das Europäische Parlament erhöht den Druck auf Viktor Orbán. In der ersten Sitzungswoche des Jahres dürfte eine Mehrheit der Abgeordneten nächste Woche in Straßburg grünes Licht geben für den Bericht von Katarina Barley (SPD) zu den Grundrechten in der EU. Erstmals würde das Parlament damit den Rat auffordern, ein Verfahren nach Artikel 7 gegen den Mitgliedstaat Ungarn einzuleiten wegen “gravierender und andauernder Verstöße gegen EU-Werte”. Das steht in dem Bericht, den Vize-Präsidentin Barley mit viel Rückenwind im Libe-Ausschuss für bürgerliche Freiheiten (35 Ja- bei sechs Nein-Stimmen) durchgebracht hat. Das Verfahren wäre der erste Schritt, um die Daumenschrauben gegen Orbán weiter anzuziehen: Streichung von bestimmten Rechten des Mitgliedstaates samt der Stimmrechte im Rat.
Nun verfolgt der finnische Abgeordnete Petri Sarvamaa von der christdemokratischen EVP-Fraktion eine ganz ähnlich gelagerte Mission. Er sammelt Unterschriften bei seinen Abgeordneten-Kollegen für seinen Brief an Parlamentspräsidentin Roberta Metsola, den er auch auf der Plattform X gepostet hat. In dem Schreiben, er nennt es eine Petition, prangert er an, in Ungarn unter Orbán sei es zur “Erosion der Rechtsstaatlichkeit” gekommen.
Der Abgeordnete will bezwecken, dass Metsola ebenfalls Rat oder Kommission auffordert, ein Verfahren gegen Ungarn nach Artikel 7 einzuleiten. Nach Ungarns Vorstößen, die Entscheidungsfindung beim Europäischen Rat im Dezember zu unterbrechen, sei es höchste Zeit für das Europäische Parlament zu handeln. Daniel Freund von den Grünen, der sich seit seinem Einzug ins Europäische Parlament vor fünf Jahren für eine härtere Gangart gegen Orbán einsetzt, unterstützt auf der Plattform X die Unterschriftenaktion des EVP-Politikers.
Man fragt sich, warum der EVP-Abgeordnete Unterschriften sammelt, wenn doch der Barley-Bericht weitergehend und verbindlicher ist. Gut möglich, dass er nichts von ihrem Grundrechtebericht weiß. Schließlich ist er Haushälter und sitzt im Agrarausschuss. Oder er denkt praktisch. Nach dem Motto doppelt genäht hält besser. Hauptsache, das Parlament stimmt nächste Woche mit einer starken Stimme. Kommen Sie gut durch den Tag.
Stéphane Séjourné wählt deutliche Worte: “Das Risiko eines unregierbaren Europas ist real”, warnt der Fraktionschef der liberalen Renew-Fraktion im Europaparlament am Dienstag. Populisten und rechtsradikale Parteien könnten bei der Europawahl im Juni genug Sitze erringen, um ein handlungsfähiges Bündnis proeuropäischer Kräfte zu verhindern. Die von ihm angestrebte Fortsetzung der sogenannten Von-der-Leyen-Koalition aus EVP, Sozialdemokraten und Liberalen sei nicht gesichert, mahnt er.
Séjournés Renew-Fraktion könnte selbst zu den großen Verlierern eines möglichen Rechtsrucks gehören. EU-weite Auswertungen von Umfragen sagen ein halbes Jahr vor dem Urnengang voraus, dass die Liberalen von ihren aktuell 101 Sitzen zehn bis 20 verlieren könnten. Sowohl die Rechtsaußen-Fraktion ID als auch die nationalkonservative EKR könnten womöglich an der bislang drittgrößten Gruppe im Straßburger Parlament vorbeiziehen.
Noch aber hat der Europawahlkampf gar nicht begonnen. Um die Parteienfamilie auf die kommenden Monate und eine dezidiert proeuropäische Linie einzustimmen, hatte Séjourné am Dienstag die Spitzenkandidaten aus mehreren Mitgliedsländern zu einer Großveranstaltung nach Brüssel geladen. Wahlmanifest und das personelle Aufgebot für die zu vergebenen Top-Jobs auf EU-Ebene werden aber voraussichtlich erst eine Woche vor Ostern beschlossen, wenn mit der ALDE die größere der beiden liberalen Parteienfamilien zum Kongress nach Brüssel lädt.
Séjourné plädiert für ein selbstbewusstes Auftreten: Die Liberalen sollten eigene Kandidaten für die drei wichtigsten Posten aufbieten, die Spitzen von EU-Kommission, Europäischem Rat und Europaparlament, sagt er. Persönlichkeiten mit dem nötigen Format habe man.
Bei den Liberalen werden unter anderem die estnische Regierungschefin Kaja Kallas, der Luxemburger Ex-Premier Xavier Bettel und der scheidende Ratspräsident Charles Michel als Interessenten gehandelt. Kommissionsvize Margrethe Vestager, 2019 noch der Star im Spitzenteam für die Europawahl, werde hingegen wohl keine bedeutende Rolle mehr spielen, sagt ein gut informierter Liberaler.
Michel hatte am Wochenende seine Kandidatur für das Europaparlament angekündigt und damit Bewegung in den Personalpoker gebracht. Der frühere belgische Premier kann aber wohl nicht auf allzu große Sympathie im eigenen Lager zählen, sollte er sich erneut für einen der Topjobs in Stellung bringen. Seine Ankündigung erhöht aber den Druck auf Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, sich zu einer möglichen zweiten Amtszeit zu äußern.
Das Umfeld für die Liberalen ist alles andere als einfach: Die Mitgliedsparteien schwächeln in vielen Ländern, nicht nur in Deutschland. In Frankreich stellt der rechtsextreme Rassemblement National von Marine Le Pen in Europawahlumfragen die Partei von Präsident Emmanuel Macron deutlich in den Schatten. Ob die Berufung von Séjournés Lebenspartner Gabriel Attal zum neuen Ministerpräsidenten dem Macron-Lager neuen Schwung bringt, muss sich erst zeigen. In Spanien ist die Ciudadanos-Partei kollabiert, die aktuell noch sechs Abgeordnete stellt. Auch in den Niederlanden und den nordeuropäischen Mitgliedstaaten schneiden die liberalen Parteien derzeit nicht sonderlich gut ab.
Doch Séjourné zeigt sich kämpferisch. Er verweist etwa auf den Erfolg der Partei Polska 2050, die Teil der neuen polnischen Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk ist. Auch in der Slowakei, Rumänien und Bulgarien erstarkten liberale Kräfte. Er sei optimistisch, genügend Sitze zu erhalten, um weiter die Rolle des “Königsmachers” neben EVP und S&D spielen zu können, sagt Séjourné.
Dafür brauchen die Liberalen aber auch Erfolge in den bevölkerungsreichen Mitgliedstaaten. Die FDP setzt auf die Zugkraft ihrer Kandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die über pointierte Positionen viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Bei ihrem Auftritt in Brüssel teilte Strack-Zimmermann gegen Ungarns Premier Viktor Orbán aus und dessen Blockade bei der Unterstützung der Ukraine.
In Italien wiederum steht Renew aktuell mit nur zwei Abgeordneten fast blank da. Der frühere italienische Europastaatssekretär Sandro Gozi drängt die drei liberalen Parteien in Rom, sich auf eine Wahlliste zu einigen. “Viele Wähler wollen eine gemeinsame Liste, aber es ist eine Frage der Persönlichkeiten”, sagte er Table.Media. Eine Allianz der Italia Viva von Ex-Premier Matteo Renzi mit den anderen beiden Parteien könne acht bis neun Sitze erringen, glaubt der Abgeordnete, der für Macrons Liste Renaissance im Europaparlament sitzt.
Séjourné will zudem in der christdemokratischen Parteienfamilie wildern, insbesondere wenn EVP-Chef Manfred Weber nach der Wahl die Zusammenarbeit mit der rechten Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) vertiefen sollte. Dies könne einige Delegationen in der EVP-Fraktion dazu bewegen, sich Renew anzuschließen, so sein Kalkül.
Für seine Fraktion schließt Séjourné eine formalisierte Zusammenarbeit in einem Dreierbündnis mit EVP und EKR aus, “selbst wenn wir eine Mehrheit hätten”. Um als Partner infrage zu kommen, müsse die Gruppe um Giorgia Melonis Fratelli d’Italia zunächst “ihr Haus in Ordnung bringen”, sprich: besonders problematische Mitglieder hinauswerfen. Wie anschlussfähig die EKR sei, werde sich speziell bei der in einigen Wochen anstehenden Abstimmung über den Asyl- und Migrationspakt zeigen.
Auch im eigenen Lager will Séjourné keine Zusammenarbeit mit Extremisten dulden. Sollte in den Niederlanden die liberale VVD von Mark Rutte mit dem Wahlsieger Geert Wilders eine Regierung bilden, müsste der Fraktionschef also Konsequenzen ziehen. Doch die jüngsten Signale aus der VVD deuteten nicht darauf hin, dass es in absehbarer Zeit zu einer Zusammenarbeit kommen werde, heißt es in der Renew-Fraktion.
Es ist ein kometenhafter politischer Aufstieg, wie ihn Frankreich selten erlebt hat: Mit 34 Jahren ist Gabriel Attal am Dienstag zum jüngsten Premierminister des Landes ernannt worden. Er tritt die Nachfolge von Élisabeth Borne an, die am Montag ihren Rücktritt eingereicht hatte. Erst im Juli letzten Jahres wurde dieser Getreue unter den Getreuen von Präsident Macron zum Bildungsminister ernannt. Seitdem ist er zu einem der beliebtesten Minister in Frankreich geworden.
Es ist diese Popularität, die die Wahl des französischen Präsidenten erklärt: Mit seiner Ernennung hat sich Emmanuel Macron für eine politische Persönlichkeit entschieden, die in der Lage ist, seine Amtszeit, die nach der Verabschiedung der sehr umstrittenen Gesetze zur Rentenreform und zur Einwanderung an Schwung verloren hat, wieder in Gang zu bringen. Dieses Profil steht im Gegensatz zu den in Paris als eher technokratisch wahrgenommenen Profilen seiner Vorgänger Élisabeth Borne und Jean Castex.
Für Sandro Gozi, Mitglied des Europäischen Parlaments, der auf der Liste von Renaissance, dem französischen Zweig von Renew, steht, wird diese Nominierung Renaissance bei der nächsten Europawahl “politischen Auftrieb” verleihen. “Es wird einen Attal-Effekt geben“, prophezeite er in einem Gespräch mit Table Media.
Attal ist beauftragt, dem Präsidenten der Republik die Bildung einer Regierung vorzuschlagen, was voraussichtlich bis zum Ende dieser Woche geschehen wird. Weil die Zusammensetzung der neuen Regierung noch nicht feststeht, ist es “noch zu früh”, um zu sagen, wie sich die neue französische Regierung auf europäischer Ebene auswirken wird, sagte Stéphane Séjourné, Chef der Renew-Fraktion im Europäischen Parlament und im bürgerlichen Leben Lebensgefährte von Attal, vor der europäischen Presse am gestrigen Dienstag in Brüssel. “Was jedoch klar ist, ist, dass ich die politischen Führer unserer Fraktion bitten werde, sich so weit wie möglich an unserer Kampagne zu beteiligen”, fügte er hinzu.
Der 34-jährige Attal begann seine politische Karriere im Jahr 2012. Mit gerade mal Anfang 20 wurde der Pariser parlamentarischer Berater im Kabinett von Marisol Touraine, der damaligen sozialistischen Ministerin für soziale Angelegenheiten und Gesundheit. In dieser Position, die er bis 2017 innehatte, war er hauptsächlich für das Schreiben ihrer Reden zuständig. Anschließend war Gabriel Attal als Berater tätig. Gleichzeitig war er Stadtrat von Vanves, einer Stadt in der Nähe von Paris. Dort wurde er 2020 wiedergewählt.
Ursprünglich war Attal Mitglied der Sozialistischen Partei (PS), verließ die PS aber 2016 und schloss sich der Bewegung En Marche (LREM) an, als diese gegründet wurde. Im Juni 2017 wurde er für LREM zum Abgeordneten des Departements Hauts-de-Seine (neben Paris) gewählt. Er war Mitglied des Ausschusses für Kultur und Bildung der Nationalversammlung.
Im Januar 2018 wurde er Sprecher von LREM, bis er am 16. Oktober 2018 zum Staatssekretär für Jugend ernannt wurde. Im Juli 2020 wurde der aufstrebende Politiker dann zum Staatssekretär beim damaligen Premierminister Jean Castex und zum Regierungssprecher ernannt. 2021 wurde er in das Exekutivbüro der LREM aufgenommen.
Nachdem Emmanuel Macron im Mai 2022 für eine zweite Amtszeit gewählt wurde, wurde er zum beigeordneten Minister für öffentliche Finanzen in der Regierung von Élisabeth Borne ernannt. Im Juli 2023 wurde er zum jüngsten Minister für Bildung und Jugend ernannt. Während seiner Amtszeit ergriff er unter anderem Maßnahmen gegen das Tragen der Abaya, verstärkte den Kampf gegen Mobbing und kündigte einen “Wissensschock” (“Un choc des savoirs”), um die Beherrschung von Mathematik und Französisch zu stärken, sowie das gesamte Niveau der Schüler anzuheben.
Das zeitweise Überschreiten der 1,5-Grad-Marke bei der Klimaerwärmung ist für den Wissenschaftlichen Dienst des Europaparlaments eines der zehn wichtigsten Themen 2024. “Während Maßnahmen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen und zum verstärkten Abbau von Kohlendioxid nach wie vor von entscheidender Bedeutung sind, müssen die Anstrengungen zur Anpassung an den Klimawandel dringend verstärkt werden“, schreiben die Berater in einer am Dienstag veröffentlichten Analyse. Vorläufige Zahlen wurden bereits im Dezember kommuniziert.
Dem Thema Anpassung müsse die EU künftig ein ebenso hohes Gewicht beimessen wie dem Ziel der Klimaneutralität aus dem Green Deal. Nach neuesten Daten des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus war das Jahr 2023 das global wärmste seit Beginn der Messungen. Mit einem Plus von 1,48 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit lag es bereits nah an der Grenze von 1,5 Grad, die nach dem Paris-Abkommen möglichst nicht dauerhaft überschritten werden soll, wie aus der abschließenden Analyse vom Dienstag hervorgeht. Eine vorübergehende Überschreitung bezeichnen Wissenschaftler als Overshoot. ber
Die Wettbewerbsbehörde der EU nimmt die milliardenschwere Beteiligung des US-Softwarekonzerns Microsoft an OpenAI unter die Lupe. Die Europäische Kommission untersuche, ob die Beteiligung von Microsoft an dem Entwickler von ChatGPT auf der Grundlage der EU-Fusionskontrollverordnung geprüft werden könne. Das teilte die Kommission am Dienstag mit.
Außerdem hat die Kommission zur Einreichung von Beiträgen zum Wettbewerb in den Bereichen virtuelle Welten und generative künstliche Intelligenz aufgefordert und Auskunftsverlangen an mehrere bedeutende Akteure des digitalen Sektors gerichtet.
Der US-Softwarekonzern Microsoft hatte sich im vergangenen Jahr zu einer Investition von mehr als zehn Milliarden Dollar verpflichtet, ohne dabei eine stimmberechtigte Position im Vorstand von OpenAI einnehmen zu wollen. Microsoft besitzt nach eigenen Angaben keine Anteile an OpenAI. Anfang Dezember hatte bereits die britische Kartellaufsicht die Partnerschaft zwischen Microsoft und OpenAI geprüft. Sie wollte untersuchen, ob die Investitionen des US-Softwarekonzerns einer Übernahme gleichkämen.
Zum Vergleich: In der EU gab es im Jahr 2023 schätzungsweise mehr als 7,2 Milliarden Euro Risikokapitalinvestitionen in KI, wie die Kommission mitteilte. Der Markt für virtuelle Welten in Europa hat demnach 2023 ein geschätztes Volumen von mehr als elf Milliarden Euro erreicht. “Beide Technologien dürften in den kommenden Jahren exponentiell wachsen und erhebliche Auswirkungen auf die Wettbewerbstätigkeit der Unternehmen haben”, erwartet die Kommission.
Die EU müsse den Wettbewerb auf den neuen Märkten virtuelle Welten und generative KI schützen, sagte die für Wettbewerbspolitik zuständige Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager. “Wir fordern Unternehmen und Branchenexperten auf, uns über etwaige Wettbewerbsprobleme in diesen Bereichen zu informieren.” Gleichzeitig nehme die Kommission KI-Partnerschaften unter die Lupe, um sicherzustellen, “dass sie die Marktdynamik nicht übermäßig verzerren”.
Die Kommission bittet alle Interessierten, “ihre Erfahrungen und Einschätzungen zum Wettbewerb in Bezug auf virtuelle Welten und generative KI mitzuteilen sowie Vorschläge zu übermitteln, wie das Wettbewerbsrecht zum Schutz des Wettbewerbs auf diesen neuen Märkten beitragen kann”. Anschließend wird sie möglicherweise im zweiten Quartal 2024 einen Workshop veranstalten, um weitere Fragen zu erörtern. Interessenträger sind aufgefordert, ihre Beiträge bis zum 11. März 2024 einzureichen. vis
Die Verhandlungen zwischen Rat und Parlament über den Vorschlag der Kommission für CO₂-Flottengrenzwerte von schweren Nutzfahrzeugen beginnen auf politischer Ebene am 18. Januar. Die belgische Ratspräsidentschaft hat eine Verhandlungslinie skizziert und um die Unterstützung der EU-Botschafter gebeten.
Aus dem Kompromissvorschlag, der Table.Media vorliegt, geht hervor, dass der Rat nur sehr bedingt bereit ist, auf die Forderungen des Parlaments zuzugehen. Die Mitgliedstaaten sähen etwa keine Möglichkeit, bei den Stadtbussen sowie bei den CO₂-neutralen Kraftstoffen und beim Korrekturfaktor für Kohlenstoffe Kompromisse zu machen. Beobachter rechnen damit, dass erst der zweite Trilog, der im Februar angesetzt ist, Bewegung in die Verhandlungen bringt. mgr
Lucía Caudet gibt gerne den Takt an. Die leidenschaftliche Schlagzeugerin arbeitet als Vize-Kabinettschefin bei EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Zusammen mit einem 17-köpfigen Team organisiert sie sein XXL-Themenspektrum. Aktuell ganz oben auf ihrer Agenda: die großen Digitalplattformen an ihre neuen Pflichten aus dem Digital Services Act (DSA) erinnern. Wenn sie ihren Kindern Fotos mit Chefs der Tech-Konzerne zeigt, sind die plötzlich ganz interessiert an ihrer Arbeit.
Am Beispiel der Regulierung von Instagram und anderen Plattformen werde für viele nachvollziehbar, was die Kommission macht. Caudet wurde 1976 als Kind deutsch-spanischer Eltern in Los Angeles geboren – nur ein paar Stunden Autofahrt vom Silicon Valley entfernt. Als sie vier Jahre alt war, zog es ihre Familie nach Südfrankreich. Später ging sie in Madrid auf eine deutsche Schule. Zu Sprachen habe sie deshalb einen besonderen Zugang. “Ich habe das Glück, dass ich mit Menschen verschiedener Kulturen kommunizieren kann.”
Nach der Schule wollte sie eigentlich Journalistin werden. Für eine breite Grundlage studierte sie Jura und EU- Recht. Ihr erster Job führte sie direkt in das Herz der EU: Ab 2000 arbeitete sie bei der Union Europäischer Föderalisten, die für eine europäische Verfassung kämpften. In den Folgejahren kümmerte sie sich als Sprecherin beim Versicherungsverband Insurance Europe um die Kommunikation von Risiken und beim PR-Unternehmen GPlus Europe um Finanzthemen.
Als Lobbyistin habe sie sich dabei nicht gesehen: “Ich wurde hauptsächlich dafür bezahlt, Brüssel zu erklären.” Mit der Kommission von Jean-Claude Juncker wurde Brüssel-Erklärerin auch ihre offizielle Mission. Caudet erläuterte als Mitglied im Sprecherteam die Politik der EU-Kommission. “Da man die Positionen selbst formuliert, macht man durch die Kommunikation ein Stück weit auch Politik”, berichtet Caudet. Es ist also nicht richtig, dass Pressesprecher der Kommission nur Sprechzettel verlesen.
2019 rückte sie noch näher heran an die Politik. Breton wurde Binnenmarktkommissar und damit zuständig für die Industriepolitik. Der Franzose, der zuvor CEO-Funktionen in der Industrie hatte, holte Caudet als Vize-Kabinettschefin in sein Team. “Wir diskutieren ständig”, sagt Caudet über ihr Verhältnis zu Breton. “Er hat immer eine offene Tür.” Kommunikation sei immer noch ein wesentlicher Teil ihres Jobs. In den vergangenen Wochen schickten sie und ihr Team Briefe an X, Meta, AliExpress, Tiktok, Youtube, Snap und Amazon. Wie kommen sie mit den seit August in Kraft getretenen DSA-Regeln klar?
“Wir sehen viele Fortschritte”, zieht Caudet Zwischenbilanz. “Das heißt aber nicht, dass sie ausreichend sind.” Ab Februar müssen auch “kleinere” Plattformen mit weniger als 45 Millionen Nutzern die Verpflichtungen einhalten. Caudet ist selbst auf Social Media aktiv. Medienberichte, in denen Ex-Open-AI-Chef Sam Altman mehr Regulierung für künstliche Intelligenz fordert, kommentiert sie schon mal mit einem Meme: “Anschnallen!”, heißt es darin. Paul Meerkamp
das Europäische Parlament erhöht den Druck auf Viktor Orbán. In der ersten Sitzungswoche des Jahres dürfte eine Mehrheit der Abgeordneten nächste Woche in Straßburg grünes Licht geben für den Bericht von Katarina Barley (SPD) zu den Grundrechten in der EU. Erstmals würde das Parlament damit den Rat auffordern, ein Verfahren nach Artikel 7 gegen den Mitgliedstaat Ungarn einzuleiten wegen “gravierender und andauernder Verstöße gegen EU-Werte”. Das steht in dem Bericht, den Vize-Präsidentin Barley mit viel Rückenwind im Libe-Ausschuss für bürgerliche Freiheiten (35 Ja- bei sechs Nein-Stimmen) durchgebracht hat. Das Verfahren wäre der erste Schritt, um die Daumenschrauben gegen Orbán weiter anzuziehen: Streichung von bestimmten Rechten des Mitgliedstaates samt der Stimmrechte im Rat.
Nun verfolgt der finnische Abgeordnete Petri Sarvamaa von der christdemokratischen EVP-Fraktion eine ganz ähnlich gelagerte Mission. Er sammelt Unterschriften bei seinen Abgeordneten-Kollegen für seinen Brief an Parlamentspräsidentin Roberta Metsola, den er auch auf der Plattform X gepostet hat. In dem Schreiben, er nennt es eine Petition, prangert er an, in Ungarn unter Orbán sei es zur “Erosion der Rechtsstaatlichkeit” gekommen.
Der Abgeordnete will bezwecken, dass Metsola ebenfalls Rat oder Kommission auffordert, ein Verfahren gegen Ungarn nach Artikel 7 einzuleiten. Nach Ungarns Vorstößen, die Entscheidungsfindung beim Europäischen Rat im Dezember zu unterbrechen, sei es höchste Zeit für das Europäische Parlament zu handeln. Daniel Freund von den Grünen, der sich seit seinem Einzug ins Europäische Parlament vor fünf Jahren für eine härtere Gangart gegen Orbán einsetzt, unterstützt auf der Plattform X die Unterschriftenaktion des EVP-Politikers.
Man fragt sich, warum der EVP-Abgeordnete Unterschriften sammelt, wenn doch der Barley-Bericht weitergehend und verbindlicher ist. Gut möglich, dass er nichts von ihrem Grundrechtebericht weiß. Schließlich ist er Haushälter und sitzt im Agrarausschuss. Oder er denkt praktisch. Nach dem Motto doppelt genäht hält besser. Hauptsache, das Parlament stimmt nächste Woche mit einer starken Stimme. Kommen Sie gut durch den Tag.
Stéphane Séjourné wählt deutliche Worte: “Das Risiko eines unregierbaren Europas ist real”, warnt der Fraktionschef der liberalen Renew-Fraktion im Europaparlament am Dienstag. Populisten und rechtsradikale Parteien könnten bei der Europawahl im Juni genug Sitze erringen, um ein handlungsfähiges Bündnis proeuropäischer Kräfte zu verhindern. Die von ihm angestrebte Fortsetzung der sogenannten Von-der-Leyen-Koalition aus EVP, Sozialdemokraten und Liberalen sei nicht gesichert, mahnt er.
Séjournés Renew-Fraktion könnte selbst zu den großen Verlierern eines möglichen Rechtsrucks gehören. EU-weite Auswertungen von Umfragen sagen ein halbes Jahr vor dem Urnengang voraus, dass die Liberalen von ihren aktuell 101 Sitzen zehn bis 20 verlieren könnten. Sowohl die Rechtsaußen-Fraktion ID als auch die nationalkonservative EKR könnten womöglich an der bislang drittgrößten Gruppe im Straßburger Parlament vorbeiziehen.
Noch aber hat der Europawahlkampf gar nicht begonnen. Um die Parteienfamilie auf die kommenden Monate und eine dezidiert proeuropäische Linie einzustimmen, hatte Séjourné am Dienstag die Spitzenkandidaten aus mehreren Mitgliedsländern zu einer Großveranstaltung nach Brüssel geladen. Wahlmanifest und das personelle Aufgebot für die zu vergebenen Top-Jobs auf EU-Ebene werden aber voraussichtlich erst eine Woche vor Ostern beschlossen, wenn mit der ALDE die größere der beiden liberalen Parteienfamilien zum Kongress nach Brüssel lädt.
Séjourné plädiert für ein selbstbewusstes Auftreten: Die Liberalen sollten eigene Kandidaten für die drei wichtigsten Posten aufbieten, die Spitzen von EU-Kommission, Europäischem Rat und Europaparlament, sagt er. Persönlichkeiten mit dem nötigen Format habe man.
Bei den Liberalen werden unter anderem die estnische Regierungschefin Kaja Kallas, der Luxemburger Ex-Premier Xavier Bettel und der scheidende Ratspräsident Charles Michel als Interessenten gehandelt. Kommissionsvize Margrethe Vestager, 2019 noch der Star im Spitzenteam für die Europawahl, werde hingegen wohl keine bedeutende Rolle mehr spielen, sagt ein gut informierter Liberaler.
Michel hatte am Wochenende seine Kandidatur für das Europaparlament angekündigt und damit Bewegung in den Personalpoker gebracht. Der frühere belgische Premier kann aber wohl nicht auf allzu große Sympathie im eigenen Lager zählen, sollte er sich erneut für einen der Topjobs in Stellung bringen. Seine Ankündigung erhöht aber den Druck auf Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, sich zu einer möglichen zweiten Amtszeit zu äußern.
Das Umfeld für die Liberalen ist alles andere als einfach: Die Mitgliedsparteien schwächeln in vielen Ländern, nicht nur in Deutschland. In Frankreich stellt der rechtsextreme Rassemblement National von Marine Le Pen in Europawahlumfragen die Partei von Präsident Emmanuel Macron deutlich in den Schatten. Ob die Berufung von Séjournés Lebenspartner Gabriel Attal zum neuen Ministerpräsidenten dem Macron-Lager neuen Schwung bringt, muss sich erst zeigen. In Spanien ist die Ciudadanos-Partei kollabiert, die aktuell noch sechs Abgeordnete stellt. Auch in den Niederlanden und den nordeuropäischen Mitgliedstaaten schneiden die liberalen Parteien derzeit nicht sonderlich gut ab.
Doch Séjourné zeigt sich kämpferisch. Er verweist etwa auf den Erfolg der Partei Polska 2050, die Teil der neuen polnischen Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk ist. Auch in der Slowakei, Rumänien und Bulgarien erstarkten liberale Kräfte. Er sei optimistisch, genügend Sitze zu erhalten, um weiter die Rolle des “Königsmachers” neben EVP und S&D spielen zu können, sagt Séjourné.
Dafür brauchen die Liberalen aber auch Erfolge in den bevölkerungsreichen Mitgliedstaaten. Die FDP setzt auf die Zugkraft ihrer Kandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die über pointierte Positionen viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Bei ihrem Auftritt in Brüssel teilte Strack-Zimmermann gegen Ungarns Premier Viktor Orbán aus und dessen Blockade bei der Unterstützung der Ukraine.
In Italien wiederum steht Renew aktuell mit nur zwei Abgeordneten fast blank da. Der frühere italienische Europastaatssekretär Sandro Gozi drängt die drei liberalen Parteien in Rom, sich auf eine Wahlliste zu einigen. “Viele Wähler wollen eine gemeinsame Liste, aber es ist eine Frage der Persönlichkeiten”, sagte er Table.Media. Eine Allianz der Italia Viva von Ex-Premier Matteo Renzi mit den anderen beiden Parteien könne acht bis neun Sitze erringen, glaubt der Abgeordnete, der für Macrons Liste Renaissance im Europaparlament sitzt.
Séjourné will zudem in der christdemokratischen Parteienfamilie wildern, insbesondere wenn EVP-Chef Manfred Weber nach der Wahl die Zusammenarbeit mit der rechten Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) vertiefen sollte. Dies könne einige Delegationen in der EVP-Fraktion dazu bewegen, sich Renew anzuschließen, so sein Kalkül.
Für seine Fraktion schließt Séjourné eine formalisierte Zusammenarbeit in einem Dreierbündnis mit EVP und EKR aus, “selbst wenn wir eine Mehrheit hätten”. Um als Partner infrage zu kommen, müsse die Gruppe um Giorgia Melonis Fratelli d’Italia zunächst “ihr Haus in Ordnung bringen”, sprich: besonders problematische Mitglieder hinauswerfen. Wie anschlussfähig die EKR sei, werde sich speziell bei der in einigen Wochen anstehenden Abstimmung über den Asyl- und Migrationspakt zeigen.
Auch im eigenen Lager will Séjourné keine Zusammenarbeit mit Extremisten dulden. Sollte in den Niederlanden die liberale VVD von Mark Rutte mit dem Wahlsieger Geert Wilders eine Regierung bilden, müsste der Fraktionschef also Konsequenzen ziehen. Doch die jüngsten Signale aus der VVD deuteten nicht darauf hin, dass es in absehbarer Zeit zu einer Zusammenarbeit kommen werde, heißt es in der Renew-Fraktion.
Es ist ein kometenhafter politischer Aufstieg, wie ihn Frankreich selten erlebt hat: Mit 34 Jahren ist Gabriel Attal am Dienstag zum jüngsten Premierminister des Landes ernannt worden. Er tritt die Nachfolge von Élisabeth Borne an, die am Montag ihren Rücktritt eingereicht hatte. Erst im Juli letzten Jahres wurde dieser Getreue unter den Getreuen von Präsident Macron zum Bildungsminister ernannt. Seitdem ist er zu einem der beliebtesten Minister in Frankreich geworden.
Es ist diese Popularität, die die Wahl des französischen Präsidenten erklärt: Mit seiner Ernennung hat sich Emmanuel Macron für eine politische Persönlichkeit entschieden, die in der Lage ist, seine Amtszeit, die nach der Verabschiedung der sehr umstrittenen Gesetze zur Rentenreform und zur Einwanderung an Schwung verloren hat, wieder in Gang zu bringen. Dieses Profil steht im Gegensatz zu den in Paris als eher technokratisch wahrgenommenen Profilen seiner Vorgänger Élisabeth Borne und Jean Castex.
Für Sandro Gozi, Mitglied des Europäischen Parlaments, der auf der Liste von Renaissance, dem französischen Zweig von Renew, steht, wird diese Nominierung Renaissance bei der nächsten Europawahl “politischen Auftrieb” verleihen. “Es wird einen Attal-Effekt geben“, prophezeite er in einem Gespräch mit Table Media.
Attal ist beauftragt, dem Präsidenten der Republik die Bildung einer Regierung vorzuschlagen, was voraussichtlich bis zum Ende dieser Woche geschehen wird. Weil die Zusammensetzung der neuen Regierung noch nicht feststeht, ist es “noch zu früh”, um zu sagen, wie sich die neue französische Regierung auf europäischer Ebene auswirken wird, sagte Stéphane Séjourné, Chef der Renew-Fraktion im Europäischen Parlament und im bürgerlichen Leben Lebensgefährte von Attal, vor der europäischen Presse am gestrigen Dienstag in Brüssel. “Was jedoch klar ist, ist, dass ich die politischen Führer unserer Fraktion bitten werde, sich so weit wie möglich an unserer Kampagne zu beteiligen”, fügte er hinzu.
Der 34-jährige Attal begann seine politische Karriere im Jahr 2012. Mit gerade mal Anfang 20 wurde der Pariser parlamentarischer Berater im Kabinett von Marisol Touraine, der damaligen sozialistischen Ministerin für soziale Angelegenheiten und Gesundheit. In dieser Position, die er bis 2017 innehatte, war er hauptsächlich für das Schreiben ihrer Reden zuständig. Anschließend war Gabriel Attal als Berater tätig. Gleichzeitig war er Stadtrat von Vanves, einer Stadt in der Nähe von Paris. Dort wurde er 2020 wiedergewählt.
Ursprünglich war Attal Mitglied der Sozialistischen Partei (PS), verließ die PS aber 2016 und schloss sich der Bewegung En Marche (LREM) an, als diese gegründet wurde. Im Juni 2017 wurde er für LREM zum Abgeordneten des Departements Hauts-de-Seine (neben Paris) gewählt. Er war Mitglied des Ausschusses für Kultur und Bildung der Nationalversammlung.
Im Januar 2018 wurde er Sprecher von LREM, bis er am 16. Oktober 2018 zum Staatssekretär für Jugend ernannt wurde. Im Juli 2020 wurde der aufstrebende Politiker dann zum Staatssekretär beim damaligen Premierminister Jean Castex und zum Regierungssprecher ernannt. 2021 wurde er in das Exekutivbüro der LREM aufgenommen.
Nachdem Emmanuel Macron im Mai 2022 für eine zweite Amtszeit gewählt wurde, wurde er zum beigeordneten Minister für öffentliche Finanzen in der Regierung von Élisabeth Borne ernannt. Im Juli 2023 wurde er zum jüngsten Minister für Bildung und Jugend ernannt. Während seiner Amtszeit ergriff er unter anderem Maßnahmen gegen das Tragen der Abaya, verstärkte den Kampf gegen Mobbing und kündigte einen “Wissensschock” (“Un choc des savoirs”), um die Beherrschung von Mathematik und Französisch zu stärken, sowie das gesamte Niveau der Schüler anzuheben.
Das zeitweise Überschreiten der 1,5-Grad-Marke bei der Klimaerwärmung ist für den Wissenschaftlichen Dienst des Europaparlaments eines der zehn wichtigsten Themen 2024. “Während Maßnahmen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen und zum verstärkten Abbau von Kohlendioxid nach wie vor von entscheidender Bedeutung sind, müssen die Anstrengungen zur Anpassung an den Klimawandel dringend verstärkt werden“, schreiben die Berater in einer am Dienstag veröffentlichten Analyse. Vorläufige Zahlen wurden bereits im Dezember kommuniziert.
Dem Thema Anpassung müsse die EU künftig ein ebenso hohes Gewicht beimessen wie dem Ziel der Klimaneutralität aus dem Green Deal. Nach neuesten Daten des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus war das Jahr 2023 das global wärmste seit Beginn der Messungen. Mit einem Plus von 1,48 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit lag es bereits nah an der Grenze von 1,5 Grad, die nach dem Paris-Abkommen möglichst nicht dauerhaft überschritten werden soll, wie aus der abschließenden Analyse vom Dienstag hervorgeht. Eine vorübergehende Überschreitung bezeichnen Wissenschaftler als Overshoot. ber
Die Wettbewerbsbehörde der EU nimmt die milliardenschwere Beteiligung des US-Softwarekonzerns Microsoft an OpenAI unter die Lupe. Die Europäische Kommission untersuche, ob die Beteiligung von Microsoft an dem Entwickler von ChatGPT auf der Grundlage der EU-Fusionskontrollverordnung geprüft werden könne. Das teilte die Kommission am Dienstag mit.
Außerdem hat die Kommission zur Einreichung von Beiträgen zum Wettbewerb in den Bereichen virtuelle Welten und generative künstliche Intelligenz aufgefordert und Auskunftsverlangen an mehrere bedeutende Akteure des digitalen Sektors gerichtet.
Der US-Softwarekonzern Microsoft hatte sich im vergangenen Jahr zu einer Investition von mehr als zehn Milliarden Dollar verpflichtet, ohne dabei eine stimmberechtigte Position im Vorstand von OpenAI einnehmen zu wollen. Microsoft besitzt nach eigenen Angaben keine Anteile an OpenAI. Anfang Dezember hatte bereits die britische Kartellaufsicht die Partnerschaft zwischen Microsoft und OpenAI geprüft. Sie wollte untersuchen, ob die Investitionen des US-Softwarekonzerns einer Übernahme gleichkämen.
Zum Vergleich: In der EU gab es im Jahr 2023 schätzungsweise mehr als 7,2 Milliarden Euro Risikokapitalinvestitionen in KI, wie die Kommission mitteilte. Der Markt für virtuelle Welten in Europa hat demnach 2023 ein geschätztes Volumen von mehr als elf Milliarden Euro erreicht. “Beide Technologien dürften in den kommenden Jahren exponentiell wachsen und erhebliche Auswirkungen auf die Wettbewerbstätigkeit der Unternehmen haben”, erwartet die Kommission.
Die EU müsse den Wettbewerb auf den neuen Märkten virtuelle Welten und generative KI schützen, sagte die für Wettbewerbspolitik zuständige Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager. “Wir fordern Unternehmen und Branchenexperten auf, uns über etwaige Wettbewerbsprobleme in diesen Bereichen zu informieren.” Gleichzeitig nehme die Kommission KI-Partnerschaften unter die Lupe, um sicherzustellen, “dass sie die Marktdynamik nicht übermäßig verzerren”.
Die Kommission bittet alle Interessierten, “ihre Erfahrungen und Einschätzungen zum Wettbewerb in Bezug auf virtuelle Welten und generative KI mitzuteilen sowie Vorschläge zu übermitteln, wie das Wettbewerbsrecht zum Schutz des Wettbewerbs auf diesen neuen Märkten beitragen kann”. Anschließend wird sie möglicherweise im zweiten Quartal 2024 einen Workshop veranstalten, um weitere Fragen zu erörtern. Interessenträger sind aufgefordert, ihre Beiträge bis zum 11. März 2024 einzureichen. vis
Die Verhandlungen zwischen Rat und Parlament über den Vorschlag der Kommission für CO₂-Flottengrenzwerte von schweren Nutzfahrzeugen beginnen auf politischer Ebene am 18. Januar. Die belgische Ratspräsidentschaft hat eine Verhandlungslinie skizziert und um die Unterstützung der EU-Botschafter gebeten.
Aus dem Kompromissvorschlag, der Table.Media vorliegt, geht hervor, dass der Rat nur sehr bedingt bereit ist, auf die Forderungen des Parlaments zuzugehen. Die Mitgliedstaaten sähen etwa keine Möglichkeit, bei den Stadtbussen sowie bei den CO₂-neutralen Kraftstoffen und beim Korrekturfaktor für Kohlenstoffe Kompromisse zu machen. Beobachter rechnen damit, dass erst der zweite Trilog, der im Februar angesetzt ist, Bewegung in die Verhandlungen bringt. mgr
Lucía Caudet gibt gerne den Takt an. Die leidenschaftliche Schlagzeugerin arbeitet als Vize-Kabinettschefin bei EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Zusammen mit einem 17-köpfigen Team organisiert sie sein XXL-Themenspektrum. Aktuell ganz oben auf ihrer Agenda: die großen Digitalplattformen an ihre neuen Pflichten aus dem Digital Services Act (DSA) erinnern. Wenn sie ihren Kindern Fotos mit Chefs der Tech-Konzerne zeigt, sind die plötzlich ganz interessiert an ihrer Arbeit.
Am Beispiel der Regulierung von Instagram und anderen Plattformen werde für viele nachvollziehbar, was die Kommission macht. Caudet wurde 1976 als Kind deutsch-spanischer Eltern in Los Angeles geboren – nur ein paar Stunden Autofahrt vom Silicon Valley entfernt. Als sie vier Jahre alt war, zog es ihre Familie nach Südfrankreich. Später ging sie in Madrid auf eine deutsche Schule. Zu Sprachen habe sie deshalb einen besonderen Zugang. “Ich habe das Glück, dass ich mit Menschen verschiedener Kulturen kommunizieren kann.”
Nach der Schule wollte sie eigentlich Journalistin werden. Für eine breite Grundlage studierte sie Jura und EU- Recht. Ihr erster Job führte sie direkt in das Herz der EU: Ab 2000 arbeitete sie bei der Union Europäischer Föderalisten, die für eine europäische Verfassung kämpften. In den Folgejahren kümmerte sie sich als Sprecherin beim Versicherungsverband Insurance Europe um die Kommunikation von Risiken und beim PR-Unternehmen GPlus Europe um Finanzthemen.
Als Lobbyistin habe sie sich dabei nicht gesehen: “Ich wurde hauptsächlich dafür bezahlt, Brüssel zu erklären.” Mit der Kommission von Jean-Claude Juncker wurde Brüssel-Erklärerin auch ihre offizielle Mission. Caudet erläuterte als Mitglied im Sprecherteam die Politik der EU-Kommission. “Da man die Positionen selbst formuliert, macht man durch die Kommunikation ein Stück weit auch Politik”, berichtet Caudet. Es ist also nicht richtig, dass Pressesprecher der Kommission nur Sprechzettel verlesen.
2019 rückte sie noch näher heran an die Politik. Breton wurde Binnenmarktkommissar und damit zuständig für die Industriepolitik. Der Franzose, der zuvor CEO-Funktionen in der Industrie hatte, holte Caudet als Vize-Kabinettschefin in sein Team. “Wir diskutieren ständig”, sagt Caudet über ihr Verhältnis zu Breton. “Er hat immer eine offene Tür.” Kommunikation sei immer noch ein wesentlicher Teil ihres Jobs. In den vergangenen Wochen schickten sie und ihr Team Briefe an X, Meta, AliExpress, Tiktok, Youtube, Snap und Amazon. Wie kommen sie mit den seit August in Kraft getretenen DSA-Regeln klar?
“Wir sehen viele Fortschritte”, zieht Caudet Zwischenbilanz. “Das heißt aber nicht, dass sie ausreichend sind.” Ab Februar müssen auch “kleinere” Plattformen mit weniger als 45 Millionen Nutzern die Verpflichtungen einhalten. Caudet ist selbst auf Social Media aktiv. Medienberichte, in denen Ex-Open-AI-Chef Sam Altman mehr Regulierung für künstliche Intelligenz fordert, kommentiert sie schon mal mit einem Meme: “Anschnallen!”, heißt es darin. Paul Meerkamp