Table.Briefing: Europe

Net-Zero Industry Act + Schuldenregeln + E-Fuels

Liebe Leserin, lieber Leser,

ob Ursula von der Leyen seine Unterstützung für eine zweite Amtszeit habe, wurde Olaf Scholz bei der Kabinettsklausur in Meseberg gefragt. Die Kommissionspräsidentin stand dabei direkt neben ihm. Die 64-Jährige hat dem Vernehmen nach noch nicht entschieden, ob sie sich den Knochenjob weitere fünf Jahre antun will. Sie könnte die Kanzlerworte aber durchaus als Ermunterung verstanden haben, ihren Hut für den Posten der Spitzenkandidatin in der christdemokratischen Parteienfamilie EVP in den Ring zu werfen: “Ich glaube”, sagte Scholz im Hinblick auf die EVP, “sie halten an dem Spitzenkandidaten-Prinzip fest.” Sprach’s und zeigte sein verschmitztes Scholz-Lächeln.

Reinen Wein schenkte von der Leyen dem Bundeskabinett ein: Sie stellte vor, welche Maßnahmen Brüssel im Köcher hat, um die Clean-Tech-Industrien in Europa zu halten und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu steigern. Für meine Analyse dazu konnte ich bereits einen Blick in den Entwurf des Net-Zero Industry Act werfen, den die Kommission Mitte März beschließen will.

Christoph Roche hat für seine Analyse zur Reform der EU-Schuldenregeln vorab den Entwurf der Schlussfolgerungen beim Treffen der Finanzminister bekommen. Sein Fazit: Die Minister werden die Debatte vor dem regulären EU-Gipfel Ende März nicht weiter austragen. Der Streit dürfte aber wieder aufflammen, wenn die Kommission nach dem Gipfel ihren Vorschlag vorlegt.

Kommissarin Ylva Johansson will, dass Anbieter von Online- und Telekommunikationsdiensten ihre Inhalte nach Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs durchforsten. Falk Steiner beschreibt in seiner Analyse, wie sich zum CSA-Vorschlag die Meinungsbildung im Europaparlament anlässt und dass es an den Plänen auch Kritik von unerwarteter Seite gibt.

Einen guten Start in die Woche!

Ihr
Markus Grabitz
Bild von Markus  Grabitz

Analyse

Net-Zero Industry Act: Kommission setzt für Klima-Technologien ehrgeizige Ziele

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat dem Bundeskabinett bei der Klausur in Meseberg Maßnahmen vorgestellt, mit der die Kommission die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie bei den Schlüsseltechnologien des Green Deal stärken will. “Es geht darum, die führende Position europäischer Unternehmen im Clean-Tech-Bereich auch angesichts der massiven US-Steuererleichterungen durch den IRA zu verteidigen”, sagte sie. Bei E-Autos sei es bereits gelungen, den Zugang europäischer Hersteller zum US-Markt zu gewährleisten. “Wir müssen noch mit den USA zum Thema Batterie und Batteriekomponenten arbeiten”, sagte von der Leyen bei einer Pressekonferenz mit Olaf Scholz.

Der Kanzler hatte zuvor US-Präsident Joe Biden getroffen. Am Rande des Treffens in Washington hieß es, eine Einigung zwischen EU und USA im Streit um Subventionen im Rahmen des Inflation Reduction Act (IRA) stehe unmittelbar bevor. Dem Vernehmen nach arbeiten Beamte der US-Regierung und der EU-Kommission an einer Vereinbarung, die europäische Batterie-Mineralien für die Steuergutschriften in den USA qualifizieren würde. Verkündet werden könnte der Deal bereits am Freitag, wenn von der Leyen das Weiße Haus besucht.

Von der Leyen kündigt neue Gelder für Clean-Tech an

Die Kommissionspräsidentin kündigte überdies ein größeres Paket für die Wettbewerbsfähigkeit an, das die Behörde Mitte März in Form einer Mitteilung vorstellen werde. Es gehe darum, auch Hürden im Binnenmarkt zu beseitigen, die industrielle Basis zu stärken und den Fachkräftemangel abzubauen. Sie verwies zudem auf Handelsabkommen mit Australien, Mexiko und Mercosur, die die Kommission noch bis zum Ende des Mandats abschließen wolle.

Als Teil des Pakets will die Kommission am 14. März den Net-Zero Industry Act vorstellen. Laut einem Entwurf, den unsere Kollegen von Contexte bekommen haben, will die Kommission den Hochlauf von strategischen Zukunftstechnologien befördern, die das Netto-Null-Ziel der EU beim Ausstoß von Klimagasen im Jahr 2050 sichern. Es handelt sich um folgende Technologien:

  • Photovoltaik und Solarthermie
  • Onshore- und Offshore-Windenergie
  • Batterietechnologie
  • Wärmepumpen
  • grüner Wasserstoff
  • Biomethan
  • Kerntechnologie (Kernspaltung)
  • CO₂-Abscheidung und Speicherung
  • Stromnetze.

Ziel: 40 Prozent des Bedarfs selbst decken

Die Kommission setzt Ziele für den Ausbau der strategischen Net-Zero-Technologien bis zum Jahr 2030. Bis dahin sollen die Produktionskapazitäten in der EU ausreichen, um mindestens 40 Prozent des jährlichen Bedarfs für die Ziele des Green Deal und REPower EU zu decken. Das übergreifende Ziel soll dabei verbindlich sein, die konkreten Produktionsziele für einzelne Bereiche hingegen nur indikativ. Die Mindestziele, gemessen am jährlichen Bedarf in der EU, lauten:

  • 40 Prozent bei Solarpanelen
  • 85 Prozent bei Windkraftanlagen
  • 60 Prozent bei Wärmepumpen
  • 85 Prozent bei Batterien
  • sowie Elektrolyseure zur Produktion der Hälfte des benötigten grünen Wasserstoffs.

Genehmigung der Projekte soll beschleunigt werden

Um den Hochlauf der Technologien zu unterstützen, sollen die Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. Dafür werden Kriterien für sogenannte Net-Zero-Resilience-Projekte aufgestellt. Diese tragen maßgeblich dazu bei, das Netto-Null-Ziel zu erreichen. Die maximale Dauer von Genehmigungsverfahren lauten:

  • 12 Monate für Bau oder Erweiterung eines Projekts mit einer jährlichen Produktionsleistung von mehr als 1 Gigawatt        
  • 9 Monate für Bau oder Erweiterung eines Net-Zero-Resilience-Projekts mit einer jährlichen Produktionsleistung von weniger als 1 Gigawatt        
  • 18 Monate für Bau oder Erweiterung einer Fabrik, die Net-Zero-Technologien mit einer jährlichen Produktionsleistung von mehr als 1 Gigawatt herstellt
  • 12 Monate für Bau oder Erweiterung einer Fabrik, die Net-Zero-Technologien mit einer jährlichen Produktionsleistung von weniger als 1 Gigawatt herstellt
  • bei Technologien wie Carbon Capture and Storage und Kernfusion sollen die Fristen der Genehmigungsverfahren ebenfalls streng gedeckelt werden
  • die Umweltverträglichkeitsprüfungen soll binnen 30 Tagen ab dem Anmelden des Projekts geschehen, für die Konsultation der Bürger soll ebenfalls eine 30-Tage-Frist gelten.

Drei Monate nach Inkrafttreten soll es in jedem Mitgliedstaat One-Stop-Shops geben, in denen Investoren alle Genehmigungen einholen können. Die Kommission will Finanzierungsmöglichkeiten über den Innovationsfonds und über InvestEU schaffen.

  • Green Deal
  • Klima & Umwelt
  • REPowerEU

Schuldenregeln: Mitgliedstaaten vertagen Streit

Die EU-Staaten haben sich im Wirtschafts- und Finanzausschuss des Rates auf einen Entwurf für Schlussfolgerungen zur Reform der europäischen Schuldenregeln verständigt. Der schwedische Ratsvorsitz will die auf technischer Ebene erarbeiteten Schlussfolgerungen, die Table.Media vorliegen, den Finanzministern auf ihrem Treffen am 14. März unterbreiten. EU-Kreise erwarten für das Treffen keine weitere kontroverse Auseinandersetzung. In den Schlussfolgerungen könnten sich sämtliche Teilnehmer wiederfinden.

Damit sind die Unstimmigkeiten über die Neuausrichtung des Stabilitäts- und Wachstumspakt besonders zwischen EU-Kommission und Berlin aber nicht beendet. Der Disput sei vielmehr aufgeschoben und dürfte aufflammen, wenn die Kommission nach dem regulären EU-Gipfel im März ihre legislativen Vorschläge zur Reform der Schuldenregeln vorlegt, hieß es. Bei der letzten Tagung der Finanzminister im Februar war deutlich geworden, dass die Positionen vor allem zwischen Brüssel und Berlin weit auseinander liegen.

Nationale Verantwortung stärken

In den Schlussfolgerungen stellen sich alle Mitgliedstaaten nun grundsätzlich hinter den Vorstoß der Kommission, das Regelwerk zu straffen und die nationale Eigenverantwortung zu einem wesentlichen Element der wirtschaftspolitischen Steuerung zu erheben. Sie sind sich zudem einig, auf eine mehrjährige Finanzplanung umzusteigen. Ferner stimmen sie überein, die haushaltspolitischen Ausgangspositionen und Projektionen der Mitgliedstaaten sowie die wirtschaftlichen Merkmale bei differenzierten haushaltspolitischen Pfaden zu berücksichtigen.

Positiv aus deutscher Sicht in dem Papier: Der jährliche Überwachungszyklus im Rahmen des Europäischen Semesters soll beibehalten werden. Außerdem soll der multilaterale Ansatz gewahrt bleiben – Gleichbehandlung, Transparenz und Berechenbarkeit seien wichtig, heißt es in dem Dokument.

Mittelfristige fiskalische Strukturpläne der EU-Staaten

Konkret sollen die einzelnen Mitgliedstaaten nach der Verabschiedung der neuen Schuldenregeln mittelfristige fiskalische Strukturpläne vorlegen. Diese sollen Fiskalpolitik, Reformen und Investitionen umfassen. Grundlage für den haushaltspolitischen Pfad soll ein einziger operativer Indikator sein: die Nettoprimärausgaben. Der nationale Ausgabenpfad soll dann mit der Kommission entsprechend den haushaltspolitischen Vorstellungen der EU-Behörde abgestimmt werden.

Ziel soll sein, im Mitgliedstaat eine ausreichend rückläufige Schuldenquote zu erreichen, um die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen zu gewährleisten. Gleichzeitig aber sollen Reformen und öffentliche Investitionen gefördert werden.

Der deutschen Haltung kommt entgegen, dass zu diesem Zweck noch “gemeinsame Schutzbestimmungen ausgelotet werden sollen, die einen ausreichenden Schuldenabbau gewährleisten und eine Verlagerung der Haushaltsanstrengungen auf einen späteren Zeitpunkt verhindern sollen.” Ferner sollen die Budgetvorgaben der Kommission “auf einer zu vereinbarenden gemeinsamen Methodik beruhen, die replizierbar, vorhersehbar und transparent ist und eine Analyse der öffentlichen Verschuldung und der wirtschaftlichen Herausforderungen umfassen sollte”, so das Dokument.

Rat soll die Pläne der EU-Staaten prüfen

Zudem sollen die nationalen Konsolidierungspfade der “multilateralen Prüfung und Billigung durch den Rat unterliegen”. Zur Dauer der mittelfristigen Haushaltspläne machen die Staaten keine konkreten Angaben. Die Kommission hatte dazu vier Jahre vorgeschlagen und eine potenzielle Verlängerung auf sieben Jahre in Aussicht gestellt.

Wer reformiert und investiert, der wird mit einer Ausweitung der Pläne belohnt. Dafür setzt sich auch der Rat ein. Gemeint sind Reformen und Investitionen, “die die Wachstumsaussichten oder die Widerstandsfähigkeit verbessern, die öffentlichen Finanzen und damit ihre langfristige Tragfähigkeit stärken und den strategischen Prioritäten der EU, einschließlich der Herausforderungen öffentlicher Investitionen für den grünen und digitalen Übergang und den Aufbau von Verteidigungsfähigkeiten, Rechnung tragen”. Ausgaben für den Verteidigungshaushalt werden damit explizit berücksichtigt.

Einig sind sich die Staaten zudem, bei überhöhter Neuverschuldung in einem Mitgliedstaat einzugreifen. “Das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit auf der Grundlage eines Verstoßes gegen das Defizitkriterium von 3 Prozent soll unverändert bleiben, einschließlich der Bewertung der einschlägigen Faktoren.”Außerdem sollen in Staaten mit überhöhter Verschuldung Verfahren eingeleitet werden, wenn diese von ihrem Zielpfad abweichen. Dazu sollen auch die Sanktionen wirksamer gestaltet werden: “Der anfängliche Geldbetrag der finanziellen Sanktionen sollte gesenkt werden, um eine realistischere Anwendung zu ermöglichen.” 

Verfahren zu makroökonomischen Ungleichgewichten

Ferner betonen die Staaten, das bestehende Verfahren zu makroökonomischen Ungleichgewichten sei “nach wie vor von zentraler Bedeutung für die Aufdeckung, Vermeidung und Korrektur” der Ungleichgewichte. Das Verfahren solle weiterentwickelt werden, “um die Dimension des Verfahrens für das Euro-Währungsgebiet zu stärken.” Auf deutschen Druck hin dürfte vor allem die ausdrückliche Forderung nach weiteren Klarstellungen in den Text eingeflossen sein, darunter zur Definition des Zielpfads der Kommission, zur Festlegung des Ausgabenaggregats sowie zur Formulierung gemeinsamer quantitativer Benchmarks zur Unterstützung der neuen Schuldenregeln.

Zusätzlich müssten die Grundsätze für eine Verlängerung des haushaltspolitischen Pfads, die Rolle der länderspezifischen Empfehlungen, die Durchsetzung nationaler Pläne und Anreize für Reformen und Investitionen konkreter gefasst werden. Die fehlenden Angaben zur Methodologie in zentralen Bereichen der Reform seitens der Kommission hatte der deutsche Finanzminister Christian Lindner zuletzt immer wieder kritisiert. Die Kommission wird von den Mitgliedstaaten jetzt aufgefordert, auf Basis der Schlussfolgerungen ihr Gesetzespaket zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts vorzulegen. Dieses will die Brüsseler Behörde bis spätestens zur Sommerpause präsentieren. Mit Till Hoppe

  • Europäischer Rat
  • Europapolitik
  • Stabilitätspakt

CSA-Verordnung: Scharfe Kritik aus Deutschland an Johansson-Vorschlag

Das Europaparlament macht sich diskussionsbereit: Am morgigen Dienstag endet die Deadline für Änderungsvorschläge im IMCO-Ausschuss zum Bericht des maltesischen Sozialdemokraten Alex Agius Saliba. Der Berichterstatter für den Binnenmarktausschuss hatte seinen Entwurf am 8. Februar zur Diskussion gestellt.

Der Bericht von Agius Saliba enthält einige Änderungsvorschläge, unter anderem zum Kreis der Adressaten der Verordnung. So sollen nur “relevante Dienste der Informationsgesellschaft” unter die Anforderungen fallen. Auch die Altersverifikationspflichten des Johansson-Vorschlages will Agius Saliba streichen. Sein Amendment 17a wiederum soll ausdrücklich Eingriffe in IT-Sicherheit und wirksame Verschlüsselung ablehnen. Eine grundsätzliche Absage an Überwachungspflichten der Provider für Nutzerinhalte enthält der Berichtsvorschlag allerdings nicht. Agius Saliba will diese aber enger fassen.

Nachdem Kompetenzstreitigkeiten Anfang Februar ausgeräumt wurden, bleibt im Europaparlament der LIBE-Ausschuss federführend. Allerdings ist der Binnenmarktausschuss ebenfalls mit großen Teilen des Dossiers befasst. Der Ausschuss für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter FEMM, der Kulturausschuss CULT und der Haushaltsausschuss BUDG äußern sich zu bestimmten Aspekten des Vorhabens.

LIBE-Berichtsentwurf im April

Am 14. April 2023 will auch der Berichterstatter des federführenden LIBE-Ausschusses, Javier Zarzalejos (EVP), seinen Bericht vorgelegen. Der spanische Christdemokrat dürfte dann vor allem mit deutschen LIBE-Mitgliedern debattieren.

Denn die lehnen Johanssons Vorstoß von Beginn an in großen Teilen ab. “Jenseits von Deutschland und Österreich gibt es fast keine kritische öffentliche Debatte”, beklagt der Piraten-MdEP Patrick Breyer (Grüne/EFA-Fraktion). Der FDP-Europaparlamentarier Moritz Körner rechnet dennoch mit einer intensiven Debatte: “Ich erwarte, dass mit großem Druck versucht werden wird, schnell zu einem Abschluss der Verhandlungen zu kommen und ein Ergebnis noch vor der Europawahl zu erreichen”. Wie schnell ein Ergebnis kommen kann, hängt allerdings auch von den Mitgliedstaaten ab.

Deutsche Ratsposition weiter umstritten

In Verhandlungskreisen heißt es, dass die spanische Ratspräsidentschaft unbedingt zu einem Ergebnis kommen wolle. Die Spanier übernehmen am 1. Juli von den Schweden. Unterdessen kämpft die Bundesregierung in Berlin noch um eine gemeinsame Position. Nach anfänglicher Begeisterung der sozialdemokratischen Innenministerin Nancy Faeser (SPD) für den Vorstoß ihrer EU-Kollegin und Streit zwischen dem SPD-geführten Innen- und den FDP-geführten Justiz- und Digitalressorts wird nun nach einer gemeinsamen Position gesucht.

Das Client-Side-Scanning genannte Verfahren scheint für die Bundesregierung keine Option zu sein. Damit sollen Anbieter von Kommunikationsdiensten verpflichtet werden, auf dem Endgerät von Nutzern noch vor der Transportverschlüsselung Inhalte zu prüfen. “Aus Sicht der Bundesregierung begegnet die Ausgestaltung des Verordnungsentwurfes in diesem Bereich erheblichen Bedenken. Dies betrifft insbesondere auch den durchgängigen Schutz Ende-zu-Ende verschlüsselter Kommunikation“, heißt es in einem Text des BMI. Aus Ministeriumskreisen heißt es, dass der publik gewordene Positionierungsvorschlag weiterhin diskutiert werde.

Und das dürfte auch nötig sein: Dem BMI-Vorschlag fehlt noch jede Konkretisierung zur Frage der automatisierten Inhaltekontrolle auf Servern. Sollen etwa Bilderkennungsverfahren auf Plattformen und bei Hostern versuchen, mögliche neue Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs zu erkennen? Soll die Suche nach bereits identifizierten Inhalten dieser Art für die Anbieter verpflichtend werden? Beides wird mit dem BMI-Papier nicht klar beantwortet.

Deutscher Oberstaatsanwalt rügt EU-Kommission

Als vergangene Woche im Bundestag der Digitalausschuss eine Expertenanhörung zum EU-Vorhaben durchführte, sparten die Sachverständigen nicht mit Kritik.

Neben vielen erwartbar ablehnenden Haltungen – unter anderem aus IT-Sicherheits- und Grundrechtsbedenken – äußerte sich mit Oberstaatsanwalt Markus Hartmann nun auch die Strafverfolgerseite kritisch. “In ihrer Akzentuierung entfernt sich die Kommission zumindest in Bezug auf Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation in erheblichem Maße von der Realität der Strafverfolgungspraxis”, sagte Markus Hartmann, Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen, die Kommission und insbesondere die DG Home in seiner schriftlichen Stellungnahme.

Deren zentrales Hemmnis sei nicht ein Mangel an verschlüsselungsbedingt nicht erkannten Straftaten, tatrelevanten Plattformen oder deliktspezifischen konkreten Verbreitungswegen. “Vielmehr besteht ein strukturelles Handlungsdefizit durch eine unzureichende technische und personelle Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden.”

Körner fordert Kommission zum Zurückziehen auf

Die schlechte Ausstattung sei kein Spezifikum seiner Behörde, sondern national wie international “eine grundlegende Problemstellung”. Auch aus Sicht der Kriminalitätsbekämpfung hätte der Vorschlag der Kommission massive Nebenwirkungen: Insbesondere das Client-Side-Scanning und die damit einhergehende Verschlüsselungsumgehung führen “im Ergebnis eine Sollbruchstelle für Verschlüsselungstechnologie ein, deren Risiko- und Missbrauchspotentiale evident sind”. Übersetzt: Was gut für Verbrechensbekämpfung sein kann, das kann auch für Kriminelle gut sein.

Der Piratenabgeordnete Breyer, der früher als Richter tätig war, befürchtet, dass die CSA-Verordnung mit Ausnahmen für die Überwachung auf Endgeräten verabschiedet würde. “Alle sind für Kinderschutz. Manche sind bereit, dafür eine Totalüberwachung aller Kommunikationsmittel einzuführen, andere sehen das als unverhältnismäßig an”, fasst der FDP-Abgeordnete Körner die Debatte um die Johansson-Verordnung zusammen. Angesichts der Probleme mit der Verordnung fordert er: “Der schnellste Weg, das Dossier abzuschließen, wäre, wenn die EU-Kommission ihren Vorschlag zurückziehen würde. Sonst wird der Europäische Gerichtshof das fertige Gesetz im Nachhinein kippen müssen.”

  • CSA-VO
  • Cybersicherheit
  • Digitalpolitik

News

Verbrenner-Aus: Kommission verhandelt mit Bundesregierung

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bestätigt, dass die Behörde mit der Bundesregierung über Änderungen am Gesetzgebungsvorschlag für das Verbrenner-Aus verhandelt. “Wir befinden uns in einem konstruktiven Dialog”, sagte sie bei einer Pressekonferenz mit Kanzler Olaf Scholz in Meseberg. Sie räumte ein, dass es Zeitdruck gebe: “Die Verhandlungen müssen schnell abgeschlossen werden, damit die Industrie Investitionssicherheit bekommt”. Sie ließ offen, wie ein Vorschlag aussehen könnte. “Ich stehe zum Prinzip der Technologieoffenheit.” Gleichzeitig müsse gewährleistet sein, dass die CO₂-Regulierung im Einklang mit den EU-Klimazielen stehe.

Die schwedische Ratspräsidentschaft hat die finale Abstimmung über die verschärften CO₂-Flottengrenzwerte und das Verbrenner-Aus im Jahr 2035 verschoben, die am Dienstag im Rat stattfinden sollte. Grund ist, dass der im Trilog erzielte Kompromiss derzeit keine Mehrheit hätte. Weil der FDP-Teil der Bundesregierung die Zulassung von synthetischen Kraftstoffen für Pkw und leichten Nutzfahrzeugen auch über 2035 hinaus fordert, womit Grüne und SPD nicht einverstanden sind, würde sich Deutschland bei der Abstimmung enthalten.

Italien hat angekündigt, mit Nein zu stimmen. Mindestens zwei weitere Mitgliedstaaten würden sich ebenfalls enthalten oder mit Nein stimmen. Damit würde die CO₂-Flottenregulierung nicht die notwendige qualifizierte Mehrheit bekommen. Die FDP erwartet von der Kommission, dass sie einen Vorschlag vorlegt, wie ihre Forderung umgesetzt werden kann. mgr

  • Autoindustrie

Simson pocht auf strenge Methan-Regeln

Energiekommissarin Kadri Simson hat den Rat zu einer ambitionierteren Position im Trilog zur Methanverordnung aufgefordert. “Die Änderungen in Bezug auf die Erkennung und Reparatur von Lecks, auf inaktive Bohrlöcher und auf das Ablassen und Abfackeln stellen eine erhebliche Einschränkung der Ziele dar und könnten uns daher daran hindern, die Methanemissionen bereits kurzfristig wirksam zu verringern”, schreibt Simson in einem Brief an die Parlamentsberichterstatterin Jutta Paulus (Grüne).

Mit der Verordnung will die EU klimaschädliche Methanemissionen bei der Förderung und dem Transport von Erdgas verringern. Seit der Energiekrise gelten die Maßnahmen auch verstärkt als Mittel, um kurzfristig zusätzliche Erdgasmengen nutzbar zu machen. Paulus hatte Abschwächungen des Kommissionsvorschlags durch den Rat beklagt und Simson gebeten, beim Treffen der Energieminister am 19. Dezember auf die Mitgliedstaaten einzuwirken.

Simson berichtet, sie habe bei dem Treffen darauf hingewiesen, dass die Vermeidungsmaßnahmen erheblich geschwächt worden seien. “Es ist wichtig, dass die Rechtsvorschriften, die wir zur Methanreduzierung verabschieden, uns nicht hinter viele unserer Energiepartner und auch hinter das zurückfallen lassen, was die Marktteilnehmer bereits heute tun“, schreibt die Kommissarin. Kurzfristige Möglichkeiten zur Steigerung von Gasexporten durch bessere Förderpraktiken sieht ein neuer Bericht des European University Institute vor allem in Ägypten, Algerien und Nigeria. ber

  • Erdgas

Kaili: Noch zwei Monate U-Haft

Ein Untersuchungsrichter in Brüssel hat am Freitag entschieden, dass die ehemalige Vize-Präsidentin des Europaparlaments, Eva Kaili, mindestens zwei weitere Monate in Untersuchungshaft bleibt. Es wurde zudem entschieden, dass der Europaabgeordnete Marc Tarabella, der ebenfalls zu den Hauptverdächtigen in dem Korruptionsskandal gehört, mindestens einen weiteren Monat in U-Haft bleiben müsse.

Tarabella und Kaili gehörten der sozialistischen S&D-Fraktion an. Beide bestreiten, dass sie sich etwas zuschulden kommen lassen haben. Der Korruptionsfall, in dem Katar und Marokko Einfluss auf Entscheidungen des Parlaments genommen haben sollen, wurde mit Razzien und Festnahmen am 9. Dezember öffentlich. Der Hauptbeschuldigte, der über kriminelle NGOs Millionensummen verteilt haben soll, ist Ex-MdEP Pier Antonio Panzeri. Er hat ein Geständnis abgelegt und will mit den Ermittlern gegen Strafnachlass zusammen arbeiten. mgr

  • Europäisches Parlament
  • Korruption

UN-Staaten einigen sich auf Abkommen zum Schutz der Meere

Nach jahrelangen Verhandlungen haben sich die Vereinten Nationen auf ein Abkommen zum Schutz der Weltmeere geeinigt. Unterhändler aus mehr als 100 Ländern hatten zuvor in einer 36-stündigen Marathonsitzung dem Text für das UN-Hochseeschutzabkommen zugestimmt. Bundesumweltministerin Steffi Lemke sprach von einem geschichtsträchtigen Durchbruch.

“Das ist ein historischer und überwältigender Erfolg für den internationalen Meeresschutz”, erklärte die Grünen-Politikerin am Sonntag. Erstmals würden nun verbindliche Regeln für die Hohe See möglich. Meeresschutzgebiete, Umweltverträglichkeitsprüfungen und andere Maßnahmen sollen bedrohte Arten und Lebensräume künftig besser schützen. Umweltschützer sprachen von einem “Tag zum Jubeln”.

Über das Abkommen wurde bereits seit 15 Jahren verhandelt. Es muss nun von 60 Staaten ratifiziert werden, um in Kraft zu treten. Unklar blieb zunächst, ob Russland und China Teil des Abkommens sein werden. Der Pakt gilt als entscheidend bei den globalen Bemühungen, bis zum Jahr 2030 insgesamt 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresfläche unter Schutz zu stellen. Dieses Ziel hatte die Weltnaturkonferenz im Dezember in Montreal vereinbart.

Elf Millionen Quadratkilometer Meeresfläche jährlich

Bisher ist nur ein kleiner Teil der Hochsee geschützt. Verschmutzung, Überfischung und eine wachsende Schifffahrt belasten die Weltmeere immer mehr. Wirtschaftliche Interessen waren ein Knackpunkt in der jüngsten Verhandlungsrunde, die am 20. Februar begonnen hatte. Zudem forderten Entwicklungsländer eine größere Unterstützung.

Das Abkommen soll dazu beitragen, den Verlust der biologischen Vielfalt im Meer aufzuhalten und eine nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten. Laut Greenpeace müssen bis 2030 jedes Jahr elf Millionen Quadratkilometer Meeresfläche unter Schutz gestellt werden, um das Ziel zu erreichen. “Die Uhr tickt noch immer”, sagte Greenpeace-Vertreterin Laura Meller.

Die EU-Kommission und Umweltministerin Lemke forderten eine rasche Ratifizierung. “Deutschland wird die Umsetzung dieses wichtigen Abkommens vorantreiben”, kündigte Lemke an. “Denn der Ozean ist unser mächtiger Verbündeter in der Klima- und Biodiversitätskrise. Wenn wir ihn schützen, schützen wir auch uns Menschen.” rtr/dpa/tho

  • Klima & Umwelt
  • Klimaschutz
  • Umweltschutz

Presseschau

Kanzler und EU-Chefin beschwören Zusammenhalt ZDF
European Commission president says EU must maintain its position as world leader in clean energy EURONEWS
Leyen: Bisher keine Beweise für Waffen aus China für Russland WEB
Streit um EU-Verbot für Verbrennungsmotoren geht weiter ZEIT
Besuch in der Ukraine: EU-Parlamentspräsidentin – Kampfjets ernsthaft erwägen AUGSBURGER-ALLGEMEINE
Trotz Streits über Ukraine-Krieg: China betont Gemeinsamkeiten mit EU BERLINER-ZEITUNG
Subventionsstreit: Erste Zeichen der Entspannung zwischen USA und EU DEUTSCHE-WIRTSCHAFTS-NACHRICHTEN
Moldau: Aus Angst vor Russland – EU bereitet zivile Mission vor WELT
Krieg im Kongo: EU richtet humanitäre Luftbrücke ein TAGESSPIEGEL
Todeszone EU-Außengrenze: Alltägliches Massaker im Mittelmeer TAZ
Meloni weist Vorwürfe nach Havarie zurück FAZ
EU-Nachbarn nahmen nur 1 Prozent der Flüchtlinge auf: Mittelmeerstaaten fordern mehr Solidarität EURONEWS
Die Frage nach dem Danach: Ein Drittel der Ukraine-Flüchtlinge will in EU bleiben KURIER
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Umstritten: EU-Kommission gibt GVO-Raps für Lebens- und Futtermittel frei TOPAGRAR
EU-Revolution: Senioren müssen künftig ab 70 nachweisen, dass sie noch Autofahren können MERKUR
Digitale Führerscheine sollen in der ganzen EU funktionieren STADT-BREMERHAVEN
Lautstärkebegrenzung in der EU: Darum sind Handy, MP3-Player und Co. oft nicht laut genug NETZWELT
Britische Ministerin bringt Einsatz von ChatGPT in Regierungsarbeit ins Spiel RND
EU clean tech draft plan sets 40% production target FT

Kolumne

Weshalb Daten-Geiz ins digitale Abseits führt

Von Henning Vöpel und Stephan Biallas
Stephan Biallas (l.) ist Leiter der Mittelstandsberatung bei EY für Zentral- und Westeuropa, Henning Vöpel ist Direktor des Centrums für Europäische Politik (cep).

Ihrem Wettbewerber die eigenen Daten überlassen? Was sich wie eine sozialistische Utopie oder eine digitale Dystopie anhört, wird in der EU schon bald regulatorische Realität. Alle Daten, die durch Nutzung vernetzter Produkte, etwa Autos, Smart Consumer Electronic oder Haushaltsgeräte, entstehen, müssen demnächst zugänglich gemacht werden.

Die Kommission will Herstellern vernetzter Produkte und Erbringern verbundener Dienste eine Datenteilungspflicht auferlegen. Was heißt das konkret? Sie als Hersteller müssen gegenüber Geschäftspartnern und Kunden sowie den von diesen beauftragten Drittunternehmen Ihre Daten bereitstellen. Die EU möchte mit diesem regulatorischen Eingriff die europäische Datenwirtschaft und den digitalen Wettbewerb dadurch voranbringen, dass der Austausch und die Nutzung dieser Daten erleichtert wird. Dies gilt übrigens auch für nicht in der EU ansässige Unternehmen, die ihre vernetzten Produkte in der EU vertreiben – wie Sprachassistenten oder Smart Watches. Somit werden diese Anbieter erstmals gesetzlich zu umfassender Transparenz der durch ihre Produkte generierten Daten verpflichtet.  

Produkt und Nutzung werden gläsern

Was bedeutet das für ein Unternehmen, das in Zukunft compliant sein will? Sie müssen Daten in strukturierter und lesbarer Form zur Verfügung stellen. Ihr Produkt und dessen Nutzung wird somit gläsern, auch für Ihre Wettbewerber, und Sie verfügen nicht mehr allein und ausschließlich über “Ihre” Daten. Dieser Kontrollverlust mag für viele Unternehmen zunächst bedrohlich klingen. Tatsächlich aber bietet er gleichzeitig immense Chancen für neue Geschäftsfelder und innovative Geschäftsstrategien. Dies sei an einem Beispiel aus der Haushaltsgerätebranche erläutert:  

Hersteller A, unser “passives Subjekt“, entscheidet sich aufgrund des Data Act, nur noch möglichst wenig Daten (zum Beispiel Betriebsstunden) zu generieren, um seinen Wettbewerbern dadurch möglichst wenig Einblick in sein Produkt, dessen Design und Eigenschaften geben zu müssen. Hersteller B, unser “innovativer Gestalter”, erfasst dagegen nun noch umso detailliertere Betriebsdaten und stellt diese gemäß Data Act zur Verfügung.

Geschäftsmodelle der Datenökonomie

Es ist nicht schwer zu erraten, welcher der beiden Hersteller in einer zukünftigen Datenökonomie attraktiver für Kunden, Vertriebs- und Servicepartner und sogar seine eigene Entwicklungsabteilung ist. Nicht derjenige, der sich ins digitale Schneckenhaus zurückzieht, sondern derjenige, der sich offensiv für Daten-Partnerschaften anbietet. Es seien nur einige denkbare Vorteile und neue Geschäftsfelder für Hersteller und deren Handelspartner genannt:

  • der Kunde kann das Ausfallrisiko seines Gerätes verringern, indem er einen günstigen, auf “predictive maintenance” basierenden Wartungsvertrag eines Serviceanbieters abschließt
  • sollte es zu einem Defekt kommen, so kann der Kunde basierend auf den Daten des Fehlerspeichers des defekten Gerätes, die er auf eine entsprechende Reparaturplattform stellt, den Reparaturauftrag seines Gerätes verauktionieren
  • die Daten ermöglichen dem Kunden ferner ein hohes Maß an Bequemlichkeit und die Nutzung von Preisvorteilen bei der Beschaffung von Verbrauchsmaterialien, etwa durch eine bedarfsorientierte automatische Nachbestellung von Waschmittel
  • es ergeben sich zahlreiche Chancen für nachhaltigeres und ressourcenschonenderes Handeln im Zusammenspiel zwischen den Kunden, Servicepartnern und dem Hersteller durch Datenpartnerschaften. Daten werden zum entscheidenden Treiber der Nachhaltigkeitsstrategie  

Die Digitalisierung wird neue Ökosysteme hervorbringen, in denen es zu Mischformen aus Daten-Wettbewerb und Daten-Kooperation kommt. Der Data Act beschleunigt diese Entwicklung. Rhetorische Frage: Welche Rolle wollen Sie in diesem neuen Umfeld spielen – die des passiven Mitschwimmers als bloßer Datenlieferant, des aktiven Gestalters oder vielleicht sogar eines strategischen Investors, der zum zentralen Akteur in datenbasierten Ökosystemen wird? Die intuitive Reaktion auf den Data Act ist also grundfalsch: Statt mit Daten zu geizen, ist es viel besser, offensiv die Chancen des Data Act zu nutzen.

  • Data Act

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    ob Ursula von der Leyen seine Unterstützung für eine zweite Amtszeit habe, wurde Olaf Scholz bei der Kabinettsklausur in Meseberg gefragt. Die Kommissionspräsidentin stand dabei direkt neben ihm. Die 64-Jährige hat dem Vernehmen nach noch nicht entschieden, ob sie sich den Knochenjob weitere fünf Jahre antun will. Sie könnte die Kanzlerworte aber durchaus als Ermunterung verstanden haben, ihren Hut für den Posten der Spitzenkandidatin in der christdemokratischen Parteienfamilie EVP in den Ring zu werfen: “Ich glaube”, sagte Scholz im Hinblick auf die EVP, “sie halten an dem Spitzenkandidaten-Prinzip fest.” Sprach’s und zeigte sein verschmitztes Scholz-Lächeln.

    Reinen Wein schenkte von der Leyen dem Bundeskabinett ein: Sie stellte vor, welche Maßnahmen Brüssel im Köcher hat, um die Clean-Tech-Industrien in Europa zu halten und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu steigern. Für meine Analyse dazu konnte ich bereits einen Blick in den Entwurf des Net-Zero Industry Act werfen, den die Kommission Mitte März beschließen will.

    Christoph Roche hat für seine Analyse zur Reform der EU-Schuldenregeln vorab den Entwurf der Schlussfolgerungen beim Treffen der Finanzminister bekommen. Sein Fazit: Die Minister werden die Debatte vor dem regulären EU-Gipfel Ende März nicht weiter austragen. Der Streit dürfte aber wieder aufflammen, wenn die Kommission nach dem Gipfel ihren Vorschlag vorlegt.

    Kommissarin Ylva Johansson will, dass Anbieter von Online- und Telekommunikationsdiensten ihre Inhalte nach Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs durchforsten. Falk Steiner beschreibt in seiner Analyse, wie sich zum CSA-Vorschlag die Meinungsbildung im Europaparlament anlässt und dass es an den Plänen auch Kritik von unerwarteter Seite gibt.

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    Analyse

    Net-Zero Industry Act: Kommission setzt für Klima-Technologien ehrgeizige Ziele

    Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat dem Bundeskabinett bei der Klausur in Meseberg Maßnahmen vorgestellt, mit der die Kommission die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie bei den Schlüsseltechnologien des Green Deal stärken will. “Es geht darum, die führende Position europäischer Unternehmen im Clean-Tech-Bereich auch angesichts der massiven US-Steuererleichterungen durch den IRA zu verteidigen”, sagte sie. Bei E-Autos sei es bereits gelungen, den Zugang europäischer Hersteller zum US-Markt zu gewährleisten. “Wir müssen noch mit den USA zum Thema Batterie und Batteriekomponenten arbeiten”, sagte von der Leyen bei einer Pressekonferenz mit Olaf Scholz.

    Der Kanzler hatte zuvor US-Präsident Joe Biden getroffen. Am Rande des Treffens in Washington hieß es, eine Einigung zwischen EU und USA im Streit um Subventionen im Rahmen des Inflation Reduction Act (IRA) stehe unmittelbar bevor. Dem Vernehmen nach arbeiten Beamte der US-Regierung und der EU-Kommission an einer Vereinbarung, die europäische Batterie-Mineralien für die Steuergutschriften in den USA qualifizieren würde. Verkündet werden könnte der Deal bereits am Freitag, wenn von der Leyen das Weiße Haus besucht.

    Von der Leyen kündigt neue Gelder für Clean-Tech an

    Die Kommissionspräsidentin kündigte überdies ein größeres Paket für die Wettbewerbsfähigkeit an, das die Behörde Mitte März in Form einer Mitteilung vorstellen werde. Es gehe darum, auch Hürden im Binnenmarkt zu beseitigen, die industrielle Basis zu stärken und den Fachkräftemangel abzubauen. Sie verwies zudem auf Handelsabkommen mit Australien, Mexiko und Mercosur, die die Kommission noch bis zum Ende des Mandats abschließen wolle.

    Als Teil des Pakets will die Kommission am 14. März den Net-Zero Industry Act vorstellen. Laut einem Entwurf, den unsere Kollegen von Contexte bekommen haben, will die Kommission den Hochlauf von strategischen Zukunftstechnologien befördern, die das Netto-Null-Ziel der EU beim Ausstoß von Klimagasen im Jahr 2050 sichern. Es handelt sich um folgende Technologien:

    • Photovoltaik und Solarthermie
    • Onshore- und Offshore-Windenergie
    • Batterietechnologie
    • Wärmepumpen
    • grüner Wasserstoff
    • Biomethan
    • Kerntechnologie (Kernspaltung)
    • CO₂-Abscheidung und Speicherung
    • Stromnetze.

    Ziel: 40 Prozent des Bedarfs selbst decken

    Die Kommission setzt Ziele für den Ausbau der strategischen Net-Zero-Technologien bis zum Jahr 2030. Bis dahin sollen die Produktionskapazitäten in der EU ausreichen, um mindestens 40 Prozent des jährlichen Bedarfs für die Ziele des Green Deal und REPower EU zu decken. Das übergreifende Ziel soll dabei verbindlich sein, die konkreten Produktionsziele für einzelne Bereiche hingegen nur indikativ. Die Mindestziele, gemessen am jährlichen Bedarf in der EU, lauten:

    • 40 Prozent bei Solarpanelen
    • 85 Prozent bei Windkraftanlagen
    • 60 Prozent bei Wärmepumpen
    • 85 Prozent bei Batterien
    • sowie Elektrolyseure zur Produktion der Hälfte des benötigten grünen Wasserstoffs.

    Genehmigung der Projekte soll beschleunigt werden

    Um den Hochlauf der Technologien zu unterstützen, sollen die Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. Dafür werden Kriterien für sogenannte Net-Zero-Resilience-Projekte aufgestellt. Diese tragen maßgeblich dazu bei, das Netto-Null-Ziel zu erreichen. Die maximale Dauer von Genehmigungsverfahren lauten:

    • 12 Monate für Bau oder Erweiterung eines Projekts mit einer jährlichen Produktionsleistung von mehr als 1 Gigawatt        
    • 9 Monate für Bau oder Erweiterung eines Net-Zero-Resilience-Projekts mit einer jährlichen Produktionsleistung von weniger als 1 Gigawatt        
    • 18 Monate für Bau oder Erweiterung einer Fabrik, die Net-Zero-Technologien mit einer jährlichen Produktionsleistung von mehr als 1 Gigawatt herstellt
    • 12 Monate für Bau oder Erweiterung einer Fabrik, die Net-Zero-Technologien mit einer jährlichen Produktionsleistung von weniger als 1 Gigawatt herstellt
    • bei Technologien wie Carbon Capture and Storage und Kernfusion sollen die Fristen der Genehmigungsverfahren ebenfalls streng gedeckelt werden
    • die Umweltverträglichkeitsprüfungen soll binnen 30 Tagen ab dem Anmelden des Projekts geschehen, für die Konsultation der Bürger soll ebenfalls eine 30-Tage-Frist gelten.

    Drei Monate nach Inkrafttreten soll es in jedem Mitgliedstaat One-Stop-Shops geben, in denen Investoren alle Genehmigungen einholen können. Die Kommission will Finanzierungsmöglichkeiten über den Innovationsfonds und über InvestEU schaffen.

    • Green Deal
    • Klima & Umwelt
    • REPowerEU

    Schuldenregeln: Mitgliedstaaten vertagen Streit

    Die EU-Staaten haben sich im Wirtschafts- und Finanzausschuss des Rates auf einen Entwurf für Schlussfolgerungen zur Reform der europäischen Schuldenregeln verständigt. Der schwedische Ratsvorsitz will die auf technischer Ebene erarbeiteten Schlussfolgerungen, die Table.Media vorliegen, den Finanzministern auf ihrem Treffen am 14. März unterbreiten. EU-Kreise erwarten für das Treffen keine weitere kontroverse Auseinandersetzung. In den Schlussfolgerungen könnten sich sämtliche Teilnehmer wiederfinden.

    Damit sind die Unstimmigkeiten über die Neuausrichtung des Stabilitäts- und Wachstumspakt besonders zwischen EU-Kommission und Berlin aber nicht beendet. Der Disput sei vielmehr aufgeschoben und dürfte aufflammen, wenn die Kommission nach dem regulären EU-Gipfel im März ihre legislativen Vorschläge zur Reform der Schuldenregeln vorlegt, hieß es. Bei der letzten Tagung der Finanzminister im Februar war deutlich geworden, dass die Positionen vor allem zwischen Brüssel und Berlin weit auseinander liegen.

    Nationale Verantwortung stärken

    In den Schlussfolgerungen stellen sich alle Mitgliedstaaten nun grundsätzlich hinter den Vorstoß der Kommission, das Regelwerk zu straffen und die nationale Eigenverantwortung zu einem wesentlichen Element der wirtschaftspolitischen Steuerung zu erheben. Sie sind sich zudem einig, auf eine mehrjährige Finanzplanung umzusteigen. Ferner stimmen sie überein, die haushaltspolitischen Ausgangspositionen und Projektionen der Mitgliedstaaten sowie die wirtschaftlichen Merkmale bei differenzierten haushaltspolitischen Pfaden zu berücksichtigen.

    Positiv aus deutscher Sicht in dem Papier: Der jährliche Überwachungszyklus im Rahmen des Europäischen Semesters soll beibehalten werden. Außerdem soll der multilaterale Ansatz gewahrt bleiben – Gleichbehandlung, Transparenz und Berechenbarkeit seien wichtig, heißt es in dem Dokument.

    Mittelfristige fiskalische Strukturpläne der EU-Staaten

    Konkret sollen die einzelnen Mitgliedstaaten nach der Verabschiedung der neuen Schuldenregeln mittelfristige fiskalische Strukturpläne vorlegen. Diese sollen Fiskalpolitik, Reformen und Investitionen umfassen. Grundlage für den haushaltspolitischen Pfad soll ein einziger operativer Indikator sein: die Nettoprimärausgaben. Der nationale Ausgabenpfad soll dann mit der Kommission entsprechend den haushaltspolitischen Vorstellungen der EU-Behörde abgestimmt werden.

    Ziel soll sein, im Mitgliedstaat eine ausreichend rückläufige Schuldenquote zu erreichen, um die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen zu gewährleisten. Gleichzeitig aber sollen Reformen und öffentliche Investitionen gefördert werden.

    Der deutschen Haltung kommt entgegen, dass zu diesem Zweck noch “gemeinsame Schutzbestimmungen ausgelotet werden sollen, die einen ausreichenden Schuldenabbau gewährleisten und eine Verlagerung der Haushaltsanstrengungen auf einen späteren Zeitpunkt verhindern sollen.” Ferner sollen die Budgetvorgaben der Kommission “auf einer zu vereinbarenden gemeinsamen Methodik beruhen, die replizierbar, vorhersehbar und transparent ist und eine Analyse der öffentlichen Verschuldung und der wirtschaftlichen Herausforderungen umfassen sollte”, so das Dokument.

    Rat soll die Pläne der EU-Staaten prüfen

    Zudem sollen die nationalen Konsolidierungspfade der “multilateralen Prüfung und Billigung durch den Rat unterliegen”. Zur Dauer der mittelfristigen Haushaltspläne machen die Staaten keine konkreten Angaben. Die Kommission hatte dazu vier Jahre vorgeschlagen und eine potenzielle Verlängerung auf sieben Jahre in Aussicht gestellt.

    Wer reformiert und investiert, der wird mit einer Ausweitung der Pläne belohnt. Dafür setzt sich auch der Rat ein. Gemeint sind Reformen und Investitionen, “die die Wachstumsaussichten oder die Widerstandsfähigkeit verbessern, die öffentlichen Finanzen und damit ihre langfristige Tragfähigkeit stärken und den strategischen Prioritäten der EU, einschließlich der Herausforderungen öffentlicher Investitionen für den grünen und digitalen Übergang und den Aufbau von Verteidigungsfähigkeiten, Rechnung tragen”. Ausgaben für den Verteidigungshaushalt werden damit explizit berücksichtigt.

    Einig sind sich die Staaten zudem, bei überhöhter Neuverschuldung in einem Mitgliedstaat einzugreifen. “Das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit auf der Grundlage eines Verstoßes gegen das Defizitkriterium von 3 Prozent soll unverändert bleiben, einschließlich der Bewertung der einschlägigen Faktoren.”Außerdem sollen in Staaten mit überhöhter Verschuldung Verfahren eingeleitet werden, wenn diese von ihrem Zielpfad abweichen. Dazu sollen auch die Sanktionen wirksamer gestaltet werden: “Der anfängliche Geldbetrag der finanziellen Sanktionen sollte gesenkt werden, um eine realistischere Anwendung zu ermöglichen.” 

    Verfahren zu makroökonomischen Ungleichgewichten

    Ferner betonen die Staaten, das bestehende Verfahren zu makroökonomischen Ungleichgewichten sei “nach wie vor von zentraler Bedeutung für die Aufdeckung, Vermeidung und Korrektur” der Ungleichgewichte. Das Verfahren solle weiterentwickelt werden, “um die Dimension des Verfahrens für das Euro-Währungsgebiet zu stärken.” Auf deutschen Druck hin dürfte vor allem die ausdrückliche Forderung nach weiteren Klarstellungen in den Text eingeflossen sein, darunter zur Definition des Zielpfads der Kommission, zur Festlegung des Ausgabenaggregats sowie zur Formulierung gemeinsamer quantitativer Benchmarks zur Unterstützung der neuen Schuldenregeln.

    Zusätzlich müssten die Grundsätze für eine Verlängerung des haushaltspolitischen Pfads, die Rolle der länderspezifischen Empfehlungen, die Durchsetzung nationaler Pläne und Anreize für Reformen und Investitionen konkreter gefasst werden. Die fehlenden Angaben zur Methodologie in zentralen Bereichen der Reform seitens der Kommission hatte der deutsche Finanzminister Christian Lindner zuletzt immer wieder kritisiert. Die Kommission wird von den Mitgliedstaaten jetzt aufgefordert, auf Basis der Schlussfolgerungen ihr Gesetzespaket zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts vorzulegen. Dieses will die Brüsseler Behörde bis spätestens zur Sommerpause präsentieren. Mit Till Hoppe

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    CSA-Verordnung: Scharfe Kritik aus Deutschland an Johansson-Vorschlag

    Das Europaparlament macht sich diskussionsbereit: Am morgigen Dienstag endet die Deadline für Änderungsvorschläge im IMCO-Ausschuss zum Bericht des maltesischen Sozialdemokraten Alex Agius Saliba. Der Berichterstatter für den Binnenmarktausschuss hatte seinen Entwurf am 8. Februar zur Diskussion gestellt.

    Der Bericht von Agius Saliba enthält einige Änderungsvorschläge, unter anderem zum Kreis der Adressaten der Verordnung. So sollen nur “relevante Dienste der Informationsgesellschaft” unter die Anforderungen fallen. Auch die Altersverifikationspflichten des Johansson-Vorschlages will Agius Saliba streichen. Sein Amendment 17a wiederum soll ausdrücklich Eingriffe in IT-Sicherheit und wirksame Verschlüsselung ablehnen. Eine grundsätzliche Absage an Überwachungspflichten der Provider für Nutzerinhalte enthält der Berichtsvorschlag allerdings nicht. Agius Saliba will diese aber enger fassen.

    Nachdem Kompetenzstreitigkeiten Anfang Februar ausgeräumt wurden, bleibt im Europaparlament der LIBE-Ausschuss federführend. Allerdings ist der Binnenmarktausschuss ebenfalls mit großen Teilen des Dossiers befasst. Der Ausschuss für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter FEMM, der Kulturausschuss CULT und der Haushaltsausschuss BUDG äußern sich zu bestimmten Aspekten des Vorhabens.

    LIBE-Berichtsentwurf im April

    Am 14. April 2023 will auch der Berichterstatter des federführenden LIBE-Ausschusses, Javier Zarzalejos (EVP), seinen Bericht vorgelegen. Der spanische Christdemokrat dürfte dann vor allem mit deutschen LIBE-Mitgliedern debattieren.

    Denn die lehnen Johanssons Vorstoß von Beginn an in großen Teilen ab. “Jenseits von Deutschland und Österreich gibt es fast keine kritische öffentliche Debatte”, beklagt der Piraten-MdEP Patrick Breyer (Grüne/EFA-Fraktion). Der FDP-Europaparlamentarier Moritz Körner rechnet dennoch mit einer intensiven Debatte: “Ich erwarte, dass mit großem Druck versucht werden wird, schnell zu einem Abschluss der Verhandlungen zu kommen und ein Ergebnis noch vor der Europawahl zu erreichen”. Wie schnell ein Ergebnis kommen kann, hängt allerdings auch von den Mitgliedstaaten ab.

    Deutsche Ratsposition weiter umstritten

    In Verhandlungskreisen heißt es, dass die spanische Ratspräsidentschaft unbedingt zu einem Ergebnis kommen wolle. Die Spanier übernehmen am 1. Juli von den Schweden. Unterdessen kämpft die Bundesregierung in Berlin noch um eine gemeinsame Position. Nach anfänglicher Begeisterung der sozialdemokratischen Innenministerin Nancy Faeser (SPD) für den Vorstoß ihrer EU-Kollegin und Streit zwischen dem SPD-geführten Innen- und den FDP-geführten Justiz- und Digitalressorts wird nun nach einer gemeinsamen Position gesucht.

    Das Client-Side-Scanning genannte Verfahren scheint für die Bundesregierung keine Option zu sein. Damit sollen Anbieter von Kommunikationsdiensten verpflichtet werden, auf dem Endgerät von Nutzern noch vor der Transportverschlüsselung Inhalte zu prüfen. “Aus Sicht der Bundesregierung begegnet die Ausgestaltung des Verordnungsentwurfes in diesem Bereich erheblichen Bedenken. Dies betrifft insbesondere auch den durchgängigen Schutz Ende-zu-Ende verschlüsselter Kommunikation“, heißt es in einem Text des BMI. Aus Ministeriumskreisen heißt es, dass der publik gewordene Positionierungsvorschlag weiterhin diskutiert werde.

    Und das dürfte auch nötig sein: Dem BMI-Vorschlag fehlt noch jede Konkretisierung zur Frage der automatisierten Inhaltekontrolle auf Servern. Sollen etwa Bilderkennungsverfahren auf Plattformen und bei Hostern versuchen, mögliche neue Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs zu erkennen? Soll die Suche nach bereits identifizierten Inhalten dieser Art für die Anbieter verpflichtend werden? Beides wird mit dem BMI-Papier nicht klar beantwortet.

    Deutscher Oberstaatsanwalt rügt EU-Kommission

    Als vergangene Woche im Bundestag der Digitalausschuss eine Expertenanhörung zum EU-Vorhaben durchführte, sparten die Sachverständigen nicht mit Kritik.

    Neben vielen erwartbar ablehnenden Haltungen – unter anderem aus IT-Sicherheits- und Grundrechtsbedenken – äußerte sich mit Oberstaatsanwalt Markus Hartmann nun auch die Strafverfolgerseite kritisch. “In ihrer Akzentuierung entfernt sich die Kommission zumindest in Bezug auf Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation in erheblichem Maße von der Realität der Strafverfolgungspraxis”, sagte Markus Hartmann, Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen, die Kommission und insbesondere die DG Home in seiner schriftlichen Stellungnahme.

    Deren zentrales Hemmnis sei nicht ein Mangel an verschlüsselungsbedingt nicht erkannten Straftaten, tatrelevanten Plattformen oder deliktspezifischen konkreten Verbreitungswegen. “Vielmehr besteht ein strukturelles Handlungsdefizit durch eine unzureichende technische und personelle Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden.”

    Körner fordert Kommission zum Zurückziehen auf

    Die schlechte Ausstattung sei kein Spezifikum seiner Behörde, sondern national wie international “eine grundlegende Problemstellung”. Auch aus Sicht der Kriminalitätsbekämpfung hätte der Vorschlag der Kommission massive Nebenwirkungen: Insbesondere das Client-Side-Scanning und die damit einhergehende Verschlüsselungsumgehung führen “im Ergebnis eine Sollbruchstelle für Verschlüsselungstechnologie ein, deren Risiko- und Missbrauchspotentiale evident sind”. Übersetzt: Was gut für Verbrechensbekämpfung sein kann, das kann auch für Kriminelle gut sein.

    Der Piratenabgeordnete Breyer, der früher als Richter tätig war, befürchtet, dass die CSA-Verordnung mit Ausnahmen für die Überwachung auf Endgeräten verabschiedet würde. “Alle sind für Kinderschutz. Manche sind bereit, dafür eine Totalüberwachung aller Kommunikationsmittel einzuführen, andere sehen das als unverhältnismäßig an”, fasst der FDP-Abgeordnete Körner die Debatte um die Johansson-Verordnung zusammen. Angesichts der Probleme mit der Verordnung fordert er: “Der schnellste Weg, das Dossier abzuschließen, wäre, wenn die EU-Kommission ihren Vorschlag zurückziehen würde. Sonst wird der Europäische Gerichtshof das fertige Gesetz im Nachhinein kippen müssen.”

    • CSA-VO
    • Cybersicherheit
    • Digitalpolitik

    News

    Verbrenner-Aus: Kommission verhandelt mit Bundesregierung

    EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bestätigt, dass die Behörde mit der Bundesregierung über Änderungen am Gesetzgebungsvorschlag für das Verbrenner-Aus verhandelt. “Wir befinden uns in einem konstruktiven Dialog”, sagte sie bei einer Pressekonferenz mit Kanzler Olaf Scholz in Meseberg. Sie räumte ein, dass es Zeitdruck gebe: “Die Verhandlungen müssen schnell abgeschlossen werden, damit die Industrie Investitionssicherheit bekommt”. Sie ließ offen, wie ein Vorschlag aussehen könnte. “Ich stehe zum Prinzip der Technologieoffenheit.” Gleichzeitig müsse gewährleistet sein, dass die CO₂-Regulierung im Einklang mit den EU-Klimazielen stehe.

    Die schwedische Ratspräsidentschaft hat die finale Abstimmung über die verschärften CO₂-Flottengrenzwerte und das Verbrenner-Aus im Jahr 2035 verschoben, die am Dienstag im Rat stattfinden sollte. Grund ist, dass der im Trilog erzielte Kompromiss derzeit keine Mehrheit hätte. Weil der FDP-Teil der Bundesregierung die Zulassung von synthetischen Kraftstoffen für Pkw und leichten Nutzfahrzeugen auch über 2035 hinaus fordert, womit Grüne und SPD nicht einverstanden sind, würde sich Deutschland bei der Abstimmung enthalten.

    Italien hat angekündigt, mit Nein zu stimmen. Mindestens zwei weitere Mitgliedstaaten würden sich ebenfalls enthalten oder mit Nein stimmen. Damit würde die CO₂-Flottenregulierung nicht die notwendige qualifizierte Mehrheit bekommen. Die FDP erwartet von der Kommission, dass sie einen Vorschlag vorlegt, wie ihre Forderung umgesetzt werden kann. mgr

    • Autoindustrie

    Simson pocht auf strenge Methan-Regeln

    Energiekommissarin Kadri Simson hat den Rat zu einer ambitionierteren Position im Trilog zur Methanverordnung aufgefordert. “Die Änderungen in Bezug auf die Erkennung und Reparatur von Lecks, auf inaktive Bohrlöcher und auf das Ablassen und Abfackeln stellen eine erhebliche Einschränkung der Ziele dar und könnten uns daher daran hindern, die Methanemissionen bereits kurzfristig wirksam zu verringern”, schreibt Simson in einem Brief an die Parlamentsberichterstatterin Jutta Paulus (Grüne).

    Mit der Verordnung will die EU klimaschädliche Methanemissionen bei der Förderung und dem Transport von Erdgas verringern. Seit der Energiekrise gelten die Maßnahmen auch verstärkt als Mittel, um kurzfristig zusätzliche Erdgasmengen nutzbar zu machen. Paulus hatte Abschwächungen des Kommissionsvorschlags durch den Rat beklagt und Simson gebeten, beim Treffen der Energieminister am 19. Dezember auf die Mitgliedstaaten einzuwirken.

    Simson berichtet, sie habe bei dem Treffen darauf hingewiesen, dass die Vermeidungsmaßnahmen erheblich geschwächt worden seien. “Es ist wichtig, dass die Rechtsvorschriften, die wir zur Methanreduzierung verabschieden, uns nicht hinter viele unserer Energiepartner und auch hinter das zurückfallen lassen, was die Marktteilnehmer bereits heute tun“, schreibt die Kommissarin. Kurzfristige Möglichkeiten zur Steigerung von Gasexporten durch bessere Förderpraktiken sieht ein neuer Bericht des European University Institute vor allem in Ägypten, Algerien und Nigeria. ber

    • Erdgas

    Kaili: Noch zwei Monate U-Haft

    Ein Untersuchungsrichter in Brüssel hat am Freitag entschieden, dass die ehemalige Vize-Präsidentin des Europaparlaments, Eva Kaili, mindestens zwei weitere Monate in Untersuchungshaft bleibt. Es wurde zudem entschieden, dass der Europaabgeordnete Marc Tarabella, der ebenfalls zu den Hauptverdächtigen in dem Korruptionsskandal gehört, mindestens einen weiteren Monat in U-Haft bleiben müsse.

    Tarabella und Kaili gehörten der sozialistischen S&D-Fraktion an. Beide bestreiten, dass sie sich etwas zuschulden kommen lassen haben. Der Korruptionsfall, in dem Katar und Marokko Einfluss auf Entscheidungen des Parlaments genommen haben sollen, wurde mit Razzien und Festnahmen am 9. Dezember öffentlich. Der Hauptbeschuldigte, der über kriminelle NGOs Millionensummen verteilt haben soll, ist Ex-MdEP Pier Antonio Panzeri. Er hat ein Geständnis abgelegt und will mit den Ermittlern gegen Strafnachlass zusammen arbeiten. mgr

    • Europäisches Parlament
    • Korruption

    UN-Staaten einigen sich auf Abkommen zum Schutz der Meere

    Nach jahrelangen Verhandlungen haben sich die Vereinten Nationen auf ein Abkommen zum Schutz der Weltmeere geeinigt. Unterhändler aus mehr als 100 Ländern hatten zuvor in einer 36-stündigen Marathonsitzung dem Text für das UN-Hochseeschutzabkommen zugestimmt. Bundesumweltministerin Steffi Lemke sprach von einem geschichtsträchtigen Durchbruch.

    “Das ist ein historischer und überwältigender Erfolg für den internationalen Meeresschutz”, erklärte die Grünen-Politikerin am Sonntag. Erstmals würden nun verbindliche Regeln für die Hohe See möglich. Meeresschutzgebiete, Umweltverträglichkeitsprüfungen und andere Maßnahmen sollen bedrohte Arten und Lebensräume künftig besser schützen. Umweltschützer sprachen von einem “Tag zum Jubeln”.

    Über das Abkommen wurde bereits seit 15 Jahren verhandelt. Es muss nun von 60 Staaten ratifiziert werden, um in Kraft zu treten. Unklar blieb zunächst, ob Russland und China Teil des Abkommens sein werden. Der Pakt gilt als entscheidend bei den globalen Bemühungen, bis zum Jahr 2030 insgesamt 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresfläche unter Schutz zu stellen. Dieses Ziel hatte die Weltnaturkonferenz im Dezember in Montreal vereinbart.

    Elf Millionen Quadratkilometer Meeresfläche jährlich

    Bisher ist nur ein kleiner Teil der Hochsee geschützt. Verschmutzung, Überfischung und eine wachsende Schifffahrt belasten die Weltmeere immer mehr. Wirtschaftliche Interessen waren ein Knackpunkt in der jüngsten Verhandlungsrunde, die am 20. Februar begonnen hatte. Zudem forderten Entwicklungsländer eine größere Unterstützung.

    Das Abkommen soll dazu beitragen, den Verlust der biologischen Vielfalt im Meer aufzuhalten und eine nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten. Laut Greenpeace müssen bis 2030 jedes Jahr elf Millionen Quadratkilometer Meeresfläche unter Schutz gestellt werden, um das Ziel zu erreichen. “Die Uhr tickt noch immer”, sagte Greenpeace-Vertreterin Laura Meller.

    Die EU-Kommission und Umweltministerin Lemke forderten eine rasche Ratifizierung. “Deutschland wird die Umsetzung dieses wichtigen Abkommens vorantreiben”, kündigte Lemke an. “Denn der Ozean ist unser mächtiger Verbündeter in der Klima- und Biodiversitätskrise. Wenn wir ihn schützen, schützen wir auch uns Menschen.” rtr/dpa/tho

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    • Klimaschutz
    • Umweltschutz

    Presseschau

    Kanzler und EU-Chefin beschwören Zusammenhalt ZDF
    European Commission president says EU must maintain its position as world leader in clean energy EURONEWS
    Leyen: Bisher keine Beweise für Waffen aus China für Russland WEB
    Streit um EU-Verbot für Verbrennungsmotoren geht weiter ZEIT
    Besuch in der Ukraine: EU-Parlamentspräsidentin – Kampfjets ernsthaft erwägen AUGSBURGER-ALLGEMEINE
    Trotz Streits über Ukraine-Krieg: China betont Gemeinsamkeiten mit EU BERLINER-ZEITUNG
    Subventionsstreit: Erste Zeichen der Entspannung zwischen USA und EU DEUTSCHE-WIRTSCHAFTS-NACHRICHTEN
    Moldau: Aus Angst vor Russland – EU bereitet zivile Mission vor WELT
    Krieg im Kongo: EU richtet humanitäre Luftbrücke ein TAGESSPIEGEL
    Todeszone EU-Außengrenze: Alltägliches Massaker im Mittelmeer TAZ
    Meloni weist Vorwürfe nach Havarie zurück FAZ
    EU-Nachbarn nahmen nur 1 Prozent der Flüchtlinge auf: Mittelmeerstaaten fordern mehr Solidarität EURONEWS
    Die Frage nach dem Danach: Ein Drittel der Ukraine-Flüchtlinge will in EU bleiben KURIER
    Mehr Unabhängigkeit von China: EU-Kommission will Produktion von Solaranlagen ankurbeln N-TV
    Umstritten: EU-Kommission gibt GVO-Raps für Lebens- und Futtermittel frei TOPAGRAR
    EU-Revolution: Senioren müssen künftig ab 70 nachweisen, dass sie noch Autofahren können MERKUR
    Digitale Führerscheine sollen in der ganzen EU funktionieren STADT-BREMERHAVEN
    Lautstärkebegrenzung in der EU: Darum sind Handy, MP3-Player und Co. oft nicht laut genug NETZWELT
    Britische Ministerin bringt Einsatz von ChatGPT in Regierungsarbeit ins Spiel RND
    EU clean tech draft plan sets 40% production target FT

    Kolumne

    Weshalb Daten-Geiz ins digitale Abseits führt

    Von Henning Vöpel und Stephan Biallas
    Stephan Biallas (l.) ist Leiter der Mittelstandsberatung bei EY für Zentral- und Westeuropa, Henning Vöpel ist Direktor des Centrums für Europäische Politik (cep).

    Ihrem Wettbewerber die eigenen Daten überlassen? Was sich wie eine sozialistische Utopie oder eine digitale Dystopie anhört, wird in der EU schon bald regulatorische Realität. Alle Daten, die durch Nutzung vernetzter Produkte, etwa Autos, Smart Consumer Electronic oder Haushaltsgeräte, entstehen, müssen demnächst zugänglich gemacht werden.

    Die Kommission will Herstellern vernetzter Produkte und Erbringern verbundener Dienste eine Datenteilungspflicht auferlegen. Was heißt das konkret? Sie als Hersteller müssen gegenüber Geschäftspartnern und Kunden sowie den von diesen beauftragten Drittunternehmen Ihre Daten bereitstellen. Die EU möchte mit diesem regulatorischen Eingriff die europäische Datenwirtschaft und den digitalen Wettbewerb dadurch voranbringen, dass der Austausch und die Nutzung dieser Daten erleichtert wird. Dies gilt übrigens auch für nicht in der EU ansässige Unternehmen, die ihre vernetzten Produkte in der EU vertreiben – wie Sprachassistenten oder Smart Watches. Somit werden diese Anbieter erstmals gesetzlich zu umfassender Transparenz der durch ihre Produkte generierten Daten verpflichtet.  

    Produkt und Nutzung werden gläsern

    Was bedeutet das für ein Unternehmen, das in Zukunft compliant sein will? Sie müssen Daten in strukturierter und lesbarer Form zur Verfügung stellen. Ihr Produkt und dessen Nutzung wird somit gläsern, auch für Ihre Wettbewerber, und Sie verfügen nicht mehr allein und ausschließlich über “Ihre” Daten. Dieser Kontrollverlust mag für viele Unternehmen zunächst bedrohlich klingen. Tatsächlich aber bietet er gleichzeitig immense Chancen für neue Geschäftsfelder und innovative Geschäftsstrategien. Dies sei an einem Beispiel aus der Haushaltsgerätebranche erläutert:  

    Hersteller A, unser “passives Subjekt“, entscheidet sich aufgrund des Data Act, nur noch möglichst wenig Daten (zum Beispiel Betriebsstunden) zu generieren, um seinen Wettbewerbern dadurch möglichst wenig Einblick in sein Produkt, dessen Design und Eigenschaften geben zu müssen. Hersteller B, unser “innovativer Gestalter”, erfasst dagegen nun noch umso detailliertere Betriebsdaten und stellt diese gemäß Data Act zur Verfügung.

    Geschäftsmodelle der Datenökonomie

    Es ist nicht schwer zu erraten, welcher der beiden Hersteller in einer zukünftigen Datenökonomie attraktiver für Kunden, Vertriebs- und Servicepartner und sogar seine eigene Entwicklungsabteilung ist. Nicht derjenige, der sich ins digitale Schneckenhaus zurückzieht, sondern derjenige, der sich offensiv für Daten-Partnerschaften anbietet. Es seien nur einige denkbare Vorteile und neue Geschäftsfelder für Hersteller und deren Handelspartner genannt:

    • der Kunde kann das Ausfallrisiko seines Gerätes verringern, indem er einen günstigen, auf “predictive maintenance” basierenden Wartungsvertrag eines Serviceanbieters abschließt
    • sollte es zu einem Defekt kommen, so kann der Kunde basierend auf den Daten des Fehlerspeichers des defekten Gerätes, die er auf eine entsprechende Reparaturplattform stellt, den Reparaturauftrag seines Gerätes verauktionieren
    • die Daten ermöglichen dem Kunden ferner ein hohes Maß an Bequemlichkeit und die Nutzung von Preisvorteilen bei der Beschaffung von Verbrauchsmaterialien, etwa durch eine bedarfsorientierte automatische Nachbestellung von Waschmittel
    • es ergeben sich zahlreiche Chancen für nachhaltigeres und ressourcenschonenderes Handeln im Zusammenspiel zwischen den Kunden, Servicepartnern und dem Hersteller durch Datenpartnerschaften. Daten werden zum entscheidenden Treiber der Nachhaltigkeitsstrategie  

    Die Digitalisierung wird neue Ökosysteme hervorbringen, in denen es zu Mischformen aus Daten-Wettbewerb und Daten-Kooperation kommt. Der Data Act beschleunigt diese Entwicklung. Rhetorische Frage: Welche Rolle wollen Sie in diesem neuen Umfeld spielen – die des passiven Mitschwimmers als bloßer Datenlieferant, des aktiven Gestalters oder vielleicht sogar eines strategischen Investors, der zum zentralen Akteur in datenbasierten Ökosystemen wird? Die intuitive Reaktion auf den Data Act ist also grundfalsch: Statt mit Daten zu geizen, ist es viel besser, offensiv die Chancen des Data Act zu nutzen.

    • Data Act

    Europe.Table Redaktion

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