Table.Briefing: Europe

Risse im Gasheizungsverbot + Euro 7 + EEAS: Wiegand im Interview

Liebe Leserin, lieber Leser,

wer wird Nachfolgerin oder Nachfolger von Werner Hoyer an der Spitze der Europäischen Investitionsbank (EIB)? Die Suche hat am Wochenende an Fahrt aufgenommen, denn die spanische Regierung hat offiziell die Kandidatur ihrer derzeitigen Wirtschaftsministerin Nadia Calviño bekanntgegeben.

Der Vorschlag kommt nicht überraschend, der Name Calviño stand bereits im Raum. Doch mussten in Spanien erst einmal die Neuwahlen stattfinden. Die parteilose Nadia Calviño ist seit 2018 Ministerin und seit 2021 Erste Vize-Ministerpräsidentin im Kabinett von Pedro Sánchez. Zuvor arbeitete sie 12 Jahre lang in leitenden Positionen der EU-Kommission.

“Meine Kandidatur zeigt, dass sich die spanische Regierung für die Stärkung der europäischen Institutionen einsetzt und auch die Rolle unseres Landes in internationalen Organisationen stärken will”, erklärte die 54-Jährige am Wochenende im spanischen Nachrichtensender RTVE.

Die Leitung der EIB könnte damit erstmals an eine Frau gehen. Calviño konkurriert nun mit EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, die Ende Juni von der dänischen Regierung nominiert wurde. Zwar sind auch der ehemalige italienische Finanzminister Daniele Franco sowie die derzeitigen EIB-Vizepräsidentinnen Teresa Czerwińska (Polen) und Thomas Östros (Schweden) im Rennen. Doch ihnen werden neben den zwei Top-Kandidatinnen kaum Chancen eingeräumt.

Es bleibt nicht viel Zeit, eine fristgerechte Nachfolge für Hoyer zu finden, dessen zweite Amtszeit zum Jahresende abläuft. Mitte September soll die entsprechende Kandidatin ernannt werden. Dafür ist einer qualifizierte Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten erforderlich. Im Oktober muss dann der Verwaltungsrat der EIB die Entscheidung formell verabschieden.

Kommen Sie gut in die Woche!

Ihre
Leonie Düngefeld
Bild von Leonie  Düngefeld

Analyse

Gasheizungsverbot bekommt Risse

Die EU-Kommission prüft mögliche Ausnahmen vom Verbot reiner Gas- und Ölheizungen ab 2029. “Es kann bestimmte Situationen geben, in denen die Installation von Alternativen zu Gasheizkesseln schwierig und/oder sehr teuer sein könnte, weshalb die Kommission über mögliche Ausnahmen berät“, schreibt Energiekommissarin Kadri Simson in einer am Freitag veröffentlichten Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des deutschen Abgeordneten Engin Eroglu (Freie Wähler).

Hintergrund ist die Überarbeitung eines Durchführungsrechtsakts zur Ökodesign-Richtlinie. Laut einem Entwurf der Kommission würden für Heizungen künftig erhöhte Effizienzanforderungen gelten. Damit wäre es verboten, ab September 2029 reine Gas- und Ölheizungen neu einzubauen.

Heizen mit Gas bliebe mit bestimmten Geräten erlaubt

Im Juni habe die Kommission bereits Interessenvertreter konsultiert, um technische oder gebäudespezifische Situationen zu ermitteln, “in denen eigenständige Heizkessel nach wie vor nur schwer oder gar nicht ersetzt werden können – mit der Absicht, mögliche Ausnahmen in der überarbeiteten Verordnung vorzuschlagen”, schreibt Energiekommissarin Simson nun an Eroglu, der auch stellvertretender Bundesvorsitzender der Freien Wähler ist.

Simson lässt aber an keiner Stelle ihrer Antwort erkennen, dass die Kommission komplett auf das Verbot verzichten wollte. “Die Kommission geht davon aus, dass Wärmepumpen bis 2030 die kostengünstigste Lösung in der EU sein werden”, schreibt die Politikerin. Die geplante Regelung sei technologieoffen und auch Gas könne weiter als Brennstoff eingesetzt werden, etwa in Kombigeräten, die zum Beispiel zusätzlich Solarwärme nutzen, in Gaswärmepumpen oder in Mikro-KWK-Anlagen, die aus Gas gleichzeitig Strom und Wärme erzeugen.

“Keine Auswirkungen auf Immobilienpreise und Bankensystem”

Die Kommission habe auch keine nennenswerten Auswirkungen der geplanten Vorschrift auf die Immobilienpreise oder das Bankensystem der EU festgestellt, schreibt Simson. Eroglu hatte in seiner Anfrage die Sorge geäußert, dass der Wert von Gebäuden durch das geplante Verbot fallen könnte. Dies könne sich möglicherweise auch auf die Absicherung von Hauskrediten und damit das gesamte Bankensystem auswirken.

Mit Ausnahmeregeln vom Gasheizungsverbot läge die Kommission auf der Linie der Bundesregierung. “Deutschland kann keine Regelung für konventionelle Raumheizungen und Heizkessel unterstützen, die keine Ausnahmen in bestimmten Situationen zulässt”, hatte die Bundesregierung bereits an die Kommission geschrieben (Table.Media berichtete).

Als Ausnahmegründe hatte Berlin mehrere Tatbestände aus einem frühen Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes genannt, etwa für ältere Hausbesitzer oder für einen Übergangszeitraum bei einem Totalschaden des Heizkessels. Auch das Heizen mit Wasserstoff, Biomethan und Holz solle über 2029 hinaus ermöglicht werden.

  • Energie
  • Erdgas
  • Ökodesign
  • Wärmepumpe
  • Wasserstoff

“Wir sind in einer sehr realistischen Phase angelangt”

Gunnar Wiegand hat die China- und Asien-Politik der EU jahrzehntelang maßgeblich mitgestaltet. Nun geht er in den Ruhestand.

Herr Wiegand, nach gut zwölf Jahren endet Ihre Zeit beim EEAS. Sie waren insgesamt mehr als 30 Jahre für die EU tätig. Wie lautet Ihre persönliche Bilanz zu den EU-China-Beziehungen und den EU-Asien-Beziehungen? 

Früher wurden Fragen und Herausforderungen im weiten Asienpazifikraum sowie die Möglichkeiten, die es dort gibt, nur von Experten erkannt und als wichtiger Bereich der Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik anerkannt. Oder von Personen, die mit der Region handeln oder mit Investitionen in dem Bereich zu tun hatten. Das betraf auch globale Herausforderungen wie Klima, Energie und Umwelt. Das ist nun anders: Europa hat erkannt, dass es ein globaler Akteur sein muss und dass in der Region ganz wichtige Dinge entschieden werden, die uns direkt betreffen und für unseren globalen Zusammenhalt von großer Bedeutung sind. 

Was hieß das konkret für Ihre Asien-Abteilung?

Ich bin sehr froh, dass wir die China-Politik in diesen Jahren erheblich weiterentwickelt haben. Wir haben aber auch eine klare Indienpolitik, die Beziehungen mit Japan und Korea haben eine neue Qualität und mit Asean konnten wir eine strategische Partnerschaft etablieren. Europa ist in allen wichtigen Politikbereichen sehr viel aktiver geworden. Und unsere Mitgliedsstaaten sehen das individuell auch so. Das beste Beispiel ist die vor kurzem vorgestellte China-Strategie und die nationale Sicherheitsstrategie Deutschlands. Europa hat die Reife erlangt, global zu denken, aber sich auch global aufzustellen und zu handeln. 

Die Idee, dass sich die EU als geopolitischer Player sieht und auch etablieren möchte, hat EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen mit Nachdruck betont. Wurde in dieser Hinsicht schon genug getan?  

Als Jean-Claude Juncker kam und Präsident wurde, sagte er: “Ich werde Präsident einer politischen Europäischen Kommission sein.” Da haben schon viele die Augenbrauen nach oben gezogen. Dann kam Ursula von der Leyen und sagte: “Ich werde Präsidentin einer geopolitischen Europäischen Kommission sein.” Ich glaube, das drückt genau aus, in welche Richtung sich Europa jetzt aufstellen muss. Wir müssen Dinge in einem globalen Zusammenhang sehen und mit langfristiger Wirkung handeln können. 

Was läuft dabei nicht so gut?

Ein Problem ist, dass unsere komplizierten europäischen Entscheidungsstrukturen und die Art und Weise, wie wir miteinander zu Ergebnissen kommen, auf dem Willen zur innereuropäischen Integration aufgebaut sind, die das Erbe der zahllosen europäischen Kriege, Bürgerkriege und Diktaturen erfolgreich überwunden haben, mit dem Instrumentarium, das uns die Gründungsväter der EU gegeben haben. Wir müssen uns jetzt aber so aufstellen, dass wir mit einer globalen Sichtweise schnell und mit langfristiger Wirkung handeln können. Wir müssen Herausforderungen eines multipolaren Wettbewerbs angehen. Und die Europäische Union, die erklärtermaßen eine multilaterale Union ist, kann darin vielleicht nicht so schnell und so konsequent agieren, wie das einige Nationalstaaten tun. Das ist eine wichtige Herausforderung für die nächsten Jahre, die man berücksichtigen muss und die dann hoffentlich zu Veränderungen in unserem institutionellen Aufbau und in der Entscheidungsfindung führen wird, spätestens aus Anlass der nächsten Erweiterungsrunde.  

Wie sieht Ihr Rückblick auf die Beziehungen zu China aus? 

Unser Realismus in der Analyse ist deutlich stärker geworden. Man sieht nicht nur die zahllosen Möglichkeiten, die unsere Firmen, auch viele Bürger, mit der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung Chinas über die letzten Jahrzehnte haben nutzen können. Die entscheidende Veränderung im Umgang der EU mit China ist 2019 passiert. Hier wurde China als Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale kategorisiert. In der Zwischenzeit haben wir auch gesehen, dass man innerhalb einzelner Politikbereiche oftmals auch entsprechend differenzieren können muss. Dieser Dreiklang ist wiederholt vom Europäischen Rat bestätigt worden, zuletzt im Juni dieses Jahres. Er ist ein föderatives Element, um alle unsere Mitgliedsstaaten zusammenzubringen. Und es ist wichtig, dass wir uns dahinter versammeln und uns alle damit identifizieren können, auch wenn vielleicht der eine Mitgliedsstaat den Schwerpunkt mehr in diese und der andere in jene Richtung legt.  

Wie hat sich die Einteilung denn konkret ausgewirkt?

Wir konnten eine ganze Reihe von konkreten legislativen Projekten in Gang oder zur Verabschiedung bringen. Die Beispiele reichen vom International Procurement Instrument für das Beschaffungswesen bis zum Inbound Investmentscreening, zum Lieferkettengesetz oder dem Anti-Coercion-Instrument. Alles konkrete Schritte vorwärts, um Europa im Wettbewerb auch mit China besser aufzustellen, was Reziprozität und Level playing Field angeht, unter Nutzung der Möglichkeiten des EU-Binnenmarktes und der Handelspolitik.  

Auf der Partner-Seite wurde aus dem CAI allerdings nichts. 

Ich werde Ihnen nicht verschweigen, dass das ein erheblicher Rückschlag war. Dass China es als notwendig ansah, auf die individuelle und gezielte Sanktionierung von vier Verantwortlichen und einem Unternehmen in Xinjiang für Menschenrechtsverletzungen mit massiven, grundlosen und unverhältnismäßigen Gegensanktionen zu reagieren, war natürlich ausgesprochen kontraproduktiv. Damit verschwand aber auch die letzte Illusion, die der eine oder andere noch hatte, dass man mit Kooperation alles regeln kann. Ich glaube, wir sind jetzt in einer sehr realistischen Phase angelangt.

Was sind für Sie die bestimmenden Punkte, die die künftige Beziehung zu China beeinflussen werden? 

Zum einen die Frage, wie sich China gegenüber Russland positioniert. Wir erwarten sehr viel mehr von dem ständigen UN-Sicherheitsratsmitglied China, um zum Ende des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine auf Grundlage der UN-Charta beizutragen. Zweitens haben wir die wichtige Positionierung Europas, was Taiwan angeht: Beibehaltung des Status quo und keine Verschärfung von Spannungen. Wir sind in einem kritischen und sehr intensiven Austausch mit der chinesischen Seite dazu. Es gilt, alles zu tun, um Frieden und Stabilität in dieser für Europa und die Welt so wichtigen Region zu bewahren. Und drittens, der Punkt, den Frau von der Leyen in ihrer Rede im März und beim Besuch in Peking im April besonders hervorgehoben hat: De-Risking ja und nicht wirtschaftliches Decoupling, also die bewusste Verringerung von einseitigen, kritischen Abhängigkeiten. Es gibt immer mehr wichtige Rohstoffe und Produkte, für welche China zunehmend quasi eine Monopolstellung einnimmt. Hier werden die Firmen natürlich einen wichtigen, eigenen Beitrag leisten müssen. 

Den zweiten Teil des Interviews lesen Sie in unserer morgigen Ausgabe.

Gunnar Wiegand war von Januar 2016 bis August 2023 Leiter der Asienabteilung beim Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS). Zuvor war er stellvertretender Leiter für die Abteilung Europa und Zentralasien sowie Direktor der Abteilung für Russland, Östliche Partnerschaft, Zentralasien und OSZE beim EEAS. Vor seinem Eintritt beim EEAS war Wiegand seit 1990 in verschiedenen Funktionen im Zusammenhang mit Außenbeziehungen und Handelspolitik bei der Europäischen Kommission tätig.

Wiegand wird nach der Sommerpause Visiting Professor am College of Europe im belgischen Brügge. Er wird dort Teil des Departments für EU International Relations and Diplomacy Studies.

  • EEAS
  • OSZE

News

Euro 7: Spanische Ratspräsidentschaft legt Kompromiss vor

Der Kompromissvorschlag der spanischen Ratspräsidentschaft für die Schadstoffnorm Euro 7 orientiert sich an den Forderungen der anfänglich acht, nunmehr zehn Mitgliedstaaten um Frankreich, Italien, Tschechien und Portugal. Diese Mitgliedsländer haben eine Sperrminorität im Rat und lehnen Verschärfungen der Grenzwerte für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor ab. Spanien will den Vorschlag, der Europe.Table vorliegt, bei einer Arbeitsgruppensitzung am 1. September vorstellen. Eine weitere Sitzung ist für den 12. September angesetzt.

Demnach wären die unrealistischen Fristen zum Inkrafttreten vom Tisch. Das Papier sieht zudem erstmals unterschiedliche Fristen für neue Fahrzeugtypen sowie bereits zugelassene Typen vor. Bei neuen Typen von Pkw und Nutzfahrzeugen bis 3,5 Tonnen soll Euro 7 nun 24 Monate nach Inkrafttreten der Regulierung gelten. Bei bereits genehmigten Typen soll die Frist 36 Monate betragen. Bei Bussen, leichten Lkw und schweren Lkw soll die Norm bei neuen Typen 48 Monate nach Inkrafttreten der Regulierung gelten, bei genehmigten Typen sollen die Vorschriften nach 60 Monaten angewendet werden.

Pkw und Lieferwagen: Grenzwerte sollen bleiben

Bei den Emissionen am Auspuff soll es bei Pkw und Lieferwagen bei den Werten bleiben, die die Kommission vorgeschlagen hat. Die Kategorie Emissionsbudgets bei Kurzstreckenfahrten bis zehn Kilometer wird sowohl bei Pkw als auch bei leichten Nutzfahrzeugen gestrichen. Bei leichten Nutzfahrzeugen bis 3,5 Tonnen und weniger als 35 KW pro Tonne soll die Tabelle mit den Grenzwerten gelöscht werden. Daneben sollen höhere Grenzwerte bei den Luftschadstoffen Nutzfahrzeugen ab einem niedrigeren Gesamtgewicht zugestanden werden. Ursprünglich sollten die höheren Grenzwerte bei Nutzfahrzeugen ab 2,65 Tonnen zugestanden werden. Dem Papier zufolge sollen sie schon bei Nutzfahrzeugen ab einem Gewicht von 1,735 Tonnen gelten.

Auch bei den schweren Nutzfahrzeugen sind Zugeständnisse bei den Emissionen ab Auspuff geplant. Offensichtlich schlägt die spanische Ratspräsidentschaft vor, hier dem Vorschlag des europäischen Automobilverbandes ACEA zu folgen. Und zwar sowohl bei den Grenzwerten für den Prüfstand als auch bei den Grenzwerten im echten Fahrbetrieb auf der Straße (RDE). Dies gilt für die Luftschadstoffe:

  • NOx,
  • PM
  • PN
  • CO
  • CH4

Der Grenzwert für NH3 soll niedriger sein als im Kommissionsvorschlag, beibehalten werden sollen die Grenzwerte für:

  • NMOG
  • HCHO
  • N2O

Missbrauch soll doch ausgeschlossen sein

Auch bei den Testbedingungen werden Änderungen vorgeschlagen. So soll etwa im Test unter realen Fahrbedingungen (RDE) “einseitiges Fahren”, also Missbrauch, ausgeschlossen werden.

Bei den Randbedingungen müssen dem Vorschlag zufolge die Grenzwerte nun nicht mehr bei Wetterbedingungen bis minus zehn Grad Celsius sowie bis plus 45 Grad, sondern nur noch bis minus sieben und plus 38 Grad eingehalten werden. Die Kommission hatte zudem vorgeschlagen, dass die Werte bis 1800 Meter über dem Meeresspiegel eingehalten werden müssen. Die Präsidentschaft schlägt vor, dass die Grenze bei 1300 Meter über NN gezogen wird. Bei den Randbedingungen soll auch die Kategorie Höchstgeschwindigkeit gestrichen werden. mgr

  • ACEA
  • Euro 7

Scholz verteidigt Wirtschaftsstandort Deutschland

Bundeskanzler Olaf Scholz hat den Wirtschaftsstandort Deutschland gegen Kritik verteidigt. Er verwies am Sonntag im Sommer-Interview der ZDF-Sendung “Berlin direkt” auf milliardenschwere Investitionen ausländischer Konzerne in Deutschland. Zurückhaltend äußerte sich der SPD-Politiker erneut zum Vorschlag von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) für einen staatlich subventionierten, niedrigeren Industriestrompreis.

Wirtschaftsverbände fordern angesichts der Konjunkturflaute und wegen der im internationalen Vergleich hohen Energiepreise breite Entlastungen. Verbände warnen zudem vor einer Abwanderung von Firmen. Scholz sagte, in Deutschland fänden große Direktinvestitionen statt. Die Halbleiterproduktion werde stark ausgebaut. Unternehmen siedelten sich bewusst an. “Sie haben sich für den Wirtschaftsstandort Deutschland entschieden.”

Der taiwanische Chiphersteller TSMC hatte angekündigt, ein Halbleiterwerk in Dresden zu bauen. Der Konzern erwartet, dass die Investitionen zehn Milliarden Euro übersteigen werden. Die Hälfte wird voraussichtlich als Förderung vom Staat aufgebracht. Zudem soll Intel in Magdeburg bei Investitionen von 30 Milliarden Euro für einen neuen Standort fast 10 Milliarden vom Staat erhalten.

Scholz argumentierte, Deutschland sei als Exportnation sehr erfolgreich. Wenn anderswo das Wachstum etwas schwächele, mache sich das bemerkbar. “Aber man darf da jetzt nicht das Kind mit dem Bade ausschütten.” Die Bundesregierung arbeite daran, Probleme zu lösen. Er verwies auf geplante Erleichterungen bei der Einwanderung ausländischer Fachkräfte. Mit Blick auf die Energiepreise sagte der Kanzler, die Bundesregierung sorge strukturell dafür, dass die Stromerzeugung in Deutschland billiger werde – über einen Ausbau der Erzeugungskapazitäten und der Stromnetze. dpa

Außenpolitik: Jugendgremium berät EU-Kommission

Die EU-Kommission hat am Samstag zum Internationalen Tag der Jugend die neuen Mitglieder für das EU-Jugendgremium für internationale Partnerschaften bekannt gegeben. Diese sollen die Kommissarin für internationale Partnerschaften, Jutta Urpilainen, und die entsprechende Generaldirektion zwei Jahre lang in Fragen der Beteiligung und Befähigung junger Menschen am auswärtigen Handeln der EU beraten.

“In vielen Partnerländern sind mehr als die Hälfte der Bevölkerung junge Menschen“, erklärte Urpilainen. “Die Jugend muss bei den Entscheidungen, die ihre Zukunft bestimmen, ein Mitspracherecht haben. Diese vielfältige Gruppe von 25 talentierten jungen Menschen wird das außenpolitische Handeln der EU partizipativer, effektiver und jugendgerechter gestalten”.

Die Kommission hat im Rahmen eines offenen Aufrufs 25 Menschen im Alter zwischen 19 und 29 Jahren für die zweite Ausgabe des Gremiums ausgewählt. Zehn Mitglieder kommen aus Afrika, sechs aus Asien, eines aus dem Pazifikraum, fünf aus Lateinamerika und der Karibik und drei aus der Europäischen Union. Das erste Gremium hatte im Juli sein Mandat beendet. leo

EU-Asylpolitik: Polen plant Referendum

Die Polen sollen in einem Referendum gleichzeitig mit der Parlamentswahl im Oktober über den EU-Asylkompromiss und eine verpflichtende Aufnahme von Flüchtlingen abstimmen. Die entsprechende Frage soll lauten: “Unterstützen Sie die Aufnahme von Tausenden illegaler Einwanderer aus dem Nahen Osten und Afrika nach dem von der europäischen Bürokratie auferlegten Mechanismus der verpflichtenden Aufnahme?” Dies gab Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am Sonntag in einem auf sozialen Medien verbreiteten Videoclip bekannt. Der Ausgang eines solchen Referendums hätte keinerlei Einfluss auf den Entscheidungsprozess innerhalb der EU.

Anfang Juni hatten sich die EU-Innenminister auf eine Reform der Asylpolitik geeinigt. Diese sieht vor, dass die Aufnahme von Flüchtlingen künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein soll. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen gezwungen. Die Regierung in Warschau widersetzt sich. Polen fordert, dass jedes EU-Land selbst darüber entscheiden sollte, wie es Länder mit besonders hohen Migrationszahlen unterstützt.

In Polen wird am 15. Oktober ein neues Parlament gewählt. Die nationalkonservative Regierungspartei PiS ist wegen hoher Inflation, eines strengen Abtreibungsrechts und diverser Skandale um Vetternwirtschaft unter Druck. Vor diesem Hintergrund brachte Parteichef Jarosław Kaczyński im Juni die Idee eines Referendums parallel zur Wahl ins Spiel. Ursprünglich sollte es dabei nur im die EU-Migrationspolitik gehen.

Mittlerweile hat die PiS angekündigt, dass es vier Fragen in dem Referendum geben werde. Die erste betrifft die Privatisierung staatlicher Unternehmen, die zweite die Anhebung des Renteneintrittsalters, die dritte die EU-Asylpolitik. Die vierte Frage soll am Montag bekannt gegeben werden. Die Opposition wirft der PiS vor, sie nutze das Referendum, um mit der eigenen Agenda zusätzlich Wähler für die Parlamentswahl zu mobilisieren. dpa

Presseschau

Geplanter EU-Asylkompromiss: Polen sollen zu Flüchtlingspolitik abstimmen ZDF
Was Brüssels Pläne bedeuten: EU will die Zahl der Abschiebungen erhöhen ZDF
Migration in EU: So viele illegale Einreisen wie seit 2016 nicht mehr​ RP-ONLINE
Menschenrechte: EU lobt die Abschaffung der Todesstrafe in Ghana ZEIT
Italien nimmt neun Flüchtlinge zurück: Berlin ruft EU-Kommission um Hilfe TAGESSPIEGEL
EU-Kommission zu Richtungswechsel bei Serbien und Kosovo aufgefordert EURACTIV
Lukaschenko ruft zur Aufrechterhaltung der Beziehungen zur EU auf EURACTIV
Energiewende in Gefahr? Studie nimmt Deutschlands Wasserstoff-Pläne auseinander FRANKFURTER RUNDSCHAU
Brüsseler Top Jobs: Bleibt Ursula von der Leyen EU-Kommissionspräsidentin? TAGESSPIEGEL
Calviño gegen Vestager – zwei Macherinnen kämpfen um den Topjob bei Europäischer Investitionsbank HANDELSBLATT
EU-Umweltausschuss: Pascal Canfin warnt vor Kulturkampf AGRARZEITUNG
Klima-Desaster oder zukünftige Energieversorgung? Rumänien “wird größter Erdgasproduzent der EU” MERKUR
Wiederaufbaufonds der EU: Das 750-Milliarden-Projekt stockt FAZ
EU-Flotte: Feuerwehr von oben SUEDDEUTSCHE
Hohe Corona-Hilfen werden nach Einigung mit EU nachträglich geprüft DER STANDARD
Jugenderwerbslosigkeit in Deutschland klar unter EU-Schnitt MERKUR
Fake News: Viele EU-Bürger prüfen Infos im Internet nicht TELTARIF
Unterstützung aus Katar als Grund: Spaniens La Liga zeigt Paris Saint-Germain bei EU-Kommission an SPORTBUZZER

Standpunkt

Jan Oetjen – Wie eine europäische KI gelingen kann

Von Jan Oetjen
Jan Oetjen ist Geschäftsführer von Web.de und GMX.de sowie Vorsitzender des Stiftungsrats der European netID Foundation.

In fast allen digitalen Diensten, die mit größeren Datenmengen arbeiten, steckt ein hohes Wertschöpfungspotenzial durch KI. Europa muss drei Herausforderungen in Angriff nehmen, um bei der KI-Entwicklung nicht abgehängt zu werden.

KI macht DSGVO-Reform unumgänglich

Wie intelligent eine KI ist, bestimmt zum Teil ihre Technologie, vor allem aber die Menge und Qualität der Daten, mit denen sie trainiert und betrieben wird. Beim Thema Daten hinkt Europa heute schon deutlich hinterher. Die meisten Daten von Europäerinnen und Europäern sind im Besitz von amerikanischen Tech-Riesen und zunehmend auch von chinesischen Plattformen wie TikTok. Dieses Muster setzt sich nun mit der KI-Technologie fort: Während Amerikaner und Chinesen die Märkte gestalten, schaut Europa zu, diskutiert viel und versucht zu regulieren, statt zu gestalten.

Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) wird mit ihrer aktuellen Interpretation in Richtung Datensparsamkeit den Anforderungen von datenintensiven KI-Anwendungen nicht gerecht. Ziel der DSGVO und des neu in der EU entstehenden Datenrechtes ist nicht allein der aktuell oft falsch verstandene Verbraucherschutz, sondern auch, den zusätzlichen Nutzen durch Verwendung personenbezogener Daten zu heben. Wer den Verbraucher mit immer neuen Hürden vor der Nutzung seiner Daten schützen will, schützt ihn leider auch vor den positiven Potenzialen der KI. Ein eigenes Datenökosystem nach europäischen Werten wird hier nur entstehen, wenn Unternehmen sich nicht länger nur der Datensparsamkeit, sondern auch der wertschöpfenden Datennutzung verpflichtet fühlen.

KI made & hosted in Europe

Die jüngsten Produkt-Vorstellungen von Microsoft und Google haben sichtbar gemacht, was mit KI möglich ist, solange der Daten- und Urheberschutz eine Nebenrolle spielt. Ohne geklärte DSGVO-Konformität werden die KI-Systeme außerhalb Europas mit den Daten europäischer Bürgerinnen und Bürger gefüttert und trainiert. Mehr noch: Persönliche Daten gehen ins Eigentum der ausländischen KI-Anbieter über und sind nicht davor geschützt, an andere Nutzer ausgespielt zu werden.

Für europäische und deutsche Unternehmen kommt der Einsatz von KI-Plattformen mit Sitz in den USA oder China nur bedingt infrage. Es fehlen auch fünf Jahre nach Start der DSGVO immer noch internationale Abkommen, mit denen Daten von europäischen Nutzerinnen und Nutzern außerhalb der EU sicher gespeichert und verarbeitet werden können. Das angeblich “neue” Datenschutzabkommen zwischen der EU und den USA wird Unternehmen keine Rechtssicherheit für den Einsatz US-amerikanischer KI geben.

Daten exklusiv in Europa speichern

Der EuGH hat klargemacht, dass die Praxis der US-Geheimdienste mit den europäischen Werten nicht vereinbar ist. Es bringt wenig, darauf zu hoffen, dass diese Einschätzung sich ändern wird. Daher kann die Forderung nur lauten: Jedes Unternehmen, das die Daten europäischer Bürgerinnen und Bürger für seine Dienste verwendet, muss diese Daten exklusiv auf Servern in Europa speichern.

Um unabhängig von außereuropäischen Anbietern zu werden, ist darüber hinaus der Aufbau eigener wettbewerbsfähiger KI-Anwendungen “made in Europe” erforderlich. Entscheidend dafür sind offene Standards. Diese fördern die Wettbewerbsfähigkeit, da sie kleinen und mittleren Unternehmen sowie Start-ups den Marktzugang erleichtern und Transparenz schaffen. Zudem können die Unternehmen so Partnerschaften eingehen, um ihre Schlagkraft zu erhöhen. Ohne diese Partnerschaften wird Europa den dominierenden Plattformen im Bereich KI nichts Vergleichbares entgegenstellen können.

EU-Digitalpolitik muss flexibler werden

Es reicht nicht, in langwierigen Verhandlungen ein EU-Gesetz zu verabschieden, mit Übergangsfristen zu versehen und dann bürokratisch zu exekutieren. An der DSGVO sind sämtliche Reformbemühungen fast fünf Jahre abgeprallt, bis jüngst endlich neue Regeln für eine verbesserte Durchsetzung der DSGVO in grenzüberschreitenden Fällen in Aussicht gestellt wurden. Wenn der AI Act nach Ende der Übergangsfrist im Jahr 2026 in Kraft tritt, wird er nicht mehr zeitgemäß sein. In den aktuellen Trilogverhandlungen müssen daher dringend die Regeln für regelmäßige Aktualisierungen definiert werden. Ein Expertengremium aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sollte für ein Echtzeit-Monitoring sorgen, um ein Auseinanderklaffen zwischen Regulierung und Realität zu verhindern.

Der Wettlauf um die Wertschöpfung der KI folgt der Formel: KI mal Daten mal Umsetzungsgeschwindigkeit geteilt durch Regulierung. Wenn bei den vier Parametern keine schnelle Wende gelingt, verliert Europa bei der KI-Entwicklung, so wie bereits bei Big Data, Plattformen und Betriebssystemen, den Anschluss. Die Uhr tickt, noch nie lief sie so schnell wie im KI-Zeitalter.

  • Künstliche Intelligenz-Verordnung

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    wer wird Nachfolgerin oder Nachfolger von Werner Hoyer an der Spitze der Europäischen Investitionsbank (EIB)? Die Suche hat am Wochenende an Fahrt aufgenommen, denn die spanische Regierung hat offiziell die Kandidatur ihrer derzeitigen Wirtschaftsministerin Nadia Calviño bekanntgegeben.

    Der Vorschlag kommt nicht überraschend, der Name Calviño stand bereits im Raum. Doch mussten in Spanien erst einmal die Neuwahlen stattfinden. Die parteilose Nadia Calviño ist seit 2018 Ministerin und seit 2021 Erste Vize-Ministerpräsidentin im Kabinett von Pedro Sánchez. Zuvor arbeitete sie 12 Jahre lang in leitenden Positionen der EU-Kommission.

    “Meine Kandidatur zeigt, dass sich die spanische Regierung für die Stärkung der europäischen Institutionen einsetzt und auch die Rolle unseres Landes in internationalen Organisationen stärken will”, erklärte die 54-Jährige am Wochenende im spanischen Nachrichtensender RTVE.

    Die Leitung der EIB könnte damit erstmals an eine Frau gehen. Calviño konkurriert nun mit EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, die Ende Juni von der dänischen Regierung nominiert wurde. Zwar sind auch der ehemalige italienische Finanzminister Daniele Franco sowie die derzeitigen EIB-Vizepräsidentinnen Teresa Czerwińska (Polen) und Thomas Östros (Schweden) im Rennen. Doch ihnen werden neben den zwei Top-Kandidatinnen kaum Chancen eingeräumt.

    Es bleibt nicht viel Zeit, eine fristgerechte Nachfolge für Hoyer zu finden, dessen zweite Amtszeit zum Jahresende abläuft. Mitte September soll die entsprechende Kandidatin ernannt werden. Dafür ist einer qualifizierte Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten erforderlich. Im Oktober muss dann der Verwaltungsrat der EIB die Entscheidung formell verabschieden.

    Kommen Sie gut in die Woche!

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    Leonie Düngefeld
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    Analyse

    Gasheizungsverbot bekommt Risse

    Die EU-Kommission prüft mögliche Ausnahmen vom Verbot reiner Gas- und Ölheizungen ab 2029. “Es kann bestimmte Situationen geben, in denen die Installation von Alternativen zu Gasheizkesseln schwierig und/oder sehr teuer sein könnte, weshalb die Kommission über mögliche Ausnahmen berät“, schreibt Energiekommissarin Kadri Simson in einer am Freitag veröffentlichten Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des deutschen Abgeordneten Engin Eroglu (Freie Wähler).

    Hintergrund ist die Überarbeitung eines Durchführungsrechtsakts zur Ökodesign-Richtlinie. Laut einem Entwurf der Kommission würden für Heizungen künftig erhöhte Effizienzanforderungen gelten. Damit wäre es verboten, ab September 2029 reine Gas- und Ölheizungen neu einzubauen.

    Heizen mit Gas bliebe mit bestimmten Geräten erlaubt

    Im Juni habe die Kommission bereits Interessenvertreter konsultiert, um technische oder gebäudespezifische Situationen zu ermitteln, “in denen eigenständige Heizkessel nach wie vor nur schwer oder gar nicht ersetzt werden können – mit der Absicht, mögliche Ausnahmen in der überarbeiteten Verordnung vorzuschlagen”, schreibt Energiekommissarin Simson nun an Eroglu, der auch stellvertretender Bundesvorsitzender der Freien Wähler ist.

    Simson lässt aber an keiner Stelle ihrer Antwort erkennen, dass die Kommission komplett auf das Verbot verzichten wollte. “Die Kommission geht davon aus, dass Wärmepumpen bis 2030 die kostengünstigste Lösung in der EU sein werden”, schreibt die Politikerin. Die geplante Regelung sei technologieoffen und auch Gas könne weiter als Brennstoff eingesetzt werden, etwa in Kombigeräten, die zum Beispiel zusätzlich Solarwärme nutzen, in Gaswärmepumpen oder in Mikro-KWK-Anlagen, die aus Gas gleichzeitig Strom und Wärme erzeugen.

    “Keine Auswirkungen auf Immobilienpreise und Bankensystem”

    Die Kommission habe auch keine nennenswerten Auswirkungen der geplanten Vorschrift auf die Immobilienpreise oder das Bankensystem der EU festgestellt, schreibt Simson. Eroglu hatte in seiner Anfrage die Sorge geäußert, dass der Wert von Gebäuden durch das geplante Verbot fallen könnte. Dies könne sich möglicherweise auch auf die Absicherung von Hauskrediten und damit das gesamte Bankensystem auswirken.

    Mit Ausnahmeregeln vom Gasheizungsverbot läge die Kommission auf der Linie der Bundesregierung. “Deutschland kann keine Regelung für konventionelle Raumheizungen und Heizkessel unterstützen, die keine Ausnahmen in bestimmten Situationen zulässt”, hatte die Bundesregierung bereits an die Kommission geschrieben (Table.Media berichtete).

    Als Ausnahmegründe hatte Berlin mehrere Tatbestände aus einem frühen Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes genannt, etwa für ältere Hausbesitzer oder für einen Übergangszeitraum bei einem Totalschaden des Heizkessels. Auch das Heizen mit Wasserstoff, Biomethan und Holz solle über 2029 hinaus ermöglicht werden.

    • Energie
    • Erdgas
    • Ökodesign
    • Wärmepumpe
    • Wasserstoff

    “Wir sind in einer sehr realistischen Phase angelangt”

    Gunnar Wiegand hat die China- und Asien-Politik der EU jahrzehntelang maßgeblich mitgestaltet. Nun geht er in den Ruhestand.

    Herr Wiegand, nach gut zwölf Jahren endet Ihre Zeit beim EEAS. Sie waren insgesamt mehr als 30 Jahre für die EU tätig. Wie lautet Ihre persönliche Bilanz zu den EU-China-Beziehungen und den EU-Asien-Beziehungen? 

    Früher wurden Fragen und Herausforderungen im weiten Asienpazifikraum sowie die Möglichkeiten, die es dort gibt, nur von Experten erkannt und als wichtiger Bereich der Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik anerkannt. Oder von Personen, die mit der Region handeln oder mit Investitionen in dem Bereich zu tun hatten. Das betraf auch globale Herausforderungen wie Klima, Energie und Umwelt. Das ist nun anders: Europa hat erkannt, dass es ein globaler Akteur sein muss und dass in der Region ganz wichtige Dinge entschieden werden, die uns direkt betreffen und für unseren globalen Zusammenhalt von großer Bedeutung sind. 

    Was hieß das konkret für Ihre Asien-Abteilung?

    Ich bin sehr froh, dass wir die China-Politik in diesen Jahren erheblich weiterentwickelt haben. Wir haben aber auch eine klare Indienpolitik, die Beziehungen mit Japan und Korea haben eine neue Qualität und mit Asean konnten wir eine strategische Partnerschaft etablieren. Europa ist in allen wichtigen Politikbereichen sehr viel aktiver geworden. Und unsere Mitgliedsstaaten sehen das individuell auch so. Das beste Beispiel ist die vor kurzem vorgestellte China-Strategie und die nationale Sicherheitsstrategie Deutschlands. Europa hat die Reife erlangt, global zu denken, aber sich auch global aufzustellen und zu handeln. 

    Die Idee, dass sich die EU als geopolitischer Player sieht und auch etablieren möchte, hat EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen mit Nachdruck betont. Wurde in dieser Hinsicht schon genug getan?  

    Als Jean-Claude Juncker kam und Präsident wurde, sagte er: “Ich werde Präsident einer politischen Europäischen Kommission sein.” Da haben schon viele die Augenbrauen nach oben gezogen. Dann kam Ursula von der Leyen und sagte: “Ich werde Präsidentin einer geopolitischen Europäischen Kommission sein.” Ich glaube, das drückt genau aus, in welche Richtung sich Europa jetzt aufstellen muss. Wir müssen Dinge in einem globalen Zusammenhang sehen und mit langfristiger Wirkung handeln können. 

    Was läuft dabei nicht so gut?

    Ein Problem ist, dass unsere komplizierten europäischen Entscheidungsstrukturen und die Art und Weise, wie wir miteinander zu Ergebnissen kommen, auf dem Willen zur innereuropäischen Integration aufgebaut sind, die das Erbe der zahllosen europäischen Kriege, Bürgerkriege und Diktaturen erfolgreich überwunden haben, mit dem Instrumentarium, das uns die Gründungsväter der EU gegeben haben. Wir müssen uns jetzt aber so aufstellen, dass wir mit einer globalen Sichtweise schnell und mit langfristiger Wirkung handeln können. Wir müssen Herausforderungen eines multipolaren Wettbewerbs angehen. Und die Europäische Union, die erklärtermaßen eine multilaterale Union ist, kann darin vielleicht nicht so schnell und so konsequent agieren, wie das einige Nationalstaaten tun. Das ist eine wichtige Herausforderung für die nächsten Jahre, die man berücksichtigen muss und die dann hoffentlich zu Veränderungen in unserem institutionellen Aufbau und in der Entscheidungsfindung führen wird, spätestens aus Anlass der nächsten Erweiterungsrunde.  

    Wie sieht Ihr Rückblick auf die Beziehungen zu China aus? 

    Unser Realismus in der Analyse ist deutlich stärker geworden. Man sieht nicht nur die zahllosen Möglichkeiten, die unsere Firmen, auch viele Bürger, mit der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung Chinas über die letzten Jahrzehnte haben nutzen können. Die entscheidende Veränderung im Umgang der EU mit China ist 2019 passiert. Hier wurde China als Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale kategorisiert. In der Zwischenzeit haben wir auch gesehen, dass man innerhalb einzelner Politikbereiche oftmals auch entsprechend differenzieren können muss. Dieser Dreiklang ist wiederholt vom Europäischen Rat bestätigt worden, zuletzt im Juni dieses Jahres. Er ist ein föderatives Element, um alle unsere Mitgliedsstaaten zusammenzubringen. Und es ist wichtig, dass wir uns dahinter versammeln und uns alle damit identifizieren können, auch wenn vielleicht der eine Mitgliedsstaat den Schwerpunkt mehr in diese und der andere in jene Richtung legt.  

    Wie hat sich die Einteilung denn konkret ausgewirkt?

    Wir konnten eine ganze Reihe von konkreten legislativen Projekten in Gang oder zur Verabschiedung bringen. Die Beispiele reichen vom International Procurement Instrument für das Beschaffungswesen bis zum Inbound Investmentscreening, zum Lieferkettengesetz oder dem Anti-Coercion-Instrument. Alles konkrete Schritte vorwärts, um Europa im Wettbewerb auch mit China besser aufzustellen, was Reziprozität und Level playing Field angeht, unter Nutzung der Möglichkeiten des EU-Binnenmarktes und der Handelspolitik.  

    Auf der Partner-Seite wurde aus dem CAI allerdings nichts. 

    Ich werde Ihnen nicht verschweigen, dass das ein erheblicher Rückschlag war. Dass China es als notwendig ansah, auf die individuelle und gezielte Sanktionierung von vier Verantwortlichen und einem Unternehmen in Xinjiang für Menschenrechtsverletzungen mit massiven, grundlosen und unverhältnismäßigen Gegensanktionen zu reagieren, war natürlich ausgesprochen kontraproduktiv. Damit verschwand aber auch die letzte Illusion, die der eine oder andere noch hatte, dass man mit Kooperation alles regeln kann. Ich glaube, wir sind jetzt in einer sehr realistischen Phase angelangt.

    Was sind für Sie die bestimmenden Punkte, die die künftige Beziehung zu China beeinflussen werden? 

    Zum einen die Frage, wie sich China gegenüber Russland positioniert. Wir erwarten sehr viel mehr von dem ständigen UN-Sicherheitsratsmitglied China, um zum Ende des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine auf Grundlage der UN-Charta beizutragen. Zweitens haben wir die wichtige Positionierung Europas, was Taiwan angeht: Beibehaltung des Status quo und keine Verschärfung von Spannungen. Wir sind in einem kritischen und sehr intensiven Austausch mit der chinesischen Seite dazu. Es gilt, alles zu tun, um Frieden und Stabilität in dieser für Europa und die Welt so wichtigen Region zu bewahren. Und drittens, der Punkt, den Frau von der Leyen in ihrer Rede im März und beim Besuch in Peking im April besonders hervorgehoben hat: De-Risking ja und nicht wirtschaftliches Decoupling, also die bewusste Verringerung von einseitigen, kritischen Abhängigkeiten. Es gibt immer mehr wichtige Rohstoffe und Produkte, für welche China zunehmend quasi eine Monopolstellung einnimmt. Hier werden die Firmen natürlich einen wichtigen, eigenen Beitrag leisten müssen. 

    Den zweiten Teil des Interviews lesen Sie in unserer morgigen Ausgabe.

    Gunnar Wiegand war von Januar 2016 bis August 2023 Leiter der Asienabteilung beim Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS). Zuvor war er stellvertretender Leiter für die Abteilung Europa und Zentralasien sowie Direktor der Abteilung für Russland, Östliche Partnerschaft, Zentralasien und OSZE beim EEAS. Vor seinem Eintritt beim EEAS war Wiegand seit 1990 in verschiedenen Funktionen im Zusammenhang mit Außenbeziehungen und Handelspolitik bei der Europäischen Kommission tätig.

    Wiegand wird nach der Sommerpause Visiting Professor am College of Europe im belgischen Brügge. Er wird dort Teil des Departments für EU International Relations and Diplomacy Studies.

    • EEAS
    • OSZE

    News

    Euro 7: Spanische Ratspräsidentschaft legt Kompromiss vor

    Der Kompromissvorschlag der spanischen Ratspräsidentschaft für die Schadstoffnorm Euro 7 orientiert sich an den Forderungen der anfänglich acht, nunmehr zehn Mitgliedstaaten um Frankreich, Italien, Tschechien und Portugal. Diese Mitgliedsländer haben eine Sperrminorität im Rat und lehnen Verschärfungen der Grenzwerte für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor ab. Spanien will den Vorschlag, der Europe.Table vorliegt, bei einer Arbeitsgruppensitzung am 1. September vorstellen. Eine weitere Sitzung ist für den 12. September angesetzt.

    Demnach wären die unrealistischen Fristen zum Inkrafttreten vom Tisch. Das Papier sieht zudem erstmals unterschiedliche Fristen für neue Fahrzeugtypen sowie bereits zugelassene Typen vor. Bei neuen Typen von Pkw und Nutzfahrzeugen bis 3,5 Tonnen soll Euro 7 nun 24 Monate nach Inkrafttreten der Regulierung gelten. Bei bereits genehmigten Typen soll die Frist 36 Monate betragen. Bei Bussen, leichten Lkw und schweren Lkw soll die Norm bei neuen Typen 48 Monate nach Inkrafttreten der Regulierung gelten, bei genehmigten Typen sollen die Vorschriften nach 60 Monaten angewendet werden.

    Pkw und Lieferwagen: Grenzwerte sollen bleiben

    Bei den Emissionen am Auspuff soll es bei Pkw und Lieferwagen bei den Werten bleiben, die die Kommission vorgeschlagen hat. Die Kategorie Emissionsbudgets bei Kurzstreckenfahrten bis zehn Kilometer wird sowohl bei Pkw als auch bei leichten Nutzfahrzeugen gestrichen. Bei leichten Nutzfahrzeugen bis 3,5 Tonnen und weniger als 35 KW pro Tonne soll die Tabelle mit den Grenzwerten gelöscht werden. Daneben sollen höhere Grenzwerte bei den Luftschadstoffen Nutzfahrzeugen ab einem niedrigeren Gesamtgewicht zugestanden werden. Ursprünglich sollten die höheren Grenzwerte bei Nutzfahrzeugen ab 2,65 Tonnen zugestanden werden. Dem Papier zufolge sollen sie schon bei Nutzfahrzeugen ab einem Gewicht von 1,735 Tonnen gelten.

    Auch bei den schweren Nutzfahrzeugen sind Zugeständnisse bei den Emissionen ab Auspuff geplant. Offensichtlich schlägt die spanische Ratspräsidentschaft vor, hier dem Vorschlag des europäischen Automobilverbandes ACEA zu folgen. Und zwar sowohl bei den Grenzwerten für den Prüfstand als auch bei den Grenzwerten im echten Fahrbetrieb auf der Straße (RDE). Dies gilt für die Luftschadstoffe:

    • NOx,
    • PM
    • PN
    • CO
    • CH4

    Der Grenzwert für NH3 soll niedriger sein als im Kommissionsvorschlag, beibehalten werden sollen die Grenzwerte für:

    • NMOG
    • HCHO
    • N2O

    Missbrauch soll doch ausgeschlossen sein

    Auch bei den Testbedingungen werden Änderungen vorgeschlagen. So soll etwa im Test unter realen Fahrbedingungen (RDE) “einseitiges Fahren”, also Missbrauch, ausgeschlossen werden.

    Bei den Randbedingungen müssen dem Vorschlag zufolge die Grenzwerte nun nicht mehr bei Wetterbedingungen bis minus zehn Grad Celsius sowie bis plus 45 Grad, sondern nur noch bis minus sieben und plus 38 Grad eingehalten werden. Die Kommission hatte zudem vorgeschlagen, dass die Werte bis 1800 Meter über dem Meeresspiegel eingehalten werden müssen. Die Präsidentschaft schlägt vor, dass die Grenze bei 1300 Meter über NN gezogen wird. Bei den Randbedingungen soll auch die Kategorie Höchstgeschwindigkeit gestrichen werden. mgr

    • ACEA
    • Euro 7

    Scholz verteidigt Wirtschaftsstandort Deutschland

    Bundeskanzler Olaf Scholz hat den Wirtschaftsstandort Deutschland gegen Kritik verteidigt. Er verwies am Sonntag im Sommer-Interview der ZDF-Sendung “Berlin direkt” auf milliardenschwere Investitionen ausländischer Konzerne in Deutschland. Zurückhaltend äußerte sich der SPD-Politiker erneut zum Vorschlag von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) für einen staatlich subventionierten, niedrigeren Industriestrompreis.

    Wirtschaftsverbände fordern angesichts der Konjunkturflaute und wegen der im internationalen Vergleich hohen Energiepreise breite Entlastungen. Verbände warnen zudem vor einer Abwanderung von Firmen. Scholz sagte, in Deutschland fänden große Direktinvestitionen statt. Die Halbleiterproduktion werde stark ausgebaut. Unternehmen siedelten sich bewusst an. “Sie haben sich für den Wirtschaftsstandort Deutschland entschieden.”

    Der taiwanische Chiphersteller TSMC hatte angekündigt, ein Halbleiterwerk in Dresden zu bauen. Der Konzern erwartet, dass die Investitionen zehn Milliarden Euro übersteigen werden. Die Hälfte wird voraussichtlich als Förderung vom Staat aufgebracht. Zudem soll Intel in Magdeburg bei Investitionen von 30 Milliarden Euro für einen neuen Standort fast 10 Milliarden vom Staat erhalten.

    Scholz argumentierte, Deutschland sei als Exportnation sehr erfolgreich. Wenn anderswo das Wachstum etwas schwächele, mache sich das bemerkbar. “Aber man darf da jetzt nicht das Kind mit dem Bade ausschütten.” Die Bundesregierung arbeite daran, Probleme zu lösen. Er verwies auf geplante Erleichterungen bei der Einwanderung ausländischer Fachkräfte. Mit Blick auf die Energiepreise sagte der Kanzler, die Bundesregierung sorge strukturell dafür, dass die Stromerzeugung in Deutschland billiger werde – über einen Ausbau der Erzeugungskapazitäten und der Stromnetze. dpa

    Außenpolitik: Jugendgremium berät EU-Kommission

    Die EU-Kommission hat am Samstag zum Internationalen Tag der Jugend die neuen Mitglieder für das EU-Jugendgremium für internationale Partnerschaften bekannt gegeben. Diese sollen die Kommissarin für internationale Partnerschaften, Jutta Urpilainen, und die entsprechende Generaldirektion zwei Jahre lang in Fragen der Beteiligung und Befähigung junger Menschen am auswärtigen Handeln der EU beraten.

    “In vielen Partnerländern sind mehr als die Hälfte der Bevölkerung junge Menschen“, erklärte Urpilainen. “Die Jugend muss bei den Entscheidungen, die ihre Zukunft bestimmen, ein Mitspracherecht haben. Diese vielfältige Gruppe von 25 talentierten jungen Menschen wird das außenpolitische Handeln der EU partizipativer, effektiver und jugendgerechter gestalten”.

    Die Kommission hat im Rahmen eines offenen Aufrufs 25 Menschen im Alter zwischen 19 und 29 Jahren für die zweite Ausgabe des Gremiums ausgewählt. Zehn Mitglieder kommen aus Afrika, sechs aus Asien, eines aus dem Pazifikraum, fünf aus Lateinamerika und der Karibik und drei aus der Europäischen Union. Das erste Gremium hatte im Juli sein Mandat beendet. leo

    EU-Asylpolitik: Polen plant Referendum

    Die Polen sollen in einem Referendum gleichzeitig mit der Parlamentswahl im Oktober über den EU-Asylkompromiss und eine verpflichtende Aufnahme von Flüchtlingen abstimmen. Die entsprechende Frage soll lauten: “Unterstützen Sie die Aufnahme von Tausenden illegaler Einwanderer aus dem Nahen Osten und Afrika nach dem von der europäischen Bürokratie auferlegten Mechanismus der verpflichtenden Aufnahme?” Dies gab Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am Sonntag in einem auf sozialen Medien verbreiteten Videoclip bekannt. Der Ausgang eines solchen Referendums hätte keinerlei Einfluss auf den Entscheidungsprozess innerhalb der EU.

    Anfang Juni hatten sich die EU-Innenminister auf eine Reform der Asylpolitik geeinigt. Diese sieht vor, dass die Aufnahme von Flüchtlingen künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein soll. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen gezwungen. Die Regierung in Warschau widersetzt sich. Polen fordert, dass jedes EU-Land selbst darüber entscheiden sollte, wie es Länder mit besonders hohen Migrationszahlen unterstützt.

    In Polen wird am 15. Oktober ein neues Parlament gewählt. Die nationalkonservative Regierungspartei PiS ist wegen hoher Inflation, eines strengen Abtreibungsrechts und diverser Skandale um Vetternwirtschaft unter Druck. Vor diesem Hintergrund brachte Parteichef Jarosław Kaczyński im Juni die Idee eines Referendums parallel zur Wahl ins Spiel. Ursprünglich sollte es dabei nur im die EU-Migrationspolitik gehen.

    Mittlerweile hat die PiS angekündigt, dass es vier Fragen in dem Referendum geben werde. Die erste betrifft die Privatisierung staatlicher Unternehmen, die zweite die Anhebung des Renteneintrittsalters, die dritte die EU-Asylpolitik. Die vierte Frage soll am Montag bekannt gegeben werden. Die Opposition wirft der PiS vor, sie nutze das Referendum, um mit der eigenen Agenda zusätzlich Wähler für die Parlamentswahl zu mobilisieren. dpa

    Presseschau

    Geplanter EU-Asylkompromiss: Polen sollen zu Flüchtlingspolitik abstimmen ZDF
    Was Brüssels Pläne bedeuten: EU will die Zahl der Abschiebungen erhöhen ZDF
    Migration in EU: So viele illegale Einreisen wie seit 2016 nicht mehr​ RP-ONLINE
    Menschenrechte: EU lobt die Abschaffung der Todesstrafe in Ghana ZEIT
    Italien nimmt neun Flüchtlinge zurück: Berlin ruft EU-Kommission um Hilfe TAGESSPIEGEL
    EU-Kommission zu Richtungswechsel bei Serbien und Kosovo aufgefordert EURACTIV
    Lukaschenko ruft zur Aufrechterhaltung der Beziehungen zur EU auf EURACTIV
    Energiewende in Gefahr? Studie nimmt Deutschlands Wasserstoff-Pläne auseinander FRANKFURTER RUNDSCHAU
    Brüsseler Top Jobs: Bleibt Ursula von der Leyen EU-Kommissionspräsidentin? TAGESSPIEGEL
    Calviño gegen Vestager – zwei Macherinnen kämpfen um den Topjob bei Europäischer Investitionsbank HANDELSBLATT
    EU-Umweltausschuss: Pascal Canfin warnt vor Kulturkampf AGRARZEITUNG
    Klima-Desaster oder zukünftige Energieversorgung? Rumänien “wird größter Erdgasproduzent der EU” MERKUR
    Wiederaufbaufonds der EU: Das 750-Milliarden-Projekt stockt FAZ
    EU-Flotte: Feuerwehr von oben SUEDDEUTSCHE
    Hohe Corona-Hilfen werden nach Einigung mit EU nachträglich geprüft DER STANDARD
    Jugenderwerbslosigkeit in Deutschland klar unter EU-Schnitt MERKUR
    Fake News: Viele EU-Bürger prüfen Infos im Internet nicht TELTARIF
    Unterstützung aus Katar als Grund: Spaniens La Liga zeigt Paris Saint-Germain bei EU-Kommission an SPORTBUZZER

    Standpunkt

    Jan Oetjen – Wie eine europäische KI gelingen kann

    Von Jan Oetjen
    Jan Oetjen ist Geschäftsführer von Web.de und GMX.de sowie Vorsitzender des Stiftungsrats der European netID Foundation.

    In fast allen digitalen Diensten, die mit größeren Datenmengen arbeiten, steckt ein hohes Wertschöpfungspotenzial durch KI. Europa muss drei Herausforderungen in Angriff nehmen, um bei der KI-Entwicklung nicht abgehängt zu werden.

    KI macht DSGVO-Reform unumgänglich

    Wie intelligent eine KI ist, bestimmt zum Teil ihre Technologie, vor allem aber die Menge und Qualität der Daten, mit denen sie trainiert und betrieben wird. Beim Thema Daten hinkt Europa heute schon deutlich hinterher. Die meisten Daten von Europäerinnen und Europäern sind im Besitz von amerikanischen Tech-Riesen und zunehmend auch von chinesischen Plattformen wie TikTok. Dieses Muster setzt sich nun mit der KI-Technologie fort: Während Amerikaner und Chinesen die Märkte gestalten, schaut Europa zu, diskutiert viel und versucht zu regulieren, statt zu gestalten.

    Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) wird mit ihrer aktuellen Interpretation in Richtung Datensparsamkeit den Anforderungen von datenintensiven KI-Anwendungen nicht gerecht. Ziel der DSGVO und des neu in der EU entstehenden Datenrechtes ist nicht allein der aktuell oft falsch verstandene Verbraucherschutz, sondern auch, den zusätzlichen Nutzen durch Verwendung personenbezogener Daten zu heben. Wer den Verbraucher mit immer neuen Hürden vor der Nutzung seiner Daten schützen will, schützt ihn leider auch vor den positiven Potenzialen der KI. Ein eigenes Datenökosystem nach europäischen Werten wird hier nur entstehen, wenn Unternehmen sich nicht länger nur der Datensparsamkeit, sondern auch der wertschöpfenden Datennutzung verpflichtet fühlen.

    KI made & hosted in Europe

    Die jüngsten Produkt-Vorstellungen von Microsoft und Google haben sichtbar gemacht, was mit KI möglich ist, solange der Daten- und Urheberschutz eine Nebenrolle spielt. Ohne geklärte DSGVO-Konformität werden die KI-Systeme außerhalb Europas mit den Daten europäischer Bürgerinnen und Bürger gefüttert und trainiert. Mehr noch: Persönliche Daten gehen ins Eigentum der ausländischen KI-Anbieter über und sind nicht davor geschützt, an andere Nutzer ausgespielt zu werden.

    Für europäische und deutsche Unternehmen kommt der Einsatz von KI-Plattformen mit Sitz in den USA oder China nur bedingt infrage. Es fehlen auch fünf Jahre nach Start der DSGVO immer noch internationale Abkommen, mit denen Daten von europäischen Nutzerinnen und Nutzern außerhalb der EU sicher gespeichert und verarbeitet werden können. Das angeblich “neue” Datenschutzabkommen zwischen der EU und den USA wird Unternehmen keine Rechtssicherheit für den Einsatz US-amerikanischer KI geben.

    Daten exklusiv in Europa speichern

    Der EuGH hat klargemacht, dass die Praxis der US-Geheimdienste mit den europäischen Werten nicht vereinbar ist. Es bringt wenig, darauf zu hoffen, dass diese Einschätzung sich ändern wird. Daher kann die Forderung nur lauten: Jedes Unternehmen, das die Daten europäischer Bürgerinnen und Bürger für seine Dienste verwendet, muss diese Daten exklusiv auf Servern in Europa speichern.

    Um unabhängig von außereuropäischen Anbietern zu werden, ist darüber hinaus der Aufbau eigener wettbewerbsfähiger KI-Anwendungen “made in Europe” erforderlich. Entscheidend dafür sind offene Standards. Diese fördern die Wettbewerbsfähigkeit, da sie kleinen und mittleren Unternehmen sowie Start-ups den Marktzugang erleichtern und Transparenz schaffen. Zudem können die Unternehmen so Partnerschaften eingehen, um ihre Schlagkraft zu erhöhen. Ohne diese Partnerschaften wird Europa den dominierenden Plattformen im Bereich KI nichts Vergleichbares entgegenstellen können.

    EU-Digitalpolitik muss flexibler werden

    Es reicht nicht, in langwierigen Verhandlungen ein EU-Gesetz zu verabschieden, mit Übergangsfristen zu versehen und dann bürokratisch zu exekutieren. An der DSGVO sind sämtliche Reformbemühungen fast fünf Jahre abgeprallt, bis jüngst endlich neue Regeln für eine verbesserte Durchsetzung der DSGVO in grenzüberschreitenden Fällen in Aussicht gestellt wurden. Wenn der AI Act nach Ende der Übergangsfrist im Jahr 2026 in Kraft tritt, wird er nicht mehr zeitgemäß sein. In den aktuellen Trilogverhandlungen müssen daher dringend die Regeln für regelmäßige Aktualisierungen definiert werden. Ein Expertengremium aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sollte für ein Echtzeit-Monitoring sorgen, um ein Auseinanderklaffen zwischen Regulierung und Realität zu verhindern.

    Der Wettlauf um die Wertschöpfung der KI folgt der Formel: KI mal Daten mal Umsetzungsgeschwindigkeit geteilt durch Regulierung. Wenn bei den vier Parametern keine schnelle Wende gelingt, verliert Europa bei der KI-Entwicklung, so wie bereits bei Big Data, Plattformen und Betriebssystemen, den Anschluss. Die Uhr tickt, noch nie lief sie so schnell wie im KI-Zeitalter.

    • Künstliche Intelligenz-Verordnung

    Europe.Table Redaktion

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