der Korruptionsskandal trifft das Europaparlament massiv, findet Linken-Chef Martin Schirdewan. Im Interview mit Markus Grabitz spricht er über konkrete Forderungen für Abgeordnete, die Sozialpolitik der Kommission und Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Die Europäische Union fördert den Aufbau von sogenannten Common European Data Spaces. Dazu gehört auch ein neues Projekt, für das sich Konsortien bewerben können. Mehr über den Manufacturing Data Space weiß Corinna Visser.
Die Europäische Union hat ein Problem: Es gibt immer mehr gefährliche Abfälle. Das geht aus einem Papier des Europäischen Rechnungshofes hervor. Daten, wie in der EU damit konkret umgegangen wird, fehlen. Die gesetzlichen Forderungen umzusetzen, ist außerdem mit großen Hürden verbunden, schreibt Charlotte Wirth.
Wenn Ihnen der Europe.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail zugeleitet wurde: Hier können Sie das Briefing kostenlos testen.
Herr Schirdewan, im Korruptionsskandal taucht die Linke bislang nicht auf. Haben Sie intern abgefragt, ob Fraktionsmitglieder mit den betroffenen NGOs Kontakt hatten?
Die Fraktion der Linken hat bisher keine Berührungspunkte mit dem Skandal. Vor allem die sozialdemokratische Fraktion ist gravierend betroffen, der Skandal trifft aber auch das Europaparlament als Ganzes massiv. Seitdem der Skandal Anfang Dezember öffentlich wurde, haben unsere Forderungen nach konsequenter Umsetzung der Transparenzregeln, Whistleblower-Schutz und der Einsetzung eines unabhängigen Ethikgremiums noch größere Bedeutung.
Welche Konsequenzen sollte der Fall im EP haben?
Die existierenden Regeln im Europaparlament sind gut und in vielen Punkten weitgehender als in anderen Parlamenten. Sie müssen aber auch umgesetzt werden. Die Parlamentspräsidentin hat einen Katalog von weiteren Maßnahmen vorgelegt. Viele Punkte davon begrüßen wir. Sie müssen jetzt implementiert werden. Wir haben unseren Forderungskatalog noch einmal geschärft.
Wurde Einfluss auf die Gesetzgebung genommen?
Die Fraktion hat analysiert, wo es womöglich Auffälligkeiten im Gesetzgebungsprozess gegeben hat. Etwa an den Schnittstellen, wo Beschuldigte involviert waren. Meine Kollegin Manon Aubry hat intensiv an der Katar-Resolution gearbeitet und wurde massiv von katarischer Seite lobbyiert. Auch bei mir hatte sich der katarische Botschafter zweimal gemeldet und um ein Gespräch gebeten. Dem Wunsch bin ich nicht nachgekommen.
Welche konkreten Forderungen haben Sie?
Der legislative Fußabdruck muss besser werden. Jede und jeder Abgeordnete und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen Treffen mit Lobbyisten, egal ob von Unternehmen, Drittstaaten oder NGOs, konsequent vermerken. Der legislative Fußabdruck der Abgeordneten muss nachvollziehbar sein. Wenn Abgeordnete ihre Position auf einmal massiv verändern, wie wir es etwa in dem Skandal gesehen haben, riecht das nach Korruption.
Was ist noch geboten?
Darüber hinaus brauchen wir ein unabhängiges Ethikgremium, das auf die Umsetzung der Regeln achtet. Wer gegen die Regeln verstößt, muss sanktioniert werden. Die Rolle der inoffiziellen Freundschaftsgruppen im Parlament muss geklärt werden. Ich bin ihnen gegenüber sehr skeptisch, weil sie eben auch in dem Skandal Einfallstor für die Geheimdienste waren.
Themenwechsel: Sie haben im März mit Ihrer Kollegin Özlem Demirel gegen die Resolution im Europaparlament gestimmt, die den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine verurteilt und die Aufnahme der Ukraine in die EU fordert. Würden Sie das heute noch einmal machen?
In dieser Resolution habe ich allen Passagen zugestimmt, die den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine betreffen. Ich halte den Krieg für katastrophal und verbrecherisch, unter dem vor allem die Zivilbevölkerung in der Ukraine leidet. Das habe ich immer auch so gesagt.
Aber?
Die Resolution enthält auch andere Elemente wie die Lieferung von Angriffswaffen und verschärften Wirtschaftssanktionen. Ich bin nicht einverstanden mit der Resolution, wenn es um die Ansätze geht, um diesen verabscheuungswürdigen Krieg zu überwinden. Europäische Politik ist einseitig auf die militärische Lösung ausgerichtet. Das halte ich für falsch. Man sollte alle diplomatischen Möglichkeiten nutzen. Es ist fatal, dass seitens der EU nicht versucht wird, Moskau zu Gesprächen und Friedensverhandlungen zu bewegen, um diesen elenden Krieg schnell zu beenden. Insofern würde ich bei meiner Festlegung aus dem März bleiben.
Die Linke wird nicht zu den proeuropäischen Kräften im Europaparlament gezählt. In welchen Politikfeldern unterstützt Ihre Fraktion den Kurs der Kommission?
Kategorien wie proeuropäisch oder europakritisch sollte man nicht an der Politik der Kommission festmachen. Wir sind eine proeuropäische Fraktion, wenn es um die Bekämpfung des Klimawandels, die Schaffung von Frieden oder die Bekämpfung von Armut geht. Wenn es darum geht, die Ausbeutung von Plattform-Arbeitern zu beenden und einen europäischen Mindestlohn durchzusetzen, werden wir uns schnell einig. Die Kommission doktert aber in der Sozialpolitik nur an den Symptomen für das Auseinanderklaffen der Gesellschaften herum. Sie legt einen zu starken Fokus auf den Binnenmarkt und betreibt zu wenig Sozialpolitik.
Was bemängeln Sie konkret?
Die Schuldenbremse ist ein Fehler, das Strommarktdesign ebenso. Die Menschen leiden unter den hohen Energiepreisen. Und die Kommissionspräsidentin scheut sich, den Energiemarkt so zu reformieren, dass es genug Energie zu vertretbaren Preisen für alle Europäerinnen und Europäer jenseits der Marktturbulenzen gibt. Der Markt wird aber weder Gesundheit, Energie noch Lebensmittel oder das Wohnungsproblem in den Städten regeln können.
Was schlagen Sie vor?
Es ist ein grundlegender Systemfehler, dass diese Bereiche der Daseinsvorsorge dem Markt auch durch die EU-Politik überantwortet wurden. Dieser Fehler muss korrigiert werden, die genannten Bereiche müssen dem Markt entzogen werden.
Putins Krieg, Inflation und hohe Energiekosten sind eine hohe Belastung für sozial Schwächere. Warum gelingt es der Linken in Deutschland nicht, davon politisch zu profitieren?
Die Linke hat überhaupt erst einmal mit ihrer Kampagne “Heißer Herbst” dazu beigetragen, dass die Bundesregierung reagiert hat: Ich nenne nur die Deckel für Strom- und Gaspreise, die Rücknahme der unsozialen Gasumlage. Wir haben die Koalition angetrieben und somit dafür gesorgt, dass Rentnerinnen und Rentner und kleine Gewerbetreibende in diesem Winter hoffentlich nicht im Dunkeln und Kalten sitzen. Die neue Parteiführung arbeitet daran, die in der Vergangenheit selbstverursachten Fehler zu überwinden. Wir arbeiten auch an einer programmatischen Teilerneuerung und einer klareren Kommunikation nach außen.
Erlaubt Ihnen die Doppelrolle als Parteichef in Deutschland und Fraktionschef in Europa, der Partei die nötige Führung zu geben?
Ja, klar. Zusammen mit Janine Wissler habe ich vom Parteitag ein starkes Votum bekommen. Ich sehe meine Doppelrolle auch als einen Vorteil: Sie bereichert die Politik der Linken um die europäische Perspektive. So bereiten wir zusammen die Europawahl 2024 vor. Wir bekommen auch breite Unterstützung aus der Partei. Nehmen Sie die Leipziger Erklärung und unser Treffen kurz vor Weihnachten, wo sich die Spitzen aus Partei und Fraktion im Bund und in den Ländern hinter unsere Politik gestellt haben.
Sahra Wagenknecht könnte eine Abspaltung betreiben. Rechnen Sie damit zur Europawahl?
Nein, ich rechne nicht damit. Allenfalls könnten Einzelne die Partei verlassen. Jegliche Neugründung hätte außerdem keine Aussicht auf Erfolg.
Mit der Europäischen Datenstrategie hat sich die Kommission im Jahr 2020 vorgenommen, einen Binnenmarkt für Daten in der Union zu etablieren. Initiativen wie der Data Governance und der Data Act schaffen die gesetzlichen Grundlagen. Parallel fördert die EU aber auch den Aufbau von Common European Data Spaces, um den Datenaustausch tatsächlich in Gang zu bringen. Einer dieser Datenräume ist der Manufacturing Data Space. Konsortien können sich noch bis zum 24. Januar für die Förderung zweier konkreter Projekte bewerben.
Für Data Spaces gibt es keine allgemeingültige Definition. Sie können sehr unterschiedlich ausgestaltet sein – je nachdem, wie groß die Zahl der Teilnehmer ist, welche Daten getauscht werden und wie. Eine mögliche Erklärung liefert die International Data Spaces Association (finanziert aus dem Horizon 2020 Projekt OPEN DEI): “Ein Datenraum ist definiert als eine dezentrale Infrastruktur für die vertrauenswürdige gemeinsame Nutzung und den Austausch von Daten in Datenökosystemen, die auf gemeinsam vereinbarten Grundsätzen beruhen.”
Das Wort Datenraum ist dabei etwas irreführend, denn es geht eher darum, Begrenzungen aufzubrechen, Datensilos zu überwinden und Daten möglichst vielen Nutzern zur Verfügung zu stellen. Insgesamt hat die Kommission Datenräume in zwölf strategischen Bereichen angekündigt, darunter Gesundheit, Energie, Mobilität und eben in der Produktion.
Dass Unternehmen Daten bilateral mit Geschäftspartnern austauschen, etwa zwischen Herstellern und Lieferanten, ist selbstverständlich. Branchenweite Data Spaces hingegen sind neu. “Der besondere Mehrwert von Datenräumen für die produzierende Industrie liegt darin, dass sie den Datenaustausch über Unternehmensgrenzen hinweg deutlich erleichtern. Damit schaffen sie die Voraussetzungen für neue Geschäftsmodelle und eine resilientere und nachhaltigere Produktion“, erläutert Oliver Klein, Referent Digitalisierung und Innovation beim BDI.
Der Bitkom erwartet, dass die Manufacturing Data Spaces langfristigere Wettbewerbsfähigkeit, Effizienz- und Nachhaltigkeitsgewinne sowie Innovationen in Europa bringen werden. “Wertschöpfungsketten sind heute digital und international. Da ist es nicht genug, wenn die Datenverfügbarkeit kaum bis zur Unternehmenspforte reicht”, sagt David Schönwerth, Referent Data Economy beim Bitkom.
Die Politik sieht Klein dabei weniger in einer gestaltenden als in einer unterstützenden Rolle. Die technische Implementierung dagegen sei Kernkompetenz der Industrie. So sieht das auch die Kommission. In den jetzt ausgeschriebenen Projekten geht es daher um eine Anschubfinanzierung für Projekte aus der Industrie. Gesucht werden Konsortien für zwei Anwendungsfälle:
“Die Projekte finanzieren wir aus DG Connect über das Förderprogramm Digital Europe – und nicht aus dem Forschungsbudget”, erläutert Fachreferent Matthias Kuom, Seconded National Expert bei DG Connect (CNECT.A.4). “Denn es geht hier nicht um Forschung, sondern um Implementierung. Die Data Spaces werden aufgesetzt, um zu bleiben.” Dabei handelt es sich um eine Co-Finanzierung. Pro Projekt gibt die EU acht Millionen Euro für zwei Jahre. Die Konsortien müssen jeweils noch einmal die gleiche Summe investieren.
Drei Voraussetzungen müssen interessierte Konsortien erfüllen:
Es geht also nicht darum, etwas völlig Neues aufzubauen. “Wir wollen bestehende Ideen wachsen lassen“, erklärt Kuom. “Und dabei auch dafür sorgen, dass nationale Projekte europäisch werden.” Ziel sei die Interoperabilität mit anderen europäischen Data Spaces. “So schaffen wir einen Binnenmarkt für Daten.” Klein vom BDI ist überzeugt: “Die Data Spaces müssen mittel- und langfristig europäisch sowie international gedacht werden. Je stärker die Projekte skalieren, desto größer ist der potenzielle Mehrwert.”
Als Nukleus kämen für die Förderung demnach auch deutsche Projekte infrage – wie die branchenübergreifende Initiative Manufacturing-X (Datenraum Industrie 4.0) oder Catena-X (Datenökosystem für die Autoindustrie). Oder auch das niederländische Projekt Smart Connected Supplier Network SCSN (hervorgegangen aus dem Innovationsprogramm Factory of the Future).
Aktuell sei es noch zu früh abzuschätzen, wie viele und welche Konsortien sich um die Fördergelder bewerben, sagt Kuom. Er rechnet damit, dass die meisten Anträge erst kurz vor Schluss am 24. Januar eingehen. Die Auswahl trifft DG Connect dann bis Ende März, Anfang April. Geplant sei, dass die Projekte Ende 2023, neun Monate nach Ende der Einreichung, mit der Umsetzung beginnen. Unterstützung bietet die EU dabei auch über das Data Space Support Center.
Sowohl BDI als auch Bitkom wünschen sich, dass die Breitenwirkung von Datenräumen insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen gestärkt wird, sodass die Potenziale voll ausgeschöpft würden. “Wir brauchen offen entwickelte KMU-reife Ansätze, die den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen europäischen Unternehmen abbilden”, sagt Schönwerth vom Bitkom und fordert: “Wir dürfen uns bei Datenmodellen, Protokollen und sonstiger Technologie nicht in Over-Engineering oder Regelungswut verlieren – gut ist, was sich in der Anwendung beweist.”
Klein vom BDI betont, dass keine Parallelprozesse entstehen dürften. “Unternehmen haben begrenzte Ressourcen”, erläutert er. “Der Vermeidung von Überschneidungen zwischen Projekten auf nationaler und auf EU-Ebene kommt daher eine zentrale Bedeutung zu.” Kompatibel und komplementär sollten Sie sein, fordert der Verband Bitkom.
Leider sei es jedoch absehbar, dass Data Governance Act und Data Act mancher Datenrauminitiativen die Arbeit erschweren werde, sagt Schönwerth. Um dies noch verhindern zu können, “braucht es beim Data Act mehr Aufmerksamkeit – auch in Berlin”.
In der Ausschreibung jedenfalls setzt die Kommission “auf Nutzen-getriebene vertragliche Vereinbarungen zwischen den Partnern”, wie Kuom betont. In den Verhandlungen zum Data Act sind hingegen statt Vertragsfreiheit immer mehr Verpflichtungen im Gespräch. “Die Beteiligten sollten genau hinsehen, wie die Industrie offene und erfolgreiche Datenräume organisiert – und daraus ihre Schlüsse ziehen.”
In der EU entsteht immer mehr Giftmüll. Das geht aus einem Bericht hervor, den der Europäische Rechnungshof vorgelegt hat. Demzufolge geht es um einen Anstieg von 23 Prozent, insgesamt von rund 81 Millionen Tonnen 2004 auf 102 Millionen Tonnen 2018. Deutschland liegt dabei mit einem Anstieg von 21 Prozent knapp hinter dem EU-Durchschnitt. In der Bundesrepublik entstehen jährlich 292 Kilo pro Kopf an Giftmüll. Zum Vergleich: In Dänemark waren es 361 Kilo pro Kopf (plus 512 Prozent).
Mit einer Überprüfung der europäischen Gesetzgebung zu gefährlichen Abfällen in der EU wolle der Rechnungshof seinen Beitrag zu den aktuellen Debatten um das Thema leisten, sagte ein Sprecher. Dieses Jahr stehen auf EU-Ebene die Trilog-Verhandlungen zur Müllverschiffung und Ökodesignverordnung sowie eine Überarbeitung der Abfallrahmenrichtlinie an.
Doch die Datenlage dazu, wie die EU mit toxischen Abfällen umgeht, ist mager. Zwischen der Menge an gefährlichen Abfällen, die in der Europäischen Union entstehen und jenen, die in der EU behandelt oder entsorgt werden, liegt eine Kluft von 21 Prozent.
Es gibt keine Kenntnisse darüber, was 2018 mit diesen rund 20 Millionen Tonnen an gefährlichen Abfällen passiert ist. Gründe für diese Datenlücke nennt der Rechnungshof mehrere:
Obwohl die EU-Gesetzgebung vorsieht, dass der Giftabfall vorzugsweise weiterverarbeitet oder recycelt werden soll, ist dies in der Praxis kaum der Fall. Über die Hälfte der gefährlichen Abfälle landen auf Müllhalden oder werden (teilweise ohne Energiegewinnung) verbrannt.
Derweil ist es technisch ohnehin kaum möglich, den Giftmüll zu verwerten, warnt der Rechnungshof. Entweder fehle die nötige Technologie, es gebe keinen Absatzmarkt für die recycelten Materialien oder den Abfallunternehmen fehlen wichtige Informationen zur Zusammensetzung der zu recycelnden Produkte.
Derweil stimmt das Europäische Parlament heute über sein Mandat zur Abfallverbringungsverordnung ab, bei der es auch um die Verschiffung gefährlicher Abfälle geht. Bereits im November 2021 hatte die EU-Kommission ihren Gesetzesvorschlag vorgestellt. Sie will die Verschiffung von Abfällen innerhalb der EU sowie in Drittländer begrenzen und ihre umweltkonforme Verarbeitung garantieren.
2020 hat die EU über 37 Tonnen Abfall in Nicht-EU Länder verschifft. Unter den beliebtesten Abnehmern sind die Türkei und Indien. Um diesen Anstieg stoppen schlägt die Kommission Folgendes vor:
Das Parlament will diese Auflagen noch verstärken. “Unser Abfall liegt überall. Auf den Stränden und Müllkippen in der ganzen Welt. Es gibt keine Entschuldigung dafür und wir dürfen unser Problem nicht einfach auf andere schieben”, betonte Berichterstatterin Pernille Weiss (EPP) bei der gestrigen Debatte im EU-Parlament.
Ihr Bericht sieht ein Pauschalverbot für den Export von Plastikabfällen in Nicht-OECD Länder vor. Grünen-Schattenberichterstatterin Sara Matthieu begrüßte diesen Vorstoß: “Wir werden endlich unserer Verantwortung gerecht und verklappen nicht einfach unseren Müll in Länder, die damit nicht umgehen können”, sagte sie gestern. Das Verbot sei ein Stimulus, um weniger Plastik zu verwenden und mehr zu recyceln.
Es gelte fortan, Abfall als Ressource ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft wertschätzen, so auch Cyrus Engerer (S&D). Der Bericht schaffe innovative Geschäftsmöglichkeiten für die Abfallverwertung.
Der Rat hat noch kein Verhandlungsmandat zur Abfallverbringung. Die schwedische Ratspräsidentschaft plant für Ende Juni mit einer allgemeinen Ausrichtung.
18.01.-21.01.2023, Chamonix (Frankreich)
CECE, Conference Embracing a changing society: Diversity in construction
CECE zooms in on the topics of diversity in construction, attractivity of the sector to new generations and general perception of the industry. INFOS & REGISTRATION
18.01.-20.01.2023, Salzburg (Österreich)
ICM, Conference International Electronics Recycling Congress (IERC) 2023
ICM brings together international professionals from the Circular Economy Electronics world. INFOS & REGISTRATION
18.01.2023 – 10:00-11:00 Uhr, online
TÜV Rheinland, Seminar German Act and EU Directive on Corporate Due Diligence in Supply Chains
TÜV Rheinland addresses the practical implementation and interpretation of the legal specifications regarding the forthcoming SCDD Directive. INFOS & REGISTRATION
18.01.2023 – 14:00-15:00 Uhr, online
FSR, Panel Discussion Meeting Africa`s Energy and Climate Goals
The Florence School of Regulation (FSR) discusses what the priority areas for Africa are in preparation to meet the climate and development goals. INFOS & REGISTRATION
18.01.2023 – 18:00-19:00 Uhr, online
FNF, Diskussion Bomben, Winter, Flucht: Was bleibt von der ukrainischen Wirtschaft?
Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) beschäftigt sich mit der Frage, wie die Wirtschaft eines Landes funktionieren kann, das sich seit bald einem Jahr im Krieg befindet. INFOS & ANMELDUNG
18.01.2023 – 19:00-20:30 Uhr, online
KAS, Vortrag Cybercrime – wachsende Gefahren im Netz?
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) thematisiert die Entstehung immer neuer Einfallstore für Kriminalität im Cyberraum angesichts der weiter zunehmenden Vernetzung. INFOS & ANMELDUNG
19.01.2023 – 07:30-08:45 Uhr, Berlin
WWF, Diskussion Kreislaufwirtschaft im Gebäudesektor – wie kann das gelingen?
Der World Wide Fund For Nature (WWF) präsentiert zentrale Handlungsfelder der Circular Economy im Gebäudesektor. INFOS & ANMELDUNG
19.01.2023 – 08:30 Uhr, online
EU Commission, Seminar Horizon Europe info day
The EU Commission aims to inform (potential) applicants about topics included in the Cluster 1 ‘Health’ of the Horizon Europe work programme of 2023. INFOS & REGISTRATION
19.01.2023 – 15:00-16:30 Uhr, Brüssel (Belgien)/online
ERCST, Discussion EU CBAM after Trilogues: Discussion with Gerassimos Thomas and roundtable
The European Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) offers an opportunity to discuss the provisional agreement reached in the CBAM trilogues in December as well as what is next with Gerassimos Thomas, Director General at DG TAXUD. INFOS & REGISTRATION
19.01.2023 – 18:00-20:00 Uhr, Cottbus
RLS, Vortrag Freihandelsabkommen: Wie weiter mit CETA & TTIP und Co.?
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Freihandelsabkommen auf deutsche Regionen. INFOS
19.01.2023 – 18:00-19:30 Uhr, Dresden
FES, Diskussion Neue Bündnisse, alte Probleme?! Wie die Zeitenwende zu mehr außenpolitischer Glaubwürdigkeit und weniger Abhängigkeit führen könnte
Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) geht der Frage nach, ob die von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufene Zeitenwende wirklich eine neue Ära in der Außen- und Sicherheitspolitik begründet. INFOS & ANMELDUNG
19.01.2023 – 18:00-19:30 Uhr, Berlin
RLS, Podiumsdiskussion Maldekstra-Salon: Wer macht die Regeln? Die Macht von (Digital-)Unternehmen in Afrika und notwendige Antworten
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) adressiert die Aktivitäten klassischer und digitaler Konzerne in afrikanischen Ländern sowie die daraus erwachsenden Folgen für die afrikanische Wirtschaft, Politiken und Arbeitsbedingungen. INFOS & ANMELDUNG
19.01.2023 – 19:30 Uhr, Saarbrücken
EAO, Podiumsdiskussion Zwischen Europäisierung und Renationalisierung: Wie viel politisches Vertrauen genießt die EU?
Die Europäische Akademie Otzenhausen (EAO) greift das Spannungsfeld aus europäische Zusammenarbeit und nationaler Souveränität auf. INFO & ANMELDUNG
In der Diskussion um die Reform des europäischen Strommarktes hat das Bundeswirtschaftsministerium ein Non-Paper der spanischen Regierung begrüßt. “Spanien hat einen sehr interessanten Vorschlag gemacht“, sagte Minister Robert Habeck (Grüne) am Montag bei einer Konferenz in Berlin. Über die Vergütung erneuerbarer Energien durch Differenzverträge innerhalb eines Korridors mit oberer und unterer Erlösgrenze könne man diskutieren, sagte der Bundeswirtschaftsminister.
Für fossile Kraftwerke sehe der spanische Vorschlag einen Kapazitätsmarkt vor, führte Habeck weiter aus und forderte einen schnellen Abschluss der europäischen Reform. Das Ausschreibungsdesign für neue Gaskraftwerke müsse noch in diesem Jahr geklärt werden. Bis 2030 wollen die Grünen den Kohleausstieg in Deutschland vollenden, der sich auch aus dem verschärften Emissionshandel ergibt. Habeck sprach sich außerdem dafür aus, den Industriestrompreis europäisch zu regeln. Eine nationale Regelung müsse dagegen von der Kommission beihilferechtlich genehmigt werden.
Um die Gaskraftwerke mittelfristig mit Wasserstoff versorgen zu können, müssten außerdem noch in diesem Jahr die nötigen Leitungen definiert werden, forderte Habeck. Zu klären sei insbesondere die Regulierung. Dies lässt sich als Appell an Parlament und Rat verstehen, in diesem Jahr auch noch die Novelle des Gasbinnenmarkt-Paketes abzuschließen.
Die Positionen der Mitgliedstaaten zur Reform des Strommarktes konsultiert die schwedische Ratspräsidentschaft derzeit mit einem eigenen Fragebogen, den Contexte veröffentlicht hat. Ein Punkt darin ist, ob Teile der Notfallverordnung 2022/1854 dauerhaft im Energierecht verankert werden sollten: “Wenn ja, sollten diese Elemente nur in Krisensituationen aktiviert werden oder ein ständiges Merkmal der Marktstruktur werden?” Teil der Verordnung sind Stromsparziele, die Abschöpfung von Übererlösen und Möglichkeiten zur direkten Regulierung der Endkundenpreise. ber
Die schwedische Ratspräsidentschaft fragt die Mitgliedstaaten, ob Teile der EU-Notfallverordnungen zur Gasversorgung in die laufende Novelle der Gasbinnenmarkt-Verordnung integriert werden sollen. Dabei geht es unter anderem um das freiwillige Gassparziel aus der Notverordnung (2022/1369), das bei einem unionsweiten Notfall auch verbindlich werden kann. Alternativ könne die Gassparverordnung verlängert werden, heißt es in dem von Contexte veröffentlichten Dokument der Ratspräsidentschaft.
Die Mitgliedstaaten hatten im vergangenen Jahr mehrere Notverordnungen beschlossen, um die Gasversorgung zu sichern. Sie sind allerdings bis zu folgenden Daten befristet und können nach einem Review durch die Kommission verlängert werden:
Angesichts des milden Winters, neuer LNG-Terminals und gesunkener Gaspreise ist zweifelhaft, ob die Vorschriften noch einmal auf Grundlage des Notfallartikels 122 verlängert werden können. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte gestern in Berlin, er rechne damit, dass die Gaskrise 2024 für beendet erklärt werden könne. Habeck warb dafür, das Gasbinnenmarkt-Paket noch in diesem Jahr abzuschließen, um einen schnellen Wasserstoff-Hochlauf zu ermöglichen.
Um den gemeinsamen Gaseinkauf vorzubereiten, traf sich gestern erstmals der Lenkungsausschuss der gemeinsamen Energieplattform. Kommissionsvize Maroš Šefčovič rief die Regierungen dazu auf, zusammen mit Gasimporteuren zu klären, wie viel Gas sie gemeinsam beschaffen können. Für den 25. Januar kündigte er außerdem eine Diskussion mit Vertretern energieintensiver Industrien an, um über eine mögliche Beteiligung an der Energieplattform zu sprechen. ber
Der Widerstand gegen die milliardenschwere Übernahme von Activision Blizzard durch Microsoft wächst. Die EU-Kommission werde dem US-Softwarekonzern demnächst eine Liste mit ihren Bedenken schicken, sagte ein Insider am Montag. Die Wettbewerbshüter wollen bis zum 11. April entscheiden, ob sie den 69 Milliarden Dollar schweren Deal genehmigen. Die Kommission wollte sich zu dem Thema nicht äußern. Microsoft betonte, mit den Behörden mögliche Sorgen diskutieren und an der Übernahme festhalten zu wollen. Früheren Aussagen von Insidern zufolge ist das Unternehmen zu Zugeständnissen bereit.
Microsoft hatte vor etwa einem Jahr den Kauf von Activision Blizzard, den Machern von Videospielen wie “Call of Duty” und “Candy Crush”, angekündigt, um gegen Konkurrenten wie Sony zu bestehen. Der Konzern würde zum drittgrößten Anbieter in diesem Bereich aufsteigen. Neben der EU befürchten aber auch die US-Kartellbehörden eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs. Die amerikanische Kartellbehörde hatte Anfang Dezember angekündigt, die Übernahme stoppen zu wollen. Auch Gamer gehen auf die Barrikaden und reichten in den USA Klage ein. rtr
Der irische Diplomat David O’Sullivan soll künftig die Durchsetzung der EU-Sanktionen gegen Russland koordinieren und vor allem dafür sorgen, dass Drittstaaten Moskau nicht dabei helfen, die Sanktionen zu umgehen. Nach der Ernennung zum Sondergesandten der EU für die Umsetzung der Sanktionen Mitte Dezember nimmt O’Sullivan die Arbeit in seinem neuen Amt in diesen Tagen auf.
Neun Sanktionspakete hat die EU bereits gegen Russland wegen seines Angriffskrieges gegen die Ukraine verhängt, die jüngsten Strafen wurden Mitte Dezember beschlossen. Die bisherigen Schritte setzen der russischen Wirtschaft stark zu, erhöhen die Abhängigkeit des Staatsbudgets von Öl-Exporten und schwächen das Militär. Doch Russland gelingt es auch, die Sanktionen zu umgehen und etwa Drohnen aus dem Iran einzukaufen.
O’Sullivans Aufgabe wird es sein, Schlupflöcher zu schließen und beispielsweise sogenannte Parallelimporte zu unterbinden. Russland hat nach Kriegsbeginn extra die Gesetzeslage für russische Unternehmen geändert, um den grauen Importmarkt zu legalisieren.
Dabei nutzen sanktionierte Staaten Firmen oder befreundete Staaten für Importe von Waren ohne Zustimmung westlicher Hersteller. Auf solchen Kanälen beschaffen sich Iran und Russland Elektronikteile oder andere Spezialtechnik vor allem für den Rüstungssektor.
O’Sullivan hat eine lange EU-Karriere, er baute unter anderem zwischen 2010 und 2015 den Auswärtigen Dienst der EU auf. Seine neue Aufgabe wird der 69-Jährige in enger Abstimmung mit dem US-Kollegen Jim O’Brien ausführen. Dieser ist bereits seit April 2022 in ähnlicher Funktion eingesetzt. Viktor Funk
Die Gespräche zwischen Großbritannien und der Europäischen Union zur Beilegung des Streits über den Handel mit Nordirland nach dem Brexit sind noch nicht abgeschlossen. Beide wollen Sondierungsgespräche fortsetzen, teilte ein Sprecher des Premierministers Rishi Sunak mit.
Der britische Außenminister James Cleverly und der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Maros Sefcovic, vereinbarten am Montag in einem Videogespräch, dass die Arbeit “in einem konstruktiven Geist” fortgesetzt werden solle. Beide Seiten würden nun die Bandbreite der Herausforderungen der vergangenen zwei Jahre und die Notwendigkeit, gemeinsam Lösungen zu finden, diskutierten, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. “Sie kamen überein, dass die Suche nach möglichen Lösungen in einem konstruktiven und kooperativen Geist fortgesetzt werden sollte, wobei die legitimen Interessen der jeweils anderen Seite sorgfältig zu berücksichtigen sind.”
Nach Monaten des Stillstands und der Feindseligkeit wächst in Großbritannien und Teilen der EU der Optimismus, dass eine Lösung des Streits über das Nordirland-Protokoll in greifbare Nähe rückt. Dabei geht es um den Teil des Brexit-Abkommens, der Kontrollen für einige Waren vorschreibt, die aus dem Rest des Vereinigten Königreichs in die Provinz gelangen.
Die Gespräche haben in der vergangenen Woche an Dynamik gewonnen, als die EU zustimmte, eine britische Echtzeit-Datenbank zur Verfolgung von Waren, die über die irische See transportiert werden, zu nutzen.
Dennoch wollte der Sprecher des Premierministers keine konkreten Angaben zu einem Ende der Gespräche machen. “Ich würde mich im Moment von solchen Spekulationen fernhalten. Ich möchte noch einmal betonen, dass es noch Lücken in unserer Position gibt, die gelöst werden müssen”, sagte er. rtr
Anna Cavazzini klettert leidenschaftlich gern. Seit sie 2019 ins Europäische Parlament gewählt wurde, sagt sie, habe sich ihr Niveau verschlechtert. Nur noch zwei- oder dreimal im Monat schafft sie es in die Kletterhalle. Im Parlament ist die 40-Jährige dafür weit nach oben geklettert: 2020 übernahm sie den Vorsitz im Binnenmarktausschuss (IMCO), der für harmonisierte Produktstandards, das Zollwesen und Verbraucherschutz zuständig ist.
Cavazzini wurde 1982 in Hessen geboren, studierte European Studies in Chemnitz und Internationale Beziehungen in Berlin. Von 2009 bis 2014 arbeitete sie bereits im EU-Parlament, damals als wissenschaftliche Mitarbeiterin von Ska Keller. Anschließend war sie im Auswärtigen Amt, für die UNO-Generalversammlung, für die Kampagnen-Plattform Campact und für Brot für die Welt tätig, stets mit Fokus auf gerechten Handel, Menschenrechte und Nachhaltigkeit.
Zum 30-jährigen Bestehen des EU-Binnenmarktes zieht Cavazzini jetzt Bilanz: “Grundsätzlich ist der Binnenmarkt ein riesiger Erfolg und ein Motor der Integration”, sagt sie. Er habe dazu geführt, dass viele Hürden abgebaut und immer mehr einheitliche Produktstandards geschaffen wurden. Der starke Fokus auf den Abbau dieser Hürden habe den Diskurs über den Binnenmarkt allerdings sehr einseitig gemacht. “Wir müssen da noch einen Schritt weiter gehen”, sagt Cavazzini. Die Harmonisierung dürfe nicht auf Kosten lokaler Gemeinschaften geschehen, sondern müsse Menschenrechts- und Umweltstandards gewährleisten.
Außerdem müssten die verfügbaren Tools des Binnenmarkts gerade in einer Zeit der Krisen noch effektiver eingesetzt werden. Zwei Beispiele: Zum einen soll der Green Deal mitsamt seiner Produktstandards helfen, die Klimaziele zu erreichen. Zum anderen sollen große Online-Konzerne durch die großen Digitalvorhaben DSA und DMA reguliert werden. “Auch die Binnenmarktpolitik muss noch stärker das Ziel haben, diesen Krisen zu begegnen“, so Cavazzini.
Die Abgeordnete beschäftigt auch das Wirken des Binnenmarkts über die EU hinaus. Denn erstens müssen auch importierte Produkte die europäischen Standards einhalten. Und zweitens sollen nun auch Produktionsstandards über die Lieferketten stärker reguliert werden. Gemeinsam mit ihrer Fraktion hat Cavazzini dieses Thema in den vergangenen Jahren stark vorangetrieben. Als Schattenberichterstatterin verhandelt sie im Handelsausschuss zurzeit das EU-Lieferkettengesetz, über das Ende Januar abgestimmt werden soll.
Darüber hinaus arbeitet das Parlament an Gesetzen für entwaldungsfreie Lieferketten und für ein Verkaufsverbot für Produkte aus Zwangsarbeit. Diese Vorhaben seien nicht nur moralisch richtig. “All das sind sehr wichtige Gesetze, die sicherstellen sollen, dass wir faire Wettbewerbsbedingungen haben“, sagt Cavazzini. “Viele der Unternehmen wirtschaften korrekt – und dann stehen sie im Wettbewerb mit Produkten aus Sklavenarbeit. Am Ende hilft es auch europäischen Unternehmen, wenn wir Lieferketten stärker regulieren.”
Als Vizepräsidentin der Brasilien-Delegation des Parlaments reiste Cavazzini im vergangenen Jahr zweimal nach Südamerika. Sie besuchte indigene Gemeinschaften im Amazonas-Gebiet, welche die voranschreitende Zerstörung ihres Lebensraums selbst als Genozid bezeichneten. “Ich bin heilfroh, dass Bolsonaro weg ist”, sagt Cavazzini. “Die Inauguration von Lula war der beste Jahresanfang, den ich mir hätte vorstellen können.” Weitere vier Jahre einer Bolsonaro-Regierung hätten eine Katastrophe befürchten lassen.
Ob jetzt alles gut werde, sei eine andere Frage. Schließlich sei der Bolsonarismo weiterhin fest im Land verankert, die Gesellschaft stark gespalten und Lula habe keine Mehrheit im Kongress. Die Ausschreitungen in Brasília zu Jahresbeginn hätten sie nicht überrascht: “Wir hatten das schon für November erwartet, weil Bolsonaro das seit Monaten vorbereitet hatte.”
Grundsätzlich setzt Cavazzini Hoffnung in Lulas Engagement für Umwelt und Waldschutz. Schließlich stehe er in der Schuld der indigenen Gemeinschaften, die seine Wahlkampagne massiv unterstützt hätten. “Da bewegt sich einiges, aber ich glaube, es braucht viel internationalen Druck, damit im Bereich Waldschutz auch wirklich etwas passiert.” Sie glaubt nicht, dass das Mercosur-Abkommen eine hohe Priorität für die brasilianische Regierung habe. Die Wiederaufnahme der Verhandlungen, die unter Bolsonaro eingefroren waren, könne jedoch ohnehin nur unter gewissen Bedingungen erfolgen: Alle Gesetze und Institutionen, die Bolsonaro gestrichen oder ausgehöhlt hat, müsse die neue Regierung wieder aufbauen. Die EU-Kommission müsse außerdem handfeste Änderungen im Text des Abkommens vorschlagen, damit Waldschutz und Nachhaltigkeitsstandards im Abkommen verankert werden.
In ihrem Wahlkreis in Sachsen verbindet Cavazzini manchmal das Klettern mit politischen Veranstaltungen, lädt etwa in Leipzig zum Europa-Gespräch beim Bouldern oder macht in der Sächsischen Schweiz auf das hiesige Waldsterben aufmerksam. Wenn sie sich mit den Menschen unterhält, sei Brüssel noch immer sehr weit weg, erzählt sie. “Aber die ganz konkreten Dinge werden wahrgenommen und kommen sehr gut an.” So etwa das einheitliche Ladekabel oder das Recht auf Reparatur, für das sie sich einsetzt.
In Sachsen hat das grün geführte Europaministerium zudem ein eigenes Interrail-Angebot geschaffen, damit junge Menschen Europa entdecken können. Eine weltoffene, proeuropäische Haltung müsse hier noch gestärkt werden, dafür brauche es viel und gute Kommunikation. Doch durch die Coronapandemie und den Krieg in der Ukraine hätten viele gemerkt: “Mit Europa sind wir stärker und können gemeinsam besser auf die Krisen reagieren.” Leonie Düngefeld
der Korruptionsskandal trifft das Europaparlament massiv, findet Linken-Chef Martin Schirdewan. Im Interview mit Markus Grabitz spricht er über konkrete Forderungen für Abgeordnete, die Sozialpolitik der Kommission und Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Die Europäische Union fördert den Aufbau von sogenannten Common European Data Spaces. Dazu gehört auch ein neues Projekt, für das sich Konsortien bewerben können. Mehr über den Manufacturing Data Space weiß Corinna Visser.
Die Europäische Union hat ein Problem: Es gibt immer mehr gefährliche Abfälle. Das geht aus einem Papier des Europäischen Rechnungshofes hervor. Daten, wie in der EU damit konkret umgegangen wird, fehlen. Die gesetzlichen Forderungen umzusetzen, ist außerdem mit großen Hürden verbunden, schreibt Charlotte Wirth.
Wenn Ihnen der Europe.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail zugeleitet wurde: Hier können Sie das Briefing kostenlos testen.
Herr Schirdewan, im Korruptionsskandal taucht die Linke bislang nicht auf. Haben Sie intern abgefragt, ob Fraktionsmitglieder mit den betroffenen NGOs Kontakt hatten?
Die Fraktion der Linken hat bisher keine Berührungspunkte mit dem Skandal. Vor allem die sozialdemokratische Fraktion ist gravierend betroffen, der Skandal trifft aber auch das Europaparlament als Ganzes massiv. Seitdem der Skandal Anfang Dezember öffentlich wurde, haben unsere Forderungen nach konsequenter Umsetzung der Transparenzregeln, Whistleblower-Schutz und der Einsetzung eines unabhängigen Ethikgremiums noch größere Bedeutung.
Welche Konsequenzen sollte der Fall im EP haben?
Die existierenden Regeln im Europaparlament sind gut und in vielen Punkten weitgehender als in anderen Parlamenten. Sie müssen aber auch umgesetzt werden. Die Parlamentspräsidentin hat einen Katalog von weiteren Maßnahmen vorgelegt. Viele Punkte davon begrüßen wir. Sie müssen jetzt implementiert werden. Wir haben unseren Forderungskatalog noch einmal geschärft.
Wurde Einfluss auf die Gesetzgebung genommen?
Die Fraktion hat analysiert, wo es womöglich Auffälligkeiten im Gesetzgebungsprozess gegeben hat. Etwa an den Schnittstellen, wo Beschuldigte involviert waren. Meine Kollegin Manon Aubry hat intensiv an der Katar-Resolution gearbeitet und wurde massiv von katarischer Seite lobbyiert. Auch bei mir hatte sich der katarische Botschafter zweimal gemeldet und um ein Gespräch gebeten. Dem Wunsch bin ich nicht nachgekommen.
Welche konkreten Forderungen haben Sie?
Der legislative Fußabdruck muss besser werden. Jede und jeder Abgeordnete und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen Treffen mit Lobbyisten, egal ob von Unternehmen, Drittstaaten oder NGOs, konsequent vermerken. Der legislative Fußabdruck der Abgeordneten muss nachvollziehbar sein. Wenn Abgeordnete ihre Position auf einmal massiv verändern, wie wir es etwa in dem Skandal gesehen haben, riecht das nach Korruption.
Was ist noch geboten?
Darüber hinaus brauchen wir ein unabhängiges Ethikgremium, das auf die Umsetzung der Regeln achtet. Wer gegen die Regeln verstößt, muss sanktioniert werden. Die Rolle der inoffiziellen Freundschaftsgruppen im Parlament muss geklärt werden. Ich bin ihnen gegenüber sehr skeptisch, weil sie eben auch in dem Skandal Einfallstor für die Geheimdienste waren.
Themenwechsel: Sie haben im März mit Ihrer Kollegin Özlem Demirel gegen die Resolution im Europaparlament gestimmt, die den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine verurteilt und die Aufnahme der Ukraine in die EU fordert. Würden Sie das heute noch einmal machen?
In dieser Resolution habe ich allen Passagen zugestimmt, die den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine betreffen. Ich halte den Krieg für katastrophal und verbrecherisch, unter dem vor allem die Zivilbevölkerung in der Ukraine leidet. Das habe ich immer auch so gesagt.
Aber?
Die Resolution enthält auch andere Elemente wie die Lieferung von Angriffswaffen und verschärften Wirtschaftssanktionen. Ich bin nicht einverstanden mit der Resolution, wenn es um die Ansätze geht, um diesen verabscheuungswürdigen Krieg zu überwinden. Europäische Politik ist einseitig auf die militärische Lösung ausgerichtet. Das halte ich für falsch. Man sollte alle diplomatischen Möglichkeiten nutzen. Es ist fatal, dass seitens der EU nicht versucht wird, Moskau zu Gesprächen und Friedensverhandlungen zu bewegen, um diesen elenden Krieg schnell zu beenden. Insofern würde ich bei meiner Festlegung aus dem März bleiben.
Die Linke wird nicht zu den proeuropäischen Kräften im Europaparlament gezählt. In welchen Politikfeldern unterstützt Ihre Fraktion den Kurs der Kommission?
Kategorien wie proeuropäisch oder europakritisch sollte man nicht an der Politik der Kommission festmachen. Wir sind eine proeuropäische Fraktion, wenn es um die Bekämpfung des Klimawandels, die Schaffung von Frieden oder die Bekämpfung von Armut geht. Wenn es darum geht, die Ausbeutung von Plattform-Arbeitern zu beenden und einen europäischen Mindestlohn durchzusetzen, werden wir uns schnell einig. Die Kommission doktert aber in der Sozialpolitik nur an den Symptomen für das Auseinanderklaffen der Gesellschaften herum. Sie legt einen zu starken Fokus auf den Binnenmarkt und betreibt zu wenig Sozialpolitik.
Was bemängeln Sie konkret?
Die Schuldenbremse ist ein Fehler, das Strommarktdesign ebenso. Die Menschen leiden unter den hohen Energiepreisen. Und die Kommissionspräsidentin scheut sich, den Energiemarkt so zu reformieren, dass es genug Energie zu vertretbaren Preisen für alle Europäerinnen und Europäer jenseits der Marktturbulenzen gibt. Der Markt wird aber weder Gesundheit, Energie noch Lebensmittel oder das Wohnungsproblem in den Städten regeln können.
Was schlagen Sie vor?
Es ist ein grundlegender Systemfehler, dass diese Bereiche der Daseinsvorsorge dem Markt auch durch die EU-Politik überantwortet wurden. Dieser Fehler muss korrigiert werden, die genannten Bereiche müssen dem Markt entzogen werden.
Putins Krieg, Inflation und hohe Energiekosten sind eine hohe Belastung für sozial Schwächere. Warum gelingt es der Linken in Deutschland nicht, davon politisch zu profitieren?
Die Linke hat überhaupt erst einmal mit ihrer Kampagne “Heißer Herbst” dazu beigetragen, dass die Bundesregierung reagiert hat: Ich nenne nur die Deckel für Strom- und Gaspreise, die Rücknahme der unsozialen Gasumlage. Wir haben die Koalition angetrieben und somit dafür gesorgt, dass Rentnerinnen und Rentner und kleine Gewerbetreibende in diesem Winter hoffentlich nicht im Dunkeln und Kalten sitzen. Die neue Parteiführung arbeitet daran, die in der Vergangenheit selbstverursachten Fehler zu überwinden. Wir arbeiten auch an einer programmatischen Teilerneuerung und einer klareren Kommunikation nach außen.
Erlaubt Ihnen die Doppelrolle als Parteichef in Deutschland und Fraktionschef in Europa, der Partei die nötige Führung zu geben?
Ja, klar. Zusammen mit Janine Wissler habe ich vom Parteitag ein starkes Votum bekommen. Ich sehe meine Doppelrolle auch als einen Vorteil: Sie bereichert die Politik der Linken um die europäische Perspektive. So bereiten wir zusammen die Europawahl 2024 vor. Wir bekommen auch breite Unterstützung aus der Partei. Nehmen Sie die Leipziger Erklärung und unser Treffen kurz vor Weihnachten, wo sich die Spitzen aus Partei und Fraktion im Bund und in den Ländern hinter unsere Politik gestellt haben.
Sahra Wagenknecht könnte eine Abspaltung betreiben. Rechnen Sie damit zur Europawahl?
Nein, ich rechne nicht damit. Allenfalls könnten Einzelne die Partei verlassen. Jegliche Neugründung hätte außerdem keine Aussicht auf Erfolg.
Mit der Europäischen Datenstrategie hat sich die Kommission im Jahr 2020 vorgenommen, einen Binnenmarkt für Daten in der Union zu etablieren. Initiativen wie der Data Governance und der Data Act schaffen die gesetzlichen Grundlagen. Parallel fördert die EU aber auch den Aufbau von Common European Data Spaces, um den Datenaustausch tatsächlich in Gang zu bringen. Einer dieser Datenräume ist der Manufacturing Data Space. Konsortien können sich noch bis zum 24. Januar für die Förderung zweier konkreter Projekte bewerben.
Für Data Spaces gibt es keine allgemeingültige Definition. Sie können sehr unterschiedlich ausgestaltet sein – je nachdem, wie groß die Zahl der Teilnehmer ist, welche Daten getauscht werden und wie. Eine mögliche Erklärung liefert die International Data Spaces Association (finanziert aus dem Horizon 2020 Projekt OPEN DEI): “Ein Datenraum ist definiert als eine dezentrale Infrastruktur für die vertrauenswürdige gemeinsame Nutzung und den Austausch von Daten in Datenökosystemen, die auf gemeinsam vereinbarten Grundsätzen beruhen.”
Das Wort Datenraum ist dabei etwas irreführend, denn es geht eher darum, Begrenzungen aufzubrechen, Datensilos zu überwinden und Daten möglichst vielen Nutzern zur Verfügung zu stellen. Insgesamt hat die Kommission Datenräume in zwölf strategischen Bereichen angekündigt, darunter Gesundheit, Energie, Mobilität und eben in der Produktion.
Dass Unternehmen Daten bilateral mit Geschäftspartnern austauschen, etwa zwischen Herstellern und Lieferanten, ist selbstverständlich. Branchenweite Data Spaces hingegen sind neu. “Der besondere Mehrwert von Datenräumen für die produzierende Industrie liegt darin, dass sie den Datenaustausch über Unternehmensgrenzen hinweg deutlich erleichtern. Damit schaffen sie die Voraussetzungen für neue Geschäftsmodelle und eine resilientere und nachhaltigere Produktion“, erläutert Oliver Klein, Referent Digitalisierung und Innovation beim BDI.
Der Bitkom erwartet, dass die Manufacturing Data Spaces langfristigere Wettbewerbsfähigkeit, Effizienz- und Nachhaltigkeitsgewinne sowie Innovationen in Europa bringen werden. “Wertschöpfungsketten sind heute digital und international. Da ist es nicht genug, wenn die Datenverfügbarkeit kaum bis zur Unternehmenspforte reicht”, sagt David Schönwerth, Referent Data Economy beim Bitkom.
Die Politik sieht Klein dabei weniger in einer gestaltenden als in einer unterstützenden Rolle. Die technische Implementierung dagegen sei Kernkompetenz der Industrie. So sieht das auch die Kommission. In den jetzt ausgeschriebenen Projekten geht es daher um eine Anschubfinanzierung für Projekte aus der Industrie. Gesucht werden Konsortien für zwei Anwendungsfälle:
“Die Projekte finanzieren wir aus DG Connect über das Förderprogramm Digital Europe – und nicht aus dem Forschungsbudget”, erläutert Fachreferent Matthias Kuom, Seconded National Expert bei DG Connect (CNECT.A.4). “Denn es geht hier nicht um Forschung, sondern um Implementierung. Die Data Spaces werden aufgesetzt, um zu bleiben.” Dabei handelt es sich um eine Co-Finanzierung. Pro Projekt gibt die EU acht Millionen Euro für zwei Jahre. Die Konsortien müssen jeweils noch einmal die gleiche Summe investieren.
Drei Voraussetzungen müssen interessierte Konsortien erfüllen:
Es geht also nicht darum, etwas völlig Neues aufzubauen. “Wir wollen bestehende Ideen wachsen lassen“, erklärt Kuom. “Und dabei auch dafür sorgen, dass nationale Projekte europäisch werden.” Ziel sei die Interoperabilität mit anderen europäischen Data Spaces. “So schaffen wir einen Binnenmarkt für Daten.” Klein vom BDI ist überzeugt: “Die Data Spaces müssen mittel- und langfristig europäisch sowie international gedacht werden. Je stärker die Projekte skalieren, desto größer ist der potenzielle Mehrwert.”
Als Nukleus kämen für die Förderung demnach auch deutsche Projekte infrage – wie die branchenübergreifende Initiative Manufacturing-X (Datenraum Industrie 4.0) oder Catena-X (Datenökosystem für die Autoindustrie). Oder auch das niederländische Projekt Smart Connected Supplier Network SCSN (hervorgegangen aus dem Innovationsprogramm Factory of the Future).
Aktuell sei es noch zu früh abzuschätzen, wie viele und welche Konsortien sich um die Fördergelder bewerben, sagt Kuom. Er rechnet damit, dass die meisten Anträge erst kurz vor Schluss am 24. Januar eingehen. Die Auswahl trifft DG Connect dann bis Ende März, Anfang April. Geplant sei, dass die Projekte Ende 2023, neun Monate nach Ende der Einreichung, mit der Umsetzung beginnen. Unterstützung bietet die EU dabei auch über das Data Space Support Center.
Sowohl BDI als auch Bitkom wünschen sich, dass die Breitenwirkung von Datenräumen insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen gestärkt wird, sodass die Potenziale voll ausgeschöpft würden. “Wir brauchen offen entwickelte KMU-reife Ansätze, die den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen europäischen Unternehmen abbilden”, sagt Schönwerth vom Bitkom und fordert: “Wir dürfen uns bei Datenmodellen, Protokollen und sonstiger Technologie nicht in Over-Engineering oder Regelungswut verlieren – gut ist, was sich in der Anwendung beweist.”
Klein vom BDI betont, dass keine Parallelprozesse entstehen dürften. “Unternehmen haben begrenzte Ressourcen”, erläutert er. “Der Vermeidung von Überschneidungen zwischen Projekten auf nationaler und auf EU-Ebene kommt daher eine zentrale Bedeutung zu.” Kompatibel und komplementär sollten Sie sein, fordert der Verband Bitkom.
Leider sei es jedoch absehbar, dass Data Governance Act und Data Act mancher Datenrauminitiativen die Arbeit erschweren werde, sagt Schönwerth. Um dies noch verhindern zu können, “braucht es beim Data Act mehr Aufmerksamkeit – auch in Berlin”.
In der Ausschreibung jedenfalls setzt die Kommission “auf Nutzen-getriebene vertragliche Vereinbarungen zwischen den Partnern”, wie Kuom betont. In den Verhandlungen zum Data Act sind hingegen statt Vertragsfreiheit immer mehr Verpflichtungen im Gespräch. “Die Beteiligten sollten genau hinsehen, wie die Industrie offene und erfolgreiche Datenräume organisiert – und daraus ihre Schlüsse ziehen.”
In der EU entsteht immer mehr Giftmüll. Das geht aus einem Bericht hervor, den der Europäische Rechnungshof vorgelegt hat. Demzufolge geht es um einen Anstieg von 23 Prozent, insgesamt von rund 81 Millionen Tonnen 2004 auf 102 Millionen Tonnen 2018. Deutschland liegt dabei mit einem Anstieg von 21 Prozent knapp hinter dem EU-Durchschnitt. In der Bundesrepublik entstehen jährlich 292 Kilo pro Kopf an Giftmüll. Zum Vergleich: In Dänemark waren es 361 Kilo pro Kopf (plus 512 Prozent).
Mit einer Überprüfung der europäischen Gesetzgebung zu gefährlichen Abfällen in der EU wolle der Rechnungshof seinen Beitrag zu den aktuellen Debatten um das Thema leisten, sagte ein Sprecher. Dieses Jahr stehen auf EU-Ebene die Trilog-Verhandlungen zur Müllverschiffung und Ökodesignverordnung sowie eine Überarbeitung der Abfallrahmenrichtlinie an.
Doch die Datenlage dazu, wie die EU mit toxischen Abfällen umgeht, ist mager. Zwischen der Menge an gefährlichen Abfällen, die in der Europäischen Union entstehen und jenen, die in der EU behandelt oder entsorgt werden, liegt eine Kluft von 21 Prozent.
Es gibt keine Kenntnisse darüber, was 2018 mit diesen rund 20 Millionen Tonnen an gefährlichen Abfällen passiert ist. Gründe für diese Datenlücke nennt der Rechnungshof mehrere:
Obwohl die EU-Gesetzgebung vorsieht, dass der Giftabfall vorzugsweise weiterverarbeitet oder recycelt werden soll, ist dies in der Praxis kaum der Fall. Über die Hälfte der gefährlichen Abfälle landen auf Müllhalden oder werden (teilweise ohne Energiegewinnung) verbrannt.
Derweil ist es technisch ohnehin kaum möglich, den Giftmüll zu verwerten, warnt der Rechnungshof. Entweder fehle die nötige Technologie, es gebe keinen Absatzmarkt für die recycelten Materialien oder den Abfallunternehmen fehlen wichtige Informationen zur Zusammensetzung der zu recycelnden Produkte.
Derweil stimmt das Europäische Parlament heute über sein Mandat zur Abfallverbringungsverordnung ab, bei der es auch um die Verschiffung gefährlicher Abfälle geht. Bereits im November 2021 hatte die EU-Kommission ihren Gesetzesvorschlag vorgestellt. Sie will die Verschiffung von Abfällen innerhalb der EU sowie in Drittländer begrenzen und ihre umweltkonforme Verarbeitung garantieren.
2020 hat die EU über 37 Tonnen Abfall in Nicht-EU Länder verschifft. Unter den beliebtesten Abnehmern sind die Türkei und Indien. Um diesen Anstieg stoppen schlägt die Kommission Folgendes vor:
Das Parlament will diese Auflagen noch verstärken. “Unser Abfall liegt überall. Auf den Stränden und Müllkippen in der ganzen Welt. Es gibt keine Entschuldigung dafür und wir dürfen unser Problem nicht einfach auf andere schieben”, betonte Berichterstatterin Pernille Weiss (EPP) bei der gestrigen Debatte im EU-Parlament.
Ihr Bericht sieht ein Pauschalverbot für den Export von Plastikabfällen in Nicht-OECD Länder vor. Grünen-Schattenberichterstatterin Sara Matthieu begrüßte diesen Vorstoß: “Wir werden endlich unserer Verantwortung gerecht und verklappen nicht einfach unseren Müll in Länder, die damit nicht umgehen können”, sagte sie gestern. Das Verbot sei ein Stimulus, um weniger Plastik zu verwenden und mehr zu recyceln.
Es gelte fortan, Abfall als Ressource ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft wertschätzen, so auch Cyrus Engerer (S&D). Der Bericht schaffe innovative Geschäftsmöglichkeiten für die Abfallverwertung.
Der Rat hat noch kein Verhandlungsmandat zur Abfallverbringung. Die schwedische Ratspräsidentschaft plant für Ende Juni mit einer allgemeinen Ausrichtung.
18.01.-21.01.2023, Chamonix (Frankreich)
CECE, Conference Embracing a changing society: Diversity in construction
CECE zooms in on the topics of diversity in construction, attractivity of the sector to new generations and general perception of the industry. INFOS & REGISTRATION
18.01.-20.01.2023, Salzburg (Österreich)
ICM, Conference International Electronics Recycling Congress (IERC) 2023
ICM brings together international professionals from the Circular Economy Electronics world. INFOS & REGISTRATION
18.01.2023 – 10:00-11:00 Uhr, online
TÜV Rheinland, Seminar German Act and EU Directive on Corporate Due Diligence in Supply Chains
TÜV Rheinland addresses the practical implementation and interpretation of the legal specifications regarding the forthcoming SCDD Directive. INFOS & REGISTRATION
18.01.2023 – 14:00-15:00 Uhr, online
FSR, Panel Discussion Meeting Africa`s Energy and Climate Goals
The Florence School of Regulation (FSR) discusses what the priority areas for Africa are in preparation to meet the climate and development goals. INFOS & REGISTRATION
18.01.2023 – 18:00-19:00 Uhr, online
FNF, Diskussion Bomben, Winter, Flucht: Was bleibt von der ukrainischen Wirtschaft?
Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) beschäftigt sich mit der Frage, wie die Wirtschaft eines Landes funktionieren kann, das sich seit bald einem Jahr im Krieg befindet. INFOS & ANMELDUNG
18.01.2023 – 19:00-20:30 Uhr, online
KAS, Vortrag Cybercrime – wachsende Gefahren im Netz?
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) thematisiert die Entstehung immer neuer Einfallstore für Kriminalität im Cyberraum angesichts der weiter zunehmenden Vernetzung. INFOS & ANMELDUNG
19.01.2023 – 07:30-08:45 Uhr, Berlin
WWF, Diskussion Kreislaufwirtschaft im Gebäudesektor – wie kann das gelingen?
Der World Wide Fund For Nature (WWF) präsentiert zentrale Handlungsfelder der Circular Economy im Gebäudesektor. INFOS & ANMELDUNG
19.01.2023 – 08:30 Uhr, online
EU Commission, Seminar Horizon Europe info day
The EU Commission aims to inform (potential) applicants about topics included in the Cluster 1 ‘Health’ of the Horizon Europe work programme of 2023. INFOS & REGISTRATION
19.01.2023 – 15:00-16:30 Uhr, Brüssel (Belgien)/online
ERCST, Discussion EU CBAM after Trilogues: Discussion with Gerassimos Thomas and roundtable
The European Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) offers an opportunity to discuss the provisional agreement reached in the CBAM trilogues in December as well as what is next with Gerassimos Thomas, Director General at DG TAXUD. INFOS & REGISTRATION
19.01.2023 – 18:00-20:00 Uhr, Cottbus
RLS, Vortrag Freihandelsabkommen: Wie weiter mit CETA & TTIP und Co.?
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Freihandelsabkommen auf deutsche Regionen. INFOS
19.01.2023 – 18:00-19:30 Uhr, Dresden
FES, Diskussion Neue Bündnisse, alte Probleme?! Wie die Zeitenwende zu mehr außenpolitischer Glaubwürdigkeit und weniger Abhängigkeit führen könnte
Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) geht der Frage nach, ob die von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufene Zeitenwende wirklich eine neue Ära in der Außen- und Sicherheitspolitik begründet. INFOS & ANMELDUNG
19.01.2023 – 18:00-19:30 Uhr, Berlin
RLS, Podiumsdiskussion Maldekstra-Salon: Wer macht die Regeln? Die Macht von (Digital-)Unternehmen in Afrika und notwendige Antworten
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) adressiert die Aktivitäten klassischer und digitaler Konzerne in afrikanischen Ländern sowie die daraus erwachsenden Folgen für die afrikanische Wirtschaft, Politiken und Arbeitsbedingungen. INFOS & ANMELDUNG
19.01.2023 – 19:30 Uhr, Saarbrücken
EAO, Podiumsdiskussion Zwischen Europäisierung und Renationalisierung: Wie viel politisches Vertrauen genießt die EU?
Die Europäische Akademie Otzenhausen (EAO) greift das Spannungsfeld aus europäische Zusammenarbeit und nationaler Souveränität auf. INFO & ANMELDUNG
In der Diskussion um die Reform des europäischen Strommarktes hat das Bundeswirtschaftsministerium ein Non-Paper der spanischen Regierung begrüßt. “Spanien hat einen sehr interessanten Vorschlag gemacht“, sagte Minister Robert Habeck (Grüne) am Montag bei einer Konferenz in Berlin. Über die Vergütung erneuerbarer Energien durch Differenzverträge innerhalb eines Korridors mit oberer und unterer Erlösgrenze könne man diskutieren, sagte der Bundeswirtschaftsminister.
Für fossile Kraftwerke sehe der spanische Vorschlag einen Kapazitätsmarkt vor, führte Habeck weiter aus und forderte einen schnellen Abschluss der europäischen Reform. Das Ausschreibungsdesign für neue Gaskraftwerke müsse noch in diesem Jahr geklärt werden. Bis 2030 wollen die Grünen den Kohleausstieg in Deutschland vollenden, der sich auch aus dem verschärften Emissionshandel ergibt. Habeck sprach sich außerdem dafür aus, den Industriestrompreis europäisch zu regeln. Eine nationale Regelung müsse dagegen von der Kommission beihilferechtlich genehmigt werden.
Um die Gaskraftwerke mittelfristig mit Wasserstoff versorgen zu können, müssten außerdem noch in diesem Jahr die nötigen Leitungen definiert werden, forderte Habeck. Zu klären sei insbesondere die Regulierung. Dies lässt sich als Appell an Parlament und Rat verstehen, in diesem Jahr auch noch die Novelle des Gasbinnenmarkt-Paketes abzuschließen.
Die Positionen der Mitgliedstaaten zur Reform des Strommarktes konsultiert die schwedische Ratspräsidentschaft derzeit mit einem eigenen Fragebogen, den Contexte veröffentlicht hat. Ein Punkt darin ist, ob Teile der Notfallverordnung 2022/1854 dauerhaft im Energierecht verankert werden sollten: “Wenn ja, sollten diese Elemente nur in Krisensituationen aktiviert werden oder ein ständiges Merkmal der Marktstruktur werden?” Teil der Verordnung sind Stromsparziele, die Abschöpfung von Übererlösen und Möglichkeiten zur direkten Regulierung der Endkundenpreise. ber
Die schwedische Ratspräsidentschaft fragt die Mitgliedstaaten, ob Teile der EU-Notfallverordnungen zur Gasversorgung in die laufende Novelle der Gasbinnenmarkt-Verordnung integriert werden sollen. Dabei geht es unter anderem um das freiwillige Gassparziel aus der Notverordnung (2022/1369), das bei einem unionsweiten Notfall auch verbindlich werden kann. Alternativ könne die Gassparverordnung verlängert werden, heißt es in dem von Contexte veröffentlichten Dokument der Ratspräsidentschaft.
Die Mitgliedstaaten hatten im vergangenen Jahr mehrere Notverordnungen beschlossen, um die Gasversorgung zu sichern. Sie sind allerdings bis zu folgenden Daten befristet und können nach einem Review durch die Kommission verlängert werden:
Angesichts des milden Winters, neuer LNG-Terminals und gesunkener Gaspreise ist zweifelhaft, ob die Vorschriften noch einmal auf Grundlage des Notfallartikels 122 verlängert werden können. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte gestern in Berlin, er rechne damit, dass die Gaskrise 2024 für beendet erklärt werden könne. Habeck warb dafür, das Gasbinnenmarkt-Paket noch in diesem Jahr abzuschließen, um einen schnellen Wasserstoff-Hochlauf zu ermöglichen.
Um den gemeinsamen Gaseinkauf vorzubereiten, traf sich gestern erstmals der Lenkungsausschuss der gemeinsamen Energieplattform. Kommissionsvize Maroš Šefčovič rief die Regierungen dazu auf, zusammen mit Gasimporteuren zu klären, wie viel Gas sie gemeinsam beschaffen können. Für den 25. Januar kündigte er außerdem eine Diskussion mit Vertretern energieintensiver Industrien an, um über eine mögliche Beteiligung an der Energieplattform zu sprechen. ber
Der Widerstand gegen die milliardenschwere Übernahme von Activision Blizzard durch Microsoft wächst. Die EU-Kommission werde dem US-Softwarekonzern demnächst eine Liste mit ihren Bedenken schicken, sagte ein Insider am Montag. Die Wettbewerbshüter wollen bis zum 11. April entscheiden, ob sie den 69 Milliarden Dollar schweren Deal genehmigen. Die Kommission wollte sich zu dem Thema nicht äußern. Microsoft betonte, mit den Behörden mögliche Sorgen diskutieren und an der Übernahme festhalten zu wollen. Früheren Aussagen von Insidern zufolge ist das Unternehmen zu Zugeständnissen bereit.
Microsoft hatte vor etwa einem Jahr den Kauf von Activision Blizzard, den Machern von Videospielen wie “Call of Duty” und “Candy Crush”, angekündigt, um gegen Konkurrenten wie Sony zu bestehen. Der Konzern würde zum drittgrößten Anbieter in diesem Bereich aufsteigen. Neben der EU befürchten aber auch die US-Kartellbehörden eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs. Die amerikanische Kartellbehörde hatte Anfang Dezember angekündigt, die Übernahme stoppen zu wollen. Auch Gamer gehen auf die Barrikaden und reichten in den USA Klage ein. rtr
Der irische Diplomat David O’Sullivan soll künftig die Durchsetzung der EU-Sanktionen gegen Russland koordinieren und vor allem dafür sorgen, dass Drittstaaten Moskau nicht dabei helfen, die Sanktionen zu umgehen. Nach der Ernennung zum Sondergesandten der EU für die Umsetzung der Sanktionen Mitte Dezember nimmt O’Sullivan die Arbeit in seinem neuen Amt in diesen Tagen auf.
Neun Sanktionspakete hat die EU bereits gegen Russland wegen seines Angriffskrieges gegen die Ukraine verhängt, die jüngsten Strafen wurden Mitte Dezember beschlossen. Die bisherigen Schritte setzen der russischen Wirtschaft stark zu, erhöhen die Abhängigkeit des Staatsbudgets von Öl-Exporten und schwächen das Militär. Doch Russland gelingt es auch, die Sanktionen zu umgehen und etwa Drohnen aus dem Iran einzukaufen.
O’Sullivans Aufgabe wird es sein, Schlupflöcher zu schließen und beispielsweise sogenannte Parallelimporte zu unterbinden. Russland hat nach Kriegsbeginn extra die Gesetzeslage für russische Unternehmen geändert, um den grauen Importmarkt zu legalisieren.
Dabei nutzen sanktionierte Staaten Firmen oder befreundete Staaten für Importe von Waren ohne Zustimmung westlicher Hersteller. Auf solchen Kanälen beschaffen sich Iran und Russland Elektronikteile oder andere Spezialtechnik vor allem für den Rüstungssektor.
O’Sullivan hat eine lange EU-Karriere, er baute unter anderem zwischen 2010 und 2015 den Auswärtigen Dienst der EU auf. Seine neue Aufgabe wird der 69-Jährige in enger Abstimmung mit dem US-Kollegen Jim O’Brien ausführen. Dieser ist bereits seit April 2022 in ähnlicher Funktion eingesetzt. Viktor Funk
Die Gespräche zwischen Großbritannien und der Europäischen Union zur Beilegung des Streits über den Handel mit Nordirland nach dem Brexit sind noch nicht abgeschlossen. Beide wollen Sondierungsgespräche fortsetzen, teilte ein Sprecher des Premierministers Rishi Sunak mit.
Der britische Außenminister James Cleverly und der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Maros Sefcovic, vereinbarten am Montag in einem Videogespräch, dass die Arbeit “in einem konstruktiven Geist” fortgesetzt werden solle. Beide Seiten würden nun die Bandbreite der Herausforderungen der vergangenen zwei Jahre und die Notwendigkeit, gemeinsam Lösungen zu finden, diskutierten, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. “Sie kamen überein, dass die Suche nach möglichen Lösungen in einem konstruktiven und kooperativen Geist fortgesetzt werden sollte, wobei die legitimen Interessen der jeweils anderen Seite sorgfältig zu berücksichtigen sind.”
Nach Monaten des Stillstands und der Feindseligkeit wächst in Großbritannien und Teilen der EU der Optimismus, dass eine Lösung des Streits über das Nordirland-Protokoll in greifbare Nähe rückt. Dabei geht es um den Teil des Brexit-Abkommens, der Kontrollen für einige Waren vorschreibt, die aus dem Rest des Vereinigten Königreichs in die Provinz gelangen.
Die Gespräche haben in der vergangenen Woche an Dynamik gewonnen, als die EU zustimmte, eine britische Echtzeit-Datenbank zur Verfolgung von Waren, die über die irische See transportiert werden, zu nutzen.
Dennoch wollte der Sprecher des Premierministers keine konkreten Angaben zu einem Ende der Gespräche machen. “Ich würde mich im Moment von solchen Spekulationen fernhalten. Ich möchte noch einmal betonen, dass es noch Lücken in unserer Position gibt, die gelöst werden müssen”, sagte er. rtr
Anna Cavazzini klettert leidenschaftlich gern. Seit sie 2019 ins Europäische Parlament gewählt wurde, sagt sie, habe sich ihr Niveau verschlechtert. Nur noch zwei- oder dreimal im Monat schafft sie es in die Kletterhalle. Im Parlament ist die 40-Jährige dafür weit nach oben geklettert: 2020 übernahm sie den Vorsitz im Binnenmarktausschuss (IMCO), der für harmonisierte Produktstandards, das Zollwesen und Verbraucherschutz zuständig ist.
Cavazzini wurde 1982 in Hessen geboren, studierte European Studies in Chemnitz und Internationale Beziehungen in Berlin. Von 2009 bis 2014 arbeitete sie bereits im EU-Parlament, damals als wissenschaftliche Mitarbeiterin von Ska Keller. Anschließend war sie im Auswärtigen Amt, für die UNO-Generalversammlung, für die Kampagnen-Plattform Campact und für Brot für die Welt tätig, stets mit Fokus auf gerechten Handel, Menschenrechte und Nachhaltigkeit.
Zum 30-jährigen Bestehen des EU-Binnenmarktes zieht Cavazzini jetzt Bilanz: “Grundsätzlich ist der Binnenmarkt ein riesiger Erfolg und ein Motor der Integration”, sagt sie. Er habe dazu geführt, dass viele Hürden abgebaut und immer mehr einheitliche Produktstandards geschaffen wurden. Der starke Fokus auf den Abbau dieser Hürden habe den Diskurs über den Binnenmarkt allerdings sehr einseitig gemacht. “Wir müssen da noch einen Schritt weiter gehen”, sagt Cavazzini. Die Harmonisierung dürfe nicht auf Kosten lokaler Gemeinschaften geschehen, sondern müsse Menschenrechts- und Umweltstandards gewährleisten.
Außerdem müssten die verfügbaren Tools des Binnenmarkts gerade in einer Zeit der Krisen noch effektiver eingesetzt werden. Zwei Beispiele: Zum einen soll der Green Deal mitsamt seiner Produktstandards helfen, die Klimaziele zu erreichen. Zum anderen sollen große Online-Konzerne durch die großen Digitalvorhaben DSA und DMA reguliert werden. “Auch die Binnenmarktpolitik muss noch stärker das Ziel haben, diesen Krisen zu begegnen“, so Cavazzini.
Die Abgeordnete beschäftigt auch das Wirken des Binnenmarkts über die EU hinaus. Denn erstens müssen auch importierte Produkte die europäischen Standards einhalten. Und zweitens sollen nun auch Produktionsstandards über die Lieferketten stärker reguliert werden. Gemeinsam mit ihrer Fraktion hat Cavazzini dieses Thema in den vergangenen Jahren stark vorangetrieben. Als Schattenberichterstatterin verhandelt sie im Handelsausschuss zurzeit das EU-Lieferkettengesetz, über das Ende Januar abgestimmt werden soll.
Darüber hinaus arbeitet das Parlament an Gesetzen für entwaldungsfreie Lieferketten und für ein Verkaufsverbot für Produkte aus Zwangsarbeit. Diese Vorhaben seien nicht nur moralisch richtig. “All das sind sehr wichtige Gesetze, die sicherstellen sollen, dass wir faire Wettbewerbsbedingungen haben“, sagt Cavazzini. “Viele der Unternehmen wirtschaften korrekt – und dann stehen sie im Wettbewerb mit Produkten aus Sklavenarbeit. Am Ende hilft es auch europäischen Unternehmen, wenn wir Lieferketten stärker regulieren.”
Als Vizepräsidentin der Brasilien-Delegation des Parlaments reiste Cavazzini im vergangenen Jahr zweimal nach Südamerika. Sie besuchte indigene Gemeinschaften im Amazonas-Gebiet, welche die voranschreitende Zerstörung ihres Lebensraums selbst als Genozid bezeichneten. “Ich bin heilfroh, dass Bolsonaro weg ist”, sagt Cavazzini. “Die Inauguration von Lula war der beste Jahresanfang, den ich mir hätte vorstellen können.” Weitere vier Jahre einer Bolsonaro-Regierung hätten eine Katastrophe befürchten lassen.
Ob jetzt alles gut werde, sei eine andere Frage. Schließlich sei der Bolsonarismo weiterhin fest im Land verankert, die Gesellschaft stark gespalten und Lula habe keine Mehrheit im Kongress. Die Ausschreitungen in Brasília zu Jahresbeginn hätten sie nicht überrascht: “Wir hatten das schon für November erwartet, weil Bolsonaro das seit Monaten vorbereitet hatte.”
Grundsätzlich setzt Cavazzini Hoffnung in Lulas Engagement für Umwelt und Waldschutz. Schließlich stehe er in der Schuld der indigenen Gemeinschaften, die seine Wahlkampagne massiv unterstützt hätten. “Da bewegt sich einiges, aber ich glaube, es braucht viel internationalen Druck, damit im Bereich Waldschutz auch wirklich etwas passiert.” Sie glaubt nicht, dass das Mercosur-Abkommen eine hohe Priorität für die brasilianische Regierung habe. Die Wiederaufnahme der Verhandlungen, die unter Bolsonaro eingefroren waren, könne jedoch ohnehin nur unter gewissen Bedingungen erfolgen: Alle Gesetze und Institutionen, die Bolsonaro gestrichen oder ausgehöhlt hat, müsse die neue Regierung wieder aufbauen. Die EU-Kommission müsse außerdem handfeste Änderungen im Text des Abkommens vorschlagen, damit Waldschutz und Nachhaltigkeitsstandards im Abkommen verankert werden.
In ihrem Wahlkreis in Sachsen verbindet Cavazzini manchmal das Klettern mit politischen Veranstaltungen, lädt etwa in Leipzig zum Europa-Gespräch beim Bouldern oder macht in der Sächsischen Schweiz auf das hiesige Waldsterben aufmerksam. Wenn sie sich mit den Menschen unterhält, sei Brüssel noch immer sehr weit weg, erzählt sie. “Aber die ganz konkreten Dinge werden wahrgenommen und kommen sehr gut an.” So etwa das einheitliche Ladekabel oder das Recht auf Reparatur, für das sie sich einsetzt.
In Sachsen hat das grün geführte Europaministerium zudem ein eigenes Interrail-Angebot geschaffen, damit junge Menschen Europa entdecken können. Eine weltoffene, proeuropäische Haltung müsse hier noch gestärkt werden, dafür brauche es viel und gute Kommunikation. Doch durch die Coronapandemie und den Krieg in der Ukraine hätten viele gemerkt: “Mit Europa sind wir stärker und können gemeinsam besser auf die Krisen reagieren.” Leonie Düngefeld