Table.Briefing: Europe

Manfred-Weber-Interview + AI-Act + Ertug zur Bahn

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Rede zur Lage der Union (SOTEU) wurde mit dem Lissaboner Vertrag eingeführt. José Manuel Barroso hielt 2010 die erste SOTEU überhaupt. Seine Nach-Nachfolgerin im Amt der Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, hält am 13. September bereits ihre vierte. Die Rede markiert die Rentrée in die EU-Politik nach der Sommerpause.

In den Tagen vor der ersten Straßburgwoche trifft sich von der Leyen mit Politikern und Diplomaten und stimmt sich mit ihnen ab. So kam sie am Freitag mit den Ständigen Vertretern der 27 Mitgliedstaaten zusammen sowie mit EVP-Partei- und Fraktionschef Manfred Weber. Im Interview mit Table.Media macht Weber deutlich, welche Schwerpunkte die Kommissionspräsidentin und mutmaßliche Spitzenkandidatin der Christdemokraten im Europaparlament zum Start in den Wahlkampf setzen sollte.

Da die Wahlperiode weit vorangeschritten ist, dürfte von der Leyen nur noch die ein oder andere Gesetzesinitiative ankündigen. Wie zu hören ist, wird sie Schwerpunkte setzen bei der Klimapolitik, der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie. Außerdem wird sie wohl einen Blick in die Zukunft werfen und sich mit der Beitrittsperspektive der Ukraine, Moldawiens sowie der restlichen Balkanstaaten beschäftigen. Auch der Reformbedarf der Staatengemeinschaft soll eine Rolle spielen. Eine gute Woche müssen wir uns noch gedulden.

Ihr
Markus Grabitz
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Analyse

Manfred Weber: “Von der Leyen soll Lage der Bauern ansprechen”

Manfred Weber sieht Ursula von der Leyen in der Pole-Position für die Spitzenkandidatin der EVP.

Herr Weber, Wettbewerbsfähigkeit und Migration – sind das die Themen der EVP im Wahlkampf?

Ja. Die Sorge um die Zukunft der Jobs und die steigenden Zahlen der irregulären Migration – das sind die beiden Themen, die den EU-Bürgern am meisten auf der Seele liegen. Und diese beiden Themen wird die EVP auch im Wahlkampf klar ansprechen.

Die Migrationzahlen über das Mittelmeer sind hoch, der Tunesien-Deal scheint nicht zu funktionieren, der Frontex-Ausbau stockt. Was ist die Botschaft der EVP in der Migrationspolitik?

Es gibt keinen Wunderschlüssel, wir müssen pragmatisch an den Themen arbeiten. Die EVP ist die politische Kraft, die genau das tut. Wir haben auf der einen Seite die Rechtsradikalen, die Angst machen. Sie leben politisch davon, dass das Problem der illegalen Migration nicht gelöst wird. Und auf der anderen Seite haben wir linke Moralisten. Sie erklären uns jeden Tag, was nicht geht. Und in der Mitte steht die EVP, die Lösungen erarbeitet.

Sie waren gerade in Tunesien. Hat der Präsident Ihnen Zusagen gemacht?

Das Land ist in einer sehr schwierigen Lage. Wir können helfen, indem wir die Bedingungen für Investitionen durch europäische Unternehmen vor Ort verbessern. Tunesien braucht eine wirtschaftliche Zukunft. Die jungen Leute brauchen Jobs. Respektvoll mit unseren Nachbarn umzugehen – das ist Voraussetzung, dass sich in der Migrationsfrage eine Partnerschaft entwickelt. Ich habe in Tunis klar gesagt: Es wird nur dann Geld geben, wenn die Flüchtlingszahlen zurückgehen. Und das muss bald passieren.

Welche Signale haben Sie bekommen?

Der Präsident, der Außenminister sowie die Innenminister und der Präsident des Parlaments, sie alle haben klargestellt, dass sie zu dem Memorandum of Understanding stehen.

Migration: Grüne und SPD sollen sich bewegen

Das Europaparlament muss auch noch Migrationsfragen entscheiden …

Hier müssen sich die deutschen Grünen und die deutschen Sozialdemokraten endlich bewegen. Ihnen fehlt über weite Strecken bei der Migration Realitätssinn. Die deutschen Kommunalpolitiker von Grünen und SPD senden ebenso wie Kommunalpolitiker von CDU und CSU Hilferufe nach Brüssel und Berlin. Aber im Europäischen Parlament wollen die Abgeordneten von Grünen und SPD die Hilferufe nicht hören. Stattdessen machen sie weiter mit ihrer ideologiebehafteten Migrationspolitik. Ich fordere den deutschen Kanzler und Innenministerin Nancy Faeser auf: Bringen Sie ihre Parteifreunde in Brüssel dazu, dass der Migrationspakt im Parlament so durchkommt, wie er abgeschlossen wurde. Wir brauchen Realismus und eine sozialdemokratische sowie eine grüne Fraktion, die bereit sind, die Hand für diesen vernünftigen Kompromiss zu heben.

Stichwort Deindustrialisierung: Unternimmt die Kommission genug dagegen?

In den letzten Jahrzehnten war die europäische Einigung, die Schaffung des Binnenmarktes und des Euro Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands. Ohne diese Errungenschaften wäre Deutschland nicht Exportweltmeister. Jetzt ist Europa gefordert, die nächsten Schritte zu gehen. Für die EVP ist klar, dass Wohlstandsichern oberstes Ziel in den nächsten Jahren sein muss. Die Alarmglocken schrillen. Nicht nur in Deutschland, in der ganzen EU droht die Industrie den Anschluss zu verlieren. Europa, aber auch die Bundesregierung müssen jetzt Gas geben.

Erwarten Sie von der Kommissionspräsidentin bei der SOTEU Ankündigungen dazu?

Wir müssen runter mit der Bürokratie. Die Belastung mit Verwaltungsvollzugsfragen ist eine Bürde. Wir brauchen ein Moratorium bei den Berichtspflichten und Regulierungen. Da erwarte ich, dass Ursula von der Leyen nächste Woche im Parlament klare Ankündigungen macht. Zudem brauchen wir Innovationen. Wir müssen schauen, ob wir im EU-Haushalt umschichten können, um noch mehr in Forschung und zukunftsfähige Produkte zu stecken. Und drittens brauchen wir eine Handelspolitik, die uns Märkte öffnet. Ein klares Ja zu Mercosur und anderen anstehenden Handelsverträgen.

“EVP ist die Bauernpartei Europas”

Hat die Kommission genug für die ländliche Bevölkerung und die Landwirte getan?

Angesichts der hohen Nahrungsmittelpreise erwarte ich, dass die Lage der Bauern in der SOTEU-Rede vorkommt. Die EVP ist die Bauernpartei Europas. Für die Landwirtschaft ist die EU ein stabiler Anker. Sie stellt über die GAP viel Geld zur Verfügung, damit die Landwirtschaft wettbewerbsfähig ist. Aber: Die Herausforderungen sind groß. Jetzt muss es darum gehen, den Bauern die Nahrungsmittelproduktion zu erlauben.

Was heißt das?

Die beschlossene Flächenstilllegung muss auch für 2024 aufgehoben werden. Die von der GAP verordnete Stilllegung von vier Prozent der Fläche muss temporär ausgesetzt werden. Warum? Die Inflation ist inzwischen getrieben durch die Nahrungsmittelpreise. Wir müssen mehr Produktion auf den Flächen zulassen und so einen Beitrag gegen die Inflation leisten. Das ist auch eine soziale Frage.

Wird die EVP gegen die geplante Pestizidverordnung Widerstand leisten?

Wir wollen, dass weniger Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden. Allerdings halte ich hier fest: Der vorliegende Text für die Pestizidverordnung ist so nicht zustimmungsfähig. Gerade vor dem Hintergrund der massiv gestiegenen Nahrungsmittelpreise muss im Ausschuss der Vorschlag so abgeändert werden, dass er zur Realität passt. Wir werden sehen, ob die anderen Fraktionen dabei mitmachen. Davon machen wir abhängig, ob wir am Ende zustimmen.

Von der Leyen erste Wahl als Spitzenkandidatin

Wie lange kann die EVP auf eine Ansage von Ursula von der Leyen warten, ob sie Spitzenkandidatin werden möchte?

Wir haben eine Kommissionspräsidentin, die einen exzellenten Job macht. Wenn Ursula von der Leyen antreten möchte, ist sie in der Pole-Position für die Spitzenkandidatur der EVP. Der Ball liegt in ihrem Feld. Wir haben aber auch keinen Zeitdruck.  

Was hat für den EVP-Parteichef jetzt Priorität?

In den nächsten Wochen geht es mir um das programmatische Profil der EVP. Wir müssen unser Angebot für die Wähler strukturieren und formulieren. Die Grundbotschaft ist: Wir brauchen ein Europa, das die Kraft hat, den European Way of Life zu schützen. Wir müssen dazu in der Lage sein, den Menschen in einer sich fundamental ändernden Welt diesen Schutz anzubieten.

Stehen Sie zum Spitzenkandidatenprinzip?

Wir wissen, dass die letzte Europawahl mit dem Nichtumsetzen des Spitzenkandidaten-Prozesses ein Rückschlag für die europäische Demokratie war. Ich glaube aber an das demokratische Europa. Das ist die einzige Zukunft, die wir haben. Die EVP will die siegreiche Spitzenkandidatin oder Spitzenkandidaten zur Kommissionspräsidentin oder -präsidenten machen. Der Bürger muss wissen: Meine Stimme zählt, ich kann die Zukunft Europas mitentscheiden.

Sie können nicht versprechen, dass der Spitzenkandidat auch Chef der Exekutive wird …

Das stimmt. Beim letzten Mal war es der Rat, der nicht bereit war, die Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger umzusetzen. Ich arbeite daran, dass das Verständnis in den anderen Institutionen, vor allem im Rat für das demokratische Prinzip wächst. Rat und Parlament sollte sich auf einen Mechanismus einigen, wie die Art und Weise einer demokratischen Postenbesetzung nach den Europawahlen ablaufen soll.

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AI Act könnte Investoren verschrecken

Die Entwicklung, die Technik, das Training und der Betrieb von Künstlicher Intelligenz verschlingen enorme Summen. Anfang dieses Jahres kursierten Schätzungen, wonach Open AI allein für den Betrieb von ChatGPT 700.000 Dollar pro Tag aufwendet. Das Training von ChatGPT4 soll etwa 63 Millionen Dollar gekostet haben. Das macht Investments in KI zu einer Wette mit extrem hohen Einsätzen. Microsoft hat bereits Milliarden in Open AI investiert.

Start-ups in Europa können von solchen Summen nur träumen. Die Frage ist, ob sich die Investoren wegen des kommenden AI Acts – der ersten umfangreichen Regulierung Künstlicher Intelligenz weltweit – in Europa noch stärker zurückhalten, als sie es ohnehin bereits tun.

Wettbewerb um Investitionen

“Natürlich muss man sich eingestehen, dass es im Vergleich zu den USA in Deutschland und Europa mit der Finanzierung eher hapert, vor allem mit der Skalierung von Start-ups”, sagt Polina Khubbeeva, Referentin Digitalisierung und Innovation beim BDI. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr 2023 gab es in den USA 1129 Deals im Bereich KI und maschinelles Lernen, bei denen Wagniskapitalgeber 30,8 Milliarden Dollar in KI-Start-ups investierten. In Europa waren es in dem Zeitraum gerade einmal 646 Deals mit einem Gesamtvolumen von 3,7 Milliarden Dollar, wie das Handelsblatt unter Berufung auf Zahlen von Pitchbook berichtete.

Wettlauf um Künstliche Intelligenz

Doch Wettbewerb gibt es auch innerhalb Europas: Anders als in Deutschland betreibt Frankreich auch bei KI Industriepolitik. Mitte Juni erklärte Präsident Emmanuel Macron, sein Land wolle hier eine Führungsrolle übernehmen und kündigte neue Finanzmittel in Höhe von immerhin 500 Millionen Euro für die Schaffung von KI-Champions an. Kurz danach warb Mistral AI die beeindruckende Summe von 105 Millionen Euro ein.

Mistral will ein Sprachmodell ähnlich wie ChatGPT für Unternehmen entwickeln, hat aber noch gar kein Produkt. Doch Macron soll die Verwaltung verdonnert haben, das künftige Produkt von Mistral einzusetzen, was das junge Unternehmen zu einer Art Gelddruckmaschine machen würde. Auch Poolside AI erhielt im August eine Finanzierung von mehr als 100 Millionen Euro und zieht jetzt ausgestattet mit französischen Investorengeldern von den USA nach Paris.

Die Politik sollte KI-Start-ups in Deutschland wesentlich mehr Aufmerksamkeit widmen, fordert Khubbeeva vom BDI. Die Förderung sei dabei nur ein – wichtiger – Aspekt, um die Finanzierungslücke zu schließen, die bei KI-Start-ups gravierend sei. KI-Start-ups brauchen im Vergleich zu anderen Geschäftsmodellen länger, um schwarze Zahlen zu schreiben und Rendite abwerfen. “Deswegen sollte man Wege finden, um diese etwas längere Phase der Konsolidierung finanziell zu überbrücken.”

Standortbedingungen müssen stimmen

Abgesehen von der Finanzierung gebe es auch andere Wege, den Standort Deutschland attraktiver zu machen. “Nutzungsmodelle für Daten und die Recheninfrastruktur müssen am Standort noch deutlich ausgebaut werden”, sagt Khubbeeva. “Diese Dinge tragen entscheidend zum Erfolg bei und sind daher auch ausschlaggebend für die Entscheidung, ob man hier gründet oder woanders.”

Das Thema Regulierung komme erschwerend hinzu. Viele Regelungen im AI Act seien für Start-ups und KMU ohne große Compliance-Abteilung nicht zu stemmen. “Wir begrüßen die Einführung von Reallaboren, aber auch die sind zum Teil so bürokratisch gestaltet, dass es abschreckend wirkt”, erläutert Khubbeeva.

Insgesamt seien viele Regelungen weit von der industriellen Wirklichkeit entfernt. Das gelte auch für die Vorschläge, Foundation Models wie ChatGPT in die Gesetzgebung zu integrieren. “So kann das nicht stehen bleiben, das wäre für die Finanzierbarkeit europäischer KI-Start-ups katastrophal. Auf diese Weise bauen wir in Deutschland und Europa keine KI-Modelle nach amerikanischem Vorbild.”

KI-Investoren zögern

Unter Investoren herrsche jedenfalls im Moment eine große Unsicherheit, sagt Andreas Goeldi, Partner bei b2venture. Der europäische Wagniskapitalgeber investiert zu einem sehr frühen Stadium in junge Technologiefirmen, unter anderem 2009 auch in DeepL, eines der erfolgreichsten KI-Unternehmen Deutschlands. “Es besteht großer Eifer, eine Technologie zu regulieren, die erst in der Entstehung begriffen ist“, kritisiert Goeldi. Er verstehe, dass die dynamische Entwicklung für viele Menschen beängstigend sei. “Aber wir versuchen jetzt Dinge sehr im Detail zu regulieren, die wahrscheinlich in drei bis vier Jahren obsolet sind.”

Die Investoren befürchten, dass die Regulierung über das Ziel hinausschießt und die Entwicklung der Branche abwürgen könnte. “Einen ähnlichen Trend kann man in den vergangenen Jahren in der Krypto-Branche sehen – allerdings mehr in den USA als in Europa”, erklärt Goeldi. In den USA habe die Regulierung die Krypto-Szene “faktisch gekillt”. Angesichts von Betrugsfällen auch nicht ganz unverdient, wie er anmerkt. Anders sei es interessanterweise in der Schweiz gelaufen, die relativ früh vorgeprescht sei, aber einen sehr liberalen Rahmen gesetzt habe.

“Risikoklassifizierung ist berechtigt, in der Praxis aber naiv”

“Unsere Befürchtung als Investoren ist, dass ein vielversprechendes Start-up von heute zum toxischen Müll von morgen wird, weil die Regulierung eine erfolgreiche Geschäftstätigkeit unmöglich macht”, sagt Goeldi. Und im Moment sei die Ungewissheit besonders groß. “Übrigens auch in den USA.” Während man in Europa offen diskutiere, finde dies in den USA in Hinterzimmern statt. “Ich finde den europäischen Ansatz deutlich gesünder“, sagt Goeldi. Auch die Kategorisierung der KI in Risikoklassen sei plausibel, aber es sei eben nicht einfach, diese vorausschauend zu klassifizieren.

“Die Risikoklassifizierung finde ich abstrakt gesehen berechtigt, in der Implementierung aber grenzenlos naiv”, sagt Goeldi. Ein Beispiel sei das Thema Social Scoring. Das steht im AI Act auf der Verbotsliste. Fast jede Social-Media-Plattform oder auch Suchmaschine klassifiziere aber ihre Nutzer und ihr Verhalten nach bestimmten Kriterien – als eine Form, relevante Informationen zu filtern.

“Ökosysteme sinnvoller als staatliches Geld”

“Die regulatorische Unsicherheit ist absolut katastrophal für die Branche”, sagt Goeldi. “Wenn die EU es schafft, relativ bald ein vernünftiges Framework aufzustellen, das am Anfang vielleicht bewusst noch ein bisschen offen ist und auch erlaubt, erstmal zu sehen, wo das Ganze hingeht, dann wäre das ein Standortvorteil. Absolut.”

Goeldi hält auch nicht viel von dem französischen Weg, viel staatliches Geld in die Szene zu pumpen. Viel sinnvoller sei es, starke Ökosysteme zu schaffen. Als positives Beispiel nennt der Investor den gerade von Digitalminister Wissing eröffnete Innovationspark AI (Ipai) in Heilbronn.

Verzerrungen des Marktes unerwünscht

Auch der Digitalverband Bitkom plädiert nicht für die französische Vorgehensweise, viel staatliches Geld in den Sektor fließen zu lassen. “Aus der Unternehmensperspektive ist das erstmal ein Nachteil für deutsche Start-ups”, sagt Kai Pascal Beerlink, Referent Künstliche Intelligenz beim Bitkom. “Aber wenn man den Markt insgesamt anschaut, bergen solche politischen Einflussnahmen auch ein gewisses Risiko. Sie verzerren die Marktmechanismen.” Und es bestehe die Gefahr, dass die Blase platzt. “Wenn Unternehmen sich dem Markt stellen, haben sie auch den Innovationsdruck, den sie brauchen, um zu bestehen.”

Beerlink ist überzeugt, dass die Konzentration auf KI-Anwendungen für die produzierende Industrie eine Nische sein könnte, “die wir in Europa und vor allem in Deutschland besetzen können”. Hier seien Sicherheit, Vertrauenswürdigkeit und Transparenz besonders wichtig.

Was der Staat noch tun könnte: “Es wäre wünschenswert, dass die Bundesregierung sich bei den AI-Act-Verhandlungen dafür einsetzt, Innovationen zu fördern – und zwar koordiniert“, sagt Beerlink. “Das ist wichtiger als die Förderung von einzelnen Unternehmen seitens des Staates.”

Die Texte der Table.Media-Serie “Der globale Wettlauf um Künstliche Intelligenz” finden Sie hier.

  • Künstliche Intelligenz
  • Künstliche Intelligenz-Verordnung

News

Parlament will zehn Milliarden Euro extra für MFR

Das Europäische Parlament fordert einen höheren Nachschlag für den mehrjährigen EU-Finanzrahmen (MFR). Die EU-Kommission hatte im Juni vorgeschlagen, bis zum Ende der Finanzperiode 2027 fast 80 Milliarden Euro (in aktuellen Preisen) zusätzlich aufzubringen. Aus Sicht der beiden Berichterstatter des Parlaments reicht das nicht aus – sie fordern zehn Milliarden Euro zusätzlich. Das geht aus dem Entwurf von Jan Olbrycht (EVP) und Margarida Marques (S&D) hervor, der Table.Media vorliegt.

Das Anliegen dürfte auf wenig Gegenliebe im Rat treffen, denn die Mitgliedstaaten sollen die zusätzlichen Summen nach Brüssel überweisen. Den meisten Finanzministern gehen aber schon die Nachforderungen der Kommission zu weit.

Olbrycht und Marques argumentieren, die hohe Inflation treffe den EU-Haushalt härter als die nationalen Budgets, die von höheren Steuereinnahmen profitierten. Preisbereinigt schrumpfe der MFR dadurch um 74 Milliarden Euro– das treffe besonders auf Bürger zugeschnittene Programme wie Erasmus. Der Anteil der nationalen Überweisungen nach Brüssel am Bruttonationaleinkommen sei inflationsbedingt hingegen geschrumpft, die Nettozahler profitierten zudem von höheren Beitragsrabatten.

Drei Milliarden für Zukunftstechnologien

Olbrycht und Marques fordern etwa drei Milliarden Euro zusätzlich für die Investitionsplattform STEP und jeweils eine Milliarde extra für die Migrations- und die Nachbarschaftspolitik. Zudem wollen sie die Flexibilitätsreserve im Haushalt um weitere drei Milliarden Euro vergrößern. Die stark gestiegenen Zinskosten für das Corona-Wiederaufbauinstrument sollen außerhalb der Obergrenzen des MFR verbucht werden, damit sie nicht zulasten existierender Programme gehen.

“Das EU-Budget ächzt unter der Inflation”, sagt der Grünen-Finanzpolitiker Rasmus Andresen. “Wir brauchen jeden Euro, Kürzungen bedrohen wichtige Programme.” Der Chef der deutschen Grünen im Europaparlament plädiert dafür, die Mittel für STEP noch stärker aufzustocken als die Berichterstatter, und zwar um weitere 2,5 Milliarden Euro. “Die EU braucht strategische Investitionen in Zukunftstechnologie”, sagt er. “Wir müssen hier mutiger sein, sonst werden wir von den USA und China überrannt.”

Andresen regt zudem an, von der Kommission über den Rechtsstaatmechanismus zurückgehaltene Gelder an zivilgesellschaftliche Akteure in den Ländern umzuleiten. Die Zivilgesellschaft dürfe nicht unter den Missständen etwa in Ungarn leiden. tho

  • EU-Haushalt

Ismail Ertug geht zur Bahn

Ismail Ertug (SPD), der nach 14 Jahren am 2. Juli überraschend das Europaparlament verlassen hat, geht zur Bahn. Der 47-Jährige aus Amberg wird ab sofort “Beauftragter Sustainable Mobility Europe” beim Staatskonzern DB. Das Präsidium des Europaparlaments hat kürzlich entschieden, dass Abgeordnete sechs Monate nach ihrem Ausscheiden aus dem Parlament keine Lobbytätigkeit in ihrem ehemaligen Arbeitsbereich aufnehmen dürfen.

Ertug, der im Parlament als Verkehrsexperte gearbeitet hat, sieht hier aber keinen Konflikt. “Meine neue Tätigkeit werde ich als Experte antreten und nicht als Lobbyist”, sagte er auf Anfrage gegenüber Table.Media. Sein Einsatzort sei nicht Brüssel. Er habe aus mehreren Offerten das Angebot der Bahn gewählt, “weil meine Expertise über alle Modi hinweg im Vordergrund stehen soll”. Daher sollte sich die Frage nach einem cooling off nicht stellen, so Ertug weiter. luk/mgr

  • Europäisches Parlament
  • SPD
  • Verkehrspolitik

Designierte Kommissarin Bulgariens stellt sich Fragen im EP

Die Anwärterin Bulgariens für den frei gewordenen Posten des Wissenschaftskommissars, Iliana Ivanova, stellt sich am Dienstag der Anhörung in den Ausschüssen des Europaparlaments. Die Anhörung durch die Ausschüsse für Industrie, Wissenschaft und Energie sowie Kultur und Bildung findet von 9.30 bis 12.30 Uhr statt und wird live bei EbS+ übertragen. Die Nachbesetzung ist notwendig geworden, weil die bisherige bulgarische Kommissarin Mariya Gabriel Vize-Premier und Außenministerin ihres Landes geworden ist. mgr

  • Europäische Kommission
  • Europäisches Parlament

Angepasster Covid-19-Impfstoff zugelassen

Die Kommission hat für den von BioNTech-Pfizer entwickelten angepassten COVID-19-Impfstoff Comirnaty XBB.1.5 eine Zulassung erteilt. Bei diesem Impfstoff handelt es sich um die dritte Anpassung als Reaktion auf neue COVID-Varianten.

Die für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zuständige Kommissarin Stella Kyriakides begrüßte die Zulassung des angepassten COVID-Impfstoffs. Er ziele auf neu auftretende und sich verbreitende Varianten ab: “COVID-19 wird in der kommenden Herbst- und Wintersaison parallel zur saisonalen Grippe zirkulieren, und wir müssen vorbereitet sein.” Diese potenzielle doppelte Bedrohung werde schutzbedürftige Menschen einem erhöhten Risiko aussetzen und den Druck auf Krankenhäuser und Beschäftigte im Gesundheitswesen weiter erhöhen. “Impfungen sind unser wirksamstes Instrument gegen beide Viren. Daher möchte ich alle infrage kommenden Personen, insbesondere die Schwächsten unter uns, dazu aufrufen, den wissenschaftlichen Empfehlungen zu folgen und sich so bald wie möglich impfen zu lassen.” mgr

  • Corona-Impfungen
  • Europäische Kommission

Bundesländer fordern Industriestrompreis

Alle Bundesländer wünschen nach einem Medienbericht einen Industriestrompreis. In einer “Brüsseler Erklärung” forderten alle 16 Ministerpräsidenten von der EU-Kommission, es solle nationalen Regierungen ermöglicht werden, den subventionierten Strompreis einzuführen, berichtete das “Handelsblatt”. Die gestiegenen Energiekosten seien ein “akutes Hemmnis für die Erholung der Konjunktur” heißt es in der Erklärung, die diese Woche veröffentlicht werden soll.

“Es muss daher den Mitgliedstaaten für einen Übergangszeitraum möglich sein, einen wettbewerbsfähigen Brückenstrompreis vor allem für energieintensive und im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen zu etablieren, bis bezahlbare erneuerbare Energien in hinreichendem Umfang zur Verfügung stehen.”

Bundeskanzler Olaf Scholz hatte kürzlich seine Ablehnung eines Industriestrompreises bekräftigt. Die Ministerpräsidenten tagen am kommenden Mittwoch und Donnerstag in Brüssel. Sie sollen dort unter anderem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen treffen. rtr

  • Deutschland
  • Energiepreise

Presseschau

Ukraine-Krieg: EU droht mit ihren Zusagen bei der Munitionsbeschaffung zu scheitern MERKUR
“Brüsseler Erklärung”: Länder wollen bei der EU für Industriestrompreis werben TAGESSCHAU
EU-Umweltkommissar: Bei Klimakonferenz Ziele im Blick halten MERKUR
EU-Botschafter Selmayr: “Die europäische Armee ist die Nato” DER STANDARD
EU-Bilanz: Der Aufstieg des Ostens WELT
Digitalisierte Nachweise: Bald kein gelber Impfpass mehr – Daten sollen in App abrufbar sein RP-ONLINE
Werbe-Einschränkungen: EU-Vorgaben für Digitaldienste kommen nur schleppend in Gang RP-ONLINE
Facebook-Konzern Meta erwägt werbefreie Abos in Europa HORIZONT
Max Schrems: Aktivist treibt US-Konzerne und EU-Behörden vor sich her WIWO
Wetterextreme in Europa durch Omegalage WETTER.COM

Heads

Hans-Gert Pöttering – Aufstehen und weitermachen

Hans-Gert Pöttering war Präsident des Europäischen Parlaments und Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung. Dort ist er heute noch ehrenamtlich tätig.

Die Geschichte von Hans-Gert Pötterings Leben beginnt eigentlich, bevor sein Leben überhaupt begonnen hat. Im Februar 1945, in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs, fällt sein Vater als Soldat in Pommern, im heutigen Polen. Ein halbes Jahr später, im September 1945, kommt Hans-Gert Pöttering in der Nähe von Osnabrück zur Welt. Dieses Ereignis bestimmt noch heute sein Denken. “Diese Erfahrung, den Vater in einem Krieg verloren zu haben, ihn nicht kennen zu lernen, war psychologisch die Motivation dafür, dass bei mir der Gedanke entstanden ist, wir müssen uns für Frieden und für die Einigung Europas einsetzen.”

Dieses Streben erfasste Pöttering schon als junger Mann, als er in die Junge Union und die CDU eintrat, und hat ihn auch heute, im Alter von 77 Jahren, nicht verlassen. Unser Interview wird schnell zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für die Europäische Union und die Werte, für die sie steht.

Ein Leben für die Europäische Union

Denn die EU ist es, die seinen Lebens- und Berufsweg stark beeinflusst und geprägt hat. So war Pöttering von 2007 bis 2009 der zwölfte Präsident des Europäischen Parlaments und hat in dieser Funktion auch das Entstehen des Hauses der Europäischen Geschichte in Brüssel initiiert. “Das war das Schwierigste, was ich in meinem politischen Leben gemacht habe”, sagt er heute rückblickend. Noch heute ist er Vorsitzender des Kuratoriums des Hauses der europäischen Geschichte.

Von 2010 bis 2017 war er Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, wo er bis heute ehrenamtlich als Europa-Beauftragter tätig ist. Außerdem ist er Mitbegründer des Europäischen Karlspreises für die Jugend, Lehrbeauftragter an der Universität Osnabrück mit einer Lehrveranstaltung zur europäischen Einigung und Mitglied im Direktorium des Karlspreises Aachen.

Die Information, dass der Dalai Lama ihn zu seinem Geburtstag eingeladen hat, und dass er dieser Einladung nachkommen wird, erwähnt er nebenbei.

Vertrauen in die nächste Generation

Einige politische Entwicklungen in den EU-Mitgliedsstaaten machen Pöttering Sorgen. Aber er weiß auch: In der Geschichte der Europäischen Union hat es immer wieder Rückschläge und Niederlagen gegeben. So zum Beispiel das Scheitern des EU-Verfassungsvertrages im Jahr 2005. “Die größte Enttäuschung meines politischen Lebens war der Brexit“, sagt Pöttering. “Ich sage das, damit wir bei den Herausforderungen, die wir gegenwärtig haben, auch mit populistischen Entwicklungen in einigen Ländern der Europäischen Union, nicht den Mut verlieren, sondern dass wir gegenhalten müssen, dass wir unsere Werte verteidigen müssen, die Würde des Menschen, die Freiheit, das Recht, den Frieden.”

Seine politische Erfahrung lehrt Pöttering, dass sich diese Werte durchsetzen werden, solange es Menschen gibt, die daran glauben. Dies sieht er besonders in den jungen Generationen. So erzählt er von Schülerinnen und Schülern in seiner Heimatregion, die gegen den Krieg Russlands demonstrierten und sich mit den Menschen in der Ukraine solidarisierten. Bei der Aktion war er eingeladen, um zu sprechen. “Ich habe in meinem Redebeitrag auch die jungen Menschen ermutigt, sich zu engagieren, in Parteien, die die Einigung Europas auf ihre Fahnen geschrieben haben“, erklärt Pöttering.

In seiner Freizeit macht Pöttering gern Sport: Er schwimmt gern, fährt Ski und Fahrrad. Mit Schülerinnen und Schülern teilt Pöttering oft auch eine Geschichte des persönlichen Scheiterns – nämlich, dass er die siebte Klasse wiederholen musste, wegen einer Fünf in Deutsch, wegen zu schlechter Rechtschreibung. Damit will er sie motivieren, dass Scheitern auch zum Leben dazugehört. Wenn einmal etwas schiefgeht, einfach aufstehen, Staub abklopfen und weitermachen. Das gilt auch für die EU. Sarah Tekath

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Rede zur Lage der Union (SOTEU) wurde mit dem Lissaboner Vertrag eingeführt. José Manuel Barroso hielt 2010 die erste SOTEU überhaupt. Seine Nach-Nachfolgerin im Amt der Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, hält am 13. September bereits ihre vierte. Die Rede markiert die Rentrée in die EU-Politik nach der Sommerpause.

    In den Tagen vor der ersten Straßburgwoche trifft sich von der Leyen mit Politikern und Diplomaten und stimmt sich mit ihnen ab. So kam sie am Freitag mit den Ständigen Vertretern der 27 Mitgliedstaaten zusammen sowie mit EVP-Partei- und Fraktionschef Manfred Weber. Im Interview mit Table.Media macht Weber deutlich, welche Schwerpunkte die Kommissionspräsidentin und mutmaßliche Spitzenkandidatin der Christdemokraten im Europaparlament zum Start in den Wahlkampf setzen sollte.

    Da die Wahlperiode weit vorangeschritten ist, dürfte von der Leyen nur noch die ein oder andere Gesetzesinitiative ankündigen. Wie zu hören ist, wird sie Schwerpunkte setzen bei der Klimapolitik, der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie. Außerdem wird sie wohl einen Blick in die Zukunft werfen und sich mit der Beitrittsperspektive der Ukraine, Moldawiens sowie der restlichen Balkanstaaten beschäftigen. Auch der Reformbedarf der Staatengemeinschaft soll eine Rolle spielen. Eine gute Woche müssen wir uns noch gedulden.

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    Markus Grabitz
    Bild von Markus  Grabitz

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    Manfred Weber: “Von der Leyen soll Lage der Bauern ansprechen”

    Manfred Weber sieht Ursula von der Leyen in der Pole-Position für die Spitzenkandidatin der EVP.

    Herr Weber, Wettbewerbsfähigkeit und Migration – sind das die Themen der EVP im Wahlkampf?

    Ja. Die Sorge um die Zukunft der Jobs und die steigenden Zahlen der irregulären Migration – das sind die beiden Themen, die den EU-Bürgern am meisten auf der Seele liegen. Und diese beiden Themen wird die EVP auch im Wahlkampf klar ansprechen.

    Die Migrationzahlen über das Mittelmeer sind hoch, der Tunesien-Deal scheint nicht zu funktionieren, der Frontex-Ausbau stockt. Was ist die Botschaft der EVP in der Migrationspolitik?

    Es gibt keinen Wunderschlüssel, wir müssen pragmatisch an den Themen arbeiten. Die EVP ist die politische Kraft, die genau das tut. Wir haben auf der einen Seite die Rechtsradikalen, die Angst machen. Sie leben politisch davon, dass das Problem der illegalen Migration nicht gelöst wird. Und auf der anderen Seite haben wir linke Moralisten. Sie erklären uns jeden Tag, was nicht geht. Und in der Mitte steht die EVP, die Lösungen erarbeitet.

    Sie waren gerade in Tunesien. Hat der Präsident Ihnen Zusagen gemacht?

    Das Land ist in einer sehr schwierigen Lage. Wir können helfen, indem wir die Bedingungen für Investitionen durch europäische Unternehmen vor Ort verbessern. Tunesien braucht eine wirtschaftliche Zukunft. Die jungen Leute brauchen Jobs. Respektvoll mit unseren Nachbarn umzugehen – das ist Voraussetzung, dass sich in der Migrationsfrage eine Partnerschaft entwickelt. Ich habe in Tunis klar gesagt: Es wird nur dann Geld geben, wenn die Flüchtlingszahlen zurückgehen. Und das muss bald passieren.

    Welche Signale haben Sie bekommen?

    Der Präsident, der Außenminister sowie die Innenminister und der Präsident des Parlaments, sie alle haben klargestellt, dass sie zu dem Memorandum of Understanding stehen.

    Migration: Grüne und SPD sollen sich bewegen

    Das Europaparlament muss auch noch Migrationsfragen entscheiden …

    Hier müssen sich die deutschen Grünen und die deutschen Sozialdemokraten endlich bewegen. Ihnen fehlt über weite Strecken bei der Migration Realitätssinn. Die deutschen Kommunalpolitiker von Grünen und SPD senden ebenso wie Kommunalpolitiker von CDU und CSU Hilferufe nach Brüssel und Berlin. Aber im Europäischen Parlament wollen die Abgeordneten von Grünen und SPD die Hilferufe nicht hören. Stattdessen machen sie weiter mit ihrer ideologiebehafteten Migrationspolitik. Ich fordere den deutschen Kanzler und Innenministerin Nancy Faeser auf: Bringen Sie ihre Parteifreunde in Brüssel dazu, dass der Migrationspakt im Parlament so durchkommt, wie er abgeschlossen wurde. Wir brauchen Realismus und eine sozialdemokratische sowie eine grüne Fraktion, die bereit sind, die Hand für diesen vernünftigen Kompromiss zu heben.

    Stichwort Deindustrialisierung: Unternimmt die Kommission genug dagegen?

    In den letzten Jahrzehnten war die europäische Einigung, die Schaffung des Binnenmarktes und des Euro Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands. Ohne diese Errungenschaften wäre Deutschland nicht Exportweltmeister. Jetzt ist Europa gefordert, die nächsten Schritte zu gehen. Für die EVP ist klar, dass Wohlstandsichern oberstes Ziel in den nächsten Jahren sein muss. Die Alarmglocken schrillen. Nicht nur in Deutschland, in der ganzen EU droht die Industrie den Anschluss zu verlieren. Europa, aber auch die Bundesregierung müssen jetzt Gas geben.

    Erwarten Sie von der Kommissionspräsidentin bei der SOTEU Ankündigungen dazu?

    Wir müssen runter mit der Bürokratie. Die Belastung mit Verwaltungsvollzugsfragen ist eine Bürde. Wir brauchen ein Moratorium bei den Berichtspflichten und Regulierungen. Da erwarte ich, dass Ursula von der Leyen nächste Woche im Parlament klare Ankündigungen macht. Zudem brauchen wir Innovationen. Wir müssen schauen, ob wir im EU-Haushalt umschichten können, um noch mehr in Forschung und zukunftsfähige Produkte zu stecken. Und drittens brauchen wir eine Handelspolitik, die uns Märkte öffnet. Ein klares Ja zu Mercosur und anderen anstehenden Handelsverträgen.

    “EVP ist die Bauernpartei Europas”

    Hat die Kommission genug für die ländliche Bevölkerung und die Landwirte getan?

    Angesichts der hohen Nahrungsmittelpreise erwarte ich, dass die Lage der Bauern in der SOTEU-Rede vorkommt. Die EVP ist die Bauernpartei Europas. Für die Landwirtschaft ist die EU ein stabiler Anker. Sie stellt über die GAP viel Geld zur Verfügung, damit die Landwirtschaft wettbewerbsfähig ist. Aber: Die Herausforderungen sind groß. Jetzt muss es darum gehen, den Bauern die Nahrungsmittelproduktion zu erlauben.

    Was heißt das?

    Die beschlossene Flächenstilllegung muss auch für 2024 aufgehoben werden. Die von der GAP verordnete Stilllegung von vier Prozent der Fläche muss temporär ausgesetzt werden. Warum? Die Inflation ist inzwischen getrieben durch die Nahrungsmittelpreise. Wir müssen mehr Produktion auf den Flächen zulassen und so einen Beitrag gegen die Inflation leisten. Das ist auch eine soziale Frage.

    Wird die EVP gegen die geplante Pestizidverordnung Widerstand leisten?

    Wir wollen, dass weniger Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden. Allerdings halte ich hier fest: Der vorliegende Text für die Pestizidverordnung ist so nicht zustimmungsfähig. Gerade vor dem Hintergrund der massiv gestiegenen Nahrungsmittelpreise muss im Ausschuss der Vorschlag so abgeändert werden, dass er zur Realität passt. Wir werden sehen, ob die anderen Fraktionen dabei mitmachen. Davon machen wir abhängig, ob wir am Ende zustimmen.

    Von der Leyen erste Wahl als Spitzenkandidatin

    Wie lange kann die EVP auf eine Ansage von Ursula von der Leyen warten, ob sie Spitzenkandidatin werden möchte?

    Wir haben eine Kommissionspräsidentin, die einen exzellenten Job macht. Wenn Ursula von der Leyen antreten möchte, ist sie in der Pole-Position für die Spitzenkandidatur der EVP. Der Ball liegt in ihrem Feld. Wir haben aber auch keinen Zeitdruck.  

    Was hat für den EVP-Parteichef jetzt Priorität?

    In den nächsten Wochen geht es mir um das programmatische Profil der EVP. Wir müssen unser Angebot für die Wähler strukturieren und formulieren. Die Grundbotschaft ist: Wir brauchen ein Europa, das die Kraft hat, den European Way of Life zu schützen. Wir müssen dazu in der Lage sein, den Menschen in einer sich fundamental ändernden Welt diesen Schutz anzubieten.

    Stehen Sie zum Spitzenkandidatenprinzip?

    Wir wissen, dass die letzte Europawahl mit dem Nichtumsetzen des Spitzenkandidaten-Prozesses ein Rückschlag für die europäische Demokratie war. Ich glaube aber an das demokratische Europa. Das ist die einzige Zukunft, die wir haben. Die EVP will die siegreiche Spitzenkandidatin oder Spitzenkandidaten zur Kommissionspräsidentin oder -präsidenten machen. Der Bürger muss wissen: Meine Stimme zählt, ich kann die Zukunft Europas mitentscheiden.

    Sie können nicht versprechen, dass der Spitzenkandidat auch Chef der Exekutive wird …

    Das stimmt. Beim letzten Mal war es der Rat, der nicht bereit war, die Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger umzusetzen. Ich arbeite daran, dass das Verständnis in den anderen Institutionen, vor allem im Rat für das demokratische Prinzip wächst. Rat und Parlament sollte sich auf einen Mechanismus einigen, wie die Art und Weise einer demokratischen Postenbesetzung nach den Europawahlen ablaufen soll.

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    AI Act könnte Investoren verschrecken

    Die Entwicklung, die Technik, das Training und der Betrieb von Künstlicher Intelligenz verschlingen enorme Summen. Anfang dieses Jahres kursierten Schätzungen, wonach Open AI allein für den Betrieb von ChatGPT 700.000 Dollar pro Tag aufwendet. Das Training von ChatGPT4 soll etwa 63 Millionen Dollar gekostet haben. Das macht Investments in KI zu einer Wette mit extrem hohen Einsätzen. Microsoft hat bereits Milliarden in Open AI investiert.

    Start-ups in Europa können von solchen Summen nur träumen. Die Frage ist, ob sich die Investoren wegen des kommenden AI Acts – der ersten umfangreichen Regulierung Künstlicher Intelligenz weltweit – in Europa noch stärker zurückhalten, als sie es ohnehin bereits tun.

    Wettbewerb um Investitionen

    “Natürlich muss man sich eingestehen, dass es im Vergleich zu den USA in Deutschland und Europa mit der Finanzierung eher hapert, vor allem mit der Skalierung von Start-ups”, sagt Polina Khubbeeva, Referentin Digitalisierung und Innovation beim BDI. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr 2023 gab es in den USA 1129 Deals im Bereich KI und maschinelles Lernen, bei denen Wagniskapitalgeber 30,8 Milliarden Dollar in KI-Start-ups investierten. In Europa waren es in dem Zeitraum gerade einmal 646 Deals mit einem Gesamtvolumen von 3,7 Milliarden Dollar, wie das Handelsblatt unter Berufung auf Zahlen von Pitchbook berichtete.

    Wettlauf um Künstliche Intelligenz

    Doch Wettbewerb gibt es auch innerhalb Europas: Anders als in Deutschland betreibt Frankreich auch bei KI Industriepolitik. Mitte Juni erklärte Präsident Emmanuel Macron, sein Land wolle hier eine Führungsrolle übernehmen und kündigte neue Finanzmittel in Höhe von immerhin 500 Millionen Euro für die Schaffung von KI-Champions an. Kurz danach warb Mistral AI die beeindruckende Summe von 105 Millionen Euro ein.

    Mistral will ein Sprachmodell ähnlich wie ChatGPT für Unternehmen entwickeln, hat aber noch gar kein Produkt. Doch Macron soll die Verwaltung verdonnert haben, das künftige Produkt von Mistral einzusetzen, was das junge Unternehmen zu einer Art Gelddruckmaschine machen würde. Auch Poolside AI erhielt im August eine Finanzierung von mehr als 100 Millionen Euro und zieht jetzt ausgestattet mit französischen Investorengeldern von den USA nach Paris.

    Die Politik sollte KI-Start-ups in Deutschland wesentlich mehr Aufmerksamkeit widmen, fordert Khubbeeva vom BDI. Die Förderung sei dabei nur ein – wichtiger – Aspekt, um die Finanzierungslücke zu schließen, die bei KI-Start-ups gravierend sei. KI-Start-ups brauchen im Vergleich zu anderen Geschäftsmodellen länger, um schwarze Zahlen zu schreiben und Rendite abwerfen. “Deswegen sollte man Wege finden, um diese etwas längere Phase der Konsolidierung finanziell zu überbrücken.”

    Standortbedingungen müssen stimmen

    Abgesehen von der Finanzierung gebe es auch andere Wege, den Standort Deutschland attraktiver zu machen. “Nutzungsmodelle für Daten und die Recheninfrastruktur müssen am Standort noch deutlich ausgebaut werden”, sagt Khubbeeva. “Diese Dinge tragen entscheidend zum Erfolg bei und sind daher auch ausschlaggebend für die Entscheidung, ob man hier gründet oder woanders.”

    Das Thema Regulierung komme erschwerend hinzu. Viele Regelungen im AI Act seien für Start-ups und KMU ohne große Compliance-Abteilung nicht zu stemmen. “Wir begrüßen die Einführung von Reallaboren, aber auch die sind zum Teil so bürokratisch gestaltet, dass es abschreckend wirkt”, erläutert Khubbeeva.

    Insgesamt seien viele Regelungen weit von der industriellen Wirklichkeit entfernt. Das gelte auch für die Vorschläge, Foundation Models wie ChatGPT in die Gesetzgebung zu integrieren. “So kann das nicht stehen bleiben, das wäre für die Finanzierbarkeit europäischer KI-Start-ups katastrophal. Auf diese Weise bauen wir in Deutschland und Europa keine KI-Modelle nach amerikanischem Vorbild.”

    KI-Investoren zögern

    Unter Investoren herrsche jedenfalls im Moment eine große Unsicherheit, sagt Andreas Goeldi, Partner bei b2venture. Der europäische Wagniskapitalgeber investiert zu einem sehr frühen Stadium in junge Technologiefirmen, unter anderem 2009 auch in DeepL, eines der erfolgreichsten KI-Unternehmen Deutschlands. “Es besteht großer Eifer, eine Technologie zu regulieren, die erst in der Entstehung begriffen ist“, kritisiert Goeldi. Er verstehe, dass die dynamische Entwicklung für viele Menschen beängstigend sei. “Aber wir versuchen jetzt Dinge sehr im Detail zu regulieren, die wahrscheinlich in drei bis vier Jahren obsolet sind.”

    Die Investoren befürchten, dass die Regulierung über das Ziel hinausschießt und die Entwicklung der Branche abwürgen könnte. “Einen ähnlichen Trend kann man in den vergangenen Jahren in der Krypto-Branche sehen – allerdings mehr in den USA als in Europa”, erklärt Goeldi. In den USA habe die Regulierung die Krypto-Szene “faktisch gekillt”. Angesichts von Betrugsfällen auch nicht ganz unverdient, wie er anmerkt. Anders sei es interessanterweise in der Schweiz gelaufen, die relativ früh vorgeprescht sei, aber einen sehr liberalen Rahmen gesetzt habe.

    “Risikoklassifizierung ist berechtigt, in der Praxis aber naiv”

    “Unsere Befürchtung als Investoren ist, dass ein vielversprechendes Start-up von heute zum toxischen Müll von morgen wird, weil die Regulierung eine erfolgreiche Geschäftstätigkeit unmöglich macht”, sagt Goeldi. Und im Moment sei die Ungewissheit besonders groß. “Übrigens auch in den USA.” Während man in Europa offen diskutiere, finde dies in den USA in Hinterzimmern statt. “Ich finde den europäischen Ansatz deutlich gesünder“, sagt Goeldi. Auch die Kategorisierung der KI in Risikoklassen sei plausibel, aber es sei eben nicht einfach, diese vorausschauend zu klassifizieren.

    “Die Risikoklassifizierung finde ich abstrakt gesehen berechtigt, in der Implementierung aber grenzenlos naiv”, sagt Goeldi. Ein Beispiel sei das Thema Social Scoring. Das steht im AI Act auf der Verbotsliste. Fast jede Social-Media-Plattform oder auch Suchmaschine klassifiziere aber ihre Nutzer und ihr Verhalten nach bestimmten Kriterien – als eine Form, relevante Informationen zu filtern.

    “Ökosysteme sinnvoller als staatliches Geld”

    “Die regulatorische Unsicherheit ist absolut katastrophal für die Branche”, sagt Goeldi. “Wenn die EU es schafft, relativ bald ein vernünftiges Framework aufzustellen, das am Anfang vielleicht bewusst noch ein bisschen offen ist und auch erlaubt, erstmal zu sehen, wo das Ganze hingeht, dann wäre das ein Standortvorteil. Absolut.”

    Goeldi hält auch nicht viel von dem französischen Weg, viel staatliches Geld in die Szene zu pumpen. Viel sinnvoller sei es, starke Ökosysteme zu schaffen. Als positives Beispiel nennt der Investor den gerade von Digitalminister Wissing eröffnete Innovationspark AI (Ipai) in Heilbronn.

    Verzerrungen des Marktes unerwünscht

    Auch der Digitalverband Bitkom plädiert nicht für die französische Vorgehensweise, viel staatliches Geld in den Sektor fließen zu lassen. “Aus der Unternehmensperspektive ist das erstmal ein Nachteil für deutsche Start-ups”, sagt Kai Pascal Beerlink, Referent Künstliche Intelligenz beim Bitkom. “Aber wenn man den Markt insgesamt anschaut, bergen solche politischen Einflussnahmen auch ein gewisses Risiko. Sie verzerren die Marktmechanismen.” Und es bestehe die Gefahr, dass die Blase platzt. “Wenn Unternehmen sich dem Markt stellen, haben sie auch den Innovationsdruck, den sie brauchen, um zu bestehen.”

    Beerlink ist überzeugt, dass die Konzentration auf KI-Anwendungen für die produzierende Industrie eine Nische sein könnte, “die wir in Europa und vor allem in Deutschland besetzen können”. Hier seien Sicherheit, Vertrauenswürdigkeit und Transparenz besonders wichtig.

    Was der Staat noch tun könnte: “Es wäre wünschenswert, dass die Bundesregierung sich bei den AI-Act-Verhandlungen dafür einsetzt, Innovationen zu fördern – und zwar koordiniert“, sagt Beerlink. “Das ist wichtiger als die Förderung von einzelnen Unternehmen seitens des Staates.”

    Die Texte der Table.Media-Serie “Der globale Wettlauf um Künstliche Intelligenz” finden Sie hier.

    • Künstliche Intelligenz
    • Künstliche Intelligenz-Verordnung

    News

    Parlament will zehn Milliarden Euro extra für MFR

    Das Europäische Parlament fordert einen höheren Nachschlag für den mehrjährigen EU-Finanzrahmen (MFR). Die EU-Kommission hatte im Juni vorgeschlagen, bis zum Ende der Finanzperiode 2027 fast 80 Milliarden Euro (in aktuellen Preisen) zusätzlich aufzubringen. Aus Sicht der beiden Berichterstatter des Parlaments reicht das nicht aus – sie fordern zehn Milliarden Euro zusätzlich. Das geht aus dem Entwurf von Jan Olbrycht (EVP) und Margarida Marques (S&D) hervor, der Table.Media vorliegt.

    Das Anliegen dürfte auf wenig Gegenliebe im Rat treffen, denn die Mitgliedstaaten sollen die zusätzlichen Summen nach Brüssel überweisen. Den meisten Finanzministern gehen aber schon die Nachforderungen der Kommission zu weit.

    Olbrycht und Marques argumentieren, die hohe Inflation treffe den EU-Haushalt härter als die nationalen Budgets, die von höheren Steuereinnahmen profitierten. Preisbereinigt schrumpfe der MFR dadurch um 74 Milliarden Euro– das treffe besonders auf Bürger zugeschnittene Programme wie Erasmus. Der Anteil der nationalen Überweisungen nach Brüssel am Bruttonationaleinkommen sei inflationsbedingt hingegen geschrumpft, die Nettozahler profitierten zudem von höheren Beitragsrabatten.

    Drei Milliarden für Zukunftstechnologien

    Olbrycht und Marques fordern etwa drei Milliarden Euro zusätzlich für die Investitionsplattform STEP und jeweils eine Milliarde extra für die Migrations- und die Nachbarschaftspolitik. Zudem wollen sie die Flexibilitätsreserve im Haushalt um weitere drei Milliarden Euro vergrößern. Die stark gestiegenen Zinskosten für das Corona-Wiederaufbauinstrument sollen außerhalb der Obergrenzen des MFR verbucht werden, damit sie nicht zulasten existierender Programme gehen.

    “Das EU-Budget ächzt unter der Inflation”, sagt der Grünen-Finanzpolitiker Rasmus Andresen. “Wir brauchen jeden Euro, Kürzungen bedrohen wichtige Programme.” Der Chef der deutschen Grünen im Europaparlament plädiert dafür, die Mittel für STEP noch stärker aufzustocken als die Berichterstatter, und zwar um weitere 2,5 Milliarden Euro. “Die EU braucht strategische Investitionen in Zukunftstechnologie”, sagt er. “Wir müssen hier mutiger sein, sonst werden wir von den USA und China überrannt.”

    Andresen regt zudem an, von der Kommission über den Rechtsstaatmechanismus zurückgehaltene Gelder an zivilgesellschaftliche Akteure in den Ländern umzuleiten. Die Zivilgesellschaft dürfe nicht unter den Missständen etwa in Ungarn leiden. tho

    • EU-Haushalt

    Ismail Ertug geht zur Bahn

    Ismail Ertug (SPD), der nach 14 Jahren am 2. Juli überraschend das Europaparlament verlassen hat, geht zur Bahn. Der 47-Jährige aus Amberg wird ab sofort “Beauftragter Sustainable Mobility Europe” beim Staatskonzern DB. Das Präsidium des Europaparlaments hat kürzlich entschieden, dass Abgeordnete sechs Monate nach ihrem Ausscheiden aus dem Parlament keine Lobbytätigkeit in ihrem ehemaligen Arbeitsbereich aufnehmen dürfen.

    Ertug, der im Parlament als Verkehrsexperte gearbeitet hat, sieht hier aber keinen Konflikt. “Meine neue Tätigkeit werde ich als Experte antreten und nicht als Lobbyist”, sagte er auf Anfrage gegenüber Table.Media. Sein Einsatzort sei nicht Brüssel. Er habe aus mehreren Offerten das Angebot der Bahn gewählt, “weil meine Expertise über alle Modi hinweg im Vordergrund stehen soll”. Daher sollte sich die Frage nach einem cooling off nicht stellen, so Ertug weiter. luk/mgr

    • Europäisches Parlament
    • SPD
    • Verkehrspolitik

    Designierte Kommissarin Bulgariens stellt sich Fragen im EP

    Die Anwärterin Bulgariens für den frei gewordenen Posten des Wissenschaftskommissars, Iliana Ivanova, stellt sich am Dienstag der Anhörung in den Ausschüssen des Europaparlaments. Die Anhörung durch die Ausschüsse für Industrie, Wissenschaft und Energie sowie Kultur und Bildung findet von 9.30 bis 12.30 Uhr statt und wird live bei EbS+ übertragen. Die Nachbesetzung ist notwendig geworden, weil die bisherige bulgarische Kommissarin Mariya Gabriel Vize-Premier und Außenministerin ihres Landes geworden ist. mgr

    • Europäische Kommission
    • Europäisches Parlament

    Angepasster Covid-19-Impfstoff zugelassen

    Die Kommission hat für den von BioNTech-Pfizer entwickelten angepassten COVID-19-Impfstoff Comirnaty XBB.1.5 eine Zulassung erteilt. Bei diesem Impfstoff handelt es sich um die dritte Anpassung als Reaktion auf neue COVID-Varianten.

    Die für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zuständige Kommissarin Stella Kyriakides begrüßte die Zulassung des angepassten COVID-Impfstoffs. Er ziele auf neu auftretende und sich verbreitende Varianten ab: “COVID-19 wird in der kommenden Herbst- und Wintersaison parallel zur saisonalen Grippe zirkulieren, und wir müssen vorbereitet sein.” Diese potenzielle doppelte Bedrohung werde schutzbedürftige Menschen einem erhöhten Risiko aussetzen und den Druck auf Krankenhäuser und Beschäftigte im Gesundheitswesen weiter erhöhen. “Impfungen sind unser wirksamstes Instrument gegen beide Viren. Daher möchte ich alle infrage kommenden Personen, insbesondere die Schwächsten unter uns, dazu aufrufen, den wissenschaftlichen Empfehlungen zu folgen und sich so bald wie möglich impfen zu lassen.” mgr

    • Corona-Impfungen
    • Europäische Kommission

    Bundesländer fordern Industriestrompreis

    Alle Bundesländer wünschen nach einem Medienbericht einen Industriestrompreis. In einer “Brüsseler Erklärung” forderten alle 16 Ministerpräsidenten von der EU-Kommission, es solle nationalen Regierungen ermöglicht werden, den subventionierten Strompreis einzuführen, berichtete das “Handelsblatt”. Die gestiegenen Energiekosten seien ein “akutes Hemmnis für die Erholung der Konjunktur” heißt es in der Erklärung, die diese Woche veröffentlicht werden soll.

    “Es muss daher den Mitgliedstaaten für einen Übergangszeitraum möglich sein, einen wettbewerbsfähigen Brückenstrompreis vor allem für energieintensive und im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen zu etablieren, bis bezahlbare erneuerbare Energien in hinreichendem Umfang zur Verfügung stehen.”

    Bundeskanzler Olaf Scholz hatte kürzlich seine Ablehnung eines Industriestrompreises bekräftigt. Die Ministerpräsidenten tagen am kommenden Mittwoch und Donnerstag in Brüssel. Sie sollen dort unter anderem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen treffen. rtr

    • Deutschland
    • Energiepreise

    Presseschau

    Ukraine-Krieg: EU droht mit ihren Zusagen bei der Munitionsbeschaffung zu scheitern MERKUR
    “Brüsseler Erklärung”: Länder wollen bei der EU für Industriestrompreis werben TAGESSCHAU
    EU-Umweltkommissar: Bei Klimakonferenz Ziele im Blick halten MERKUR
    EU-Botschafter Selmayr: “Die europäische Armee ist die Nato” DER STANDARD
    EU-Bilanz: Der Aufstieg des Ostens WELT
    Digitalisierte Nachweise: Bald kein gelber Impfpass mehr – Daten sollen in App abrufbar sein RP-ONLINE
    Werbe-Einschränkungen: EU-Vorgaben für Digitaldienste kommen nur schleppend in Gang RP-ONLINE
    Facebook-Konzern Meta erwägt werbefreie Abos in Europa HORIZONT
    Max Schrems: Aktivist treibt US-Konzerne und EU-Behörden vor sich her WIWO
    Wetterextreme in Europa durch Omegalage WETTER.COM

    Heads

    Hans-Gert Pöttering – Aufstehen und weitermachen

    Hans-Gert Pöttering war Präsident des Europäischen Parlaments und Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung. Dort ist er heute noch ehrenamtlich tätig.

    Die Geschichte von Hans-Gert Pötterings Leben beginnt eigentlich, bevor sein Leben überhaupt begonnen hat. Im Februar 1945, in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs, fällt sein Vater als Soldat in Pommern, im heutigen Polen. Ein halbes Jahr später, im September 1945, kommt Hans-Gert Pöttering in der Nähe von Osnabrück zur Welt. Dieses Ereignis bestimmt noch heute sein Denken. “Diese Erfahrung, den Vater in einem Krieg verloren zu haben, ihn nicht kennen zu lernen, war psychologisch die Motivation dafür, dass bei mir der Gedanke entstanden ist, wir müssen uns für Frieden und für die Einigung Europas einsetzen.”

    Dieses Streben erfasste Pöttering schon als junger Mann, als er in die Junge Union und die CDU eintrat, und hat ihn auch heute, im Alter von 77 Jahren, nicht verlassen. Unser Interview wird schnell zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für die Europäische Union und die Werte, für die sie steht.

    Ein Leben für die Europäische Union

    Denn die EU ist es, die seinen Lebens- und Berufsweg stark beeinflusst und geprägt hat. So war Pöttering von 2007 bis 2009 der zwölfte Präsident des Europäischen Parlaments und hat in dieser Funktion auch das Entstehen des Hauses der Europäischen Geschichte in Brüssel initiiert. “Das war das Schwierigste, was ich in meinem politischen Leben gemacht habe”, sagt er heute rückblickend. Noch heute ist er Vorsitzender des Kuratoriums des Hauses der europäischen Geschichte.

    Von 2010 bis 2017 war er Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, wo er bis heute ehrenamtlich als Europa-Beauftragter tätig ist. Außerdem ist er Mitbegründer des Europäischen Karlspreises für die Jugend, Lehrbeauftragter an der Universität Osnabrück mit einer Lehrveranstaltung zur europäischen Einigung und Mitglied im Direktorium des Karlspreises Aachen.

    Die Information, dass der Dalai Lama ihn zu seinem Geburtstag eingeladen hat, und dass er dieser Einladung nachkommen wird, erwähnt er nebenbei.

    Vertrauen in die nächste Generation

    Einige politische Entwicklungen in den EU-Mitgliedsstaaten machen Pöttering Sorgen. Aber er weiß auch: In der Geschichte der Europäischen Union hat es immer wieder Rückschläge und Niederlagen gegeben. So zum Beispiel das Scheitern des EU-Verfassungsvertrages im Jahr 2005. “Die größte Enttäuschung meines politischen Lebens war der Brexit“, sagt Pöttering. “Ich sage das, damit wir bei den Herausforderungen, die wir gegenwärtig haben, auch mit populistischen Entwicklungen in einigen Ländern der Europäischen Union, nicht den Mut verlieren, sondern dass wir gegenhalten müssen, dass wir unsere Werte verteidigen müssen, die Würde des Menschen, die Freiheit, das Recht, den Frieden.”

    Seine politische Erfahrung lehrt Pöttering, dass sich diese Werte durchsetzen werden, solange es Menschen gibt, die daran glauben. Dies sieht er besonders in den jungen Generationen. So erzählt er von Schülerinnen und Schülern in seiner Heimatregion, die gegen den Krieg Russlands demonstrierten und sich mit den Menschen in der Ukraine solidarisierten. Bei der Aktion war er eingeladen, um zu sprechen. “Ich habe in meinem Redebeitrag auch die jungen Menschen ermutigt, sich zu engagieren, in Parteien, die die Einigung Europas auf ihre Fahnen geschrieben haben“, erklärt Pöttering.

    In seiner Freizeit macht Pöttering gern Sport: Er schwimmt gern, fährt Ski und Fahrrad. Mit Schülerinnen und Schülern teilt Pöttering oft auch eine Geschichte des persönlichen Scheiterns – nämlich, dass er die siebte Klasse wiederholen musste, wegen einer Fünf in Deutsch, wegen zu schlechter Rechtschreibung. Damit will er sie motivieren, dass Scheitern auch zum Leben dazugehört. Wenn einmal etwas schiefgeht, einfach aufstehen, Staub abklopfen und weitermachen. Das gilt auch für die EU. Sarah Tekath

    Europe.Table Redaktion

    EUROPE.TABLE REDAKTION

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