über zwei Themen hat sich die Europäische Union im vergangenen Jahrzehnt bis aufs Blut zerstritten: die Asylpolitik und die Schuldenregeln. Am Mittwoch ist ihr gelungen, diese beiden alten Konflikte zu überwinden und neue Lösungen zu finden, so wie es Kanzler Olaf Scholz in seiner Europa-Rede in Prag 2022 gefordert hatte. Der gestrige Tag ist insofern ein historischer für die Gemeinschaft.
Die politischen Kompromisse müssen den Realitätstest aber erst bestehen. Das nun im Grundsatz von Rat und Europaparlament vereinbarte Asylpaket bedeutet einen Kursschwenk in Richtung Abschottung und Abschreckung. Die Bundesregierung hatte sich dem entgegengestemmt, vor allem in Person der Grünen, aber sie stand im Kreis der Mitgliedstaaten weitgehend allein da. Viele Regierungen hoffen darauf, mit schärferen Gesetzen die Migrantenzahlen zu senken und den Aufstieg der radikalen Rechte in ihren Ländern zu stoppen. Greifen werden die neuen Regeln aber erst lange nach der Europawahl im Juni, wie Eric Bonse weiß.
Mehr Erfolg hatte Berlin dabei, die neuen Fiskalregeln in seinem Sinne zu prägen. Die politische Einigung der Finanzminister sieht Leitplanken vor für den Schuldenabbau, auf die Olaf Scholz und Christian Lindner gepocht hatten. Zugleich lässt sie den Regierungen Spielraum für Investitionen in den Klimaschutz oder Verteidigung. Mehr lesen Sie im Text meines Kollegen Christof Roche.
Die EU-Finanzminister haben sich nach langwierigen, schwierigen Verhandlungen in einer Sondersitzung auf eine gemeinsame Position für die Reform der europäischen Schuldenregeln verständigt. Die amtierende EU-Ratsvorsitzende Nadia Calviño sagte zum Abschluss der Beratungen, die Einigung über die Fiskalregeln sei “eine wichtige und positive Nachricht. Sie wird den Finanzmärkten Sicherheit geben und das Vertrauen in die europäischen Volkswirtschaften stärken.”
Calviño unterstrich, mit den neuen Regeln sei eine Balance gefunden worden, “die die Stabilität der Haushalte sichert, ohne den Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten für Reformen und Investitionen einzuschränken”.
Die im Zuge einer Videokonferenz erreichte politische Einigung aller Staaten soll an diesem Donnerstag bei einem Treffen der EU-Botschafter in ein offizielles Mandat für die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament überführt werden, das für Teile der Reform mitentscheidender Gesetzgeber ist. Die Verhandlungen für den Trilog sollen dann unter belgischer Präsidentschaft im Januar starten. Hier drängt die Zeit, da sich das Abgeordnetenhaus wegen der kommenden Europa-Wahl im Juni 2024 bereits im April auflösen wird.
Die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts war nötig geworden, da das aktuelle Regelwerk als überholt und zu rigide galt. Nach den bestehenden Regeln müssen Mitgliedstaaten, deren Schuldenquote oberhalb von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegt, jährlich fünf Prozent ihrer Schulden abbauen, bis der Richtwert von 60 Prozent des BIP erreicht ist. Das war von den Staaten, auch von Deutschland, als nicht realistisch angesehen worden.
Mit den neuen Regeln werden aber die geltenden Referenzwerte von 60 Prozent des BIP beim Schuldenstand und drei Prozent beim Defizit nicht angetastet. Das Ziel der neuen Regeln ist, eine stabilitätsorientierte nachhaltige Haushaltspolitik zu erreichen, ohne den Ländern den nötigen Handlungsspielraum für Investitionen und Reformen zu nehmen. Dazu wird die Europäische Kommission mit jedem Staat auf Basis ihrer Schuldentragfähigkeitsanalyse (DSA) einen individuellen mehrjährigen Budgetplan ausarbeiten, der in der Regel vier Jahre umfasst. Dieser kann auf sieben Jahre gestreckt werden, um strategische Reformen und Investitionen besonders mit Blick auf Umwelt, Digitales uns Verteidigung zu ermöglichen.
Dieser Ansatz hatte zunächst in Berlin für heftigen Widerstand gesorgt. Die Bundesregierung war besorgt, die Kommission könne durch den individuellen Ansatz zu viel Macht bekommen und die allgemeine Überwachung durch den Rat aushebeln. Bundesfinanzminister Christian Lindner machte sich deshalb für Sicherheitslinien stark, um die Stabilitätskomponente des neuen Pakts zu wahren.
Mit dem neuen Regelwerk sind Staaten mit einer Schuldenquote von über 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verpflichtet, ihre Verschuldung jährlich um ein Prozent des BIP verringern. Für Staaten mit einer Verschuldung unter 90 Prozent ist die Vorgabe 0,5 Prozent. Außerdem wird im präventiven Arm für die Staaten mit einem erhöhten Schuldenstand ein strukturelles Defizit von 1,5 Prozent des BIP vorgegeben. Damit soll sichergestellt werden, dass das Defizit einen deutlichen Sicherheitsabstand zu drei Prozent des BIP aufweist und somit ein Überschreiten der drei Prozent bei normalen Konjunkturschwankungen verhindert wird.
Um die Neuverschuldung auf den Zielwert von 1,5 Prozent Niveau zurückzuführen, wird für die Länder eine Anpassungsrate des strukturellen Primärdefizits in Höhe von 0,4 Prozent des BIP pro Jahr vorgegeben, wenn diese ein Haushaltsprogramm über vier Jahre fahren. Sollte ein Land dies auf sieben Jahre verlängern, beträgt die Anpassungsrate 0,25 Prozent des BIP. Darüber hinaus wurden für den Zeitraum bis 2027 Übergangsregelungen vereinbart, die die Auswirkungen des Anstiegs der Zinslast abfedern und die Investitionskapazität schützen.
Die Kommission richtet zudem für jeden Mitgliedstaat ein sogenanntes Kontrollkonto ein, um die kumulierten Abweichungen der Nettoausgaben von dem vom Rat festgelegten Nettoausgabenpfad nach oben und unten zu verfolgen.
Auf deutsche Initiative hin wurden für das Kontrollkonto klare Schwellenwerte in den Rechtstexten verankert, um die Durchsetzung des Regelwerks zu verbessern. Bei Überschreiten der Schwellenwerte droht ein Defizitverfahren durch die Brüsseler Behörde. Nichts ändert sich hingegen im korrektiven Arm hinsichtlich der Einleitung von Verfahren bei überhöhtem Defizit. Bei einer Neuverschuldung oberhalb von drei Prozent des BIP ist eine Korrektur um mindestens 0,5 Prozent des BIP pro Jahr in struktureller Rechnung vorgesehen.
Die Erleichterung war ihnen anzumerken: Nach zweitägigen Marathon-Verhandlungen haben sich die Unterhändler des Europaparlaments, der Mitgliedstaaten und der EU-Kommission auf eine grundlegende Reform der gemeinsamen Asylpolitik geeinigt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einer “historischen Einigung”.
Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) soll rechtzeitig vor der Europawahl im Juni 2024 den jahrelangen, oft erbittert geführten Streit über die gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik beenden und die Wähler davon überzeugen, dass die EU auch auf diesem brisanten Politikfeld handlungsfähig ist.
Nach der Coronakrise und dem Ukrainekrieg habe Europa die dritte große Bewährungsprobe bestanden, erklärte Kommissionsvize Margaritis Schinas. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock sagte, die Einigung sei “dringend notwendig und längst überfällig”. Sie räumte jedoch ein, dass Deutschland dafür Kompromisse eingehen musste.
Dies gilt vor allem für die sogenannten Grenzverfahren. Die Prüfung der Asylanträge soll künftig bereits an den EU-Außengrenzen stattfinden, um Flüchtlinge mit geringen Aufnahmechancen an der Weiterreise zu hindern. Für die Grenzverfahren sollen geschlossene Lager geschaffen werden, in denen auch Familien mit Kindern unterkommen.
Die Bundesregierung wollte begleitete Kinder ursprünglich aus humanitären Gründen von diesen Grenzverfahren ausnehmen, konnte sich beim Trilog in Brüssel jedoch nicht durchsetzen. Staaten mit besonders hohem “Migrationsdruck” wie Italien oder Griechenland hatten auf den harten Regeln bestanden und Ausnahmen abgelehnt.
Die Migranten sollen nun in Grenznähe festgehalten und (bei Ablehnung) von dort aus direkt abgeschoben werden. Die Asylverfahren und die Abschiebung sollen in der Regel je zwölf Wochen dauern. Zudem wird die Möglichkeit geschaffen, Asylbewerber in “sichere Drittstaaten” wie Tunesien oder Albanien abzuschieben.
Auf Drängen der osteuropäischen Staaten wurde zudem eine Krisenverordnung beschlossen, mit der die Regeln weiter verschärft werden können. Sie soll greifen, wenn Migranten nicht freiwillig kommen, sondern “instrumentalisiert” werden. Dies hatte die EU zunächst vor allem der Türkei, zuletzt auch Russland und Belarus vorgeworfen.
Neu ist auch der sogenannte Solidaritätsmechanismus. Damit werden Migranten aus besonders belasteten Ankunftsländern wie Italien, Griechenland oder Malta umverteilt. “Erstmals werden nun die EU-Mitgliedstaaten zu Solidarität verpflichtet”, sagte Baerbock. “Damit steigen wir endlich in eine europäische Verteilung ein.”
Allerdings können sich unwillige Staaten von der Aufnahme von Migranten freikaufen, indem sie 20.000 Euro pro Kopf und Jahr als “Kompensation” zahlen. Zudem sollen auch andere Leistungen, etwa Hilfe bei Migrations-Projekten in Drittstaaten, angerechnet werden. Somit bleibt fraglich, dass die Reform tatsächlich mehr Solidarität bringt.
Grüne und Linke fürchten, dass die EU-Staaten am Ende lieber in neue Abschottungs-Projekte investieren. “Die Reform wird nicht das gewünschte Ergebnis bringen”, warnt die Europaabgeordnete Terry Reintke von den Grünen. “Der heutige Tag ist ein historischer Kniefall vor den Rechtspopulisten in der EU”, sagte Cornelia Ernst von der Linken.
“Europa holt sich die Hoheit über Asyl und Migration zurück”, meint dagegen Lena Düpont (CDU). Neue Eurodac-Regeln würden eine ordnungsgemäße Registrierung und Identifizierung ermöglichen und irreguläre Migration und unerlaubte Bewegungen zwischen den Ländern unterbinden, befindet die migrationspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Gruppe.
Die neue Screening-Verordnung verteidigt auch Birgit Sippel von der SPD. Im Screening-Verfahren werde ein neuer Überwachungsmechanismus für Grundrechte eingeführt, der die Einhaltung von EU-Recht kontrollieren wird. Bei den anderen EU-Gesetzen – insgesamt geht es um fünf Verordnungen – stehe die genaue Ausgestaltung noch aus.
Dies macht eine abschließende Bewertung schwierig. Klar ist, dass der Kompromiss mit heißer Nadel gestrickt wurde. Der spanische Ratsvorsitz wollte mit aller Macht eine Einigung vor Weihnachten erreichen. Auch Deutschland und Belgien, das im Januar den Ratsvorsitz übernimmt und selbst im Juni wählt, haben Druck gemacht.
Nun ist sichergestellt, dass das Gesetzespaket noch vor der Europawahl verabschiedet wird. Europaparlament und Rat müssen noch einmal final zustimmen, was aber als Formsache gilt. Praktische Wirkung dürfte die GEAS-Reform jedoch nicht vor 2026 entfalten – die Verordnungen treten erst 24 Monate nach der formalen Verabschiedung in Kraft.
Der Effekt auf die Wähler dürfte daher begrenzt sein. Auch die Bindewirkung auf die EU-Staaten lässt zu wünschen übrig. Ungarn hat bereits angekündigt, sich nicht an die neuen Regeln zu halten. “Wir werden niemanden gegen unseren Willen einreisen lassen”, sagte Außenminister Péter Szijjártó in Budapest.
Ob die neue, proeuropäische Regierung in Polen mitzieht, bleibt abzuwarten. Ungarn und Polen haben im Rat gegen die Reform gestimmt. Unklar ist auch, ob nun die nationalen Grenzkontrollen fallen, wie die EU-Kommission hofft. Faeser hatte die Kontrollen zu Polen, Tschechien und der Schweiz erst in der letzten Woche verlängert.
Weitere Fragen betreffen die geplanten neuen Asyllager an den Außengrenzen und die Rückführung in Drittstaaten. Die EU will überfüllte Lager wie Moria auf der griechischen Insel Lesbos verhindern – sagt aber nicht, wie. Gelingen kann das nur, wenn nicht zu viele Bootsflüchtlinge kommen und wenn die Rückführung massiv ausgeweitet wird.
Dafür fehlen jedoch Abkommen mit Drittstaaten. Die im Sommer geschlossene Vereinbarung mit Tunesien wird in Brüssel zwar als Modell gehandelt. Sie zeigt bisher aber keine praktische Wirkung – und sie hat auch noch keine Nachfolger gefunden. Die “externe Dimension” ist und bleibt die Achillesferse der europäischen Migrationspolitik.
Direkt zu Beginn des neuen Jahres nehmen der Rat, die Kommission und das Parlament die Trilogverhandlungen über die EU-Verpackungsverordnung auf. Wegen der kontroversen Positionen zu dem Gesetz ist ungewiss, wie lang die Verhandlungen dauern werden. Die Verhandler streben eine Einigung vor dem Ende der Legislaturperiode an.
Das Parlament hatte im November seine Position angenommen, die den Kommissionsentwurf in vielen Bereichen deutlich abschwächt. Der Umweltrat, der Anfang der Woche seine allgemeine Ausrichtung beschlossen hat, hält die Ambitionen des Kommissionsentwurfs hingegen weitestgehend aufrecht.
“Der größte Knackpunkt in den Trilogverhandlungen wird mit Sicherheit die Frage sein, mit welchen Maßnahmen sich die Müllberge reduzieren lassen“, sagte Delara Burkhardt (S&D) Table.Media. Die Sozialdemokratin hat als Schattenberichterstatterin die Parlamentsposition mitverhandelt. “Das betrifft insbesondere die Verbote von unnötigen Einwegverpackungen, zum Beispiel beim Verzehr von Speisen und Getränken in Gaststätten, Mehrwegquoten für Getränke und Transportverpackungen und Vorgaben gegen übergroße Verpackungen, die mehr Luft als Produkt enthalten.”
Die EU-Umweltministerinnen hätten hier die Umweltambitionen des Kommissionsvorschlags zum Glück weitestgehend intakt gehalten, sagte Burkhardt. “Das lässt sich vom Europäischen Parlament leider nicht behaupten.” Eine rechte Mehrheit des Europäischen Parlaments habe fast jedem Lobbywunsch nachgegeben. “Zahlreiche Streichungen und Ausnahmeregeln lassen mich daran zweifeln, ob mit der Parlamentsposition die angestrebte Abfallreduktion überhaupt erreicht werden kann.” Burkhardt hofft deshalb, dass das finale Gesetz in den Bereichen Verpackungsminimierung und Mehrweg der Position des Rates näher sein wird.
Konkret geht es zum einen um Artikel 22, in dem die Kommission ein Verbot bestimmter Einwegverpackungsformate vorschlägt. Das sind etwa Plastikverpackungen für Getränke-Sixpacks, frisches Obst und Gemüse unter einem Gewicht von 1,5 Kilogramm und Einwegbehälter in der Gastronomie für Speisen zum Mitnehmen.
Das Parlament streicht in seiner Position mehrere dieser Verbote und fügt dafür andere Verbote ein. Das sind zum Beispiel Verbote von Einweg-Schrumpfverpackungen für Koffer und von unnötigen Sekundärverpackungen wie der Pappschachtel, die eine Zahnpastatube umhüllt. Es fügt eine Ausnahmeklausel hinzu für Unternehmen, die 85 Prozent der Einwegverpackungsabfälle für die stoffliche Verwertung sammeln und anhand einer Lebenszyklusanalyse nachweisen können, dass die Einwegverpackung umweltfreundlicher ist. Die Kommission soll außerdem nicht die Möglichkeit erhalten, über delegierte Rechtsakte neue Verbote hinzuzufügen.
Der Rat übernimmt in seiner Ausrichtung die Vorschläge der Kommission mit einigen Änderungen: Das Einwegverbot für Obst und Gemüse zum Beispiel soll nur für Plastikverpackungen gelten; die Kommission soll neue Verbote hinzufügen können, jedoch nur über das ordentliche Gesetzgebungsverfahren.
Zum anderen geht es um Artikel 26 aus dem Kommissionsentwurf, der Mehrwegquoten für einige Verpackungsformate vorsieht. Das Parlament streicht die Quoten für den Take-away-Sektor und ergänzt weitreichende Ausnahmen für die anderen Sektoren. Diese machen den Artikel nahezu bedeutungslos.
Der Rat übernimmt die Vorschläge der Kommission und ergänzt etwa eine Ausnahme für Wein sowie die Möglichkeit für Unternehmen, sich zu dritt zusammenzutun, um die Mehrwegquoten für Getränke zu erreichen.
Hier warten also sehr kleinteilige Verhandlungen auf die drei EU-Institutionen. Eine Einigung über die beiden Artikel wird sehr schwer zu erreichen sein.
Nicht einfach wird darüber hinaus die Verhandlung über die chemischen Substanzen, die sich in Verpackungsmaterialien befinden dürfen. Das Parlament fordert ein Verbot von gesundheitsschädlichen Ewigkeitschemikalien (PFAS) und Bisphenol A in Verpackungen, die mit Lebensmitteln und damit auch mittelbar mit Menschen in Kontakt kommen. Der Rat fordert zunächst eine Untersuchung durch die Kommission, um diese Chemikalien möglicherweise in der Zukunft zu verbieten.
Die Trilogverhandlungen sollen im Januar beginnen. Nach Informationen von Table.Media ist das erste politische Treffen für den 10. Januar geplant, allerdings noch nicht offiziell bestätigt.
Mit Ausnahme der “rechten Seite des Europäischen Parlaments” seien sich alle drei Institutionen einig, dass sie die Verhandlungen schnell abschließen und noch vor den Europawahlen im Juni abstimmen wollen, berichtet Delara Burkhardt. “So schaffen wir schnell Planungssicherheit für die Unternehmen, die die ersten Ziele der Verordnung schon in wenigen Jahren erfüllen müssen.”
Die Bundesregierung wird als erster EU-Staat das Auktionsmodell der europäischen Wasserstoffbank nutzen. Sie will dafür 350 Millionen Euro bereitstellen. Das teilten das Bundeswirtschaftsministerium und die EU-Kommission am Mittwoch mit. Mit dem Geld soll der Bau von Elektrolyseuren in Deutschland bezuschusst werden. Die Bundesregierung hatte sich das Ziel gesetzt, die Kapazität bis 2030 auf zehn Gigawatt zu erhöhen.
Die Mittel stammten aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) und stünden noch unter Haushaltsvorbehalt, sagte eine Ministeriumssprecherin. Die Mitgliedstaaten müssen ihre Teilnahme an dem Mechanismus außerdem bei der Kommission notifizieren, profitierten jedoch von einem gestrafften beihilferechtlichen Genehmigungsverfahren, hieß es weiter.
Die deutschen Mittel kommen zu der Pilotausschreibung in Höhe von 800 Millionen Euro aus dem EU-Innovationsfonds hinzu, auf die sich Projekte aus allen Mitgliedstaaten bewerben können. “Es ist großartig, dass Deutschland bei der ersten Auktion mit an Bord ist, und ich lade weitere Mitgliedstaaten ein, diesem Beispiel zu folgen”, sagte Klimakommissar Wopke Hoekstra. ber
Energiekommissarin Kadri Simson hat am Mittwoch über ihren Sprecher eine Äußerung vom Energierat am Vortag klarstellen lassen, die als Abrücken von einem eigenen EU-Ziel für erneuerbare Energien im Jahr 2040 gewertet werden konnte. Am Dienstag hatte die Nuklearallianz unter Führung Frankreichs ein Non-Paper verbreitet, das sich für ein EU-Ziel für dekarbonisierte Energien stark macht – also für erneuerbare und Atomenergie zusammen.
Auf die Frage eines Journalisten hatte Simson am Dienstag gesagt: “Dieser Vorschlag einiger Mitgliedstaaten ist auch für uns sehr zukunftsweisend [forward]”. Ihr Sprecher teilte nun am Mittwoch mit: “Die Kommissarin sagte, dass sowohl erneuerbare Energien als auch kohlenstoffarme Energiequellen einen Beitrag zur Erreichung des Emissionsreduktionsziels leisten müssen. Sie sagte nicht, dass es ein gemeinsames Ziel für diese Technologien geben wird.” Simson habe auch gesagt, dass es noch zu früh sei, die Einzelheiten der Kommissionsvorschläge für 2040 zu diskutieren. ber
Berichterstatterin Elisabetta Gualmini (S&D), hat die Mitgliedsstaaten aufgefordert, für den Trilogkompromiss zur Plattformarbeit zu stimmen. Sollten die Staaten den Kompromiss ablehnen, wäre dies “vollkommen unverständlich”, sagte sie Table.Media. Es gehe hier zum einen darum, derzeit knapp 30 Millionen Beschäftigten in der EU zu ihrem Recht zu verhelfen, zum anderen darum, den Wettbewerb zu stärken, in dem Spielregeln für alle Marktteilnehmer geschaffen würden.
Am Freitag wird der AStV über den politischen Kompromiss zur Plattformarbeit abstimmen. Beobachter glauben, dass es knapp werden könnte. Zuletzt hätten vor allem Ungarn, Griechenland, Finnland und baltische Staaten noch Kritik an dem Text gehabt, auch Frankreich ist laut Beobachtern nicht entschieden. Zudem ist der Lobbydruck hoch, gegen die Richtlinie zu stimmen. Deutschland hat sich bisher enthalten.
Gualmini rief die skeptischen Staaten dazu auf, ihre Position zu überdenken: “Der Text ist ausgewogen und realistisch”, sagte sie. Vor allem der französische Präsident Emmanuel Macron sollte sich an seine proeuropäischen Vorsätze erinnern. “Es wäre fatal, wenn er als einer der leidenschaftlichsten Befürworter eines stärkeren Europas, das soziale Europa mit einem ‘Nein’ abwürgen würde”, sagte Gualmini.
Die Sozialistin ging zudem auf die Kritik von Lobbyverbänden und der Wirtschaft ein, dass die Richtlinie Rechtsunsicherheit schaffen würde. Die Kritik bezieht sich vor allem auf die Kriterien, die eine Anstellungsvermutung auslösen sollen. “Die Kriterien sind aus der europäischen Rechtsprechung und Literatur übernommen worden. Ich sehe hier keine Rechtsunsicherheit“, sagte Gualmini.
Es handele sich auch nicht um einen Eingriff in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten. Die Entscheidung über eine Neueinstufung werde auf nationaler Ebene nach nationalem Recht getroffen. “Stattdessen würden europaweit transparente Regeln für den Umgang mit echten Selbstständigen und Arbeitnehmern geschaffen.” Das sei ein Vorteil für die Wirtschaft.
Auch Warnungen, eine solche Richtlinie würde die Preise für Dienstleistungen erhöhen, wies Gualmini scharf zurück. “Die Rechte von Mitarbeitern sind zu achten. Wenn sich Unternehmen davor mit Verweis auf Kosten drücken wollen, ist das falsch.” lei
Die Vertretung der Kommission in Deutschland sowie die beiden Regionalbüros der Kommission in Bonn und München haben keine offiziellen Leiter. Seit dem Wechsel des Vertreters in Deutschland, Jörg Wojahn, im Sommer in die Kommission in Brüssel ist die Vertretung in Berlin ohne Führung. Sie wird derzeit kommissarisch geleitet von Patrick Lobis, dem ehemaligen Stellvertreter Wojahns.
Das Regionalbüro in München hat seit über drei Jahren keinen offiziellen Chef. Der letzte Leiter hat das Regionalbüro in München im September 2020 verlassen. Es wird seit Dezember 2022 kommissarisch von Renke Deckarm geleitet. Die Leitung der zweiten deutschen Regionalvertretung in Bonn ist seit 2021 vakant. Sie wird kommissarisch geleitet von Nora Hesse. Der bevorstehende Wechsel von Wojahn in die Zentrale der Kommission nach Brüssel stand seit September 2022 fest.
Die Besetzung der Vertretungen in den Mitgliedstaaten obliegt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen selbst. Warum die Posten nicht besetzt werden, ist unklar. In der Kommission heißt es: “Die Auswahlverfahren laufen.” Bereits vor einem Jahr haben die Landesregierungen von NRW sowie von Bayern die Vakanzen öffentlich kritisiert.
Die Regionalvertretung in Bonn ist zuständig für Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen und das Saarland. In diesen Bundesländern wohnen rund 30 Millionen Bürger. Dies entspricht in etwa der addierten Einwohnerzahl der Mitgliedstaaten Portugal, Schweden und Tschechien. Die Regionalvertretung in München ist zuständig für Baden-Württemberg und Bayern. In diesen Bundesländern wohnen etwa 25 Millionen Menschen. mgr
Die EU-Kommission hat gestern drei Pornoportale als sehr große Onlineplattformen gemäß Digital Services Act designiert. Die Anbieter hatten zuvor angegeben, dass sie weniger als 45 Millionen Nutzer in der EU hätten.
Die Kommission zweifelte allerdings an, dass die Zählweise der Betreiber korrekt ist und stellte ihrerseits Einschätzungen an, die in diesen drei Fällen zur VLOP-Einstufung führten. Eine EU-Beamtin wies darauf hin, dass mit der VLOP-Klassifizierung nur zusätzliche Pflichten entstehen würden – alle Anbieter müssten sich ab 17. Feburar des kommenden Jahres an die DSA-Regeln halten. Die Kommission prüft laufend, ob weitere Angebote unter die Vorschriften für besonders große Angebote fallen könnten.
Zudem veröffentlichte die Kommission ihre Schreiben zur Einstufung der bereits zuvor als VLOP/VLOSE eingestuften Angebote. Eine besondere Rolle spielen dabei die Einstufungen von Amazon und Zalando: beide gehen vor dem Europäischen Gericht gegen die Benennung vor.
Zalando geht dabei ganz grundsätzlich gegen die Einstufung vor: Die EU-Kommission habe die Nutzerzahlen falsch gezählt, und der Onlinehändler sei kein Vermittlungsdienst im Sinne des Gesetzes, da der Dienst sich auch Inhalte von Drittanbietern auf der eigenen Infrastruktur zu eigen mache und diese niemals ungeprüft veröffentlicht würden.
Würde das von der europäischen Gerichtsbarkeit bestätigt, könnte Zalando nicht nur den Status als VLOP verlieren, sondern ganz aus dem Anwendungsbereich des DSA herausfallen. Die EU muss sich darauf einstellen, dass Deutschlands Begleitgesetz zum DSA erst später kommt. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte in Berlin, dass die Bundesregierung mit dem 1. April 2024 rechne. fst
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat das vom Parlament beschlossene Einwanderungsgesetz gegen Kritik auch aus den eigenen Reihen verteidigt. Das Gesetz ziele ganz klar darauf ab, Migranten von der irregulären Einwanderung nach Frankreich abzuhalten und damit auch eine Überlastung des Sozialsystems zu verhindern, sagte Macron am Mittwochabend im Fernsehsender France 5. Zugleich sollten bisher ohne Aufenthaltspapiere arbeitende Migranten unter bestimmten Voraussetzungen einen Aufenthaltstitel bekommen.
Das umstrittene Gesetz war am späten Dienstagabend vom Parlament beschlossen worden, allerdings in einer unter Druck der konservativen Oppositionspartei Les Républicains deutlich verschärften Fassung. Im Regierungslager, das in der Nationalversammlung keine eigene Mehrheit hat, zeigten sich nach den Zugeständnissen an die Konservativen deutliche Risse. Gesundheitsminister Aurélien Rousseau zog die Reißleine und trat aus Protest von seinem Posten zurück. “Es ist für mich nicht möglich, diesen Text zu verteidigen”, begründete der ehemalige Kommunist seinen Schritt gegenüber der Tageszeitung Le Monde. Aus Macrons Partei stimmten rund drei Dutzend Abgeordnete gegen das Gesetz oder enthielten sich.
Im Radiosender France Inter verteidigte Ministerpräsidentin Elisabeth Borne das Gesetz und erklärte, es entspreche den Sorgen der Franzosen in Bezug auf Sicherheit und Einwanderung. Sie kündigte zudem an, das Gesetz werde dem Verfassungsrat vorgelegt. Dies schafft die Möglichkeit, dass der Rat einige der schärferen Maßnahmen aufhebt, wenn er sie für verfassungswidrig hält.
Kritik gab es auch daran, dass das Gesetz nur deshalb das Parlament passieren konnte, weil das rechtsnationale Rassemblement National für das Vorhaben stimmte. Statt sich klar von der Partei von Marine Le Pen abzuschotten, habe die Regierung sich der rechten Partei angenähert, lautete der Vorwurf. “Ich sage ganz offen, dass unsere Landsleute auf dieses Gesetz gewartet haben und wenn man möchte, dass das Rassemblement National mit seinen Ideen nicht an die Macht kommt, dann muss man die Probleme angehen, die die Partei stärken“, sagte der französische Präsident Emmanuel Macron. Stimmen aus dem Regierungslager erklärte zudem, dass es eine Mehrheit auch gegeben hätte, wenn die Stimmen der Rechtsextremen abgezogen werden.
Beobachter warnen davor, dass das Vorhaben, sechs Monate vor den Wahlen zum Europaparlament, bei denen Einwanderung ein Hauptthema werden dürfte, der extremen Rechten unter Le Pen Auftrieb geben könnte. Le Pen begrüßte das veränderte Gesetz als “großen ideologischen Sieg” ihrer Partei. Macron hatte die Präsidentschaftswahlen 2017 und 2022 für sich entschieden, indem er Wähler hinter sich versammelte, um Le Pen am Sieg zu hindern. Linke Abgeordnete sprachen von Verrat. dpa/rtr/lei
Die Europäische Union will eine Anti-Dumping-Untersuchung zu Biodiesel-Importen aus China einleiten. Das gab die Kommission am Mittwoch bekannt. Die Importe haben nach Ansicht der EU-Industrie zu einer Verringerung der heimischen Produktion geführt. Es geht um Vorwürfe, ob Biodiesel aus Indonesien die EU-Zölle umgeht, indem er über China und Großbritannien in die Union eingeführt wird.
Die Untersuchung ist durch eine Beschwerde der Herstellervereinigung European Biodiesel Board (EBB) ausgelöst worden und wird den Zeitraum vom 1. Oktober 2022 bis zum 30. September 2023 abdecken. Es besteht die Möglichkeit, dass innerhalb von acht Monaten vorläufige Zölle eingeführt werden.
“Die EU-Hersteller haben Beweise für Biodieselimporte aus China vorgelegt, die zu künstlich niedrigen Preisen in die EU gelangen, und behaupten, dass diese Importe ihrer Industrie ernsthaft schaden, da sie mit solch niedrigen Preisen nicht konkurrieren können”, erklärte die Europäische Kommission in einer Mitteilung.
Die chinesische Vertretung bei der EU und die chinesische Handelskammer reagierten nicht sofort auf Bitten um Stellungnahme. China war im Jahr 2023 der größte Exporteur von Biodiesel in die EU, sagte das EBB in einer separaten Erklärung. Die zu günstigen Importe hätten 2023 zur Schließung von Produktionsstätten in mehreren Mitgliedsstaaten geführt.
In einem anderen Handelsstreit mit Peking leitete die Kommission im September eine Untersuchung über chinesische Elektrofahrzeugimporte ein, die ihrer Meinung nach von staatlichen Subventionen profitieren. China kritisierte die EU-Untersuchung und nannte sie einen “nackten protektionistischen Akt”. rtr/lei
Polens neuer Regierungschef kennt den Posten bereits: Donald Tusk war sieben Jahre Polens Ministerpräsident (2007-2014). Danach wechselte er nach Brüssel als Präsident des Europäischen Rates. Ohne ihn verlor seine Bürgerplattform die Wahlen. Ende 2019 kehrte Tusk nach Polen zurück und begann eine Anti-PiS-Koalition zu schmieden.
Während seiner zweiten Amtszeit als Ratspräsident warf man Tusk im Westen gelegentlich Führungsschwäche vor. In der polnischen Politik ist er aber als Macher bekannt, der mit harter Hand die Partei regiert und aus vielen politischen Egos ein funktionierender Mechanismus formt. “In der Politik gibt es keine Freunde”, sagte er einmal. Er hat aber auch Charisma und weiß, wie man die Menschen überzeugt.
Über die Jahre ist Tusk mit den Aufgaben gewachsen. Der Junge aus einfachen Verhältnissen begann als Student in Danzig gegen den Kommunismus zu kämpfen. Er stand der Gewerkschaftsbewegung “Solidarność” und dessen legendären Führer Lech Wałęsa nah. Als er 2007 zum ersten Mal die Regierungsgeschäfte übernahm, wurde er von den Gegnern im Sejm als ein “Bengel in kurzer Hose” verunglimpft. Doch das vermeintliche Leichtgewicht führte das Land erfolgreich durch die Weltfinanzkrise – Polens Wirtschaft wuchs unter Tusk um 20 Prozent.
Der neue-alte Ministerpräsident ist ein überzeugter Wirtschaftsliberaler. Mit dieser Haltung sorgte er früher auch für soziale Spannungen. Das will er nun korrigieren: Er versprach nach der Amtseinführung, einen offenen Dialog mit der Bevölkerung zu führen, eine bessere Kommunikation und mehr Empathie. Seine Koalitionspartner, allen voran die Linke, dürften manche zu liberale Ideen ausbremsen – und für mehr Balance sorgen. Tusk wird sich mit ihnen arrangieren.
Dabei waren die Vorzeichen, dass Tusk überhaupt ein Comeback an die Staatsspitze gelingt, alles andere als gut. Der Regierungspartei PiS standen alle Ressourcen des Staates zur Verfügung. Alle staatlichen Institutionen, darunter die Antikorruptionsbehörde, die Zentralbank, die Preisregulierungsbehörde sowie staatseigene Energie-Konzerne waren im Wahlkampf eingespannt, um die PiS – meist gesetzeswidrig – zu unterstützen. Das Staatsfernsehen TVP, formell zu Objektivität verpflichtet, verbreitete Regierungspropaganda und verleumdete die Opposition.
Tusk gelang es, die apolitischen Gruppen der Bevölkerung zu mobilisieren. Im Juni und im Oktober organisierte seine Bürgerkoalition zwei Kundgebungen in Warschau, zu den jeweils weit über 500.000 Menschen kamen – es waren die größten Demos seit dem Sturz des Kommunismus. Tusk präsentierte sich als Kämpfer für die Demokratie, für die bürgerlichen Freiheiten und den Rechtsstaat – und als Gegner des absoluten Abtreibungsverbots. Bei jungen und weiblichen Wählern in größeren Städten kam das gut an. Dort lag die Wahlbeteiligung oft über 80 Prozent, 20 Prozent höher als je zuvor. Insgesamt gaben 74,4 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab.
PiS-Chef Jarosław Kaczyński dagegen hat im Wahlkampf eine falsche Strategie gewählt: Er trieb die Polarisierung auf die Spitze. Mit vulgären Methoden versuchte er seinen Gegner zu diffamieren. Er schürte Ängste gegen Tusk, den er als “Verräter”, “Handlanger Berlins” und “das Böse” beschimpfte sowie gegen Deutschland und die EU, die es auf polnische Souveränität abgesehen hätten. Mit dieser aggressiven Hasskampagne erreichte Kaczyński zwar sein hartes Elektorat, schreckte aber gemäßigt konservative Wähler ab.
Tusk hingegen sprach – bei aller Kritik an der PiS-Regierung – von einer Reparatur des Staates, von gesellschaftlicher Versöhnung und der Rückkehr zu einem Dialog mit der EU. Provozieren ließ er sich nicht. Dazu kam: Schon früh einigte er sich mit der Linken, der Bauernpartei PSL und der Bewegung Polska 2050 auf eine Koalition. Er fand die richtige Balance, um das eigene Profil zu schärfen und die Partner nicht zu vergraulen.
An seiner proeuropäischen Haltung gibt es keinen Zweifel. Er wird das Verhältnis zu Brüssel wieder kitten, den Partnern aber einiges abverlangen. Tusk weiß über die Bedeutung Polens als Frontstaat zu der Ukraine und als die fünftgrößte Wirtschaft in der EU. Bei dem Versuch, den PiS-Augiasstall auszumisten, braucht er aber auch die Unterstützung aus Brüssel.
Sein Erfolg liegt im vitalen Interesse Europas. Polen könnte vor allem der ungarischen Opposition als Beispiel dienen, wie man die Herrschaft von Autokraten überwinden kann. Andrzej Rybak
über zwei Themen hat sich die Europäische Union im vergangenen Jahrzehnt bis aufs Blut zerstritten: die Asylpolitik und die Schuldenregeln. Am Mittwoch ist ihr gelungen, diese beiden alten Konflikte zu überwinden und neue Lösungen zu finden, so wie es Kanzler Olaf Scholz in seiner Europa-Rede in Prag 2022 gefordert hatte. Der gestrige Tag ist insofern ein historischer für die Gemeinschaft.
Die politischen Kompromisse müssen den Realitätstest aber erst bestehen. Das nun im Grundsatz von Rat und Europaparlament vereinbarte Asylpaket bedeutet einen Kursschwenk in Richtung Abschottung und Abschreckung. Die Bundesregierung hatte sich dem entgegengestemmt, vor allem in Person der Grünen, aber sie stand im Kreis der Mitgliedstaaten weitgehend allein da. Viele Regierungen hoffen darauf, mit schärferen Gesetzen die Migrantenzahlen zu senken und den Aufstieg der radikalen Rechte in ihren Ländern zu stoppen. Greifen werden die neuen Regeln aber erst lange nach der Europawahl im Juni, wie Eric Bonse weiß.
Mehr Erfolg hatte Berlin dabei, die neuen Fiskalregeln in seinem Sinne zu prägen. Die politische Einigung der Finanzminister sieht Leitplanken vor für den Schuldenabbau, auf die Olaf Scholz und Christian Lindner gepocht hatten. Zugleich lässt sie den Regierungen Spielraum für Investitionen in den Klimaschutz oder Verteidigung. Mehr lesen Sie im Text meines Kollegen Christof Roche.
Die EU-Finanzminister haben sich nach langwierigen, schwierigen Verhandlungen in einer Sondersitzung auf eine gemeinsame Position für die Reform der europäischen Schuldenregeln verständigt. Die amtierende EU-Ratsvorsitzende Nadia Calviño sagte zum Abschluss der Beratungen, die Einigung über die Fiskalregeln sei “eine wichtige und positive Nachricht. Sie wird den Finanzmärkten Sicherheit geben und das Vertrauen in die europäischen Volkswirtschaften stärken.”
Calviño unterstrich, mit den neuen Regeln sei eine Balance gefunden worden, “die die Stabilität der Haushalte sichert, ohne den Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten für Reformen und Investitionen einzuschränken”.
Die im Zuge einer Videokonferenz erreichte politische Einigung aller Staaten soll an diesem Donnerstag bei einem Treffen der EU-Botschafter in ein offizielles Mandat für die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament überführt werden, das für Teile der Reform mitentscheidender Gesetzgeber ist. Die Verhandlungen für den Trilog sollen dann unter belgischer Präsidentschaft im Januar starten. Hier drängt die Zeit, da sich das Abgeordnetenhaus wegen der kommenden Europa-Wahl im Juni 2024 bereits im April auflösen wird.
Die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts war nötig geworden, da das aktuelle Regelwerk als überholt und zu rigide galt. Nach den bestehenden Regeln müssen Mitgliedstaaten, deren Schuldenquote oberhalb von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegt, jährlich fünf Prozent ihrer Schulden abbauen, bis der Richtwert von 60 Prozent des BIP erreicht ist. Das war von den Staaten, auch von Deutschland, als nicht realistisch angesehen worden.
Mit den neuen Regeln werden aber die geltenden Referenzwerte von 60 Prozent des BIP beim Schuldenstand und drei Prozent beim Defizit nicht angetastet. Das Ziel der neuen Regeln ist, eine stabilitätsorientierte nachhaltige Haushaltspolitik zu erreichen, ohne den Ländern den nötigen Handlungsspielraum für Investitionen und Reformen zu nehmen. Dazu wird die Europäische Kommission mit jedem Staat auf Basis ihrer Schuldentragfähigkeitsanalyse (DSA) einen individuellen mehrjährigen Budgetplan ausarbeiten, der in der Regel vier Jahre umfasst. Dieser kann auf sieben Jahre gestreckt werden, um strategische Reformen und Investitionen besonders mit Blick auf Umwelt, Digitales uns Verteidigung zu ermöglichen.
Dieser Ansatz hatte zunächst in Berlin für heftigen Widerstand gesorgt. Die Bundesregierung war besorgt, die Kommission könne durch den individuellen Ansatz zu viel Macht bekommen und die allgemeine Überwachung durch den Rat aushebeln. Bundesfinanzminister Christian Lindner machte sich deshalb für Sicherheitslinien stark, um die Stabilitätskomponente des neuen Pakts zu wahren.
Mit dem neuen Regelwerk sind Staaten mit einer Schuldenquote von über 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verpflichtet, ihre Verschuldung jährlich um ein Prozent des BIP verringern. Für Staaten mit einer Verschuldung unter 90 Prozent ist die Vorgabe 0,5 Prozent. Außerdem wird im präventiven Arm für die Staaten mit einem erhöhten Schuldenstand ein strukturelles Defizit von 1,5 Prozent des BIP vorgegeben. Damit soll sichergestellt werden, dass das Defizit einen deutlichen Sicherheitsabstand zu drei Prozent des BIP aufweist und somit ein Überschreiten der drei Prozent bei normalen Konjunkturschwankungen verhindert wird.
Um die Neuverschuldung auf den Zielwert von 1,5 Prozent Niveau zurückzuführen, wird für die Länder eine Anpassungsrate des strukturellen Primärdefizits in Höhe von 0,4 Prozent des BIP pro Jahr vorgegeben, wenn diese ein Haushaltsprogramm über vier Jahre fahren. Sollte ein Land dies auf sieben Jahre verlängern, beträgt die Anpassungsrate 0,25 Prozent des BIP. Darüber hinaus wurden für den Zeitraum bis 2027 Übergangsregelungen vereinbart, die die Auswirkungen des Anstiegs der Zinslast abfedern und die Investitionskapazität schützen.
Die Kommission richtet zudem für jeden Mitgliedstaat ein sogenanntes Kontrollkonto ein, um die kumulierten Abweichungen der Nettoausgaben von dem vom Rat festgelegten Nettoausgabenpfad nach oben und unten zu verfolgen.
Auf deutsche Initiative hin wurden für das Kontrollkonto klare Schwellenwerte in den Rechtstexten verankert, um die Durchsetzung des Regelwerks zu verbessern. Bei Überschreiten der Schwellenwerte droht ein Defizitverfahren durch die Brüsseler Behörde. Nichts ändert sich hingegen im korrektiven Arm hinsichtlich der Einleitung von Verfahren bei überhöhtem Defizit. Bei einer Neuverschuldung oberhalb von drei Prozent des BIP ist eine Korrektur um mindestens 0,5 Prozent des BIP pro Jahr in struktureller Rechnung vorgesehen.
Die Erleichterung war ihnen anzumerken: Nach zweitägigen Marathon-Verhandlungen haben sich die Unterhändler des Europaparlaments, der Mitgliedstaaten und der EU-Kommission auf eine grundlegende Reform der gemeinsamen Asylpolitik geeinigt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einer “historischen Einigung”.
Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) soll rechtzeitig vor der Europawahl im Juni 2024 den jahrelangen, oft erbittert geführten Streit über die gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik beenden und die Wähler davon überzeugen, dass die EU auch auf diesem brisanten Politikfeld handlungsfähig ist.
Nach der Coronakrise und dem Ukrainekrieg habe Europa die dritte große Bewährungsprobe bestanden, erklärte Kommissionsvize Margaritis Schinas. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock sagte, die Einigung sei “dringend notwendig und längst überfällig”. Sie räumte jedoch ein, dass Deutschland dafür Kompromisse eingehen musste.
Dies gilt vor allem für die sogenannten Grenzverfahren. Die Prüfung der Asylanträge soll künftig bereits an den EU-Außengrenzen stattfinden, um Flüchtlinge mit geringen Aufnahmechancen an der Weiterreise zu hindern. Für die Grenzverfahren sollen geschlossene Lager geschaffen werden, in denen auch Familien mit Kindern unterkommen.
Die Bundesregierung wollte begleitete Kinder ursprünglich aus humanitären Gründen von diesen Grenzverfahren ausnehmen, konnte sich beim Trilog in Brüssel jedoch nicht durchsetzen. Staaten mit besonders hohem “Migrationsdruck” wie Italien oder Griechenland hatten auf den harten Regeln bestanden und Ausnahmen abgelehnt.
Die Migranten sollen nun in Grenznähe festgehalten und (bei Ablehnung) von dort aus direkt abgeschoben werden. Die Asylverfahren und die Abschiebung sollen in der Regel je zwölf Wochen dauern. Zudem wird die Möglichkeit geschaffen, Asylbewerber in “sichere Drittstaaten” wie Tunesien oder Albanien abzuschieben.
Auf Drängen der osteuropäischen Staaten wurde zudem eine Krisenverordnung beschlossen, mit der die Regeln weiter verschärft werden können. Sie soll greifen, wenn Migranten nicht freiwillig kommen, sondern “instrumentalisiert” werden. Dies hatte die EU zunächst vor allem der Türkei, zuletzt auch Russland und Belarus vorgeworfen.
Neu ist auch der sogenannte Solidaritätsmechanismus. Damit werden Migranten aus besonders belasteten Ankunftsländern wie Italien, Griechenland oder Malta umverteilt. “Erstmals werden nun die EU-Mitgliedstaaten zu Solidarität verpflichtet”, sagte Baerbock. “Damit steigen wir endlich in eine europäische Verteilung ein.”
Allerdings können sich unwillige Staaten von der Aufnahme von Migranten freikaufen, indem sie 20.000 Euro pro Kopf und Jahr als “Kompensation” zahlen. Zudem sollen auch andere Leistungen, etwa Hilfe bei Migrations-Projekten in Drittstaaten, angerechnet werden. Somit bleibt fraglich, dass die Reform tatsächlich mehr Solidarität bringt.
Grüne und Linke fürchten, dass die EU-Staaten am Ende lieber in neue Abschottungs-Projekte investieren. “Die Reform wird nicht das gewünschte Ergebnis bringen”, warnt die Europaabgeordnete Terry Reintke von den Grünen. “Der heutige Tag ist ein historischer Kniefall vor den Rechtspopulisten in der EU”, sagte Cornelia Ernst von der Linken.
“Europa holt sich die Hoheit über Asyl und Migration zurück”, meint dagegen Lena Düpont (CDU). Neue Eurodac-Regeln würden eine ordnungsgemäße Registrierung und Identifizierung ermöglichen und irreguläre Migration und unerlaubte Bewegungen zwischen den Ländern unterbinden, befindet die migrationspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Gruppe.
Die neue Screening-Verordnung verteidigt auch Birgit Sippel von der SPD. Im Screening-Verfahren werde ein neuer Überwachungsmechanismus für Grundrechte eingeführt, der die Einhaltung von EU-Recht kontrollieren wird. Bei den anderen EU-Gesetzen – insgesamt geht es um fünf Verordnungen – stehe die genaue Ausgestaltung noch aus.
Dies macht eine abschließende Bewertung schwierig. Klar ist, dass der Kompromiss mit heißer Nadel gestrickt wurde. Der spanische Ratsvorsitz wollte mit aller Macht eine Einigung vor Weihnachten erreichen. Auch Deutschland und Belgien, das im Januar den Ratsvorsitz übernimmt und selbst im Juni wählt, haben Druck gemacht.
Nun ist sichergestellt, dass das Gesetzespaket noch vor der Europawahl verabschiedet wird. Europaparlament und Rat müssen noch einmal final zustimmen, was aber als Formsache gilt. Praktische Wirkung dürfte die GEAS-Reform jedoch nicht vor 2026 entfalten – die Verordnungen treten erst 24 Monate nach der formalen Verabschiedung in Kraft.
Der Effekt auf die Wähler dürfte daher begrenzt sein. Auch die Bindewirkung auf die EU-Staaten lässt zu wünschen übrig. Ungarn hat bereits angekündigt, sich nicht an die neuen Regeln zu halten. “Wir werden niemanden gegen unseren Willen einreisen lassen”, sagte Außenminister Péter Szijjártó in Budapest.
Ob die neue, proeuropäische Regierung in Polen mitzieht, bleibt abzuwarten. Ungarn und Polen haben im Rat gegen die Reform gestimmt. Unklar ist auch, ob nun die nationalen Grenzkontrollen fallen, wie die EU-Kommission hofft. Faeser hatte die Kontrollen zu Polen, Tschechien und der Schweiz erst in der letzten Woche verlängert.
Weitere Fragen betreffen die geplanten neuen Asyllager an den Außengrenzen und die Rückführung in Drittstaaten. Die EU will überfüllte Lager wie Moria auf der griechischen Insel Lesbos verhindern – sagt aber nicht, wie. Gelingen kann das nur, wenn nicht zu viele Bootsflüchtlinge kommen und wenn die Rückführung massiv ausgeweitet wird.
Dafür fehlen jedoch Abkommen mit Drittstaaten. Die im Sommer geschlossene Vereinbarung mit Tunesien wird in Brüssel zwar als Modell gehandelt. Sie zeigt bisher aber keine praktische Wirkung – und sie hat auch noch keine Nachfolger gefunden. Die “externe Dimension” ist und bleibt die Achillesferse der europäischen Migrationspolitik.
Direkt zu Beginn des neuen Jahres nehmen der Rat, die Kommission und das Parlament die Trilogverhandlungen über die EU-Verpackungsverordnung auf. Wegen der kontroversen Positionen zu dem Gesetz ist ungewiss, wie lang die Verhandlungen dauern werden. Die Verhandler streben eine Einigung vor dem Ende der Legislaturperiode an.
Das Parlament hatte im November seine Position angenommen, die den Kommissionsentwurf in vielen Bereichen deutlich abschwächt. Der Umweltrat, der Anfang der Woche seine allgemeine Ausrichtung beschlossen hat, hält die Ambitionen des Kommissionsentwurfs hingegen weitestgehend aufrecht.
“Der größte Knackpunkt in den Trilogverhandlungen wird mit Sicherheit die Frage sein, mit welchen Maßnahmen sich die Müllberge reduzieren lassen“, sagte Delara Burkhardt (S&D) Table.Media. Die Sozialdemokratin hat als Schattenberichterstatterin die Parlamentsposition mitverhandelt. “Das betrifft insbesondere die Verbote von unnötigen Einwegverpackungen, zum Beispiel beim Verzehr von Speisen und Getränken in Gaststätten, Mehrwegquoten für Getränke und Transportverpackungen und Vorgaben gegen übergroße Verpackungen, die mehr Luft als Produkt enthalten.”
Die EU-Umweltministerinnen hätten hier die Umweltambitionen des Kommissionsvorschlags zum Glück weitestgehend intakt gehalten, sagte Burkhardt. “Das lässt sich vom Europäischen Parlament leider nicht behaupten.” Eine rechte Mehrheit des Europäischen Parlaments habe fast jedem Lobbywunsch nachgegeben. “Zahlreiche Streichungen und Ausnahmeregeln lassen mich daran zweifeln, ob mit der Parlamentsposition die angestrebte Abfallreduktion überhaupt erreicht werden kann.” Burkhardt hofft deshalb, dass das finale Gesetz in den Bereichen Verpackungsminimierung und Mehrweg der Position des Rates näher sein wird.
Konkret geht es zum einen um Artikel 22, in dem die Kommission ein Verbot bestimmter Einwegverpackungsformate vorschlägt. Das sind etwa Plastikverpackungen für Getränke-Sixpacks, frisches Obst und Gemüse unter einem Gewicht von 1,5 Kilogramm und Einwegbehälter in der Gastronomie für Speisen zum Mitnehmen.
Das Parlament streicht in seiner Position mehrere dieser Verbote und fügt dafür andere Verbote ein. Das sind zum Beispiel Verbote von Einweg-Schrumpfverpackungen für Koffer und von unnötigen Sekundärverpackungen wie der Pappschachtel, die eine Zahnpastatube umhüllt. Es fügt eine Ausnahmeklausel hinzu für Unternehmen, die 85 Prozent der Einwegverpackungsabfälle für die stoffliche Verwertung sammeln und anhand einer Lebenszyklusanalyse nachweisen können, dass die Einwegverpackung umweltfreundlicher ist. Die Kommission soll außerdem nicht die Möglichkeit erhalten, über delegierte Rechtsakte neue Verbote hinzuzufügen.
Der Rat übernimmt in seiner Ausrichtung die Vorschläge der Kommission mit einigen Änderungen: Das Einwegverbot für Obst und Gemüse zum Beispiel soll nur für Plastikverpackungen gelten; die Kommission soll neue Verbote hinzufügen können, jedoch nur über das ordentliche Gesetzgebungsverfahren.
Zum anderen geht es um Artikel 26 aus dem Kommissionsentwurf, der Mehrwegquoten für einige Verpackungsformate vorsieht. Das Parlament streicht die Quoten für den Take-away-Sektor und ergänzt weitreichende Ausnahmen für die anderen Sektoren. Diese machen den Artikel nahezu bedeutungslos.
Der Rat übernimmt die Vorschläge der Kommission und ergänzt etwa eine Ausnahme für Wein sowie die Möglichkeit für Unternehmen, sich zu dritt zusammenzutun, um die Mehrwegquoten für Getränke zu erreichen.
Hier warten also sehr kleinteilige Verhandlungen auf die drei EU-Institutionen. Eine Einigung über die beiden Artikel wird sehr schwer zu erreichen sein.
Nicht einfach wird darüber hinaus die Verhandlung über die chemischen Substanzen, die sich in Verpackungsmaterialien befinden dürfen. Das Parlament fordert ein Verbot von gesundheitsschädlichen Ewigkeitschemikalien (PFAS) und Bisphenol A in Verpackungen, die mit Lebensmitteln und damit auch mittelbar mit Menschen in Kontakt kommen. Der Rat fordert zunächst eine Untersuchung durch die Kommission, um diese Chemikalien möglicherweise in der Zukunft zu verbieten.
Die Trilogverhandlungen sollen im Januar beginnen. Nach Informationen von Table.Media ist das erste politische Treffen für den 10. Januar geplant, allerdings noch nicht offiziell bestätigt.
Mit Ausnahme der “rechten Seite des Europäischen Parlaments” seien sich alle drei Institutionen einig, dass sie die Verhandlungen schnell abschließen und noch vor den Europawahlen im Juni abstimmen wollen, berichtet Delara Burkhardt. “So schaffen wir schnell Planungssicherheit für die Unternehmen, die die ersten Ziele der Verordnung schon in wenigen Jahren erfüllen müssen.”
Die Bundesregierung wird als erster EU-Staat das Auktionsmodell der europäischen Wasserstoffbank nutzen. Sie will dafür 350 Millionen Euro bereitstellen. Das teilten das Bundeswirtschaftsministerium und die EU-Kommission am Mittwoch mit. Mit dem Geld soll der Bau von Elektrolyseuren in Deutschland bezuschusst werden. Die Bundesregierung hatte sich das Ziel gesetzt, die Kapazität bis 2030 auf zehn Gigawatt zu erhöhen.
Die Mittel stammten aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) und stünden noch unter Haushaltsvorbehalt, sagte eine Ministeriumssprecherin. Die Mitgliedstaaten müssen ihre Teilnahme an dem Mechanismus außerdem bei der Kommission notifizieren, profitierten jedoch von einem gestrafften beihilferechtlichen Genehmigungsverfahren, hieß es weiter.
Die deutschen Mittel kommen zu der Pilotausschreibung in Höhe von 800 Millionen Euro aus dem EU-Innovationsfonds hinzu, auf die sich Projekte aus allen Mitgliedstaaten bewerben können. “Es ist großartig, dass Deutschland bei der ersten Auktion mit an Bord ist, und ich lade weitere Mitgliedstaaten ein, diesem Beispiel zu folgen”, sagte Klimakommissar Wopke Hoekstra. ber
Energiekommissarin Kadri Simson hat am Mittwoch über ihren Sprecher eine Äußerung vom Energierat am Vortag klarstellen lassen, die als Abrücken von einem eigenen EU-Ziel für erneuerbare Energien im Jahr 2040 gewertet werden konnte. Am Dienstag hatte die Nuklearallianz unter Führung Frankreichs ein Non-Paper verbreitet, das sich für ein EU-Ziel für dekarbonisierte Energien stark macht – also für erneuerbare und Atomenergie zusammen.
Auf die Frage eines Journalisten hatte Simson am Dienstag gesagt: “Dieser Vorschlag einiger Mitgliedstaaten ist auch für uns sehr zukunftsweisend [forward]”. Ihr Sprecher teilte nun am Mittwoch mit: “Die Kommissarin sagte, dass sowohl erneuerbare Energien als auch kohlenstoffarme Energiequellen einen Beitrag zur Erreichung des Emissionsreduktionsziels leisten müssen. Sie sagte nicht, dass es ein gemeinsames Ziel für diese Technologien geben wird.” Simson habe auch gesagt, dass es noch zu früh sei, die Einzelheiten der Kommissionsvorschläge für 2040 zu diskutieren. ber
Berichterstatterin Elisabetta Gualmini (S&D), hat die Mitgliedsstaaten aufgefordert, für den Trilogkompromiss zur Plattformarbeit zu stimmen. Sollten die Staaten den Kompromiss ablehnen, wäre dies “vollkommen unverständlich”, sagte sie Table.Media. Es gehe hier zum einen darum, derzeit knapp 30 Millionen Beschäftigten in der EU zu ihrem Recht zu verhelfen, zum anderen darum, den Wettbewerb zu stärken, in dem Spielregeln für alle Marktteilnehmer geschaffen würden.
Am Freitag wird der AStV über den politischen Kompromiss zur Plattformarbeit abstimmen. Beobachter glauben, dass es knapp werden könnte. Zuletzt hätten vor allem Ungarn, Griechenland, Finnland und baltische Staaten noch Kritik an dem Text gehabt, auch Frankreich ist laut Beobachtern nicht entschieden. Zudem ist der Lobbydruck hoch, gegen die Richtlinie zu stimmen. Deutschland hat sich bisher enthalten.
Gualmini rief die skeptischen Staaten dazu auf, ihre Position zu überdenken: “Der Text ist ausgewogen und realistisch”, sagte sie. Vor allem der französische Präsident Emmanuel Macron sollte sich an seine proeuropäischen Vorsätze erinnern. “Es wäre fatal, wenn er als einer der leidenschaftlichsten Befürworter eines stärkeren Europas, das soziale Europa mit einem ‘Nein’ abwürgen würde”, sagte Gualmini.
Die Sozialistin ging zudem auf die Kritik von Lobbyverbänden und der Wirtschaft ein, dass die Richtlinie Rechtsunsicherheit schaffen würde. Die Kritik bezieht sich vor allem auf die Kriterien, die eine Anstellungsvermutung auslösen sollen. “Die Kriterien sind aus der europäischen Rechtsprechung und Literatur übernommen worden. Ich sehe hier keine Rechtsunsicherheit“, sagte Gualmini.
Es handele sich auch nicht um einen Eingriff in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten. Die Entscheidung über eine Neueinstufung werde auf nationaler Ebene nach nationalem Recht getroffen. “Stattdessen würden europaweit transparente Regeln für den Umgang mit echten Selbstständigen und Arbeitnehmern geschaffen.” Das sei ein Vorteil für die Wirtschaft.
Auch Warnungen, eine solche Richtlinie würde die Preise für Dienstleistungen erhöhen, wies Gualmini scharf zurück. “Die Rechte von Mitarbeitern sind zu achten. Wenn sich Unternehmen davor mit Verweis auf Kosten drücken wollen, ist das falsch.” lei
Die Vertretung der Kommission in Deutschland sowie die beiden Regionalbüros der Kommission in Bonn und München haben keine offiziellen Leiter. Seit dem Wechsel des Vertreters in Deutschland, Jörg Wojahn, im Sommer in die Kommission in Brüssel ist die Vertretung in Berlin ohne Führung. Sie wird derzeit kommissarisch geleitet von Patrick Lobis, dem ehemaligen Stellvertreter Wojahns.
Das Regionalbüro in München hat seit über drei Jahren keinen offiziellen Chef. Der letzte Leiter hat das Regionalbüro in München im September 2020 verlassen. Es wird seit Dezember 2022 kommissarisch von Renke Deckarm geleitet. Die Leitung der zweiten deutschen Regionalvertretung in Bonn ist seit 2021 vakant. Sie wird kommissarisch geleitet von Nora Hesse. Der bevorstehende Wechsel von Wojahn in die Zentrale der Kommission nach Brüssel stand seit September 2022 fest.
Die Besetzung der Vertretungen in den Mitgliedstaaten obliegt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen selbst. Warum die Posten nicht besetzt werden, ist unklar. In der Kommission heißt es: “Die Auswahlverfahren laufen.” Bereits vor einem Jahr haben die Landesregierungen von NRW sowie von Bayern die Vakanzen öffentlich kritisiert.
Die Regionalvertretung in Bonn ist zuständig für Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen und das Saarland. In diesen Bundesländern wohnen rund 30 Millionen Bürger. Dies entspricht in etwa der addierten Einwohnerzahl der Mitgliedstaaten Portugal, Schweden und Tschechien. Die Regionalvertretung in München ist zuständig für Baden-Württemberg und Bayern. In diesen Bundesländern wohnen etwa 25 Millionen Menschen. mgr
Die EU-Kommission hat gestern drei Pornoportale als sehr große Onlineplattformen gemäß Digital Services Act designiert. Die Anbieter hatten zuvor angegeben, dass sie weniger als 45 Millionen Nutzer in der EU hätten.
Die Kommission zweifelte allerdings an, dass die Zählweise der Betreiber korrekt ist und stellte ihrerseits Einschätzungen an, die in diesen drei Fällen zur VLOP-Einstufung führten. Eine EU-Beamtin wies darauf hin, dass mit der VLOP-Klassifizierung nur zusätzliche Pflichten entstehen würden – alle Anbieter müssten sich ab 17. Feburar des kommenden Jahres an die DSA-Regeln halten. Die Kommission prüft laufend, ob weitere Angebote unter die Vorschriften für besonders große Angebote fallen könnten.
Zudem veröffentlichte die Kommission ihre Schreiben zur Einstufung der bereits zuvor als VLOP/VLOSE eingestuften Angebote. Eine besondere Rolle spielen dabei die Einstufungen von Amazon und Zalando: beide gehen vor dem Europäischen Gericht gegen die Benennung vor.
Zalando geht dabei ganz grundsätzlich gegen die Einstufung vor: Die EU-Kommission habe die Nutzerzahlen falsch gezählt, und der Onlinehändler sei kein Vermittlungsdienst im Sinne des Gesetzes, da der Dienst sich auch Inhalte von Drittanbietern auf der eigenen Infrastruktur zu eigen mache und diese niemals ungeprüft veröffentlicht würden.
Würde das von der europäischen Gerichtsbarkeit bestätigt, könnte Zalando nicht nur den Status als VLOP verlieren, sondern ganz aus dem Anwendungsbereich des DSA herausfallen. Die EU muss sich darauf einstellen, dass Deutschlands Begleitgesetz zum DSA erst später kommt. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte in Berlin, dass die Bundesregierung mit dem 1. April 2024 rechne. fst
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat das vom Parlament beschlossene Einwanderungsgesetz gegen Kritik auch aus den eigenen Reihen verteidigt. Das Gesetz ziele ganz klar darauf ab, Migranten von der irregulären Einwanderung nach Frankreich abzuhalten und damit auch eine Überlastung des Sozialsystems zu verhindern, sagte Macron am Mittwochabend im Fernsehsender France 5. Zugleich sollten bisher ohne Aufenthaltspapiere arbeitende Migranten unter bestimmten Voraussetzungen einen Aufenthaltstitel bekommen.
Das umstrittene Gesetz war am späten Dienstagabend vom Parlament beschlossen worden, allerdings in einer unter Druck der konservativen Oppositionspartei Les Républicains deutlich verschärften Fassung. Im Regierungslager, das in der Nationalversammlung keine eigene Mehrheit hat, zeigten sich nach den Zugeständnissen an die Konservativen deutliche Risse. Gesundheitsminister Aurélien Rousseau zog die Reißleine und trat aus Protest von seinem Posten zurück. “Es ist für mich nicht möglich, diesen Text zu verteidigen”, begründete der ehemalige Kommunist seinen Schritt gegenüber der Tageszeitung Le Monde. Aus Macrons Partei stimmten rund drei Dutzend Abgeordnete gegen das Gesetz oder enthielten sich.
Im Radiosender France Inter verteidigte Ministerpräsidentin Elisabeth Borne das Gesetz und erklärte, es entspreche den Sorgen der Franzosen in Bezug auf Sicherheit und Einwanderung. Sie kündigte zudem an, das Gesetz werde dem Verfassungsrat vorgelegt. Dies schafft die Möglichkeit, dass der Rat einige der schärferen Maßnahmen aufhebt, wenn er sie für verfassungswidrig hält.
Kritik gab es auch daran, dass das Gesetz nur deshalb das Parlament passieren konnte, weil das rechtsnationale Rassemblement National für das Vorhaben stimmte. Statt sich klar von der Partei von Marine Le Pen abzuschotten, habe die Regierung sich der rechten Partei angenähert, lautete der Vorwurf. “Ich sage ganz offen, dass unsere Landsleute auf dieses Gesetz gewartet haben und wenn man möchte, dass das Rassemblement National mit seinen Ideen nicht an die Macht kommt, dann muss man die Probleme angehen, die die Partei stärken“, sagte der französische Präsident Emmanuel Macron. Stimmen aus dem Regierungslager erklärte zudem, dass es eine Mehrheit auch gegeben hätte, wenn die Stimmen der Rechtsextremen abgezogen werden.
Beobachter warnen davor, dass das Vorhaben, sechs Monate vor den Wahlen zum Europaparlament, bei denen Einwanderung ein Hauptthema werden dürfte, der extremen Rechten unter Le Pen Auftrieb geben könnte. Le Pen begrüßte das veränderte Gesetz als “großen ideologischen Sieg” ihrer Partei. Macron hatte die Präsidentschaftswahlen 2017 und 2022 für sich entschieden, indem er Wähler hinter sich versammelte, um Le Pen am Sieg zu hindern. Linke Abgeordnete sprachen von Verrat. dpa/rtr/lei
Die Europäische Union will eine Anti-Dumping-Untersuchung zu Biodiesel-Importen aus China einleiten. Das gab die Kommission am Mittwoch bekannt. Die Importe haben nach Ansicht der EU-Industrie zu einer Verringerung der heimischen Produktion geführt. Es geht um Vorwürfe, ob Biodiesel aus Indonesien die EU-Zölle umgeht, indem er über China und Großbritannien in die Union eingeführt wird.
Die Untersuchung ist durch eine Beschwerde der Herstellervereinigung European Biodiesel Board (EBB) ausgelöst worden und wird den Zeitraum vom 1. Oktober 2022 bis zum 30. September 2023 abdecken. Es besteht die Möglichkeit, dass innerhalb von acht Monaten vorläufige Zölle eingeführt werden.
“Die EU-Hersteller haben Beweise für Biodieselimporte aus China vorgelegt, die zu künstlich niedrigen Preisen in die EU gelangen, und behaupten, dass diese Importe ihrer Industrie ernsthaft schaden, da sie mit solch niedrigen Preisen nicht konkurrieren können”, erklärte die Europäische Kommission in einer Mitteilung.
Die chinesische Vertretung bei der EU und die chinesische Handelskammer reagierten nicht sofort auf Bitten um Stellungnahme. China war im Jahr 2023 der größte Exporteur von Biodiesel in die EU, sagte das EBB in einer separaten Erklärung. Die zu günstigen Importe hätten 2023 zur Schließung von Produktionsstätten in mehreren Mitgliedsstaaten geführt.
In einem anderen Handelsstreit mit Peking leitete die Kommission im September eine Untersuchung über chinesische Elektrofahrzeugimporte ein, die ihrer Meinung nach von staatlichen Subventionen profitieren. China kritisierte die EU-Untersuchung und nannte sie einen “nackten protektionistischen Akt”. rtr/lei
Polens neuer Regierungschef kennt den Posten bereits: Donald Tusk war sieben Jahre Polens Ministerpräsident (2007-2014). Danach wechselte er nach Brüssel als Präsident des Europäischen Rates. Ohne ihn verlor seine Bürgerplattform die Wahlen. Ende 2019 kehrte Tusk nach Polen zurück und begann eine Anti-PiS-Koalition zu schmieden.
Während seiner zweiten Amtszeit als Ratspräsident warf man Tusk im Westen gelegentlich Führungsschwäche vor. In der polnischen Politik ist er aber als Macher bekannt, der mit harter Hand die Partei regiert und aus vielen politischen Egos ein funktionierender Mechanismus formt. “In der Politik gibt es keine Freunde”, sagte er einmal. Er hat aber auch Charisma und weiß, wie man die Menschen überzeugt.
Über die Jahre ist Tusk mit den Aufgaben gewachsen. Der Junge aus einfachen Verhältnissen begann als Student in Danzig gegen den Kommunismus zu kämpfen. Er stand der Gewerkschaftsbewegung “Solidarność” und dessen legendären Führer Lech Wałęsa nah. Als er 2007 zum ersten Mal die Regierungsgeschäfte übernahm, wurde er von den Gegnern im Sejm als ein “Bengel in kurzer Hose” verunglimpft. Doch das vermeintliche Leichtgewicht führte das Land erfolgreich durch die Weltfinanzkrise – Polens Wirtschaft wuchs unter Tusk um 20 Prozent.
Der neue-alte Ministerpräsident ist ein überzeugter Wirtschaftsliberaler. Mit dieser Haltung sorgte er früher auch für soziale Spannungen. Das will er nun korrigieren: Er versprach nach der Amtseinführung, einen offenen Dialog mit der Bevölkerung zu führen, eine bessere Kommunikation und mehr Empathie. Seine Koalitionspartner, allen voran die Linke, dürften manche zu liberale Ideen ausbremsen – und für mehr Balance sorgen. Tusk wird sich mit ihnen arrangieren.
Dabei waren die Vorzeichen, dass Tusk überhaupt ein Comeback an die Staatsspitze gelingt, alles andere als gut. Der Regierungspartei PiS standen alle Ressourcen des Staates zur Verfügung. Alle staatlichen Institutionen, darunter die Antikorruptionsbehörde, die Zentralbank, die Preisregulierungsbehörde sowie staatseigene Energie-Konzerne waren im Wahlkampf eingespannt, um die PiS – meist gesetzeswidrig – zu unterstützen. Das Staatsfernsehen TVP, formell zu Objektivität verpflichtet, verbreitete Regierungspropaganda und verleumdete die Opposition.
Tusk gelang es, die apolitischen Gruppen der Bevölkerung zu mobilisieren. Im Juni und im Oktober organisierte seine Bürgerkoalition zwei Kundgebungen in Warschau, zu den jeweils weit über 500.000 Menschen kamen – es waren die größten Demos seit dem Sturz des Kommunismus. Tusk präsentierte sich als Kämpfer für die Demokratie, für die bürgerlichen Freiheiten und den Rechtsstaat – und als Gegner des absoluten Abtreibungsverbots. Bei jungen und weiblichen Wählern in größeren Städten kam das gut an. Dort lag die Wahlbeteiligung oft über 80 Prozent, 20 Prozent höher als je zuvor. Insgesamt gaben 74,4 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab.
PiS-Chef Jarosław Kaczyński dagegen hat im Wahlkampf eine falsche Strategie gewählt: Er trieb die Polarisierung auf die Spitze. Mit vulgären Methoden versuchte er seinen Gegner zu diffamieren. Er schürte Ängste gegen Tusk, den er als “Verräter”, “Handlanger Berlins” und “das Böse” beschimpfte sowie gegen Deutschland und die EU, die es auf polnische Souveränität abgesehen hätten. Mit dieser aggressiven Hasskampagne erreichte Kaczyński zwar sein hartes Elektorat, schreckte aber gemäßigt konservative Wähler ab.
Tusk hingegen sprach – bei aller Kritik an der PiS-Regierung – von einer Reparatur des Staates, von gesellschaftlicher Versöhnung und der Rückkehr zu einem Dialog mit der EU. Provozieren ließ er sich nicht. Dazu kam: Schon früh einigte er sich mit der Linken, der Bauernpartei PSL und der Bewegung Polska 2050 auf eine Koalition. Er fand die richtige Balance, um das eigene Profil zu schärfen und die Partner nicht zu vergraulen.
An seiner proeuropäischen Haltung gibt es keinen Zweifel. Er wird das Verhältnis zu Brüssel wieder kitten, den Partnern aber einiges abverlangen. Tusk weiß über die Bedeutung Polens als Frontstaat zu der Ukraine und als die fünftgrößte Wirtschaft in der EU. Bei dem Versuch, den PiS-Augiasstall auszumisten, braucht er aber auch die Unterstützung aus Brüssel.
Sein Erfolg liegt im vitalen Interesse Europas. Polen könnte vor allem der ungarischen Opposition als Beispiel dienen, wie man die Herrschaft von Autokraten überwinden kann. Andrzej Rybak