Table.Briefing: Europe

Neue Schuldenregeln + Beihilferahmen verlängert + nachhaltige Finanzen

  • Kommission legt bald neue Schuldenregeln vor
  • Plattform für nachhaltige Finanzen: Ende eines turbulenten Mandats
  • Krisenrahmen: Kommission ermöglicht höhere Beihilfen
  • Borrell verurteilt Getreideblockade
  • Gaspaket: Parlament positioniert sich erst 2023
  • COP27: Inselstaaten kritisieren EU-Verhandlungsmandat
  • Heads: Martin Schirdewan – Der Linke für Berlin und Brüssel
Liebe Leserin, lieber Leser,

Schulden abbauen und gleichzeitig Investitionen stemmen, das ist das Kunststück, das bei der Reform der europäischen Schuldenregeln gelingen muss. Am 9. November will die Kommission nun ihren Vorschlag zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts vorlegen. Christof Roche hat herausgefunden, welche Regeln sich abzeichnen.

Heute endet vorerst das Mandat der Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen. Meine Kollegin Leonie Düngefeld blickt zurück auf die spannungsreiche Arbeit der Mitglieder und erklärt, wie es im nächsten Jahr weitergeht – oder auch nicht.

Ebenfalls heute stellt die Expertenkommission Gas und Wärme der Bundesregierung ihr finales Entlastungskonzept vor. Dem Ansatz aus dem Zwischenbericht wird das Kabinett allerdings nicht ganz folgen können. Für große Industrieunternehmen muss es den neuen befristeten Krisenrahmen beachten, den die EU-Kommission am Freitag angenommen hat. Lesen Sie in den News, wo Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager strengere Vorgaben macht.

Steuerung sind eines der zentralen Themen von Martin Schirdewan. Der Europaparlamentarier ist Co-Vorsitzender der deutschen Linken und spielt damit eine seltene Doppelrolle zwischen Brüssel und Berlin. Für welche Positionen er sich noch einsetzt, lesen Sie im Porträt.

Ihr
Manuel Berkel
Bild von Manuel  Berkel

Analyse

Kommission legt bald neue Schuldenregeln vor

Wie Europe.Table aus Kommissionskreisen erfuhr, will die Brüsseler Behörde ihre Mitteilung zur Reform der Fiskalregeln am 9. November präsentieren. Derzeit würden die Dokumente intern abgestimmt. Die Kreise zeigten sich zuversichtlich, zügig einen Konsens unter den Mitgliedstaaten herstellen zu können. Die Regierungen seien in den vergangenen Wochen und Monaten eng eingebunden gewesen. Das erforderliche Legislativpaket zur Überarbeitung des Stabilitäts- und Wachstumspakts könnte dann im ersten Quartal 2023 präsentiert werden. Eine erste Aussprache im Kreis der EU-Finanzminister sei bereits für den Dezember-Ecofin vorgesehen, hieß es.

EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni hatte zuletzt am 10. Oktober auf einer Veranstaltung in Rom die Notwendigkeit überarbeiteter Haushaltsregeln unterstrichen. Europa stehe vor einem herausfordernden Winter, “da der russische Krieg andauert, die Energiepreise sehr hoch bleiben und die Inflation neue Rekorde erreicht”. Zudem habe die Pandemie eine deutlich höhere öffentliche und private Verschuldung hinterlassen. Die Notwendigkeit, Haushaltspuffer wieder aufzubauen, sei klar. Strategien zum Schuldenabbau müssten jedoch realistisch sein, wenn sie Stabilität gewährleisten und das Wachstum unterstützen sollten.

“Wir haben zwei Berge vor uns, einen Berg von Schulden und einen Berg von Investitionen, und wie wir diese miteinander in Einklang bringen, ist eine zentrale Herausforderung, der wir uns bei der Reform unserer Vorschriften stellen müssen”, sagte der EU-Kommissar. In Kreisen der Behörde hieß es, die Grundidee sei, die äußerst komplexen Haushaltsregeln der EU zu vereinfachen und gleichzeitig die Durchsetzung zu verschärfen.

Mehr Eigenverantwortung für Mitgliedstaaten

Dazu sollen die Mitgliedstaaten mehr Eigenverantwortung für ihre Schuldenabbaupläne übernehmen. Laut den Kreisen zielen die Überlegungen der Kommission darauf ab, dass die EU-Behörde bilateral einem EU-Mitgliedsland einen Vierjahresplan vorlegt, um seine Staatsschuldenlast auf einen glaubwürdigen Abwärtspfad zu bringen.

Das Mitgliedsland kann den Plan annehmen oder aber einen Gegenvorschlag einreichen – mit einer maximalen Laufzeit von sieben Jahren. Gentiloni hatte in Rom unterstrichen, um eine größere nationale Eigenverantwortung zu gewährleisten, könne den Mitgliedstaaten ein größerer Spielraum bei Vorschlägen für haushaltspolitische Pfade eingeräumt werden, sofern gemeinsame EU-Grundsätze – nicht zuletzt die Schuldentragfähigkeit – eingehalten würden.

So könnten etwa Reform- und Investitionszusagen eine längere Haushaltsanpassungsphase ermöglichen. Dies wäre auch ein Weg, “um sicherzustellen, dass sich die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen und das Wachstum gegenseitig verstärken können”, so der EU-Kommissar.

Regel zum Schuldenabbau wird gestrichen

Den Kreisen zufolge will die Kommission mit dem neuen Ansatz die bisherige EU-Regel streichen, die eine Senkung der Schuldenquoten um ein Zwanzigstel pro Jahr durch Mitgliedstaaten mit Schulden über der EU-Obergrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verlangt. Diese Forderung habe sich als zu rigide erwiesen, zumal die öffentlichen Schuldenquoten seit der Pandemie dramatisch gestiegen seien. Auch der Rückgriff auf eine Reduktion des strukturellen Defizits solle beendet werden, da dieses Vorgehen zu komplex sei. Stattdessen wolle die Kommission in jedem nationalen makrofiskalischen Pan einen Nettoausgabenpfad über mehrere Jahre festschreiben.

Als vorrangige Kennziffer sollen dabei die Nettoprimärausgeben eines Landes dienen, also die Ausgaben ohne die Einrechnung nicht geplanter Einnahmen und ohne Zinsaufwendungen sowie Ausgaben für zyklisch bedingte Arbeitslosigkeit. Mit den neuen Vorschriften würden die bisherigen Referenzwerte der EU nicht angetastet, wie die Obergrenze für ein öffentliches Defizit von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts und eine Schuldenquote von 60 Prozent des BIP, die beide im EU-Vertrag festgeschrieben sind. Nach der Vereinbarung eines Schuldenplans mit einem Mitgliedstaat soll es jährliche Fortschrittskontrollen geben.

Staatsverschuldung rückt stärker in den Fokus

Sollte ein Land gegen den im Mehrjahresplan mit Kommission und Rat vereinbarten Nettoausgabenpfad oder andere Eckpunkte verstoßen, droht die Kommission mit Einleitung eines Haushaltsstrafverfahrens. Dabei soll die Entwicklung der Staatsverschuldung deutlich stärker in den Fokus rücken und Verfahren könnten somit aufgrund der Schuldenquote eines Landes gestartet werden, was bislang nicht der Fall gewesen sei, unterstrichen die Kreise. In der Vergangenheit seien die Verfahren ausschließlich aufgrund einer überhöhten Neuverschuldung der Mitgliedstaaten eröffnet worden.

Die Kommission und die Mitgliedstaaten stehen unter Druck, ein neues Regelwerk auf den Weg zu bringen, da die aktuelle Aussetzung der EU-Fiskalvorschriften aufgrund der Pandemie bis Ende kommenden Jahres ausgesetzt ist. Beobachter in Brüssel halten es allerdings für wenig realistisch, die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts bis Ende 2023 abzuschließen. So habe beispielsweise Berlin erhebliche Bedenken, die Verhandlungen für die mehrjährigen länderspezifischen Fiskalpläne ausschließlich der Kommission und dem betroffenen Mitgliedsland zu überlassen. Christof Roche

  • Energiepreise
  • Finanzen
  • Stabilitätspakt

Plattform für nachhaltige Finanzen: Ende eines turbulenten Mandats

Mit dieser Art von Turbulenzen hätten die Mitglieder der Plattform für nachhaltiges Finanzwesen sicher nicht gerechnet, als das Beratungsgremium im Oktober 2020 seine Arbeit aufnahm. 57 Expertinnen und Experten aus Industrie, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und dem Finanzsektor, darunter sieben direkt ernannte Mitglieder öffentlicher Einrichtungen wie der Europäischen Investitionsbank oder der Europäischen Umweltagentur, haben seitdem die Kommission in der Entwicklung ihrer nachhaltigen Finanzpolitik beraten. Deren Vorgehen verursachte jedoch teilweise großen Ärger.

Vier von sechs Arbeitsgruppen der Plattform hatten im Herbst 2020 direkt mit ihren Aufgaben begonnen. Zwei weitere Untergruppen werden erst 2023 eingesetzt, da sie verfügbare Daten für ihre Arbeit benötigen. Auf der Grundlage eines ersten Berichts der Plattform von 2021 veröffentlichte die Kommission bereits einen ersten delegierten Rechtsakt, der Kriterien für die ersten beiden Taxonomie-Ziele (Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel) vorgibt.

Ein weiterer Rechtsakt, der sich den übrigen vier Zielen (nachhaltige Nutzung von Wasserressourcen, Wandel zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung von Umweltverschmutzung und Schutz von Ökosystemen und Biodiversität) widmet, wird im kommenden Jahr erwartet. Ein letzter Bericht der technischen Arbeitsgruppe der Beratungsplattform mit Empfehlungen für die technischen Prüfkriterien steht noch aus. Im Oktober hat die Plattform ihren Bericht über Minimum Safeguards sowie einen Bericht mit Empfehlungen in Bezug auf Datenerhebung und Verwendbarkeit der Taxonomie-Berichtspflichten veröffentlicht.

Zu wenig Ressourcen eingeplant

Schon als der erste Delegierte Rechtsakt beschlossen wurde, äußerten mehrere Expertinnen Bedenken und den Wunsch, einige der Kriterien des Rechtsakts zu überarbeiten. Dies ist eigentlich auch Aufgabe der Plattform – doch dafür war keine Zeit, hört man von Mitgliedern der Plattform. Alle Kapazitäten seien für die Erarbeitung der Kriterien für die übrigen vier Ziele der Taxonomie benötigt worden.

Nancy Saich, Klimaschutzexpertin der Europäischen Investitionsbank (EIB), erklärt im Gespräch mit Europe.Table: “Mein Eindruck nach zwei Jahren Arbeit in der Plattform ist, dass die Ressourcen, die man braucht, um Taxonomiekriterien für so viele Sektoren zu entwickeln, viel größer sind, als man zunächst dachte.”

Es gab viel mehr Beteiligte zu konsultieren, mehr Wissen in den Prozess einzubringen; schließlich ging es nach dem ersten Rechtsakt nicht mehr um nur zwei Ziele, sondern um vier. “Diese Ziele sind in der Finanzwelt weniger gut berücksichtigt worden: Die Klimafinanzierung war global schon recht gut definiert, aber es gab kein Äquivalent für den Rest des grünen Bereichs”, sagt Saich.

“Natürlich lief nicht alles glatt”, sagt auch Thierry Philipponnat, der die NGO Finance Watch in der Plattform vertritt. “Es gab einige Schwierigkeiten. Aber die Arbeit wurde erledigt.” Und Aufgabe der Plattform sei lediglich, die Kommission zu beraten. Diese sei nicht dazu verpflichtet, dann entsprechend der Empfehlungen zu handeln.

Kommission missachtet eigene Regeln

Der Vorwurf, den man inner- und außerhalb der Plattform immer wieder hört: Die Kommission habe sich nicht an ihre eigenen Regeln gehalten. Die Taxonomie-Verordnung verpflichtet die Kommission, technische Bewertungskriterien festzulegen, die “auf verfügbaren wissenschaftlichen Nachweisen beruhen”. Zudem gilt, sofern sich ein Risiko nicht mit hinreichender Sicherheit anhand einer wissenschaftlichen Bewertung bestimmen lässt, das Vorsorgeprinzip: Denkbare Schäden für die Umwelt sollen im Voraus vermieden werden.

Durch den delegierten Rechtsakt besteht etwa in der Definition von nachhaltiger Stromerzeugung nun kein einheitlicher, auf den Empfehlungen beruhender Maßstab: Während alle Stromquellen als nachhaltig gelten, sofern sie weniger als 100 Gramm CO2 pro Kilowattstunde ausstoßen, liegt diese Grenze für die Stromerzeugung aus Erdgas bei 270 Gramm CO2 pro Kilowattstunde.

“Wenn Sie beispielsweise in einer Müllverbrennungsanlage Strom erzeugen, sind Sie mit 200 Gramm CO2 pro Kilowattstunde nicht nachhaltig, bei Gas aber mit bis zu 270 Gramm”, sagt Philipponnat. “Wir als Experten der Plattform haben die Kommission darauf hingewiesen, dass das nicht kohärent ist.”

In der Frage der Atomkraft ging es nicht um CO2-Grenzwerte, sondern um die Möglichkeit erheblicher Umweltschäden aufgrund des Atommülls und des Risikos schwerer Unfälle – also um die Missachtung des “Do No Significant Harm”-Kriteriums und des Vorsorgeprinzips der Taxonomie.

“Es gab keine richtige Studie, keine Empfehlungen der Plattform”, ergänzt Philipponnat – dabei muss die Kommission, bevor sie eine Entscheidung trifft, diese erst abwarten. Stattdessen sahen einige Mitglieder der Plattform am Abend des 31. Dezember 2021 zufällig den Entwurf des Komplementären Rechtsakts in ihrem E-Mail-Postfach, mit der Bitte, innerhalb von einer Woche eine Stellungnahme zu liefern. Die Frist wurde schließlich auf drei Wochen verlängert, doch die Kommission hatte durch dieses Vorgehen deutliche Spannungen und Ärger unter den Mitgliedern der Plattform heraufbeschworen.

Experten aus NGOs verlassen Plattform

Als im Sommer auch das Parlament zugunsten des Rechtsaktes stimmte, brachte dies das Fass für einige Mitglieder der Plattform zum Überlaufen: Fünf zivilgesellschaftliche Experten verließen die Plattform. Im September verkündeten das WWF European Policy Office, der Europäischer Verbraucherverband (BEUC), Birdlife Europe and Central Asia, die European Coalition of Standards (ECOS) und Transport & Environment (T&E) in einem Schreiben an Finanzkommissarin McGuinness ihren Austritt aus der Plattform.

“Die Beziehungen zwischen der Kommission und der Plattform waren sehr unbefriedigend”, hieß es in dem Brief. Die Kommission hätte sich mehrfach politisch in die Arbeit der Plattform eingemischt. Außerdem hätte sie wiederholt die Empfehlungen der Expertengruppe ignoriert, ohne diese Entscheidungen wissenschaftlich fundiert zu begründen. Die Aufnahme von Erdgas und Atomkraft hätte zudem die Glaubwürdigkeit der Taxonomie schwer beschädigt.

Ein weiterer Grund für den Austritt: Die Organisationen befürchten, die zukünftige Plattform könnte in ihrer Unabhängigkeit eingeschränkt und stärker von der Kommission beeinflusst werden. Die Kommission plane, das Mandat auf die Umsetzung der aktuellen Kriterien zu beschränken und die Mitgliederzahl zu reduzieren. “Dies könnte der Plattform jede Möglichkeit nehmen, ihre unabhängigen Empfehlungen zur Erweiterung der Taxonomie über nachhaltige Aktivitäten hinaus oder auf soziale Fragen auszudehnen”, warnen die Experten.

Tatsächlich wird die Plattform im kommenden Mandat kleiner sein als bisher: Neben den sieben permanenten Mitgliedern wird es in dieser Runde nur 35 statt 50 ausgewählte Mitglieder geben. Allerdings sei der größte Teil der Arbeit bereits erledigt, sagt Thierry Philipponnat. Für den verbleibenden, sehr technischen Teil brauche es also auch weniger Kapazitäten.

Weniger Mitglieder, mehr Arbeitsgruppen

Noch bis zum 9. November läuft das Bewerbungsverfahren für die neue Plattform, deren Mandat Anfang 2023 beginnen soll. Die Kommission hat drei Schwerpunkte für die Arbeit der neuen Expertinnengruppe definiert:

  • die Nutzbarkeit der Taxonomie und des umfassenderen EU-Rahmens für nachhaltige Finanzen;
  • die Entwicklung zusätzlicher technischer Screening-Kriterien der Taxonomie für alle sechs Umweltziele und gegebenenfalls zu möglichen Überarbeitungen und/oder Aktualisierungen der Kriterien
  • die Umsetzung spezifischer politischer Maßnahmen der Strategie zur Finanzierung des Übergangs zu einer nachhaltigen Wirtschaft, insbesondere die Überwachung der Kapitalströme in nachhaltige Investitionen.

Zwei weitere Untergruppen zur Überprüfung der Verordnung und zur Überwachung der Kapitalströme werden dafür ihre Arbeit aufnehmen.

“Die neue Plattform wird in einem anderen Kontext arbeiten, da die Entwicklung der technischen Screening-Kriterien im Rahmen der EU-Taxonomie erheblich vorangekommen ist und die Märkte begonnen haben, die Taxonomie und andere Vorschriften und Instrumente für nachhaltige Finanzen anzuwenden”, erklärt eine Sprecherin der Kommission auf Anfrage von Europe.Table. “In diesem neuen Kontext wird die Umsetzung und Nutzbarkeit der EU-Taxonomie und des umfassenderen Rahmens für nachhaltige Finanzen zur wichtigsten Priorität.”

Nun fehlt lediglich noch der zweite Bericht der technischen Arbeitsgruppe, in dem sie Empfehlungen zur Aktualisierung bestimmter technischer Prüfkriterien und zur Entwicklung von Kriterien für zusätzliche Aktivitäten (darunter Bergbauaktivitäten) festhält. Im Frühling haben die zuständigen Untergruppen der Plattform den finalen Bericht über die soziale Taxonomie und über die ökologische Übergangstaxonomie vorgelegt. Was aus diesen Vorhaben wird, bleibt offen. Die Kommission erklärt auf Anfrage von Europe.Table, sie analysiere und prüfe derzeit beide Berichte – diese lieferten “Anregungen für weitere Überlegungen”, würden aber keiner Entscheidung oder Maßnahme vorgreifen.

Kaum jemand rechnet jedoch damit, dass die Kommission in nächster Zeit tätig wird (Europe.Table berichtete). “Der politische Appetit der Kommission, eine erweiterte Taxonomie und eine Sozialtaxonomie voranzutreiben, ist zurzeit sehr gering”, sagt Thierry Philipponnat. “Ich bedaure das, aber ich denke, dass es in dieser Kommission und diesem Parlament nicht passieren wird“.

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News

Krisenrahmen: Kommission ermöglicht höhere Beihilfen

Vor dem Hintergrund der Energiekrise hat die Kommission den befristeten Krisenrahmen bis Ende 2023 verlängert. Am 28. Oktober veröffentlichte die Generaldirektion Wettbewerb die zweite Änderung des Temporary Crisis Framework (TCF). Darin werden die zulässigen Höchstbeiträge für staatliche Beihilfen gegenüber der früheren Version stark erhöht (Table.Media berichtete). Allerdings folgt der Krisenrahmen für große Industrieunternehmen weiterhin einer anderen Förderlogik als die Expertenkommission Gas und Wärme der Bundesregierung, die heute ihren Abschlussbericht vorstellt.

Für alle Unternehmen außerhalb des Agrarsektors steigen die zulässigen Beihilfebeträge von 400.000 auf zwei Millionen Euro. Noch weiter heraufgesetzt wurden die zulässigen Beihilfen für energiebedingte Mehrkosten. Für Unternehmen aller Sektoren steigt der Höchstbetrag von zwei auf vier Millionen Euro. Für noch höhere Beihilfen stellt das TCF allerdings Anforderungen, die über die bisher bekannten Ansätze der deutschen Gaskommission hinausgehen.

Abweichungen von der Gaskommission

Beihilfen für energieintensive Betriebe sind künftig zwar in Höhe von bis zu 150 statt 50 Millionen Euro zulässig. Zudem sind höhere Beihilfen an Unternehmen nicht mehr unbedingt an das Kriterium der Energieintensität geknüpft. Allerdings dürfen Beihilfen, die über zwei bzw. vier Millionen hinausgehen, nur ausgezahlt werden, wenn die Unternehmen bestimmte Gewinnrückgänge nachweisen. Außerdem ist der Anteil der übernahmefähigen Kosten gestaffelt und nicht pauschal für alle Unternehmen gleich. Zudem ist für die Ermittlung der beihilfefähigen Kosten eine bestimmte Formel zu beachten.

Den Mitgliedstaaten steht es zunächst frei, ob sie den Energieverbrauch 2021 oder 2022 zugrunde legen. Der Streit darüber hatte dazu beigetragen, dass sich das TCF verzögerte. Einige Mitgliedstaaten wollten Anreize zum Gassparen erhalten, andere aber die Produktion ihrer Industrie so weit wie möglich unterstützen. Ab 1. September 2022 müssen die Mitgliedstaaten nun 70 Prozent des Verbrauchs im vergleichbaren Zeitraum 2021 als Basis wählen. Damit will die Kommission offensichtlich mehr Druck beim Energiesparen machen.

Der Beihilferahmen setzt außerdem die Verordnung des Rates zum Stromsparen um. Ermöglicht und näher ausbuchstabiert werden im TCF nun Ausschreibungen zum Stromsparen oder zur zeitlichen Verlagerung des Verbrauchs.

Auch die Beihilfe für Energieversorger wird gelockert. So könnten die EU-Staaten in Ausnahmefällen öffentliche Garantien von mehr als 90 Prozent bereitstellen, um deren Liquidität zu verbessern und die Teilnahme am Energiehandel zu sichern. Dies soll auch dazu beitragen, hohe Preisausschläge einzudämmen. ber

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Borrell verurteilt Getreideblockade

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat Russlands erneute Blockade von ukrainischen Getreideexporten über das Schwarze Meer kritisiert. Die Entscheidung gefährde “die wichtigste Exportroute für dringend benötigtes Getreide und Düngemittel zur Bewältigung der durch den Krieg gegen die Ukraine verursachten weltweiten Nahrungsmittelkrise”, schrieb der EU-Chefdiplomat am Sonntag auf Twitter. Die EU fordere Moskau dringend dazu auf, die Entscheidung rückgängig zu machen.

Am Nachmittag sprach Borrell auch mit UN-Generalsekretär António Guterres. Es sei um die Koordinierung von Maßnahmen zur Gewährleistung der Getreide- und Düngemittelausfuhr aus der Ukraine gegangen. Die EU werde ihren Beitrag zur Bewältigung der globalen Nahrungsmittelkrise leisten.

Russland hatte am Wochenende die Aussetzung eines im Juli unter Vermittlung der Türkei und der UN geschlossenen Abkommens verkündet. Es hatte die monatelange Blockade der ukrainischen Getreideausfuhren im Zuge des russischen Angriffskrieges beendet. Als Grund für die Aussetzung gab Russland Drohnenangriffe auf die Schwarzmeerflotte in der Stadt Sewastopol auf der 2014 von Moskau völkerrechtswidrig annektierten Halbinsel Krim an.

EU-Justizkommissar Didier Reynders sagte unterdessen dem “Hamburger Abendblatt” vom Samstag, die vom Westen eingefrorenen Vermögen des russischen Staates und von Oligarchen könnten beim Wiederaufbau in der Ukraine helfen. So könne der Westen 300 Milliarden Euro aus Devisenreserven der russischen Zentralbank so lange als Garantie behalten, “bis Russland sich freiwillig am Wiederaufbau der Ukraine beteiligt”.

Bisher habe die EU im Zuge der Sanktionspakete gegen Russland außerdem mehr als 17 Milliarden Euro russisches Vermögen eingefroren. “Bislang wurde das Vermögen von 90 Personen eingefroren, über 17 Milliarden Euro in sieben Mitgliedstaaten, davon 2,2 Milliarden Euro in Deutschland.” dpa

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  • Sanktionen

Gaspaket: Parlament positioniert sich erst 2023

Das Parlament verschiebt seine Beschlüsse zum Gasbinnenmarktpaket. Der Industrieausschuss wird seinen Bericht zu der Verordnung und der Richtlinie nicht wie geplant Ende November verabschieden, sondern erst am 24. Januar. Darauf haben sich die Berichterstatter Jens Geier (SPD) und Jerzy Buzek (EVP) am Freitag geeinigt, wie Europe.Table erfuhr. Das Plenum soll seine Position nun im Februar festlegen.

In der Gasmarkt-Verordnung soll das Verhandlungsteam nach einer Entscheidung der ITRE-Koordinatoren auch die jüngsten Legislativvorhaben zur Energiekrise berücksichtigen. Das betrifft vor allem den Kommissionsvorschlag vom 18. Oktober zum gemeinsamen Gaseinkauf und zu solidarischen Gaslieferungen zwischen den Mitgliedstaaten.

Grund für die Verschiebung sind aber auch die langwierigen Abstimmungen in den regulären Teilen des umfangreichen Pakets, das die Kommission am 15. Dezember 2021 vorgelegt hatte. Die Legislativvorschläge sollen vor allem den Aufbau von Wasserstoffinfrastruktur regeln. Dazu gehören etwa die Netzplanung und die Entflechtung von Eigentum und Betrieb. ber

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COP27: Inselstaaten kritisieren EU-Verhandlungsmandat

Ein Bündnis aus Inselstaaten aus aller Welt hat die EU für ihre schwache Haltung beim Thema “Loss and Damage” kritisiert. Die Alliance of Small Island States (AOSIS) sagte zu Europe.Table, der im EU-Mandat für die COP27 enthaltene Absatz über Verluste und Schäden entspreche nicht dem Glasgow-Dialog. Der im vergangenen Jahr bei der COP26 angeregte und im Juni dieses Jahres erstmals durchgeführte Glasgow-Dialog beinhaltet Diskussionen über mögliche Finanzierungsinstrumente zur “Abwendung, Minimierung und Behebung” von Verlusten und Schäden.

Die Mitgliedstaaten der EU hatten sich vergangene Woche auf ihre Verhandlungspositionen für die UN-Klimakonferenz in Sharm el-Sheikh geeinigt (Europe.Table berichtete). Darin sprachen sich die EU-Länder zwar dafür aus, den Umgang mit den Kosten von Verlusten und Schäden in Folge des Klimawandels auf die COP27-Agenda zu setzen und über das Thema zu sprechen. Allerdings ließen sie offen, ob sie auch bereit sind, über konkrete Finanzierungsinstrumente zur Unterstützung der Länder, die am meisten von den Klimawandelauswirkungen betroffen sind, zu sprechen.

Die AOSIS sieht darin einen Widerspruch zur Einigung auf den Glasgow-Dialog. Dass die Fragen nach der Finanzierung von Schäden und Verlusten auf “Gespräche” beschränkt werden, sei unakzeptabel, erklärte eine Sprecherin.

Entwicklungsländer fordern seit einigen Jahren, dass Industrienationen als Hauptverursacher des Klimawandels auch finanziell Verantwortung für Verluste und Schäden im globalen Süden übernehmen. Die USA und auch einige EU-Staaten scheuen sich bislang vor einem solchen Schritt, da sie befürchten, für Naturkatastrophen wie Dürren und Überschwemmungen haftbar gemacht werden zu können.

Loss and Damage als Agenda-Punkt sei bereits ein Erfolg

Auch aus NGOs kommt Kritik an der vagen Positionierung der EU. Man sei enttäuscht, dass die EU-Staaten nicht die Position des Europäischen Parlaments aufgreifen, aktiv die Modalitäten für eine Fazilität zur Finanzierung von Verlusten und Schäden zu erkunden, heißt es vom Climate Action Network (CAN) Europe. Die bisherigen Finanzierungsinstrumente seien zwar wichtig, doch es brauche neue und zusätzliche Möglichkeiten zur Klimafinanzierung, fordert die Organisation.

Jacob Werksman, Chef-Unterhändler der EU-Kommission in Sharm el-Sheikh, erklärte auf Nachfrage des Europe.Table, er verstehe, dass das EU-Mandat den Eindruck erwecke, dem Thema nicht ausreichend Beachtung zu schenken. Jedoch wies er auf langwierige EU-interne Diskussionen mit den Mitgliedstaaten sowie mit den USA hin, das Thema Loss and Damage überhaupt auf die Agenda zu bringen. Daher bezeichnete er es als Erfolg, den Agenda-Punkt überhaupt ins EU-Mandat stehen zu haben. luk

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Presseschau

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Heads

Martin Schirdewan – Der Linke für Berlin und Brüssel

Man sieht Martin Schirdewan im Porträt vor einer Glasfront.
Martin Schirdewan, Co-Vorsitzender der Linken in Berlin und Mitglied des Europäischen Parlaments.

Knapp sieben Stunden, so lange dauert eine Zugfahrt zwischen Brüssel und Berlin. Eine Strecke, die Martin Schirdewan inzwischen gut kennt: In Brüssel ist er Abgeordneter im Europaparlament, in Berlin ist er Co-Vorsitzender der Linken. Seit Juni leitet der 47-Jährige die Partei neben Janine Wissler, und spielt damit eine seltene Doppelrolle zwischen Brüssel und Berlin.

“Ich war immer ein sehr politischer Mensch”, sagt Schirdewan über sich selbst. Er studiert Politikwissenschaften in Berlin, arbeitet schon während des Studiums für die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Später schreibt er für die Jugendzeitung des Neuen Deutschland und die Zeitschrift “antifa”. In der Linken ist er seit 2012 Teil des Parteivorstandes, 2017 zieht er ins Europaparlament ein und ist dort Teil der Fraktion der Linken im Europäischen Parlament (GUE/NGL).

Schirdewans Großvater ist Karl Schirdewan, ehemaliges Mitglied des SED-Zentralkomitees in der DDR. “Die politischen Diskussionen mit meinen Großeltern haben mich geprägt”, sagt Schirdewan, “vor allem, wenn wir unterschiedliche Positionen hatten.”

Ein EU-Vorteil für die Partei

Ein Parteivorsitzender, der gleichzeitig Abgeordneter in Brüssel ist – Schirdewan hält das für einen Vorteil: “Ich denke, dass das für meine Partei ein Gewinn sein kann und wird.” Themen wie die Energie- und die Klimakrise würden eben in Berlin wie auch in Brüssel verhandelt. Schirdewan will seine europäische Sichtweise einbringen. Er will zeigen, was die Linke in Deutschland von den anderen linken Parteien in Spanien oder Kroatien lernen kann.

Gerade bestimmt die Energiekrise die politischen Debatten, normalerweise bezeichnet Schirdewan die Steuergerechtigkeit als eines seiner wichtigsten Themen. Er sitzt im Ausschuss für Wirtschaft und Währung, beschäftigt sich mit der EU-Digitalsteuer und dem Thema Geldwäsche.

Im EU-Parlament hat Schirdewan gegen eine Aufnahme der Ukraine in die EU gestimmt. In der gleichen Resolution sprach sich das Parlament auch für Waffenlieferungen an die Ukraine und eine Stärkung der Nato aus – die Linke und Martin Schirdewan sind dagegen. Die Linke fordert eine diplomatische Lösung und die europäische Abrüstung.

Schirdewan kritisiert die europäischen Schuldenregeln und fordert mehr Rechte für das Parlament. Von außen sei oft nur schwer zu erkennen, wie sich die Fraktionen positionieren. Abgeordnete sollen deshalb Gesetzesvorschläge machen können, sagt Schwirdewan: “Es wäre schön, wenn wir nicht nur kluge Vorschläge unterbreiten, sondern auch echte Initiativen einbringen könnten.” Jana Hemmersmeier

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    • COP27: Inselstaaten kritisieren EU-Verhandlungsmandat
    • Heads: Martin Schirdewan – Der Linke für Berlin und Brüssel
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    Schulden abbauen und gleichzeitig Investitionen stemmen, das ist das Kunststück, das bei der Reform der europäischen Schuldenregeln gelingen muss. Am 9. November will die Kommission nun ihren Vorschlag zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts vorlegen. Christof Roche hat herausgefunden, welche Regeln sich abzeichnen.

    Heute endet vorerst das Mandat der Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen. Meine Kollegin Leonie Düngefeld blickt zurück auf die spannungsreiche Arbeit der Mitglieder und erklärt, wie es im nächsten Jahr weitergeht – oder auch nicht.

    Ebenfalls heute stellt die Expertenkommission Gas und Wärme der Bundesregierung ihr finales Entlastungskonzept vor. Dem Ansatz aus dem Zwischenbericht wird das Kabinett allerdings nicht ganz folgen können. Für große Industrieunternehmen muss es den neuen befristeten Krisenrahmen beachten, den die EU-Kommission am Freitag angenommen hat. Lesen Sie in den News, wo Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager strengere Vorgaben macht.

    Steuerung sind eines der zentralen Themen von Martin Schirdewan. Der Europaparlamentarier ist Co-Vorsitzender der deutschen Linken und spielt damit eine seltene Doppelrolle zwischen Brüssel und Berlin. Für welche Positionen er sich noch einsetzt, lesen Sie im Porträt.

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    Wie Europe.Table aus Kommissionskreisen erfuhr, will die Brüsseler Behörde ihre Mitteilung zur Reform der Fiskalregeln am 9. November präsentieren. Derzeit würden die Dokumente intern abgestimmt. Die Kreise zeigten sich zuversichtlich, zügig einen Konsens unter den Mitgliedstaaten herstellen zu können. Die Regierungen seien in den vergangenen Wochen und Monaten eng eingebunden gewesen. Das erforderliche Legislativpaket zur Überarbeitung des Stabilitäts- und Wachstumspakts könnte dann im ersten Quartal 2023 präsentiert werden. Eine erste Aussprache im Kreis der EU-Finanzminister sei bereits für den Dezember-Ecofin vorgesehen, hieß es.

    EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni hatte zuletzt am 10. Oktober auf einer Veranstaltung in Rom die Notwendigkeit überarbeiteter Haushaltsregeln unterstrichen. Europa stehe vor einem herausfordernden Winter, “da der russische Krieg andauert, die Energiepreise sehr hoch bleiben und die Inflation neue Rekorde erreicht”. Zudem habe die Pandemie eine deutlich höhere öffentliche und private Verschuldung hinterlassen. Die Notwendigkeit, Haushaltspuffer wieder aufzubauen, sei klar. Strategien zum Schuldenabbau müssten jedoch realistisch sein, wenn sie Stabilität gewährleisten und das Wachstum unterstützen sollten.

    “Wir haben zwei Berge vor uns, einen Berg von Schulden und einen Berg von Investitionen, und wie wir diese miteinander in Einklang bringen, ist eine zentrale Herausforderung, der wir uns bei der Reform unserer Vorschriften stellen müssen”, sagte der EU-Kommissar. In Kreisen der Behörde hieß es, die Grundidee sei, die äußerst komplexen Haushaltsregeln der EU zu vereinfachen und gleichzeitig die Durchsetzung zu verschärfen.

    Mehr Eigenverantwortung für Mitgliedstaaten

    Dazu sollen die Mitgliedstaaten mehr Eigenverantwortung für ihre Schuldenabbaupläne übernehmen. Laut den Kreisen zielen die Überlegungen der Kommission darauf ab, dass die EU-Behörde bilateral einem EU-Mitgliedsland einen Vierjahresplan vorlegt, um seine Staatsschuldenlast auf einen glaubwürdigen Abwärtspfad zu bringen.

    Das Mitgliedsland kann den Plan annehmen oder aber einen Gegenvorschlag einreichen – mit einer maximalen Laufzeit von sieben Jahren. Gentiloni hatte in Rom unterstrichen, um eine größere nationale Eigenverantwortung zu gewährleisten, könne den Mitgliedstaaten ein größerer Spielraum bei Vorschlägen für haushaltspolitische Pfade eingeräumt werden, sofern gemeinsame EU-Grundsätze – nicht zuletzt die Schuldentragfähigkeit – eingehalten würden.

    So könnten etwa Reform- und Investitionszusagen eine längere Haushaltsanpassungsphase ermöglichen. Dies wäre auch ein Weg, “um sicherzustellen, dass sich die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen und das Wachstum gegenseitig verstärken können”, so der EU-Kommissar.

    Regel zum Schuldenabbau wird gestrichen

    Den Kreisen zufolge will die Kommission mit dem neuen Ansatz die bisherige EU-Regel streichen, die eine Senkung der Schuldenquoten um ein Zwanzigstel pro Jahr durch Mitgliedstaaten mit Schulden über der EU-Obergrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verlangt. Diese Forderung habe sich als zu rigide erwiesen, zumal die öffentlichen Schuldenquoten seit der Pandemie dramatisch gestiegen seien. Auch der Rückgriff auf eine Reduktion des strukturellen Defizits solle beendet werden, da dieses Vorgehen zu komplex sei. Stattdessen wolle die Kommission in jedem nationalen makrofiskalischen Pan einen Nettoausgabenpfad über mehrere Jahre festschreiben.

    Als vorrangige Kennziffer sollen dabei die Nettoprimärausgeben eines Landes dienen, also die Ausgaben ohne die Einrechnung nicht geplanter Einnahmen und ohne Zinsaufwendungen sowie Ausgaben für zyklisch bedingte Arbeitslosigkeit. Mit den neuen Vorschriften würden die bisherigen Referenzwerte der EU nicht angetastet, wie die Obergrenze für ein öffentliches Defizit von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts und eine Schuldenquote von 60 Prozent des BIP, die beide im EU-Vertrag festgeschrieben sind. Nach der Vereinbarung eines Schuldenplans mit einem Mitgliedstaat soll es jährliche Fortschrittskontrollen geben.

    Staatsverschuldung rückt stärker in den Fokus

    Sollte ein Land gegen den im Mehrjahresplan mit Kommission und Rat vereinbarten Nettoausgabenpfad oder andere Eckpunkte verstoßen, droht die Kommission mit Einleitung eines Haushaltsstrafverfahrens. Dabei soll die Entwicklung der Staatsverschuldung deutlich stärker in den Fokus rücken und Verfahren könnten somit aufgrund der Schuldenquote eines Landes gestartet werden, was bislang nicht der Fall gewesen sei, unterstrichen die Kreise. In der Vergangenheit seien die Verfahren ausschließlich aufgrund einer überhöhten Neuverschuldung der Mitgliedstaaten eröffnet worden.

    Die Kommission und die Mitgliedstaaten stehen unter Druck, ein neues Regelwerk auf den Weg zu bringen, da die aktuelle Aussetzung der EU-Fiskalvorschriften aufgrund der Pandemie bis Ende kommenden Jahres ausgesetzt ist. Beobachter in Brüssel halten es allerdings für wenig realistisch, die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts bis Ende 2023 abzuschließen. So habe beispielsweise Berlin erhebliche Bedenken, die Verhandlungen für die mehrjährigen länderspezifischen Fiskalpläne ausschließlich der Kommission und dem betroffenen Mitgliedsland zu überlassen. Christof Roche

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    Plattform für nachhaltige Finanzen: Ende eines turbulenten Mandats

    Mit dieser Art von Turbulenzen hätten die Mitglieder der Plattform für nachhaltiges Finanzwesen sicher nicht gerechnet, als das Beratungsgremium im Oktober 2020 seine Arbeit aufnahm. 57 Expertinnen und Experten aus Industrie, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und dem Finanzsektor, darunter sieben direkt ernannte Mitglieder öffentlicher Einrichtungen wie der Europäischen Investitionsbank oder der Europäischen Umweltagentur, haben seitdem die Kommission in der Entwicklung ihrer nachhaltigen Finanzpolitik beraten. Deren Vorgehen verursachte jedoch teilweise großen Ärger.

    Vier von sechs Arbeitsgruppen der Plattform hatten im Herbst 2020 direkt mit ihren Aufgaben begonnen. Zwei weitere Untergruppen werden erst 2023 eingesetzt, da sie verfügbare Daten für ihre Arbeit benötigen. Auf der Grundlage eines ersten Berichts der Plattform von 2021 veröffentlichte die Kommission bereits einen ersten delegierten Rechtsakt, der Kriterien für die ersten beiden Taxonomie-Ziele (Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel) vorgibt.

    Ein weiterer Rechtsakt, der sich den übrigen vier Zielen (nachhaltige Nutzung von Wasserressourcen, Wandel zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung von Umweltverschmutzung und Schutz von Ökosystemen und Biodiversität) widmet, wird im kommenden Jahr erwartet. Ein letzter Bericht der technischen Arbeitsgruppe der Beratungsplattform mit Empfehlungen für die technischen Prüfkriterien steht noch aus. Im Oktober hat die Plattform ihren Bericht über Minimum Safeguards sowie einen Bericht mit Empfehlungen in Bezug auf Datenerhebung und Verwendbarkeit der Taxonomie-Berichtspflichten veröffentlicht.

    Zu wenig Ressourcen eingeplant

    Schon als der erste Delegierte Rechtsakt beschlossen wurde, äußerten mehrere Expertinnen Bedenken und den Wunsch, einige der Kriterien des Rechtsakts zu überarbeiten. Dies ist eigentlich auch Aufgabe der Plattform – doch dafür war keine Zeit, hört man von Mitgliedern der Plattform. Alle Kapazitäten seien für die Erarbeitung der Kriterien für die übrigen vier Ziele der Taxonomie benötigt worden.

    Nancy Saich, Klimaschutzexpertin der Europäischen Investitionsbank (EIB), erklärt im Gespräch mit Europe.Table: “Mein Eindruck nach zwei Jahren Arbeit in der Plattform ist, dass die Ressourcen, die man braucht, um Taxonomiekriterien für so viele Sektoren zu entwickeln, viel größer sind, als man zunächst dachte.”

    Es gab viel mehr Beteiligte zu konsultieren, mehr Wissen in den Prozess einzubringen; schließlich ging es nach dem ersten Rechtsakt nicht mehr um nur zwei Ziele, sondern um vier. “Diese Ziele sind in der Finanzwelt weniger gut berücksichtigt worden: Die Klimafinanzierung war global schon recht gut definiert, aber es gab kein Äquivalent für den Rest des grünen Bereichs”, sagt Saich.

    “Natürlich lief nicht alles glatt”, sagt auch Thierry Philipponnat, der die NGO Finance Watch in der Plattform vertritt. “Es gab einige Schwierigkeiten. Aber die Arbeit wurde erledigt.” Und Aufgabe der Plattform sei lediglich, die Kommission zu beraten. Diese sei nicht dazu verpflichtet, dann entsprechend der Empfehlungen zu handeln.

    Kommission missachtet eigene Regeln

    Der Vorwurf, den man inner- und außerhalb der Plattform immer wieder hört: Die Kommission habe sich nicht an ihre eigenen Regeln gehalten. Die Taxonomie-Verordnung verpflichtet die Kommission, technische Bewertungskriterien festzulegen, die “auf verfügbaren wissenschaftlichen Nachweisen beruhen”. Zudem gilt, sofern sich ein Risiko nicht mit hinreichender Sicherheit anhand einer wissenschaftlichen Bewertung bestimmen lässt, das Vorsorgeprinzip: Denkbare Schäden für die Umwelt sollen im Voraus vermieden werden.

    Durch den delegierten Rechtsakt besteht etwa in der Definition von nachhaltiger Stromerzeugung nun kein einheitlicher, auf den Empfehlungen beruhender Maßstab: Während alle Stromquellen als nachhaltig gelten, sofern sie weniger als 100 Gramm CO2 pro Kilowattstunde ausstoßen, liegt diese Grenze für die Stromerzeugung aus Erdgas bei 270 Gramm CO2 pro Kilowattstunde.

    “Wenn Sie beispielsweise in einer Müllverbrennungsanlage Strom erzeugen, sind Sie mit 200 Gramm CO2 pro Kilowattstunde nicht nachhaltig, bei Gas aber mit bis zu 270 Gramm”, sagt Philipponnat. “Wir als Experten der Plattform haben die Kommission darauf hingewiesen, dass das nicht kohärent ist.”

    In der Frage der Atomkraft ging es nicht um CO2-Grenzwerte, sondern um die Möglichkeit erheblicher Umweltschäden aufgrund des Atommülls und des Risikos schwerer Unfälle – also um die Missachtung des “Do No Significant Harm”-Kriteriums und des Vorsorgeprinzips der Taxonomie.

    “Es gab keine richtige Studie, keine Empfehlungen der Plattform”, ergänzt Philipponnat – dabei muss die Kommission, bevor sie eine Entscheidung trifft, diese erst abwarten. Stattdessen sahen einige Mitglieder der Plattform am Abend des 31. Dezember 2021 zufällig den Entwurf des Komplementären Rechtsakts in ihrem E-Mail-Postfach, mit der Bitte, innerhalb von einer Woche eine Stellungnahme zu liefern. Die Frist wurde schließlich auf drei Wochen verlängert, doch die Kommission hatte durch dieses Vorgehen deutliche Spannungen und Ärger unter den Mitgliedern der Plattform heraufbeschworen.

    Experten aus NGOs verlassen Plattform

    Als im Sommer auch das Parlament zugunsten des Rechtsaktes stimmte, brachte dies das Fass für einige Mitglieder der Plattform zum Überlaufen: Fünf zivilgesellschaftliche Experten verließen die Plattform. Im September verkündeten das WWF European Policy Office, der Europäischer Verbraucherverband (BEUC), Birdlife Europe and Central Asia, die European Coalition of Standards (ECOS) und Transport & Environment (T&E) in einem Schreiben an Finanzkommissarin McGuinness ihren Austritt aus der Plattform.

    “Die Beziehungen zwischen der Kommission und der Plattform waren sehr unbefriedigend”, hieß es in dem Brief. Die Kommission hätte sich mehrfach politisch in die Arbeit der Plattform eingemischt. Außerdem hätte sie wiederholt die Empfehlungen der Expertengruppe ignoriert, ohne diese Entscheidungen wissenschaftlich fundiert zu begründen. Die Aufnahme von Erdgas und Atomkraft hätte zudem die Glaubwürdigkeit der Taxonomie schwer beschädigt.

    Ein weiterer Grund für den Austritt: Die Organisationen befürchten, die zukünftige Plattform könnte in ihrer Unabhängigkeit eingeschränkt und stärker von der Kommission beeinflusst werden. Die Kommission plane, das Mandat auf die Umsetzung der aktuellen Kriterien zu beschränken und die Mitgliederzahl zu reduzieren. “Dies könnte der Plattform jede Möglichkeit nehmen, ihre unabhängigen Empfehlungen zur Erweiterung der Taxonomie über nachhaltige Aktivitäten hinaus oder auf soziale Fragen auszudehnen”, warnen die Experten.

    Tatsächlich wird die Plattform im kommenden Mandat kleiner sein als bisher: Neben den sieben permanenten Mitgliedern wird es in dieser Runde nur 35 statt 50 ausgewählte Mitglieder geben. Allerdings sei der größte Teil der Arbeit bereits erledigt, sagt Thierry Philipponnat. Für den verbleibenden, sehr technischen Teil brauche es also auch weniger Kapazitäten.

    Weniger Mitglieder, mehr Arbeitsgruppen

    Noch bis zum 9. November läuft das Bewerbungsverfahren für die neue Plattform, deren Mandat Anfang 2023 beginnen soll. Die Kommission hat drei Schwerpunkte für die Arbeit der neuen Expertinnengruppe definiert:

    • die Nutzbarkeit der Taxonomie und des umfassenderen EU-Rahmens für nachhaltige Finanzen;
    • die Entwicklung zusätzlicher technischer Screening-Kriterien der Taxonomie für alle sechs Umweltziele und gegebenenfalls zu möglichen Überarbeitungen und/oder Aktualisierungen der Kriterien
    • die Umsetzung spezifischer politischer Maßnahmen der Strategie zur Finanzierung des Übergangs zu einer nachhaltigen Wirtschaft, insbesondere die Überwachung der Kapitalströme in nachhaltige Investitionen.

    Zwei weitere Untergruppen zur Überprüfung der Verordnung und zur Überwachung der Kapitalströme werden dafür ihre Arbeit aufnehmen.

    “Die neue Plattform wird in einem anderen Kontext arbeiten, da die Entwicklung der technischen Screening-Kriterien im Rahmen der EU-Taxonomie erheblich vorangekommen ist und die Märkte begonnen haben, die Taxonomie und andere Vorschriften und Instrumente für nachhaltige Finanzen anzuwenden”, erklärt eine Sprecherin der Kommission auf Anfrage von Europe.Table. “In diesem neuen Kontext wird die Umsetzung und Nutzbarkeit der EU-Taxonomie und des umfassenderen Rahmens für nachhaltige Finanzen zur wichtigsten Priorität.”

    Nun fehlt lediglich noch der zweite Bericht der technischen Arbeitsgruppe, in dem sie Empfehlungen zur Aktualisierung bestimmter technischer Prüfkriterien und zur Entwicklung von Kriterien für zusätzliche Aktivitäten (darunter Bergbauaktivitäten) festhält. Im Frühling haben die zuständigen Untergruppen der Plattform den finalen Bericht über die soziale Taxonomie und über die ökologische Übergangstaxonomie vorgelegt. Was aus diesen Vorhaben wird, bleibt offen. Die Kommission erklärt auf Anfrage von Europe.Table, sie analysiere und prüfe derzeit beide Berichte – diese lieferten “Anregungen für weitere Überlegungen”, würden aber keiner Entscheidung oder Maßnahme vorgreifen.

    Kaum jemand rechnet jedoch damit, dass die Kommission in nächster Zeit tätig wird (Europe.Table berichtete). “Der politische Appetit der Kommission, eine erweiterte Taxonomie und eine Sozialtaxonomie voranzutreiben, ist zurzeit sehr gering”, sagt Thierry Philipponnat. “Ich bedaure das, aber ich denke, dass es in dieser Kommission und diesem Parlament nicht passieren wird“.

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    Krisenrahmen: Kommission ermöglicht höhere Beihilfen

    Vor dem Hintergrund der Energiekrise hat die Kommission den befristeten Krisenrahmen bis Ende 2023 verlängert. Am 28. Oktober veröffentlichte die Generaldirektion Wettbewerb die zweite Änderung des Temporary Crisis Framework (TCF). Darin werden die zulässigen Höchstbeiträge für staatliche Beihilfen gegenüber der früheren Version stark erhöht (Table.Media berichtete). Allerdings folgt der Krisenrahmen für große Industrieunternehmen weiterhin einer anderen Förderlogik als die Expertenkommission Gas und Wärme der Bundesregierung, die heute ihren Abschlussbericht vorstellt.

    Für alle Unternehmen außerhalb des Agrarsektors steigen die zulässigen Beihilfebeträge von 400.000 auf zwei Millionen Euro. Noch weiter heraufgesetzt wurden die zulässigen Beihilfen für energiebedingte Mehrkosten. Für Unternehmen aller Sektoren steigt der Höchstbetrag von zwei auf vier Millionen Euro. Für noch höhere Beihilfen stellt das TCF allerdings Anforderungen, die über die bisher bekannten Ansätze der deutschen Gaskommission hinausgehen.

    Abweichungen von der Gaskommission

    Beihilfen für energieintensive Betriebe sind künftig zwar in Höhe von bis zu 150 statt 50 Millionen Euro zulässig. Zudem sind höhere Beihilfen an Unternehmen nicht mehr unbedingt an das Kriterium der Energieintensität geknüpft. Allerdings dürfen Beihilfen, die über zwei bzw. vier Millionen hinausgehen, nur ausgezahlt werden, wenn die Unternehmen bestimmte Gewinnrückgänge nachweisen. Außerdem ist der Anteil der übernahmefähigen Kosten gestaffelt und nicht pauschal für alle Unternehmen gleich. Zudem ist für die Ermittlung der beihilfefähigen Kosten eine bestimmte Formel zu beachten.

    Den Mitgliedstaaten steht es zunächst frei, ob sie den Energieverbrauch 2021 oder 2022 zugrunde legen. Der Streit darüber hatte dazu beigetragen, dass sich das TCF verzögerte. Einige Mitgliedstaaten wollten Anreize zum Gassparen erhalten, andere aber die Produktion ihrer Industrie so weit wie möglich unterstützen. Ab 1. September 2022 müssen die Mitgliedstaaten nun 70 Prozent des Verbrauchs im vergleichbaren Zeitraum 2021 als Basis wählen. Damit will die Kommission offensichtlich mehr Druck beim Energiesparen machen.

    Der Beihilferahmen setzt außerdem die Verordnung des Rates zum Stromsparen um. Ermöglicht und näher ausbuchstabiert werden im TCF nun Ausschreibungen zum Stromsparen oder zur zeitlichen Verlagerung des Verbrauchs.

    Auch die Beihilfe für Energieversorger wird gelockert. So könnten die EU-Staaten in Ausnahmefällen öffentliche Garantien von mehr als 90 Prozent bereitstellen, um deren Liquidität zu verbessern und die Teilnahme am Energiehandel zu sichern. Dies soll auch dazu beitragen, hohe Preisausschläge einzudämmen. ber

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    Borrell verurteilt Getreideblockade

    Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat Russlands erneute Blockade von ukrainischen Getreideexporten über das Schwarze Meer kritisiert. Die Entscheidung gefährde “die wichtigste Exportroute für dringend benötigtes Getreide und Düngemittel zur Bewältigung der durch den Krieg gegen die Ukraine verursachten weltweiten Nahrungsmittelkrise”, schrieb der EU-Chefdiplomat am Sonntag auf Twitter. Die EU fordere Moskau dringend dazu auf, die Entscheidung rückgängig zu machen.

    Am Nachmittag sprach Borrell auch mit UN-Generalsekretär António Guterres. Es sei um die Koordinierung von Maßnahmen zur Gewährleistung der Getreide- und Düngemittelausfuhr aus der Ukraine gegangen. Die EU werde ihren Beitrag zur Bewältigung der globalen Nahrungsmittelkrise leisten.

    Russland hatte am Wochenende die Aussetzung eines im Juli unter Vermittlung der Türkei und der UN geschlossenen Abkommens verkündet. Es hatte die monatelange Blockade der ukrainischen Getreideausfuhren im Zuge des russischen Angriffskrieges beendet. Als Grund für die Aussetzung gab Russland Drohnenangriffe auf die Schwarzmeerflotte in der Stadt Sewastopol auf der 2014 von Moskau völkerrechtswidrig annektierten Halbinsel Krim an.

    EU-Justizkommissar Didier Reynders sagte unterdessen dem “Hamburger Abendblatt” vom Samstag, die vom Westen eingefrorenen Vermögen des russischen Staates und von Oligarchen könnten beim Wiederaufbau in der Ukraine helfen. So könne der Westen 300 Milliarden Euro aus Devisenreserven der russischen Zentralbank so lange als Garantie behalten, “bis Russland sich freiwillig am Wiederaufbau der Ukraine beteiligt”.

    Bisher habe die EU im Zuge der Sanktionspakete gegen Russland außerdem mehr als 17 Milliarden Euro russisches Vermögen eingefroren. “Bislang wurde das Vermögen von 90 Personen eingefroren, über 17 Milliarden Euro in sieben Mitgliedstaaten, davon 2,2 Milliarden Euro in Deutschland.” dpa

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    Gaspaket: Parlament positioniert sich erst 2023

    Das Parlament verschiebt seine Beschlüsse zum Gasbinnenmarktpaket. Der Industrieausschuss wird seinen Bericht zu der Verordnung und der Richtlinie nicht wie geplant Ende November verabschieden, sondern erst am 24. Januar. Darauf haben sich die Berichterstatter Jens Geier (SPD) und Jerzy Buzek (EVP) am Freitag geeinigt, wie Europe.Table erfuhr. Das Plenum soll seine Position nun im Februar festlegen.

    In der Gasmarkt-Verordnung soll das Verhandlungsteam nach einer Entscheidung der ITRE-Koordinatoren auch die jüngsten Legislativvorhaben zur Energiekrise berücksichtigen. Das betrifft vor allem den Kommissionsvorschlag vom 18. Oktober zum gemeinsamen Gaseinkauf und zu solidarischen Gaslieferungen zwischen den Mitgliedstaaten.

    Grund für die Verschiebung sind aber auch die langwierigen Abstimmungen in den regulären Teilen des umfangreichen Pakets, das die Kommission am 15. Dezember 2021 vorgelegt hatte. Die Legislativvorschläge sollen vor allem den Aufbau von Wasserstoffinfrastruktur regeln. Dazu gehören etwa die Netzplanung und die Entflechtung von Eigentum und Betrieb. ber

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    COP27: Inselstaaten kritisieren EU-Verhandlungsmandat

    Ein Bündnis aus Inselstaaten aus aller Welt hat die EU für ihre schwache Haltung beim Thema “Loss and Damage” kritisiert. Die Alliance of Small Island States (AOSIS) sagte zu Europe.Table, der im EU-Mandat für die COP27 enthaltene Absatz über Verluste und Schäden entspreche nicht dem Glasgow-Dialog. Der im vergangenen Jahr bei der COP26 angeregte und im Juni dieses Jahres erstmals durchgeführte Glasgow-Dialog beinhaltet Diskussionen über mögliche Finanzierungsinstrumente zur “Abwendung, Minimierung und Behebung” von Verlusten und Schäden.

    Die Mitgliedstaaten der EU hatten sich vergangene Woche auf ihre Verhandlungspositionen für die UN-Klimakonferenz in Sharm el-Sheikh geeinigt (Europe.Table berichtete). Darin sprachen sich die EU-Länder zwar dafür aus, den Umgang mit den Kosten von Verlusten und Schäden in Folge des Klimawandels auf die COP27-Agenda zu setzen und über das Thema zu sprechen. Allerdings ließen sie offen, ob sie auch bereit sind, über konkrete Finanzierungsinstrumente zur Unterstützung der Länder, die am meisten von den Klimawandelauswirkungen betroffen sind, zu sprechen.

    Die AOSIS sieht darin einen Widerspruch zur Einigung auf den Glasgow-Dialog. Dass die Fragen nach der Finanzierung von Schäden und Verlusten auf “Gespräche” beschränkt werden, sei unakzeptabel, erklärte eine Sprecherin.

    Entwicklungsländer fordern seit einigen Jahren, dass Industrienationen als Hauptverursacher des Klimawandels auch finanziell Verantwortung für Verluste und Schäden im globalen Süden übernehmen. Die USA und auch einige EU-Staaten scheuen sich bislang vor einem solchen Schritt, da sie befürchten, für Naturkatastrophen wie Dürren und Überschwemmungen haftbar gemacht werden zu können.

    Loss and Damage als Agenda-Punkt sei bereits ein Erfolg

    Auch aus NGOs kommt Kritik an der vagen Positionierung der EU. Man sei enttäuscht, dass die EU-Staaten nicht die Position des Europäischen Parlaments aufgreifen, aktiv die Modalitäten für eine Fazilität zur Finanzierung von Verlusten und Schäden zu erkunden, heißt es vom Climate Action Network (CAN) Europe. Die bisherigen Finanzierungsinstrumente seien zwar wichtig, doch es brauche neue und zusätzliche Möglichkeiten zur Klimafinanzierung, fordert die Organisation.

    Jacob Werksman, Chef-Unterhändler der EU-Kommission in Sharm el-Sheikh, erklärte auf Nachfrage des Europe.Table, er verstehe, dass das EU-Mandat den Eindruck erwecke, dem Thema nicht ausreichend Beachtung zu schenken. Jedoch wies er auf langwierige EU-interne Diskussionen mit den Mitgliedstaaten sowie mit den USA hin, das Thema Loss and Damage überhaupt auf die Agenda zu bringen. Daher bezeichnete er es als Erfolg, den Agenda-Punkt überhaupt ins EU-Mandat stehen zu haben. luk

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    EU-Vize Margrethe Vestager warnt vor langfristigen Energiehilfen SUEDDEUTSCHE
    Getreideabkommen: EU und USA kritisieren russische Blockade TAGESSCHAU
    31.000 Firmen in der Europäischen Union in russischer Hand SPIEGEL
    EU-Kommissar: 17 Milliarden Euro Russisches Vermögen eingefroren ZDF
    EU-Justizkommissar Reynders: Eingefrorene russische Vermögenswerte könnten für Wiederaufbau genutzt werden DEUTSCHLANDFUNK
    Olaf Scholz ist überfordert mit Europa NZZ
    Politisches Patt erzwingt Neuwahl in Nordirland SUEDDEUTSCHE
    Zehntausende demonstrierten in Prag gegen tschechische Regierung und die EU DER STANDARD
    EU-Plan bisher nicht umgesetzt: Die Zeitumstellung wurde doch nicht abgeschafft TAGESSPIEGEL
    iPhone mit USB-C kommt: Apple nicht glücklich über EU-Zwang T3N
    Drohender Diesel-Engpass in EU: Warum sind die Niederlande gerüstet? DE
    Trotz Krieg gegen Ukraine: Serbien steht zwischen der EU und Russland ZDF
    Baerbock will mit Besuch in Kasachstan und Usbekistan Zeichen für EU-Annäherung setzen HANDELSBLATT
    Nach Fischsterben im Sommer: Salzgehalt in Oder wieder zu hoch SPIEGEL
    Computer in Parlamenten von Polen und Slowakei nach Cyber-Angriffen außer Betrieb DEUTSCHLANDFUNK
    Italien: Giorgia Meloni bremst den Schuldenabbau. FAZ

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    Martin Schirdewan – Der Linke für Berlin und Brüssel

    Man sieht Martin Schirdewan im Porträt vor einer Glasfront.
    Martin Schirdewan, Co-Vorsitzender der Linken in Berlin und Mitglied des Europäischen Parlaments.

    Knapp sieben Stunden, so lange dauert eine Zugfahrt zwischen Brüssel und Berlin. Eine Strecke, die Martin Schirdewan inzwischen gut kennt: In Brüssel ist er Abgeordneter im Europaparlament, in Berlin ist er Co-Vorsitzender der Linken. Seit Juni leitet der 47-Jährige die Partei neben Janine Wissler, und spielt damit eine seltene Doppelrolle zwischen Brüssel und Berlin.

    “Ich war immer ein sehr politischer Mensch”, sagt Schirdewan über sich selbst. Er studiert Politikwissenschaften in Berlin, arbeitet schon während des Studiums für die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Später schreibt er für die Jugendzeitung des Neuen Deutschland und die Zeitschrift “antifa”. In der Linken ist er seit 2012 Teil des Parteivorstandes, 2017 zieht er ins Europaparlament ein und ist dort Teil der Fraktion der Linken im Europäischen Parlament (GUE/NGL).

    Schirdewans Großvater ist Karl Schirdewan, ehemaliges Mitglied des SED-Zentralkomitees in der DDR. “Die politischen Diskussionen mit meinen Großeltern haben mich geprägt”, sagt Schirdewan, “vor allem, wenn wir unterschiedliche Positionen hatten.”

    Ein EU-Vorteil für die Partei

    Ein Parteivorsitzender, der gleichzeitig Abgeordneter in Brüssel ist – Schirdewan hält das für einen Vorteil: “Ich denke, dass das für meine Partei ein Gewinn sein kann und wird.” Themen wie die Energie- und die Klimakrise würden eben in Berlin wie auch in Brüssel verhandelt. Schirdewan will seine europäische Sichtweise einbringen. Er will zeigen, was die Linke in Deutschland von den anderen linken Parteien in Spanien oder Kroatien lernen kann.

    Gerade bestimmt die Energiekrise die politischen Debatten, normalerweise bezeichnet Schirdewan die Steuergerechtigkeit als eines seiner wichtigsten Themen. Er sitzt im Ausschuss für Wirtschaft und Währung, beschäftigt sich mit der EU-Digitalsteuer und dem Thema Geldwäsche.

    Im EU-Parlament hat Schirdewan gegen eine Aufnahme der Ukraine in die EU gestimmt. In der gleichen Resolution sprach sich das Parlament auch für Waffenlieferungen an die Ukraine und eine Stärkung der Nato aus – die Linke und Martin Schirdewan sind dagegen. Die Linke fordert eine diplomatische Lösung und die europäische Abrüstung.

    Schirdewan kritisiert die europäischen Schuldenregeln und fordert mehr Rechte für das Parlament. Von außen sei oft nur schwer zu erkennen, wie sich die Fraktionen positionieren. Abgeordnete sollen deshalb Gesetzesvorschläge machen können, sagt Schwirdewan: “Es wäre schön, wenn wir nicht nur kluge Vorschläge unterbreiten, sondern auch echte Initiativen einbringen könnten.” Jana Hemmersmeier

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    Europe.Table Redaktion

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