Table.Briefing: Europe

Pestizid-Streit + Patent-Regulierung + Grüne Gentechnik

Liebe Leserin, lieber Leser,

die EU-Kommission will erreichen, dass bis zum Jahr 2030 nur noch halb so viele Pestizide eingesetzt werden wie bisher. Doch die Kompromissfindung könnte schwerer kaum sein: Die Vorstellungen im Europaparlament reichen von einer erheblichen Verschärfung bis zur Komplettablehnung. Knapp 3.000 Änderungsanträge gibt es. Und auch die EVP-Fraktion muss ihre Position noch finden, analysieren Timo Landenberger und Lukas Scheid.

Ob 5G-Technologie oder mobile Telefonie im Auto – Standardessentielle Patente (SEP) stecken überall drin. Sie sollen als Teil des Patent-Pakets reguliert werden, das die EU-Kommission nächste Woche vorstellen wird. Doch genau diese Regulierung könnte das Europäische Instituts für Telekommunikationsnormen (ETSI) erheblich schwächen. Profitieren würde vor allem ein großes amerikanisches Tech-Unternehmen, berichtet Markus Grabitz.

Deutschlands Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger wünscht sich mehr Freiheiten für den Einsatz von Genscheren wie Crispr/Cas, oder zumindest für die Forschung daran. Ein Vorschlag aus der EU zur Grünen Gentechnik wird sich nun aber wohl auf unbestimmte Zeit verschieben. Warum das so ist, lesen Sie in unseren News.

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Alina Leimbach
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Analyse

Pestizide-Verordnung: Von Zurückweisung bis Verschärfung

Die Gräben sind tief im Streit um die geplante Verordnung zur nachhaltigeren Verwendung von Pflanzenschutzmitteln. Auch innerhalb des federführenden Umweltausschusses liegen die Positionen weit auseinander. Fast 3.000 Änderungsanträge sind Ausdruck dessen und im Grundsatz dreht sich die Diskussion um die Frage: Gefährden die ambitionierten Ziele die Ernährungssicherung in Europa und damit auch die Existenzgrundlage zahlreicher landwirtschaftlicher Betriebe? Immerhin sieht der Kommissionsvorschlag eine Reduktion des Pestizid-Einsatzes um 50 Prozent bis zum Jahr 2030 vor.

Berichterstatterin Sarah Wiener (Grüne) ist überzeugt, das Gegenteil sei der Fall: Nur mit einer konsequenten Reduktion der chemischen Wirkstoffe lasse sich die ökologische Vielfalt langfristig aufrechterhalten und das wiederum sei die Grundvoraussetzung für nachhaltige Nahrungsmittelproduktion. In ihrem Bericht fordert die Abgeordnete deshalb, den Kommissionvorschlag zumindest teilweise noch zu verschärfen.

Dazu gehört, das Reduktionsziel für hochgefährliche Pestizide von 50 auf 80 Prozent zu erhöhen. Diese Stoffe könnten ersetzt werden und “hätten nach dem Substitutionsprinzip schon bis 2015 vom Markt genommen werden sollen, was aber nicht geschehen ist”, sagte Wiener. Außerdem schlägt die Politikerin strengere Mechanismen zur Überprüfung vor, darunter Zwischenziele bis 2026, um sicherzugehen, “dass die Mitgliedsstaaten auf dem richtigen Weg sind”.

Bio-Pestizide in Schutzgebieten

Unterstützung erhält Wiener von den Schattenberichterstatterinnen aus dem linken Spektrum. So fordert auch Maria Arena (S&D) die Anwendung des Verursacherprinzips. Demnach sollen Pestizidhersteller für Schäden aufkommen, die beispielsweise durch die Verunreinigung von Trinkwasser entstehen.

Beide Abgeordnete der Ansicht, dass Pflanzenschutzmittel nicht vollständig aus Schutzgebieten verbannt werden können und eine landwirtschaftliche Produktion hier weiterhin möglich sein muss. Die Kommission hatte für “empfindliche Gebiete” ein Totalverbot vorgeschlagen und dafür viel Kritik geerntet. Der Kompromissvorschlag von Wiener und Arena sieht nun vor, in diesen Bereichen ökologische Wirkstoffe zuzulassen.

Generell soll der integrierte Pflanzenschutz gestärkt und eine klare Hierarchie festgelegt werden, nach der chemische Pestizide nur als letzte Möglichkeit eingesetzt werden sollen. Arena schlägt außerdem vor, Berufskrankheiten im Zusammenhang mit Pflanzenschutzmitteln systematisch zu erfassen und Betroffene zu entschädigen. Ein weiterer Antrag sieht ein Werbeverbot für Pestizide vor. Letzteres gehört auch zu den Vorschlägen von Anja Hazekamp (Linke), die in entscheidenden Punkten jedoch noch weiter geht.

So beantragt die Schattenberichterstatterin, den Pestizid-Einsatz bis 2030 um 80 Prozent zu reduzieren und bis 2035 ganz einzustellen. Gleichzeitig fordert sie die Kommission auf, Rahmenbedingungen für die Zulassung von nicht-chemischen Alternativen auszuarbeiten, um deren Marktreife zu beschleunigen. Zum Schutz der Bevölkerung soll auch auf dem Land eine Pufferzone von 50 Metern rund um private und öffentlich zugängliche Grundstücke, Gärten, Parks oder auch Straßen eingerichtet werden, in der jeglicher Einsatz von Pestiziden verboten ist.

Uneinigkeit in der EVP – abändern oder ablehnen?

Den Anträgen diametral gegenüberstehen die Forderungen der EVP, obgleich sich die Fraktion nicht einig zu sein scheint, wie weit diese gehen sollen. Schattenberichterstatter Alexander Bernhuber sieht den Kommissionsvorschlag grundsätzlich zwar skeptisch. Doch anders als eine rund 30-köpfige Gruppe seiner EVP-Kollegen, die den Vorschlag komplett ablehnen, will Bernhuber die Verordnung in eine Richtlinie umwandeln, die den Mitgliedstaaten bei der Erreichung der Ziele mehr Flexibilität verschaffen würde. Dabei erhält er Unterstützung von der ultrakonservativen EKR-Fraktion um Schattenberichterstatter Alexandr Vondra.

Verbindliche nationale Ziele soll es nach Bernhuber nicht geben, um den unterschiedlichen Gegebenheiten besser gerecht zu werden. Vielmehr sollen die Mitgliedsstaaten zum EU-weiten Reduktionsziel von 50 Prozent “beitragen”, welches nicht 2030, sondern erst 2035 erreicht werden soll.

Insgesamt berge der Vorschlag der Kommission die Gefahr, landwirtschaftliche Betriebe ins Aus zu drängen und die Ernährungssicherung in Europa zu gefährden. Bernhuber will deshalb den Gesetzgebungsprozess durch ein Moratorium aufschieben, bis eine Folgenabschätzung der Kommission vorliegt. Damit folgt er einer Forderung des Agrarrats vom Ende vergangenen Jahres.

Renew kann über Mehrheiten entscheiden

Jan Huitema (Renew) fordert, die Anhebung der Reduktionsziele an Voraussetzungen zu knüpfen. Demnach sollen die Ziele nur dann gelten, wenn spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten der Verordnung der Gesamtabsatz von biologischen Pflanzenschutzmitteln signifikant gestiegen ist, um Landwirten ausreichend Alternativen zur Verfügung zu stellen. Wie genau soll durch die Kommission in einem zusätzlichen delegierten Rechtsakt festgelegt werden. Ebenso sollen die Reduktionsziele nur dann zum Tragen kommen, wenn der von der Kommission angekündigte Rechtsrahmen über genetisch veränderte Pflanzen bis spätestens 2027 erlassen wird.

Huitemas Renew-Fraktion liegt in der Mitte des Spektrums zwischen dem links-grünen Block und dem rechts-konservativen Block aus EVP und EKR, die den Kommissionsvorschlag entweder als Ganzes ablehnen oder die Auflagen zumindest erheblich abschwächen wollen. In den Verhandlungen wird daher entscheidend sein, auf welche Seite sich die Liberalen schlagen.

Am heutigen Mittwoch findet das erste technische Treffen des Fachpersonals der Berichterstatterinnen und Berichterstatter statt. Die zuständigen Abgeordneten selbst treffen sich erstmals am 9. Mai beim sogenannten Shadows Meeting. Die Abstimmung im Umweltausschuss ist derzeit für den 11. September geplant und in der ersten Oktoberwoche soll das Plenum abstimmen.

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Standardessentielle Patente: Vorschlag kommt nächste Woche

Die Kommission hält an ihrem Plan fest und will am 26. April ihren Vorschlag zur Regulierung der Standardessentiellen Patente (SEP) vorlegen. Der SEP-Vorschlag werde wie geplant am kommenden Mittwoch von Vize-Kommissionspräsidentin Margrethe Vestager als Teil des Patent-Pakets präsentiert, teilte ein Kommissionsprecher Table.Media auf Anfrage mit.

SEP sind Patente, die für die Verwendung einer bestimmten Technologie unerlässlich sind. Zu den SEP gehören beispielsweise Patente für mobiles Telefonieren. Autohersteller müssen sie für jedes Auto kaufen, weil die Autos internetfähig sein müssen. Die Inhaber der SEP sind verpflichtet, die Patente zu “fairen, vernünftigen und diskriminierungsfreien Bedingungen” (FRAND) abzugeben.

Um die Konditionen hatte es aber zuletzt immer wieder gerichtliche Auseinandersetzungen gegeben. Die Kommission will mit dem ESP-Vorschlag den Marktzugang regulieren. Sie will eine neue Evaluierungsinstanz für SEP schaffen und dafür sorgen, dass künftig ein Mediationsverfahren stattfindet, bevor Klage eingereicht werden kann.  

Lobbykrieg um Vorschlag entbrannt

Um den Vorschlag, zu dem seit einigen Tagen ein Entwurf kursiert, ist eine erbitterte Lobbyauseinandersetzung ausgebrochen. Der SEP-Experte und Blogger Florian Müller etwa hat Kenntnis von einem Schreiben des Europäischen Instituts für Telekommunikationsnormen (ETSI) in der Sache. ETSI ist eine der drei großen Normungsorganisationen in Europa, das Institut entwickelt auch im Auftrag der EU-Kommission Normen, zudem betreibt es das bisherige SEP-Register.

Das Schreiben, um das es geht, stammt von ETSI-Generaldirektor Luis Jorge Romero und ist an Anthony Whelan gerichtet. Whelan ist das zuständige Kabinettsmitglied von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Romero bittet in dem Schreiben die Kommission, den Entwurf noch einmal zu überarbeiten, bevor er offiziell vorgestellt wird.

Aktuell plant die Kommission, neben dem bestehenden ETSI-Register ein zweites Register für SEP aufzubauen. Dagegen wehrt sich ETSI: “Die Datenbank von ETSI besteht in ihrer jetzigen Form seit 2011 und wurde im Laufe der Jahre unter Beteiligung der Mitglieder aufgebaut.” Sie umfasse nicht nur SEPs für von ETSI entwickelte Normen, sondern auch weitgehend die technischen Spezifikationen. Das System sei unbestreitbar ein Wettbewerbsvorteil der EU und dürfe nicht einfach so infrage gestellt werden.

Experte sieht Rolle des ETSI “akut gefährdet”

Müller schreibt in seinem Blog: “Es ist kaum möglich, die Bedeutung des ETSI-Schreibens überzubetonen.” ETSI sei eine Schöpfung der Kommission. Während Europas Weltmarktanteil bei drahtlosen Geräten verschwindend gering sei, habe das ETSI seine Bedeutung halten können. “Durch den Entwurf für die SEP-Regulierung und andere Ideen der Kommission ist die Rolle des ETSI nun aber akut gefährdet”, so Müller weiter.

Das Schreiben ging in Kopien ebenfalls an die Kabinette von Binnenmarktkommissar Thierry Breton sowie die beiden Vize-Kommissionspräsidenten Vestager und Valdis Dombrovskis.

Apple würde am meisten profitieren

Auf das Schreiben von ETSI an das Kabinett von der Leyen habe unmittelbar das Unternehmen Apple reagiert, schreibt Müller weiter in seinem Blog. Ein Apple-Lobbyist habe sich per Mail an den Verfasser, Generaldirektor Romero von ETSI, gewandt und vehement den angeführten Argumenten im ETSI-Schreiben widersprochen: ETSI nehme darin “extreme Positionen” ein.

Müller ordnet das Apple-Schreiben folgendermaßen ein: “Kein Unternehmen weltweit würde von der EU-Initiative mehr profitieren als Apple.” Das weltweit reichste Unternehmen führe nur ein bis zwei Prozent des Verkaufspreises eines Apple-iPhones an Lizenzgebühren ab.

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News

Strack-Zimmermann kandidiert auf Platz 1 der FDP-Liste

Der FDP-Bundesvorstand wird am Donnerstag voraussichtlich Marie-Agnes Strack-Zimmermann als Spitzenkandidatin für die Europawahl 2024 ausrufen. Parteichef Christian Lindner werde die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag vorschlagen, hieß es in FDP-Kreisen. Abgestimmt wird über die Liste aber erst beim Bundesparteitag im Januar

Um die weiteren aussichtsreichen Listenplätze rangeln vier der fünf bisherigen FDP-Europaabgeordneten. Gute Aussichten auf einen der vorderen Plätze hat demnach Moritz Körner, obwohl der 33-Jährige wie Strack-Zimmermann aus dem Landesverband Nordrhein-Westfalen kommt. 2019 waren zudem Svenja Hahn (Hamburg), Andreas Glück (Baden-Württemberg) und Jan-Christoph Oetjen (Niedersachsen) in das Europaparlament eingezogen. Damals hatten die Liberalen 5,4 Prozent der Stimmen erhalten. Derzeit stehen sie in den Umfragen mit rund sieben Prozent etwas besser da.

Die damalige Spitzenkandidatin Nicola Beer tritt hingegen nicht erneut an: Bundesfinanzminister Lindner hat die 53-jährige gelernte Bankkauffrau für einen der acht Vize-Präsidenten-Posten bei der Europäischen Investitionsbank (EIB) vorgeschlagen. “Die Arbeit bei der EIB bietet mir die Chance, Themen zur Stärkung Europas operativ voranzutreiben, für die ich mich seit Langem einsetze”, sagte Beer zu Table.Media.

Ihren Posten als stellvertretende Bundesvorsitzende wird Beer beim Parteitag am Freitag ebenfalls räumen. Nachfolgerin soll Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger werden, die wie Beer aus dem Landesverband Hessen kommt. tho/mgr/ds

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ETS-Reform angenommen, aber ohne französische Grüne

Das Europäische Parlament hat am Dienstag mit großer Mehrheit die Trilog-Einigungen zu den Kernelementen des Fit-for-55-Pakets angenommen. Die Abgeordneten stimmten ab über:

  • die Reform des europäischen Emissionshandels (ETS), inklusive der Einführung eines zweiten ETS für Brennstoffe zum Heizen und für den Straßenverkehr
  • die Einführung eines Klimasozialfonds mit einem Gesamtbudget von 86,7 Milliarden Euro, der die zusätzlichen Kosten durch den ETS 2 für schwache und mittlere Einkommensklassen abfedern soll
  • die Einbeziehung der Schifffahrt in den ETS und strengere Regeln für die Luftfahrt
  • die Einführung eines CO₂-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM), der die kostenlosen Emissionszertifikate der Industrie schrittweise ersetzen und als Schutz vor Carbon Leakage dienen soll

Aus “should” wird “shall”

Eine wesentliche Änderung des Emissionshandels besteht in der Verwendung der Gelder, die die Mitgliedstaaten beim Verkauf von Emissionsrechten einnehmen. Bisher waren die Mitgliedstaaten lediglich dazu aufgerufen (“should”), ihre Einnahmen wieder in Klimaschutzmaßnahmen, in die Energiewende oder in die soziale Abfederung höherer Kosten durch die CO₂-Bepreisung zu reinvestieren. Eine Verpflichtung war das nicht.

Mit der Reform wird dieser Aufruf nun zwar verstärkt, indem die Formulierung in “shall” geändert wird. Jedoch ist der rechtliche Unterschied zwischen diesen beiden Wörtern umstritten. Eine unmissverständliche Verpflichtung wäre ein “must” gewesen. Somit bleibt abzuwarten, wie dieser Teil der Reform in den Mitgliedstaaten umgesetzt wird. Die Berichterstatter des EU-Parlaments kündigten am Dienstag an, die Mitgliedstaaten bei der Einhaltung dieser Regeln genau zu überwachen.

Französische Grüne lehnen ab, Sozialisten enthalten sich

Trotz der großen Mehrheiten für die Dossiers, die den European Green Deal in die Tat umsetzen sollen, gab es auch überraschende Gegenstimmen. Die französischen Grünen (Europe Écologie Les Verts, EELV) und S&D-Delegation aus Frankreich stimmten anders ab als ihre jeweiligen Fraktionen. Die EELV-Abgeordneten stimmten gegen den ETS-Text, während sich die S&D-Leute enthielten. Grund dafür sind die französischen Erfahrungen mit den Protesten der Gelbwesten-Bewegung, heißt es im Umfeld beider Delegationen, die sich im Vorfeld der Abstimmung getroffen hatten.

Die Befürchtung, dass die zusätzlichen Kosten der CO₂-Bepreisung zu neuen Unruhen führen, ist immens. Der Text sei den sozialen Herausforderungen nicht gewachsen, sagte Éric Andrieu (S&D, Parti Socialiste) in einem Interview mit der französischsprachigen Presse. “Es gibt noch zu viele Unklarheiten über die Auswirkungen der Einbeziehung des Verkehrs- und Wohnungssektors in den CO₂-Markt auf die am stärksten gefährdeten Haushalten.”

Preisexplosion ab 2030 befürchtet

Marie Toussaint (Greens, EELV) weist auf das Risiko einer “Preisexplosion” im Verkehrs- und Wohnungssektor ab 2030 hin. Zwar gibt es im ETS 2 einen Preisstabilitätsmechanismus, der bis 2030 gilt und den CO₂-Preis auf maximal 45 Euro pro Tonne begrenzen soll. “Aber was passiert, wenn dieser Preis nicht mehr garantiert werden kann?”, fragt Toussaint und prognostiziert, dass das Preissteigerungspotenzial in erster Linie die am stärksten gefährdeten Gruppen treffen wird. “45 Euro pro Tonne CO₂ bedeutet in Frankreich einen Preisanstieg an der Zapfsäule um 10 Cent pro Liter”, sagt sie.

Die Architektur des ETS beruhe auf den Prinzipien des Marktes, so Toussaint. Dies bedeute, dass der Markt nicht in der Lage sei, die Vorhersehbarkeit der Kohlenstoffpreise für den Verkehrs- und Wohnungssektor zu gewährleisten. Die französischen Grünen plädieren stattdessen für eine Besteuerung der Finanzanlagen und Gewinne von Energiekonzernen, die infolge des durch den Krieg in der Ukraine verursachten Anstiegs der Energiepreise “explodiert” sind. cst/luk

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Grüne Gentechnik: Lemke und andere Gegner bremsen

Der Vorschlag der Kommission zur Regulierung neuer Genzüchtungsmethoden dürfte sich auf unbestimmte Zeit verschieben. Die Gründe: Der Ausschuss für Regulierungskontrolle der EU hat offenbar Einwände gegen den Vorschlag. Dazu gibt es Einspruch von Mitgliedsstaaten, allen voran Deutschland und Österreich. Zuerst berichtete das Portal Agra Facts. Die EU-Kommission will das weder bestätigen noch dementieren. Eigentlich war die Vorstellung der Pläne auf den 7. Juni datiert.

Kai Purnhagen von der Universität Bayreuth bestätigt den Vorgang. “Die Vorstellung der Vorschläge für eine Neuregelung wurde auf unbestimmte Zeit verschoben”, sagt der EU-Lebensmittelrechtsexperte. “Offenbar gab es Schwierigkeiten mit dem Timing zwischen den Ausschüssen. Außerdem ist zu hören, dass die EU-Kommission Kompromisse auslotet, etwa zum Thema Rückverfolgbarkeit.” Beobachter wie der Verband für Lebensmittel ohne Gentechnik halten eine Neuregulierung vor den Europawahlen für kaum mehr möglich.

“Aus unserer Sicht brauchen wir keine neue Regulierung“, sagte ein Sprecher von Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne). “Gentechnisch veränderte Pflanzen sind nicht verboten. Sie müssen vor ihrer Zulassung auf ein mögliches Risiko überprüft werden. Das ist im Sinne des Vorsorge-Prinzips auch gut so.” Die Befürworter einer Neuregulierung, darunter Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger, wünschen sich mehr Forschungsfreiheit für neue genetische Züchtungsmethoden wie der Genschere Crispr/Cas (mehr dazu im Research.Table).

Unklare Begriffe sorgen für Kritik

Laut BMUV gibt es sogar unter den befürwortenden Mitgliedsländern Vorbehalte gegen die bisherigen Vorschlagsskizzen der Kommission. Nicht definierte Begriffe in den Manuskripten stießen auf Ablehnung, etwa ein “Breeders’ Gene Pool”. Was das genau sein solle, erkläre die Kommission nicht.

Unter einer Neuregulierung könnte die Wahlfreiheit beim Einkauf leiden. Bisher ist nämlich unklar, wie die neue Gentechnik in Lebensmitteln festgestellt werden kann. Um die Pflanzen, die mit den neuen Methoden hergestellt wurden, labortechnisch zu erkennen, müssten die Hersteller deren DNA-Sequenzierung offenlegen.

Österreichs Regierung hatte angesichts der Problematik zuletzt eine Studie gefordert, bevor eine Neuregulierung überhaupt angegangen wird. “Österreich ist der Produktion von Biolebensmitteln sowie nicht-genetisch veränderten stark verpflichtet”, heißt es im Brief an die Kommission. Die Regierung warne vor Gesetzesänderungen, die “die Koexistenz” von Lebensmitteln mit und ohne Gentechnik bedrohe und “Folgen hätten für die Wahlfreiheit von Verbrauchern”. ab

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Brüssel will besseres Krisenmanagement im Bankensektor

Die Europäische Kommission will das Krisenmanagement im Bankensektor stärken. Dazu sollen die bestehenden EU-Vorschriften auf kleinere und mittelgroße Institute ausgeweitet werden. Außerdem will die Brüsseler Behörde die Einlagensicherung erweitern. EU-Vizepräsident Valdis Dombrovskis führte in Straßburg aus, der Bankensektor in Europa sei nach der Finanzkrise heute deutlich widerstandsfähiger und könne sich auf ein effizientes Krisenmanagement stützen. Allerdings habe die Vergangenheit gezeigt, dass kleinere und mittelgroße Institute bei Ausfall häufig nicht abgewickelt würden.

Statt etwa eigene Ressourcen der Institute oder private, branchenfinanzierte Sicherheitsnetze wie Einlagensicherungssysteme und Abwicklungsfonds einzusetzen, seien Steuergelder herangezogen werden. Dem wolle die EU-Kommission entgegenwirken. Der aktuelle Vorstoß solle Behörden in die Lage versetzen, “ausfallende Banken unabhängig von ihrer Größe und ihrem Geschäftsmodell in einen geordneten Marktaustritt zu führen“. Dazu sollen diese eine breite Palette an Instrumenten an die Hand bekommen.

Die Kommission will dabei vor allem den Einsatz branchenfinanzierter Sicherheitsnetze vereinfachen. So sollen in Bankenkrisen die Einleger etwa durch Übertragung ihrer Konten von einer notleidenden auf eine gesunde Bank besser abgeschirmt werden. Dombrovskis unterstrich allerdings, “die erste Verteidigungslinie bleibt die interne Verlustabsorptionsfähigkeit der Banken. Andere Sicherheitsnetze dürfen nur ergänzend hinzukommen”.

EU will Einlagensicherung auf weitere Bankkunden ausweiten

Mit Blick auf die geplante Modifizierung des Einlegerschutzes hob die für Finanzdienstleistungen zuständige EU-Kommissarin Mairead McGuinness hervor, “die in den EU-Vorschriften für Einlagensicherungssysteme festgelegte Deckungssumme von 100.000 Euro pro Einleger und Bank bleibt unangetastet“. Allerdings solle der Rahmen auf öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser, Schulen oder Gemeinden ausgeweitet werden. Gleiches gelte für Kundengelder, die etwa von Investmentgesellschaften, Zahlungsinstituten oder E-Geld-Instituten in bestimmte Arten von Kundenfonds eingezahlt sind.

In einzelnen Fällen sollen auch höhere Summen garantiert werden, etwa “wenn der Kontostand infolge bestimmter Ereignisse wie einer Erbschaft oder der Auszahlung einer Versicherungsprämie die Schwelle von 100.000 Euro vorübergehend überschreitet”. Der Europaabgeordnete Markus Ferber (CSU) warnt, durch die Vorgaben aus Brüssel könne es für die bisher gut funktionierenden Institutssicherungssysteme von Sparkassen und Volksbanken in Deutschland zu Problemen kommen.

Ferber warnt vor Problemen für Institutssicherungssysteme in Deutschland

“Was die Kommission vorschlägt, nagt an der Daseinsberechtigung der Institutssicherungssysteme. Vieles, was ein Institutssicherungssystem ausmacht, wird künftig nicht mehr möglich sein“, so der finanzpolitische Sprecher der EVP-Fraktion. Kritisch sieht Ferber vor allem neue Eingriffsrechte der Europäischen Abwicklungsbehörde wie auch der verschärfte “least cost Test”, mit dem nachgewiesen werden muss, dass eine Intervention eines Einlagensicherungssystems immer die kostengünstigste Maßnahme darstellt. “Dabei haben wir in Deutschland ein System, das sich bewährt hat. Das sollte nicht durch eine Überreaktion der Kommission infrage gestellt werden”, betonte der Abgeordnete. cr

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Chips Act: Einigung im Trilog

Europaparlament und Mitgliedstaaten haben die verbliebenen Streitpunkte zum Chips Act ausgeräumt. Die Unterhändler einigten sich am Dienstag im Trilog insbesondere in der umstrittenen Frage der Finanzierung. Der Chips Act werde die “Spitzenforschung zu Halbleitern stärken und den Übergang vom Labor zur Fertigung unterstützen”, kommentierte Binnenmarktkommissar Thierry Breton die Verständigung.

Bis zuletzt offen geblieben war die Frage, wie das Budget von 3,3 Milliarden Euro für die “Chips for Europe-Initiative” finanziert werden sollte, die auf Forschung und Entwicklung zielende erste Säule des Chips Act. Das Parlament wollte dies mit “frischem Geld” finanzieren, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Stattdessen soll nun auf die bestehenden Programme Digital Europe und Horizon Europe zurückgegriffen werden. Damit gehe “der Chips Act in Wirklichkeit auf Kosten von Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit anderer Sektoren, zum Beispiel für intelligente Mobilität und intelligente Netze”, kritisierte Christian Ehler, industriepolitischer Sprecher der EVP-Fraktion.

Die zweite Säule des Chips Act soll die Ansiedlung neuer Fabriken in der EU erleichtern. Investoren sollen auf beschleunigte Genehmigungsverfahren in den Mitgliedsstaaten zählen können, auf bevorzugten Zugang zu Testanlagen und vor allem auf üppige Staatshilfen. Die dafür nötige beihilferechtliche Einstufung als “First-of-a-kind”-Anlage können nach der Trilogeinigung nun auch Ausrüster der Chiphersteller erhalten.

Warten auf TSMC-Entscheidung

In Vorgriff auf den Chips Act haben Chiphersteller bereits mehrere große Investitionen in Europa angekündigt, darunter Intel in Magdeburg. Der weltgrößte Auftragsfertiger TSMC aus Taiwan verhandelt seit Längerem intensiv mit der Bundesregierung über die Förderung für eine Ansiedlung in Dresden. Der Branchendienst Digitimes aus Taiwan meldete zuletzt, TSMC wolle die Fabrik für Halbleiter vor allem für Kunden in der Autoindustrie nun bauen, gemeinsam mit Partnern wie Bosch. Das Unternehmen hat dies bislang nicht bestätigt.

Der Chips Act soll dazu beitragen, Lieferengpässe wie im Zuge der Corona-Pandemie künftig zu vermeiden. Dafür soll ein neuer Krisenmechanismus sorgen (die dritte Säule). Die Kommission soll dafür die Lieferketten langfristig kartieren und ein Frühwarnsystem entwickeln. Auf Drängen des Parlaments sei es “gelungen, klare Kriterien für die Definition einer Krise und den Zeitpunkt des Eingreifens festzulegen”, sagte die Schattenberichterstatterin der Grünen, Henrike Hahn.

Die Abnehmerindustrien der Chips müssen ebenfalls Abhilfemaßnahmen ergreifen. Dazu kann die Verwendung von Halbleitern aus Lagerhaltung zählen, ohne dass dies in der finalen Fassung ausdrücklich vorgeschrieben wäre.

Experten bezweifeln den Sinn des neuen Krisenmechanismus: “Es wäre am besten gewesen, wenn man einfach von der Emergency Toolbox abgesehen hätte, da sie weder effektiv noch effizient ist”, sagt Julia Hess von der Stiftung Neue Verantwortung. “Aber immerhin kommt sie nun mit mehr Checks & Balances”. tho

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Cyberpaket: EU verschärft Kampf gegen Cyberangriffe

Die EU-Kommission hat am Dienstag ein neues Gesetzespaket vorgelegt, mit dem sie den Kampf der EU gegen Cyberangriffe verschärfen will. Mit dem Paket zeige die Union, wie sie “durch solidarisches Handeln die Infrastrukturen, Kompetenzen und Kapazitäten aufbauen” könne, um sich gemeinsam gegen Bedrohungen der Cybersicherheit zu wappnen, erklärte Kommissions-Vizepräsidentin Margrethe Vestager in Straßburg. Dabei sollen auch private Unternehmen zum Einsatz kommen.

Das Cyberpaket umfasst ein EU-Cybersolidaritätsgesetz und eine Akademie für Cybersicherheitskompetenzen. Das Gesamtbudget für alle Maßnahmen des EU-Cybersolidaritätsgesetzes liegt bei 1,1 Milliarden Euro, wobei die EU zwei Drittel davon über das Programm Digitales Europa finanziert. Außerdem legte Vestager zwei Vorschläge für eine Empfehlung des Rates vor, über die die digitalen Kompetenzen der Menschen in der EU verbessert werden sollen (Digital Skills and Education Package).

Cybersolidaritätsgesetz sieht eine Cyberreserve vor

Die Kommission schlägt die Einrichtung eines europäischen Cyberschutzschilds vor. So soll eine europaweite Infrastruktur aus Sicherheitseinsatzzentren (SOCs) entstehen. Diese SOCs sollen Cyberbedrohungen erkennen und abwehren, wobei sie modernste Technik wie KI und fortgeschrittene Datenanalyse einsetzen. So sollen sie Behörden in die Lage versetzen, effizienter und wirksamer auf größere Cybervorfälle zu reagieren. Diese Zentren könnten schon Anfang 2024 einsatzbereit sein.

Das Cybersolidaritätsgesetz sieht auch die Schaffung eines Cybernotfallmechanismus vor. Dieser soll die Abwehrbereitschaft und Reaktionsfähigkeit bei Cybervorfällen verbessern. Er umfasst:

  • Vorsorgemaßnahmen, einschließlich Tests zur Ermittlung potenzieller Schwachstellen bei Einrichtungen in besonders kritischen Sektoren wie etwa Gesundheitsversorgung, Verkehr, Energie
  • eine EU-Cybersicherheitsreserve. Sie besteht aus vertrauenswürdigen Cyber-Security-Unternehmen, die vorab unter Vertrag genommen werden und bei Cyberattacken schnell einsatzbereit sind
  • finanzielle Förderung der gegenseitigen Amtshilfe, sodass ein Mitgliedstaat einen anderen Mitgliedstaat unterstützen kann

Geplant ist auch ein Überprüfungsmechanismus für Cybersicherheitsvorfälle, so dass die Union aus den Angriffen lernen kann.

Akademie soll Cybersicherheitskompetenzen aufbauen

Die EU-Akademie soll private und öffentliche Initiativen bündeln, die Cybersicherheitskompetenzen auf europäischer und nationaler Ebene verbessern. Sie soll auch dazu beitragen, den Fachkräftemangel in der IT-Sicherheit abzubauen. Die Akademie wird zunächst auf der Plattform für digitale Kompetenzen und Arbeitsplätze installiert.

Das EU-Cybersolidaritätsgesetz und die Akademie für Cybersicherheitskompetenzen bauen auf der EU-Cybersicherheitsstrategie und dem EU-Rechtsrahmen auf, um die kollektive Resilienz der EU gegenüber zunehmenden Cybersicherheitsbedrohungen zu stärken. Zu diesem Rechtsrahmen gehören die Richtlinie über Maßnahmen für ein hohes gemeinsames Cybersicherheitsniveau in der Union (NIS-2-Richtlinie) und der Rechtsakt zur Cybersicherheit.

Werden die Länder tatsächlich Amtshilfe akzeptieren?

Das europäische Cyberschutzschild wirke weniger wie ein Schutzschild und mehr wie eine gemeinsame, aktive Lagebeobachtung, sagte Sven Herpig, Director for Cybersecurity Policy and Resilience bei der Stiftung Neue Verantwortung in einer ersten Reaktion. Grundlage dafür sei der Informationsaustausch der nationalen Behörden mit Sicherheitseinsatzzentren. Herpig bezweifelt allerdings, dass dort wirklich umsetzbare Erkenntnisse auflaufen, “wenn zum Beispiel Deutschland nicht einmal ein behördenübergreifendes Cybersicherheitslagebild hat“.

Beim Cybernotfallmechanismus wirkten die unter “Vorsorge” und “finanzielle Förderung und gegenseitige Amtshilfe” genannten Vorhaben auf den ersten Blick sinnhaft. “Hier ist die Ausgestaltung wichtig”, meinte Herpig und fragt: “Sollen zum Beispiel deutsche Behörden dann Schwachstellentests bei kritischen Infrastrukturen in Griechenland vornehmen?”

Auch die EU-Cybersicherheitsreserve und damit Pooling und Sharing von Personal erscheine sinnvoll. “Die Herausforderung ist jedoch, dass der Fachkräftemangel in dem Bereich weltweit vorherrscht”, sagte Herpig. Es gebe schlicht keine große Zahl von IT-Sicherheitsspezialisten, die darauf warteten, zum Einsatz kommen zu kommen. vis

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DFKI-CEO: EU muss sich bei AI Act mit USA abstimmen

Die Berichterstatter für den AI-Act, die einen globalen KI-Gipfel gefordert haben, bekommen Unterstützung aus der Wissenschaft. Der Leiter des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), Antonio Krüger, plädierte im Gespräch mit Table.Media dafür, sich zu KI-Regulierung global abzustimmen. “Die Regulierung sollte nicht nur auf EU-Ebene passieren. Die EU müsste dazu mindestens die USA mit an Bord holen – womöglich sogar China.”

Diesmal werde es anders laufen als bei der DSGVO, wo die EU eine Regulierung vorgelegt hat, die in Teilen von den Amerikanern übernommen worden sei. Bei der KI-Verordnung sollte die Abstimmung besser vorher stattfinden. “Denn es kann gut sein, dass die Amerikaner das Regelwerk zu innovationshemmend finden und diesmal nicht mitmachen”, warnte Krüger. Wenn die EU eine gemeinsame Initiative mit den USA starte, habe dies viel größeren Impact. “Und ich sehe da – hervorgerufen auch durch das große Medienecho zu großen KI-Modellen wie ChatGPT – durchaus Bewegung in den USA.”

AI Act: Innovationen sollten stärker im Fokus sein

Das Parlament ist dabei, finale Kompromisse zu schließen. Das voraussichtlich letzte politische Meeting findet am heutigen Mittwoch statt. Danach sollen bereits die Abstimmungen in den Ausschüssen erfolgen.

Die Änderungen, die das Parlament an der KI-Verordnung vorgenommen hat, schätzt Krüger positiv ein. Die Beschreibung der KI-Systeme sei nicht mehr so grob wie im ursprünglichen Entwurf. “Ich denke, das ist jetzt ein ganz guter Kompromiss.” Allerdings kritisiert er: “Der Innovationsaspekt der KI müsste in der KI-Verordnung eine stärkere Rolle spielen – was mit KI möglich ist und wie man das möglich machen will.”

ChatGPT: Falschinformationen sind eine echte Bedrohung

Ähnlich wie die Verhandler im Parlament warnt Krüger vor der alarmistischen Perspektive auf KI, die die Unterzeichner des offenen Briefes des Future of Life Institutes eingenommen haben. Er hält dystopischen Szenarien für übertrieben.

Das Thema Falschinformationen sei jedoch eine realistische Bedrohung bereits in der Gegenwart. Allerdings solle man nicht so naiv sein zu erwarten, dass durch die Regulierung alles in gute Bahnen gelenkt würde. “KI erfordert eine große Bildungsoffensive“, sagte Krüger. “Allen Internetnutzern muss klar sein, dass KI die Regeln des Internets über Wahrheit und Fälschung verändert. Da wird Regulierung nicht viel helfen. Davon bin ich, fest überzeugt.” vis

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China-Debatte: Abgeordnete kritisieren Macrons Aussagen

Bei der Generaldebatte des EU-Parlaments zur China-Politik kritisierten die Abgeordneten gestern in Straßburg die Aussagen des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron zu Taiwan und warnten vor einer Spaltung innerhalb Europas.

“Es ist naiv, zu sagen, dass Taiwan nicht unsere Angelegenheit ist“, erklärte etwa Manfred Weber (CSU), Fraktionsvorsitzender der EVP, in Bezug auf ein Interview Macrons zu Taiwan. Diese Aussage sei für ihn ein Schock gewesen, sagte Weber. Frankreichs Präsident solle sich überlegen, wer ihm applaudiert habe.

Auch von französischer Seite hagelte es kritische Worte. So warf Yannick Jadot, Abgeordneter der französischen Grünen, Macron vor, mit seinen Aussagen eine Spaltung ausgelöst zu haben. Man dürfe nicht dieselben Fehler wie zuvor mit Russland, sagte Jadot im Gespräch mit Journalisten in Straßburg.

Kritik an möglicher CAI-Wiederbelebung

Der französische Macron-Vertraute und Renew-Abgeordnete Stéphane Séjourné verteidigte Macron dagegen: “Wir müssen uns keine Lektionen anhören von einer Partei, die methodisch unsere Abhängigkeit aufgebaut und unsere Infrastruktur verkauft hat”, sagte er in Richtung Weber. Wichtig sei es nun jedoch zu zeigen, dass es einen Konsens gebe.

Séjourné sprach sich darüber hinaus gegen eine Wiederbelebung des Investitionsabkommens CAI aus – solange die Sanktionen gegen EU-Abgeordnete in Kraft seien und die muslimische Minderheit der Uiguren verfolgt werde. Medienberichte hatten zuletzt nahegelegt, dass hinter den Kulissen in Brüssel an einer Wiederaufnahme der Gespräche zu CAI gearbeitet werde, sowohl von chinesischer als auch von europäischer Seite. Das Abkommen stehe auf der Agenda mehrerer hochrangiger Treffen im kommenden Monat, berichtete kürzlich die South China Morning Post.

Laut Bloomberg arbeitet Frankreichs Präsident daran, China in eine Friedensinitiative zum Ukraine-Krieg einzubinden. Macron habe seinen außenpolitischen Berater Emmanuel Bonne damit beauftragt, gemeinsam mit Pekings Spitzendiplomat Wang Yi einen Rahmen für Gespräche zwischen der Ukraine und Russland zu schaffen, berichtete der Mediendienst am Dienstag unter Berufung auf eine mit den Vorgängen vertraute Person. Demnach sehe die französische Strategie bereits vor Sommer Möglichkeiten für Gespräche zwischen Russland und der Ukraine vor.

Macron will China in Strategie zum Ukraine-Krieg einbinden

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell forderte während der Debatte im Parlament für die gemeinsame China-Politik eine bessere Abstimmung der EU-Institutionen und Mitgliedsstaaten unter- und miteinander. Man müsse eine Kakofonie umgehen, betonte Borrell. Mit Blick auf die stark kritisierte Außenwirkung des gemeinsamen China-Besuchs von Macron und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sprach er von Koordinationsproblemen: “Das hätte man vermeiden können.”

Auch von der Leyen trommelte erneut für eine einheitliche Herangehensweise an China: Eine Taktik des “Divide et Impera” (“Teile und Herrsche”) zur Spaltung der EU dürfe nicht aufgehen, so von der Leyen. “Vor dieser stehen wir möglicherweise gerade.” Sie wiederholte im Europaparlament ihre Forderung nach mehr wirtschaftlicher Unabhängigkeit von China. Schon vor ihrer Reise hatte sie in einer Grundsatzrede von “De-Risking” gesprochen. ari

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Diplomatenwechsel: Steinlein wird neuer Botschafter in Paris

Das Berliner Diplomatenkarussell dreht sich weiter. Dieses Mal berührt es die beiden einstmals engsten Mitstreiter Frank-Walter Steinmeiers. Binnen weniger Tage ist bekannt geworden, dass die beiden Diplomaten Stephan Steinlein und Thomas Bagger neue Jobs antreten werden. Steinlein geht als Botschafter nach Paris, Bagger folgt auf Andreas Michaelis als beamteter Staatssekretär im Auswärtigen Amt.

Für Steinlein ist es eine historische Rückkehr. Er war der erste und letzte Botschafter der DDR in Frankreich nach der Volkskammerwahl im Frühjahr 1990. 33 Jahre später kehrt er an diesen Ort zurück, dem Vernehmen nach zu seiner großen Freude. Von 1998 bis 2022 arbeitete er für Steinmeier, erst im Kanzleramt, dann in der Fraktion, dann im Auswärtigen Amt. Von 2017 an fünf Jahre als Amtsleiter und Staatssekretär im Schloss Bellevue. Noch ist Steinleins neuer Posten nicht amtlich: Paris hat es noch nicht bestätigt und der Bundespräsident noch nicht unterschrieben. Beides aber wird aber alsbald folgen. Das Kabinett hat das Ganze bereits entschieden, die französische Regierung das entsprechende Antragsschreiben erhalten.

Für Thomas Bagger ist es ein Aufstieg und eine Mühsal zugleich. Der frühere Planungsstabschef im Auswärtigen Amt und spätere außenpolitische Berater des Bundespräsidenten war im vergangenen Jahr als Botschafter nach Warschau gegangen. Mit Familie, Eingewöhnung und Sprachkursen. Nun kommt, ziemlich abrupt, die Rückkehr. Aufgewogen wird die Anstrengung durch den Wechsel auf den nach der Außenministerin mächtigsten Posten, den es im Auswärtigen Amt gibt: Bagger wird beamteter Staatssekretär im AA. steb

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Presseschau

EU-Parlament stimmt weitreichenden Klimaschutzgesetzen zu ESSLINGER-ZEITUNG
Backlash grows against EU’s ambitious green goals FT
Von der Leyen legt China-Strategie vor: Die EU hat einen Plan, Deutschland nicht TAGESSPIEGEL
Affäre um Ex-Vize Eva Kaili: EU-Parlament verschärft nach Korruptionsskandal seine Regeln für Lobbyisten SPIEGEL
Kämpfe im Sudan: EU-Botschafter in Khartum angegriffen WAZ
Zum ersten Mal seit Pandemie keine Übersterblichkeit in der EU DERSTANDARD
EU will Schutzschild gegen Cyber-Angriffe aufbauen EURONEWS
EU einigt sich auf Milliarden für Mikrochipindustrie WZ
EU-Kommission: Digitale Kompetenzen wichtig wie lesen und schreiben BOERSE
EU eröffnet Zentrum für Algorithmen-Transparenz in Sevilla DERSTANDARD
EU-Kommission will Krisenmanagement im Bankensektor reformieren ARIVA
EU-Parlament: Abgeordnete finden Kompromiss zum EU-Lieferkettengesetz EURACTIV
Getreide: Polen und Ukraine einigen sich auf Ende von Importstopp ZEIT
EU-Parlament stimmt Visafreiheit für Kosovo bei Kurzaufenthalten zu BOERSENNEWS
Raststätte Gräfenhausen – “Moderne Sklaverei”: EU-Abgeordnete unterstützt streikende Lkw-Fahrer HESSENSCHAU
Das EU-Parlament will Unternehmen zum Urwaldschutz verpflichten AUGSBURGER-ALLGEMEINE
Authorities raid fashion houses in EU antitrust probe WASHINGTONPOST
Kommentar: Mehr Fachkräfte für die EU – eine gute Idee, aber… RND
Internationaler Export zieht an: Deutsches Bier wird in der EU immer unbeliebter T-ONLINE
Commission calls for massive investment in digital education and skills EUROPA

Heads

Katja Adler – Liberale im Europaausschuss

Katja Adler sitzt für die FDP im Europaausschuss des Bundestags. (Foto: Julia Depatala)

Für ihre Kinder sei Europa “einfach da”, sagt Katja Adler. “Ein friedliches, grenzenloses Europa ist aber keine Selbstverständlichkeit.” Das weiß die FDP-Politikerin aus eigener Erfahrung: Geboren 1974 ist sie in Frankfurt an der Oder aufgewachsen, zu DDR-Zeiten. Nach der Wende hat sich ihr Horizont erweitert, nicht nur nach Westdeutschland, sondern nach ganz Europa. Sie arbeitet nach ihrem Abschluss als Diplom-Verwaltungswirtin zunächst im Landesamt für Ernährung, später im Bildungsministerium in Mecklenburg-Vorpommern.

2002 zieht Adler nach Rheinland-Pfalz und arbeitet im dortigen Bildungsministerium, es folgt eine Tätigkeit im Landesfamilienministerium. Heute sitzt die 49-Jährige für die FDP im Europaausschuss des Bundestags und bezieht Stellung zu den Gesetzesvorhaben der Europäischen Union. Den Binnenmarkt ausbauen, international mit einer Stimme sprechen, eine europäische Armee – Adler wünscht sich ein stärkeres Europa.

An der kommunalen Basis bleiben

Nach der Geburt ihres ersten Kindes gründet sie in ihrem Wohnort Oberursel im hessischen Hochtaunuskreis eine Kinderkrippe. Das ist ihr Einstieg in die Kommunalpolitik: Sie habe gemerkt, dass sie politisch etwas bewirken will, erzählt Adler. “Und das läuft in Deutschland am besten über das Parteiensystem.” Sie wird FDP-Mitglied, zieht 2014 in die Stadtverordnetenversammlung ein, zwei Jahre später in den Kreistag im Hochtaunus. Und seit 2021 sitzt sie für die FDP im Bundestag. Ihre kommunalen Ämter hält sie weiter. “Man kann ganz schnell in der Berliner Blase verschwinden”, sagt Adler. “Und genau das will ich vermeiden.”

Der Europaausschuss bezieht unter anderem Stellung zu europäischen Gesetzesvorhaben – Adler bezeichnet ihn als “großen Querschnittsausschuss”. Er bespricht viele Themen, hat aber keine direkte Zuständigkeit. Adler wünscht sich, dass europäische Themen, die mehrere Politikbereiche berühren, auch mal federführend im Europaausschuss behandelt werden.

Liberale Netzpolitik

Ein solches Thema könnten die von EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton vorgeschlagenen Netzwerknutzungsgebühren sein – je nach Sichtweise ein Digital-, Verkehrs- oder Wirtschaftsthema. Kern des Vorhabens ist, dass Internetplattformen eine Gebühr dafür zahlen sollen, dass sie die Netzinfrastruktur nutzen. Adler befürchtet, dass die Konzerne die Gebühr auf die Verbraucherinnen und Verbraucher umlegen. Mit ihrer Fraktion hat sie sich in einem Positionspapier gegen das Vorhaben ausgesprochen. Der Grund: Die Gebühr könne das offene und freie Internet gefährden.

Freiheit ist Adler ein wichtiges Anliegen. Auf Twitter ist direkt neben ihrem Namen das Bild einer kleinen Freiheitsstatue zu sehen – auf der Plattform äußert sie sich regelmäßig gegen Verbote oder den Sozialismus. Das gehört für Adler zu ihrer Arbeit dazu: “Politik ist Diskussion, und die findet heute zum Teil auch in den sozialen Medien statt.” Auf keiner Plattform ein Profil zu führen, das könne sich in der Politik niemand mehr leisten. Jana Hemmersmeier

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Apéropa

Für wen erarbeitet die Kommission die Gesetzgebungsvorschläge? Erster Adressat sind doch wohl die Co-Gesetzgeber und nicht die Presse. Daher pocht das Parlament seit Langem darauf, dass die Kommissare nicht als Erstes vor die Journalisten treten nach dem “College”. Zumindest in den Straßburg-Wochen, wenn die Musik am Hauptsitz des Parlaments in Frankreich spielt, dürfe der Souverän nicht die zweite Geige sein.

Jetzt hat Parlamentspräsidentin Roberta Metsola in der Sache einen Etappensieg errungen. In dieser Woche wurden die Abgeordneten zuerst von der Kommission bedient. Margaritis Schinas, Kommissar für den Europäischen Way of Life, sagte, es sei ihm eine “große Ehre”, als erster Kommissar die neue Tradition zu begründen, und präsentierte “frisch aus dem Ofen”, wie er sich ausdrückte, Elemente des gerade beschlossenen Cyber-Sicherheitspakets. Und die Journaille musste warten. Die ehrenwerten Volksvertreter haben Vorrang.

Ein Pyrrhussieg

Ob das Parlament auf Dauer glücklich wird mit der Lösung? Es wird hinten heraus nämlich sehr spät für die Medien. Vize-Kommissionspräsident Valdis Dombrovskis konnte seine Pressekonferenz zu Reformen an der Einlagensicherung erst um 16.30 Uhr starten. Der Zeitdruck der Journalisten steigt damit massiv. Nur zum Vergleich: In Wochen, da die Kommission im Berlaymont in Brüssel tagt, startet der Pressekonferenzreigen manchmal schon um 12 Uhr. Das gibt deutlich mehr Zeit, damit ausgeruhte Beiträge in den Medien erscheinen können.  

Schon gibt es erste nachdenkliche Stimmen aus den Kabinetten der Kommissare. Die neue Hackordnung in den Straßburg-Wochen werde Folgen haben. Kommissare würden wichtige Vorschläge künftig nicht mehr mit auf die Reise nach Frankreich nehmen, sondern sie sich lieber für die Wochen aufsparen, da die Kommission in Belgien tagt. Das ist die Drohung mit dünner Suppe. Eine ganz andere Frage ist, ob das Parlament die Geste der Kommission gebührend schätzt. Bei der Premiere des neuen Formats herrschte gähnende Leere, Katarina Barley (SPD) und die beiden vortragenden Kommissare waren sichtlich erschüttert. mgr

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die EU-Kommission will erreichen, dass bis zum Jahr 2030 nur noch halb so viele Pestizide eingesetzt werden wie bisher. Doch die Kompromissfindung könnte schwerer kaum sein: Die Vorstellungen im Europaparlament reichen von einer erheblichen Verschärfung bis zur Komplettablehnung. Knapp 3.000 Änderungsanträge gibt es. Und auch die EVP-Fraktion muss ihre Position noch finden, analysieren Timo Landenberger und Lukas Scheid.

    Ob 5G-Technologie oder mobile Telefonie im Auto – Standardessentielle Patente (SEP) stecken überall drin. Sie sollen als Teil des Patent-Pakets reguliert werden, das die EU-Kommission nächste Woche vorstellen wird. Doch genau diese Regulierung könnte das Europäische Instituts für Telekommunikationsnormen (ETSI) erheblich schwächen. Profitieren würde vor allem ein großes amerikanisches Tech-Unternehmen, berichtet Markus Grabitz.

    Deutschlands Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger wünscht sich mehr Freiheiten für den Einsatz von Genscheren wie Crispr/Cas, oder zumindest für die Forschung daran. Ein Vorschlag aus der EU zur Grünen Gentechnik wird sich nun aber wohl auf unbestimmte Zeit verschieben. Warum das so ist, lesen Sie in unseren News.

    Ihre
    Alina Leimbach
    Bild von Alina  Leimbach

    Analyse

    Pestizide-Verordnung: Von Zurückweisung bis Verschärfung

    Die Gräben sind tief im Streit um die geplante Verordnung zur nachhaltigeren Verwendung von Pflanzenschutzmitteln. Auch innerhalb des federführenden Umweltausschusses liegen die Positionen weit auseinander. Fast 3.000 Änderungsanträge sind Ausdruck dessen und im Grundsatz dreht sich die Diskussion um die Frage: Gefährden die ambitionierten Ziele die Ernährungssicherung in Europa und damit auch die Existenzgrundlage zahlreicher landwirtschaftlicher Betriebe? Immerhin sieht der Kommissionsvorschlag eine Reduktion des Pestizid-Einsatzes um 50 Prozent bis zum Jahr 2030 vor.

    Berichterstatterin Sarah Wiener (Grüne) ist überzeugt, das Gegenteil sei der Fall: Nur mit einer konsequenten Reduktion der chemischen Wirkstoffe lasse sich die ökologische Vielfalt langfristig aufrechterhalten und das wiederum sei die Grundvoraussetzung für nachhaltige Nahrungsmittelproduktion. In ihrem Bericht fordert die Abgeordnete deshalb, den Kommissionvorschlag zumindest teilweise noch zu verschärfen.

    Dazu gehört, das Reduktionsziel für hochgefährliche Pestizide von 50 auf 80 Prozent zu erhöhen. Diese Stoffe könnten ersetzt werden und “hätten nach dem Substitutionsprinzip schon bis 2015 vom Markt genommen werden sollen, was aber nicht geschehen ist”, sagte Wiener. Außerdem schlägt die Politikerin strengere Mechanismen zur Überprüfung vor, darunter Zwischenziele bis 2026, um sicherzugehen, “dass die Mitgliedsstaaten auf dem richtigen Weg sind”.

    Bio-Pestizide in Schutzgebieten

    Unterstützung erhält Wiener von den Schattenberichterstatterinnen aus dem linken Spektrum. So fordert auch Maria Arena (S&D) die Anwendung des Verursacherprinzips. Demnach sollen Pestizidhersteller für Schäden aufkommen, die beispielsweise durch die Verunreinigung von Trinkwasser entstehen.

    Beide Abgeordnete der Ansicht, dass Pflanzenschutzmittel nicht vollständig aus Schutzgebieten verbannt werden können und eine landwirtschaftliche Produktion hier weiterhin möglich sein muss. Die Kommission hatte für “empfindliche Gebiete” ein Totalverbot vorgeschlagen und dafür viel Kritik geerntet. Der Kompromissvorschlag von Wiener und Arena sieht nun vor, in diesen Bereichen ökologische Wirkstoffe zuzulassen.

    Generell soll der integrierte Pflanzenschutz gestärkt und eine klare Hierarchie festgelegt werden, nach der chemische Pestizide nur als letzte Möglichkeit eingesetzt werden sollen. Arena schlägt außerdem vor, Berufskrankheiten im Zusammenhang mit Pflanzenschutzmitteln systematisch zu erfassen und Betroffene zu entschädigen. Ein weiterer Antrag sieht ein Werbeverbot für Pestizide vor. Letzteres gehört auch zu den Vorschlägen von Anja Hazekamp (Linke), die in entscheidenden Punkten jedoch noch weiter geht.

    So beantragt die Schattenberichterstatterin, den Pestizid-Einsatz bis 2030 um 80 Prozent zu reduzieren und bis 2035 ganz einzustellen. Gleichzeitig fordert sie die Kommission auf, Rahmenbedingungen für die Zulassung von nicht-chemischen Alternativen auszuarbeiten, um deren Marktreife zu beschleunigen. Zum Schutz der Bevölkerung soll auch auf dem Land eine Pufferzone von 50 Metern rund um private und öffentlich zugängliche Grundstücke, Gärten, Parks oder auch Straßen eingerichtet werden, in der jeglicher Einsatz von Pestiziden verboten ist.

    Uneinigkeit in der EVP – abändern oder ablehnen?

    Den Anträgen diametral gegenüberstehen die Forderungen der EVP, obgleich sich die Fraktion nicht einig zu sein scheint, wie weit diese gehen sollen. Schattenberichterstatter Alexander Bernhuber sieht den Kommissionsvorschlag grundsätzlich zwar skeptisch. Doch anders als eine rund 30-köpfige Gruppe seiner EVP-Kollegen, die den Vorschlag komplett ablehnen, will Bernhuber die Verordnung in eine Richtlinie umwandeln, die den Mitgliedstaaten bei der Erreichung der Ziele mehr Flexibilität verschaffen würde. Dabei erhält er Unterstützung von der ultrakonservativen EKR-Fraktion um Schattenberichterstatter Alexandr Vondra.

    Verbindliche nationale Ziele soll es nach Bernhuber nicht geben, um den unterschiedlichen Gegebenheiten besser gerecht zu werden. Vielmehr sollen die Mitgliedsstaaten zum EU-weiten Reduktionsziel von 50 Prozent “beitragen”, welches nicht 2030, sondern erst 2035 erreicht werden soll.

    Insgesamt berge der Vorschlag der Kommission die Gefahr, landwirtschaftliche Betriebe ins Aus zu drängen und die Ernährungssicherung in Europa zu gefährden. Bernhuber will deshalb den Gesetzgebungsprozess durch ein Moratorium aufschieben, bis eine Folgenabschätzung der Kommission vorliegt. Damit folgt er einer Forderung des Agrarrats vom Ende vergangenen Jahres.

    Renew kann über Mehrheiten entscheiden

    Jan Huitema (Renew) fordert, die Anhebung der Reduktionsziele an Voraussetzungen zu knüpfen. Demnach sollen die Ziele nur dann gelten, wenn spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten der Verordnung der Gesamtabsatz von biologischen Pflanzenschutzmitteln signifikant gestiegen ist, um Landwirten ausreichend Alternativen zur Verfügung zu stellen. Wie genau soll durch die Kommission in einem zusätzlichen delegierten Rechtsakt festgelegt werden. Ebenso sollen die Reduktionsziele nur dann zum Tragen kommen, wenn der von der Kommission angekündigte Rechtsrahmen über genetisch veränderte Pflanzen bis spätestens 2027 erlassen wird.

    Huitemas Renew-Fraktion liegt in der Mitte des Spektrums zwischen dem links-grünen Block und dem rechts-konservativen Block aus EVP und EKR, die den Kommissionsvorschlag entweder als Ganzes ablehnen oder die Auflagen zumindest erheblich abschwächen wollen. In den Verhandlungen wird daher entscheidend sein, auf welche Seite sich die Liberalen schlagen.

    Am heutigen Mittwoch findet das erste technische Treffen des Fachpersonals der Berichterstatterinnen und Berichterstatter statt. Die zuständigen Abgeordneten selbst treffen sich erstmals am 9. Mai beim sogenannten Shadows Meeting. Die Abstimmung im Umweltausschuss ist derzeit für den 11. September geplant und in der ersten Oktoberwoche soll das Plenum abstimmen.

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    Standardessentielle Patente: Vorschlag kommt nächste Woche

    Die Kommission hält an ihrem Plan fest und will am 26. April ihren Vorschlag zur Regulierung der Standardessentiellen Patente (SEP) vorlegen. Der SEP-Vorschlag werde wie geplant am kommenden Mittwoch von Vize-Kommissionspräsidentin Margrethe Vestager als Teil des Patent-Pakets präsentiert, teilte ein Kommissionsprecher Table.Media auf Anfrage mit.

    SEP sind Patente, die für die Verwendung einer bestimmten Technologie unerlässlich sind. Zu den SEP gehören beispielsweise Patente für mobiles Telefonieren. Autohersteller müssen sie für jedes Auto kaufen, weil die Autos internetfähig sein müssen. Die Inhaber der SEP sind verpflichtet, die Patente zu “fairen, vernünftigen und diskriminierungsfreien Bedingungen” (FRAND) abzugeben.

    Um die Konditionen hatte es aber zuletzt immer wieder gerichtliche Auseinandersetzungen gegeben. Die Kommission will mit dem ESP-Vorschlag den Marktzugang regulieren. Sie will eine neue Evaluierungsinstanz für SEP schaffen und dafür sorgen, dass künftig ein Mediationsverfahren stattfindet, bevor Klage eingereicht werden kann.  

    Lobbykrieg um Vorschlag entbrannt

    Um den Vorschlag, zu dem seit einigen Tagen ein Entwurf kursiert, ist eine erbitterte Lobbyauseinandersetzung ausgebrochen. Der SEP-Experte und Blogger Florian Müller etwa hat Kenntnis von einem Schreiben des Europäischen Instituts für Telekommunikationsnormen (ETSI) in der Sache. ETSI ist eine der drei großen Normungsorganisationen in Europa, das Institut entwickelt auch im Auftrag der EU-Kommission Normen, zudem betreibt es das bisherige SEP-Register.

    Das Schreiben, um das es geht, stammt von ETSI-Generaldirektor Luis Jorge Romero und ist an Anthony Whelan gerichtet. Whelan ist das zuständige Kabinettsmitglied von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Romero bittet in dem Schreiben die Kommission, den Entwurf noch einmal zu überarbeiten, bevor er offiziell vorgestellt wird.

    Aktuell plant die Kommission, neben dem bestehenden ETSI-Register ein zweites Register für SEP aufzubauen. Dagegen wehrt sich ETSI: “Die Datenbank von ETSI besteht in ihrer jetzigen Form seit 2011 und wurde im Laufe der Jahre unter Beteiligung der Mitglieder aufgebaut.” Sie umfasse nicht nur SEPs für von ETSI entwickelte Normen, sondern auch weitgehend die technischen Spezifikationen. Das System sei unbestreitbar ein Wettbewerbsvorteil der EU und dürfe nicht einfach so infrage gestellt werden.

    Experte sieht Rolle des ETSI “akut gefährdet”

    Müller schreibt in seinem Blog: “Es ist kaum möglich, die Bedeutung des ETSI-Schreibens überzubetonen.” ETSI sei eine Schöpfung der Kommission. Während Europas Weltmarktanteil bei drahtlosen Geräten verschwindend gering sei, habe das ETSI seine Bedeutung halten können. “Durch den Entwurf für die SEP-Regulierung und andere Ideen der Kommission ist die Rolle des ETSI nun aber akut gefährdet”, so Müller weiter.

    Das Schreiben ging in Kopien ebenfalls an die Kabinette von Binnenmarktkommissar Thierry Breton sowie die beiden Vize-Kommissionspräsidenten Vestager und Valdis Dombrovskis.

    Apple würde am meisten profitieren

    Auf das Schreiben von ETSI an das Kabinett von der Leyen habe unmittelbar das Unternehmen Apple reagiert, schreibt Müller weiter in seinem Blog. Ein Apple-Lobbyist habe sich per Mail an den Verfasser, Generaldirektor Romero von ETSI, gewandt und vehement den angeführten Argumenten im ETSI-Schreiben widersprochen: ETSI nehme darin “extreme Positionen” ein.

    Müller ordnet das Apple-Schreiben folgendermaßen ein: “Kein Unternehmen weltweit würde von der EU-Initiative mehr profitieren als Apple.” Das weltweit reichste Unternehmen führe nur ein bis zwei Prozent des Verkaufspreises eines Apple-iPhones an Lizenzgebühren ab.

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    Strack-Zimmermann kandidiert auf Platz 1 der FDP-Liste

    Der FDP-Bundesvorstand wird am Donnerstag voraussichtlich Marie-Agnes Strack-Zimmermann als Spitzenkandidatin für die Europawahl 2024 ausrufen. Parteichef Christian Lindner werde die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag vorschlagen, hieß es in FDP-Kreisen. Abgestimmt wird über die Liste aber erst beim Bundesparteitag im Januar

    Um die weiteren aussichtsreichen Listenplätze rangeln vier der fünf bisherigen FDP-Europaabgeordneten. Gute Aussichten auf einen der vorderen Plätze hat demnach Moritz Körner, obwohl der 33-Jährige wie Strack-Zimmermann aus dem Landesverband Nordrhein-Westfalen kommt. 2019 waren zudem Svenja Hahn (Hamburg), Andreas Glück (Baden-Württemberg) und Jan-Christoph Oetjen (Niedersachsen) in das Europaparlament eingezogen. Damals hatten die Liberalen 5,4 Prozent der Stimmen erhalten. Derzeit stehen sie in den Umfragen mit rund sieben Prozent etwas besser da.

    Die damalige Spitzenkandidatin Nicola Beer tritt hingegen nicht erneut an: Bundesfinanzminister Lindner hat die 53-jährige gelernte Bankkauffrau für einen der acht Vize-Präsidenten-Posten bei der Europäischen Investitionsbank (EIB) vorgeschlagen. “Die Arbeit bei der EIB bietet mir die Chance, Themen zur Stärkung Europas operativ voranzutreiben, für die ich mich seit Langem einsetze”, sagte Beer zu Table.Media.

    Ihren Posten als stellvertretende Bundesvorsitzende wird Beer beim Parteitag am Freitag ebenfalls räumen. Nachfolgerin soll Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger werden, die wie Beer aus dem Landesverband Hessen kommt. tho/mgr/ds

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    ETS-Reform angenommen, aber ohne französische Grüne

    Das Europäische Parlament hat am Dienstag mit großer Mehrheit die Trilog-Einigungen zu den Kernelementen des Fit-for-55-Pakets angenommen. Die Abgeordneten stimmten ab über:

    • die Reform des europäischen Emissionshandels (ETS), inklusive der Einführung eines zweiten ETS für Brennstoffe zum Heizen und für den Straßenverkehr
    • die Einführung eines Klimasozialfonds mit einem Gesamtbudget von 86,7 Milliarden Euro, der die zusätzlichen Kosten durch den ETS 2 für schwache und mittlere Einkommensklassen abfedern soll
    • die Einbeziehung der Schifffahrt in den ETS und strengere Regeln für die Luftfahrt
    • die Einführung eines CO₂-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM), der die kostenlosen Emissionszertifikate der Industrie schrittweise ersetzen und als Schutz vor Carbon Leakage dienen soll

    Aus “should” wird “shall”

    Eine wesentliche Änderung des Emissionshandels besteht in der Verwendung der Gelder, die die Mitgliedstaaten beim Verkauf von Emissionsrechten einnehmen. Bisher waren die Mitgliedstaaten lediglich dazu aufgerufen (“should”), ihre Einnahmen wieder in Klimaschutzmaßnahmen, in die Energiewende oder in die soziale Abfederung höherer Kosten durch die CO₂-Bepreisung zu reinvestieren. Eine Verpflichtung war das nicht.

    Mit der Reform wird dieser Aufruf nun zwar verstärkt, indem die Formulierung in “shall” geändert wird. Jedoch ist der rechtliche Unterschied zwischen diesen beiden Wörtern umstritten. Eine unmissverständliche Verpflichtung wäre ein “must” gewesen. Somit bleibt abzuwarten, wie dieser Teil der Reform in den Mitgliedstaaten umgesetzt wird. Die Berichterstatter des EU-Parlaments kündigten am Dienstag an, die Mitgliedstaaten bei der Einhaltung dieser Regeln genau zu überwachen.

    Französische Grüne lehnen ab, Sozialisten enthalten sich

    Trotz der großen Mehrheiten für die Dossiers, die den European Green Deal in die Tat umsetzen sollen, gab es auch überraschende Gegenstimmen. Die französischen Grünen (Europe Écologie Les Verts, EELV) und S&D-Delegation aus Frankreich stimmten anders ab als ihre jeweiligen Fraktionen. Die EELV-Abgeordneten stimmten gegen den ETS-Text, während sich die S&D-Leute enthielten. Grund dafür sind die französischen Erfahrungen mit den Protesten der Gelbwesten-Bewegung, heißt es im Umfeld beider Delegationen, die sich im Vorfeld der Abstimmung getroffen hatten.

    Die Befürchtung, dass die zusätzlichen Kosten der CO₂-Bepreisung zu neuen Unruhen führen, ist immens. Der Text sei den sozialen Herausforderungen nicht gewachsen, sagte Éric Andrieu (S&D, Parti Socialiste) in einem Interview mit der französischsprachigen Presse. “Es gibt noch zu viele Unklarheiten über die Auswirkungen der Einbeziehung des Verkehrs- und Wohnungssektors in den CO₂-Markt auf die am stärksten gefährdeten Haushalten.”

    Preisexplosion ab 2030 befürchtet

    Marie Toussaint (Greens, EELV) weist auf das Risiko einer “Preisexplosion” im Verkehrs- und Wohnungssektor ab 2030 hin. Zwar gibt es im ETS 2 einen Preisstabilitätsmechanismus, der bis 2030 gilt und den CO₂-Preis auf maximal 45 Euro pro Tonne begrenzen soll. “Aber was passiert, wenn dieser Preis nicht mehr garantiert werden kann?”, fragt Toussaint und prognostiziert, dass das Preissteigerungspotenzial in erster Linie die am stärksten gefährdeten Gruppen treffen wird. “45 Euro pro Tonne CO₂ bedeutet in Frankreich einen Preisanstieg an der Zapfsäule um 10 Cent pro Liter”, sagt sie.

    Die Architektur des ETS beruhe auf den Prinzipien des Marktes, so Toussaint. Dies bedeute, dass der Markt nicht in der Lage sei, die Vorhersehbarkeit der Kohlenstoffpreise für den Verkehrs- und Wohnungssektor zu gewährleisten. Die französischen Grünen plädieren stattdessen für eine Besteuerung der Finanzanlagen und Gewinne von Energiekonzernen, die infolge des durch den Krieg in der Ukraine verursachten Anstiegs der Energiepreise “explodiert” sind. cst/luk

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    Grüne Gentechnik: Lemke und andere Gegner bremsen

    Der Vorschlag der Kommission zur Regulierung neuer Genzüchtungsmethoden dürfte sich auf unbestimmte Zeit verschieben. Die Gründe: Der Ausschuss für Regulierungskontrolle der EU hat offenbar Einwände gegen den Vorschlag. Dazu gibt es Einspruch von Mitgliedsstaaten, allen voran Deutschland und Österreich. Zuerst berichtete das Portal Agra Facts. Die EU-Kommission will das weder bestätigen noch dementieren. Eigentlich war die Vorstellung der Pläne auf den 7. Juni datiert.

    Kai Purnhagen von der Universität Bayreuth bestätigt den Vorgang. “Die Vorstellung der Vorschläge für eine Neuregelung wurde auf unbestimmte Zeit verschoben”, sagt der EU-Lebensmittelrechtsexperte. “Offenbar gab es Schwierigkeiten mit dem Timing zwischen den Ausschüssen. Außerdem ist zu hören, dass die EU-Kommission Kompromisse auslotet, etwa zum Thema Rückverfolgbarkeit.” Beobachter wie der Verband für Lebensmittel ohne Gentechnik halten eine Neuregulierung vor den Europawahlen für kaum mehr möglich.

    “Aus unserer Sicht brauchen wir keine neue Regulierung“, sagte ein Sprecher von Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne). “Gentechnisch veränderte Pflanzen sind nicht verboten. Sie müssen vor ihrer Zulassung auf ein mögliches Risiko überprüft werden. Das ist im Sinne des Vorsorge-Prinzips auch gut so.” Die Befürworter einer Neuregulierung, darunter Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger, wünschen sich mehr Forschungsfreiheit für neue genetische Züchtungsmethoden wie der Genschere Crispr/Cas (mehr dazu im Research.Table).

    Unklare Begriffe sorgen für Kritik

    Laut BMUV gibt es sogar unter den befürwortenden Mitgliedsländern Vorbehalte gegen die bisherigen Vorschlagsskizzen der Kommission. Nicht definierte Begriffe in den Manuskripten stießen auf Ablehnung, etwa ein “Breeders’ Gene Pool”. Was das genau sein solle, erkläre die Kommission nicht.

    Unter einer Neuregulierung könnte die Wahlfreiheit beim Einkauf leiden. Bisher ist nämlich unklar, wie die neue Gentechnik in Lebensmitteln festgestellt werden kann. Um die Pflanzen, die mit den neuen Methoden hergestellt wurden, labortechnisch zu erkennen, müssten die Hersteller deren DNA-Sequenzierung offenlegen.

    Österreichs Regierung hatte angesichts der Problematik zuletzt eine Studie gefordert, bevor eine Neuregulierung überhaupt angegangen wird. “Österreich ist der Produktion von Biolebensmitteln sowie nicht-genetisch veränderten stark verpflichtet”, heißt es im Brief an die Kommission. Die Regierung warne vor Gesetzesänderungen, die “die Koexistenz” von Lebensmitteln mit und ohne Gentechnik bedrohe und “Folgen hätten für die Wahlfreiheit von Verbrauchern”. ab

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    Brüssel will besseres Krisenmanagement im Bankensektor

    Die Europäische Kommission will das Krisenmanagement im Bankensektor stärken. Dazu sollen die bestehenden EU-Vorschriften auf kleinere und mittelgroße Institute ausgeweitet werden. Außerdem will die Brüsseler Behörde die Einlagensicherung erweitern. EU-Vizepräsident Valdis Dombrovskis führte in Straßburg aus, der Bankensektor in Europa sei nach der Finanzkrise heute deutlich widerstandsfähiger und könne sich auf ein effizientes Krisenmanagement stützen. Allerdings habe die Vergangenheit gezeigt, dass kleinere und mittelgroße Institute bei Ausfall häufig nicht abgewickelt würden.

    Statt etwa eigene Ressourcen der Institute oder private, branchenfinanzierte Sicherheitsnetze wie Einlagensicherungssysteme und Abwicklungsfonds einzusetzen, seien Steuergelder herangezogen werden. Dem wolle die EU-Kommission entgegenwirken. Der aktuelle Vorstoß solle Behörden in die Lage versetzen, “ausfallende Banken unabhängig von ihrer Größe und ihrem Geschäftsmodell in einen geordneten Marktaustritt zu führen“. Dazu sollen diese eine breite Palette an Instrumenten an die Hand bekommen.

    Die Kommission will dabei vor allem den Einsatz branchenfinanzierter Sicherheitsnetze vereinfachen. So sollen in Bankenkrisen die Einleger etwa durch Übertragung ihrer Konten von einer notleidenden auf eine gesunde Bank besser abgeschirmt werden. Dombrovskis unterstrich allerdings, “die erste Verteidigungslinie bleibt die interne Verlustabsorptionsfähigkeit der Banken. Andere Sicherheitsnetze dürfen nur ergänzend hinzukommen”.

    EU will Einlagensicherung auf weitere Bankkunden ausweiten

    Mit Blick auf die geplante Modifizierung des Einlegerschutzes hob die für Finanzdienstleistungen zuständige EU-Kommissarin Mairead McGuinness hervor, “die in den EU-Vorschriften für Einlagensicherungssysteme festgelegte Deckungssumme von 100.000 Euro pro Einleger und Bank bleibt unangetastet“. Allerdings solle der Rahmen auf öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser, Schulen oder Gemeinden ausgeweitet werden. Gleiches gelte für Kundengelder, die etwa von Investmentgesellschaften, Zahlungsinstituten oder E-Geld-Instituten in bestimmte Arten von Kundenfonds eingezahlt sind.

    In einzelnen Fällen sollen auch höhere Summen garantiert werden, etwa “wenn der Kontostand infolge bestimmter Ereignisse wie einer Erbschaft oder der Auszahlung einer Versicherungsprämie die Schwelle von 100.000 Euro vorübergehend überschreitet”. Der Europaabgeordnete Markus Ferber (CSU) warnt, durch die Vorgaben aus Brüssel könne es für die bisher gut funktionierenden Institutssicherungssysteme von Sparkassen und Volksbanken in Deutschland zu Problemen kommen.

    Ferber warnt vor Problemen für Institutssicherungssysteme in Deutschland

    “Was die Kommission vorschlägt, nagt an der Daseinsberechtigung der Institutssicherungssysteme. Vieles, was ein Institutssicherungssystem ausmacht, wird künftig nicht mehr möglich sein“, so der finanzpolitische Sprecher der EVP-Fraktion. Kritisch sieht Ferber vor allem neue Eingriffsrechte der Europäischen Abwicklungsbehörde wie auch der verschärfte “least cost Test”, mit dem nachgewiesen werden muss, dass eine Intervention eines Einlagensicherungssystems immer die kostengünstigste Maßnahme darstellt. “Dabei haben wir in Deutschland ein System, das sich bewährt hat. Das sollte nicht durch eine Überreaktion der Kommission infrage gestellt werden”, betonte der Abgeordnete. cr

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    • Finanzen

    Chips Act: Einigung im Trilog

    Europaparlament und Mitgliedstaaten haben die verbliebenen Streitpunkte zum Chips Act ausgeräumt. Die Unterhändler einigten sich am Dienstag im Trilog insbesondere in der umstrittenen Frage der Finanzierung. Der Chips Act werde die “Spitzenforschung zu Halbleitern stärken und den Übergang vom Labor zur Fertigung unterstützen”, kommentierte Binnenmarktkommissar Thierry Breton die Verständigung.

    Bis zuletzt offen geblieben war die Frage, wie das Budget von 3,3 Milliarden Euro für die “Chips for Europe-Initiative” finanziert werden sollte, die auf Forschung und Entwicklung zielende erste Säule des Chips Act. Das Parlament wollte dies mit “frischem Geld” finanzieren, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Stattdessen soll nun auf die bestehenden Programme Digital Europe und Horizon Europe zurückgegriffen werden. Damit gehe “der Chips Act in Wirklichkeit auf Kosten von Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit anderer Sektoren, zum Beispiel für intelligente Mobilität und intelligente Netze”, kritisierte Christian Ehler, industriepolitischer Sprecher der EVP-Fraktion.

    Die zweite Säule des Chips Act soll die Ansiedlung neuer Fabriken in der EU erleichtern. Investoren sollen auf beschleunigte Genehmigungsverfahren in den Mitgliedsstaaten zählen können, auf bevorzugten Zugang zu Testanlagen und vor allem auf üppige Staatshilfen. Die dafür nötige beihilferechtliche Einstufung als “First-of-a-kind”-Anlage können nach der Trilogeinigung nun auch Ausrüster der Chiphersteller erhalten.

    Warten auf TSMC-Entscheidung

    In Vorgriff auf den Chips Act haben Chiphersteller bereits mehrere große Investitionen in Europa angekündigt, darunter Intel in Magdeburg. Der weltgrößte Auftragsfertiger TSMC aus Taiwan verhandelt seit Längerem intensiv mit der Bundesregierung über die Förderung für eine Ansiedlung in Dresden. Der Branchendienst Digitimes aus Taiwan meldete zuletzt, TSMC wolle die Fabrik für Halbleiter vor allem für Kunden in der Autoindustrie nun bauen, gemeinsam mit Partnern wie Bosch. Das Unternehmen hat dies bislang nicht bestätigt.

    Der Chips Act soll dazu beitragen, Lieferengpässe wie im Zuge der Corona-Pandemie künftig zu vermeiden. Dafür soll ein neuer Krisenmechanismus sorgen (die dritte Säule). Die Kommission soll dafür die Lieferketten langfristig kartieren und ein Frühwarnsystem entwickeln. Auf Drängen des Parlaments sei es “gelungen, klare Kriterien für die Definition einer Krise und den Zeitpunkt des Eingreifens festzulegen”, sagte die Schattenberichterstatterin der Grünen, Henrike Hahn.

    Die Abnehmerindustrien der Chips müssen ebenfalls Abhilfemaßnahmen ergreifen. Dazu kann die Verwendung von Halbleitern aus Lagerhaltung zählen, ohne dass dies in der finalen Fassung ausdrücklich vorgeschrieben wäre.

    Experten bezweifeln den Sinn des neuen Krisenmechanismus: “Es wäre am besten gewesen, wenn man einfach von der Emergency Toolbox abgesehen hätte, da sie weder effektiv noch effizient ist”, sagt Julia Hess von der Stiftung Neue Verantwortung. “Aber immerhin kommt sie nun mit mehr Checks & Balances”. tho

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    Cyberpaket: EU verschärft Kampf gegen Cyberangriffe

    Die EU-Kommission hat am Dienstag ein neues Gesetzespaket vorgelegt, mit dem sie den Kampf der EU gegen Cyberangriffe verschärfen will. Mit dem Paket zeige die Union, wie sie “durch solidarisches Handeln die Infrastrukturen, Kompetenzen und Kapazitäten aufbauen” könne, um sich gemeinsam gegen Bedrohungen der Cybersicherheit zu wappnen, erklärte Kommissions-Vizepräsidentin Margrethe Vestager in Straßburg. Dabei sollen auch private Unternehmen zum Einsatz kommen.

    Das Cyberpaket umfasst ein EU-Cybersolidaritätsgesetz und eine Akademie für Cybersicherheitskompetenzen. Das Gesamtbudget für alle Maßnahmen des EU-Cybersolidaritätsgesetzes liegt bei 1,1 Milliarden Euro, wobei die EU zwei Drittel davon über das Programm Digitales Europa finanziert. Außerdem legte Vestager zwei Vorschläge für eine Empfehlung des Rates vor, über die die digitalen Kompetenzen der Menschen in der EU verbessert werden sollen (Digital Skills and Education Package).

    Cybersolidaritätsgesetz sieht eine Cyberreserve vor

    Die Kommission schlägt die Einrichtung eines europäischen Cyberschutzschilds vor. So soll eine europaweite Infrastruktur aus Sicherheitseinsatzzentren (SOCs) entstehen. Diese SOCs sollen Cyberbedrohungen erkennen und abwehren, wobei sie modernste Technik wie KI und fortgeschrittene Datenanalyse einsetzen. So sollen sie Behörden in die Lage versetzen, effizienter und wirksamer auf größere Cybervorfälle zu reagieren. Diese Zentren könnten schon Anfang 2024 einsatzbereit sein.

    Das Cybersolidaritätsgesetz sieht auch die Schaffung eines Cybernotfallmechanismus vor. Dieser soll die Abwehrbereitschaft und Reaktionsfähigkeit bei Cybervorfällen verbessern. Er umfasst:

    • Vorsorgemaßnahmen, einschließlich Tests zur Ermittlung potenzieller Schwachstellen bei Einrichtungen in besonders kritischen Sektoren wie etwa Gesundheitsversorgung, Verkehr, Energie
    • eine EU-Cybersicherheitsreserve. Sie besteht aus vertrauenswürdigen Cyber-Security-Unternehmen, die vorab unter Vertrag genommen werden und bei Cyberattacken schnell einsatzbereit sind
    • finanzielle Förderung der gegenseitigen Amtshilfe, sodass ein Mitgliedstaat einen anderen Mitgliedstaat unterstützen kann

    Geplant ist auch ein Überprüfungsmechanismus für Cybersicherheitsvorfälle, so dass die Union aus den Angriffen lernen kann.

    Akademie soll Cybersicherheitskompetenzen aufbauen

    Die EU-Akademie soll private und öffentliche Initiativen bündeln, die Cybersicherheitskompetenzen auf europäischer und nationaler Ebene verbessern. Sie soll auch dazu beitragen, den Fachkräftemangel in der IT-Sicherheit abzubauen. Die Akademie wird zunächst auf der Plattform für digitale Kompetenzen und Arbeitsplätze installiert.

    Das EU-Cybersolidaritätsgesetz und die Akademie für Cybersicherheitskompetenzen bauen auf der EU-Cybersicherheitsstrategie und dem EU-Rechtsrahmen auf, um die kollektive Resilienz der EU gegenüber zunehmenden Cybersicherheitsbedrohungen zu stärken. Zu diesem Rechtsrahmen gehören die Richtlinie über Maßnahmen für ein hohes gemeinsames Cybersicherheitsniveau in der Union (NIS-2-Richtlinie) und der Rechtsakt zur Cybersicherheit.

    Werden die Länder tatsächlich Amtshilfe akzeptieren?

    Das europäische Cyberschutzschild wirke weniger wie ein Schutzschild und mehr wie eine gemeinsame, aktive Lagebeobachtung, sagte Sven Herpig, Director for Cybersecurity Policy and Resilience bei der Stiftung Neue Verantwortung in einer ersten Reaktion. Grundlage dafür sei der Informationsaustausch der nationalen Behörden mit Sicherheitseinsatzzentren. Herpig bezweifelt allerdings, dass dort wirklich umsetzbare Erkenntnisse auflaufen, “wenn zum Beispiel Deutschland nicht einmal ein behördenübergreifendes Cybersicherheitslagebild hat“.

    Beim Cybernotfallmechanismus wirkten die unter “Vorsorge” und “finanzielle Förderung und gegenseitige Amtshilfe” genannten Vorhaben auf den ersten Blick sinnhaft. “Hier ist die Ausgestaltung wichtig”, meinte Herpig und fragt: “Sollen zum Beispiel deutsche Behörden dann Schwachstellentests bei kritischen Infrastrukturen in Griechenland vornehmen?”

    Auch die EU-Cybersicherheitsreserve und damit Pooling und Sharing von Personal erscheine sinnvoll. “Die Herausforderung ist jedoch, dass der Fachkräftemangel in dem Bereich weltweit vorherrscht”, sagte Herpig. Es gebe schlicht keine große Zahl von IT-Sicherheitsspezialisten, die darauf warteten, zum Einsatz kommen zu kommen. vis

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    DFKI-CEO: EU muss sich bei AI Act mit USA abstimmen

    Die Berichterstatter für den AI-Act, die einen globalen KI-Gipfel gefordert haben, bekommen Unterstützung aus der Wissenschaft. Der Leiter des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), Antonio Krüger, plädierte im Gespräch mit Table.Media dafür, sich zu KI-Regulierung global abzustimmen. “Die Regulierung sollte nicht nur auf EU-Ebene passieren. Die EU müsste dazu mindestens die USA mit an Bord holen – womöglich sogar China.”

    Diesmal werde es anders laufen als bei der DSGVO, wo die EU eine Regulierung vorgelegt hat, die in Teilen von den Amerikanern übernommen worden sei. Bei der KI-Verordnung sollte die Abstimmung besser vorher stattfinden. “Denn es kann gut sein, dass die Amerikaner das Regelwerk zu innovationshemmend finden und diesmal nicht mitmachen”, warnte Krüger. Wenn die EU eine gemeinsame Initiative mit den USA starte, habe dies viel größeren Impact. “Und ich sehe da – hervorgerufen auch durch das große Medienecho zu großen KI-Modellen wie ChatGPT – durchaus Bewegung in den USA.”

    AI Act: Innovationen sollten stärker im Fokus sein

    Das Parlament ist dabei, finale Kompromisse zu schließen. Das voraussichtlich letzte politische Meeting findet am heutigen Mittwoch statt. Danach sollen bereits die Abstimmungen in den Ausschüssen erfolgen.

    Die Änderungen, die das Parlament an der KI-Verordnung vorgenommen hat, schätzt Krüger positiv ein. Die Beschreibung der KI-Systeme sei nicht mehr so grob wie im ursprünglichen Entwurf. “Ich denke, das ist jetzt ein ganz guter Kompromiss.” Allerdings kritisiert er: “Der Innovationsaspekt der KI müsste in der KI-Verordnung eine stärkere Rolle spielen – was mit KI möglich ist und wie man das möglich machen will.”

    ChatGPT: Falschinformationen sind eine echte Bedrohung

    Ähnlich wie die Verhandler im Parlament warnt Krüger vor der alarmistischen Perspektive auf KI, die die Unterzeichner des offenen Briefes des Future of Life Institutes eingenommen haben. Er hält dystopischen Szenarien für übertrieben.

    Das Thema Falschinformationen sei jedoch eine realistische Bedrohung bereits in der Gegenwart. Allerdings solle man nicht so naiv sein zu erwarten, dass durch die Regulierung alles in gute Bahnen gelenkt würde. “KI erfordert eine große Bildungsoffensive“, sagte Krüger. “Allen Internetnutzern muss klar sein, dass KI die Regeln des Internets über Wahrheit und Fälschung verändert. Da wird Regulierung nicht viel helfen. Davon bin ich, fest überzeugt.” vis

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    China-Debatte: Abgeordnete kritisieren Macrons Aussagen

    Bei der Generaldebatte des EU-Parlaments zur China-Politik kritisierten die Abgeordneten gestern in Straßburg die Aussagen des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron zu Taiwan und warnten vor einer Spaltung innerhalb Europas.

    “Es ist naiv, zu sagen, dass Taiwan nicht unsere Angelegenheit ist“, erklärte etwa Manfred Weber (CSU), Fraktionsvorsitzender der EVP, in Bezug auf ein Interview Macrons zu Taiwan. Diese Aussage sei für ihn ein Schock gewesen, sagte Weber. Frankreichs Präsident solle sich überlegen, wer ihm applaudiert habe.

    Auch von französischer Seite hagelte es kritische Worte. So warf Yannick Jadot, Abgeordneter der französischen Grünen, Macron vor, mit seinen Aussagen eine Spaltung ausgelöst zu haben. Man dürfe nicht dieselben Fehler wie zuvor mit Russland, sagte Jadot im Gespräch mit Journalisten in Straßburg.

    Kritik an möglicher CAI-Wiederbelebung

    Der französische Macron-Vertraute und Renew-Abgeordnete Stéphane Séjourné verteidigte Macron dagegen: “Wir müssen uns keine Lektionen anhören von einer Partei, die methodisch unsere Abhängigkeit aufgebaut und unsere Infrastruktur verkauft hat”, sagte er in Richtung Weber. Wichtig sei es nun jedoch zu zeigen, dass es einen Konsens gebe.

    Séjourné sprach sich darüber hinaus gegen eine Wiederbelebung des Investitionsabkommens CAI aus – solange die Sanktionen gegen EU-Abgeordnete in Kraft seien und die muslimische Minderheit der Uiguren verfolgt werde. Medienberichte hatten zuletzt nahegelegt, dass hinter den Kulissen in Brüssel an einer Wiederaufnahme der Gespräche zu CAI gearbeitet werde, sowohl von chinesischer als auch von europäischer Seite. Das Abkommen stehe auf der Agenda mehrerer hochrangiger Treffen im kommenden Monat, berichtete kürzlich die South China Morning Post.

    Laut Bloomberg arbeitet Frankreichs Präsident daran, China in eine Friedensinitiative zum Ukraine-Krieg einzubinden. Macron habe seinen außenpolitischen Berater Emmanuel Bonne damit beauftragt, gemeinsam mit Pekings Spitzendiplomat Wang Yi einen Rahmen für Gespräche zwischen der Ukraine und Russland zu schaffen, berichtete der Mediendienst am Dienstag unter Berufung auf eine mit den Vorgängen vertraute Person. Demnach sehe die französische Strategie bereits vor Sommer Möglichkeiten für Gespräche zwischen Russland und der Ukraine vor.

    Macron will China in Strategie zum Ukraine-Krieg einbinden

    Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell forderte während der Debatte im Parlament für die gemeinsame China-Politik eine bessere Abstimmung der EU-Institutionen und Mitgliedsstaaten unter- und miteinander. Man müsse eine Kakofonie umgehen, betonte Borrell. Mit Blick auf die stark kritisierte Außenwirkung des gemeinsamen China-Besuchs von Macron und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sprach er von Koordinationsproblemen: “Das hätte man vermeiden können.”

    Auch von der Leyen trommelte erneut für eine einheitliche Herangehensweise an China: Eine Taktik des “Divide et Impera” (“Teile und Herrsche”) zur Spaltung der EU dürfe nicht aufgehen, so von der Leyen. “Vor dieser stehen wir möglicherweise gerade.” Sie wiederholte im Europaparlament ihre Forderung nach mehr wirtschaftlicher Unabhängigkeit von China. Schon vor ihrer Reise hatte sie in einer Grundsatzrede von “De-Risking” gesprochen. ari

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    Diplomatenwechsel: Steinlein wird neuer Botschafter in Paris

    Das Berliner Diplomatenkarussell dreht sich weiter. Dieses Mal berührt es die beiden einstmals engsten Mitstreiter Frank-Walter Steinmeiers. Binnen weniger Tage ist bekannt geworden, dass die beiden Diplomaten Stephan Steinlein und Thomas Bagger neue Jobs antreten werden. Steinlein geht als Botschafter nach Paris, Bagger folgt auf Andreas Michaelis als beamteter Staatssekretär im Auswärtigen Amt.

    Für Steinlein ist es eine historische Rückkehr. Er war der erste und letzte Botschafter der DDR in Frankreich nach der Volkskammerwahl im Frühjahr 1990. 33 Jahre später kehrt er an diesen Ort zurück, dem Vernehmen nach zu seiner großen Freude. Von 1998 bis 2022 arbeitete er für Steinmeier, erst im Kanzleramt, dann in der Fraktion, dann im Auswärtigen Amt. Von 2017 an fünf Jahre als Amtsleiter und Staatssekretär im Schloss Bellevue. Noch ist Steinleins neuer Posten nicht amtlich: Paris hat es noch nicht bestätigt und der Bundespräsident noch nicht unterschrieben. Beides aber wird aber alsbald folgen. Das Kabinett hat das Ganze bereits entschieden, die französische Regierung das entsprechende Antragsschreiben erhalten.

    Für Thomas Bagger ist es ein Aufstieg und eine Mühsal zugleich. Der frühere Planungsstabschef im Auswärtigen Amt und spätere außenpolitische Berater des Bundespräsidenten war im vergangenen Jahr als Botschafter nach Warschau gegangen. Mit Familie, Eingewöhnung und Sprachkursen. Nun kommt, ziemlich abrupt, die Rückkehr. Aufgewogen wird die Anstrengung durch den Wechsel auf den nach der Außenministerin mächtigsten Posten, den es im Auswärtigen Amt gibt: Bagger wird beamteter Staatssekretär im AA. steb

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    Presseschau

    EU-Parlament stimmt weitreichenden Klimaschutzgesetzen zu ESSLINGER-ZEITUNG
    Backlash grows against EU’s ambitious green goals FT
    Von der Leyen legt China-Strategie vor: Die EU hat einen Plan, Deutschland nicht TAGESSPIEGEL
    Affäre um Ex-Vize Eva Kaili: EU-Parlament verschärft nach Korruptionsskandal seine Regeln für Lobbyisten SPIEGEL
    Kämpfe im Sudan: EU-Botschafter in Khartum angegriffen WAZ
    Zum ersten Mal seit Pandemie keine Übersterblichkeit in der EU DERSTANDARD
    EU will Schutzschild gegen Cyber-Angriffe aufbauen EURONEWS
    EU einigt sich auf Milliarden für Mikrochipindustrie WZ
    EU-Kommission: Digitale Kompetenzen wichtig wie lesen und schreiben BOERSE
    EU eröffnet Zentrum für Algorithmen-Transparenz in Sevilla DERSTANDARD
    EU-Kommission will Krisenmanagement im Bankensektor reformieren ARIVA
    EU-Parlament: Abgeordnete finden Kompromiss zum EU-Lieferkettengesetz EURACTIV
    Getreide: Polen und Ukraine einigen sich auf Ende von Importstopp ZEIT
    EU-Parlament stimmt Visafreiheit für Kosovo bei Kurzaufenthalten zu BOERSENNEWS
    Raststätte Gräfenhausen – “Moderne Sklaverei”: EU-Abgeordnete unterstützt streikende Lkw-Fahrer HESSENSCHAU
    Das EU-Parlament will Unternehmen zum Urwaldschutz verpflichten AUGSBURGER-ALLGEMEINE
    Authorities raid fashion houses in EU antitrust probe WASHINGTONPOST
    Kommentar: Mehr Fachkräfte für die EU – eine gute Idee, aber… RND
    Internationaler Export zieht an: Deutsches Bier wird in der EU immer unbeliebter T-ONLINE
    Commission calls for massive investment in digital education and skills EUROPA

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    Katja Adler – Liberale im Europaausschuss

    Katja Adler sitzt für die FDP im Europaausschuss des Bundestags. (Foto: Julia Depatala)

    Für ihre Kinder sei Europa “einfach da”, sagt Katja Adler. “Ein friedliches, grenzenloses Europa ist aber keine Selbstverständlichkeit.” Das weiß die FDP-Politikerin aus eigener Erfahrung: Geboren 1974 ist sie in Frankfurt an der Oder aufgewachsen, zu DDR-Zeiten. Nach der Wende hat sich ihr Horizont erweitert, nicht nur nach Westdeutschland, sondern nach ganz Europa. Sie arbeitet nach ihrem Abschluss als Diplom-Verwaltungswirtin zunächst im Landesamt für Ernährung, später im Bildungsministerium in Mecklenburg-Vorpommern.

    2002 zieht Adler nach Rheinland-Pfalz und arbeitet im dortigen Bildungsministerium, es folgt eine Tätigkeit im Landesfamilienministerium. Heute sitzt die 49-Jährige für die FDP im Europaausschuss des Bundestags und bezieht Stellung zu den Gesetzesvorhaben der Europäischen Union. Den Binnenmarkt ausbauen, international mit einer Stimme sprechen, eine europäische Armee – Adler wünscht sich ein stärkeres Europa.

    An der kommunalen Basis bleiben

    Nach der Geburt ihres ersten Kindes gründet sie in ihrem Wohnort Oberursel im hessischen Hochtaunuskreis eine Kinderkrippe. Das ist ihr Einstieg in die Kommunalpolitik: Sie habe gemerkt, dass sie politisch etwas bewirken will, erzählt Adler. “Und das läuft in Deutschland am besten über das Parteiensystem.” Sie wird FDP-Mitglied, zieht 2014 in die Stadtverordnetenversammlung ein, zwei Jahre später in den Kreistag im Hochtaunus. Und seit 2021 sitzt sie für die FDP im Bundestag. Ihre kommunalen Ämter hält sie weiter. “Man kann ganz schnell in der Berliner Blase verschwinden”, sagt Adler. “Und genau das will ich vermeiden.”

    Der Europaausschuss bezieht unter anderem Stellung zu europäischen Gesetzesvorhaben – Adler bezeichnet ihn als “großen Querschnittsausschuss”. Er bespricht viele Themen, hat aber keine direkte Zuständigkeit. Adler wünscht sich, dass europäische Themen, die mehrere Politikbereiche berühren, auch mal federführend im Europaausschuss behandelt werden.

    Liberale Netzpolitik

    Ein solches Thema könnten die von EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton vorgeschlagenen Netzwerknutzungsgebühren sein – je nach Sichtweise ein Digital-, Verkehrs- oder Wirtschaftsthema. Kern des Vorhabens ist, dass Internetplattformen eine Gebühr dafür zahlen sollen, dass sie die Netzinfrastruktur nutzen. Adler befürchtet, dass die Konzerne die Gebühr auf die Verbraucherinnen und Verbraucher umlegen. Mit ihrer Fraktion hat sie sich in einem Positionspapier gegen das Vorhaben ausgesprochen. Der Grund: Die Gebühr könne das offene und freie Internet gefährden.

    Freiheit ist Adler ein wichtiges Anliegen. Auf Twitter ist direkt neben ihrem Namen das Bild einer kleinen Freiheitsstatue zu sehen – auf der Plattform äußert sie sich regelmäßig gegen Verbote oder den Sozialismus. Das gehört für Adler zu ihrer Arbeit dazu: “Politik ist Diskussion, und die findet heute zum Teil auch in den sozialen Medien statt.” Auf keiner Plattform ein Profil zu führen, das könne sich in der Politik niemand mehr leisten. Jana Hemmersmeier

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    Apéropa

    Für wen erarbeitet die Kommission die Gesetzgebungsvorschläge? Erster Adressat sind doch wohl die Co-Gesetzgeber und nicht die Presse. Daher pocht das Parlament seit Langem darauf, dass die Kommissare nicht als Erstes vor die Journalisten treten nach dem “College”. Zumindest in den Straßburg-Wochen, wenn die Musik am Hauptsitz des Parlaments in Frankreich spielt, dürfe der Souverän nicht die zweite Geige sein.

    Jetzt hat Parlamentspräsidentin Roberta Metsola in der Sache einen Etappensieg errungen. In dieser Woche wurden die Abgeordneten zuerst von der Kommission bedient. Margaritis Schinas, Kommissar für den Europäischen Way of Life, sagte, es sei ihm eine “große Ehre”, als erster Kommissar die neue Tradition zu begründen, und präsentierte “frisch aus dem Ofen”, wie er sich ausdrückte, Elemente des gerade beschlossenen Cyber-Sicherheitspakets. Und die Journaille musste warten. Die ehrenwerten Volksvertreter haben Vorrang.

    Ein Pyrrhussieg

    Ob das Parlament auf Dauer glücklich wird mit der Lösung? Es wird hinten heraus nämlich sehr spät für die Medien. Vize-Kommissionspräsident Valdis Dombrovskis konnte seine Pressekonferenz zu Reformen an der Einlagensicherung erst um 16.30 Uhr starten. Der Zeitdruck der Journalisten steigt damit massiv. Nur zum Vergleich: In Wochen, da die Kommission im Berlaymont in Brüssel tagt, startet der Pressekonferenzreigen manchmal schon um 12 Uhr. Das gibt deutlich mehr Zeit, damit ausgeruhte Beiträge in den Medien erscheinen können.  

    Schon gibt es erste nachdenkliche Stimmen aus den Kabinetten der Kommissare. Die neue Hackordnung in den Straßburg-Wochen werde Folgen haben. Kommissare würden wichtige Vorschläge künftig nicht mehr mit auf die Reise nach Frankreich nehmen, sondern sie sich lieber für die Wochen aufsparen, da die Kommission in Belgien tagt. Das ist die Drohung mit dünner Suppe. Eine ganz andere Frage ist, ob das Parlament die Geste der Kommission gebührend schätzt. Bei der Premiere des neuen Formats herrschte gähnende Leere, Katarina Barley (SPD) und die beiden vortragenden Kommissare waren sichtlich erschüttert. mgr

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    Europe.Table Redaktion

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