Friedrich Merz will einen “radikalen Bürokratieabbau” in Europa. “Wir müssen jetzt ans Eingemachte”, sagte der Kanzlerkandidat der Union im Podcast Table.Today. Er sei nicht mehr bereit, “mit kleinen Schräubchen zu antworten auf diese großen Fragen”. Deshalb werde er mit anderen führenden EVP-Politikern einen Vorschlag machen, wo man Regulierung rückgängig machen werde. “Nicht ein bisschen korrigieren, nicht stoppen, rückgängig machen mit dem, was da in der Europäischen Union beschlossen worden ist.“
Merz setzt auf die konservativen Regierungschefs, weniger auf die EU-Kommission. Er werde Ursula von der Leyen immer mit einbeziehen. Aber die EU-Kommission sei sehr heterogen und ein riesengroßer Apparat mit eingefahrenen Ritualen, die dabei bremsen könnten. Die Kommission brauche deshalb “Anstöße und Hilfe von außen”. Von den 27 Staats- und Regierungschefs der EU gehörten bereits 13 der EVP an. “Ich werde der 14., dann hätten wir sogar rechnerisch die Mehrheit.” Es werde jetzt ein paar grundsätzliche Entscheidungen geben müssen, und die werde er anstoßen.
Ein zentrales Ziel der Union: das Verbrennerverbot abzuschaffen. Merz betonte, er werde versuchen, mit den EVP-Regierungschefs eine Aufhebung des Verbots auf den Weg zu bringen. Die Festlegung alleine auf die E-Mobilität dürfe keinen Bestand haben. Er wolle als Politiker keineswegs darüber entscheiden, welche Technik angewendet werde. Er sage nur: “Das sind die Bedingungen, das sind die Grenzwerte; das sind die Umweltziele, die wir erreichen wollen.”
Aber er sage ihnen nicht, dass das alles nur mit Elektro gehe. Im Übrigen lebe in Deutschland die Hälfte der Bevölkerung in Mietwohnungen, und die Hälfte der Mieter wohne in Mehrfamilienhäusern, wahrscheinlich seien das sogar zwei Drittel. “Da eine Ladeinfrastruktur aufzubauen, dass die alle mit E-Mobilität unterwegs sein können, ist schlicht und ergreifend ausgeschlossen. Technisch unmöglich.”
Das ausführliche Interview mit Friedrich Merz können Sie ab Samstagmorgen hier hören.
Was haben die vier Parteien der Mitte mit realistischer Regierungsperspektive zu EU-Fragen zu sagen? Die Unterschiede stechen ins Auge: Die Grünen räumen Europa besonders viel Platz ein in ihrem Wahlprogramm, die FDP beschränkt sich hingegen auf eine Seite. CDU/CSU wollen “Europa nur dort, wo Europa einen Mehrwert für alle schafft”. Das trifft aber offenbar auf viele Bereiche zu, vom Binnenmarkt über Digitalisierung, Klimaschutz, Energie, Handel bis zu Migration und Verteidigung.
CDU/CSU: Die Christdemokraten setzen auf vertiefte Integration und Bürokratieabbau. In ihrem Programm fordern sie die Energie- und die Kapitalmarktunion, Letztere war in der Vergangenheit nicht zuletzt am deutschen Widerstand gescheitert. Die Bürokratie soll unter anderem durch einen “sofortigen Belastungsstopp für neue und laufende EU-Initiativen” eingedämmt und die Vergabeverfahren vereinfacht werden. Die Produktion von Halbleitern und Batteriezellen in Europa will die Union stark ankurbeln.
SPD: Auch die Sozialdemokraten wollen laut Programmentwurf einen “Praxischeck” einführen, damit EU-Initiativen nicht zu weiterer Bürokratielast führen. Zudem will auch sie die Banken- und Kapitalmarktunion vorantreiben. Die Partei fordert außerdem eine “europäische Resilienzstrategie”, die geoökonomische Risiken verringert und Schlüsselindustrien wieder in Europa ansiedelt. Dabei denkt die SPD an Local-Content-Regeln und Lokalisierungspflichten.
Grüne: Die Grünen wollen die Industriepolitik mittels grüner Leitmärkte europaweit vorantreiben. So sollen öffentliche Aufträge zum Beispiel eine Mindestquote für grünen Stahl berücksichtigen. Damit die EU auch wirtschaftlich von den Klimaschutzmaßnahmen profitieren kann, braucht es nach Ansicht der Grünen aber auch mehr Finanzkraft auf europäischer Ebene. Der EU-Haushalt soll durch neue Eigenmittel gestärkt werden, zum Beispiel durch eine Steuer auf Digitalkonzerne. Auch eine Finanzierung über europäische Anleihen ist für die Grünen kein Tabu.
FDP: Die FDP setzt stark auf die Karte Bürokratieabbau. Die EU-Kommission sei mittlerweile die Hauptquelle der Bürokratie. Deshalb fordert die Partei ein “striktes Gold-Plating-Verbot”, europäische Richtlinien sollen auf nationaler Ebene also nicht mit Zusatzregelungen versehen werden. Die Berichtspflichten insbesondere zur Taxonomie, zur CSRD oder zur Lieferkettenrichtlinie will die FDP weiträumig abschaffen. jaa
CDU/CSU: Die CDU/CSU fordert ein zügiges Inkrafttreten des Mercosur-Abkommens. Auch sonst wollen die Christdemokraten mehr Handelsabkommen abschließen und die Abhängigkeit von China reduzieren. Die Außen- und Entwicklungspolitik soll sich stärker an den wirtschaftlichen Interessen Europas ausrichten.
SPD: Für die SPD sind Abkommen wie jenes mit Mercosur “wichtige Meilensteine”, doch sei die Erfüllung sozialer und ökologischer Standards wichtig. In Zukunft sollen solche Abkommen “einfacher gestaltet und schneller zum Abschluss gebracht werden”.
Grüne: Die Grünen setzen sich für “ausgewogene Partnerschaften” ein, die hohen ökologischen Standards genügen. So verteidigen sie auch die Lieferkettenrichtlinie der EU. Um schnellere Verhandlungserfolge zu erzielen, sollen Handelsabkommen weniger umfassend sein und sich stattdessen auf wenige Sektoren fokussieren. Zudem müsse sich die EU stärker gegen chinesische Überproduktion einsetzen.
FDP: In Bezug auf Überproduktion aus China klingt die FDP ähnlich. Zudem solle man der “Schwemme illegaler Billigprodukte aus China europaweit den Kampf ansagen”. Die Partei fordert außerdem von der EU, “so viele Freihandelsabkommen wie möglich abzuschließen”. jaa
CDU/CSU: Der europäische Emissionshandel (ETS) soll zum Leitinstrument des Klimaschutzes ausgebaut und die Einnahmen an Verbraucher und Wirtschaft zurückgegeben werden. Für Biomethan und Wasserstoff streben CDU/CSU eine Beimischung ins Gasnetz an, obwohl die neue Gasmarktverordnung das nur als letztes Mittel zur Förderung vorsieht.
SPD: Die SPD fordert einen Paradigmenwechsel in der Klimapolitik, macht aber kaum neue Vorschläge. Klimaclub, Klimageld und kommunale Wärmeplanung kennt man bereits. Bei der Kommission will sie sich dafür einsetzen, dass mehr energieintensive Branchen von der Strompreiskompensation profitieren. Für Wasserstoff wollen die Sozialdemokraten ausreichende Speicherkapazitäten schaffen, etwa als nationale Reserve. Außerdem setzen sie sich für eine EU-Rohstoff-Strategie ein.
Grüne: Auch die Grünen wollen mit dem Klimageld erreichen, dass Klimaschutz sozial gerechter wird, befürworten aber auch umfassende Subventionsprogramme, zum Beispiel für E-Autos und Häusersanierung.
FDP: Die FDP stellt das gesetzliche Klimaneutralitätsziel Deutschlands für 2045 infrage. Sie will mithilfe des EU-Emissionshandels weitere Klimaregulierungen, darunter die CO₂-Flottenregulierung, rückgängig machen. Die Stromsteuer will die FDP abschaffen und sukzessive auch die Mindestsätze für die Energiesteuer auf Heiz- und Kraftstoffe. Übrigbleiben soll allein der CO₂-Preis. ber/luk
CDU: Die Union setzt auf “souveräne KI- und Cloudanwendungen”, um die Reindustrialisierung des Landes voranzutreiben. Sie will ein Bundesdigitalministerium einrichten und Prozesse digitalisieren. So will sie ein digitales Bürgerkonto umsetzen und eine sichere digitale Identität mit eigenem Postfach für Behördengänge einrichten. Die soll auch eIDAS-kompatibel sein, was allerdings das EU-Recht bereits vorschreibt.
SPD: Die Partei betont, dass sie sich der Diskriminierung in digitalen Räumen durch Rechtspopulisten und anderen Kräften entgegenstellen will. Zudem will sie bei der Regulierung von digitalen Plattformen und Künstlicher Intelligenz “für Augenhöhe zwischen Kreation und Technologie und für faire Vergütungsregeln” sorgen.
Grüne: Zunächst betonen die Grünen, dass Europa bei der Digitalisierung aufholen muss. Dann kündigen Sie ebenfalls an, die öffentliche Verwaltung für Bürger und Unternehmen digitaler zu gestalten. Schließlich wollen sie mit einem digitalen EU-Produktpass für weniger Müll sorgen.
FDP: Überall will die FDP die Digitalisierung vorantreiben – bis hin zum digitalen Euro, dessen Nutzung allerdings “freiwillig” sein soll. Die Steuerung soll ein zentrales Digitalisierungsministerium übernehmen. vis
CDU/CSU: Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO stellt für die Union nur die “Untergrenze” der Verteidigungsausgaben dar. Ziel ist der Aufbau eines Binnenmarktes für Rüstungsgüter mit gemeinsamen Exportregeln. Der Zugang der Hersteller zu Finanzierungen soll nicht über ESG-Kriterien behindert werden.
SPD: Auch die SPD spricht sich für eine Verteidigungsfinanzierung von “mindestens zwei Prozent” des BIP aus. Zudem plädiert sie für eine europäische Verteidigungsunion, in der “wir Investitionen abgestimmt tätigen und unsere Streitkräfte partnerschaftlich organisieren”. Daneben bekennt sich die SPD “klar” zur Unterstützung der Ukraine, warnt aber mit Blick auf Merz davor, sich auf “gefährliche Abenteuer” einzulassen.
Grüne: Selbst die Grünen plädieren für einen Verteidigungsetat von “dauerhaft deutlich mehr als 2 Prozent”. Auf nationaler wie europäischer Ebene sollten die Investitionen über eine höhere Kreditaufnahme finanziert werden. Die EU-Staaten bräuchten finanzielle Anreize und den politischen Willen, um nationale industriepolitische Interessen in den Dienst von mehr gemeinsamer Sicherheit zu stellen. Zugleich pochen die Grünen auf eine gemeinsame, aber restriktive Rüstungsexportpolitik.
FDP: Die Liberalen fordern, dass Deutschland mindestens das 2-Prozent-Ziel erfüllt. Die Formulierung, perspektivisch sogar drei Prozent erreichen zu wollen, wurde aus dem finalen Entwurf gestrichen. Die Bundeswehr soll “zur stärksten konventionellen Streitkraft in Europa” werden. Zudem unterstützt die FDP perspektivisch den Beitritt der Ukraine zu EU und NATO. tho
CDU/CSU: Die Union will einen “faktischen Aufnahmestopp” sofort durchsetzen und dafür Asylsuchende an den deutschen Grenzen zurückweisen. Zudem will sie den Kreis der Schutzberechtigten drastisch verkleinern, indem sie den subsidiären Schutzstatus abschafft. Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden, dort ein Asylverfahren durchlaufen und im Falle eines positiven Ausgangs auch dort bleiben. Flüchtlinge aufnehmen wollen CDU/CSU nur noch im Rahmen von Kontingenten.
SPD: Für die SPD ist hingegen das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) der Schlüssel, um Migration zu steuern und zu ordnen. Die EU-Außengrenzen sollen besser kontrolliert werden, Pushbacks dürfe es aber nicht geben. Die Drittstaatenlösung lehnt die SPD ab.
Grüne: Die Partei beharrt: “Das Recht auf Einzelfallprüfung und das Nichtzurückweisungsgebot gelten immer und überall”. Die Asylanträge müssten innerhalb der EU geprüft werden – Drittstaatenverfahren kosteten viel Steuergeld und würden vor Gerichten scheitern. Die Grünen bevorzugen Migrationsabkommen, die legale Migrationswege ermöglichen und zugleich die Rücknahme abgelehnter Asylbewerber vorsehen.
FDP: Wer die Voraussetzungen für einen Aufenthalt in Deutschland nicht erfüllt, solle gar nicht erst dauerhaft nach Deutschland einreisen können, fordern die Liberalen. Die Rolle von Frontex beim Schutz der Außengrenzen solle gestärkt werden. Die EU solle zudem Migrationsabkommen aushandeln, um die Rücknahmebereitschaft der Herkunftsländer zu fördern. tho
CDU/CSU: Der Beitritt der Ukraine, Moldaus und der Westbalkan-Länder liegt für die Union im sicherheitspolitischen Interesse der EU – da sind sich die vier Parteien weitgehend einig. Die Kandidatenländer sollen über Zwischenstufen an die EU herangeführt werden. Abstriche bei den Beitrittskriterien dürfe es nicht geben. CDU/CSU sehen Reformbedarf bei den EU-Institutionen, ohne konkret zu werden. Gegen Rechtsstaatsverstöße soll die Kommission konsequenter vorgehen.
SPD: Spätestens mit der EU-Erweiterung müsse eine Reform der Europäischen Verträge erfolgen, fordert die SPD. Dazu gehöre insbesondere die Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip im Rat. Zudem plädiert sie für schärfere Rechtsstaatsinstrumente.
Grüne: Die Partei wird konkreter: Mehrheitsentscheidungen sollen in allen Politikbereichen eingeführt werden, notfalls sollen Gruppen von Mitgliedstaaten in einer “Koalition der Willigen” vorangehen, die aber offen bleiben für alle. Das Europaparlament soll ein Initiativrecht für Gesetze erhalten, ein Teil der Abgeordneten soll künftig über transnationale Listen gewählt werden. Zudem soll die Bürgerbeteiligung ausgebaut werden. Das Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags soll mithilfe qualifizierter Mehrheitsentscheidungen wirkungsvoller werden. Vision der Grünen bleibt eine “Föderale Europäische Republik mit eigener Verfassung”.
FDP: Die Freien Demokraten fordern institutionelle Reformen, um die eigenständige Handlungsfähigkeit der EU zu erhöhen. Konkret nennen sie qualifizierte Mehrheitsentscheidungen in der Außen- und Sicherheitspolitik, eine Verkleinerung der Kommission und ein Initiativrecht des EU-Parlaments. tho
CDU/CSU: Das Bundeskanzleramt soll künftig eine stärker koordinierende Rolle übernehmen, schreibt die Union. Deutschland dürfe sich in zentralen Politikfeldern in den Räten nicht länger enthalten. Zudem will Kanzlerkandidat Merz eine enge Abstimmung zwischen Berlin, Paris und Warschau “zu allen relevanten Fragen der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik” erreichen.
SPD: Die Sozialdemokraten äußern sich nicht zur Koordinierung in der Bundesregierung. Sie betonen die deutsch-französische Partnerschaft, die unter Kanzler Scholz aber gelitten hatte, ebenso wie die Beziehungen zu Polen und den anderen EU-Ostseeanrainern. Die Zusammenarbeit mit Großbritannien insbesondere in der Verteidigung wird betont.
Grüne: “Nationale Alleingänge lehnen wir ab und ein ständiges German Vote ist schädlich”, heißt es im Programm – ohne konkrete Vorschläge zu machen. Besonders mit Frankreich und Polen wolle man die EU voranbringen.
FDP: Kein Wort zur EU-Koordinierung innerhalb der Bundesregierung. Stattdessen plädieren auch die Liberalen eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich, eine Stärkung des Weimarer Dreiecks mit Polen und eine tiefere Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich, insbesondere in Fragen der Sicherheit und Verteidigung. tho
Herr Morawiecki, am 15. Januar übernehmen Sie das Amt von Premierministerin Giorgia Meloni. Was möchten Sie an den Prioritäten der politischen Familie ändern?
Europa verliert nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit seiner Industrie, sondern auch seine Werte. Meine Vorgängerin Giorgia Meloni hat ein starkes Fundament geschaffen, auf das ich aufbauen kann. Konkret möchte ich mich darauf konzentrieren, die Europäische Kommission und ihren überbürokratischen Ansatz in vielen Wirtschaftssektoren herauszufordern. Wir müssen ein dynamischeres, schumpeterianisches Umfeld für wirtschaftliche Entwicklung schaffen. Europa befindet sich in einer Phase der Stagnation oder Stagflation.
Was konkret kritisieren Sie an der EU?
Es gibt derzeit drei große Defizite: illegale Migration, den Green Deal und zu viel Bürokratie. Diese drei Bereiche sind eine Art Ideologie, die rationalen wirtschaftlichen Prinzipien entgegensteht. Sicherheit sollte das grundlegende Thema der gesamten Europäischen Union sein. Polen war unter meiner Amtszeit als Premierminister eines der sichersten Länder Europas, vielleicht sogar der Welt. Anders etwa Schweden, Frankreich oder Deutschland, wo Ängste, Unruhen und Unordnung auf den Straßen häufig mit illegaler Migration und anderen Problemen zusammenhängen. Wir brauchen außerdem eine Renaissance der europäischen Industrie. Mein Plan ist, das Label “Designed and Crafted in Europe” zu schaffen – als europäische Antwort auf “Make America Great Again” oder “Made in China” unter Xi Jinping.
Im Europäischen Parlament arbeitet die EVP in jüngster Zeit bei verschiedenen Themen mit der EKR zusammen. Freut Sie das?
Wir sind offen für die Zusammenarbeit mit allen, denen die Zukunft Europas am Herzen liegt. Sollte die EVP weiterhin verstärkt mit linken Gruppen kooperieren, werden wir deren Agenda entschieden entgegentreten. Ich erkenne jedoch, dass sich die EVP zunehmend in Richtung der EKR-Programmatik bewegt, was mich freut. Die EKR kann sowohl mit der Fraktion Patrioten für Europa als auch mit der EVP zusammenarbeiten. Diese drei Fraktionen sind nahe daran, eine Mehrheit zu bilden. Gemeinsam können wir eine Koalition des gesunden Menschenverstands schaffen.
Wo sehen Sie Unterschiede zur EVP?
Die größten Unterschiede betreffen den Green Deal und die illegale Migration. Ich sehe, dass sich die EVP-Positionen in diesen beiden Bereichen langsam ändern. Dennoch schließen in Polen und anderen europäischen Ländern täglich Fabriken.
In der EVP gibt es 17 polnische Europaabgeordnete der Bürgerplattform von Donald Tusk. Kann die EKR mit ihnen zusammenarbeiten?
Das macht die Situation in der Tat schwierig. Die aktuelle polnische Regierung verfolgt eine äußerst antidemokratische Agenda. Wir versuchen in Polen, nationale Themen als innere Angelegenheiten zu behandeln. Auf europäischer Ebene sind wir jedoch bereit, mit allen zusammenzuarbeiten, die das Wohl und die Zukunft der EU im Blick haben.
Wie bewerten Sie den Beginn der Trump-Administration?
Ich begrüße die Trump-Administration sehr. Europa und die USA sollten vereint agieren. Was wir jetzt brauchen, ist eine Renaissance der westlichen Welt, der westlichen Zivilisation. Nur ein Europa mit starker Industrie, widerstandsfähigem Militär und lebhafter Wirtschaft kann ein wirklich wertvoller Partner für die USA sein. Gleichzeitig sehe ich die Bedrohungen durch China und Russland. Russland wird zunehmend zu einer Art Juniorpartner Chinas, und beide zusammen stellen eine Herausforderung für die westliche Zivilisation dar.
Trump könnte einen Deal mit Russland zulasten der Ukraine schließen.
Ich hoffe, dass Trump die Unterstützung für die Ukraine nicht einstellen wird. Es wäre ein herber Rückschlag für den Status der Vereinigten Staaten. Ich glaube, Trump wird eine Kompromisslösung anstreben, die starke Unterstützung für die Ukraine umfasst und gleichzeitig eine Einigung mit dem Kreml anstrebt. Falls diese Verhandlungen nicht in gutem Glauben geführt werden, bin ich überzeugt, dass Präsident Trump die Ukraine mit umfangreichen Waffenlieferungen unterstützen wird.
In Polen stehen Präsidentschaftswahlen an. Falls der PiS-Kandidat gewinnt: Wird er weiterhin die Initiativen der Tusk-Regierung blockieren oder eine Einigung mit Donald Tusk anstreben müssen?
Streng genommen ist Karol Nawrocki kein PiS-Kandidat. Er wurde von einem unabhängigen Komitee vorgeschlagen, das nicht parteigebunden ist. Meine Partei unterstützt ihn. Nawrocki ist ein charismatischer Führer mit klarer Vision und einem Sinn für Vernunft und Leidenschaft. Ich glaube, er ist die richtige Person, um den “polnischen Bürgerkrieg” zu beenden.
Es ist eine delikate Gratwanderung: Wie kann man sich auf Donald Trump einstellen, ohne falsche Signale zu setzen oder vorwegzunehmen, was der künftige US-Präsident dann tatsächlich tun wird? Dafür einen Weg zu finden, ist die schwierige Aufgabe, die sich der neue EU-Ratspräsident António Costa laut Diplomaten für seinen ersten Gipfel am Donnerstag gesetzt hat.
Dieselbe Frage dürfte auch am Mittwochabend beim diskreten Treffen in der Residenz von Nato-Generalsekretär Mark Rutte im Raum gestanden haben. Einiges hat Trump zwar angekündigt, doch gleichzeitig gilt er als unberechenbar. Zu früh die Weichen falsch zu stellen, könnte sich rächen.
António Costa hat Wolodymyr Selenskyj für die Diskussion zur Ukraine am Donnerstag hinzugeladen. Geplant ist eher ein Brainstorming, keine Entscheidungen. Der ukrainische Präsident war schon am Vorabend in Brüssel, zuerst alleine für ein Rendezvous bei Rutte. Selenskyj wollte dort über weitere Unterstützung für sein Land reden. Thema dürfen aber auch die Sicherheitsgarantien und andere Konditionen für den Fall eines Waffenstillstandes gewesen sein, zu dem Trump die Ukraine zwingen könnte.
Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und andere Staats- und Regierungschefs sollten nach einem parallelen Abendessen mit den Kandidatenländern des Westbalkans später zur kleinen Runde in der Residenz Ruttes dazustoßen.
Olaf Scholz kam mit dem deutlichen Anliegen nach Brüssel, angesichts der öffentlichen Spekulationen über Friedensverhandlungen gegenzusteuern. Manche begingen den Fehler, den dritten und vierten Schritt vor dem ersten zu machen, sagte der Bundeskanzler bei der Ankunft für das Treffen mit den Westbalkanländern. Einige beschäftigten sich nicht genug mit der Frage, wie der Ukraine weiter geholfen werden könne: “Es muss klar sein, dass wir die Ukraine so lange wie nötig unterstützen.” Es dürfe jedenfalls keinen Frieden über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer geben. Und das Land dürfe keinem Diktatfrieden unterworfen werden.
Scholz zeigte sich zudem zuversichtlich mit Blick auf die Zusammenarbeit mit der künftigen US-Administration: Bei den Gesprächen mit Präsident Trump sei ihm klar geworden, dass es möglich sei, gemeinsam vorzugehen, damit die Ukraine eine gute Perspektive haben werde.
Nicht überraschend war die deutliche Ansage der neuen EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas: Die Situation sei die, dass Russland keinen Frieden wolle. Deshalb müsse die Ukraine so gut wie möglich unterstützt werden. Je stärker die Ukraine auf dem Schlachtfeld sei, desto stärker werde sie später am Verhandlungstisch sein. In eine ähnliche Richtung gingen die Aussagen des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk: Es sei jetzt an der Zeit, dass der gesamte Westen an seine eigene Stärke glaube. Die Ukraine verdiene einen gerechten Frieden, ebenso wie den Respekt für ihre territoriale Integrität.
So schnell werden die Spekulationen über Friedenstruppen und Sicherheitsgarantien aber nicht verstummen. Die beste Sicherheitsgarantie sei es, die Ukraine so aufzurüsten, dass sie für Russland “unverdaulich” werde, sagen Diplomaten. Dann könne sich auch ein Szenario wie die Krim-Annexion von 2014 nicht wiederholen. Ohne die USA werde es aber kaum gehen.
Die Frage von Friedenstruppen dürfte ohnehin nicht in Brüssel, sondern in den nationalen Hauptstädten entschieden werden. Immerhin ist die Hilfe für die Ukraine bis Ende 2025 durchfinanziert, insbesondere dank Weichenstellungen bei den Windfall-Profits auf die russischen Staatsbankgelder. Dies wird auch im Entwurf der Gipfelschlussfolgerungen unterstrichen. Da kann auch Donald Trump keinen großen Schaden anrichten.
Große Defizite habe die Ukraine beim Schutz der Infrastruktur und bei der Energieversorgung, die von Russland zerbombt werde, sagten Diplomaten. Dies sei für Moral und Widerstandskraft in der Ukraine ein großes Problem. Gefragt seien mehr Systeme zur Raketenabwehr. Es ist ein Bereich, in dem die Europäer auf die Hilfe der USA angewiesen seien. Europa müsste sich generell auf das Szenario einstellen, dass die USA etwa keine Munition mehr lieferten.
Der Ukraine mangele es zudem nicht nur an Waffen, sondern immer mehr an Soldaten, sagten Diplomaten. In die Diskussion über die Senkung des Alters für die Wehrpflicht auf 18 Jahre möchten sich die europäischen Partner aber nicht einschalten. Diese sensible Frage müsse die Ukraine entscheiden. Schließlich gehe es darum, ob eine Generation für den Krieg geopfert werden solle oder nicht.
Die kommenden drei Ratspräsidentschaften wollen vor allem die Außenbeziehungen und den Grenzschutz der EU stärken. Das geht aus dem noch unveröffentlichten Achtzehnmonatsprogramm von Polen, Dänemark und Zypern hervor. Die Regierungen der drei Mitgliedstaaten bilden von Januar 2025 bis Juni 2026 die nächste Triopräsidentschaft, die sich stets ein gemeinsames Programm gibt.
Priorisieren will das Trio laut dem zehnseitigen Dokument zwei Punkte:
Nach Zahlen von Eurostat von Mittwoch ist die Zahl der Menschen, die erstmals einen Asylantrag in der EU gestellt haben, im September innerhalb eines Jahres um 24 Prozent zurückgegangen – von 99.930 auf 75.755 Personen. ber
Am gestrigen Mittwoch stellte die EU-Kommission den zweiten Teil des Herbstpakets des Europäischen Semesters vor. In ihrem Warnmechanismusbericht (Alert Mechanism Report) identifiziert sie neun Mitgliedstaaten, die sich in einem makroökonomischen Ungleichgewicht befinden: Deutschland, die Niederlande, Griechenland, Zypern, Italien, Ungarn, Rumänien, die Slowakei und Schweden.
Zudem fürchtet die Kommission, dass dies nun auch für Estland zutreffen könnte. Für alle zehn Mitgliedstaaten wird die Brüsseler Behörde im Frühling einen detaillierten Bericht abliefern.
Während Länder wie Rumänien das Problem haben, dass sie ein hohes Handelsdefizit mit hohen Staatsdefiziten kombinieren, sieht es bei Deutschland umgekehrt aus. Die Kommission moniert einen zu hohen Handelsüberschuss, eine zu hohe Sparquote und zu wenig Investitionen. Dies habe vor allem mit deutschen Regeln wie der Schuldenbremse zu tun, sagte ein EU-Beamter. Aber aktuell kommen Deutschland auch die EU-Schuldenregeln in den Weg.
Während die Kommission im Rahmen der Überprüfung der makroökonomischen Risiken die zu geringen öffentlichen Investitionen der Bundesrepublik beklagt, schlägt sie zugleich für Deutschland im Rahmen der neuen EU-Schuldenregeln einen restriktiveren Ausgabenpfad vor, als die Bundesregierung vorgesehen hatte.
Die Kommission will darin aber keinen Widerspruch sehen. “Es ist immer ein delikates Gleichgewicht“, sagte Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis. Für 2025 erwarte die Kommission im EU-Schnitt trotz einer leicht restriktiven Fiskalpolitik höhere öffentliche Investitionen. Die Kritik an den EU-Schuldenregeln will er daher nicht gelten lassen: “Der neue europäische Wirtschaftssteuerungsrahmen gewährt Deutschland in den meisten Fällen mehr fiskalischen Spielraum als die Schuldenbremse.”
Im Rahmen des Europäischen Semesters publizierte die EU-Kommission am Mittwoch auch einen Bericht zur Beschäftigung in der EU (Joint Employment Report). Während die Arbeitslosenquote mit 6,1 Prozent im historischen Vergleich erfreulich tief ist, bleiben andere Kennzahlen in wichtigen Bereichen hinter den EU-Zielen zurück. So stagniert die Jugendarbeitslosigkeit bei fast 15 Prozent.
Auch bei der Weiterbildung gibt es nur wenig Bewegung. Die EU hatte sich das Ziel gegeben, dass bis 2030 der Anteil der Arbeitnehmer, die pro Jahr eine Weiterbildung machen, bei 60 Prozent liegen soll. Schon 2025 soll der Wert bei mindestens 50 Prozent liegen. 2022 lag der Wert bei 39,5 Prozent – eine Steigerung um bloß 2,1 Prozentpunkte im Vergleich zu 2016.
Die Arbeitskommissarin und Vizepräsidentin Roxana Mînzatu sagte, dass die Zahlen nicht zufriedenstellend seien. “Wir brauchen eine Revolution, ein neues Mindset für Skills”, sagte sie. Ansonsten seien die wirtschaftliche Transformation und das notwendige Produktivitätswachstum nicht zu meistern. Im März wolle sie eine “Union für Skills” vorstellen. Die Hände der Kommission sind jedoch weitgehend gebunden, da sie in Bildungs- und Arbeitsmarktfragen nur wenig Kompetenzen hat. jaa
Der Beschäftigungsausschuss im Europäischen Parlament plant im kommenden Jahr einen Initiativbericht zur Bekämpfung des Subunternehmertums. Das erfuhr Table.Briefings aus Kreisen des Ausschusses. Kritiker sehen lange Subunternehmerketten als Problem, wenn es um die Gewährleistung von Beschäftigtenrechten geht. Mit jeder Auftragsweitergabe werde die Kontrolle schwerer.
Im Plenum fanden die Überlegungen über die Parteigrenzen hinweg am Mittwoch Zuspruch. So betonte etwa der EVP-Politiker Sérgio Humberto: “Das, was wir tun können, sollten wir tun.” Es gehe darum, die missbräuchliche Auftragsvergabe einzuschränken, damit es eine gerechte Behandlung gibt und Chancengleichheit, betonte der Portugiese.
Führende S&D-Politiker hatten sich bereits im Sommer für ein Subunternehmergesetz auf europäischer Ebene starkgemacht. Entsprechend betonte auch die S&D-Politikerin Gaby Bischoff: “Wir haben unterschiedliche Gesetze zu dem Thema. Hier ein bisschen, da ein bisschen. Aber wir müssen dieses komplexe System ganzheitlich angehen. Es braucht einen eigenen Gesetzesvorstoß auf EU-Ebene.”
Sie verwies auf das aus ihrer Sicht gelungene Verbot von Werk- und Leiharbeitsverträgen in der deutschen Fleischindustrie: “Das Gesetz wirkt. Die Unternehmen prosperieren weiter und die Menschen haben bessere Arbeits- und Lebensbedingungen.” Bischoff betonte, dass auch die Ausgliederung von Kernkerntätigkeiten Teil des Gesetzes sein müsse.
Sozialkommissarin Roxana Mînzatu hatte am Mittwoch ihren ersten Auftritt im Plenum. Sie hob insbesondere die Vulnerabilität von Drittstaatenangehörigen hervor: “Sie sind besonders oft in Subunternehmerketten und können unfairen Arbeitsbedingungen noch stärker ausgesetzt werden.” Drittstaatler sind bisher nicht Teil des Mandats der Europäischen Arbeitsbehörde ELA, die bei der Kontrolle grenzüberschreitender Schwarzarbeit unterstützt. Europaparlamentarier würden das gerne ändern – und hoffen, dass die neue Kommission das Thema angeht.
Mînzatu verwies ebenfalls auf bereits bestehende Instrumente und Gesetze auf europäischer Ebene – etwa das Lieferkettengesetz oder eben die Europäische Arbeitsbehörde ELA. Sie sprach sich erneut für eine Stärkung der Behörde aus. Aber sie spielte den Ball auch zurück ans Parlament. “Liebe Abgeordnete, ich verlasse mich auf ihre Unterstützung, dass missbräuchliche Unterauftragsvergabe bekämpft werden kann.” lei
Der Europäische Gewerkschaftsbund (ETUC) übt scharfe Kritik an der Schätzung der Kommission zu Kostenersparnissen durch die eDeclaration. In einer ersten Version des Arbeitsdokuments der Kommissionsdienststellen habe es noch geheißen, dass ein europäisches Meldeportal und der einheitliche Fragebogen zur Entsendung von Beschäftigten Einsparungen in Höhe von 1.414.000 Euro bringen würde – vorausgesetzt, es machen wie angekündigt neun Staaten mit, hieß es von ETUC. Wären alle Staaten dabei, lägen die Ersparnisse bei “ungefähr 13.945.000 Euro”, zitiert ETUC das erste Dokument.
Diese Zahlen finden sich nicht mehr in der im November veröffentlichten Fassung. Hier hieß es nun, dass die Einsparungen zwischen 95 und 342 Millionen Euro liegen würden – bis zu 25 Mal mehr als ursprünglich geschätzt. Zudem verweise das Dokument in der aktuellen Fassung auch auf Daten des VDMA, um die Schätzung zu untermauern, teilte ETUC mit. Die Kommission selbst erklärt dazu im Arbeitsdokument, die Zahlen des VDMA basierten “auf den deutschen Arbeitskosten, die über dem EU-Durchschnitt für Stundensätze liegen”.
Entsprechend scharf kritisierte die stellvertretende ETUC-Generalsekretärin Isabelle Schömann: “Der enorme Unterschied in den Zahlen zwischen diesen beiden Dokumenten wirft ernste Fragen über die Glaubwürdigkeit der Behauptungen über die angeblichen Vorteile der Deregulierung auf.” Sie frage sich, ob die Einsparungen wirklich 25-mal höher als die ursprüngliche Schätzung der Kommission seien. Oder ob “ungeprüfte Zahlen aus einer parteiischen Quelle im letzten Moment ausgewählt [wurden], um einem ideologischen Deregulierungsbestreben zu entsprechen?“
Die Gewerkschaften stehen der – auf rund 20 Fragen verschlankten – eDeclaration extrem kritisch gegenüber. Sie fürchten, dass für Kontrollen notwendige Informationen nicht mehr abgefragt werden, wie etwa ein Ansprechpartner vor Ort. Die sozialen Kosten der eDeclaration würden in der Rechnung der Kommission keine Berücksichtigung finden, heißt es weiter in der Presseerklärung von ETUC.
Was außerdem auffällt: Die Kommissionsdienststelle scheint sich im aktuellen Arbeitsdokument auf die Kosten für die Inanspruchnahme von externen Dienstleistern für die Entsendung zu beziehen. So heißt es dort: “In den für die Kommission durchgeführten Interviews gaben die Unternehmen an, dass die Auslagerung der Verwaltung der Buchungsvorgänge an externe Dienstleister Kosten in Höhe von 90 Euro und mehr als 1.000 Euro pro Entsendung mit sich bringt.” Die Kommission antwortete auf Table.Briefings-Anfrage am Mittwoch nicht mehr. lei
Europäische Unternehmen haben im Jahr 2023 deutlich mehr Geld in Forschung und Entwicklung (F&E) investiert. Die Ausgaben stiegen nominal um 9,8 Prozent, während sie in den USA nur um 5,9 Prozent und in China um 9,6 Prozent zulegten. Dies geht aus dem aktuellen Industrial R&D Investment Scoreboard hervor, das die Kommission jährlich veröffentlicht. Inflationsbereinigt sehen die Zahlen jedoch anders aus. Das reale Wachstum der F&E Ausgaben war in China prozentual am stärksten und das prozentuale US-Wachstum liegt nur knapp hinter jenem in der EU.
Zudem startet die EU von einer relativ niedrigen Basis aus. Gemäß Eurostat machen die F&E Ausgaben in den USA mehr als 3,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, während derselbe Wert in der EU bei 2,2 Prozent liegt. Auch in absoluten Zahlen bleibt der Abstand groß. Die Top 2.000 Unternehmen weltweit investierten im Jahr 2023 insgesamt 1.257,7 Milliarden Euro in F&E. Davon entfielen 533,3 Milliarden Euro auf US-amerikanische Unternehmen und 235,2 Milliarden Euro auf Unternehmen mit Sitz in der EU.
Der Unterschied zeigt sich auch beim Blick auf die Unternehmen: So gab der Spitzenreiter Alphabet (Google) 39,98 Milliarden Euro für F&E aus, während Volkswagen als forschungsstärkstes europäisches Unternehmen 21,78 Milliarden Euro investierte.
Wie der Draghi-Bericht unterstreicht, muss die EU ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung deutlich erhöhen, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Der Bericht fordert eine neue europäische Industriepolitik, die jährliche Investitionen von 750 bis 800 Milliarden Euro vorsieht, hauptsächlich aus dem Privatsektor.
Während es in den USA die großen Tech-Konzerne Alphabet, Meta, Apple und Microsoft sind, die am meisten Geld für F&E ausgeben, ist es in Europa der Automobilsektor. Hier entfielen im Jahr 2023 45,4 Prozent der weltweiten F&E-Investitionen auf Unternehmen mit Hauptsitz in der EU. Europäische Automobilunternehmen investierten damit mehr als doppelt so viel wie ihre Konkurrenten aus den USA und Japan und mehr als dreimal so viel wie chinesische Unternehmen. vis
Der zweitgrößte polnische Stromversorger Tauron Polska Energia will bis zum Ende des Jahrzehnts auf Kohlekraft verzichten und bis 2040 klimaneutral werden. Das berichtete Bloomberg am Dienstag. Das Staatsunternehmen will bis 2035 insgesamt 23 Milliarden Euro in die Netzinfrastruktur und erneuerbare Energien investieren. 2023 betrug Kohlestrom noch 86 Prozent im Strommix von Tauron Polska Energia. Polen könnte Analysen zufolge bis 2032 vollständig frei von Kohlestrom sein.
Das Land, das ab Januar die Ratspräsidentschaft der EU übernimmt, gilt als Cleantech-Drehscheibe Europas. 60 Prozent der Produktion von Lithium-Ionen-Batterien in der EU kommt aus Polen. Das Land ist der zweitgrößte Batterieexporteur weltweit nach China, wie ein am Mittwoch veröffentlichter Bericht zeigt.
Auch beim Ausbau der Erneuerbaren ist Warschau weit vorne: 2023 wurden rund 5 Milliarden Euro in Offshore-Windkraftanlagen investiert – der zweithöchste Wert in der EU. Wind- und Solarenergie erzeugten vergangenes Jahr 21 Prozent des polnischen Stroms, gegenüber 16 Prozent im Vorjahr. Investitionen in Polens Übergang zu Netto-Null-Technologien lagen 2023 bei 13 Milliarden Euro – ein Drittel mehr als im Vergleich zum Vorjahr und 20 Mal höher als 2017. luk
Die EU-Kommission hat Deutschland und den Niederlanden die zweite Förderrunde des Wasserstoff-Fördermechanismus H2Global genehmigt. “Ganz im Geiste des künftigen ‘Deals für eine saubere Industrie’ wird diese drei Milliarden Euro schwere deutsch-niederländische Regelung dazu beitragen, die wachsende Nachfrage nach erneuerbaren Kraftstoffen in der EU zu decken, indem deren Entwicklung in der ganzen Welt unterstützt wird”, teilte Kommissionsvize Teresa Ribera am Mittwoch mit.
Mit der Regelung solle der Aufbau von Elektrolysekapazitäten von mindestens 1,875 Gigawatt weltweit gefördert werden. Die Niederlande wollen 300 Millionen Euro der Finanzierung tragen, Deutschland den übrigen Teil. Ob die Bundesregierung ihren Part bereitstellen kann, ist jedoch unklar. Die Mittel sollen aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) kommen.
Mit der Förderung will der Bund die Differenz zwischen den Kosten für den Ankauf und den Einnahmen aus Ausschreibungen für industrielle Abnehmer decken. Im November hatte das Bundeswirtschaftsministerium die Ergebnisse einer Marktkonsultation zur zweiten Ausschreibungsrunde veröffentlicht. Ein Jahr zuvor hatten Deutschland und die Niederlande bei einem Besuch von König Willem-Alexander in Nordrhein-Westfalen vereinbart, bei der zweiten Ausschreibungsrunde zusammenzuarbeiten. ber
Bruna Szego wird Chefin von AMLA, der neuen Anti-Geldwäsche-Behörde der EU. Mit großer Mehrheit hat das Europaparlament am Mittwoch für die Berufung der Italienerin gestimmt. Szego leitete bislang die Abteilung für Überwachung und Regulierung von Geldwäsche bei der italienischen Zentralbank.
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Vor einem Jahr, am 19. Dezember 2023, unterzeichnete Bundesinnenministerin Nancy Faeser in Tiflis zusammen mit ihrem georgischen Amtskollegen Wachtang Gomelauri ein Migrationsabkommen. Die veränderte politische Lage in Georgien macht jetzt einen Blick auf die mit dem Abkommen verfolgten Ziele und eine Neueinschätzung in Bezug auf politische Verfolgung erforderlich.
Laut deutschem Innenministerium diente die Migrationsvereinbarung als “Grundlage, um künftig im Interesse beider Staaten irreguläre Migration dauerhaft zu reduzieren”. Georgien kam in Deutschland noch 2023 eine besondere Bedeutung bei der Asylantragstellung zu. Im Oktober 2023 beispielsweise stellten fast 9.000 Georgier*innen Asylerstanträge in Deutschland. Nach damaligen Lageberichten und Entscheidungen drohte in Georgien in aller Regel keine politische Verfolgung. Die Anerkennungsquote von Asylanträgen lag dementsprechend bei 0,3 Prozent.
Entscheidender als das Migrationsabkommen waren für die Rückführung georgischer Staatsbürger*innen jedoch die Beschlüsse des Deutschen Bundestags am 16. November 2023 und des Bundesrats am 15. Dezember 2023, wonach Georgien als sicheres Herkunftsland eingestuft wurde. Die georgische Regierung tat alles, um bei der Rückführung aus Deutschland, wie auch aus anderen Staaten der EU, zu assistieren.
Das galt schon vor der Einstufung als sicheres Herkunftsland und dürfte sich aus der auf Arbeitsebene bis zuletzt guten Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten erklären. Auf die Einstufung als “sicheres Herkunftsland” verwies man in Regierungskreisen in Tiflis daher fast mit Stolz – oder vielleicht auch aus politischem Kalkül, um die Kritik der Zivilgesellschaft am zunehmend autoritären Kurs der Regierung zurückzuweisen.
Aus der Absicht, in Deutschland so dringend benötigte Fachkräfte auch aus Georgien anzuwerben, wurde auch mit dem Migrationsabkommen erstmal nichts. Die georgische Seite wies schon Jahre vor den Verhandlungen zum Abkommen deutlich darauf hin, dass Abwanderung von ausgebildeten Fachkräften und Brain-Drain nicht im Interesse des Staates und der Gesellschaft im ohnehin kleinen und von Emigration stark betroffenen Land seien.
Also fokussierte man sich in der Zusammenarbeit auf die zirkuläre Migration, insbesondere von Saisonarbeiter*innen. Der Umstand, dass Georgier*innen sich 90 Tage visafrei in der Bundesrepublik aufhalten dürfen, machte das Pilotprojekt schnell umsetzungsfähig: 2021 reisten die ersten Landarbeiter zu ausgewählten landwirtschaftlichen Betrieben in ganz Deutschland. Im Jahr 2022 erhielten 1231 Georgier*innen eine Arbeitsgenehmigung für die saisonale Arbeit in Deutschland, trotz teilweise schlechter Presse über die Arbeitsbedingungen. 2023 stieg diese Zahl geringfügig auf 1269.
Vieles wäre denk- und entwickelbar im Rahmen des Abkommens, das Ausbildung und Zusammenarbeit in anderen Bereichen verspricht. Die Zusammenarbeit im Gesundheitswesen könnte ausgebaut werden, vielleicht Inkubationskooperationen von Start-ups. Wichtig für die georgische Seite war dabei die Zukunft ihrer jungen Bevölkerung im Land selbst. Doch welche Zukunft stellt sich aktuell?
Das politische Klima in Georgien ist derzeit extrem angespannt. Der nach der weder fairen noch freien Wahl im Amt gebliebene Premierminister Irakli Kobachidse hatte im November angekündigt, dass Georgien die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen bis 2028 nicht anstreben wolle. Das wird von vielen georgischen Bürger*innen verstanden als bewusster Verzicht auf die europäische Integration, als eine Annäherung an Russland und fundamentalen Bruch mit Artikel 78 der georgischen Verfassung, der alle staatlichen Organe verpflichtet, die europäische Integration zu fördern.
Obwohl proeuropäische Massendemonstrationen in den vergangenen Wochen gewaltsam niedergeschlagen wurden, versammeln sich täglich Tausende Menschen in Tiflis und anderen großen Städten und protestieren. Die Partei Georgischer Traum, die weiterhin an der Macht ist, verfolgt eine Politik, die zunehmend unabhängige Stimmen unterdrückt. Aktivisten, Journalistinnen, Oppositionspolitiker und insbesondere die hohe Zahl von mutigen Staatsbeschäftigten, die sich kritisch äußern, sind Ziel von Einschüchterung, Drohungen und körperlicher Gewalt.
Auch den “liberalen Faschismus” will Kobachidse “auslöschen.” Im neuen Jahr könnten das beschlossene “Agentengesetz” und die Anti-LGBTQI-Gesetzgebung durchgesetzt werden, was hohe Geld- und sogar Gefängnisstrafen vor allem für jene bedeuten könnte, die in zivilgesellschaftlichen Organisationen und Medien arbeiten.
Die Einstufung als sicheres Herkunftsland legitimiere die zunehmend repressive Regierungspolitik, sagen Aktivist*innen in Tiflis. Sollte die politische Verfolgung weiter wachsen und die Diskriminierung von Minderheiten wie LGBTQI-Personen zunehmen, muss in Berlin der Status Georgiens als sicheres Herkunftsland überdacht werden.
Friedrich Merz will einen “radikalen Bürokratieabbau” in Europa. “Wir müssen jetzt ans Eingemachte”, sagte der Kanzlerkandidat der Union im Podcast Table.Today. Er sei nicht mehr bereit, “mit kleinen Schräubchen zu antworten auf diese großen Fragen”. Deshalb werde er mit anderen führenden EVP-Politikern einen Vorschlag machen, wo man Regulierung rückgängig machen werde. “Nicht ein bisschen korrigieren, nicht stoppen, rückgängig machen mit dem, was da in der Europäischen Union beschlossen worden ist.“
Merz setzt auf die konservativen Regierungschefs, weniger auf die EU-Kommission. Er werde Ursula von der Leyen immer mit einbeziehen. Aber die EU-Kommission sei sehr heterogen und ein riesengroßer Apparat mit eingefahrenen Ritualen, die dabei bremsen könnten. Die Kommission brauche deshalb “Anstöße und Hilfe von außen”. Von den 27 Staats- und Regierungschefs der EU gehörten bereits 13 der EVP an. “Ich werde der 14., dann hätten wir sogar rechnerisch die Mehrheit.” Es werde jetzt ein paar grundsätzliche Entscheidungen geben müssen, und die werde er anstoßen.
Ein zentrales Ziel der Union: das Verbrennerverbot abzuschaffen. Merz betonte, er werde versuchen, mit den EVP-Regierungschefs eine Aufhebung des Verbots auf den Weg zu bringen. Die Festlegung alleine auf die E-Mobilität dürfe keinen Bestand haben. Er wolle als Politiker keineswegs darüber entscheiden, welche Technik angewendet werde. Er sage nur: “Das sind die Bedingungen, das sind die Grenzwerte; das sind die Umweltziele, die wir erreichen wollen.”
Aber er sage ihnen nicht, dass das alles nur mit Elektro gehe. Im Übrigen lebe in Deutschland die Hälfte der Bevölkerung in Mietwohnungen, und die Hälfte der Mieter wohne in Mehrfamilienhäusern, wahrscheinlich seien das sogar zwei Drittel. “Da eine Ladeinfrastruktur aufzubauen, dass die alle mit E-Mobilität unterwegs sein können, ist schlicht und ergreifend ausgeschlossen. Technisch unmöglich.”
Das ausführliche Interview mit Friedrich Merz können Sie ab Samstagmorgen hier hören.
Was haben die vier Parteien der Mitte mit realistischer Regierungsperspektive zu EU-Fragen zu sagen? Die Unterschiede stechen ins Auge: Die Grünen räumen Europa besonders viel Platz ein in ihrem Wahlprogramm, die FDP beschränkt sich hingegen auf eine Seite. CDU/CSU wollen “Europa nur dort, wo Europa einen Mehrwert für alle schafft”. Das trifft aber offenbar auf viele Bereiche zu, vom Binnenmarkt über Digitalisierung, Klimaschutz, Energie, Handel bis zu Migration und Verteidigung.
CDU/CSU: Die Christdemokraten setzen auf vertiefte Integration und Bürokratieabbau. In ihrem Programm fordern sie die Energie- und die Kapitalmarktunion, Letztere war in der Vergangenheit nicht zuletzt am deutschen Widerstand gescheitert. Die Bürokratie soll unter anderem durch einen “sofortigen Belastungsstopp für neue und laufende EU-Initiativen” eingedämmt und die Vergabeverfahren vereinfacht werden. Die Produktion von Halbleitern und Batteriezellen in Europa will die Union stark ankurbeln.
SPD: Auch die Sozialdemokraten wollen laut Programmentwurf einen “Praxischeck” einführen, damit EU-Initiativen nicht zu weiterer Bürokratielast führen. Zudem will auch sie die Banken- und Kapitalmarktunion vorantreiben. Die Partei fordert außerdem eine “europäische Resilienzstrategie”, die geoökonomische Risiken verringert und Schlüsselindustrien wieder in Europa ansiedelt. Dabei denkt die SPD an Local-Content-Regeln und Lokalisierungspflichten.
Grüne: Die Grünen wollen die Industriepolitik mittels grüner Leitmärkte europaweit vorantreiben. So sollen öffentliche Aufträge zum Beispiel eine Mindestquote für grünen Stahl berücksichtigen. Damit die EU auch wirtschaftlich von den Klimaschutzmaßnahmen profitieren kann, braucht es nach Ansicht der Grünen aber auch mehr Finanzkraft auf europäischer Ebene. Der EU-Haushalt soll durch neue Eigenmittel gestärkt werden, zum Beispiel durch eine Steuer auf Digitalkonzerne. Auch eine Finanzierung über europäische Anleihen ist für die Grünen kein Tabu.
FDP: Die FDP setzt stark auf die Karte Bürokratieabbau. Die EU-Kommission sei mittlerweile die Hauptquelle der Bürokratie. Deshalb fordert die Partei ein “striktes Gold-Plating-Verbot”, europäische Richtlinien sollen auf nationaler Ebene also nicht mit Zusatzregelungen versehen werden. Die Berichtspflichten insbesondere zur Taxonomie, zur CSRD oder zur Lieferkettenrichtlinie will die FDP weiträumig abschaffen. jaa
CDU/CSU: Die CDU/CSU fordert ein zügiges Inkrafttreten des Mercosur-Abkommens. Auch sonst wollen die Christdemokraten mehr Handelsabkommen abschließen und die Abhängigkeit von China reduzieren. Die Außen- und Entwicklungspolitik soll sich stärker an den wirtschaftlichen Interessen Europas ausrichten.
SPD: Für die SPD sind Abkommen wie jenes mit Mercosur “wichtige Meilensteine”, doch sei die Erfüllung sozialer und ökologischer Standards wichtig. In Zukunft sollen solche Abkommen “einfacher gestaltet und schneller zum Abschluss gebracht werden”.
Grüne: Die Grünen setzen sich für “ausgewogene Partnerschaften” ein, die hohen ökologischen Standards genügen. So verteidigen sie auch die Lieferkettenrichtlinie der EU. Um schnellere Verhandlungserfolge zu erzielen, sollen Handelsabkommen weniger umfassend sein und sich stattdessen auf wenige Sektoren fokussieren. Zudem müsse sich die EU stärker gegen chinesische Überproduktion einsetzen.
FDP: In Bezug auf Überproduktion aus China klingt die FDP ähnlich. Zudem solle man der “Schwemme illegaler Billigprodukte aus China europaweit den Kampf ansagen”. Die Partei fordert außerdem von der EU, “so viele Freihandelsabkommen wie möglich abzuschließen”. jaa
CDU/CSU: Der europäische Emissionshandel (ETS) soll zum Leitinstrument des Klimaschutzes ausgebaut und die Einnahmen an Verbraucher und Wirtschaft zurückgegeben werden. Für Biomethan und Wasserstoff streben CDU/CSU eine Beimischung ins Gasnetz an, obwohl die neue Gasmarktverordnung das nur als letztes Mittel zur Förderung vorsieht.
SPD: Die SPD fordert einen Paradigmenwechsel in der Klimapolitik, macht aber kaum neue Vorschläge. Klimaclub, Klimageld und kommunale Wärmeplanung kennt man bereits. Bei der Kommission will sie sich dafür einsetzen, dass mehr energieintensive Branchen von der Strompreiskompensation profitieren. Für Wasserstoff wollen die Sozialdemokraten ausreichende Speicherkapazitäten schaffen, etwa als nationale Reserve. Außerdem setzen sie sich für eine EU-Rohstoff-Strategie ein.
Grüne: Auch die Grünen wollen mit dem Klimageld erreichen, dass Klimaschutz sozial gerechter wird, befürworten aber auch umfassende Subventionsprogramme, zum Beispiel für E-Autos und Häusersanierung.
FDP: Die FDP stellt das gesetzliche Klimaneutralitätsziel Deutschlands für 2045 infrage. Sie will mithilfe des EU-Emissionshandels weitere Klimaregulierungen, darunter die CO₂-Flottenregulierung, rückgängig machen. Die Stromsteuer will die FDP abschaffen und sukzessive auch die Mindestsätze für die Energiesteuer auf Heiz- und Kraftstoffe. Übrigbleiben soll allein der CO₂-Preis. ber/luk
CDU: Die Union setzt auf “souveräne KI- und Cloudanwendungen”, um die Reindustrialisierung des Landes voranzutreiben. Sie will ein Bundesdigitalministerium einrichten und Prozesse digitalisieren. So will sie ein digitales Bürgerkonto umsetzen und eine sichere digitale Identität mit eigenem Postfach für Behördengänge einrichten. Die soll auch eIDAS-kompatibel sein, was allerdings das EU-Recht bereits vorschreibt.
SPD: Die Partei betont, dass sie sich der Diskriminierung in digitalen Räumen durch Rechtspopulisten und anderen Kräften entgegenstellen will. Zudem will sie bei der Regulierung von digitalen Plattformen und Künstlicher Intelligenz “für Augenhöhe zwischen Kreation und Technologie und für faire Vergütungsregeln” sorgen.
Grüne: Zunächst betonen die Grünen, dass Europa bei der Digitalisierung aufholen muss. Dann kündigen Sie ebenfalls an, die öffentliche Verwaltung für Bürger und Unternehmen digitaler zu gestalten. Schließlich wollen sie mit einem digitalen EU-Produktpass für weniger Müll sorgen.
FDP: Überall will die FDP die Digitalisierung vorantreiben – bis hin zum digitalen Euro, dessen Nutzung allerdings “freiwillig” sein soll. Die Steuerung soll ein zentrales Digitalisierungsministerium übernehmen. vis
CDU/CSU: Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO stellt für die Union nur die “Untergrenze” der Verteidigungsausgaben dar. Ziel ist der Aufbau eines Binnenmarktes für Rüstungsgüter mit gemeinsamen Exportregeln. Der Zugang der Hersteller zu Finanzierungen soll nicht über ESG-Kriterien behindert werden.
SPD: Auch die SPD spricht sich für eine Verteidigungsfinanzierung von “mindestens zwei Prozent” des BIP aus. Zudem plädiert sie für eine europäische Verteidigungsunion, in der “wir Investitionen abgestimmt tätigen und unsere Streitkräfte partnerschaftlich organisieren”. Daneben bekennt sich die SPD “klar” zur Unterstützung der Ukraine, warnt aber mit Blick auf Merz davor, sich auf “gefährliche Abenteuer” einzulassen.
Grüne: Selbst die Grünen plädieren für einen Verteidigungsetat von “dauerhaft deutlich mehr als 2 Prozent”. Auf nationaler wie europäischer Ebene sollten die Investitionen über eine höhere Kreditaufnahme finanziert werden. Die EU-Staaten bräuchten finanzielle Anreize und den politischen Willen, um nationale industriepolitische Interessen in den Dienst von mehr gemeinsamer Sicherheit zu stellen. Zugleich pochen die Grünen auf eine gemeinsame, aber restriktive Rüstungsexportpolitik.
FDP: Die Liberalen fordern, dass Deutschland mindestens das 2-Prozent-Ziel erfüllt. Die Formulierung, perspektivisch sogar drei Prozent erreichen zu wollen, wurde aus dem finalen Entwurf gestrichen. Die Bundeswehr soll “zur stärksten konventionellen Streitkraft in Europa” werden. Zudem unterstützt die FDP perspektivisch den Beitritt der Ukraine zu EU und NATO. tho
CDU/CSU: Die Union will einen “faktischen Aufnahmestopp” sofort durchsetzen und dafür Asylsuchende an den deutschen Grenzen zurückweisen. Zudem will sie den Kreis der Schutzberechtigten drastisch verkleinern, indem sie den subsidiären Schutzstatus abschafft. Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden, dort ein Asylverfahren durchlaufen und im Falle eines positiven Ausgangs auch dort bleiben. Flüchtlinge aufnehmen wollen CDU/CSU nur noch im Rahmen von Kontingenten.
SPD: Für die SPD ist hingegen das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) der Schlüssel, um Migration zu steuern und zu ordnen. Die EU-Außengrenzen sollen besser kontrolliert werden, Pushbacks dürfe es aber nicht geben. Die Drittstaatenlösung lehnt die SPD ab.
Grüne: Die Partei beharrt: “Das Recht auf Einzelfallprüfung und das Nichtzurückweisungsgebot gelten immer und überall”. Die Asylanträge müssten innerhalb der EU geprüft werden – Drittstaatenverfahren kosteten viel Steuergeld und würden vor Gerichten scheitern. Die Grünen bevorzugen Migrationsabkommen, die legale Migrationswege ermöglichen und zugleich die Rücknahme abgelehnter Asylbewerber vorsehen.
FDP: Wer die Voraussetzungen für einen Aufenthalt in Deutschland nicht erfüllt, solle gar nicht erst dauerhaft nach Deutschland einreisen können, fordern die Liberalen. Die Rolle von Frontex beim Schutz der Außengrenzen solle gestärkt werden. Die EU solle zudem Migrationsabkommen aushandeln, um die Rücknahmebereitschaft der Herkunftsländer zu fördern. tho
CDU/CSU: Der Beitritt der Ukraine, Moldaus und der Westbalkan-Länder liegt für die Union im sicherheitspolitischen Interesse der EU – da sind sich die vier Parteien weitgehend einig. Die Kandidatenländer sollen über Zwischenstufen an die EU herangeführt werden. Abstriche bei den Beitrittskriterien dürfe es nicht geben. CDU/CSU sehen Reformbedarf bei den EU-Institutionen, ohne konkret zu werden. Gegen Rechtsstaatsverstöße soll die Kommission konsequenter vorgehen.
SPD: Spätestens mit der EU-Erweiterung müsse eine Reform der Europäischen Verträge erfolgen, fordert die SPD. Dazu gehöre insbesondere die Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip im Rat. Zudem plädiert sie für schärfere Rechtsstaatsinstrumente.
Grüne: Die Partei wird konkreter: Mehrheitsentscheidungen sollen in allen Politikbereichen eingeführt werden, notfalls sollen Gruppen von Mitgliedstaaten in einer “Koalition der Willigen” vorangehen, die aber offen bleiben für alle. Das Europaparlament soll ein Initiativrecht für Gesetze erhalten, ein Teil der Abgeordneten soll künftig über transnationale Listen gewählt werden. Zudem soll die Bürgerbeteiligung ausgebaut werden. Das Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags soll mithilfe qualifizierter Mehrheitsentscheidungen wirkungsvoller werden. Vision der Grünen bleibt eine “Föderale Europäische Republik mit eigener Verfassung”.
FDP: Die Freien Demokraten fordern institutionelle Reformen, um die eigenständige Handlungsfähigkeit der EU zu erhöhen. Konkret nennen sie qualifizierte Mehrheitsentscheidungen in der Außen- und Sicherheitspolitik, eine Verkleinerung der Kommission und ein Initiativrecht des EU-Parlaments. tho
CDU/CSU: Das Bundeskanzleramt soll künftig eine stärker koordinierende Rolle übernehmen, schreibt die Union. Deutschland dürfe sich in zentralen Politikfeldern in den Räten nicht länger enthalten. Zudem will Kanzlerkandidat Merz eine enge Abstimmung zwischen Berlin, Paris und Warschau “zu allen relevanten Fragen der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik” erreichen.
SPD: Die Sozialdemokraten äußern sich nicht zur Koordinierung in der Bundesregierung. Sie betonen die deutsch-französische Partnerschaft, die unter Kanzler Scholz aber gelitten hatte, ebenso wie die Beziehungen zu Polen und den anderen EU-Ostseeanrainern. Die Zusammenarbeit mit Großbritannien insbesondere in der Verteidigung wird betont.
Grüne: “Nationale Alleingänge lehnen wir ab und ein ständiges German Vote ist schädlich”, heißt es im Programm – ohne konkrete Vorschläge zu machen. Besonders mit Frankreich und Polen wolle man die EU voranbringen.
FDP: Kein Wort zur EU-Koordinierung innerhalb der Bundesregierung. Stattdessen plädieren auch die Liberalen eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich, eine Stärkung des Weimarer Dreiecks mit Polen und eine tiefere Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich, insbesondere in Fragen der Sicherheit und Verteidigung. tho
Herr Morawiecki, am 15. Januar übernehmen Sie das Amt von Premierministerin Giorgia Meloni. Was möchten Sie an den Prioritäten der politischen Familie ändern?
Europa verliert nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit seiner Industrie, sondern auch seine Werte. Meine Vorgängerin Giorgia Meloni hat ein starkes Fundament geschaffen, auf das ich aufbauen kann. Konkret möchte ich mich darauf konzentrieren, die Europäische Kommission und ihren überbürokratischen Ansatz in vielen Wirtschaftssektoren herauszufordern. Wir müssen ein dynamischeres, schumpeterianisches Umfeld für wirtschaftliche Entwicklung schaffen. Europa befindet sich in einer Phase der Stagnation oder Stagflation.
Was konkret kritisieren Sie an der EU?
Es gibt derzeit drei große Defizite: illegale Migration, den Green Deal und zu viel Bürokratie. Diese drei Bereiche sind eine Art Ideologie, die rationalen wirtschaftlichen Prinzipien entgegensteht. Sicherheit sollte das grundlegende Thema der gesamten Europäischen Union sein. Polen war unter meiner Amtszeit als Premierminister eines der sichersten Länder Europas, vielleicht sogar der Welt. Anders etwa Schweden, Frankreich oder Deutschland, wo Ängste, Unruhen und Unordnung auf den Straßen häufig mit illegaler Migration und anderen Problemen zusammenhängen. Wir brauchen außerdem eine Renaissance der europäischen Industrie. Mein Plan ist, das Label “Designed and Crafted in Europe” zu schaffen – als europäische Antwort auf “Make America Great Again” oder “Made in China” unter Xi Jinping.
Im Europäischen Parlament arbeitet die EVP in jüngster Zeit bei verschiedenen Themen mit der EKR zusammen. Freut Sie das?
Wir sind offen für die Zusammenarbeit mit allen, denen die Zukunft Europas am Herzen liegt. Sollte die EVP weiterhin verstärkt mit linken Gruppen kooperieren, werden wir deren Agenda entschieden entgegentreten. Ich erkenne jedoch, dass sich die EVP zunehmend in Richtung der EKR-Programmatik bewegt, was mich freut. Die EKR kann sowohl mit der Fraktion Patrioten für Europa als auch mit der EVP zusammenarbeiten. Diese drei Fraktionen sind nahe daran, eine Mehrheit zu bilden. Gemeinsam können wir eine Koalition des gesunden Menschenverstands schaffen.
Wo sehen Sie Unterschiede zur EVP?
Die größten Unterschiede betreffen den Green Deal und die illegale Migration. Ich sehe, dass sich die EVP-Positionen in diesen beiden Bereichen langsam ändern. Dennoch schließen in Polen und anderen europäischen Ländern täglich Fabriken.
In der EVP gibt es 17 polnische Europaabgeordnete der Bürgerplattform von Donald Tusk. Kann die EKR mit ihnen zusammenarbeiten?
Das macht die Situation in der Tat schwierig. Die aktuelle polnische Regierung verfolgt eine äußerst antidemokratische Agenda. Wir versuchen in Polen, nationale Themen als innere Angelegenheiten zu behandeln. Auf europäischer Ebene sind wir jedoch bereit, mit allen zusammenzuarbeiten, die das Wohl und die Zukunft der EU im Blick haben.
Wie bewerten Sie den Beginn der Trump-Administration?
Ich begrüße die Trump-Administration sehr. Europa und die USA sollten vereint agieren. Was wir jetzt brauchen, ist eine Renaissance der westlichen Welt, der westlichen Zivilisation. Nur ein Europa mit starker Industrie, widerstandsfähigem Militär und lebhafter Wirtschaft kann ein wirklich wertvoller Partner für die USA sein. Gleichzeitig sehe ich die Bedrohungen durch China und Russland. Russland wird zunehmend zu einer Art Juniorpartner Chinas, und beide zusammen stellen eine Herausforderung für die westliche Zivilisation dar.
Trump könnte einen Deal mit Russland zulasten der Ukraine schließen.
Ich hoffe, dass Trump die Unterstützung für die Ukraine nicht einstellen wird. Es wäre ein herber Rückschlag für den Status der Vereinigten Staaten. Ich glaube, Trump wird eine Kompromisslösung anstreben, die starke Unterstützung für die Ukraine umfasst und gleichzeitig eine Einigung mit dem Kreml anstrebt. Falls diese Verhandlungen nicht in gutem Glauben geführt werden, bin ich überzeugt, dass Präsident Trump die Ukraine mit umfangreichen Waffenlieferungen unterstützen wird.
In Polen stehen Präsidentschaftswahlen an. Falls der PiS-Kandidat gewinnt: Wird er weiterhin die Initiativen der Tusk-Regierung blockieren oder eine Einigung mit Donald Tusk anstreben müssen?
Streng genommen ist Karol Nawrocki kein PiS-Kandidat. Er wurde von einem unabhängigen Komitee vorgeschlagen, das nicht parteigebunden ist. Meine Partei unterstützt ihn. Nawrocki ist ein charismatischer Führer mit klarer Vision und einem Sinn für Vernunft und Leidenschaft. Ich glaube, er ist die richtige Person, um den “polnischen Bürgerkrieg” zu beenden.
Es ist eine delikate Gratwanderung: Wie kann man sich auf Donald Trump einstellen, ohne falsche Signale zu setzen oder vorwegzunehmen, was der künftige US-Präsident dann tatsächlich tun wird? Dafür einen Weg zu finden, ist die schwierige Aufgabe, die sich der neue EU-Ratspräsident António Costa laut Diplomaten für seinen ersten Gipfel am Donnerstag gesetzt hat.
Dieselbe Frage dürfte auch am Mittwochabend beim diskreten Treffen in der Residenz von Nato-Generalsekretär Mark Rutte im Raum gestanden haben. Einiges hat Trump zwar angekündigt, doch gleichzeitig gilt er als unberechenbar. Zu früh die Weichen falsch zu stellen, könnte sich rächen.
António Costa hat Wolodymyr Selenskyj für die Diskussion zur Ukraine am Donnerstag hinzugeladen. Geplant ist eher ein Brainstorming, keine Entscheidungen. Der ukrainische Präsident war schon am Vorabend in Brüssel, zuerst alleine für ein Rendezvous bei Rutte. Selenskyj wollte dort über weitere Unterstützung für sein Land reden. Thema dürfen aber auch die Sicherheitsgarantien und andere Konditionen für den Fall eines Waffenstillstandes gewesen sein, zu dem Trump die Ukraine zwingen könnte.
Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und andere Staats- und Regierungschefs sollten nach einem parallelen Abendessen mit den Kandidatenländern des Westbalkans später zur kleinen Runde in der Residenz Ruttes dazustoßen.
Olaf Scholz kam mit dem deutlichen Anliegen nach Brüssel, angesichts der öffentlichen Spekulationen über Friedensverhandlungen gegenzusteuern. Manche begingen den Fehler, den dritten und vierten Schritt vor dem ersten zu machen, sagte der Bundeskanzler bei der Ankunft für das Treffen mit den Westbalkanländern. Einige beschäftigten sich nicht genug mit der Frage, wie der Ukraine weiter geholfen werden könne: “Es muss klar sein, dass wir die Ukraine so lange wie nötig unterstützen.” Es dürfe jedenfalls keinen Frieden über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer geben. Und das Land dürfe keinem Diktatfrieden unterworfen werden.
Scholz zeigte sich zudem zuversichtlich mit Blick auf die Zusammenarbeit mit der künftigen US-Administration: Bei den Gesprächen mit Präsident Trump sei ihm klar geworden, dass es möglich sei, gemeinsam vorzugehen, damit die Ukraine eine gute Perspektive haben werde.
Nicht überraschend war die deutliche Ansage der neuen EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas: Die Situation sei die, dass Russland keinen Frieden wolle. Deshalb müsse die Ukraine so gut wie möglich unterstützt werden. Je stärker die Ukraine auf dem Schlachtfeld sei, desto stärker werde sie später am Verhandlungstisch sein. In eine ähnliche Richtung gingen die Aussagen des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk: Es sei jetzt an der Zeit, dass der gesamte Westen an seine eigene Stärke glaube. Die Ukraine verdiene einen gerechten Frieden, ebenso wie den Respekt für ihre territoriale Integrität.
So schnell werden die Spekulationen über Friedenstruppen und Sicherheitsgarantien aber nicht verstummen. Die beste Sicherheitsgarantie sei es, die Ukraine so aufzurüsten, dass sie für Russland “unverdaulich” werde, sagen Diplomaten. Dann könne sich auch ein Szenario wie die Krim-Annexion von 2014 nicht wiederholen. Ohne die USA werde es aber kaum gehen.
Die Frage von Friedenstruppen dürfte ohnehin nicht in Brüssel, sondern in den nationalen Hauptstädten entschieden werden. Immerhin ist die Hilfe für die Ukraine bis Ende 2025 durchfinanziert, insbesondere dank Weichenstellungen bei den Windfall-Profits auf die russischen Staatsbankgelder. Dies wird auch im Entwurf der Gipfelschlussfolgerungen unterstrichen. Da kann auch Donald Trump keinen großen Schaden anrichten.
Große Defizite habe die Ukraine beim Schutz der Infrastruktur und bei der Energieversorgung, die von Russland zerbombt werde, sagten Diplomaten. Dies sei für Moral und Widerstandskraft in der Ukraine ein großes Problem. Gefragt seien mehr Systeme zur Raketenabwehr. Es ist ein Bereich, in dem die Europäer auf die Hilfe der USA angewiesen seien. Europa müsste sich generell auf das Szenario einstellen, dass die USA etwa keine Munition mehr lieferten.
Der Ukraine mangele es zudem nicht nur an Waffen, sondern immer mehr an Soldaten, sagten Diplomaten. In die Diskussion über die Senkung des Alters für die Wehrpflicht auf 18 Jahre möchten sich die europäischen Partner aber nicht einschalten. Diese sensible Frage müsse die Ukraine entscheiden. Schließlich gehe es darum, ob eine Generation für den Krieg geopfert werden solle oder nicht.
Die kommenden drei Ratspräsidentschaften wollen vor allem die Außenbeziehungen und den Grenzschutz der EU stärken. Das geht aus dem noch unveröffentlichten Achtzehnmonatsprogramm von Polen, Dänemark und Zypern hervor. Die Regierungen der drei Mitgliedstaaten bilden von Januar 2025 bis Juni 2026 die nächste Triopräsidentschaft, die sich stets ein gemeinsames Programm gibt.
Priorisieren will das Trio laut dem zehnseitigen Dokument zwei Punkte:
Nach Zahlen von Eurostat von Mittwoch ist die Zahl der Menschen, die erstmals einen Asylantrag in der EU gestellt haben, im September innerhalb eines Jahres um 24 Prozent zurückgegangen – von 99.930 auf 75.755 Personen. ber
Am gestrigen Mittwoch stellte die EU-Kommission den zweiten Teil des Herbstpakets des Europäischen Semesters vor. In ihrem Warnmechanismusbericht (Alert Mechanism Report) identifiziert sie neun Mitgliedstaaten, die sich in einem makroökonomischen Ungleichgewicht befinden: Deutschland, die Niederlande, Griechenland, Zypern, Italien, Ungarn, Rumänien, die Slowakei und Schweden.
Zudem fürchtet die Kommission, dass dies nun auch für Estland zutreffen könnte. Für alle zehn Mitgliedstaaten wird die Brüsseler Behörde im Frühling einen detaillierten Bericht abliefern.
Während Länder wie Rumänien das Problem haben, dass sie ein hohes Handelsdefizit mit hohen Staatsdefiziten kombinieren, sieht es bei Deutschland umgekehrt aus. Die Kommission moniert einen zu hohen Handelsüberschuss, eine zu hohe Sparquote und zu wenig Investitionen. Dies habe vor allem mit deutschen Regeln wie der Schuldenbremse zu tun, sagte ein EU-Beamter. Aber aktuell kommen Deutschland auch die EU-Schuldenregeln in den Weg.
Während die Kommission im Rahmen der Überprüfung der makroökonomischen Risiken die zu geringen öffentlichen Investitionen der Bundesrepublik beklagt, schlägt sie zugleich für Deutschland im Rahmen der neuen EU-Schuldenregeln einen restriktiveren Ausgabenpfad vor, als die Bundesregierung vorgesehen hatte.
Die Kommission will darin aber keinen Widerspruch sehen. “Es ist immer ein delikates Gleichgewicht“, sagte Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis. Für 2025 erwarte die Kommission im EU-Schnitt trotz einer leicht restriktiven Fiskalpolitik höhere öffentliche Investitionen. Die Kritik an den EU-Schuldenregeln will er daher nicht gelten lassen: “Der neue europäische Wirtschaftssteuerungsrahmen gewährt Deutschland in den meisten Fällen mehr fiskalischen Spielraum als die Schuldenbremse.”
Im Rahmen des Europäischen Semesters publizierte die EU-Kommission am Mittwoch auch einen Bericht zur Beschäftigung in der EU (Joint Employment Report). Während die Arbeitslosenquote mit 6,1 Prozent im historischen Vergleich erfreulich tief ist, bleiben andere Kennzahlen in wichtigen Bereichen hinter den EU-Zielen zurück. So stagniert die Jugendarbeitslosigkeit bei fast 15 Prozent.
Auch bei der Weiterbildung gibt es nur wenig Bewegung. Die EU hatte sich das Ziel gegeben, dass bis 2030 der Anteil der Arbeitnehmer, die pro Jahr eine Weiterbildung machen, bei 60 Prozent liegen soll. Schon 2025 soll der Wert bei mindestens 50 Prozent liegen. 2022 lag der Wert bei 39,5 Prozent – eine Steigerung um bloß 2,1 Prozentpunkte im Vergleich zu 2016.
Die Arbeitskommissarin und Vizepräsidentin Roxana Mînzatu sagte, dass die Zahlen nicht zufriedenstellend seien. “Wir brauchen eine Revolution, ein neues Mindset für Skills”, sagte sie. Ansonsten seien die wirtschaftliche Transformation und das notwendige Produktivitätswachstum nicht zu meistern. Im März wolle sie eine “Union für Skills” vorstellen. Die Hände der Kommission sind jedoch weitgehend gebunden, da sie in Bildungs- und Arbeitsmarktfragen nur wenig Kompetenzen hat. jaa
Der Beschäftigungsausschuss im Europäischen Parlament plant im kommenden Jahr einen Initiativbericht zur Bekämpfung des Subunternehmertums. Das erfuhr Table.Briefings aus Kreisen des Ausschusses. Kritiker sehen lange Subunternehmerketten als Problem, wenn es um die Gewährleistung von Beschäftigtenrechten geht. Mit jeder Auftragsweitergabe werde die Kontrolle schwerer.
Im Plenum fanden die Überlegungen über die Parteigrenzen hinweg am Mittwoch Zuspruch. So betonte etwa der EVP-Politiker Sérgio Humberto: “Das, was wir tun können, sollten wir tun.” Es gehe darum, die missbräuchliche Auftragsvergabe einzuschränken, damit es eine gerechte Behandlung gibt und Chancengleichheit, betonte der Portugiese.
Führende S&D-Politiker hatten sich bereits im Sommer für ein Subunternehmergesetz auf europäischer Ebene starkgemacht. Entsprechend betonte auch die S&D-Politikerin Gaby Bischoff: “Wir haben unterschiedliche Gesetze zu dem Thema. Hier ein bisschen, da ein bisschen. Aber wir müssen dieses komplexe System ganzheitlich angehen. Es braucht einen eigenen Gesetzesvorstoß auf EU-Ebene.”
Sie verwies auf das aus ihrer Sicht gelungene Verbot von Werk- und Leiharbeitsverträgen in der deutschen Fleischindustrie: “Das Gesetz wirkt. Die Unternehmen prosperieren weiter und die Menschen haben bessere Arbeits- und Lebensbedingungen.” Bischoff betonte, dass auch die Ausgliederung von Kernkerntätigkeiten Teil des Gesetzes sein müsse.
Sozialkommissarin Roxana Mînzatu hatte am Mittwoch ihren ersten Auftritt im Plenum. Sie hob insbesondere die Vulnerabilität von Drittstaatenangehörigen hervor: “Sie sind besonders oft in Subunternehmerketten und können unfairen Arbeitsbedingungen noch stärker ausgesetzt werden.” Drittstaatler sind bisher nicht Teil des Mandats der Europäischen Arbeitsbehörde ELA, die bei der Kontrolle grenzüberschreitender Schwarzarbeit unterstützt. Europaparlamentarier würden das gerne ändern – und hoffen, dass die neue Kommission das Thema angeht.
Mînzatu verwies ebenfalls auf bereits bestehende Instrumente und Gesetze auf europäischer Ebene – etwa das Lieferkettengesetz oder eben die Europäische Arbeitsbehörde ELA. Sie sprach sich erneut für eine Stärkung der Behörde aus. Aber sie spielte den Ball auch zurück ans Parlament. “Liebe Abgeordnete, ich verlasse mich auf ihre Unterstützung, dass missbräuchliche Unterauftragsvergabe bekämpft werden kann.” lei
Der Europäische Gewerkschaftsbund (ETUC) übt scharfe Kritik an der Schätzung der Kommission zu Kostenersparnissen durch die eDeclaration. In einer ersten Version des Arbeitsdokuments der Kommissionsdienststellen habe es noch geheißen, dass ein europäisches Meldeportal und der einheitliche Fragebogen zur Entsendung von Beschäftigten Einsparungen in Höhe von 1.414.000 Euro bringen würde – vorausgesetzt, es machen wie angekündigt neun Staaten mit, hieß es von ETUC. Wären alle Staaten dabei, lägen die Ersparnisse bei “ungefähr 13.945.000 Euro”, zitiert ETUC das erste Dokument.
Diese Zahlen finden sich nicht mehr in der im November veröffentlichten Fassung. Hier hieß es nun, dass die Einsparungen zwischen 95 und 342 Millionen Euro liegen würden – bis zu 25 Mal mehr als ursprünglich geschätzt. Zudem verweise das Dokument in der aktuellen Fassung auch auf Daten des VDMA, um die Schätzung zu untermauern, teilte ETUC mit. Die Kommission selbst erklärt dazu im Arbeitsdokument, die Zahlen des VDMA basierten “auf den deutschen Arbeitskosten, die über dem EU-Durchschnitt für Stundensätze liegen”.
Entsprechend scharf kritisierte die stellvertretende ETUC-Generalsekretärin Isabelle Schömann: “Der enorme Unterschied in den Zahlen zwischen diesen beiden Dokumenten wirft ernste Fragen über die Glaubwürdigkeit der Behauptungen über die angeblichen Vorteile der Deregulierung auf.” Sie frage sich, ob die Einsparungen wirklich 25-mal höher als die ursprüngliche Schätzung der Kommission seien. Oder ob “ungeprüfte Zahlen aus einer parteiischen Quelle im letzten Moment ausgewählt [wurden], um einem ideologischen Deregulierungsbestreben zu entsprechen?“
Die Gewerkschaften stehen der – auf rund 20 Fragen verschlankten – eDeclaration extrem kritisch gegenüber. Sie fürchten, dass für Kontrollen notwendige Informationen nicht mehr abgefragt werden, wie etwa ein Ansprechpartner vor Ort. Die sozialen Kosten der eDeclaration würden in der Rechnung der Kommission keine Berücksichtigung finden, heißt es weiter in der Presseerklärung von ETUC.
Was außerdem auffällt: Die Kommissionsdienststelle scheint sich im aktuellen Arbeitsdokument auf die Kosten für die Inanspruchnahme von externen Dienstleistern für die Entsendung zu beziehen. So heißt es dort: “In den für die Kommission durchgeführten Interviews gaben die Unternehmen an, dass die Auslagerung der Verwaltung der Buchungsvorgänge an externe Dienstleister Kosten in Höhe von 90 Euro und mehr als 1.000 Euro pro Entsendung mit sich bringt.” Die Kommission antwortete auf Table.Briefings-Anfrage am Mittwoch nicht mehr. lei
Europäische Unternehmen haben im Jahr 2023 deutlich mehr Geld in Forschung und Entwicklung (F&E) investiert. Die Ausgaben stiegen nominal um 9,8 Prozent, während sie in den USA nur um 5,9 Prozent und in China um 9,6 Prozent zulegten. Dies geht aus dem aktuellen Industrial R&D Investment Scoreboard hervor, das die Kommission jährlich veröffentlicht. Inflationsbereinigt sehen die Zahlen jedoch anders aus. Das reale Wachstum der F&E Ausgaben war in China prozentual am stärksten und das prozentuale US-Wachstum liegt nur knapp hinter jenem in der EU.
Zudem startet die EU von einer relativ niedrigen Basis aus. Gemäß Eurostat machen die F&E Ausgaben in den USA mehr als 3,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, während derselbe Wert in der EU bei 2,2 Prozent liegt. Auch in absoluten Zahlen bleibt der Abstand groß. Die Top 2.000 Unternehmen weltweit investierten im Jahr 2023 insgesamt 1.257,7 Milliarden Euro in F&E. Davon entfielen 533,3 Milliarden Euro auf US-amerikanische Unternehmen und 235,2 Milliarden Euro auf Unternehmen mit Sitz in der EU.
Der Unterschied zeigt sich auch beim Blick auf die Unternehmen: So gab der Spitzenreiter Alphabet (Google) 39,98 Milliarden Euro für F&E aus, während Volkswagen als forschungsstärkstes europäisches Unternehmen 21,78 Milliarden Euro investierte.
Wie der Draghi-Bericht unterstreicht, muss die EU ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung deutlich erhöhen, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Der Bericht fordert eine neue europäische Industriepolitik, die jährliche Investitionen von 750 bis 800 Milliarden Euro vorsieht, hauptsächlich aus dem Privatsektor.
Während es in den USA die großen Tech-Konzerne Alphabet, Meta, Apple und Microsoft sind, die am meisten Geld für F&E ausgeben, ist es in Europa der Automobilsektor. Hier entfielen im Jahr 2023 45,4 Prozent der weltweiten F&E-Investitionen auf Unternehmen mit Hauptsitz in der EU. Europäische Automobilunternehmen investierten damit mehr als doppelt so viel wie ihre Konkurrenten aus den USA und Japan und mehr als dreimal so viel wie chinesische Unternehmen. vis
Der zweitgrößte polnische Stromversorger Tauron Polska Energia will bis zum Ende des Jahrzehnts auf Kohlekraft verzichten und bis 2040 klimaneutral werden. Das berichtete Bloomberg am Dienstag. Das Staatsunternehmen will bis 2035 insgesamt 23 Milliarden Euro in die Netzinfrastruktur und erneuerbare Energien investieren. 2023 betrug Kohlestrom noch 86 Prozent im Strommix von Tauron Polska Energia. Polen könnte Analysen zufolge bis 2032 vollständig frei von Kohlestrom sein.
Das Land, das ab Januar die Ratspräsidentschaft der EU übernimmt, gilt als Cleantech-Drehscheibe Europas. 60 Prozent der Produktion von Lithium-Ionen-Batterien in der EU kommt aus Polen. Das Land ist der zweitgrößte Batterieexporteur weltweit nach China, wie ein am Mittwoch veröffentlichter Bericht zeigt.
Auch beim Ausbau der Erneuerbaren ist Warschau weit vorne: 2023 wurden rund 5 Milliarden Euro in Offshore-Windkraftanlagen investiert – der zweithöchste Wert in der EU. Wind- und Solarenergie erzeugten vergangenes Jahr 21 Prozent des polnischen Stroms, gegenüber 16 Prozent im Vorjahr. Investitionen in Polens Übergang zu Netto-Null-Technologien lagen 2023 bei 13 Milliarden Euro – ein Drittel mehr als im Vergleich zum Vorjahr und 20 Mal höher als 2017. luk
Die EU-Kommission hat Deutschland und den Niederlanden die zweite Förderrunde des Wasserstoff-Fördermechanismus H2Global genehmigt. “Ganz im Geiste des künftigen ‘Deals für eine saubere Industrie’ wird diese drei Milliarden Euro schwere deutsch-niederländische Regelung dazu beitragen, die wachsende Nachfrage nach erneuerbaren Kraftstoffen in der EU zu decken, indem deren Entwicklung in der ganzen Welt unterstützt wird”, teilte Kommissionsvize Teresa Ribera am Mittwoch mit.
Mit der Regelung solle der Aufbau von Elektrolysekapazitäten von mindestens 1,875 Gigawatt weltweit gefördert werden. Die Niederlande wollen 300 Millionen Euro der Finanzierung tragen, Deutschland den übrigen Teil. Ob die Bundesregierung ihren Part bereitstellen kann, ist jedoch unklar. Die Mittel sollen aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) kommen.
Mit der Förderung will der Bund die Differenz zwischen den Kosten für den Ankauf und den Einnahmen aus Ausschreibungen für industrielle Abnehmer decken. Im November hatte das Bundeswirtschaftsministerium die Ergebnisse einer Marktkonsultation zur zweiten Ausschreibungsrunde veröffentlicht. Ein Jahr zuvor hatten Deutschland und die Niederlande bei einem Besuch von König Willem-Alexander in Nordrhein-Westfalen vereinbart, bei der zweiten Ausschreibungsrunde zusammenzuarbeiten. ber
Bruna Szego wird Chefin von AMLA, der neuen Anti-Geldwäsche-Behörde der EU. Mit großer Mehrheit hat das Europaparlament am Mittwoch für die Berufung der Italienerin gestimmt. Szego leitete bislang die Abteilung für Überwachung und Regulierung von Geldwäsche bei der italienischen Zentralbank.
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Vor einem Jahr, am 19. Dezember 2023, unterzeichnete Bundesinnenministerin Nancy Faeser in Tiflis zusammen mit ihrem georgischen Amtskollegen Wachtang Gomelauri ein Migrationsabkommen. Die veränderte politische Lage in Georgien macht jetzt einen Blick auf die mit dem Abkommen verfolgten Ziele und eine Neueinschätzung in Bezug auf politische Verfolgung erforderlich.
Laut deutschem Innenministerium diente die Migrationsvereinbarung als “Grundlage, um künftig im Interesse beider Staaten irreguläre Migration dauerhaft zu reduzieren”. Georgien kam in Deutschland noch 2023 eine besondere Bedeutung bei der Asylantragstellung zu. Im Oktober 2023 beispielsweise stellten fast 9.000 Georgier*innen Asylerstanträge in Deutschland. Nach damaligen Lageberichten und Entscheidungen drohte in Georgien in aller Regel keine politische Verfolgung. Die Anerkennungsquote von Asylanträgen lag dementsprechend bei 0,3 Prozent.
Entscheidender als das Migrationsabkommen waren für die Rückführung georgischer Staatsbürger*innen jedoch die Beschlüsse des Deutschen Bundestags am 16. November 2023 und des Bundesrats am 15. Dezember 2023, wonach Georgien als sicheres Herkunftsland eingestuft wurde. Die georgische Regierung tat alles, um bei der Rückführung aus Deutschland, wie auch aus anderen Staaten der EU, zu assistieren.
Das galt schon vor der Einstufung als sicheres Herkunftsland und dürfte sich aus der auf Arbeitsebene bis zuletzt guten Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten erklären. Auf die Einstufung als “sicheres Herkunftsland” verwies man in Regierungskreisen in Tiflis daher fast mit Stolz – oder vielleicht auch aus politischem Kalkül, um die Kritik der Zivilgesellschaft am zunehmend autoritären Kurs der Regierung zurückzuweisen.
Aus der Absicht, in Deutschland so dringend benötigte Fachkräfte auch aus Georgien anzuwerben, wurde auch mit dem Migrationsabkommen erstmal nichts. Die georgische Seite wies schon Jahre vor den Verhandlungen zum Abkommen deutlich darauf hin, dass Abwanderung von ausgebildeten Fachkräften und Brain-Drain nicht im Interesse des Staates und der Gesellschaft im ohnehin kleinen und von Emigration stark betroffenen Land seien.
Also fokussierte man sich in der Zusammenarbeit auf die zirkuläre Migration, insbesondere von Saisonarbeiter*innen. Der Umstand, dass Georgier*innen sich 90 Tage visafrei in der Bundesrepublik aufhalten dürfen, machte das Pilotprojekt schnell umsetzungsfähig: 2021 reisten die ersten Landarbeiter zu ausgewählten landwirtschaftlichen Betrieben in ganz Deutschland. Im Jahr 2022 erhielten 1231 Georgier*innen eine Arbeitsgenehmigung für die saisonale Arbeit in Deutschland, trotz teilweise schlechter Presse über die Arbeitsbedingungen. 2023 stieg diese Zahl geringfügig auf 1269.
Vieles wäre denk- und entwickelbar im Rahmen des Abkommens, das Ausbildung und Zusammenarbeit in anderen Bereichen verspricht. Die Zusammenarbeit im Gesundheitswesen könnte ausgebaut werden, vielleicht Inkubationskooperationen von Start-ups. Wichtig für die georgische Seite war dabei die Zukunft ihrer jungen Bevölkerung im Land selbst. Doch welche Zukunft stellt sich aktuell?
Das politische Klima in Georgien ist derzeit extrem angespannt. Der nach der weder fairen noch freien Wahl im Amt gebliebene Premierminister Irakli Kobachidse hatte im November angekündigt, dass Georgien die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen bis 2028 nicht anstreben wolle. Das wird von vielen georgischen Bürger*innen verstanden als bewusster Verzicht auf die europäische Integration, als eine Annäherung an Russland und fundamentalen Bruch mit Artikel 78 der georgischen Verfassung, der alle staatlichen Organe verpflichtet, die europäische Integration zu fördern.
Obwohl proeuropäische Massendemonstrationen in den vergangenen Wochen gewaltsam niedergeschlagen wurden, versammeln sich täglich Tausende Menschen in Tiflis und anderen großen Städten und protestieren. Die Partei Georgischer Traum, die weiterhin an der Macht ist, verfolgt eine Politik, die zunehmend unabhängige Stimmen unterdrückt. Aktivisten, Journalistinnen, Oppositionspolitiker und insbesondere die hohe Zahl von mutigen Staatsbeschäftigten, die sich kritisch äußern, sind Ziel von Einschüchterung, Drohungen und körperlicher Gewalt.
Auch den “liberalen Faschismus” will Kobachidse “auslöschen.” Im neuen Jahr könnten das beschlossene “Agentengesetz” und die Anti-LGBTQI-Gesetzgebung durchgesetzt werden, was hohe Geld- und sogar Gefängnisstrafen vor allem für jene bedeuten könnte, die in zivilgesellschaftlichen Organisationen und Medien arbeiten.
Die Einstufung als sicheres Herkunftsland legitimiere die zunehmend repressive Regierungspolitik, sagen Aktivist*innen in Tiflis. Sollte die politische Verfolgung weiter wachsen und die Diskriminierung von Minderheiten wie LGBTQI-Personen zunehmen, muss in Berlin der Status Georgiens als sicheres Herkunftsland überdacht werden.