerben. Damit wird von den drei EVPs nach der Sommerpause voraussichtlich nur noch Valdis Dombrovskis übrig sein. Vestager hatte erst kurz zuvor die Aufgaben von Forschungskommissarin Marija Gabriel übernommen, die inzwischen Außenministerin Bulgariens ist.
Von der Leyen lässt sich noch nicht in die Karten blicken, wie sie die Lücken zu schließen gedenkt. Zunächst sind ohnehin die dänische und die niederländische Regierung am Zug, neue Kandidaten für die Kommission zu benennen. Deren Profil dürfte Einfluss darauf haben, ob von der Leyen sich für eine größere Rotation ihrer Kommissare entscheidet. Die Länder haben jedenfalls keinen Anspruch darauf, die gleichen Portfolios zu besetzen. Nach dem Rücktritt des irischen Handelskommissars Phil Hogan im Jahr 2020 hatte dessen Nachfolgerin Mairead McGuinness die Zuständigkeit für Finanzdienstleistungen erhalten.
In EU-Kreisen wird spekuliert, dass der Green Deal entweder vom italienischen Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni oder von Maroš Šefčovič, Vizepräsident für interinstitutionelle Beziehungen, übernommen wird. Letzterer war zuvor Energiekommissar, weshalb er für den Posten als geeignet gilt.
Die wesentlichen Gesetzesvorschläge des Fit-for-55-Pakets sind ohnehin bereits verabschiedet. Noch im Trilog befinden sich insbesondere die Dossiers zum Naturschutz und der Landwirtschaft, wie das Renaturierungsgesetz, die Industrieemissionsrichtlinie, die Pestizide-Verordnung und die Regulierung zur neuen Gentechnik.
Timmermans hatte sich auch in diese Debatten geworfen. Doch zuständig für die Farm-to-Fork-Strategie sowie die Biodiversitätsstrategie ist nicht Timmermans, sondern Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius. Dieser hat zwar weniger politisches Gewicht als Timmermans, löst aber auch weniger Abstoßungsreaktionen bei den konservativen Kräften aus.
Beobachter der niederländischen Politik sprechen Timmermans durchaus Chancen bei den Wahlen im November zu. Da Rutte nach 13 Jahren als Ministerpräsident nicht mehr antritt, ist das Rennen weitgehend offen. Zunächst einmal muss Timmermans sich die Spitzenkandidatur sichern, noch bis 4. August können Gegenkandidaten antreten. Am Donnerstag stellten sich aber mehrere Parteigrößen von PvdA und GroenLinks hinter seine Kandidatur.
Im Wahlkampf könnte der wortgewaltige Green-Deal-Kommissar Stimmen von anderen progressiven Mitte-Links-Parteien für sich gewinnen. Das gilt insbesondere für die linksliberale D66, die wohl mit Klimaminister Rob Jetten in den Wahlkampf ziehen wird. Mit Till Hoppe
Alberto Núñez Feijóo hat seine politischen Rivalen schon öfter an der Wahlurne geschlagen. Viermal gewann er die Regionalwahlen in Galicien mit absoluter Mehrheit und war somit 13 Jahre lang, von 2009 bis 2022, Präsident der nordwestlichen Region. Auch diesmal, als Kandidat der Partido Popular (PP) bei den anstehenden Parlamentswahlen, will Feijóo mit absoluter Mehrheit gewinnen. Die Umfragen sehen ihn mit rund 34 Prozent der Stimmen und bis zu 145 Sitzen als Sieger der Wahlen am kommenden Sonntag. Für eine absolute Mehrheit von 176 Sitzen bräuchte er allerdings die rechtsextreme Partei Vox.
“Ich werde nicht sagen, dass ich mit Vox paktieren werde, weil ich nicht mit Vox paktieren will“, sagte Feijóo diese Woche in einem Interview mit der Zeitung “La Voz de Galicia”. Feijóo behauptet, dass es vier rote Linien gebe, die ihn und seine konservative Volkspartei von Vox trennen: “die Achtung der Verfassung, der Status der autonomen Regionen, das Problem der Gewalt gegen Frauen und die Position zum Klimawandel. Kurz gesagt, die Themen, die meine politische Biografie ausmachen”.
Dennoch hat Feijóo den PP-Regionalräten grünes Licht gegeben, mit Vox zusammenzuarbeiten. Die Pakte zwischen PP und Vox in Regionen wie Valencia und Extremadura werfen die Frage auf, wie Feijóo vorgehen wird, sollte er Vox zur Regierungsbildung brauchen.
Der 62-Jährige hat ein konservatives Profil ähnlich dem ehemaligen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy (PP), der ebenfalls aus Galicien stammt: Er will einen starken Staat, aber möglichst ohne Steuererhöhungen. So verspricht er, dem “Wirtschaftspopulismus” der Koalitionsregierung von Pedro Sánchez ein Ende zu setzen. Dazu gehöre die Senkung der Einkommenssteuer für diejenigen, die weniger als 40.000 Euro brutto im Jahr verdienen und die Abschaffung der Sondersteuern, die Sánchez großen Vermögen, Banken und Energieunternehmen auferlegt hatte. Feijóo möchte auch die politische Mitte zurückgewinnen, da diese Legislaturperiode Spanien in Richtung der Extreme von links und rechts polarisiert hat.
Feijóo – so der Nachname mütterlicherseits, unter dem er bekannt ist – wurde am 10. September 1961 in dem kleinen Dorf Os Peares in Galicien geboren. Er ist mit der Geschäftsfrau Eva Cárdenas verheiratet, mit der er einen sechsjährigen Sohn hat. Als guter Galicier pflegt er enge Verbundenheit zu seiner Heimat (apego ao terruño), eine innere Zugehörigkeit zur Geografie und ihren Menschen.
In seinem Heimatdorf kreuzen sich drei Flüsse. Aufgrund der besonderen Lage der Ribeira Sacra, einer Weinbauregion, gehört das Dorf zu vier Gemeinden, zwei Provinzen und zwei Diözesen, sodass es für die derzeit gut 60 Einwohner vier Bürgermeister gibt. “Deshalb haben wir hier so viele Brücken gebaut, um einander zu verstehen, um zu vereinen, was die Flüsse getrennt hatten”, sagt Feijóo. Im Alter von elf Jahren wurde er auf das Internat in der Stadt León geschickt. Anschließend folgte das Studium an der juristischen Fakultät in Santiago de Compostela.
Feijóo wollte ursprünglich nicht Politiker werden, sondern Richter, aber als sein Vater arbeitslos wurde, bewarb er sich für Stellen in der Regionalverwaltung. Er erlangte verschiedene Posten in den galicischen Ministerien für Wohnungsbau und Gesundheit. Von 1996 bis 2000 war er Präsident des Nationalen Gesundheitsinstituts (Insalud) und Generalsekretär im spanischen Gesundheitsministerium. Von 2000 bis 2003 leitete er das Postamt. 2006 übernahm er die Leitung der PP in Galizien. Im April 2022 wurde er Parteichef auf nationaler Ebene.
Größere Skandale hat Feijóo bislang nicht zu verantworten. Allerdings wurde im Jahr 2013 ein Foto von ihm mit dem Drogenhändler Marcial Dorado in Umlauf gebracht. Das Foto aus dem Jahr 1995 zeigt Feijóo auf Dorados Jacht, der damals Tabakschmuggler war. Dieses Foto wurde nun im Wahlkampf erneut hervorgeholt, um Feijóos Wahlsieg zu verhindern.
24.07.-25.07.2023
Informelles Ministertreffen zu Verbraucherfragen, Industrie und Binnenmarkt
Themen: Neue Verbraucheragenda 2020-2025 (aktuelle Situation und Zukunftsperspektiven), Nächste Schritte zum nachhaltigen Konsum, Offene strategische Autonomie als Eckpfeiler der EU (eine Chance für die industrielle Entwicklung und einen neuen Impuls für den Binnenmarkt). Vorläufige Tagesordnung
25.07.2023 – 10:00 Uhr
Rat der EU: Landwirtschaft und Fischerei
Themen: Gedankenaustausch zur Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (Studie zur Ergänzung der Folgenabschätzung), Informationen der Kommission über die Fünfte Konferenz der Landwirtschaftsminister der Afrikanischen Union und der Europäischen Union (Rom, 30. Juni 2023), Präsentation der Kommission zu den Verordnungen über die Erzeugung und das Inverkehrbringen von pflanzlichem und forstlichem Vermehrungsmaterial. Vorläufige Tagesordnung
27.07.-28.07.2023
Informelle Ministertagung Gesundheit
Themen: Den Weg zur Europäischen Gesundheitsunion ebnen, Verbesserung der psychischen Gesundheit in der EU, Maßnahmen zum Aufbau einer offenen strategischen Autonomie der EU im Bereich der Arzneimittel und Medizinprodukte. Vorläufige Tagesordnung
27.07.-28.07.2023
Informelle Ministertagung zu Wettbewerbsfähigkeit (Forschung)
Themen: Die Rolle der Wissenschafts-Diplomatie, Vorstellung des IFMIF DONES-Projekts, Zweiter Strategieplan für Horizont Europa (2025-27). Vorläufige Tagesordnung
Die Nachricht überlagerte das Treffen der EU-Außenminister in Brüssel: Russland blockiere nicht nur die Verlängerung des Getreideabkommens, sondern bombardiere die dritte Nacht in Folge Odessa und die Getreidesilos dort. Josep Borrell sprach am Donnerstag von einem “barbarischen Akt” Moskaus. Für den EU-Außenbeauftragten ein neuer Beweis, dass die Ukraine längerfristige Hilfe brauche: “Wir brauchen ein stabiles Instrument, die Ukraine braucht Hilfe nicht Monat für Monat, sondern strukturelle Unterstützung.”
Borrell legte der Runde ein Papier vor, das eine Aufstockung der Friedensfazilität um 20 Milliarden Euro vorsieht. Von 2024 bis 2027 sollen in jährlichen Tranchen jeweils fünf Milliarden Euro mobilisiert werden. Damit soll die Ausweitung des militärischen Ausbildungsprogramms für die ukrainischen Streitkräfte finanziert werden. Bisherige Pläne sahen vor, 30.000 Soldaten in verschiedenen EU-Staaten auszubilden. Das Ziel dürfte bald erreicht sein. Mit dem EU-Geld sollen aber auch weitere Luftabwehrsysteme und F-16 Kampfjets finanziert werden, die der Ukraine voraussichtlich Anfang nächsten Jahres geliefert werden sollen.
Die Ukraine brauche Sicherheitsgarantien, und große finanzielle Hilfe müsse eng verzahnt werden mit Unterstützung von Nato und G7-Staaten, sagte auch Außenministerin Annalena Baerbock. Das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung müsse auch mit Finanzmitteln für militärische Ausrüstung sichergestellt werden. Geplant war eine erste Aussprache auf der Basis von Borrells Vorschlag. Einigen Ministern kam die Diskussion allerdings zu früh, umso mehr als Ungarn zuletzt deutlich kleinere Aufstockungen der Friedensfazilität blockiert hält.
Der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg sagte, die EU werde die Ukraine weiterhin solidarisch unterstützen, aber in welchem Ausmaß und wie das finanziert werde, sei noch nicht klar. Der Chefdiplomat stellte infrage, dass die Nettozahler in der EU dafür neue Mittel frei machen werden. Das könne beim Midtermin-Review im Herbst auch über normale Umschichtungen gehen, da noch nicht alle Mittel im langjährigen Haushalt ausgeschöpft seien: “Wir sprechen hinter geschlossenen Türen, einigen uns und treten dann an die Öffentlichkeit.”
Weiter wichtiger Punkt auf der Agenda war die Türkei und eine mögliche neue Dynamik nach der Wiederwahl von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Der Außenbeauftragte und die EU-Kommission drängten beim Treffen darauf, die Chance zu nutzen und auf die Türkei mit Angeboten zuzugehen.
Auf der Wunschliste Ankaras steht nicht nur ein Neustart der Beitrittsverhandlungen, sondern auch die Modernisierung der Zollunion und die alte Forderung der Visaliberalisierung. Die Runde der Außenminister sahen Borrells Vorstoß für die Türkei eher skeptisch. Baerbock betonte, dass die EU für ihre Beitrittsverfahren klare Prozesse habe. Das Verfahren mit der Türkei liege mit gutem Grund tief im Eisfach. Bei wichtigen Kapiteln wie der Rechtsstaatlichkeit habe es Rückschritte statt Fortschritte gegeben. Es sei aber wichtig, miteinander im Dialog zu bleiben. Ähnlich äußerte sich der Luxemburger Jean Asselborn.
Schweden hatte als Teil einer Vereinbarung mit Blick auf die Nato-Mitgliedschaft versprochen, sich in der EU für die europäische Agenda der Türkei einzusetzen. Die Diskussionen zwischen Schweden und der Türkei seien für die EU nicht von Belang, sagte Schallenberg: “Dass innerhalb der EU jetzt ein Entgegenkommen nötig wäre, sehe ich nicht”. An der Begründung, die Beitrittsverhandlungen auf Eis zu legen, habe sich nichts geändert. Mit Blick auf eine Visaliberalisierung habe die EU 72 Bedingungen gestellt und die seien nicht erfüllt. sti
Die Mitgliedstaaten kommen nur vereinzelt ihrer Pflicht nach, die Empfänger von Geldern aus dem Aufbaufonds (RRF) öffentlich zu machen. Nur 14 von 27 Mitgliedstaaten haben die größten Empfänger veröffentlicht. Unter den Ländern, die nicht veröffentlicht haben, sind:
Monika Hohlmeier (CSU), Chefin des Haushaltskontrollausschusses, kritisiert das in einem Brief an Vize-Kommissionspräsident Valdis Dombrovskis und Finanzkommissar Paolo Gentiloni: “Wir erwarten, so bald wie möglich die Listen aller Mitgliedstaaten zu bekommen.” Das Schreiben liegt Table.Media vor. Aus dem Fonds stehen den Mitgliedstaaten 724 Milliarden Euro als Zuschüsse und Darlehen zur Verfügung. Die Staaten müssen alle sechs Monate eine Liste mit den 100 größten Empfängern veröffentlichen.
Hohlmeier weist zudem darauf hin, dass zwei Mitgliedstaaten, an die noch gar keine Mittel ausgezahlt werden dürfen, bereits Empfängerlisten veröffentlichen. “Zu unserem Überraschen haben Polen und Ungarn Listen veröffentlicht, obwohl sie weder Gelder aus der Vorfinanzierung noch eine reguläre Rate bekommen haben.” Wegen der Rechtsstaatsverfahren gegen Polen und Ungarn ist die Auszahlung von 23 Milliarden Euro an Zuschüssen und elf Milliarden an Darlehen an Warschau und knapp sechs Milliarden Euro an Zuschüssen an Budapest blockiert.
Polen hat eine Liste mit Empfängern veröffentlicht, Ungarn bereits zwei. “Können Sie uns erklären, wie die aufgelisteten Empfänger bereits an die Mittel aus dem RRF gekommen sind?”, fragt Hohlmeier die Kommission. Die Kommission möge gegenüber dem Parlament deutlich machen, nach welchen Kriterien die Mitgliedstaaten die Empfängerlisten zusammenstellen sollen.
Neben der Umsetzung des Next-Generation-EU-Programms machen Kommission und Mitgliedstaaten auch die gestiegenen Finanzierungskosten zu schaffen. So sind die Zinsen für EU-Anleihen mit zehnjähriger Laufzeit von 0,09 Prozent im Juni 2021 auf 3,2 Prozent im Mai 2023 gestiegen, etwas stärker etwa als die deutschen Bundesanleihen. Die Kommission hatte bei der Auflage des Programms aber nur einen “allmählichen Zinsanstieg auf 1,15 Prozent erwartet”, wie aus einem Brief von Haushaltskommissar Johannes Hahn an Markus Ferber hervorgeht, den Sprecher der EVP im Wirtschafts- und Währungsausschuss.
Den zusätzlichen Finanzbedarf dadurch hatte Hahn jüngst bei der Revision des Mehrjährigen Finanzrahmens auf 18,9 Milliarden Euro beziffert. Unter den Mitgliedstaaten gibt es aber Widerstand dagegen, für diese Mehrbelastung aufzukommen. “Die Zinslasten für den Corona-Fonds sind gegenüber den Kommissionsprognosen förmlich explodiert – das wird schon heute zum Problem für die Handlungsfähigkeit der EU”, sagt Ferber.
Der CSU-Politiker befürchtet wegen der angespannten Finanzlage in einigen Mitgliedstaaten weitere Zinsanstiege. Im April hatte die Ratingagentur Fitch die langfristigen Verbindlichkeiten Frankreichs von AA auf AA- heruntergestuft und anschließend auch die Kreditwürdigkeit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), der Vorgängerin des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). “Wenn ein großer EU-Mitgliedstaat wie Frankreich herabgestuft wird, hat das langfristig fast zwangsläufig auch Folgen für die Bonität von EU-Anleihen”, warnt Ferber.
Hahn widerspricht: In seinem Brief versichert er, “dass die Herabstufung Frankreichs keine Auswirkung auf das EU-Rating hat”. Die Verbindlichkeiten seien solide durch den EU-Haushalt und die EU-Eigenmittel abgesichert. Der EFSF sei wegen der geringeren Kapitalbasis “weniger robust”. Über Auswirkungen einer hypothetischen Herabstufung der EU-Anleihen wolle die Kommission nicht spekulieren. mgr/tho
Der Rat hat am Donnerstag der Kommission ein Mandat für die Verhandlungen mit den USA über ein Abkommen zu kritischen Mineralien (Critical Minerals Agreement, CMA) erteilt. Mit diesem Abkommen sollen die Lieferketten für kritische Rohstoffe gestärkt und einige der negativen Auswirkungen des US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) auf die EU-Industrie gemildert werden.
“Das Abkommen über kritische Mineralien wird eine Schlüsselrolle bei der Diversifizierung der internationalen Lieferketten für kritische Mineralien spielen”, erklärte der spanische Industrie- und Handelsminister Héctor Gómez Hernández. “Es wird auch dazu beitragen, unsere Zusammenarbeit in Bezug auf die grüne Transformation zu stärken”. Das Abkommen werde der EU einen gleichwertigen Status wie den US-Freihandelsabkommenspartnern für die Zwecke des Clean Vehicle Credit im Rahmen des IRA gewähren.
Gemäß den Verhandlungsrichtlinien sollte das CMA:
Das Abkommen solle dabei mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WHO) und mit den Zielen des EU-Gesetzes über kritische Rohstoffe (Critical Raw Materials Act) sowie mit der Europäischen Batterie-Allianz in Einklang stehen.
Nach der Annahme des Mandats kann die Kommission die formellen Verhandlungen mit den USA aufnehmen. Sobald diese abgeschlossen sind, muss das Abkommen vom Rat und vom Parlament angenommen werden. leo
Diplomaten der deutschen EU-Botschaft appellieren in einer Diplomatischen Korrespondenz an die Bundesregierung, ihren Streit über die Schadstoffnorm Euro 7 beizulegen. Andernfalls werde sie nicht dazu in der Lage sein, die Ratsposition bei diesem für die Autoindustrie wichtigen Dossier mitzubestimmen. Im Anschluss an ein Treffen der Ständigen Vertreter (AStV 1) am Mittwoch weist die deutsche EU-Botschaft die Bundesregierung darauf hin, dass die Arbeiten an dem Dossier jetzt in die entscheidende Phase gingen.
Die allgemeine Ausrichtung ist für den Wettbewerbsfähigkeitsrat am 25. September vorgesehen, der AStV 1 soll die Ausrichtung am 13./15. September vorbereiten. Entsprechend blieben nach der Sommerpause nur zwei Wochen für die letzten Beratungen des Textes. Deutsche Anliegen, schreibt die deutsche EU-Botschaft, sollten daher so schnell wie möglich und noch vor der Sommerpause und einem noch erwarteten Kompromissvorschlag der spanischen Ratspräsidentschaft übermittelt werden.
In der Tischrunde bei der Sitzung am Mittwoch habe sich fast jeder Mitgliedstaat zu Euro 7 geäußert, nur Deutschland blieb mangels Weisung ohne Wortmeldung. Bis heute können sich das Umwelt- und das Verkehrsministerium nicht einigen. Die spanische Ratspräsidentschaft bedauerte ausdrücklich, dass Deutschland sich bei diesem Dossier bislang nicht eingebracht habe.
Den Verhandlungsstand zwischen den Mitgliedstaaten fasste ein Vertreter der Ratspräsidentschaft in der Sitzung zusammen: Nur die Vorschläge der Kommission zu Reifen, Bremsen und Dauerhaltbarkeit seien unumstritten. Bei den Grenzwerten am Auspuff für Pkw und Lieferwagen sei keine Mehrheit für den Kommissionsvorschlag absehbar.
Bei Grenzwerten und Testbedingungen für schwere Nutzfahrzeuge gebe es zwischen den unterschiedlichen Positionen große Unterschiede. Zu den Fristen für das Inkrafttreten seien noch Diskussionen auf Arbeitsebene nötig. mgr
Die EU-Kommission hat am Donnerstag das nach Angaben des BMWK bisher größte Dekarbonisierungsprojekt in Deutschland beihilferechtlich genehmigt. ThyssenKrupp Steel Europe soll zwei Milliarden Euro von Bund und Land NRW erhalten, um eine Hochofenlinie in Duisburg auf Direktreduktion umzustellen.
Davon fließen 550 Millionen Euro in den Bau der Direktreduktion und zweier Einschmelzer für Eisenschwamm. Die restliche Summe von 1,45 Milliarden Euro ist ein “Conditional Payment” für den Einsatz von grünem Wasserstoff, die nach Angaben des BMWK bereits im Vorfeld ausgezahlt werden kann. “Die […] bedingte Zahlung wird in den ersten zehn Betriebsjahren […] die zusätzlichen Kosten für die Beschaffung und Verwendung von erneuerbarem Wasserstoff anstelle von kohlenstoffarmem Wasserstoff decken“, schreibt die Kommission.
Nach Angaben des Unternehmens soll die Inbetriebnahme ab Ende 2026 erfolgen – anfangs noch mit Erdgas, wie eine Sprecherin erklärte. Ab 2027 würden erste Wasserstoffmengen eingesetzt. “Je nach Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit” werde es sich um einen Mix aus blauem und grünem Wasserstoff handeln. Ab 2029 solle nur noch Wasserstoff verwendet werden – 143.000 Tonnen jährlich – und ab 2037 nur noch grüner Wasserstoff. Die jährliche CO2-Einsparung soll am Ende bei bis zu 3,5 Millionen Tonnen liegen.
Genehmigt hat die Kommission den Umbau wie schon bei Salzgitter nicht nach dem ursprünglich angestrebten IPCEI-Mechanismus, sondern nach den allgemeineren Klimabeihilfeleitlinien (KUEBLL). Die Kommission machte mehrere Auflagen, so müsse ThyssenKrupp die gewonnenen Erfahrungen teilen und eventuelle Gewinne an den Staat zurückzahlen.
“Wir werden im Rahmen des IPCEI Wasserstoff weitere Vorhaben unterstützen, damit auch die Erzeugung und der Transport des Wasserstoffs ermöglicht wird”, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Auf die beihilferechtliche Genehmigung warten nach BMWK-Angaben außerdem noch ein Projekt der Stahl-Holding-Saar sowie eines von ArcelorMittal in Bremen und Eisenhüttenstadt. ber
Vor zwei Wochen hat die Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA ihre Risikobewertung für Glyphosat bekannt gegeben. Nun steht fest: Die Abstimmung über eine Verlängerung des umstrittenen Herbizids um 15 Jahre soll im Oktober stattfinden.
Die Glyphosat-Verlängerung geht durch die sogenannte Komitologie-Prozedur. Will heißen: Die Kommission stellt einen Entscheid vor, der zuständige Komitologie-Ausschuss des Rats stimmt darüber ab. In diesem Fall ist der Ständige Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit zuständig, genauer gesagt dessen Unterausschuss für Phytopharmaka. Beim nächsten Treffen am 15. September will die Kommission ihren Entscheid zum Glyphosat vorstellen. Danach trifft sich das Komitee wieder am 12. und 13. Oktober. Dann will das Gremium über die Verlängerung abstimmen.
Es gilt die qualifizierte Mehrheit. Bei einer negativen Ablehnung wird der Berufungsausschuss mit der Frage befasst. Entscheidet sich auch dieser gegen den Vorschlag der Kommission, muss sie den Vorschlag zurückziehen. Kommt keine qualifizierte Mehrheit für oder gegen den Kommissionsvorschlag zusammen, kann die ihren Vorschlag umsetzen. So geschehen bei der Entscheidung für eine provisorische Verlängerung von Glyphosat im Dezember 2022.
Vor einigen Tagen wurde ein erster Entwurf des Kommissionsvorschlags geleakt. Darin empfiehlt die Kommission die Verlängerung von Glyphosat. Demnach könnte das umstrittene Herbizid noch bis 2038 eingesetzt werden.
Das Parlament erwägt, seine Einwände gegen die Verlängerung geltend zu machen, wie es aus dem Büro von Pascal Canfin (Renew) heißt, dem Vorsitzenden des Umweltausschusses. Ein solcher Einwand hat bei Durchführungsakten aber hauptsächliche symbolischen Charakter.
Das schnelle Vorgehen der Kommission mag überraschen. Erst Ende Juli wird die EFSA ihre Schlussfolgerungen zur Glyphosat-Einschätzung veröffentlichen. Der vollständige Bericht wird erst für Oktober erwartet. Also erst, nachdem die Kommission ihre Entscheidung fällt. cw
Der französische Präsident Emmanuel Macron bildet seine Regierung um. Die wichtigen Ressorts Wirtschaft, Außen- und Innenpolitik sowie Verteidigung und Justiz sind davon aber nicht betroffen, wie der Élyséepalast am Donnerstagabend in Paris verkündete. Ausgetauscht werden unter anderem der Bildungs- sowie der Gesundheitsminister. Auch Staatssekretärin Marlène Schiappa verlässt die Regierung.
Bereits seit Wochen stand in Frankreich eine Regierungsumbildung im Raum, auch über einen Wechsel an der Regierungsspitze wurde spekuliert. Macron hatte aber bereits am Dienstag gesagt, dass er an Premierministerin Élisabeth Borne festhalte.
Macron und die Mitte-Regierung sind nach dem monatelangen Kampf um die letztlich durchgedrückte Rentenreform geschwächt. Die Regierung, die seit der Parlamentswahl vor gut einem Jahr in der Nationalversammlung keine absolute Mehrheit mehr hat, schaffte es nicht, sich mit Stimmen der Opposition eine verlässliche Mehrheit für ihr Schlüsselvorhaben zu sichern. Dazu kamen die jüngsten Unruhen nach dem Tod eines Jugendlichen bei einer Polizeikontrolle. dpa
Spanien ist einer der europäischen Champions im Bereich erneuerbare Energien und sicherlich kein Freund der Kernenergie. Der Kampf gegen die Klimaerwärmung ist auch zentral für die jetzige Regierung. Die spanische Ministerin für Energie, Umwelt und Klimawandel, Teresa Ribera, gilt als eine der “besten Expertinnen für internationale Klimaverhandlungen” in der EU. Ihre Verhandlungsführung: offen, kommunikativ und hart in der Sache.
Neue Mehrheitsverhältnisse in Madrid könnten wohl Auswirkungen auf Spaniens Prioritäten während der EU-Ratspräsidentschaft haben. Im Programm steht nämlich die ökologische Transformation mit Antworten auf die Klimakrise als ein Pfeiler des spanischen Programms.
Die Amtszeit Spaniens im Rat ist das letzte volle Halbjahr der Präsidentschaft vor den Europawahlen. Manchmal auch als “golden presidency” bezeichnet, wird diese Zeit in der Regel genutzt, um möglichst viele Projekte abzuschließen oder zu ermöglichen, dass sie von der nächsten Präsidentschaft abgeschlossen werden. Das gilt umso mehr für den Green Deal, das Prestige-Programm von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, mit dem Europa bis 2050 klimaneutral werden soll. Von der Leyen sprach gar von “Europe’s man on the moon moment“. Die Rhetorik ist, ähnlich dem Ambitionsniveau, extrem hoch.
Belgien, das am 1. Januar 2024 die Ratspräsidentschaft antreten wird, dürfte in der Praxis nur zwei bis drei Monate Zeit haben, um zu versuchen, politisch abzuschließen, was vorher noch nicht abgeschlossen wurde. Denn die folgenden Wochen werden für formale Schritte genutzt, etwa für Übersetzungen und die endgültigen Abstimmungen der Mitgesetzgeber.
Nun wird in Spanien am kommenden Sonntag gewählt. Die meisten Umfragen sehen derzeit einen Sieg der Konservativen am 23. Juli vor. Alberto Núñez Feijóo, Vorsitzender der Volkspartei (PP), hat die Steuersenkung zu einem seiner wichtigsten Vorschläge gemacht (s. auch die Analyse zu Feijóo im heutigen Briefing).
Die spanische PP ist auch stark gegen das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur. Beim Gas- und Wasserstoffpaket könnte sie auch empfänglicher für den französischen Standpunkt zur Kernenergie sein, gegen den die Linke ist. Kurzum: Die PP vertritt in vielen Punkten so ziemlich das Gegenteil von der jetzigen Regierung.
In Brüssel sind sich die alten Hasen der EU-Politik im Großen und Ganzen einig, dass ein Wahlsieg der Rechten in Madrid die spanische Präsidentschaft nicht tief beeinträchtigen würde. Spanien übernimmt diese Rolle als Land, das grundsätzlich neutral sein muss. Vor allem aber gäbe es konkret keine Zeit, eine bereits feststehende Agenda zu ändern, und die verbleibende Arbeit an den meisten Themen, die sehr ausgereift sind, ist vor allem technischer Natur.
Allerdings: “Davon abgesehen gibt es den informellen Teil der Führung, der wichtig ist. Und wenn die Verhandlungen schwierig sind, kann die Präsidentschaft einen Kompromiss vorschlagen oder mit Fristen spielen, um ein Dossier zu bevorzugen oder nicht”, sagt jedoch eine europäische diplomatische Quelle. “Und vor allem würde eine konservative Regierung in Spanien eine konservative Stimme mehr im EU-Rat bedeuten und somit das politische Gleichgewicht verändern.”
Frans Timmermans verlässt Brüssel. Auch wenn bereits seit Monaten darüber spekuliert wurde, war das in EU-Kreisen gestern die Nachricht des Tages. Der Kommissionsvize will es noch einmal auf nationaler Ebene wissen und Ministerpräsident in den Niederlanden werden. Egal, ob er die Wahl gewinnt oder verliert, der EU-Kommission wird er voraussichtlich schon ab Mitte August den Rücken kehren, wenn das rot-grüne Bündnis offiziell ihren Kandidaten kürt. Was der Abgang Timmermans’ für Brüssel bedeutet, haben mein Kollege Till Hoppe und ich analysiert.
Für den Green Deal ist Timmermans’ geplanter Umzug nach Den Haag ein großer Verlust, galt er doch als der Macher und Verteidiger des EU-Klima- und Umweltpakets. Und mit der Wahl in Spanien könnte den Befürwortern bald eine weitere Stütze im Rat wegbrechen. Claire Stam schreibt in ihrer Kolumne, wie sich ein Wahlsieg der konservativen Volkspartei (PP) Spaniens auf den Green Deal auswirken kann.
Wofür Alberto Núñez Feijóo – der mögliche Wahlsieger der PP – steht, erfahren Sie im Stück meiner Kollegin Isabel Cuesta Camacho.
Viel Spaß beim Lesen und ein erholsames Wochenende
“Ich habe heute Morgen der Arbeiterpartei und GroenLinks mitgeteilt, dass ich bei den nächsten Wahlen als Spitzenkandidat für diese beiden Parteien kandidieren möchte”, sagte Frans Timmermans am Donnerstag. Damit ist offiziell, was seit Ende vergangenen Jahres als Gerücht kursierte und sich seit dem Rücktritt des niederländischen Premierministers Mark Rutte vor zwei Wochen konkretisiert hatte: Timmermans will Brüssel den Rücken zukehren, um Ruttes Nachfolger zu werden.
Das ist gleichbedeutend mit seinem frühzeitigen Aus als Exekutiv-Vizepräsident der Kommission und Chef des Green Deal. Allerdings nicht sofort. Die beiden Bündnis-Parteien PvdA und GroenLinks wollen ihren Spitzenkandidaten bis zum 22. August benennen. Solange kann der 62-Jährige noch in der Kommission bleiben.
Das stellte auch ein Sprecher am Donnerstag klar: Die Kandidatur sei zunächst hypothetisch und Gegenstand eines parteiinternen Verfahrens. Bis zum Abschluss dieses Prozesses habe dies keine Auswirkungen auf Timmermans’ Verfügbarkeit als Mitglied des Kollegiums. Der Verhaltenskodex für Kommissare sieht vor, dass die Mitglieder in “unbezahlten Wahlurlaub” gehen, wenn sie bei einer nationalen Wahl antreten. Allerdings könnte Timmermans gleich ganz ausscheiden: In einem Interview kündigte er an, ins niederländische Parlament einziehen zu wollen, wenn er nicht Premier werde.
Die einen bedauern Timmermans’ Rückzug aus Brüssel. So kommentierte der grüne EU-Abgeordnete Michael Bloss, die Kommission verliere den visionären Baumeister des Green Deals, dessen Erfolge historisch seien. Der niederländische Sozialdemokrat Mohammed Chahim sagte, Timmermans sei das, was die Niederlande brauchten: “Führung und Vision, um die Niederlande grüner und sozialer zu machen.”
Andere begrüßen hingegen, dass Timmermans Brüssel den Rücken kehrt. Timmermans Weggang sei gut für den Klimaschutz, sagte Peter Liese, umweltpolitischer Sprecher der EVP. Mit seiner provokanten Art habe er die Diskussion um das Renaturierungsgesetz verkompliziert. Lieses Pateikollege Dennis Radtke schrieb: “Es gibt wohl kaum jemanden, der in den letzten Jahren so großen Schaden angerichtet hat in Europa und dem Arbeitsplätze und sozialer Ausgleich so egal waren.”
Wegen Timmermans’ Kandidatur steht von der Leyen nun im letzten Jahr der Amtsperiode eine größere Personalrochade bevor. Mit Margrethe Vestager hatte zuvor bereits eine andere ihrer Executive Vice Presidents (EVPs) die Beurlaubung beantragt, um sich für die Spitze der Europäischen Investitionsbank zu bewerben. Damit wird von den drei EVPs nach der Sommerpause voraussichtlich nur noch Valdis Dombrovskis übrig sein. Vestager hatte erst kurz zuvor die Aufgaben von Forschungskommissarin Marija Gabriel übernommen, die inzwischen Außenministerin Bulgariens ist.
Von der Leyen lässt sich noch nicht in die Karten blicken, wie sie die Lücken zu schließen gedenkt. Zunächst sind ohnehin die dänische und die niederländische Regierung am Zug, neue Kandidaten für die Kommission zu benennen. Deren Profil dürfte Einfluss darauf haben, ob von der Leyen sich für eine größere Rotation ihrer Kommissare entscheidet. Die Länder haben jedenfalls keinen Anspruch darauf, die gleichen Portfolios zu besetzen. Nach dem Rücktritt des irischen Handelskommissars Phil Hogan im Jahr 2020 hatte dessen Nachfolgerin Mairead McGuinness die Zuständigkeit für Finanzdienstleistungen erhalten.
In EU-Kreisen wird spekuliert, dass der Green Deal entweder vom italienischen Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni oder von Maroš Šefčovič, Vizepräsident für interinstitutionelle Beziehungen, übernommen wird. Letzterer war zuvor Energiekommissar, weshalb er für den Posten als geeignet gilt.
Die wesentlichen Gesetzesvorschläge des Fit-for-55-Pakets sind ohnehin bereits verabschiedet. Noch im Trilog befinden sich insbesondere die Dossiers zum Naturschutz und der Landwirtschaft, wie das Renaturierungsgesetz, die Industrieemissionsrichtlinie, die Pestizide-Verordnung und die Regulierung zur neuen Gentechnik.
Timmermans hatte sich auch in diese Debatten geworfen. Doch zuständig für die Farm-to-Fork-Strategie sowie die Biodiversitätsstrategie ist nicht Timmermans, sondern Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius. Dieser hat zwar weniger politisches Gewicht als Timmermans, löst aber auch weniger Abstoßungsreaktionen bei den konservativen Kräften aus.
Beobachter der niederländischen Politik sprechen Timmermans durchaus Chancen bei den Wahlen im November zu. Da Rutte nach 13 Jahren als Ministerpräsident nicht mehr antritt, ist das Rennen weitgehend offen. Zunächst einmal muss Timmermans sich die Spitzenkandidatur sichern, noch bis 4. August können Gegenkandidaten antreten. Am Donnerstag stellten sich aber mehrere Parteigrößen von PvdA und GroenLinks hinter seine Kandidatur.
Im Wahlkampf könnte der wortgewaltige Green-Deal-Kommissar Stimmen von anderen progressiven Mitte-Links-Parteien für sich gewinnen. Das gilt insbesondere für die linksliberale D66, die wohl mit Klimaminister Rob Jetten in den Wahlkampf ziehen wird. Mit Till Hoppe
Alberto Núñez Feijóo hat seine politischen Rivalen schon öfter an der Wahlurne geschlagen. Viermal gewann er die Regionalwahlen in Galicien mit absoluter Mehrheit und war somit 13 Jahre lang, von 2009 bis 2022, Präsident der nordwestlichen Region. Auch diesmal, als Kandidat der Partido Popular (PP) bei den anstehenden Parlamentswahlen, will Feijóo mit absoluter Mehrheit gewinnen. Die Umfragen sehen ihn mit rund 34 Prozent der Stimmen und bis zu 145 Sitzen als Sieger der Wahlen am kommenden Sonntag. Für eine absolute Mehrheit von 176 Sitzen bräuchte er allerdings die rechtsextreme Partei Vox.
“Ich werde nicht sagen, dass ich mit Vox paktieren werde, weil ich nicht mit Vox paktieren will“, sagte Feijóo diese Woche in einem Interview mit der Zeitung “La Voz de Galicia”. Feijóo behauptet, dass es vier rote Linien gebe, die ihn und seine konservative Volkspartei von Vox trennen: “die Achtung der Verfassung, der Status der autonomen Regionen, das Problem der Gewalt gegen Frauen und die Position zum Klimawandel. Kurz gesagt, die Themen, die meine politische Biografie ausmachen”.
Dennoch hat Feijóo den PP-Regionalräten grünes Licht gegeben, mit Vox zusammenzuarbeiten. Die Pakte zwischen PP und Vox in Regionen wie Valencia und Extremadura werfen die Frage auf, wie Feijóo vorgehen wird, sollte er Vox zur Regierungsbildung brauchen.
Der 62-Jährige hat ein konservatives Profil ähnlich dem ehemaligen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy (PP), der ebenfalls aus Galicien stammt: Er will einen starken Staat, aber möglichst ohne Steuererhöhungen. So verspricht er, dem “Wirtschaftspopulismus” der Koalitionsregierung von Pedro Sánchez ein Ende zu setzen. Dazu gehöre die Senkung der Einkommenssteuer für diejenigen, die weniger als 40.000 Euro brutto im Jahr verdienen und die Abschaffung der Sondersteuern, die Sánchez großen Vermögen, Banken und Energieunternehmen auferlegt hatte. Feijóo möchte auch die politische Mitte zurückgewinnen, da diese Legislaturperiode Spanien in Richtung der Extreme von links und rechts polarisiert hat.
Feijóo – so der Nachname mütterlicherseits, unter dem er bekannt ist – wurde am 10. September 1961 in dem kleinen Dorf Os Peares in Galicien geboren. Er ist mit der Geschäftsfrau Eva Cárdenas verheiratet, mit der er einen sechsjährigen Sohn hat. Als guter Galicier pflegt er enge Verbundenheit zu seiner Heimat (apego ao terruño), eine innere Zugehörigkeit zur Geografie und ihren Menschen.
In seinem Heimatdorf kreuzen sich drei Flüsse. Aufgrund der besonderen Lage der Ribeira Sacra, einer Weinbauregion, gehört das Dorf zu vier Gemeinden, zwei Provinzen und zwei Diözesen, sodass es für die derzeit gut 60 Einwohner vier Bürgermeister gibt. “Deshalb haben wir hier so viele Brücken gebaut, um einander zu verstehen, um zu vereinen, was die Flüsse getrennt hatten”, sagt Feijóo. Im Alter von elf Jahren wurde er auf das Internat in der Stadt León geschickt. Anschließend folgte das Studium an der juristischen Fakultät in Santiago de Compostela.
Feijóo wollte ursprünglich nicht Politiker werden, sondern Richter, aber als sein Vater arbeitslos wurde, bewarb er sich für Stellen in der Regionalverwaltung. Er erlangte verschiedene Posten in den galicischen Ministerien für Wohnungsbau und Gesundheit. Von 1996 bis 2000 war er Präsident des Nationalen Gesundheitsinstituts (Insalud) und Generalsekretär im spanischen Gesundheitsministerium. Von 2000 bis 2003 leitete er das Postamt. 2006 übernahm er die Leitung der PP in Galizien. Im April 2022 wurde er Parteichef auf nationaler Ebene.
Größere Skandale hat Feijóo bislang nicht zu verantworten. Allerdings wurde im Jahr 2013 ein Foto von ihm mit dem Drogenhändler Marcial Dorado in Umlauf gebracht. Das Foto aus dem Jahr 1995 zeigt Feijóo auf Dorados Jacht, der damals Tabakschmuggler war. Dieses Foto wurde nun im Wahlkampf erneut hervorgeholt, um Feijóos Wahlsieg zu verhindern.
24.07.-25.07.2023
Informelles Ministertreffen zu Verbraucherfragen, Industrie und Binnenmarkt
Themen: Neue Verbraucheragenda 2020-2025 (aktuelle Situation und Zukunftsperspektiven), Nächste Schritte zum nachhaltigen Konsum, Offene strategische Autonomie als Eckpfeiler der EU (eine Chance für die industrielle Entwicklung und einen neuen Impuls für den Binnenmarkt). Vorläufige Tagesordnung
25.07.2023 – 10:00 Uhr
Rat der EU: Landwirtschaft und Fischerei
Themen: Gedankenaustausch zur Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (Studie zur Ergänzung der Folgenabschätzung), Informationen der Kommission über die Fünfte Konferenz der Landwirtschaftsminister der Afrikanischen Union und der Europäischen Union (Rom, 30. Juni 2023), Präsentation der Kommission zu den Verordnungen über die Erzeugung und das Inverkehrbringen von pflanzlichem und forstlichem Vermehrungsmaterial. Vorläufige Tagesordnung
27.07.-28.07.2023
Informelle Ministertagung Gesundheit
Themen: Den Weg zur Europäischen Gesundheitsunion ebnen, Verbesserung der psychischen Gesundheit in der EU, Maßnahmen zum Aufbau einer offenen strategischen Autonomie der EU im Bereich der Arzneimittel und Medizinprodukte. Vorläufige Tagesordnung
27.07.-28.07.2023
Informelle Ministertagung zu Wettbewerbsfähigkeit (Forschung)
Themen: Die Rolle der Wissenschafts-Diplomatie, Vorstellung des IFMIF DONES-Projekts, Zweiter Strategieplan für Horizont Europa (2025-27). Vorläufige Tagesordnung
Die Nachricht überlagerte das Treffen der EU-Außenminister in Brüssel: Russland blockiere nicht nur die Verlängerung des Getreideabkommens, sondern bombardiere die dritte Nacht in Folge Odessa und die Getreidesilos dort. Josep Borrell sprach am Donnerstag von einem “barbarischen Akt” Moskaus. Für den EU-Außenbeauftragten ein neuer Beweis, dass die Ukraine längerfristige Hilfe brauche: “Wir brauchen ein stabiles Instrument, die Ukraine braucht Hilfe nicht Monat für Monat, sondern strukturelle Unterstützung.”
Borrell legte der Runde ein Papier vor, das eine Aufstockung der Friedensfazilität um 20 Milliarden Euro vorsieht. Von 2024 bis 2027 sollen in jährlichen Tranchen jeweils fünf Milliarden Euro mobilisiert werden. Damit soll die Ausweitung des militärischen Ausbildungsprogramms für die ukrainischen Streitkräfte finanziert werden. Bisherige Pläne sahen vor, 30.000 Soldaten in verschiedenen EU-Staaten auszubilden. Das Ziel dürfte bald erreicht sein. Mit dem EU-Geld sollen aber auch weitere Luftabwehrsysteme und F-16 Kampfjets finanziert werden, die der Ukraine voraussichtlich Anfang nächsten Jahres geliefert werden sollen.
Die Ukraine brauche Sicherheitsgarantien, und große finanzielle Hilfe müsse eng verzahnt werden mit Unterstützung von Nato und G7-Staaten, sagte auch Außenministerin Annalena Baerbock. Das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung müsse auch mit Finanzmitteln für militärische Ausrüstung sichergestellt werden. Geplant war eine erste Aussprache auf der Basis von Borrells Vorschlag. Einigen Ministern kam die Diskussion allerdings zu früh, umso mehr als Ungarn zuletzt deutlich kleinere Aufstockungen der Friedensfazilität blockiert hält.
Der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg sagte, die EU werde die Ukraine weiterhin solidarisch unterstützen, aber in welchem Ausmaß und wie das finanziert werde, sei noch nicht klar. Der Chefdiplomat stellte infrage, dass die Nettozahler in der EU dafür neue Mittel frei machen werden. Das könne beim Midtermin-Review im Herbst auch über normale Umschichtungen gehen, da noch nicht alle Mittel im langjährigen Haushalt ausgeschöpft seien: “Wir sprechen hinter geschlossenen Türen, einigen uns und treten dann an die Öffentlichkeit.”
Weiter wichtiger Punkt auf der Agenda war die Türkei und eine mögliche neue Dynamik nach der Wiederwahl von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Der Außenbeauftragte und die EU-Kommission drängten beim Treffen darauf, die Chance zu nutzen und auf die Türkei mit Angeboten zuzugehen.
Auf der Wunschliste Ankaras steht nicht nur ein Neustart der Beitrittsverhandlungen, sondern auch die Modernisierung der Zollunion und die alte Forderung der Visaliberalisierung. Die Runde der Außenminister sahen Borrells Vorstoß für die Türkei eher skeptisch. Baerbock betonte, dass die EU für ihre Beitrittsverfahren klare Prozesse habe. Das Verfahren mit der Türkei liege mit gutem Grund tief im Eisfach. Bei wichtigen Kapiteln wie der Rechtsstaatlichkeit habe es Rückschritte statt Fortschritte gegeben. Es sei aber wichtig, miteinander im Dialog zu bleiben. Ähnlich äußerte sich der Luxemburger Jean Asselborn.
Schweden hatte als Teil einer Vereinbarung mit Blick auf die Nato-Mitgliedschaft versprochen, sich in der EU für die europäische Agenda der Türkei einzusetzen. Die Diskussionen zwischen Schweden und der Türkei seien für die EU nicht von Belang, sagte Schallenberg: “Dass innerhalb der EU jetzt ein Entgegenkommen nötig wäre, sehe ich nicht”. An der Begründung, die Beitrittsverhandlungen auf Eis zu legen, habe sich nichts geändert. Mit Blick auf eine Visaliberalisierung habe die EU 72 Bedingungen gestellt und die seien nicht erfüllt. sti
Die Mitgliedstaaten kommen nur vereinzelt ihrer Pflicht nach, die Empfänger von Geldern aus dem Aufbaufonds (RRF) öffentlich zu machen. Nur 14 von 27 Mitgliedstaaten haben die größten Empfänger veröffentlicht. Unter den Ländern, die nicht veröffentlicht haben, sind:
Monika Hohlmeier (CSU), Chefin des Haushaltskontrollausschusses, kritisiert das in einem Brief an Vize-Kommissionspräsident Valdis Dombrovskis und Finanzkommissar Paolo Gentiloni: “Wir erwarten, so bald wie möglich die Listen aller Mitgliedstaaten zu bekommen.” Das Schreiben liegt Table.Media vor. Aus dem Fonds stehen den Mitgliedstaaten 724 Milliarden Euro als Zuschüsse und Darlehen zur Verfügung. Die Staaten müssen alle sechs Monate eine Liste mit den 100 größten Empfängern veröffentlichen.
Hohlmeier weist zudem darauf hin, dass zwei Mitgliedstaaten, an die noch gar keine Mittel ausgezahlt werden dürfen, bereits Empfängerlisten veröffentlichen. “Zu unserem Überraschen haben Polen und Ungarn Listen veröffentlicht, obwohl sie weder Gelder aus der Vorfinanzierung noch eine reguläre Rate bekommen haben.” Wegen der Rechtsstaatsverfahren gegen Polen und Ungarn ist die Auszahlung von 23 Milliarden Euro an Zuschüssen und elf Milliarden an Darlehen an Warschau und knapp sechs Milliarden Euro an Zuschüssen an Budapest blockiert.
Polen hat eine Liste mit Empfängern veröffentlicht, Ungarn bereits zwei. “Können Sie uns erklären, wie die aufgelisteten Empfänger bereits an die Mittel aus dem RRF gekommen sind?”, fragt Hohlmeier die Kommission. Die Kommission möge gegenüber dem Parlament deutlich machen, nach welchen Kriterien die Mitgliedstaaten die Empfängerlisten zusammenstellen sollen.
Neben der Umsetzung des Next-Generation-EU-Programms machen Kommission und Mitgliedstaaten auch die gestiegenen Finanzierungskosten zu schaffen. So sind die Zinsen für EU-Anleihen mit zehnjähriger Laufzeit von 0,09 Prozent im Juni 2021 auf 3,2 Prozent im Mai 2023 gestiegen, etwas stärker etwa als die deutschen Bundesanleihen. Die Kommission hatte bei der Auflage des Programms aber nur einen “allmählichen Zinsanstieg auf 1,15 Prozent erwartet”, wie aus einem Brief von Haushaltskommissar Johannes Hahn an Markus Ferber hervorgeht, den Sprecher der EVP im Wirtschafts- und Währungsausschuss.
Den zusätzlichen Finanzbedarf dadurch hatte Hahn jüngst bei der Revision des Mehrjährigen Finanzrahmens auf 18,9 Milliarden Euro beziffert. Unter den Mitgliedstaaten gibt es aber Widerstand dagegen, für diese Mehrbelastung aufzukommen. “Die Zinslasten für den Corona-Fonds sind gegenüber den Kommissionsprognosen förmlich explodiert – das wird schon heute zum Problem für die Handlungsfähigkeit der EU”, sagt Ferber.
Der CSU-Politiker befürchtet wegen der angespannten Finanzlage in einigen Mitgliedstaaten weitere Zinsanstiege. Im April hatte die Ratingagentur Fitch die langfristigen Verbindlichkeiten Frankreichs von AA auf AA- heruntergestuft und anschließend auch die Kreditwürdigkeit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), der Vorgängerin des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). “Wenn ein großer EU-Mitgliedstaat wie Frankreich herabgestuft wird, hat das langfristig fast zwangsläufig auch Folgen für die Bonität von EU-Anleihen”, warnt Ferber.
Hahn widerspricht: In seinem Brief versichert er, “dass die Herabstufung Frankreichs keine Auswirkung auf das EU-Rating hat”. Die Verbindlichkeiten seien solide durch den EU-Haushalt und die EU-Eigenmittel abgesichert. Der EFSF sei wegen der geringeren Kapitalbasis “weniger robust”. Über Auswirkungen einer hypothetischen Herabstufung der EU-Anleihen wolle die Kommission nicht spekulieren. mgr/tho
Der Rat hat am Donnerstag der Kommission ein Mandat für die Verhandlungen mit den USA über ein Abkommen zu kritischen Mineralien (Critical Minerals Agreement, CMA) erteilt. Mit diesem Abkommen sollen die Lieferketten für kritische Rohstoffe gestärkt und einige der negativen Auswirkungen des US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) auf die EU-Industrie gemildert werden.
“Das Abkommen über kritische Mineralien wird eine Schlüsselrolle bei der Diversifizierung der internationalen Lieferketten für kritische Mineralien spielen”, erklärte der spanische Industrie- und Handelsminister Héctor Gómez Hernández. “Es wird auch dazu beitragen, unsere Zusammenarbeit in Bezug auf die grüne Transformation zu stärken”. Das Abkommen werde der EU einen gleichwertigen Status wie den US-Freihandelsabkommenspartnern für die Zwecke des Clean Vehicle Credit im Rahmen des IRA gewähren.
Gemäß den Verhandlungsrichtlinien sollte das CMA:
Das Abkommen solle dabei mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WHO) und mit den Zielen des EU-Gesetzes über kritische Rohstoffe (Critical Raw Materials Act) sowie mit der Europäischen Batterie-Allianz in Einklang stehen.
Nach der Annahme des Mandats kann die Kommission die formellen Verhandlungen mit den USA aufnehmen. Sobald diese abgeschlossen sind, muss das Abkommen vom Rat und vom Parlament angenommen werden. leo
Diplomaten der deutschen EU-Botschaft appellieren in einer Diplomatischen Korrespondenz an die Bundesregierung, ihren Streit über die Schadstoffnorm Euro 7 beizulegen. Andernfalls werde sie nicht dazu in der Lage sein, die Ratsposition bei diesem für die Autoindustrie wichtigen Dossier mitzubestimmen. Im Anschluss an ein Treffen der Ständigen Vertreter (AStV 1) am Mittwoch weist die deutsche EU-Botschaft die Bundesregierung darauf hin, dass die Arbeiten an dem Dossier jetzt in die entscheidende Phase gingen.
Die allgemeine Ausrichtung ist für den Wettbewerbsfähigkeitsrat am 25. September vorgesehen, der AStV 1 soll die Ausrichtung am 13./15. September vorbereiten. Entsprechend blieben nach der Sommerpause nur zwei Wochen für die letzten Beratungen des Textes. Deutsche Anliegen, schreibt die deutsche EU-Botschaft, sollten daher so schnell wie möglich und noch vor der Sommerpause und einem noch erwarteten Kompromissvorschlag der spanischen Ratspräsidentschaft übermittelt werden.
In der Tischrunde bei der Sitzung am Mittwoch habe sich fast jeder Mitgliedstaat zu Euro 7 geäußert, nur Deutschland blieb mangels Weisung ohne Wortmeldung. Bis heute können sich das Umwelt- und das Verkehrsministerium nicht einigen. Die spanische Ratspräsidentschaft bedauerte ausdrücklich, dass Deutschland sich bei diesem Dossier bislang nicht eingebracht habe.
Den Verhandlungsstand zwischen den Mitgliedstaaten fasste ein Vertreter der Ratspräsidentschaft in der Sitzung zusammen: Nur die Vorschläge der Kommission zu Reifen, Bremsen und Dauerhaltbarkeit seien unumstritten. Bei den Grenzwerten am Auspuff für Pkw und Lieferwagen sei keine Mehrheit für den Kommissionsvorschlag absehbar.
Bei Grenzwerten und Testbedingungen für schwere Nutzfahrzeuge gebe es zwischen den unterschiedlichen Positionen große Unterschiede. Zu den Fristen für das Inkrafttreten seien noch Diskussionen auf Arbeitsebene nötig. mgr
Die EU-Kommission hat am Donnerstag das nach Angaben des BMWK bisher größte Dekarbonisierungsprojekt in Deutschland beihilferechtlich genehmigt. ThyssenKrupp Steel Europe soll zwei Milliarden Euro von Bund und Land NRW erhalten, um eine Hochofenlinie in Duisburg auf Direktreduktion umzustellen.
Davon fließen 550 Millionen Euro in den Bau der Direktreduktion und zweier Einschmelzer für Eisenschwamm. Die restliche Summe von 1,45 Milliarden Euro ist ein “Conditional Payment” für den Einsatz von grünem Wasserstoff, die nach Angaben des BMWK bereits im Vorfeld ausgezahlt werden kann. “Die […] bedingte Zahlung wird in den ersten zehn Betriebsjahren […] die zusätzlichen Kosten für die Beschaffung und Verwendung von erneuerbarem Wasserstoff anstelle von kohlenstoffarmem Wasserstoff decken“, schreibt die Kommission.
Nach Angaben des Unternehmens soll die Inbetriebnahme ab Ende 2026 erfolgen – anfangs noch mit Erdgas, wie eine Sprecherin erklärte. Ab 2027 würden erste Wasserstoffmengen eingesetzt. “Je nach Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit” werde es sich um einen Mix aus blauem und grünem Wasserstoff handeln. Ab 2029 solle nur noch Wasserstoff verwendet werden – 143.000 Tonnen jährlich – und ab 2037 nur noch grüner Wasserstoff. Die jährliche CO2-Einsparung soll am Ende bei bis zu 3,5 Millionen Tonnen liegen.
Genehmigt hat die Kommission den Umbau wie schon bei Salzgitter nicht nach dem ursprünglich angestrebten IPCEI-Mechanismus, sondern nach den allgemeineren Klimabeihilfeleitlinien (KUEBLL). Die Kommission machte mehrere Auflagen, so müsse ThyssenKrupp die gewonnenen Erfahrungen teilen und eventuelle Gewinne an den Staat zurückzahlen.
“Wir werden im Rahmen des IPCEI Wasserstoff weitere Vorhaben unterstützen, damit auch die Erzeugung und der Transport des Wasserstoffs ermöglicht wird”, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Auf die beihilferechtliche Genehmigung warten nach BMWK-Angaben außerdem noch ein Projekt der Stahl-Holding-Saar sowie eines von ArcelorMittal in Bremen und Eisenhüttenstadt. ber
Vor zwei Wochen hat die Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA ihre Risikobewertung für Glyphosat bekannt gegeben. Nun steht fest: Die Abstimmung über eine Verlängerung des umstrittenen Herbizids um 15 Jahre soll im Oktober stattfinden.
Die Glyphosat-Verlängerung geht durch die sogenannte Komitologie-Prozedur. Will heißen: Die Kommission stellt einen Entscheid vor, der zuständige Komitologie-Ausschuss des Rats stimmt darüber ab. In diesem Fall ist der Ständige Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit zuständig, genauer gesagt dessen Unterausschuss für Phytopharmaka. Beim nächsten Treffen am 15. September will die Kommission ihren Entscheid zum Glyphosat vorstellen. Danach trifft sich das Komitee wieder am 12. und 13. Oktober. Dann will das Gremium über die Verlängerung abstimmen.
Es gilt die qualifizierte Mehrheit. Bei einer negativen Ablehnung wird der Berufungsausschuss mit der Frage befasst. Entscheidet sich auch dieser gegen den Vorschlag der Kommission, muss sie den Vorschlag zurückziehen. Kommt keine qualifizierte Mehrheit für oder gegen den Kommissionsvorschlag zusammen, kann die ihren Vorschlag umsetzen. So geschehen bei der Entscheidung für eine provisorische Verlängerung von Glyphosat im Dezember 2022.
Vor einigen Tagen wurde ein erster Entwurf des Kommissionsvorschlags geleakt. Darin empfiehlt die Kommission die Verlängerung von Glyphosat. Demnach könnte das umstrittene Herbizid noch bis 2038 eingesetzt werden.
Das Parlament erwägt, seine Einwände gegen die Verlängerung geltend zu machen, wie es aus dem Büro von Pascal Canfin (Renew) heißt, dem Vorsitzenden des Umweltausschusses. Ein solcher Einwand hat bei Durchführungsakten aber hauptsächliche symbolischen Charakter.
Das schnelle Vorgehen der Kommission mag überraschen. Erst Ende Juli wird die EFSA ihre Schlussfolgerungen zur Glyphosat-Einschätzung veröffentlichen. Der vollständige Bericht wird erst für Oktober erwartet. Also erst, nachdem die Kommission ihre Entscheidung fällt. cw
Der französische Präsident Emmanuel Macron bildet seine Regierung um. Die wichtigen Ressorts Wirtschaft, Außen- und Innenpolitik sowie Verteidigung und Justiz sind davon aber nicht betroffen, wie der Élyséepalast am Donnerstagabend in Paris verkündete. Ausgetauscht werden unter anderem der Bildungs- sowie der Gesundheitsminister. Auch Staatssekretärin Marlène Schiappa verlässt die Regierung.
Bereits seit Wochen stand in Frankreich eine Regierungsumbildung im Raum, auch über einen Wechsel an der Regierungsspitze wurde spekuliert. Macron hatte aber bereits am Dienstag gesagt, dass er an Premierministerin Élisabeth Borne festhalte.
Macron und die Mitte-Regierung sind nach dem monatelangen Kampf um die letztlich durchgedrückte Rentenreform geschwächt. Die Regierung, die seit der Parlamentswahl vor gut einem Jahr in der Nationalversammlung keine absolute Mehrheit mehr hat, schaffte es nicht, sich mit Stimmen der Opposition eine verlässliche Mehrheit für ihr Schlüsselvorhaben zu sichern. Dazu kamen die jüngsten Unruhen nach dem Tod eines Jugendlichen bei einer Polizeikontrolle. dpa
Spanien ist einer der europäischen Champions im Bereich erneuerbare Energien und sicherlich kein Freund der Kernenergie. Der Kampf gegen die Klimaerwärmung ist auch zentral für die jetzige Regierung. Die spanische Ministerin für Energie, Umwelt und Klimawandel, Teresa Ribera, gilt als eine der “besten Expertinnen für internationale Klimaverhandlungen” in der EU. Ihre Verhandlungsführung: offen, kommunikativ und hart in der Sache.
Neue Mehrheitsverhältnisse in Madrid könnten wohl Auswirkungen auf Spaniens Prioritäten während der EU-Ratspräsidentschaft haben. Im Programm steht nämlich die ökologische Transformation mit Antworten auf die Klimakrise als ein Pfeiler des spanischen Programms.
Die Amtszeit Spaniens im Rat ist das letzte volle Halbjahr der Präsidentschaft vor den Europawahlen. Manchmal auch als “golden presidency” bezeichnet, wird diese Zeit in der Regel genutzt, um möglichst viele Projekte abzuschließen oder zu ermöglichen, dass sie von der nächsten Präsidentschaft abgeschlossen werden. Das gilt umso mehr für den Green Deal, das Prestige-Programm von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, mit dem Europa bis 2050 klimaneutral werden soll. Von der Leyen sprach gar von “Europe’s man on the moon moment“. Die Rhetorik ist, ähnlich dem Ambitionsniveau, extrem hoch.
Belgien, das am 1. Januar 2024 die Ratspräsidentschaft antreten wird, dürfte in der Praxis nur zwei bis drei Monate Zeit haben, um zu versuchen, politisch abzuschließen, was vorher noch nicht abgeschlossen wurde. Denn die folgenden Wochen werden für formale Schritte genutzt, etwa für Übersetzungen und die endgültigen Abstimmungen der Mitgesetzgeber.
Nun wird in Spanien am kommenden Sonntag gewählt. Die meisten Umfragen sehen derzeit einen Sieg der Konservativen am 23. Juli vor. Alberto Núñez Feijóo, Vorsitzender der Volkspartei (PP), hat die Steuersenkung zu einem seiner wichtigsten Vorschläge gemacht (s. auch die Analyse zu Feijóo im heutigen Briefing).
Die spanische PP ist auch stark gegen das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur. Beim Gas- und Wasserstoffpaket könnte sie auch empfänglicher für den französischen Standpunkt zur Kernenergie sein, gegen den die Linke ist. Kurzum: Die PP vertritt in vielen Punkten so ziemlich das Gegenteil von der jetzigen Regierung.
In Brüssel sind sich die alten Hasen der EU-Politik im Großen und Ganzen einig, dass ein Wahlsieg der Rechten in Madrid die spanische Präsidentschaft nicht tief beeinträchtigen würde. Spanien übernimmt diese Rolle als Land, das grundsätzlich neutral sein muss. Vor allem aber gäbe es konkret keine Zeit, eine bereits feststehende Agenda zu ändern, und die verbleibende Arbeit an den meisten Themen, die sehr ausgereift sind, ist vor allem technischer Natur.
Allerdings: “Davon abgesehen gibt es den informellen Teil der Führung, der wichtig ist. Und wenn die Verhandlungen schwierig sind, kann die Präsidentschaft einen Kompromiss vorschlagen oder mit Fristen spielen, um ein Dossier zu bevorzugen oder nicht”, sagt jedoch eine europäische diplomatische Quelle. “Und vor allem würde eine konservative Regierung in Spanien eine konservative Stimme mehr im EU-Rat bedeuten und somit das politische Gleichgewicht verändern.”