am Samstag war die Londoner Innenstadt ein Meer aus EU-Flaggen. “We want our star back”, prangte auf einem Banner. Tausende demonstrierten beim “National Rejoin March” inmitten des politischen und wirtschaftlichen Chaos in Großbritannien für einen Wiederbeitritt in die EU.
Währenddessen zeichnete sich im Machtgerangel um den Vorsitz der Tory-Partei noch bis gestern ein Duell zwischen Ex-Premier Boris Johnson und Ex-Finanzminister Rishi Sunak ab, bis Johnson schließlich gestern Abend bekannt gab, nicht noch einmal anzutreten. Noch bis heute Nachmittag können Nominierungen eingehen, Sunak gilt als Favorit.
Weiter südlich in Europa ist eine Wahl längst entschieden. Am Wochenende wurde in Italien die neue Mitte-rechts-Regierung unter Giorgia Meloni vereidigt. Isabel Cuesta Camacho blickt in ihrer Analyse vor allem auf die außenpolitischen Signale der rechten Ministerpräsidentin. Sie verspricht, eng mit den europäischen und NATO-Verbündeten zusammenzuarbeiten. Doch wird ihr das in einer Koalition mit Matteo Salvini und Silvio Berlusconi, zwei Freunden Putins, gelingen?
Zwischen Deutschland und Frankreich kriselt es: Ein offensichtliches Symptom ist die Verschiebung des deutsch-französischen Ministerrats, der diese Woche stattfinden sollte. Bundeskanzler Scholz fliegt nun am Mittwoch allein nach Paris, um die Wogen zu glätten. Die Gründe liegen nicht nur in inhaltlichen Differenzen, schreibt Till Hoppe – Scholz und Macron tun sich schwer, ein gutes Arbeitsverhältnis aufzubauen.
Starten Sie gut in die Woche!
“Vergiss den Marsch auf Rom, hier muss ich auf Gazprom marschieren”. Mit diesem an ihr Team gerichteten Satz hat Giorgia Meloni, Italiens erste Frau im Amt der Ministerpräsidentin, deutlich gemacht, mit welcher Einstellung sie dem größten Hindernis auf ihrem Weg an die Spitze der Exekutive begegnen wird (der Energiekrise und galoppierenden Inflation) und sich gleichzeitig unverkennbar auf die Machtübernahme Mussolinis 1922 bezogen.
Bereits am Samstag hatte Giorgia Meloni nach ihrer Amtsvereidigung durch Staatspräsident Sergio Mattarella ihre Unterstützung für die NATO, gemeinsame europäische Ziele und die Ukraine zugesagt. Ihre pro-europäische und pro-westliche Haltung unterscheidet sie von ihren Koalitionspartnern Matteo Salvini von der Lega Nord und Silvio Berlusconi von Forza Italia, zwei erklärten Freunden Putins.
“Italien ist ein wichtiger NATO-Verbündeter und enger Partner”, heißt es in einer Glückwunschbotschaft von US-Präsident Biden. Meloni dankte ihm und dem US-Außenminister Blinken auf ihrem Twitter-Account: “Vielen Dank, Antony Blinken. Sie wissen, dass die USA und alle unsere NATO-Partner auf uns zählen können, wenn es darum geht, das tapfere ukrainische Volk bestmöglich zu unterstützen und unsere strategische Partnerschaft zu stärken”.
Mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, führte Meloni am Samstag ein erstes Telefongespräch, in dem die beiden Politikerinnen bestätigten, dass sie bei der Bewältigung der kritischen Herausforderungen, vor denen Europa steht, zusammenarbeiten werden.
Während Melonis atlantische Politik nicht in Frage stand, kam ihre pro-europäische Haltung erst in den letzten Monaten vor den Wahlen und nach ihrem Wahlsieg zum Ausdruck. Ihre Koalitionspartner Salvini und Berlusconi sind zwei anerkannte Freunde Putins, die sich mit eindeutigen Erklärungen für die russische Politik ausgesprochen haben. In heimlich aufgenommenen Audios, die den Medien zugespielt wurden, hatte Berlusconi letzte Woche behauptet, er habe “seine Freundschaft mit Putin wieder aufgenommen”. Dies veranlasste Giorgia Meloni, ihre pro-europäische, pro-NATO Position und ihre Unterstützung für die Ukraine zu bekräftigen.
Meloni hatte bei der Wahl am 25. September mit 26 Prozent der Stimmen gewonnen. Fünf Jahre zuvor hatte die Partei nur bei vier Prozent der Stimmen gelegen und sich mit einer Nebenrolle in der rechten Koalition begnügt. Nun führt Meloni eine Koalition aus den drei Parteien an, die in den letzten zwei Jahrzehnten das Mitte-Rechts-Spektrum in Italien besetzt haben. Eine Regierung mit den Ämtern der zwei Vizepräsidenten in den Händen von Matteo Salvini und Antonio Tajani, Berlusconis rechte Hand und ehemaliger Präsident des EU-Parlaments.
Die Forza Italia sollte der Garant für eine gemäßigte internationale Politik sein, die mit der westlichen Agenda übereinstimmt. Berlusconi hatte in einem Fernsehinterview vor den Parlamentswahlen gesagt, Europa erwarte von ihm und seiner Partei eine “liberale, pro-europäische und atlantische Regierung”. Die Audios des 86-jährigen Milliardärs, der bereits einmal wegen Steuerbetrugs angeklagt war, werfen die Frage auf, wie Giorgia Meloni ihr Versprechen, Italiens Unterstützung für die Ukraine aufrechtzuerhalten, mit einem so Putin-freundlichen Koalitionspartner einhalten kann. Es liegt vor allem in Tajanis Verantwortung, diesen pro-europäischen, gemäßigten Garanten aufrechtzuerhalten und Russlands Einmarsch in der Ukraine aktiv zu verurteilen.
Melonis Hauptaufgaben sind die Erarbeitung eines Haushalts, der die Inflation eindämmt, und die Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern zur Bewältigung der Energiekrise. Zu diesem Zweck hat sich Meloni dafür entschieden, die bereits von der Regierung von Mario Draghi gezogene Linie zu verstärken. Dies bedeutet, dass in den Schlüsselressorts der Ministerien wenig experimentiert wird.
Einige der neuen Minister haben bereits Erfahrungen in früheren Regierungen gesammelt: Der neue Finanzminister Giancarlo Giorgetti von der Lega Nord war unter Draghi Minister für wirtschaftliche Entwicklung, ebenso wie Tajani, der jetzt Vizepräsident und Außenminister ist, und Matteo Salvini, nun auch Minister für Infrastrukturen, der bereits in der ersten Regierung von Giuseppe Conte Vizepräsident und Innenminister war. Meloni selbst war unter Berlusconi, der Italien vor elf Jahren am Rande des Bankrotts zurückließ, Jugendministerin. Nun ist es ihr gelungen, die Mitte-Rechts-Parteien in den Palazzo Chigi zurückzubringen.
Die eher konservative und rechtsgerichtete Linie der Regierung der ersten Ministerpräsidentin in der Geschichte Italiens in den Ministerien für Bildung und Familie umgesetzt. Das neue Ministerium für Familie, Geburt und Chancengleichheit ist eine Absichtserklärung. Hier wird die als Geburtenförderung getarnte Anti-Abtreibungspolitik eingesetzt und Melonis Grundgedanke über die Familie unterstrichen: Eine Familie kann nur aus einem Vater und einer Mutter bestehen. An der Spitze des neuen Ministeriums steht Eugenia Rocella, eine überzeugte Abtreibungsgegnerin, paradoxerweise die Tochter eines der Parteigründer der Partito Radicale, die ihre Ideologie auf dem Recht auf Abtreibung aufbaute.
Obwohl sich einige Ministerien nicht wesentlich ändern werden, wollte die neue Premierministerin sie umbenennen, um deutlich zu machen, was sie von ihnen erwartet. So wird das Bildungsressort auch als “Ministerium für Bildung und Verdienst” (Istruzione e Merito) bezeichnet werden. Leistung ist einer der Werte, die sie in letzter Zeit verkündet hat, auch in Bezug auf die Förderung von Frauen in Schlüsselpositionen in der Verwaltung. “Leistung, nicht Quoten”, sagt Meloni oft. Das Ministerium für Sport wird auch das Ministerium für Jugend sein, was bedeutet, dass dies einer der Werte ist, die angesichts der “jugendlichen Abweichungen” gefördert werden müssen.
Das Ministerium für den ökologischen Übergang, der Eckpfeiler des Wiederaufbauplans der Vorgängerregierung nach der Pandemie (PNRR), wird in Ministerium für Energiesicherheit umbenannt. Es wird von einem Vertreter der Forza Italia geleitet und strebt unter dem neuen Namen die Energieautonomie und ein Ende der von früheren Regierungen geschaffenen Abhängigkeit an. Das frühere Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung wird nun als “Ministerium für Unternehmen und Made in Italy” bezeichnet.
Im Streit um den Verkauf von Anteilen an einem Containerterminal des mehrheitlich staatlichen Hamburger Hafens an China zeichnet sich ein Kompromiss ab. Der ebenfalls staatliche chinesische Hafenbetreiber Cosco bekommt dem neuen Deal zufolge nur 24,9 Prozent der Anteile statt wie bisher geplant 35 Prozent. Das erfuhr China.Table aus Verhandlungskreisen. Die restlichen zehn Prozent an dem Terminal werden zunächst zurückgehalten. Ihre Übertragung ist erst nach einer Abkühlphase möglich, in der sich der chinesische Partner als verlässlich erweisen muss. Aus Kreisen der Bundesregierung ist zu hören, dass dies eine der möglichen Varianten ist, über die auch in der Bundesregierung nachgedacht werde. Die Entscheidung sei aber noch nicht gefallen.
Die Befürworter des Projektes hoffen, dass dieser Kompromiss die beiden wichtigsten Argumente gegen die Übernahme entschärfen. Der chinesische Einfluss wäre eingehegt, denn erst ab einem Anteil von 25 Prozent haben Teilhaber ein Vetorecht. Das Vetorecht hätte sich allerdings nur auf das kleinste der vier Containerterminals des Hamburger Hafens bezogen. Nun ist das offenbar vom Tisch.
Damit hätte China praktisch keinen Einfluss auf den eigentlichen Hafenbetrieb. Cosco könnte allenfalls den Containerumschlag am Tollerort-Terminal beeinflussen, den die Reederei als Umschlagsort nutzt. Seine Stellung als wichtiger Kunde ist dort stark. Trotzdem steht das Terminal nach dem Kompromissvorschlag weiterhin allen Reedereikunden offen, ohne dass China Einspruch etwa gegen das Anlegen von US-Schiffen einlegen könnte.
Verkäuferin der Anteile ist die behördeneigene Terminalfirma Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) – nicht zu verwechseln mit dem Hafenbetreiber. Es geht um die Beteiligung der Cosco Shipping Ports Limited (CSPL) an der HHLA-Tochter Container Terminal Tollerort (CTT) GmbH. Die HHLA sieht dabei keine Gefahr für die Sicherheit des Landes. Sie sah sich dennoch am Donnerstag genötigt, noch einmal Stellung zu nehmen.
“Die HHLA AG behält die alleinige Kontrolle über alle wesentlichen Entscheidungen”, hieß es in einer Pressemitteilung. Die Tollerort-Gmbh sei “letztlich eine Betriebsstätte.” Cosco habe dort keinerlei Exklusivrechte. “Das Terminal bleibt für Containermengen aller Kunden offen.” Cosco werde keinen Zugriff auf strategisches Know-how erhalten: Und: “Die Hafeninfrastruktur verbleibt im Eigentum der Freien und Hansestadt Hamburg. IT- und Vertriebsdaten bleiben allein in der Verantwortung der HHLA AG.”
Auch betonte die HHLA nichts von einer ablehnenden Haltung von sechs Bundesministerien zu wissen und fügte hinzu: “Nicht zutreffend ist die Darstellung, dass die EU der Kooperation widersprochen haben soll. Die kartellrechtliche Erlaubnis wurde durch die zuständigen Behörden erteilt.”
Allerdings hat die HHLA von Anfang an auch Fehler gemacht, die Scholz nun ausbaden muss. Die Hafengesellschaft hätte dem chinesischen Staatsunternehmen nie so viele Anteile zusichern dürfen. Doch alle Beteiligten, von der HHLA selbst über die Hafenbetreiber bis zum Senat der Hansestadt, sahen vor allem ein gutes Geschäft: Zunächst verdient die HHLA am Verkauf der Anteile, dann an dem zunehmenden Containergeschäft durch Cosco. Die drittgrößte Reederei der Welt hat 2021 allein 14 Milliarden US-Dollar Gewinn gemacht.
Der Hamburger Hafen wiederum verspricht sich durch den Deal eine Stärkung im Wettbewerb mit den Konkurrenzhäfen an der Nordsee: Er verliert seit Jahren Marktanteile, vor allem an Konkurrenten wie Rotterdam und Antwerpen.
Immerhin konnte der Hamburger Hafen im ersten Halbjahr 2022 Marktanteile gut machen. Und das lag vor allem an der Zusammenarbeit mit China. Während das Geschäft mit den USA um 3,9 Prozent eingebrochen ist, legte das Chinageschäft um 5,8 Prozent zu. Dennoch schlägt Rotterdam alleine mehr Container um als sämtliche deutschen Häfen zusammen. Im Jahr 2021 kam der niederländische Standort fast auf das doppelte Volumen des Hamburger Hafens.
Der Erfolg von Rotterdam liegt wiederum nicht zuletzt an Cosco. Schon seit 2016 ist Cosco mit 35 Prozent am Euromax Terminal in Rotterdam beteiligt, ohne dass es bisher politische Probleme gab. Dies verleitete die HHLA zu der falschen Annahme, dass eine gleich hohe Beteiligung auch in Deutschland kein Problem sei – in falscher Einschätzung der politischen Stimmung. Die Exportnation Deutschland ist viel abhängiger von China als die Niederlande. Und die Deutschen sind besonders seit Beginn des Ukrainekrieges sehr sensibel für diese Abhängigkeiten – auch wenn der Deal vor gut einem Jahr unterschrieben wurde, also lange vor der russischen Invasion.
Hinzu kommt, dass die Lage sehr komplex ist. Beteiligungen wie an Tollerort oder Rotterdam sind international üblich. Es wäre für Cosco die achtundneunzigste internationale Beteiligung an einem Hafen. Auch an den US-Häfen Miami, Houston, Long Beach, Los Angeles und Seattle ist Cosco beteiligt, ohne dass es darüber politische Auseinandersetzungen gab. Das hat Washington nicht daran gehindert, hinter den Kulissen in Deutschland Druck gegen den Deal zu machen.
Auch in Europa sind chinesische Investoren bereits kräftig beteiligt. Cosco und seine Schwesterfirma China Merchants besitzen in 14 europäischen Häfen eigene Terminals oder sogar Anteile an gesamten Hafenbetriebsgesellschaften – von Rotterdam über Antwerpen bis hin nach Le Havre, Bilbao, Valencia, Marseille und Malta. Cosco ist einer der größten Hafenbetreiber der Welt. Am griechischen Hafen Piräus (100 Prozent), an die Häfen in Zeebrugge (85 Prozent) und Valencia (51 Prozent) hält der Staatsbetrieb sogar die Mehrheit. In Antwerpen sind es unter 25 Prozent. In Wilhelmshaven hat die China Logistic Group Land für 99 Jahre gepachtet, um im Jade-Weser-Hafen ein Logistikzentrum aufzubauen – und dafür 100 Millionen Euro bezahlt.
Die Cosco-Beteiligung an Le Havre könnte auch der Grund sein, warum sich Frankreich gegen den Hamburger Deal ausgesprochen hat. Sie fürchten vor allem, dass Cosco Geschäft aus Frankreich nach Deutschland abzieht. Das sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron selbstverständlich so nicht, sondern spielte über Bande. Er fordert “neue Spielregeln” für Investitionen aus China. Ziel sei es, die strategische Autonomie zu bewahren. “Wir wollen weiter in China investieren können und chinesische Partner haben, solange es nicht den Bereich der strategischen Autonomie berührt”, sagte Macron am vergangenen Freitag nach dem EU-Gipfel in Brüssel.
Scholz will nun, wie China.Table erfahren hat, über Bande zurückspielen und eine “europäische Hafeninitiative” anschieben. Sie soll verhindern, dass es den Chinesen gelingt, den einen europäischen Hafenbetreiber gegen den anderen auszuspielen. Wenn die EU endlich mit einer Stimme in dieser Frage spräche, wäre das nicht möglich.
Das Kanzleramt strebt also einen Kompromiss zur Anteilsreduzierung an und gleichzeitig einen EU-Zusammenschluss. Diese Doppelstrategie erinnert ein wenig an den Nato-Doppelbeschluss, den der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt in den 1980er-Jahren entwickelt hatte: Den Deal abschwächen, ihn aber abschließen und sich gleichzeitig um Abrüstung bemühen. Damals wurden Abrüstungsverhandlungen begonnen und gleichzeitig neue Atomraketen aufgestellt. Diese Strategie erwies sich als sehr erfolgreich.
Die Zeit drängt, denn am kommenden Mittwoch ist die letzte Sitzung der Bundesregierung, bei der dieser Punkt auf die Tagesordnung gesetzt werden kann. Das Außenwirtschaftsgesetz schreibt vor, dass die Regierung Bedenken gegen das Kaufangebot eines ausländischen Investors binnen vier Monaten geltend machen muss. Am 31. Oktober läuft die Frist aus.
Was auf die Tagesordnung kommt, entscheidet allerdings der Bundeskanzler. Scholz hat also auch noch die Möglichkeit, das Geschäft zuzulassen, indem er sich einfach nicht damit beschäftigt. Das würde jedoch das Klima in der Koalition arg strapazieren. Deshalb sucht Scholz auch hier nach einem Kompromiss. Denn schon im Streit um die längere Nutzung der Atomenergie in Deutschland setzte Scholz auf ein Machtwort als Bundeskanzler, um eine Verlängerung bis April gegen den Willen Habecks durchzusetzen. Eine solche Herangehensweise kann er sich nicht unbegrenzt oft leisten.
Die Diskussion über den Hamburger Hafen kommt zudem zu einem höchst ungünstigen Zeitpunkt. Scholz wird am 4. November nach Peking reisen. In der chinesischen Hauptstadt gilt die Unterzeichnung dieser Hafenbeteiligung als eine Geste des guten Willens für einen erfolgreichen Besuch. Wenn es gut läuft, steht auch die Unterzeichnung eines Abkommens über den Kauf von 350 Airbus-Flugzeugen an, wie China.Table erfahren hat. Chinas Außenministerium stellte den Hafen-Deal derweil in den Kontext der guten Wirtschaftsbeziehungen der vergangenen 50 Jahre. Es steht also viel auf dem Spiel. Frank Sieren
Deutschland und Frankreich sind selten einer Meinung, jedenfalls auf Anhieb. Die beiden wichtigsten EU-Staaten haben divergierende Interessen – sie in Ausgleich zu bringen, gelang auch in der Vergangenheit längst nicht immer. Selten aber scheiterten die Bemühungen so geräuschvoll wie vergangene Woche.
Die Verschiebung des eigentlich für Mittwoch geplanten deutsch-französischen Ministerrats hat auch erfahrene Beobachter des bilateralen Verhältnisses alarmiert. Unter Kanzlerin Angela Merkel und Präsident François Hollande habe es ebenfalls schwierige Phasen gegeben, sagt ein Ampel-Politiker. Statt den Ministerrat abzusagen und schlecht übereinander zu reden, sei man damals aber professionell mit den Meinungsverschiedenheiten umgegangen.
Kanzler Olaf Scholz reist nun am Mittwoch allein nach Paris. Er sei sich mit Präsident Emmanuel Macron einig, dass die teils seit Jahren umstrittenen Themen final entschieden werden sollten, sagte Scholz nach dem Europäischen Rat am Freitag. Bei einigen sei “noch ein bisschen Arbeit nötig, was angesichts des jahrelangen Vorlaufs aber nicht so verwunderlich ist”.
Die inhaltlichen Differenzen betreffen eine ganze Reihe von Themen: von der richtigen Antwort auf die hohen Gaspreise über Rüstungsprojekte bis hin zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Die Ursachen für die jüngsten Spannungen aber reichen tiefer.
Scholz und Macron tun sich dem Vernehmen nach schwer, ein gutes Arbeitsverhältnis aufzubauen. Der kühle Hanseat Scholz prallt auf einen extrovertierten (in Frankreich sagen viele: selbstherrlichen) Präsidenten. Man tue sich noch schwer, Scholz’ Persönlichkeit einzuschätzen, sagt ein hoher Diplomat in Paris.
Der karge Kommunikationsstil des Kanzlers erschwert es ihm auch, im Europäischen Rat Verbündete zu finden: Der Kanzler äußert sich laut Teilnehmern in der Runde der Staats- und Regierungschefs recht selten, und wenn, dann sage er häufig Nein. Seine Vorgängerin Angela Merkel habe viel Einfluss genommen über informelle Gespräche am Rande der Gipfel, berichtet ein anderer Beobachter. Scholz aber tue sich schwer damit.
Bisweilen fehlt in Berlin auch schlicht das Gespür für die Sensibilitäten der EU-Partner. Über die zähen Verhandlungen zum Energie-“Abwehrschirm” versäumten es die Verantwortlichen im Kanzleramt und in den europapolitischen Koordinierungshäusern Wirtschaft und Auswärtiges Amt, die anderen Regierungen vorab über das 200-Milliarden-Paket zu informieren. Und stießen sie so unnötig vor den Kopf, wie auch viele Akteure in Berlin einräumen.
Die Ampel-Koalition ist ohnehin stark mit sich selbst beschäftigt, wie der wochenlange Streit um die verbliebenen drei Atomkraftwerke zeigte. In Paris und anderen Hauptstädten sorgt das für zusätzliche Irritationen: Es sei schwierig, die Machtverhältnisse in der Bundesregierung zu beurteilen, sagt ein französischer Regierungsvertreter.
Ausländische Diplomaten in Berlin beklagen sich immer wieder, sie bekämen abweichende Antworten, wenn sie im SPD-geführten Kanzleramt, im grünen Wirtschaftsministerium oder im FDP-geführten Finanzministerium nachfragten. “Gibt es eigentlich eine deutsche Regierung oder mehrere?”, fragt ein Diplomat.
Mancher Beobachter sehnt sich bereits in die Ära Merkel zurück, als ihr europapolitischer Berater Uwe Corsepius die Fäden im Kanzleramt fest in der Hand hielt. Dabei hatten sich die Partner im Koalitionsvertrag vorgenommen, die europapolitische Koordinierung zu verbessern. Die Europa-Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Anna Lührmann, räumte aber kürzlich ein, bei der Abstimmung innerhalb der Regierung sei “durchaus noch Luft nach oben”. Gerade bei den informellen Diskussionen im Rat etwa zu den Energiefragen falle es Berlin schwer, sich proaktiv zu positionieren.
Aber auch Macron hat längst nicht mehr die Handlungsfreiheiten, die er in seiner ersten Amtszeit genoss. In der Nationalversammlung hat seine Renaissance-Partei die Mehrheit eingebüßt, zudem wächst der Druck der Straße. Der Präsident vertrete keine großen Ideen mehr, sondern nur noch knallhart französische Interessen, sagt ein Beobachter in Berlin.
Kanzler Olaf Scholz hat als Präsident der G7-Runde gemeinsam mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu einer internationalen Expertenkonferenz zum Wiederaufbau der Ukraine am Dienstag eingeladen. “Es geht darum, dass wir jetzt ein Zeichen der Hoffnung setzen, mitten in dem Grauen des Krieges, dass es wieder aufwärts geht”, sagte Scholz.
Scholz sieht im Wiederaufbau der Ukraine nach dem Ende des Angriffskriegs Russlands eine jahrzehntelange Aufgabe der Weltgemeinschaft. “Wir werden sehr viel investieren müssen, damit das gut funktioniert”, sagte Scholz in seinem am Samstag veröffentlichten Video-Podcast vor Wiederaufbaukonferenzen für die Ukraine an diesem Montag und Dienstag in Berlin. Das könnten die Ukraine und auch die Europäische Union nicht allein. Er ergänzte: “Das kann nur die ganze Weltgemeinschaft, die jetzt die Ukraine unterstützt. Und sie muss es für lange Zeit tun.”
In einem gemeinsamen Gastbeitrag für die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” forderten Scholz und von der Leyen zudem einen “Marshallplan” für die Ukraine – das sei eine Generationenaufgabe, die sofort beginnen müsse. Mit dem Marshallplan hatten die USA zwischen 1948 und 1952 mit Milliarden US-Dollar den Wiederaufbau in Deutschland und anderen europäischen Staaten finanziert. Die Unterstützung der Ukraine liege auch im Interesse der EU, betonten die beiden Politiker.
Deutschland hat derzeit den Vorsitz der G7-Gruppe, der auch Frankreich, Italien, Japan, Kanada, die USA und Großbritannien angehören. dpa/leo
Die Kommission will auch fünf Jahre nach Inkrafttreten von Euro 7 das Recht zur Verschärfung haben. Das geht aus dem Entwurf zur nächsten Stufe der Schadstoffregulierung bei Autos, Lastwagen und Bussen hervor, über den Europe.Table am Freitag berichtet hat. Demnach sieht der 110 Seiten lange Gesetzestext vor, dass die Kommission über einen Zeitraum von fünf Jahren Grenzwerte, Randbedingungen und Testverfahren eigenständig verschärfen kann. Diese Ermächtigung will sie sich offenbar von den Co-Gesetzgebern im Gesetzgebungsverfahren absegnen lassen. Ein Blankoscheck für Veränderungen nach Inkrafttreten einer Norm ohne Kontrolle durch Parlament und Mitgliedstaaten wäre ein Novum. Die Industrie hätte keine Rechtssicherheit bei Investitionsentscheidungen.
Wie Europe.Table berichtete, enthält der Entwurf für Euro 7 zwar noch keine detaillierten Grenzwerte. Allerdings ist absehbar, dass Euro 7 zu technisch und finanziell machbaren Grenzwerten für Pkw und Lieferwagen kommt. Die Kommission hatte angekündigt, Rücksicht zu nehmen auf die schwierige Wirtschaftslage und die Kosten der Hersteller für die Transformation. Daher würden Grenzwerte vorgeschlagen, die nicht wesentlich schärfer seien als heute. Eine weitergehende Analyse ergab jetzt, dass der Entwurf für bestimmte Lieferwagen doch eine deutliche Verschärfung der Grenzwerte vorsieht. Positiv wird aufseiten der Hersteller vermerkt, dass die Kommission bei Pkw und Nutzfahrzeugen bis 3,5 Tonnen Gewicht keine Grenzwerte für Distickstoffoxid, Methan, Ethanol und NMOG vorsieht.
Wie berichtet, sind dagegen die Grenzwerte, die die Kommission dem Entwurf zufolge für Lastwagen plant, technisch sehr anspruchsvoll. Es wären hohe Investitionssummen nötig, um sie einzuhalten. Einige Grenzwerte seien auch mit aufwändiger Technik nicht einhaltbar, heißt es in Fachkreisen. mgr
Die EU und Kasachstan werden voraussichtlich im November ein Abkommen über eine strategische Partnerschaft für nachhaltige Rohstoffe, Batterien und grünen Wasserstoff unterzeichnen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Staatspräsident Kassym-Jomart Tokajew tauschten sich am Samstag in einer Videokonferenz über diese Pläne aus. “Wir haben das Abkommen über unsere Strategische Partnerschaft für nachhaltige Rohstoffe, Batterien und erneuerbaren Wasserstoff begrüßt”, kommentierte von der Leyen das Gespräch auf Twitter. Die Kommission werde nun mit der Erarbeitung eines Fahrplans beginnen, sagte eine Sprecherin zu Europe.Table. Im November sollen beide Partner die Vereinbarung unterzeichnen.
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und Tokajew hätten die “Aussichten für die Entwicklung einer erweiterten strategischen Partnerschaft” erörtert, hieß es auf der Website des Präsidenten Kasachstans. “Besonderes Augenmerk wurde auf die Zusammenarbeit in den Bereichen Handel, Investitionen, Verkehr und Logistik gelegt”. Die EU-Strategie Global Gateway für Investitionen in weltweite Infrastruktur könnte für eine stärkere Verbindung zwischen der EU und Zentralasien eine wichtige Rolle spielen, fügte von der Leyen in ihrem Beitrag auf Twitter hinzu. leo
Bei der Präsidentschaftswahl in Slowenien hat am Sonntag kein Kandidat die notwendige absolute Mehrheit erreicht. Bei einer Stichwahl am 13. November tritt der konservative Bewerber Anze Logar gegen die parteilose Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin Natasa Pirc Musar an. Das zeichnete sich laut Wahlkommission nach gut 70 Prozent der ausgezählten Stimmen ab.
Enttäuschend verlief die Wahl für die seit Mai dieses Jahres amtierende linksliberale Regierung von Ministerpräsident Robert Golob. Der von seinem Bündnis unterstützte Präsidentschaftskandidat Milan Brglez wurde mit großem Abstand Dritter.
Zwar hat der Staatschef in Slowenien eher protokollarische Befugnisse. Jedoch galt die Wahl als erster Test für die neue Regierung. Der derzeit amtierende Staatspräsident, der Sozialdemokrat Borut Pahor, durfte nach zwei Amtszeiten nicht erneut kandidieren. dpa
“Bei der Transformation geht es nicht nur darum, Gesellschaften zu verändern, sondern eben auch Denkstrukturen im Recht aufzubrechen”, sagt Thorsten Müller. Er ist Vorsitzender der Stiftung Umweltenergierecht, die er 2011 ins Leben gerufen hat. Die Wissenschaftler der Stiftung mit Sitz in Würzburg gehen der Frage nach, wie sich der Rechtsrahmen verändern muss, damit die energie- und klimapolitischen Ziele erreicht werden.
Denkverbote lehnt Müller dabei ab. Den gesamten Lösungsraum in den Blick zu nehmen, lautet sein Appell. Mit der Stiftung ist er vor anderthalb Jahren in ein neues Gebäude gezogen: mit viel Holz und Glas, hell und inspirierend. “Da kann man gut nachdenken – was für einen Wissenschaftler nicht ganz schlecht ist”, scherzt der 48-Jährige.
Zu klimapolitischer Transformation und damit verbundenen Rechtsfragen berät Müller Bund und Länder. Er ist außerdem als Autor und Speaker aktiv. Hinter der Stiftung Umweltenergierecht steht die Erkenntnis, “dass die Energiewende zwar etwas Technisches, Ökonomisches, Soziales ist, aber dies letztlich nur dann sinnvoll gestaltet wird, wenn sich der Rechtsrahmen weiterentwickelt”, so Müller. Hierin sieht er eine Mammutaufgabe.
Ziel des Wissenschaftlers ist es, Wege aufzuzeigen, wie Veränderungen konkret aussehen können. Mit Blick auf unsere Gesellschaft stellt er fest, dass das nur “recht zäh” funktioniert, weil die Deutschen Veränderung nicht unbedingt schätzten und nur dann umsetzen würden, wenn es sich nicht vermeiden ließe. “Das ist besonders beim Klimaschutz ein schlechter Ratgeber”, weiß der studierte Rechtswissenschaftler.
“Europa tickt ein bisschen anders. Deutlich langsamer im Normalfall, weil man alle Mitgliedstaaten mitnehmen muss”, sagt er. All das führe zu politischen Kompromissen, zu Umwegen, manchmal auch zu Irr- oder Holzwegen. Im Umkehrschluss sei Europa mitunter vorausschauender, beispielsweise mit der Erneuerbaren-Förderung – und der Blickrichtung, dass diese Versorgungsform irgendwann die billigere, für die Zukunft geeignetere Variante sein werde. Hierzulande hingegen würden Kleinigkeiten sehr kontrovers diskutiert. Im Green Deal sieht Müller den sehr entschlossenen Aufbruch in Richtung Klimaneutralität. Müllers Ansicht nach werden die Mitgliedsstaaten maßgeblich darüber entscheiden, ob Klimaschutz stattfindet und gelingt.
Als Lehrbeauftragter an der Leuphana Universität Lüneburg sieht Müller Wissen als Teil eines Diskurses. Aktuell doziert er bei einem berufsbegleitenden Studiengang zur Einführung ins Umwelt- und Energierecht. Mit vielen Menschen ins Gespräch zu kommen, die selbst beruflich in dem Themenfeld tätig sind – für ihn eine Bereicherung. Seine Freizeit verbringt der gebürtige Niedersachse am liebsten in den Bergen und hat Würzburg zu seiner Wahlheimat erklärt. Julia Klann
Seit Ausbruch der Energiekrise ist in Brüssel ein politisches Theater der besonderen Art zu verfolgen: die Schein-Annäherungen zwischen Rat und Kommission. Einmal mehr zu erleben beim Rat der EU am frühen Freitagmorgen. Da sind zum einen die Pseudo-Arbeitsaufträge der Mitgliedstaaten: Wieder einmal forderte der Rat die Kommission auf, Maßnahmen vorzulegen, die der Berlaymont längst vorgeschlagen hatte. Ob gemeinsame Gasbeschaffung oder der neue Preisindex für LNG-Importe – danke für den Hinweis, alles längst in Arbeit. Völlig absurd wird es, wenn die Mitgliedstaaten von der Kommission Dinge verlangen, die sie selbst vertrödeln – und das seit Jahren: etwa schnellere Genehmigungen von Erneuerbaren oder Solidaritätsvereinbarungen für einen Gasnotstand.
Natürlich geht es im Rat um politische Signale, ob eine Mehrheit der EU-Hauptstädte die Vorschläge der Kommission auch tatsächlich unterstützt. Einige Maßnahmen wie den Preisdeckel für Gas und die Gasverstromung haben Ursula von der Leyen und Kadri Simson auch erst auf massiven Druck einiger Mitgliedstaaten vorgeschlagen. Doch beide Seiten versuchen zu übertünchen, dass sie nach wie vor meilenweit auseinanderliegen. Von der Leyen wollte vom Rat die Zusicherung, dass der Gaspreisdeckel nur dann kommt, wenn die Staaten acht Bedingungen zustimmen. Höher hätte sie die Hürden gar nicht aufbauen können. Formal hat von der Leyen diese Zusage vom Rat bekommen.
Die Gipfelerklärung verweist ausdrücklich auf den zweiten Absatz von Artikel 23, in dem lauter Gründe formuliert sind, warum der Gaspreisdeckel eine ganz schlechte Idee ist. Noch ist völlig unklar, ob und wie die Beamten der Kommission diese Hindernisse aus dem Weg räumen können – etwa den Gasverbrauch nicht anzukurbeln. Wahrscheinlich sind nur zwei Alternativen: Entweder beide Seiten gestehen ein, dass sie keine Lösung finden, die alle Vorbedingungen erfüllt. Dann wären die Hürden der Kommission und die Zustimmung des Rates bloß politisches Theater gewesen.
Noch wahrscheinlicher: Am Ende steht ein gefährliches Experiment mit dem Energiebinnenmarkt, das die Versorgungssicherheit gefährdet oder zu noch höheren Kosten führt. Man kann nur hoffen, dass sich beide Seiten genug Zeit nehmen, um die Folgen ihrer Entscheidungen abzuwägen. Manuel Berkel
am Samstag war die Londoner Innenstadt ein Meer aus EU-Flaggen. “We want our star back”, prangte auf einem Banner. Tausende demonstrierten beim “National Rejoin March” inmitten des politischen und wirtschaftlichen Chaos in Großbritannien für einen Wiederbeitritt in die EU.
Währenddessen zeichnete sich im Machtgerangel um den Vorsitz der Tory-Partei noch bis gestern ein Duell zwischen Ex-Premier Boris Johnson und Ex-Finanzminister Rishi Sunak ab, bis Johnson schließlich gestern Abend bekannt gab, nicht noch einmal anzutreten. Noch bis heute Nachmittag können Nominierungen eingehen, Sunak gilt als Favorit.
Weiter südlich in Europa ist eine Wahl längst entschieden. Am Wochenende wurde in Italien die neue Mitte-rechts-Regierung unter Giorgia Meloni vereidigt. Isabel Cuesta Camacho blickt in ihrer Analyse vor allem auf die außenpolitischen Signale der rechten Ministerpräsidentin. Sie verspricht, eng mit den europäischen und NATO-Verbündeten zusammenzuarbeiten. Doch wird ihr das in einer Koalition mit Matteo Salvini und Silvio Berlusconi, zwei Freunden Putins, gelingen?
Zwischen Deutschland und Frankreich kriselt es: Ein offensichtliches Symptom ist die Verschiebung des deutsch-französischen Ministerrats, der diese Woche stattfinden sollte. Bundeskanzler Scholz fliegt nun am Mittwoch allein nach Paris, um die Wogen zu glätten. Die Gründe liegen nicht nur in inhaltlichen Differenzen, schreibt Till Hoppe – Scholz und Macron tun sich schwer, ein gutes Arbeitsverhältnis aufzubauen.
Starten Sie gut in die Woche!
“Vergiss den Marsch auf Rom, hier muss ich auf Gazprom marschieren”. Mit diesem an ihr Team gerichteten Satz hat Giorgia Meloni, Italiens erste Frau im Amt der Ministerpräsidentin, deutlich gemacht, mit welcher Einstellung sie dem größten Hindernis auf ihrem Weg an die Spitze der Exekutive begegnen wird (der Energiekrise und galoppierenden Inflation) und sich gleichzeitig unverkennbar auf die Machtübernahme Mussolinis 1922 bezogen.
Bereits am Samstag hatte Giorgia Meloni nach ihrer Amtsvereidigung durch Staatspräsident Sergio Mattarella ihre Unterstützung für die NATO, gemeinsame europäische Ziele und die Ukraine zugesagt. Ihre pro-europäische und pro-westliche Haltung unterscheidet sie von ihren Koalitionspartnern Matteo Salvini von der Lega Nord und Silvio Berlusconi von Forza Italia, zwei erklärten Freunden Putins.
“Italien ist ein wichtiger NATO-Verbündeter und enger Partner”, heißt es in einer Glückwunschbotschaft von US-Präsident Biden. Meloni dankte ihm und dem US-Außenminister Blinken auf ihrem Twitter-Account: “Vielen Dank, Antony Blinken. Sie wissen, dass die USA und alle unsere NATO-Partner auf uns zählen können, wenn es darum geht, das tapfere ukrainische Volk bestmöglich zu unterstützen und unsere strategische Partnerschaft zu stärken”.
Mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, führte Meloni am Samstag ein erstes Telefongespräch, in dem die beiden Politikerinnen bestätigten, dass sie bei der Bewältigung der kritischen Herausforderungen, vor denen Europa steht, zusammenarbeiten werden.
Während Melonis atlantische Politik nicht in Frage stand, kam ihre pro-europäische Haltung erst in den letzten Monaten vor den Wahlen und nach ihrem Wahlsieg zum Ausdruck. Ihre Koalitionspartner Salvini und Berlusconi sind zwei anerkannte Freunde Putins, die sich mit eindeutigen Erklärungen für die russische Politik ausgesprochen haben. In heimlich aufgenommenen Audios, die den Medien zugespielt wurden, hatte Berlusconi letzte Woche behauptet, er habe “seine Freundschaft mit Putin wieder aufgenommen”. Dies veranlasste Giorgia Meloni, ihre pro-europäische, pro-NATO Position und ihre Unterstützung für die Ukraine zu bekräftigen.
Meloni hatte bei der Wahl am 25. September mit 26 Prozent der Stimmen gewonnen. Fünf Jahre zuvor hatte die Partei nur bei vier Prozent der Stimmen gelegen und sich mit einer Nebenrolle in der rechten Koalition begnügt. Nun führt Meloni eine Koalition aus den drei Parteien an, die in den letzten zwei Jahrzehnten das Mitte-Rechts-Spektrum in Italien besetzt haben. Eine Regierung mit den Ämtern der zwei Vizepräsidenten in den Händen von Matteo Salvini und Antonio Tajani, Berlusconis rechte Hand und ehemaliger Präsident des EU-Parlaments.
Die Forza Italia sollte der Garant für eine gemäßigte internationale Politik sein, die mit der westlichen Agenda übereinstimmt. Berlusconi hatte in einem Fernsehinterview vor den Parlamentswahlen gesagt, Europa erwarte von ihm und seiner Partei eine “liberale, pro-europäische und atlantische Regierung”. Die Audios des 86-jährigen Milliardärs, der bereits einmal wegen Steuerbetrugs angeklagt war, werfen die Frage auf, wie Giorgia Meloni ihr Versprechen, Italiens Unterstützung für die Ukraine aufrechtzuerhalten, mit einem so Putin-freundlichen Koalitionspartner einhalten kann. Es liegt vor allem in Tajanis Verantwortung, diesen pro-europäischen, gemäßigten Garanten aufrechtzuerhalten und Russlands Einmarsch in der Ukraine aktiv zu verurteilen.
Melonis Hauptaufgaben sind die Erarbeitung eines Haushalts, der die Inflation eindämmt, und die Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern zur Bewältigung der Energiekrise. Zu diesem Zweck hat sich Meloni dafür entschieden, die bereits von der Regierung von Mario Draghi gezogene Linie zu verstärken. Dies bedeutet, dass in den Schlüsselressorts der Ministerien wenig experimentiert wird.
Einige der neuen Minister haben bereits Erfahrungen in früheren Regierungen gesammelt: Der neue Finanzminister Giancarlo Giorgetti von der Lega Nord war unter Draghi Minister für wirtschaftliche Entwicklung, ebenso wie Tajani, der jetzt Vizepräsident und Außenminister ist, und Matteo Salvini, nun auch Minister für Infrastrukturen, der bereits in der ersten Regierung von Giuseppe Conte Vizepräsident und Innenminister war. Meloni selbst war unter Berlusconi, der Italien vor elf Jahren am Rande des Bankrotts zurückließ, Jugendministerin. Nun ist es ihr gelungen, die Mitte-Rechts-Parteien in den Palazzo Chigi zurückzubringen.
Die eher konservative und rechtsgerichtete Linie der Regierung der ersten Ministerpräsidentin in der Geschichte Italiens in den Ministerien für Bildung und Familie umgesetzt. Das neue Ministerium für Familie, Geburt und Chancengleichheit ist eine Absichtserklärung. Hier wird die als Geburtenförderung getarnte Anti-Abtreibungspolitik eingesetzt und Melonis Grundgedanke über die Familie unterstrichen: Eine Familie kann nur aus einem Vater und einer Mutter bestehen. An der Spitze des neuen Ministeriums steht Eugenia Rocella, eine überzeugte Abtreibungsgegnerin, paradoxerweise die Tochter eines der Parteigründer der Partito Radicale, die ihre Ideologie auf dem Recht auf Abtreibung aufbaute.
Obwohl sich einige Ministerien nicht wesentlich ändern werden, wollte die neue Premierministerin sie umbenennen, um deutlich zu machen, was sie von ihnen erwartet. So wird das Bildungsressort auch als “Ministerium für Bildung und Verdienst” (Istruzione e Merito) bezeichnet werden. Leistung ist einer der Werte, die sie in letzter Zeit verkündet hat, auch in Bezug auf die Förderung von Frauen in Schlüsselpositionen in der Verwaltung. “Leistung, nicht Quoten”, sagt Meloni oft. Das Ministerium für Sport wird auch das Ministerium für Jugend sein, was bedeutet, dass dies einer der Werte ist, die angesichts der “jugendlichen Abweichungen” gefördert werden müssen.
Das Ministerium für den ökologischen Übergang, der Eckpfeiler des Wiederaufbauplans der Vorgängerregierung nach der Pandemie (PNRR), wird in Ministerium für Energiesicherheit umbenannt. Es wird von einem Vertreter der Forza Italia geleitet und strebt unter dem neuen Namen die Energieautonomie und ein Ende der von früheren Regierungen geschaffenen Abhängigkeit an. Das frühere Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung wird nun als “Ministerium für Unternehmen und Made in Italy” bezeichnet.
Im Streit um den Verkauf von Anteilen an einem Containerterminal des mehrheitlich staatlichen Hamburger Hafens an China zeichnet sich ein Kompromiss ab. Der ebenfalls staatliche chinesische Hafenbetreiber Cosco bekommt dem neuen Deal zufolge nur 24,9 Prozent der Anteile statt wie bisher geplant 35 Prozent. Das erfuhr China.Table aus Verhandlungskreisen. Die restlichen zehn Prozent an dem Terminal werden zunächst zurückgehalten. Ihre Übertragung ist erst nach einer Abkühlphase möglich, in der sich der chinesische Partner als verlässlich erweisen muss. Aus Kreisen der Bundesregierung ist zu hören, dass dies eine der möglichen Varianten ist, über die auch in der Bundesregierung nachgedacht werde. Die Entscheidung sei aber noch nicht gefallen.
Die Befürworter des Projektes hoffen, dass dieser Kompromiss die beiden wichtigsten Argumente gegen die Übernahme entschärfen. Der chinesische Einfluss wäre eingehegt, denn erst ab einem Anteil von 25 Prozent haben Teilhaber ein Vetorecht. Das Vetorecht hätte sich allerdings nur auf das kleinste der vier Containerterminals des Hamburger Hafens bezogen. Nun ist das offenbar vom Tisch.
Damit hätte China praktisch keinen Einfluss auf den eigentlichen Hafenbetrieb. Cosco könnte allenfalls den Containerumschlag am Tollerort-Terminal beeinflussen, den die Reederei als Umschlagsort nutzt. Seine Stellung als wichtiger Kunde ist dort stark. Trotzdem steht das Terminal nach dem Kompromissvorschlag weiterhin allen Reedereikunden offen, ohne dass China Einspruch etwa gegen das Anlegen von US-Schiffen einlegen könnte.
Verkäuferin der Anteile ist die behördeneigene Terminalfirma Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) – nicht zu verwechseln mit dem Hafenbetreiber. Es geht um die Beteiligung der Cosco Shipping Ports Limited (CSPL) an der HHLA-Tochter Container Terminal Tollerort (CTT) GmbH. Die HHLA sieht dabei keine Gefahr für die Sicherheit des Landes. Sie sah sich dennoch am Donnerstag genötigt, noch einmal Stellung zu nehmen.
“Die HHLA AG behält die alleinige Kontrolle über alle wesentlichen Entscheidungen”, hieß es in einer Pressemitteilung. Die Tollerort-Gmbh sei “letztlich eine Betriebsstätte.” Cosco habe dort keinerlei Exklusivrechte. “Das Terminal bleibt für Containermengen aller Kunden offen.” Cosco werde keinen Zugriff auf strategisches Know-how erhalten: Und: “Die Hafeninfrastruktur verbleibt im Eigentum der Freien und Hansestadt Hamburg. IT- und Vertriebsdaten bleiben allein in der Verantwortung der HHLA AG.”
Auch betonte die HHLA nichts von einer ablehnenden Haltung von sechs Bundesministerien zu wissen und fügte hinzu: “Nicht zutreffend ist die Darstellung, dass die EU der Kooperation widersprochen haben soll. Die kartellrechtliche Erlaubnis wurde durch die zuständigen Behörden erteilt.”
Allerdings hat die HHLA von Anfang an auch Fehler gemacht, die Scholz nun ausbaden muss. Die Hafengesellschaft hätte dem chinesischen Staatsunternehmen nie so viele Anteile zusichern dürfen. Doch alle Beteiligten, von der HHLA selbst über die Hafenbetreiber bis zum Senat der Hansestadt, sahen vor allem ein gutes Geschäft: Zunächst verdient die HHLA am Verkauf der Anteile, dann an dem zunehmenden Containergeschäft durch Cosco. Die drittgrößte Reederei der Welt hat 2021 allein 14 Milliarden US-Dollar Gewinn gemacht.
Der Hamburger Hafen wiederum verspricht sich durch den Deal eine Stärkung im Wettbewerb mit den Konkurrenzhäfen an der Nordsee: Er verliert seit Jahren Marktanteile, vor allem an Konkurrenten wie Rotterdam und Antwerpen.
Immerhin konnte der Hamburger Hafen im ersten Halbjahr 2022 Marktanteile gut machen. Und das lag vor allem an der Zusammenarbeit mit China. Während das Geschäft mit den USA um 3,9 Prozent eingebrochen ist, legte das Chinageschäft um 5,8 Prozent zu. Dennoch schlägt Rotterdam alleine mehr Container um als sämtliche deutschen Häfen zusammen. Im Jahr 2021 kam der niederländische Standort fast auf das doppelte Volumen des Hamburger Hafens.
Der Erfolg von Rotterdam liegt wiederum nicht zuletzt an Cosco. Schon seit 2016 ist Cosco mit 35 Prozent am Euromax Terminal in Rotterdam beteiligt, ohne dass es bisher politische Probleme gab. Dies verleitete die HHLA zu der falschen Annahme, dass eine gleich hohe Beteiligung auch in Deutschland kein Problem sei – in falscher Einschätzung der politischen Stimmung. Die Exportnation Deutschland ist viel abhängiger von China als die Niederlande. Und die Deutschen sind besonders seit Beginn des Ukrainekrieges sehr sensibel für diese Abhängigkeiten – auch wenn der Deal vor gut einem Jahr unterschrieben wurde, also lange vor der russischen Invasion.
Hinzu kommt, dass die Lage sehr komplex ist. Beteiligungen wie an Tollerort oder Rotterdam sind international üblich. Es wäre für Cosco die achtundneunzigste internationale Beteiligung an einem Hafen. Auch an den US-Häfen Miami, Houston, Long Beach, Los Angeles und Seattle ist Cosco beteiligt, ohne dass es darüber politische Auseinandersetzungen gab. Das hat Washington nicht daran gehindert, hinter den Kulissen in Deutschland Druck gegen den Deal zu machen.
Auch in Europa sind chinesische Investoren bereits kräftig beteiligt. Cosco und seine Schwesterfirma China Merchants besitzen in 14 europäischen Häfen eigene Terminals oder sogar Anteile an gesamten Hafenbetriebsgesellschaften – von Rotterdam über Antwerpen bis hin nach Le Havre, Bilbao, Valencia, Marseille und Malta. Cosco ist einer der größten Hafenbetreiber der Welt. Am griechischen Hafen Piräus (100 Prozent), an die Häfen in Zeebrugge (85 Prozent) und Valencia (51 Prozent) hält der Staatsbetrieb sogar die Mehrheit. In Antwerpen sind es unter 25 Prozent. In Wilhelmshaven hat die China Logistic Group Land für 99 Jahre gepachtet, um im Jade-Weser-Hafen ein Logistikzentrum aufzubauen – und dafür 100 Millionen Euro bezahlt.
Die Cosco-Beteiligung an Le Havre könnte auch der Grund sein, warum sich Frankreich gegen den Hamburger Deal ausgesprochen hat. Sie fürchten vor allem, dass Cosco Geschäft aus Frankreich nach Deutschland abzieht. Das sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron selbstverständlich so nicht, sondern spielte über Bande. Er fordert “neue Spielregeln” für Investitionen aus China. Ziel sei es, die strategische Autonomie zu bewahren. “Wir wollen weiter in China investieren können und chinesische Partner haben, solange es nicht den Bereich der strategischen Autonomie berührt”, sagte Macron am vergangenen Freitag nach dem EU-Gipfel in Brüssel.
Scholz will nun, wie China.Table erfahren hat, über Bande zurückspielen und eine “europäische Hafeninitiative” anschieben. Sie soll verhindern, dass es den Chinesen gelingt, den einen europäischen Hafenbetreiber gegen den anderen auszuspielen. Wenn die EU endlich mit einer Stimme in dieser Frage spräche, wäre das nicht möglich.
Das Kanzleramt strebt also einen Kompromiss zur Anteilsreduzierung an und gleichzeitig einen EU-Zusammenschluss. Diese Doppelstrategie erinnert ein wenig an den Nato-Doppelbeschluss, den der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt in den 1980er-Jahren entwickelt hatte: Den Deal abschwächen, ihn aber abschließen und sich gleichzeitig um Abrüstung bemühen. Damals wurden Abrüstungsverhandlungen begonnen und gleichzeitig neue Atomraketen aufgestellt. Diese Strategie erwies sich als sehr erfolgreich.
Die Zeit drängt, denn am kommenden Mittwoch ist die letzte Sitzung der Bundesregierung, bei der dieser Punkt auf die Tagesordnung gesetzt werden kann. Das Außenwirtschaftsgesetz schreibt vor, dass die Regierung Bedenken gegen das Kaufangebot eines ausländischen Investors binnen vier Monaten geltend machen muss. Am 31. Oktober läuft die Frist aus.
Was auf die Tagesordnung kommt, entscheidet allerdings der Bundeskanzler. Scholz hat also auch noch die Möglichkeit, das Geschäft zuzulassen, indem er sich einfach nicht damit beschäftigt. Das würde jedoch das Klima in der Koalition arg strapazieren. Deshalb sucht Scholz auch hier nach einem Kompromiss. Denn schon im Streit um die längere Nutzung der Atomenergie in Deutschland setzte Scholz auf ein Machtwort als Bundeskanzler, um eine Verlängerung bis April gegen den Willen Habecks durchzusetzen. Eine solche Herangehensweise kann er sich nicht unbegrenzt oft leisten.
Die Diskussion über den Hamburger Hafen kommt zudem zu einem höchst ungünstigen Zeitpunkt. Scholz wird am 4. November nach Peking reisen. In der chinesischen Hauptstadt gilt die Unterzeichnung dieser Hafenbeteiligung als eine Geste des guten Willens für einen erfolgreichen Besuch. Wenn es gut läuft, steht auch die Unterzeichnung eines Abkommens über den Kauf von 350 Airbus-Flugzeugen an, wie China.Table erfahren hat. Chinas Außenministerium stellte den Hafen-Deal derweil in den Kontext der guten Wirtschaftsbeziehungen der vergangenen 50 Jahre. Es steht also viel auf dem Spiel. Frank Sieren
Deutschland und Frankreich sind selten einer Meinung, jedenfalls auf Anhieb. Die beiden wichtigsten EU-Staaten haben divergierende Interessen – sie in Ausgleich zu bringen, gelang auch in der Vergangenheit längst nicht immer. Selten aber scheiterten die Bemühungen so geräuschvoll wie vergangene Woche.
Die Verschiebung des eigentlich für Mittwoch geplanten deutsch-französischen Ministerrats hat auch erfahrene Beobachter des bilateralen Verhältnisses alarmiert. Unter Kanzlerin Angela Merkel und Präsident François Hollande habe es ebenfalls schwierige Phasen gegeben, sagt ein Ampel-Politiker. Statt den Ministerrat abzusagen und schlecht übereinander zu reden, sei man damals aber professionell mit den Meinungsverschiedenheiten umgegangen.
Kanzler Olaf Scholz reist nun am Mittwoch allein nach Paris. Er sei sich mit Präsident Emmanuel Macron einig, dass die teils seit Jahren umstrittenen Themen final entschieden werden sollten, sagte Scholz nach dem Europäischen Rat am Freitag. Bei einigen sei “noch ein bisschen Arbeit nötig, was angesichts des jahrelangen Vorlaufs aber nicht so verwunderlich ist”.
Die inhaltlichen Differenzen betreffen eine ganze Reihe von Themen: von der richtigen Antwort auf die hohen Gaspreise über Rüstungsprojekte bis hin zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Die Ursachen für die jüngsten Spannungen aber reichen tiefer.
Scholz und Macron tun sich dem Vernehmen nach schwer, ein gutes Arbeitsverhältnis aufzubauen. Der kühle Hanseat Scholz prallt auf einen extrovertierten (in Frankreich sagen viele: selbstherrlichen) Präsidenten. Man tue sich noch schwer, Scholz’ Persönlichkeit einzuschätzen, sagt ein hoher Diplomat in Paris.
Der karge Kommunikationsstil des Kanzlers erschwert es ihm auch, im Europäischen Rat Verbündete zu finden: Der Kanzler äußert sich laut Teilnehmern in der Runde der Staats- und Regierungschefs recht selten, und wenn, dann sage er häufig Nein. Seine Vorgängerin Angela Merkel habe viel Einfluss genommen über informelle Gespräche am Rande der Gipfel, berichtet ein anderer Beobachter. Scholz aber tue sich schwer damit.
Bisweilen fehlt in Berlin auch schlicht das Gespür für die Sensibilitäten der EU-Partner. Über die zähen Verhandlungen zum Energie-“Abwehrschirm” versäumten es die Verantwortlichen im Kanzleramt und in den europapolitischen Koordinierungshäusern Wirtschaft und Auswärtiges Amt, die anderen Regierungen vorab über das 200-Milliarden-Paket zu informieren. Und stießen sie so unnötig vor den Kopf, wie auch viele Akteure in Berlin einräumen.
Die Ampel-Koalition ist ohnehin stark mit sich selbst beschäftigt, wie der wochenlange Streit um die verbliebenen drei Atomkraftwerke zeigte. In Paris und anderen Hauptstädten sorgt das für zusätzliche Irritationen: Es sei schwierig, die Machtverhältnisse in der Bundesregierung zu beurteilen, sagt ein französischer Regierungsvertreter.
Ausländische Diplomaten in Berlin beklagen sich immer wieder, sie bekämen abweichende Antworten, wenn sie im SPD-geführten Kanzleramt, im grünen Wirtschaftsministerium oder im FDP-geführten Finanzministerium nachfragten. “Gibt es eigentlich eine deutsche Regierung oder mehrere?”, fragt ein Diplomat.
Mancher Beobachter sehnt sich bereits in die Ära Merkel zurück, als ihr europapolitischer Berater Uwe Corsepius die Fäden im Kanzleramt fest in der Hand hielt. Dabei hatten sich die Partner im Koalitionsvertrag vorgenommen, die europapolitische Koordinierung zu verbessern. Die Europa-Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Anna Lührmann, räumte aber kürzlich ein, bei der Abstimmung innerhalb der Regierung sei “durchaus noch Luft nach oben”. Gerade bei den informellen Diskussionen im Rat etwa zu den Energiefragen falle es Berlin schwer, sich proaktiv zu positionieren.
Aber auch Macron hat längst nicht mehr die Handlungsfreiheiten, die er in seiner ersten Amtszeit genoss. In der Nationalversammlung hat seine Renaissance-Partei die Mehrheit eingebüßt, zudem wächst der Druck der Straße. Der Präsident vertrete keine großen Ideen mehr, sondern nur noch knallhart französische Interessen, sagt ein Beobachter in Berlin.
Kanzler Olaf Scholz hat als Präsident der G7-Runde gemeinsam mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu einer internationalen Expertenkonferenz zum Wiederaufbau der Ukraine am Dienstag eingeladen. “Es geht darum, dass wir jetzt ein Zeichen der Hoffnung setzen, mitten in dem Grauen des Krieges, dass es wieder aufwärts geht”, sagte Scholz.
Scholz sieht im Wiederaufbau der Ukraine nach dem Ende des Angriffskriegs Russlands eine jahrzehntelange Aufgabe der Weltgemeinschaft. “Wir werden sehr viel investieren müssen, damit das gut funktioniert”, sagte Scholz in seinem am Samstag veröffentlichten Video-Podcast vor Wiederaufbaukonferenzen für die Ukraine an diesem Montag und Dienstag in Berlin. Das könnten die Ukraine und auch die Europäische Union nicht allein. Er ergänzte: “Das kann nur die ganze Weltgemeinschaft, die jetzt die Ukraine unterstützt. Und sie muss es für lange Zeit tun.”
In einem gemeinsamen Gastbeitrag für die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” forderten Scholz und von der Leyen zudem einen “Marshallplan” für die Ukraine – das sei eine Generationenaufgabe, die sofort beginnen müsse. Mit dem Marshallplan hatten die USA zwischen 1948 und 1952 mit Milliarden US-Dollar den Wiederaufbau in Deutschland und anderen europäischen Staaten finanziert. Die Unterstützung der Ukraine liege auch im Interesse der EU, betonten die beiden Politiker.
Deutschland hat derzeit den Vorsitz der G7-Gruppe, der auch Frankreich, Italien, Japan, Kanada, die USA und Großbritannien angehören. dpa/leo
Die Kommission will auch fünf Jahre nach Inkrafttreten von Euro 7 das Recht zur Verschärfung haben. Das geht aus dem Entwurf zur nächsten Stufe der Schadstoffregulierung bei Autos, Lastwagen und Bussen hervor, über den Europe.Table am Freitag berichtet hat. Demnach sieht der 110 Seiten lange Gesetzestext vor, dass die Kommission über einen Zeitraum von fünf Jahren Grenzwerte, Randbedingungen und Testverfahren eigenständig verschärfen kann. Diese Ermächtigung will sie sich offenbar von den Co-Gesetzgebern im Gesetzgebungsverfahren absegnen lassen. Ein Blankoscheck für Veränderungen nach Inkrafttreten einer Norm ohne Kontrolle durch Parlament und Mitgliedstaaten wäre ein Novum. Die Industrie hätte keine Rechtssicherheit bei Investitionsentscheidungen.
Wie Europe.Table berichtete, enthält der Entwurf für Euro 7 zwar noch keine detaillierten Grenzwerte. Allerdings ist absehbar, dass Euro 7 zu technisch und finanziell machbaren Grenzwerten für Pkw und Lieferwagen kommt. Die Kommission hatte angekündigt, Rücksicht zu nehmen auf die schwierige Wirtschaftslage und die Kosten der Hersteller für die Transformation. Daher würden Grenzwerte vorgeschlagen, die nicht wesentlich schärfer seien als heute. Eine weitergehende Analyse ergab jetzt, dass der Entwurf für bestimmte Lieferwagen doch eine deutliche Verschärfung der Grenzwerte vorsieht. Positiv wird aufseiten der Hersteller vermerkt, dass die Kommission bei Pkw und Nutzfahrzeugen bis 3,5 Tonnen Gewicht keine Grenzwerte für Distickstoffoxid, Methan, Ethanol und NMOG vorsieht.
Wie berichtet, sind dagegen die Grenzwerte, die die Kommission dem Entwurf zufolge für Lastwagen plant, technisch sehr anspruchsvoll. Es wären hohe Investitionssummen nötig, um sie einzuhalten. Einige Grenzwerte seien auch mit aufwändiger Technik nicht einhaltbar, heißt es in Fachkreisen. mgr
Die EU und Kasachstan werden voraussichtlich im November ein Abkommen über eine strategische Partnerschaft für nachhaltige Rohstoffe, Batterien und grünen Wasserstoff unterzeichnen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Staatspräsident Kassym-Jomart Tokajew tauschten sich am Samstag in einer Videokonferenz über diese Pläne aus. “Wir haben das Abkommen über unsere Strategische Partnerschaft für nachhaltige Rohstoffe, Batterien und erneuerbaren Wasserstoff begrüßt”, kommentierte von der Leyen das Gespräch auf Twitter. Die Kommission werde nun mit der Erarbeitung eines Fahrplans beginnen, sagte eine Sprecherin zu Europe.Table. Im November sollen beide Partner die Vereinbarung unterzeichnen.
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und Tokajew hätten die “Aussichten für die Entwicklung einer erweiterten strategischen Partnerschaft” erörtert, hieß es auf der Website des Präsidenten Kasachstans. “Besonderes Augenmerk wurde auf die Zusammenarbeit in den Bereichen Handel, Investitionen, Verkehr und Logistik gelegt”. Die EU-Strategie Global Gateway für Investitionen in weltweite Infrastruktur könnte für eine stärkere Verbindung zwischen der EU und Zentralasien eine wichtige Rolle spielen, fügte von der Leyen in ihrem Beitrag auf Twitter hinzu. leo
Bei der Präsidentschaftswahl in Slowenien hat am Sonntag kein Kandidat die notwendige absolute Mehrheit erreicht. Bei einer Stichwahl am 13. November tritt der konservative Bewerber Anze Logar gegen die parteilose Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin Natasa Pirc Musar an. Das zeichnete sich laut Wahlkommission nach gut 70 Prozent der ausgezählten Stimmen ab.
Enttäuschend verlief die Wahl für die seit Mai dieses Jahres amtierende linksliberale Regierung von Ministerpräsident Robert Golob. Der von seinem Bündnis unterstützte Präsidentschaftskandidat Milan Brglez wurde mit großem Abstand Dritter.
Zwar hat der Staatschef in Slowenien eher protokollarische Befugnisse. Jedoch galt die Wahl als erster Test für die neue Regierung. Der derzeit amtierende Staatspräsident, der Sozialdemokrat Borut Pahor, durfte nach zwei Amtszeiten nicht erneut kandidieren. dpa
“Bei der Transformation geht es nicht nur darum, Gesellschaften zu verändern, sondern eben auch Denkstrukturen im Recht aufzubrechen”, sagt Thorsten Müller. Er ist Vorsitzender der Stiftung Umweltenergierecht, die er 2011 ins Leben gerufen hat. Die Wissenschaftler der Stiftung mit Sitz in Würzburg gehen der Frage nach, wie sich der Rechtsrahmen verändern muss, damit die energie- und klimapolitischen Ziele erreicht werden.
Denkverbote lehnt Müller dabei ab. Den gesamten Lösungsraum in den Blick zu nehmen, lautet sein Appell. Mit der Stiftung ist er vor anderthalb Jahren in ein neues Gebäude gezogen: mit viel Holz und Glas, hell und inspirierend. “Da kann man gut nachdenken – was für einen Wissenschaftler nicht ganz schlecht ist”, scherzt der 48-Jährige.
Zu klimapolitischer Transformation und damit verbundenen Rechtsfragen berät Müller Bund und Länder. Er ist außerdem als Autor und Speaker aktiv. Hinter der Stiftung Umweltenergierecht steht die Erkenntnis, “dass die Energiewende zwar etwas Technisches, Ökonomisches, Soziales ist, aber dies letztlich nur dann sinnvoll gestaltet wird, wenn sich der Rechtsrahmen weiterentwickelt”, so Müller. Hierin sieht er eine Mammutaufgabe.
Ziel des Wissenschaftlers ist es, Wege aufzuzeigen, wie Veränderungen konkret aussehen können. Mit Blick auf unsere Gesellschaft stellt er fest, dass das nur “recht zäh” funktioniert, weil die Deutschen Veränderung nicht unbedingt schätzten und nur dann umsetzen würden, wenn es sich nicht vermeiden ließe. “Das ist besonders beim Klimaschutz ein schlechter Ratgeber”, weiß der studierte Rechtswissenschaftler.
“Europa tickt ein bisschen anders. Deutlich langsamer im Normalfall, weil man alle Mitgliedstaaten mitnehmen muss”, sagt er. All das führe zu politischen Kompromissen, zu Umwegen, manchmal auch zu Irr- oder Holzwegen. Im Umkehrschluss sei Europa mitunter vorausschauender, beispielsweise mit der Erneuerbaren-Förderung – und der Blickrichtung, dass diese Versorgungsform irgendwann die billigere, für die Zukunft geeignetere Variante sein werde. Hierzulande hingegen würden Kleinigkeiten sehr kontrovers diskutiert. Im Green Deal sieht Müller den sehr entschlossenen Aufbruch in Richtung Klimaneutralität. Müllers Ansicht nach werden die Mitgliedsstaaten maßgeblich darüber entscheiden, ob Klimaschutz stattfindet und gelingt.
Als Lehrbeauftragter an der Leuphana Universität Lüneburg sieht Müller Wissen als Teil eines Diskurses. Aktuell doziert er bei einem berufsbegleitenden Studiengang zur Einführung ins Umwelt- und Energierecht. Mit vielen Menschen ins Gespräch zu kommen, die selbst beruflich in dem Themenfeld tätig sind – für ihn eine Bereicherung. Seine Freizeit verbringt der gebürtige Niedersachse am liebsten in den Bergen und hat Würzburg zu seiner Wahlheimat erklärt. Julia Klann
Seit Ausbruch der Energiekrise ist in Brüssel ein politisches Theater der besonderen Art zu verfolgen: die Schein-Annäherungen zwischen Rat und Kommission. Einmal mehr zu erleben beim Rat der EU am frühen Freitagmorgen. Da sind zum einen die Pseudo-Arbeitsaufträge der Mitgliedstaaten: Wieder einmal forderte der Rat die Kommission auf, Maßnahmen vorzulegen, die der Berlaymont längst vorgeschlagen hatte. Ob gemeinsame Gasbeschaffung oder der neue Preisindex für LNG-Importe – danke für den Hinweis, alles längst in Arbeit. Völlig absurd wird es, wenn die Mitgliedstaaten von der Kommission Dinge verlangen, die sie selbst vertrödeln – und das seit Jahren: etwa schnellere Genehmigungen von Erneuerbaren oder Solidaritätsvereinbarungen für einen Gasnotstand.
Natürlich geht es im Rat um politische Signale, ob eine Mehrheit der EU-Hauptstädte die Vorschläge der Kommission auch tatsächlich unterstützt. Einige Maßnahmen wie den Preisdeckel für Gas und die Gasverstromung haben Ursula von der Leyen und Kadri Simson auch erst auf massiven Druck einiger Mitgliedstaaten vorgeschlagen. Doch beide Seiten versuchen zu übertünchen, dass sie nach wie vor meilenweit auseinanderliegen. Von der Leyen wollte vom Rat die Zusicherung, dass der Gaspreisdeckel nur dann kommt, wenn die Staaten acht Bedingungen zustimmen. Höher hätte sie die Hürden gar nicht aufbauen können. Formal hat von der Leyen diese Zusage vom Rat bekommen.
Die Gipfelerklärung verweist ausdrücklich auf den zweiten Absatz von Artikel 23, in dem lauter Gründe formuliert sind, warum der Gaspreisdeckel eine ganz schlechte Idee ist. Noch ist völlig unklar, ob und wie die Beamten der Kommission diese Hindernisse aus dem Weg räumen können – etwa den Gasverbrauch nicht anzukurbeln. Wahrscheinlich sind nur zwei Alternativen: Entweder beide Seiten gestehen ein, dass sie keine Lösung finden, die alle Vorbedingungen erfüllt. Dann wären die Hürden der Kommission und die Zustimmung des Rates bloß politisches Theater gewesen.
Noch wahrscheinlicher: Am Ende steht ein gefährliches Experiment mit dem Energiebinnenmarkt, das die Versorgungssicherheit gefährdet oder zu noch höheren Kosten führt. Man kann nur hoffen, dass sich beide Seiten genug Zeit nehmen, um die Folgen ihrer Entscheidungen abzuwägen. Manuel Berkel