in Paris nehmen die Spitzen der europäischen Politik heute Abschied von Jacques Delors. An der Trauerfeier für den ehemaligen Kommissionspräsidenten im Invalidendom wird selbstverständlich auch seine aktuelle Nachfolgerin Ursula von der Leyen teilnehmen. Wegen der Feier wurde eigens das Programm für den Besuch der Kommission bei der neuen belgischen Ratspräsidentschaft angepasst, der nun ausschließlich am Nachmittag stattfindet.
Deutschland wird auf Wunsch des Bundeskanzlers bei der Trauerfeier von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vertreten, der auch eine Rede halten soll. Außer der Marseillaise soll auch die Europahymne erklingen.
Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron könnte dafür bald nach Berlin reisen. Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat zu Lebzeiten den Wunsch hinterlassen, dass Macron bei seiner Trauerfeier spricht – neben seiner Nachfolgerin Bärbel Bas und CDU-Parteichef Friedrich Merz. Aus Paris wird bestätigt, dass Macron angefragt ist. Stattfinden soll der Staatsakt am 22. Januar im Bundestag. An diesem Tag jährt sich auch der Élysée-Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich.
Wie und in welchem Umfang sollen Unternehmen über ihre Nachhaltigkeitsbemühungen berichten? Diese Frage war im vergangenen Jahr Gegenstand erbitterter Debatten – und wird auch 2024 noch nicht ausdiskutiert sein. Die Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung sind noch nicht komplett, und auch die Unternehmen selbst müssen noch einige Hürden überwinden, bis ihre Daten vergleichbar, transparent und einheitlich sind.
Als Teil der Sustainable-Finance-Strategie der EU-Kommission sehen gleich mehrere Gesetzesvorhaben umfangreiche Berichtspflichten vor:
Ziel der Maßnahmen ist, Investitionen in die Finanzierung der Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu lenken. Damit soll gleichzeitig der Anreiz für Unternehmen geschaffen werden, ihre Geschäftsmodelle so zu modifizieren, dass sie im Einklang mit den Klimazielen stehen, die Natur schonen und sozialverträglich sind.
Mit der CSRD, nach der die ersten Unternehmen seit dieser Woche berichten müssen, wird die Zahl der berichtspflichtigen Unternehmen europaweit stufenweise von rund 12.000 (nach der bisherigen Non-Financial Reporting Directive) auf mehr als 50.000 ansteigen. Allein in Deutschland könnten es 15.000 sein und nicht mehr 500 wie bislang.
Daten über die Wirtschaftsaktivitäten dieser Unternehmen sollen überprüfbar und vergleichbar werden. Dafür sorgt zum einen der Kriterienkatalog der EU-Taxonomie, auf den die Unternehmen in ihren Nachhaltigkeitsberichten eingehen müssen. Zum anderen hat das Beratungsgremium EFRAG (European Financial Reporting Advisory Board) Entwürfe für Europäische Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) erarbeitet. Eine erste Reihe an Standards ist bereits in Kraft; die Entwürfe für branchenspezifische Standards stehen noch aus.
Mit der Absicht, die Unternehmen nicht zu überfordern, hatte die EU-Kommission die EFRAG im März 2023 beauftragt, die Arbeit zu den sektorunabhängigen Standards zu priorisieren. Diese wurden im Sommer in einem delegierten Rechtsakt verabschiedet, der am 22. Dezember im Amtsblatt der EU erschienen ist. Der ursprüngliche Kriterienkatalog der EFRAG mit mehr als 2000 Datenpunkten wurde von der Kommission denn auch deutlich reduziert. Im Rechtsakt ist nur noch weniger als ein Drittel der Informationen enthalten, die Unternehmen offenlegen müssen. Zudem können sie selbst beurteilen, welche Daten sie als wesentlich erachten.
Entsprechend der CSRD müssen Unternehmen, die bereits von der bislang geltenden Non-Financial Reporting Directive (NFRD) betroffen sind, diese Standards für das nun laufende Geschäftsjahr 2024 anwenden. Neu hinzukommende große Unternehmen müssen das erste Mal für das Geschäftsjahr 2025 berichten; börsennotierte KMU haben bis 2028 die Möglichkeit zu einem Opt-out.
Ende des Jahres hat die EFRAG zudem drei Entwürfe für Leitlinien für die “schwierigsten Aspekte” bei der Einführung der Standards veröffentlicht. Diese stehen noch bis zum 2. Februar für Interessengruppen zur Konsultation.
Demnach stehen nun noch Entwürfe für die sektorspezifischen Standards aus. Laut Informationen der EFRAG ist dies eine “mehrjährige Aufgabe”. Das Gremium habe bereits angefangen, Entwürfe für vier Branchenstandards zu entwickeln:
Vier weitere Branchen befinden sich derzeit noch in der Recherchephase:
Zuletzt hieß es, die Entwürfe würden bis Sommer 2024 veröffentlicht. Wie – und möglicherweise auch ob – es dann weitergeht, ist unklar: Nach der Anfang Juni anstehenden Europawahl könnten sich Zusammensetzung und Mehrheiten in der EU-Kommission und im Parlament zu Ungunsten des Vorhabens entwickeln. Das Parlament kann den delegierten Rechtsakt zwar nicht verändern, muss aber zustimmen.
Die Industrie fürchtet wegen des bürokratischen Mehraufwands durch die Vielzahl an Gesetzen um die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Europas. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fordert in Bezug auf die Nachhaltigkeitsberichtspflichten, “dass der Bürokratieaufwand für die Unternehmen im Zuge einer deutschen Umsetzung der CSRD höchstmöglich begrenzt wird”.
Diese Sorgen sind längst in der Politik angekommen: Die Bundesregierung versprach Maßnahmen zum Bürokratieabbau und verkündete, sich gemeinsam mit Frankreich auch auf EU-Ebene dafür einzusetzen. Für das EU-Sorgfaltspflichtengesetz und entsprechend notwendige Verschärfungen des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) stellte sie bereits Lockerungen der Berichtspflichten in Aussicht.
Auch in Bezug auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung wurden im September Forderungen der Bundesregierung an die EU-Kommission bekannt, kleine und mittelständische Unternehmen von den Berichtspflichten zu befreien.
Auf der anderen Seite fordern Befürworter der Gesetzesvorhaben wirksame Maßnahmen gegen die negativen Auswirkungen von Wirtschaftsaktivitäten. Unternehmen sollen Verantwortung für ihr Wirtschaften und ihre globalen Lieferketten übernehmen, also Umwelt- und Menschenrechtsstandards einhalten. Dies gelinge am besten, wenn Unternehmen verpflichtet seien, diese Informationen offenzulegen.
Die Berichterstattung ist jedoch kein Allheilmittel, wie beispielsweise die Arbeit des Carbon Disclosure Project zeigt, dessen Mitgliedsunternehmen freiwillig über Nachhaltigkeitsdaten berichten: Von den knapp 19.000 beteiligten Unternehmen geben gerade einmal 4100 an, dass sie über die Offenlegung hinaus ein Konzept erarbeitet haben, um ihr jeweiliges Geschäftsmodell kompatibel mit dem 1,5-Grad-Klimaziel zu machen.
Eine Studie der Unternehmensberatung PWC zeigt, dass die Qualität und Vergleichbarkeit der Daten in der Taxonomie-Berichterstattung bislang gering sind. Die Kennzahlen seien deshalb wenig aussagekräftig und etwa für Investoren nicht wirklich nützlich. Industrieunternehmen müssten deshalb ihre Datenerhebung und -verarbeitung optimieren und Finanzinstitute für eine bessere Standardisierung sorgen. Langfristig, so PWC, würden die Daten der Taxonomie jedoch ein wichtiger Anhaltspunkt für Investoren sein, um den Nachhaltigkeitsgrad ihres Portfolios zu bestimmen.
Frau Müller, auf der Welt tobt ein wirtschaftlicher Ringkampf zwischen China, den USA und Europa. Wo stehen wir da?
Europa muss aufpassen, dass es seine gestaltende Rolle nicht verliert; dieser Prozess hat bereits begonnen. Früher hat die Wirtschaft Brücken gebaut und Politik konnte entsprechend folgen. Heute sehen wir, dass auch von anderen Regionen wirtschaftliche Stärke als Instrument eingesetzt wird, um politische Macht zu erreichen. Europa muss sich dem entgegenstellen und darum kämpfen, die weiteren Entwicklungen selbst zu prägen, statt sie sich von anderen auferlegen zu lassen.
Was verlangt das?
Wir brauchen einen Paradigmenwechsel, im Kopf und im Handeln aller in Europa. Das ist nicht auf die Politik beschränkt, aber es gilt für sie besonders. Wir müssen erkennen, dass Europa nicht mehr automatisch die Strahlkraft hat, die es lange hatte. Wir müssen um Partner und Allianzen werben, nicht nur anderen erklären, was wir als richtig und falsch empfinden. Was dabei oft vergessen wird: Wenn Deutschland und Europa Verantwortung übernehmen und Werte sowie Überzeugungen in Sachen Klimaschutz international langfristig verankern wollen, dann funktioniert das nur als wichtiger, weltweit führender Wirtschaftsraum.
Haben wir diesen Einfluss verloren?
Wenn wir nicht aufpassen, dann kann und wird das auf jeden Fall passieren. Wir brauchen eine andere Wirtschaftspolitik, um wieder zu der Stärke zu gelangen, die es braucht, um global zu gestalten. Viele in Brüssel sehen im Konzept der Regulierung einen Wettbewerbsvorteil – in der falschen Annahme, dass alle uns folgen. Dabei merken sie nicht, dass es aktuell immer stärker in eine Isolierung führt, statt zu einer prägenden Rolle in der Welt.
Was meinen Sie konkret?
Regulierung ist gut, wenn wir uns gemeinsame Ziele setzen. Regulierung ist allerdings kontraproduktiv und wirkt bremsend, wenn wir politisch nicht nur Ziele, sondern auch die Instrumente festlegen. Nicht nur, dass Politik ohnehin nicht alleine entscheiden sollte, welche Technologie sich wann und wie durchsetzt. Dieser Ansatz wird außerdem in Teilen der Welt zunehmend als Besserwisserei empfunden – und als Bevormundung abgelehnt. Das wiederum gefährdet den so wichtigen gesellschaftlichen Rückhalt in der Mission Klimaneutralität. Es gibt keinen Zweifel am Ziel: Wir wollen und werden CO₂-neutral werden. Gleichzeitig gilt: Wir müssen technologieoffener agieren, damit wir das tatsächlich schaffen und umsetzen können.
Wenn es um E-Autos geht, war es der VW-Konzern, der am rigidesten das Steuer herumgeworfen hat.
Es gibt einen großen Unterschied zwischen Politik und einzelnen Unternehmen. Ein Unternehmen darf und muss entscheiden, welchen Kurs es einschlägt. Politik muss den Rahmen festlegen. Wenn Ziele politisch gesetzt werden, braucht es flankierende Rahmenbedingungen, die die Zielerreichung ermöglichen. Wichtig dabei ist: Spielraum in der jeweiligen Umsetzung muss nicht nur zugelassen, sondern möglich gemacht werden.
Tut Politik das nicht andauernd, mit Investitionen in Chip-Fabriken – als Chance und Sicherheit für die Volkswirtschaft?
Grundsätzlich gilt: Wir müssen die Ursachen unserer Probleme bei der Wettbewerbsfähigkeit bekämpfen, wir dürfen nicht mehr nur an den Symptomen rumdoktern und sie zeitweise abmildern. Nehmen Sie die Debatte um den Industriestrompreis. Die Automobilbranche profitiert davon nicht direkt, nur indirekt zum Beispiel bei Vorprodukten. Trotzdem haben wir gesagt, dass die Hilfe richtig und wichtig ist, weil man so strategisch wichtige Industrien hier sichern kann. Das gleiche gilt bei Batterien, Halbleitern und anderem. Diese Investitionen sind richtig – vor allem in dieser akuten Situation.
Darüber hinaus brauchen wir jetzt eine offene Diskussion, wie wir unsere Klimaziele tatsächlich erreichen können – und was dafür notwendig ist, damit wir gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreich bleiben. Standortpolitik ist dabei ein entscheidendes Kriterium. Mutige, große Reformen sind zwingend notwendig. Daher brauchen wir auch endlich eine Energiepolitik, die für ausreichend und damit bezahlbare Energie für alle sorgt.
Das klingt einfach, ist es aber nicht.
Es erfordert eine große gemeinsame Kraftanstrengung, eine Strategie, die kurz- mittel- und langfristige Konzepte entwirft – und hier und da auch etwas mehr Pragmatismus. Ein Beispiel: Ohne Frage brauchen wir daher eine aktivere Energiepolitik, das ist keine Überraschung. Trotzdem fehlt noch immer die Kraftwerksstrategie der Bundesregierung. Es ist sicher, dass wir in der Zukunft wesentlich mehr Energie, vor allem viel mehr Strom brauchen werden. Dafür müssen wir jetzt maximal investieren – und bei Genehmigungs- und Planungsverfahren maximal vereinfachen.
Oder nehmen Sie die Rohstoffe, die für die Transformation unverzichtbar sind. Wo sind die Handelsabkommen, die wir dringend brauchen? Stichwort Mercosur. Hier drohen wir, eine große Chance zu verpassen. Der ewige Verhandlungsmarathon ohne Ergebnis ist nicht gerade Werbung für andere Regionen in der Welt, mit uns Abkommen zu schließen. Auch in Afrika sind wir zu inaktiv – und zu spät.
Wem werfen Sie das vor?
Berlin und Brüssel. Wir hatten seit 2005 eine entsprechende Afrika-Strategie. Politisch wurde sie nie so unterlegt und mit Leben gefüllt, dass wir heute etwas davon hätten. Berlin und Brüssel hätten sich früher und stärker darum kümmern müssen. In einer Position der Stärke wäre es einfacher gewesen als in der jetzigen. Nun sehen wir, dass auch andere selbstbewusst eine Gestaltungsrolle einnehmen – und unser Einfluss und unsere Strahlkraft verblassen.
Sind wir zu belehrend?
Wir treten gerne belehrend auf. Natürlich muss unser Wertekanon auch unser politisches Handeln leiten. Gleichzeitig gilt: Zu viel Moral in der Politik führt nicht selten dazu, dass die richtigen Ziele umso weniger erreicht werden. Hier müssen wir ehrlicher und selbstkritischer sein, um am Ende mehr zu erreichen.
Entgleitet uns Europäern die Welt?
Soweit würde ich nicht gehen. Aber wenn man auf die BRICS-Staaten schaut, sieht man, wie sich die Welt verändert. Dass es neue Bündnisse gibt, die nicht mehr nur von unserer Werteordnung geprägt oder begeistert sind. Ich kann mich also nur wiederholen: Eine aktive Energie- und Rohstoffaußenpolitik und eine Handelspolitik mit entsprechenden Abkommen, die auf Diversifizierung, Effizienz sowie Resilienz fokussieren, sind Bedingung für unseren Wohlstand und unsere wirtschaftliche Stärke. Und somit am Ende auch für unseren Einfluss in der Welt.
Auch wenn Klimaschutzziele oder Arbeitsrechte nicht unseren Vorstellungen entsprechen?
Wenn wir keine Abkommen schließen, werden es andere tun und wir erreichen gar nichts. Natürlich wollen wir bessere Standards durchsetzen als andere Länder. Und selbst wenn nicht alles in Perfektion ausverhandelt ist, ist es auf jeden Fall wichtig, Handelsabkommen abzuschließen und gegebenenfalls zunächst Teile in Kraft zu setzen. Noch einmal: Unsere Rolle hat sich verändert. Wir müssen um unseren Standort kämpfen, wir müssen attraktiv für Investitionen bleiben. Ich hatte zum letzten Jahreswechsel diese aktive Standortpolitik, Relevanz durch wirtschaftliche Stärke, gefordert – und mit entsprechenden Vorschlägen unterlegt. Nach diesem Jahr muss ich leider sagen: Unser Standort ist nicht attraktiver geworden.
Heißt das, Chipindustrie, Batterieforschung, Zellproduktion sollten wieder nach Europa verlagert werden?
Wir sind uns einig, dass wir Mobilität der Zukunft – und andere Zukunftsfelder – aus Deutschland und Europa heraus gestalten und das Zentrum für die Transformationstechnologien sein wollen. Um dieses Zielbild zu ermöglichen, müssen wir der weltweit führende, der attraktivste und innovationsfreundlichste Standort sein. Ja, wir müssen uns den Zugang zu Zukunftstechnologen sichern – daher ist es richtig, in bestimmten Bereichen eine aktive Ansiedlung zu forcieren.
Aber?
Aber gleichzeitig müssen wir in der Wahl der Instrumente insgesamt freier denken. Durch den Inflation Reduction Act wird sich in den USA sehr viel Green Tech entwickeln. Das wäre auch hier möglich, weil die Entwickler in einem hohen Maße nach wie vor von hier kommen. Wir haben gute Forschungsinstitutionen und auch ein fast einzigartiges gemeinschaftliches Zusammenspiel zwischen Wirtschaft und Wissenschaft, meist gut flankiert durch die Politik. Aber wir machen daraus viel zu wenig.
Wir müssen uns fragen: Was ist an neuen Themen, Technologien, Ideen wichtig für uns, um als Forschungsstandort führend zu bleiben? Ohne Scheuklappen. Ohne die Angst, dass wir uns als Gesellschaft Debatten nicht zumuten dürfen. Einfach offen, pragmatisch und dabei strategisch. Fest steht: Wenn wir die Entwicklungszentren nicht mehr hier haben, haben wir in Folge oft auch die Werke nicht mehr hier.
Make Germany great again?
Der Slogan kommt von Ihnen (lacht). Tatsächlich stimmt: Wenn ich über De-Risking rede, muss De-Risking auch ermöglicht werden. Leitformel: So autonom wie notwendig und so offen, global und marktorientiert wie möglich. Wir leben von freiem Handel und unser Ziel muss freier Handel bleiben. Deshalb bin ich sehr kritisch, was die protektionistischen Bestrebungen in Brüssel angeht. Meine Sorge ist, dass wir uns dadurch als Exportnation am Ende selbst schaden.
Klingt geschmeidig, aber bleibt in der Kernfrage unkonkret: Wie viel muss der Staat jetzt machen? Ist es an der Zeit, Investitionen und staatliche Standortpolitik neu zu denken, also wie die USA und China auch viel Geld für eine bessere Wettbewerbssituation in die Hand zu nehmen?
Das hat mehrere Komponenten. Das Erste ist: Wenn wir in Europa Ziele und nicht auch noch immer mehr Instrumente bekommen, wäre das ungleich besser. Wir sagen zurzeit: Nur diese Technik ist die einzig Richtige. An vielen Stellen. Stattdessen müssen wir wieder dazu kommen, zu sagen: Das Ziel heißt CO₂-Verzicht. Und jetzt setzt ihr Wissenschaftler, Unternehmer, Forscher und so weiter das bestmöglich um. In den USA sagen sie den Unternehmen: Setzt den Dollar so ein, dass er maximal CO₂ reduziert. Wie ihr das macht, ist eure Entscheidung. Das ist ein riesiger Unterschied.
Sie spielen auf das Verbot von Verbrennern an?
Das ist nur eines von vielen Beispielen. Wenn wir global denken, wird klar, dass wir die Probleme im Verkehrssektor mit Elektromobilität alleine nicht lösen können. Für uns ist dieser Weg richtig, aber wir haben weltweit 1,5 Milliarden Fahrzeuge im Bestand. Wir können es uns nicht einfach machen und sagen: Irgendwann fahren alle Menschen E-Autos. Nein, wir müssen auch über synthetische Kraftstoffe oder anderes für den Bestand nachdenken. Andernfalls erreichen wir global unsere Klimaziele nicht.
Was fordern sie konkret?
Ich bin einigermaßen entsetzt über die Art, wie Brüssel mit E-Fuels umgeht. Das ist weder konstruktiv noch weitsichtig. Man agiert zunehmend abgekapselt – als ob es keine Welt da draußen gäbe. Brüssel wird nicht weltweit bestimmen, welche Autos wann und wie unterwegs sein dürfen. Mehr Einfluss haben wir, wenn wir offen gestalterisch statt dirigistisch an die Sache ran gehen.
Will die Kommission nicht einfach, dass der Politik nicht alles entgleitet? Zum Beispiel durch einen unregulierten Umgang mit Künstlicher Intelligenz?
Ich halte es für problematisch und falsch, was die EU in Sachen Künstliche Intelligenz gemacht hat. Natürlich plädiere ich nicht dafür, alles, was KI ermöglicht, einfach zu machen. Aber wenn wir uns jetzt abkoppeln, werden andere die Entwicklung dominieren. Was dann? Wir müssen den Mut haben, Entwicklung und Ausprobieren möglich zu machen. Regulierung ist der zweite Schritt. Sie darf nicht der erste sein.
Warum bauen die deutschen Autobauer bei den E-Autos fast nur im Premiumsegment? Es gibt kaum ein Elektroauto von deutschen Herstellern, das nicht mindestens 40.000 € kostet.
Das ist eine unternehmerische Entscheidung. Fest steht: Unsere Investitionen werden sich auszahlen: Das E-Auto ist auf dem Weg zum Massenprodukt, das heißt Skaleneffekte und Technologiesprünge werden dafür sorgen, dass die Preise für E-Autos sinken werden. Die deutschen Hersteller haben bereits deutlich günstigere Autos angekündigt. Auch hier ist der Standort und die Wettbewerbsfähigkeit wieder entscheidend: Wenn alle Kosten, ob bei Energie oder grundsätzlich, immer weiter steigen, wird die Mission nicht einfacher.
Trotzdem wirkt die deutsche Autoindustrie viel verwundbarer als die französische. Zum Beispiel im Wettbewerb mit China.
Das möchte ich doch deutlich zurückweisen. Die französischen Hersteller verkaufen kaum Autos in China, der Marktanteil ist gering, mit und ohne Elektroauto. Das verändert den Blick. Unser Anspruch ist und bleibt, die weltweit besten, effizientesten, sichersten, digitalisiertesten und klimafreundlichsten Autos der Welt zu bauen. Und im Übrigen steigt unser Angebot unterschiedlicher E-Modelle stetig an. Um nochmals auf die von Ihnen angesprochenen Kleinwagen zu kommen: Die deutschen Hersteller bieten in Deutschland bei den E-Klein- und Kleinstwagen vier Modelle an. Insgesamt gibt es elf Modelle im Segment der E-Kleinwagen und darunter, die aktuell in Deutschland erhältlich sind.
Und: Die deutschen Hersteller haben bei den E-Klein- und Kleinstwagen in Deutschland den mit Abstand größten Marktanteil. In den ersten elf Monaten des letzten Jahres erreichten die deutschen Hersteller einen Marktanteil bei den E-Kleinwagen von 46 Prozent. Das heißt: Fast jeder zweite E-Kleinwagen, der in Deutschland neu zugelassen wird, stammt von einem deutschen Hersteller. Und: Alle vier Modelle, die die deutschen Hersteller bei den E-Klein- und Kleinstwagen anbieten, sind für unter 40.000 Euro erhältlich.
Wären Strafzölle eine Option, den chinesischen Subventionen zu begegnen? Die Franzosen bejahen sie, die Deutschen lehnen sie überwiegend ab.
Grundsätzlich ist es für einen Kontinent, der vom Export abhängt, nicht unbedingt die klügste Lösung, mit Strafzöllen zu arbeiten. Das hat immer Rückwirkungen. Bei den Chips ist es nicht anders. Wir müssen zuallererst an unserer Wettbewerbsfähigkeit arbeiten. Das tun wir nicht ausreichend in Europa.
Können da nicht Strafzölle helfen?
Ich hätte mir gewünscht, die Vor- und Nachteile breiter zu diskutieren, bevor man Strafzölle auf den Weg bringt. Denn natürlich wird es Rückstoßeffekte geben. Gut möglich ist eine Negativ-Spirale, die letztlich alle Beteiligten Wirtschaftswachstum kostet. Dazu kommt etwas, an das viele gar nicht denken, nämlich dass auch deutsche Unternehmen von den Zöllen direkt betroffen sein können. Es sind ja nicht nur wir Autobauer; viele deutsche Industrien produzieren in China. Und alle, die Produktionen nach China verlagert haben und Produkte reimportieren, könnten schließlich davon betroffen sein.
Natürlich ist es wichtig, gegenüber China selbstbewusst aufzutreten – und natürlich sehen wir auch viele Entwicklungen dort äußerst kritisch. Wirtschaftliche und innovative Stärke sind entscheidend, wenn wir uns auf Dauer behaupten wollen.
Wenn Sie sich die Welt mit Russland, China, den BRICS-Staaten ansehen: Ist das Konzept Wandel durch Handel gescheitert?
Nein. Es ist zu einfach, dieses Konzept als gescheitert zu erklären, weil wir uns von russischem Gas abhängig gemacht haben und dafür nun den Preis bezahlen. Ich glaube im Gegenteil nach wie vor, dass Menschen und Märkte, die miteinander verbunden sind, besser miteinander Zukunft gestalten. Bestes Beispiel: Die Unternehmen der deutschen Autoindustrie, die in Südafrika Werke gebaut haben; die örtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt haben. Mitarbeitende, die inzwischen in festen Häusern wohnen, deren Kinder in Schulen gehen können, die Arbeitsrechte genießen, unsere Wertvorstellungen erleben. Das ist moderne, strategische und zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik – mit positiven Effekten für beide Seiten.
Hildegard Müller ist seit Februar 2020 Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie. Das vollständige Interview mit der VDA-Chefin – auch zu bundesdeutschen Themen und zur Forschungspolitik –lesen Sie hier. Zur Frage “Reguliert Europa die Welt?” erschien bei Table.Media 2023 eine Artikelserie. Den ersten Artikel zum Vorwurf des “regulatorischen Imperialismus’” lesen Sie hier.
10.01.-12.01.2024
Informelle Ministertagung Beschäftigung und Soziale Angelegenheiten
Themen: Die für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten zuständigen Minister kommen zu Beratungen zusammen. Infos
10.01.2024
Wöchentliche Kommissionssitzung
Themen: Europäisches Jahr der Jugend 2022 (Erfolge und Ausblick). Vorläufige Tagesordnung
11.01.2024 – 09:00-12:00 Uhr
Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Währung (ECON)
Themen: Bericht über die laufenden interinstitutionellen Verhandlungen, Berichtsentwurf zum europäischen Semester für die wirtschaftspolitische Koordinierung 2024, Entwurf einer Stellungnahme zur Änderung einer Richtlinie im Hinblick auf die Fristen für den Erlass der Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung für bestimmte Sektoren und bestimmte Unternehmen aus Drittstaaten. Vorläufige Tagesordnung
11.01.2024 – 09:00-10:00 Uhr
Gemeinsame Sitzung des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) und des Ausschusses für Verkehr und Tourismus (TRAN)
Themen: Berichtsentwurf zur Anrechnung und Verbuchung der Emissionen von Treibhausgasen bei Transportdienstleistungen. Vorläufige Tagesordnung
11.01.2024 – 09:15-10:45 Uhr
Sitzung des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL)
Themen: Aussprache zur Plattformarbeit. Vorläufige Tagesordnung
11.01.2024 – 10:30-10:45 Uhr
Gemeinsame Sitzung des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) und des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie (ITRE)
Themen: Abstimmung zum Trilogergebnis zur Verringerung der Methanemissionen im Energiesektor. Vorläufige Tagesordnung
11.01.2024 – 10:45-12:45 Uhr
Sitzung des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI)
Themen: Abstimmungen zu den Trilogergebnisen zur Verbringung von Abfällen, zu Industrieemissionen, zur Verpackungs-Verordnung, zur Ökodesign-Verordnung, zu Euro7; Berichtsentwurf zu Mikroplastik. Vorläufige Tagesordnung
Der umweltpolitische Sprecher der EVP-Fraktion sieht ein weiteres Zeichen für die Zeitenwende in der Umweltpolitik nach dem Ausscheiden von Frans Timmermans aus der Kommission: “Die geplante Verschärfung der europäischen Chemikalienpolitik kommt definitiv nicht”, schreibt Peter Liese am Donnerstag auf der Plattform X.
Dies habe ihm der für den Green Deal zuständige Kommissar Maroš Šefčovič bestätigt. Liese habe sich gemeinsam mit vielen Parteifreunden in den vergangenen Monaten entsprechend eingesetzt. Im Gegensatz dazu hätten Grüne, Sozialdemokraten und Linke und die Mehrheit der Liberalen auf entsprechende Verschärfung bestanden. “Ich freue mich sehr über diese Klarstellung”, sagte Liese.
Die Kommission hatte die Überarbeitung der europäischen Chemikalienverordnung REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) immer wieder verschoben. Sie stand im Arbeitsprogramm von 2023 liegt aber immer noch nicht vor.
Zuletzt, bei einer Anhörung im Parlament, hatte Šefčovič noch erklärt, dass die Vorbereitungen weiterliefen. “Die Arbeit an REACH ist im Gange”, sagte er den Abgeordneten im Oktober. vis
Kurz vor Weihnachten hat sich die SPD-Spitze mit Lars Klingbeil, Saskia Esken und Kevin Kühnert vom SPD-Länderrat, dem Kreis der Landes- und Bezirksvorsitzenden, einen vorläufigen Listenvorschlag für die Europawahl absegnen lassen. Zwei Fragen sind traditionell strittig: Wie sieht der Landesschlüssel für die aussichtsreichen Listenplätze aus? Und werden der Spitzenkandidat oder -kandidatin auf den Landesschlüssel angerechnet oder bleiben er oder sie außen vor?
Im Jahr 2019 entsandte die SPD 16 Abgeordnete ins EU-Parlament, hatte mit 15,8 Prozent (minus 11,5 Prozent) aber auch das mit Abstand schlechteste Wahlergebnis seit 1979 verbucht. Ein viel besseres Ergebnis erwartet in der Parteizentrale in Anbetracht der derzeitigen Umfragen für die Wahl im Juni aber niemand.
Es ist alle fünf Jahre wieder ein kompliziertes Verfahren. Die Zahl der Mitglieder pro Landesverband spielt eine Rolle, der Osten soll trotz seiner Organisationsschwäche in Brüssel und Straßburg vertreten sein, und in jedem Fall ist die Geschlechterquote einzuhalten.
Die größte Herausforderung für die Parteispitze: Immer gibt es Landesverbände, die sich unzureichend berücksichtigt fühlen. Dazu zählt diesmal der Landesverband Rheinland-Pfalz, der außer Spitzenfrau Katarina Barley wohl niemanden ins EP entsenden wird. Der bisherige Vertreter Karsten Lucke hat mit Platz 20 jedenfalls schlechte Karten. Auch das Saarland hat mit Platz 18 (Christian Petry) wenig gute Aussichten, noch schlechter sieht es für Hamburg, Bremen und Brandenburg aus.
Am 15. Januar soll der Parteivorstand den Vorschlag absegnen, dann könnten nur noch Kampfkandidaturen bei der Delegiertenkonferenz am 28. Januar die Reihung durcheinander bringen.
Die ersten 20 Plätze der Liste: 1. Katarina Barley (RP), 2. Jens Geier (NRW), 3. Maria Noichl (BY), 4. Bernd Lange (NS), 5. Birgit Sippel (NRW), 6. René Repasi (BW), 7. Gaby Bischoff (B), 8. Udo Bullmann (HE), 9. Delara Burkhardt (SH), 10. Matthias Ecke (SA), 11. Sabrina Repp (MV), 12. Tiemo Wölken (NS), 13. Vivien Costanzo (BW), 14. Tobias Cremer (NRW), 15. Claudia Walther (NRW), 16. Thomas Rudner (BY), 17. Martina Werner (HE), 18. Christian Petry (SL), 19. Laura Frick (HH), 20. Karsten Lucke (RP). kn
Der Ex-Linkenabgeordnete Fabio de Masi und der ehemalige Düsseldorfer SPD-Oberbürgermeister Thomas Geisel treten als Spitzenkandidaten bei der Europawahl für die Partei von Sahra Wagenknecht an. Wie Geisel am Donnerstag bestätigte, wechselt er zum Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit (BSW).
In seinem Austrittsschreiben, über das zuerst die “Neue Westfälische” berichtete, schreibt er, immer mehr Menschen schienen die Hoffnung aufgegeben zu haben, “dass Politik noch irgendetwas Gutes bewirken kann”. Er sei überzeugt, dass BSW diesen Trend stoppen könne.
Die SPD in Bund und Düsseldorf war überrascht von Geisels Übertritt. Im Willy-Brandt-Haus wusste man bis zum Donnerstagmittag nichts von seiner Absicht. Die NRW-SPD äußerte Bedauern über die Kandidatur. Offensichtlich war sie davon ausgegangen, dass sich Geisel, 60, nach seiner Niederlage 2020 im Jahr 2026 erneut um den OB-Posten in Düsseldorf bewerben würde.
Völlig aus dem Nichts kommt der Seitenwechsel allerdings nicht: Im vergangenen Frühjahr hatte sich der frühere Ruhrgas-Manager heftig mit dem damaligen ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk und dessen Ruf nach mehr Waffenlieferungen gestritten (“Es reicht, Herr Melnyk”) und auch die deutschen Lieferungen in die Ukraine kritisiert.
Die Vorstellung der Parteigründung und der Personalien ist für kommenden Montag geplant. In der Bundespressekonferenz dabei sein werden neben Wagenknecht, Amira Mohamed Ali und Christian Leye auch de Masi, Geisel sowie der Universitätsprofessor Shervin Haghsheno. Am 27. Januar soll der erste BSW-Parteitag stattfinden. Erwartet werden 400 Mitglieder. Okan Bellikli
Die EU-Kommission soll nach Ansicht der CSU im Bundestag personell radikal verkleinert werden. “Eine schnelle und effiziente EU ist die Voraussetzung, um international relevant und in Krisen reaktionsfähig zu sein. Dazu braucht es tiefgreifende Reformen an den Institutionen und Prozessen sowie eine deutliche Verkleinerung der EU-Kommission und ihres Beamtenapparats“, heißt es dazu im Entwurf eines Positionspapiers, welches der Deutschen Presse-Agentur in München vorliegt.
“Wir fordern deshalb, dass es künftig nur noch sieben statt 27 Kommissare gibt und die übrigen Mitgliedstaaten durch beigeordnete Junior-Kommissare vertreten werden.”
“Europa muss sich mit neuem Schwung auf seine Kernaufgaben konzentrieren: Wohlstand schaffen, Sicherheit gewährleisten und Souveränität verteidigen”, sagte Landesgruppenchef Alexander Dobrindt der dpa. Dazu brauche es effiziente Institutionen mit einer schlanken EU-Kommission an der Spitze. Die Verschlankungswünsche der CSU gehen noch weiter: “Auch die Anzahl und den Zuschnitt der EU-Behörden und Agenturen wollen wir kritisch prüfen.”
Der Europa-Passus ist Teil eines Positionspapiers, das die Bundestagsabgeordneten bei ihrer am Samstag im oberbayerischen Kloster Seeon beginnenden Klausur beschließen wollen. Zu der Klausur wird unter anderem auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) erwartet. Angesichts der jüngsten CSU-Forderung dürfte es im Gespräch mit ihr nicht nur um die Europawahl im Juni gehen.
Ein weiterer zentraler Punkt im Papier ist die Forderung nach dem offiziellen Ende des EU-Beitrittsprozesses mit der Türkei: “Die Türkei unter Präsident Erdoğan hat einen Weg eingeschlagen, der mit den Interessen, den Werten und der Identität der Europäischen Union unvereinbar ist”, heißt es zur Begründung. Ferner lehnt die CSU jegliche Vergemeinschaftung von Schulden ab und verlangt neue Freihandelsabkommen mit den USA, Australien, Indien sowie den Staaten der Wirtschaftsbündnisse Mercosur und Asean in Südamerika beziehungsweise Asien. dpa
Die technologische Rivalität zwischen den USA und China dominiert weltweit den Kurs der Wirtschaft. Zurzeit bestimmt Europa nicht proaktiv mit, wo die neuen globalen Trennlinien, besonders in kritischen Technologien, verlaufen werden. Europa läuft Gefahr, bei der Gestaltung einer neuen geo-ökonomischen Wirtschaftsordnung außen vor zu bleiben.
Anzeichen dafür gibt es bereits. Als die US-Regierung im Herbst 2022 weitreichende neue Exportkontrollen auf Mikrochip-Technologie gegen China verhängte, wurde Europa überrascht. Kurz darauf wurde eine Vereinbarung zwischen Washington, Den Haag und Tokio über die Angleichung ihrer Kontrollen in diesem Bereich bekannt gegeben – ein Abkommen, in dem Washington praktisch seine wirtschaftlichen und nationalen Sicherheitsinteressen auf Europa übertragen hatte.
Bei den strategischen Technologie-Industrien ist vor allem Deutschland Verlierer eines Nullsummenspiels mit China: Die Marktgewinne von China in Bereichen wie Maschinenbau, Chemie oder Wertstoffe, gehen gleichzeitig oft mit Verlusten für Deutschland einher. Und Peking wird immer selbstbewusster, wenn es darum geht, sich das Know-how und Forschungspotenzial europäischer Unternehmen anzueignen und gleichzeitig den Fluss wichtiger technologischer Inputs zu kontrollieren.
Europa muss seinen eigenen Weg gehen und seine einzigartigen Stärken nutzen, um ein unverzichtbarer Akteur im Bereich kritischer Technologien zu bleiben. Das bedarf einer Strategie, die über das De-Risking – also den Abbau von Risiken wie Lieferkettenabhängigkeiten – hinausgeht. Sie müsste gleichzeitig die Abhängigkeit anderer Regionen von europäischen Technologien strategisch erhöhen.
Da die EU nicht ganze Sektoren beherrschen kann, muss sie sich auf bestimmte Technologien konzentrieren, die für die globale wirtschaftliche Stabilität entscheidend sind. Das ist das Prinzip der strategischen Interdependenz: Weil nicht alle Risiken beseitigt werden können, gilt es, sich für ein Gleichgewicht mit anderen Staaten einzusetzen.
Ein nachahmenswertes Modell bietet Japan mit seiner Idee der “strategischen Unverzichtbarkeit” bei Schlüsseltechnologien. Auch die EU muss Technologien und Forschungsansätze identifizieren und in sie investieren. Dabei geht es um diejenigen Ansätze, die Wohlstand und Sicherheit garantieren, aber Europa als globalen Technologieknotenpunkt erhalten.
Konkret muss die Politik die globalen Technologie- und Forschungs-Ökosysteme gründlich analysieren und die europäischen Wettbewerbsvorteile identifizieren. In den Quantentechnologien zum Beispiel muss die Politik wissen, wo sich bereits global bedeutsame Forschungs-, aber auch Produktionskapazitäten entwickeln, um diese dann auch gezielt zu fördern und zu stärken. Als Beispiele seien Speziallinsen, Laser, Klebstoffe, Tieftemperatur-Kühlsysteme und Einzelphotonen-Detektoren genannt. Forschungssicherheit heißt auch, europäische Forschungsinstrumente mit genau diesen sicherheitspolitischen Zielen zu verzahnen.
Diese Analysen müssen die Geschwindigkeit berücksichtigen, mit der sich alternative Angebote oder Technologien entwickeln könnten. Die komplexen Lithografie-Systeme für die Halbleiterindustrie des niederländischen Unternehmens ASML beispielsweise werden auch in naher Zukunft schwer zu übertreffen sein. In dieser Hinsicht ist Europa im Vorteil. In anderen Technologien jedoch können Vorteile schnell erodieren, wie China in der Elektromobilität bewiesen hat. Doch die Sicherheit der Versorgungskette ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung, wie die große Abhängigkeit von China bei kritischen Rohstoffen zeigt.
Entscheidend ist, dass die EU die Bedürfnisse und Schwachstellen ihrer geopolitischen Rivalen berücksichtigt. Ebenso sollte die EU aus ihren Bündnissen Kapital schlagen, insbesondere mit technologisch fortschrittlichen Verbündeten wie den USA, Japan, Südkorea und Großbritannien. Das Ziel sollte sein, komplementäre Stärken in kritischen Technologien zu fördern.
Um diese Strategie voranzutreiben, braucht die EU eine neue wirtschaftliche Sicherheitsarchitektur. Ein Mechanismus für wirtschaftliche Sicherheit könnte die nötige Zusammenarbeit in drei Stufen besser strukturieren.
Insgesamt könnte dieser Mechanismus ein stärkeres Europa schaffen, das die internationale wirtschaftliche Sicherheit stärken kann, anstatt der zunehmenden Unsicherheit und Ungewissheit zum Opfer zu fallen.
Tobias Gehrke ist Senior Policy Fellow bei dem außenpolitischen Thinktank European Council on Foreign Relations (ECFR) in Berlin.
in Paris nehmen die Spitzen der europäischen Politik heute Abschied von Jacques Delors. An der Trauerfeier für den ehemaligen Kommissionspräsidenten im Invalidendom wird selbstverständlich auch seine aktuelle Nachfolgerin Ursula von der Leyen teilnehmen. Wegen der Feier wurde eigens das Programm für den Besuch der Kommission bei der neuen belgischen Ratspräsidentschaft angepasst, der nun ausschließlich am Nachmittag stattfindet.
Deutschland wird auf Wunsch des Bundeskanzlers bei der Trauerfeier von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vertreten, der auch eine Rede halten soll. Außer der Marseillaise soll auch die Europahymne erklingen.
Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron könnte dafür bald nach Berlin reisen. Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat zu Lebzeiten den Wunsch hinterlassen, dass Macron bei seiner Trauerfeier spricht – neben seiner Nachfolgerin Bärbel Bas und CDU-Parteichef Friedrich Merz. Aus Paris wird bestätigt, dass Macron angefragt ist. Stattfinden soll der Staatsakt am 22. Januar im Bundestag. An diesem Tag jährt sich auch der Élysée-Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich.
Wie und in welchem Umfang sollen Unternehmen über ihre Nachhaltigkeitsbemühungen berichten? Diese Frage war im vergangenen Jahr Gegenstand erbitterter Debatten – und wird auch 2024 noch nicht ausdiskutiert sein. Die Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung sind noch nicht komplett, und auch die Unternehmen selbst müssen noch einige Hürden überwinden, bis ihre Daten vergleichbar, transparent und einheitlich sind.
Als Teil der Sustainable-Finance-Strategie der EU-Kommission sehen gleich mehrere Gesetzesvorhaben umfangreiche Berichtspflichten vor:
Ziel der Maßnahmen ist, Investitionen in die Finanzierung der Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu lenken. Damit soll gleichzeitig der Anreiz für Unternehmen geschaffen werden, ihre Geschäftsmodelle so zu modifizieren, dass sie im Einklang mit den Klimazielen stehen, die Natur schonen und sozialverträglich sind.
Mit der CSRD, nach der die ersten Unternehmen seit dieser Woche berichten müssen, wird die Zahl der berichtspflichtigen Unternehmen europaweit stufenweise von rund 12.000 (nach der bisherigen Non-Financial Reporting Directive) auf mehr als 50.000 ansteigen. Allein in Deutschland könnten es 15.000 sein und nicht mehr 500 wie bislang.
Daten über die Wirtschaftsaktivitäten dieser Unternehmen sollen überprüfbar und vergleichbar werden. Dafür sorgt zum einen der Kriterienkatalog der EU-Taxonomie, auf den die Unternehmen in ihren Nachhaltigkeitsberichten eingehen müssen. Zum anderen hat das Beratungsgremium EFRAG (European Financial Reporting Advisory Board) Entwürfe für Europäische Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) erarbeitet. Eine erste Reihe an Standards ist bereits in Kraft; die Entwürfe für branchenspezifische Standards stehen noch aus.
Mit der Absicht, die Unternehmen nicht zu überfordern, hatte die EU-Kommission die EFRAG im März 2023 beauftragt, die Arbeit zu den sektorunabhängigen Standards zu priorisieren. Diese wurden im Sommer in einem delegierten Rechtsakt verabschiedet, der am 22. Dezember im Amtsblatt der EU erschienen ist. Der ursprüngliche Kriterienkatalog der EFRAG mit mehr als 2000 Datenpunkten wurde von der Kommission denn auch deutlich reduziert. Im Rechtsakt ist nur noch weniger als ein Drittel der Informationen enthalten, die Unternehmen offenlegen müssen. Zudem können sie selbst beurteilen, welche Daten sie als wesentlich erachten.
Entsprechend der CSRD müssen Unternehmen, die bereits von der bislang geltenden Non-Financial Reporting Directive (NFRD) betroffen sind, diese Standards für das nun laufende Geschäftsjahr 2024 anwenden. Neu hinzukommende große Unternehmen müssen das erste Mal für das Geschäftsjahr 2025 berichten; börsennotierte KMU haben bis 2028 die Möglichkeit zu einem Opt-out.
Ende des Jahres hat die EFRAG zudem drei Entwürfe für Leitlinien für die “schwierigsten Aspekte” bei der Einführung der Standards veröffentlicht. Diese stehen noch bis zum 2. Februar für Interessengruppen zur Konsultation.
Demnach stehen nun noch Entwürfe für die sektorspezifischen Standards aus. Laut Informationen der EFRAG ist dies eine “mehrjährige Aufgabe”. Das Gremium habe bereits angefangen, Entwürfe für vier Branchenstandards zu entwickeln:
Vier weitere Branchen befinden sich derzeit noch in der Recherchephase:
Zuletzt hieß es, die Entwürfe würden bis Sommer 2024 veröffentlicht. Wie – und möglicherweise auch ob – es dann weitergeht, ist unklar: Nach der Anfang Juni anstehenden Europawahl könnten sich Zusammensetzung und Mehrheiten in der EU-Kommission und im Parlament zu Ungunsten des Vorhabens entwickeln. Das Parlament kann den delegierten Rechtsakt zwar nicht verändern, muss aber zustimmen.
Die Industrie fürchtet wegen des bürokratischen Mehraufwands durch die Vielzahl an Gesetzen um die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Europas. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fordert in Bezug auf die Nachhaltigkeitsberichtspflichten, “dass der Bürokratieaufwand für die Unternehmen im Zuge einer deutschen Umsetzung der CSRD höchstmöglich begrenzt wird”.
Diese Sorgen sind längst in der Politik angekommen: Die Bundesregierung versprach Maßnahmen zum Bürokratieabbau und verkündete, sich gemeinsam mit Frankreich auch auf EU-Ebene dafür einzusetzen. Für das EU-Sorgfaltspflichtengesetz und entsprechend notwendige Verschärfungen des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) stellte sie bereits Lockerungen der Berichtspflichten in Aussicht.
Auch in Bezug auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung wurden im September Forderungen der Bundesregierung an die EU-Kommission bekannt, kleine und mittelständische Unternehmen von den Berichtspflichten zu befreien.
Auf der anderen Seite fordern Befürworter der Gesetzesvorhaben wirksame Maßnahmen gegen die negativen Auswirkungen von Wirtschaftsaktivitäten. Unternehmen sollen Verantwortung für ihr Wirtschaften und ihre globalen Lieferketten übernehmen, also Umwelt- und Menschenrechtsstandards einhalten. Dies gelinge am besten, wenn Unternehmen verpflichtet seien, diese Informationen offenzulegen.
Die Berichterstattung ist jedoch kein Allheilmittel, wie beispielsweise die Arbeit des Carbon Disclosure Project zeigt, dessen Mitgliedsunternehmen freiwillig über Nachhaltigkeitsdaten berichten: Von den knapp 19.000 beteiligten Unternehmen geben gerade einmal 4100 an, dass sie über die Offenlegung hinaus ein Konzept erarbeitet haben, um ihr jeweiliges Geschäftsmodell kompatibel mit dem 1,5-Grad-Klimaziel zu machen.
Eine Studie der Unternehmensberatung PWC zeigt, dass die Qualität und Vergleichbarkeit der Daten in der Taxonomie-Berichterstattung bislang gering sind. Die Kennzahlen seien deshalb wenig aussagekräftig und etwa für Investoren nicht wirklich nützlich. Industrieunternehmen müssten deshalb ihre Datenerhebung und -verarbeitung optimieren und Finanzinstitute für eine bessere Standardisierung sorgen. Langfristig, so PWC, würden die Daten der Taxonomie jedoch ein wichtiger Anhaltspunkt für Investoren sein, um den Nachhaltigkeitsgrad ihres Portfolios zu bestimmen.
Frau Müller, auf der Welt tobt ein wirtschaftlicher Ringkampf zwischen China, den USA und Europa. Wo stehen wir da?
Europa muss aufpassen, dass es seine gestaltende Rolle nicht verliert; dieser Prozess hat bereits begonnen. Früher hat die Wirtschaft Brücken gebaut und Politik konnte entsprechend folgen. Heute sehen wir, dass auch von anderen Regionen wirtschaftliche Stärke als Instrument eingesetzt wird, um politische Macht zu erreichen. Europa muss sich dem entgegenstellen und darum kämpfen, die weiteren Entwicklungen selbst zu prägen, statt sie sich von anderen auferlegen zu lassen.
Was verlangt das?
Wir brauchen einen Paradigmenwechsel, im Kopf und im Handeln aller in Europa. Das ist nicht auf die Politik beschränkt, aber es gilt für sie besonders. Wir müssen erkennen, dass Europa nicht mehr automatisch die Strahlkraft hat, die es lange hatte. Wir müssen um Partner und Allianzen werben, nicht nur anderen erklären, was wir als richtig und falsch empfinden. Was dabei oft vergessen wird: Wenn Deutschland und Europa Verantwortung übernehmen und Werte sowie Überzeugungen in Sachen Klimaschutz international langfristig verankern wollen, dann funktioniert das nur als wichtiger, weltweit führender Wirtschaftsraum.
Haben wir diesen Einfluss verloren?
Wenn wir nicht aufpassen, dann kann und wird das auf jeden Fall passieren. Wir brauchen eine andere Wirtschaftspolitik, um wieder zu der Stärke zu gelangen, die es braucht, um global zu gestalten. Viele in Brüssel sehen im Konzept der Regulierung einen Wettbewerbsvorteil – in der falschen Annahme, dass alle uns folgen. Dabei merken sie nicht, dass es aktuell immer stärker in eine Isolierung führt, statt zu einer prägenden Rolle in der Welt.
Was meinen Sie konkret?
Regulierung ist gut, wenn wir uns gemeinsame Ziele setzen. Regulierung ist allerdings kontraproduktiv und wirkt bremsend, wenn wir politisch nicht nur Ziele, sondern auch die Instrumente festlegen. Nicht nur, dass Politik ohnehin nicht alleine entscheiden sollte, welche Technologie sich wann und wie durchsetzt. Dieser Ansatz wird außerdem in Teilen der Welt zunehmend als Besserwisserei empfunden – und als Bevormundung abgelehnt. Das wiederum gefährdet den so wichtigen gesellschaftlichen Rückhalt in der Mission Klimaneutralität. Es gibt keinen Zweifel am Ziel: Wir wollen und werden CO₂-neutral werden. Gleichzeitig gilt: Wir müssen technologieoffener agieren, damit wir das tatsächlich schaffen und umsetzen können.
Wenn es um E-Autos geht, war es der VW-Konzern, der am rigidesten das Steuer herumgeworfen hat.
Es gibt einen großen Unterschied zwischen Politik und einzelnen Unternehmen. Ein Unternehmen darf und muss entscheiden, welchen Kurs es einschlägt. Politik muss den Rahmen festlegen. Wenn Ziele politisch gesetzt werden, braucht es flankierende Rahmenbedingungen, die die Zielerreichung ermöglichen. Wichtig dabei ist: Spielraum in der jeweiligen Umsetzung muss nicht nur zugelassen, sondern möglich gemacht werden.
Tut Politik das nicht andauernd, mit Investitionen in Chip-Fabriken – als Chance und Sicherheit für die Volkswirtschaft?
Grundsätzlich gilt: Wir müssen die Ursachen unserer Probleme bei der Wettbewerbsfähigkeit bekämpfen, wir dürfen nicht mehr nur an den Symptomen rumdoktern und sie zeitweise abmildern. Nehmen Sie die Debatte um den Industriestrompreis. Die Automobilbranche profitiert davon nicht direkt, nur indirekt zum Beispiel bei Vorprodukten. Trotzdem haben wir gesagt, dass die Hilfe richtig und wichtig ist, weil man so strategisch wichtige Industrien hier sichern kann. Das gleiche gilt bei Batterien, Halbleitern und anderem. Diese Investitionen sind richtig – vor allem in dieser akuten Situation.
Darüber hinaus brauchen wir jetzt eine offene Diskussion, wie wir unsere Klimaziele tatsächlich erreichen können – und was dafür notwendig ist, damit wir gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreich bleiben. Standortpolitik ist dabei ein entscheidendes Kriterium. Mutige, große Reformen sind zwingend notwendig. Daher brauchen wir auch endlich eine Energiepolitik, die für ausreichend und damit bezahlbare Energie für alle sorgt.
Das klingt einfach, ist es aber nicht.
Es erfordert eine große gemeinsame Kraftanstrengung, eine Strategie, die kurz- mittel- und langfristige Konzepte entwirft – und hier und da auch etwas mehr Pragmatismus. Ein Beispiel: Ohne Frage brauchen wir daher eine aktivere Energiepolitik, das ist keine Überraschung. Trotzdem fehlt noch immer die Kraftwerksstrategie der Bundesregierung. Es ist sicher, dass wir in der Zukunft wesentlich mehr Energie, vor allem viel mehr Strom brauchen werden. Dafür müssen wir jetzt maximal investieren – und bei Genehmigungs- und Planungsverfahren maximal vereinfachen.
Oder nehmen Sie die Rohstoffe, die für die Transformation unverzichtbar sind. Wo sind die Handelsabkommen, die wir dringend brauchen? Stichwort Mercosur. Hier drohen wir, eine große Chance zu verpassen. Der ewige Verhandlungsmarathon ohne Ergebnis ist nicht gerade Werbung für andere Regionen in der Welt, mit uns Abkommen zu schließen. Auch in Afrika sind wir zu inaktiv – und zu spät.
Wem werfen Sie das vor?
Berlin und Brüssel. Wir hatten seit 2005 eine entsprechende Afrika-Strategie. Politisch wurde sie nie so unterlegt und mit Leben gefüllt, dass wir heute etwas davon hätten. Berlin und Brüssel hätten sich früher und stärker darum kümmern müssen. In einer Position der Stärke wäre es einfacher gewesen als in der jetzigen. Nun sehen wir, dass auch andere selbstbewusst eine Gestaltungsrolle einnehmen – und unser Einfluss und unsere Strahlkraft verblassen.
Sind wir zu belehrend?
Wir treten gerne belehrend auf. Natürlich muss unser Wertekanon auch unser politisches Handeln leiten. Gleichzeitig gilt: Zu viel Moral in der Politik führt nicht selten dazu, dass die richtigen Ziele umso weniger erreicht werden. Hier müssen wir ehrlicher und selbstkritischer sein, um am Ende mehr zu erreichen.
Entgleitet uns Europäern die Welt?
Soweit würde ich nicht gehen. Aber wenn man auf die BRICS-Staaten schaut, sieht man, wie sich die Welt verändert. Dass es neue Bündnisse gibt, die nicht mehr nur von unserer Werteordnung geprägt oder begeistert sind. Ich kann mich also nur wiederholen: Eine aktive Energie- und Rohstoffaußenpolitik und eine Handelspolitik mit entsprechenden Abkommen, die auf Diversifizierung, Effizienz sowie Resilienz fokussieren, sind Bedingung für unseren Wohlstand und unsere wirtschaftliche Stärke. Und somit am Ende auch für unseren Einfluss in der Welt.
Auch wenn Klimaschutzziele oder Arbeitsrechte nicht unseren Vorstellungen entsprechen?
Wenn wir keine Abkommen schließen, werden es andere tun und wir erreichen gar nichts. Natürlich wollen wir bessere Standards durchsetzen als andere Länder. Und selbst wenn nicht alles in Perfektion ausverhandelt ist, ist es auf jeden Fall wichtig, Handelsabkommen abzuschließen und gegebenenfalls zunächst Teile in Kraft zu setzen. Noch einmal: Unsere Rolle hat sich verändert. Wir müssen um unseren Standort kämpfen, wir müssen attraktiv für Investitionen bleiben. Ich hatte zum letzten Jahreswechsel diese aktive Standortpolitik, Relevanz durch wirtschaftliche Stärke, gefordert – und mit entsprechenden Vorschlägen unterlegt. Nach diesem Jahr muss ich leider sagen: Unser Standort ist nicht attraktiver geworden.
Heißt das, Chipindustrie, Batterieforschung, Zellproduktion sollten wieder nach Europa verlagert werden?
Wir sind uns einig, dass wir Mobilität der Zukunft – und andere Zukunftsfelder – aus Deutschland und Europa heraus gestalten und das Zentrum für die Transformationstechnologien sein wollen. Um dieses Zielbild zu ermöglichen, müssen wir der weltweit führende, der attraktivste und innovationsfreundlichste Standort sein. Ja, wir müssen uns den Zugang zu Zukunftstechnologen sichern – daher ist es richtig, in bestimmten Bereichen eine aktive Ansiedlung zu forcieren.
Aber?
Aber gleichzeitig müssen wir in der Wahl der Instrumente insgesamt freier denken. Durch den Inflation Reduction Act wird sich in den USA sehr viel Green Tech entwickeln. Das wäre auch hier möglich, weil die Entwickler in einem hohen Maße nach wie vor von hier kommen. Wir haben gute Forschungsinstitutionen und auch ein fast einzigartiges gemeinschaftliches Zusammenspiel zwischen Wirtschaft und Wissenschaft, meist gut flankiert durch die Politik. Aber wir machen daraus viel zu wenig.
Wir müssen uns fragen: Was ist an neuen Themen, Technologien, Ideen wichtig für uns, um als Forschungsstandort führend zu bleiben? Ohne Scheuklappen. Ohne die Angst, dass wir uns als Gesellschaft Debatten nicht zumuten dürfen. Einfach offen, pragmatisch und dabei strategisch. Fest steht: Wenn wir die Entwicklungszentren nicht mehr hier haben, haben wir in Folge oft auch die Werke nicht mehr hier.
Make Germany great again?
Der Slogan kommt von Ihnen (lacht). Tatsächlich stimmt: Wenn ich über De-Risking rede, muss De-Risking auch ermöglicht werden. Leitformel: So autonom wie notwendig und so offen, global und marktorientiert wie möglich. Wir leben von freiem Handel und unser Ziel muss freier Handel bleiben. Deshalb bin ich sehr kritisch, was die protektionistischen Bestrebungen in Brüssel angeht. Meine Sorge ist, dass wir uns dadurch als Exportnation am Ende selbst schaden.
Klingt geschmeidig, aber bleibt in der Kernfrage unkonkret: Wie viel muss der Staat jetzt machen? Ist es an der Zeit, Investitionen und staatliche Standortpolitik neu zu denken, also wie die USA und China auch viel Geld für eine bessere Wettbewerbssituation in die Hand zu nehmen?
Das hat mehrere Komponenten. Das Erste ist: Wenn wir in Europa Ziele und nicht auch noch immer mehr Instrumente bekommen, wäre das ungleich besser. Wir sagen zurzeit: Nur diese Technik ist die einzig Richtige. An vielen Stellen. Stattdessen müssen wir wieder dazu kommen, zu sagen: Das Ziel heißt CO₂-Verzicht. Und jetzt setzt ihr Wissenschaftler, Unternehmer, Forscher und so weiter das bestmöglich um. In den USA sagen sie den Unternehmen: Setzt den Dollar so ein, dass er maximal CO₂ reduziert. Wie ihr das macht, ist eure Entscheidung. Das ist ein riesiger Unterschied.
Sie spielen auf das Verbot von Verbrennern an?
Das ist nur eines von vielen Beispielen. Wenn wir global denken, wird klar, dass wir die Probleme im Verkehrssektor mit Elektromobilität alleine nicht lösen können. Für uns ist dieser Weg richtig, aber wir haben weltweit 1,5 Milliarden Fahrzeuge im Bestand. Wir können es uns nicht einfach machen und sagen: Irgendwann fahren alle Menschen E-Autos. Nein, wir müssen auch über synthetische Kraftstoffe oder anderes für den Bestand nachdenken. Andernfalls erreichen wir global unsere Klimaziele nicht.
Was fordern sie konkret?
Ich bin einigermaßen entsetzt über die Art, wie Brüssel mit E-Fuels umgeht. Das ist weder konstruktiv noch weitsichtig. Man agiert zunehmend abgekapselt – als ob es keine Welt da draußen gäbe. Brüssel wird nicht weltweit bestimmen, welche Autos wann und wie unterwegs sein dürfen. Mehr Einfluss haben wir, wenn wir offen gestalterisch statt dirigistisch an die Sache ran gehen.
Will die Kommission nicht einfach, dass der Politik nicht alles entgleitet? Zum Beispiel durch einen unregulierten Umgang mit Künstlicher Intelligenz?
Ich halte es für problematisch und falsch, was die EU in Sachen Künstliche Intelligenz gemacht hat. Natürlich plädiere ich nicht dafür, alles, was KI ermöglicht, einfach zu machen. Aber wenn wir uns jetzt abkoppeln, werden andere die Entwicklung dominieren. Was dann? Wir müssen den Mut haben, Entwicklung und Ausprobieren möglich zu machen. Regulierung ist der zweite Schritt. Sie darf nicht der erste sein.
Warum bauen die deutschen Autobauer bei den E-Autos fast nur im Premiumsegment? Es gibt kaum ein Elektroauto von deutschen Herstellern, das nicht mindestens 40.000 € kostet.
Das ist eine unternehmerische Entscheidung. Fest steht: Unsere Investitionen werden sich auszahlen: Das E-Auto ist auf dem Weg zum Massenprodukt, das heißt Skaleneffekte und Technologiesprünge werden dafür sorgen, dass die Preise für E-Autos sinken werden. Die deutschen Hersteller haben bereits deutlich günstigere Autos angekündigt. Auch hier ist der Standort und die Wettbewerbsfähigkeit wieder entscheidend: Wenn alle Kosten, ob bei Energie oder grundsätzlich, immer weiter steigen, wird die Mission nicht einfacher.
Trotzdem wirkt die deutsche Autoindustrie viel verwundbarer als die französische. Zum Beispiel im Wettbewerb mit China.
Das möchte ich doch deutlich zurückweisen. Die französischen Hersteller verkaufen kaum Autos in China, der Marktanteil ist gering, mit und ohne Elektroauto. Das verändert den Blick. Unser Anspruch ist und bleibt, die weltweit besten, effizientesten, sichersten, digitalisiertesten und klimafreundlichsten Autos der Welt zu bauen. Und im Übrigen steigt unser Angebot unterschiedlicher E-Modelle stetig an. Um nochmals auf die von Ihnen angesprochenen Kleinwagen zu kommen: Die deutschen Hersteller bieten in Deutschland bei den E-Klein- und Kleinstwagen vier Modelle an. Insgesamt gibt es elf Modelle im Segment der E-Kleinwagen und darunter, die aktuell in Deutschland erhältlich sind.
Und: Die deutschen Hersteller haben bei den E-Klein- und Kleinstwagen in Deutschland den mit Abstand größten Marktanteil. In den ersten elf Monaten des letzten Jahres erreichten die deutschen Hersteller einen Marktanteil bei den E-Kleinwagen von 46 Prozent. Das heißt: Fast jeder zweite E-Kleinwagen, der in Deutschland neu zugelassen wird, stammt von einem deutschen Hersteller. Und: Alle vier Modelle, die die deutschen Hersteller bei den E-Klein- und Kleinstwagen anbieten, sind für unter 40.000 Euro erhältlich.
Wären Strafzölle eine Option, den chinesischen Subventionen zu begegnen? Die Franzosen bejahen sie, die Deutschen lehnen sie überwiegend ab.
Grundsätzlich ist es für einen Kontinent, der vom Export abhängt, nicht unbedingt die klügste Lösung, mit Strafzöllen zu arbeiten. Das hat immer Rückwirkungen. Bei den Chips ist es nicht anders. Wir müssen zuallererst an unserer Wettbewerbsfähigkeit arbeiten. Das tun wir nicht ausreichend in Europa.
Können da nicht Strafzölle helfen?
Ich hätte mir gewünscht, die Vor- und Nachteile breiter zu diskutieren, bevor man Strafzölle auf den Weg bringt. Denn natürlich wird es Rückstoßeffekte geben. Gut möglich ist eine Negativ-Spirale, die letztlich alle Beteiligten Wirtschaftswachstum kostet. Dazu kommt etwas, an das viele gar nicht denken, nämlich dass auch deutsche Unternehmen von den Zöllen direkt betroffen sein können. Es sind ja nicht nur wir Autobauer; viele deutsche Industrien produzieren in China. Und alle, die Produktionen nach China verlagert haben und Produkte reimportieren, könnten schließlich davon betroffen sein.
Natürlich ist es wichtig, gegenüber China selbstbewusst aufzutreten – und natürlich sehen wir auch viele Entwicklungen dort äußerst kritisch. Wirtschaftliche und innovative Stärke sind entscheidend, wenn wir uns auf Dauer behaupten wollen.
Wenn Sie sich die Welt mit Russland, China, den BRICS-Staaten ansehen: Ist das Konzept Wandel durch Handel gescheitert?
Nein. Es ist zu einfach, dieses Konzept als gescheitert zu erklären, weil wir uns von russischem Gas abhängig gemacht haben und dafür nun den Preis bezahlen. Ich glaube im Gegenteil nach wie vor, dass Menschen und Märkte, die miteinander verbunden sind, besser miteinander Zukunft gestalten. Bestes Beispiel: Die Unternehmen der deutschen Autoindustrie, die in Südafrika Werke gebaut haben; die örtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt haben. Mitarbeitende, die inzwischen in festen Häusern wohnen, deren Kinder in Schulen gehen können, die Arbeitsrechte genießen, unsere Wertvorstellungen erleben. Das ist moderne, strategische und zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik – mit positiven Effekten für beide Seiten.
Hildegard Müller ist seit Februar 2020 Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie. Das vollständige Interview mit der VDA-Chefin – auch zu bundesdeutschen Themen und zur Forschungspolitik –lesen Sie hier. Zur Frage “Reguliert Europa die Welt?” erschien bei Table.Media 2023 eine Artikelserie. Den ersten Artikel zum Vorwurf des “regulatorischen Imperialismus’” lesen Sie hier.
10.01.-12.01.2024
Informelle Ministertagung Beschäftigung und Soziale Angelegenheiten
Themen: Die für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten zuständigen Minister kommen zu Beratungen zusammen. Infos
10.01.2024
Wöchentliche Kommissionssitzung
Themen: Europäisches Jahr der Jugend 2022 (Erfolge und Ausblick). Vorläufige Tagesordnung
11.01.2024 – 09:00-12:00 Uhr
Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Währung (ECON)
Themen: Bericht über die laufenden interinstitutionellen Verhandlungen, Berichtsentwurf zum europäischen Semester für die wirtschaftspolitische Koordinierung 2024, Entwurf einer Stellungnahme zur Änderung einer Richtlinie im Hinblick auf die Fristen für den Erlass der Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung für bestimmte Sektoren und bestimmte Unternehmen aus Drittstaaten. Vorläufige Tagesordnung
11.01.2024 – 09:00-10:00 Uhr
Gemeinsame Sitzung des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) und des Ausschusses für Verkehr und Tourismus (TRAN)
Themen: Berichtsentwurf zur Anrechnung und Verbuchung der Emissionen von Treibhausgasen bei Transportdienstleistungen. Vorläufige Tagesordnung
11.01.2024 – 09:15-10:45 Uhr
Sitzung des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL)
Themen: Aussprache zur Plattformarbeit. Vorläufige Tagesordnung
11.01.2024 – 10:30-10:45 Uhr
Gemeinsame Sitzung des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) und des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie (ITRE)
Themen: Abstimmung zum Trilogergebnis zur Verringerung der Methanemissionen im Energiesektor. Vorläufige Tagesordnung
11.01.2024 – 10:45-12:45 Uhr
Sitzung des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI)
Themen: Abstimmungen zu den Trilogergebnisen zur Verbringung von Abfällen, zu Industrieemissionen, zur Verpackungs-Verordnung, zur Ökodesign-Verordnung, zu Euro7; Berichtsentwurf zu Mikroplastik. Vorläufige Tagesordnung
Der umweltpolitische Sprecher der EVP-Fraktion sieht ein weiteres Zeichen für die Zeitenwende in der Umweltpolitik nach dem Ausscheiden von Frans Timmermans aus der Kommission: “Die geplante Verschärfung der europäischen Chemikalienpolitik kommt definitiv nicht”, schreibt Peter Liese am Donnerstag auf der Plattform X.
Dies habe ihm der für den Green Deal zuständige Kommissar Maroš Šefčovič bestätigt. Liese habe sich gemeinsam mit vielen Parteifreunden in den vergangenen Monaten entsprechend eingesetzt. Im Gegensatz dazu hätten Grüne, Sozialdemokraten und Linke und die Mehrheit der Liberalen auf entsprechende Verschärfung bestanden. “Ich freue mich sehr über diese Klarstellung”, sagte Liese.
Die Kommission hatte die Überarbeitung der europäischen Chemikalienverordnung REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) immer wieder verschoben. Sie stand im Arbeitsprogramm von 2023 liegt aber immer noch nicht vor.
Zuletzt, bei einer Anhörung im Parlament, hatte Šefčovič noch erklärt, dass die Vorbereitungen weiterliefen. “Die Arbeit an REACH ist im Gange”, sagte er den Abgeordneten im Oktober. vis
Kurz vor Weihnachten hat sich die SPD-Spitze mit Lars Klingbeil, Saskia Esken und Kevin Kühnert vom SPD-Länderrat, dem Kreis der Landes- und Bezirksvorsitzenden, einen vorläufigen Listenvorschlag für die Europawahl absegnen lassen. Zwei Fragen sind traditionell strittig: Wie sieht der Landesschlüssel für die aussichtsreichen Listenplätze aus? Und werden der Spitzenkandidat oder -kandidatin auf den Landesschlüssel angerechnet oder bleiben er oder sie außen vor?
Im Jahr 2019 entsandte die SPD 16 Abgeordnete ins EU-Parlament, hatte mit 15,8 Prozent (minus 11,5 Prozent) aber auch das mit Abstand schlechteste Wahlergebnis seit 1979 verbucht. Ein viel besseres Ergebnis erwartet in der Parteizentrale in Anbetracht der derzeitigen Umfragen für die Wahl im Juni aber niemand.
Es ist alle fünf Jahre wieder ein kompliziertes Verfahren. Die Zahl der Mitglieder pro Landesverband spielt eine Rolle, der Osten soll trotz seiner Organisationsschwäche in Brüssel und Straßburg vertreten sein, und in jedem Fall ist die Geschlechterquote einzuhalten.
Die größte Herausforderung für die Parteispitze: Immer gibt es Landesverbände, die sich unzureichend berücksichtigt fühlen. Dazu zählt diesmal der Landesverband Rheinland-Pfalz, der außer Spitzenfrau Katarina Barley wohl niemanden ins EP entsenden wird. Der bisherige Vertreter Karsten Lucke hat mit Platz 20 jedenfalls schlechte Karten. Auch das Saarland hat mit Platz 18 (Christian Petry) wenig gute Aussichten, noch schlechter sieht es für Hamburg, Bremen und Brandenburg aus.
Am 15. Januar soll der Parteivorstand den Vorschlag absegnen, dann könnten nur noch Kampfkandidaturen bei der Delegiertenkonferenz am 28. Januar die Reihung durcheinander bringen.
Die ersten 20 Plätze der Liste: 1. Katarina Barley (RP), 2. Jens Geier (NRW), 3. Maria Noichl (BY), 4. Bernd Lange (NS), 5. Birgit Sippel (NRW), 6. René Repasi (BW), 7. Gaby Bischoff (B), 8. Udo Bullmann (HE), 9. Delara Burkhardt (SH), 10. Matthias Ecke (SA), 11. Sabrina Repp (MV), 12. Tiemo Wölken (NS), 13. Vivien Costanzo (BW), 14. Tobias Cremer (NRW), 15. Claudia Walther (NRW), 16. Thomas Rudner (BY), 17. Martina Werner (HE), 18. Christian Petry (SL), 19. Laura Frick (HH), 20. Karsten Lucke (RP). kn
Der Ex-Linkenabgeordnete Fabio de Masi und der ehemalige Düsseldorfer SPD-Oberbürgermeister Thomas Geisel treten als Spitzenkandidaten bei der Europawahl für die Partei von Sahra Wagenknecht an. Wie Geisel am Donnerstag bestätigte, wechselt er zum Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit (BSW).
In seinem Austrittsschreiben, über das zuerst die “Neue Westfälische” berichtete, schreibt er, immer mehr Menschen schienen die Hoffnung aufgegeben zu haben, “dass Politik noch irgendetwas Gutes bewirken kann”. Er sei überzeugt, dass BSW diesen Trend stoppen könne.
Die SPD in Bund und Düsseldorf war überrascht von Geisels Übertritt. Im Willy-Brandt-Haus wusste man bis zum Donnerstagmittag nichts von seiner Absicht. Die NRW-SPD äußerte Bedauern über die Kandidatur. Offensichtlich war sie davon ausgegangen, dass sich Geisel, 60, nach seiner Niederlage 2020 im Jahr 2026 erneut um den OB-Posten in Düsseldorf bewerben würde.
Völlig aus dem Nichts kommt der Seitenwechsel allerdings nicht: Im vergangenen Frühjahr hatte sich der frühere Ruhrgas-Manager heftig mit dem damaligen ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk und dessen Ruf nach mehr Waffenlieferungen gestritten (“Es reicht, Herr Melnyk”) und auch die deutschen Lieferungen in die Ukraine kritisiert.
Die Vorstellung der Parteigründung und der Personalien ist für kommenden Montag geplant. In der Bundespressekonferenz dabei sein werden neben Wagenknecht, Amira Mohamed Ali und Christian Leye auch de Masi, Geisel sowie der Universitätsprofessor Shervin Haghsheno. Am 27. Januar soll der erste BSW-Parteitag stattfinden. Erwartet werden 400 Mitglieder. Okan Bellikli
Die EU-Kommission soll nach Ansicht der CSU im Bundestag personell radikal verkleinert werden. “Eine schnelle und effiziente EU ist die Voraussetzung, um international relevant und in Krisen reaktionsfähig zu sein. Dazu braucht es tiefgreifende Reformen an den Institutionen und Prozessen sowie eine deutliche Verkleinerung der EU-Kommission und ihres Beamtenapparats“, heißt es dazu im Entwurf eines Positionspapiers, welches der Deutschen Presse-Agentur in München vorliegt.
“Wir fordern deshalb, dass es künftig nur noch sieben statt 27 Kommissare gibt und die übrigen Mitgliedstaaten durch beigeordnete Junior-Kommissare vertreten werden.”
“Europa muss sich mit neuem Schwung auf seine Kernaufgaben konzentrieren: Wohlstand schaffen, Sicherheit gewährleisten und Souveränität verteidigen”, sagte Landesgruppenchef Alexander Dobrindt der dpa. Dazu brauche es effiziente Institutionen mit einer schlanken EU-Kommission an der Spitze. Die Verschlankungswünsche der CSU gehen noch weiter: “Auch die Anzahl und den Zuschnitt der EU-Behörden und Agenturen wollen wir kritisch prüfen.”
Der Europa-Passus ist Teil eines Positionspapiers, das die Bundestagsabgeordneten bei ihrer am Samstag im oberbayerischen Kloster Seeon beginnenden Klausur beschließen wollen. Zu der Klausur wird unter anderem auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) erwartet. Angesichts der jüngsten CSU-Forderung dürfte es im Gespräch mit ihr nicht nur um die Europawahl im Juni gehen.
Ein weiterer zentraler Punkt im Papier ist die Forderung nach dem offiziellen Ende des EU-Beitrittsprozesses mit der Türkei: “Die Türkei unter Präsident Erdoğan hat einen Weg eingeschlagen, der mit den Interessen, den Werten und der Identität der Europäischen Union unvereinbar ist”, heißt es zur Begründung. Ferner lehnt die CSU jegliche Vergemeinschaftung von Schulden ab und verlangt neue Freihandelsabkommen mit den USA, Australien, Indien sowie den Staaten der Wirtschaftsbündnisse Mercosur und Asean in Südamerika beziehungsweise Asien. dpa
Die technologische Rivalität zwischen den USA und China dominiert weltweit den Kurs der Wirtschaft. Zurzeit bestimmt Europa nicht proaktiv mit, wo die neuen globalen Trennlinien, besonders in kritischen Technologien, verlaufen werden. Europa läuft Gefahr, bei der Gestaltung einer neuen geo-ökonomischen Wirtschaftsordnung außen vor zu bleiben.
Anzeichen dafür gibt es bereits. Als die US-Regierung im Herbst 2022 weitreichende neue Exportkontrollen auf Mikrochip-Technologie gegen China verhängte, wurde Europa überrascht. Kurz darauf wurde eine Vereinbarung zwischen Washington, Den Haag und Tokio über die Angleichung ihrer Kontrollen in diesem Bereich bekannt gegeben – ein Abkommen, in dem Washington praktisch seine wirtschaftlichen und nationalen Sicherheitsinteressen auf Europa übertragen hatte.
Bei den strategischen Technologie-Industrien ist vor allem Deutschland Verlierer eines Nullsummenspiels mit China: Die Marktgewinne von China in Bereichen wie Maschinenbau, Chemie oder Wertstoffe, gehen gleichzeitig oft mit Verlusten für Deutschland einher. Und Peking wird immer selbstbewusster, wenn es darum geht, sich das Know-how und Forschungspotenzial europäischer Unternehmen anzueignen und gleichzeitig den Fluss wichtiger technologischer Inputs zu kontrollieren.
Europa muss seinen eigenen Weg gehen und seine einzigartigen Stärken nutzen, um ein unverzichtbarer Akteur im Bereich kritischer Technologien zu bleiben. Das bedarf einer Strategie, die über das De-Risking – also den Abbau von Risiken wie Lieferkettenabhängigkeiten – hinausgeht. Sie müsste gleichzeitig die Abhängigkeit anderer Regionen von europäischen Technologien strategisch erhöhen.
Da die EU nicht ganze Sektoren beherrschen kann, muss sie sich auf bestimmte Technologien konzentrieren, die für die globale wirtschaftliche Stabilität entscheidend sind. Das ist das Prinzip der strategischen Interdependenz: Weil nicht alle Risiken beseitigt werden können, gilt es, sich für ein Gleichgewicht mit anderen Staaten einzusetzen.
Ein nachahmenswertes Modell bietet Japan mit seiner Idee der “strategischen Unverzichtbarkeit” bei Schlüsseltechnologien. Auch die EU muss Technologien und Forschungsansätze identifizieren und in sie investieren. Dabei geht es um diejenigen Ansätze, die Wohlstand und Sicherheit garantieren, aber Europa als globalen Technologieknotenpunkt erhalten.
Konkret muss die Politik die globalen Technologie- und Forschungs-Ökosysteme gründlich analysieren und die europäischen Wettbewerbsvorteile identifizieren. In den Quantentechnologien zum Beispiel muss die Politik wissen, wo sich bereits global bedeutsame Forschungs-, aber auch Produktionskapazitäten entwickeln, um diese dann auch gezielt zu fördern und zu stärken. Als Beispiele seien Speziallinsen, Laser, Klebstoffe, Tieftemperatur-Kühlsysteme und Einzelphotonen-Detektoren genannt. Forschungssicherheit heißt auch, europäische Forschungsinstrumente mit genau diesen sicherheitspolitischen Zielen zu verzahnen.
Diese Analysen müssen die Geschwindigkeit berücksichtigen, mit der sich alternative Angebote oder Technologien entwickeln könnten. Die komplexen Lithografie-Systeme für die Halbleiterindustrie des niederländischen Unternehmens ASML beispielsweise werden auch in naher Zukunft schwer zu übertreffen sein. In dieser Hinsicht ist Europa im Vorteil. In anderen Technologien jedoch können Vorteile schnell erodieren, wie China in der Elektromobilität bewiesen hat. Doch die Sicherheit der Versorgungskette ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung, wie die große Abhängigkeit von China bei kritischen Rohstoffen zeigt.
Entscheidend ist, dass die EU die Bedürfnisse und Schwachstellen ihrer geopolitischen Rivalen berücksichtigt. Ebenso sollte die EU aus ihren Bündnissen Kapital schlagen, insbesondere mit technologisch fortschrittlichen Verbündeten wie den USA, Japan, Südkorea und Großbritannien. Das Ziel sollte sein, komplementäre Stärken in kritischen Technologien zu fördern.
Um diese Strategie voranzutreiben, braucht die EU eine neue wirtschaftliche Sicherheitsarchitektur. Ein Mechanismus für wirtschaftliche Sicherheit könnte die nötige Zusammenarbeit in drei Stufen besser strukturieren.
Insgesamt könnte dieser Mechanismus ein stärkeres Europa schaffen, das die internationale wirtschaftliche Sicherheit stärken kann, anstatt der zunehmenden Unsicherheit und Ungewissheit zum Opfer zu fallen.
Tobias Gehrke ist Senior Policy Fellow bei dem außenpolitischen Thinktank European Council on Foreign Relations (ECFR) in Berlin.