Table.Briefing: Europe

Leitlinien gegen Desinformation + Abstimmung zum Ukrainehandel + Tax-Credit-Verkäufe als Geschäftsmodell

Liebe Leserin, lieber Leser,

einige der ältesten Universitäten der Welt befinden sich in der EU. Etwa Salerno, wo die medizinische Ausbildung systematisiert, und von dort aus in andere Länder Europas weitergetragen wurde. Damit die Universitäten der EU auch in Zukunft vom gemeinsamen Austausch profitieren, will die Kommission heute mehrere Bausteine aus ihrem Higher Education Package vorlegen.

Darunter eine Initiative für einen gemeinsamen europäischen Abschluss und zwei Kommissionsvorschläge zu Empfehlungen des Rates über attraktive und nachhaltige Laufbahnen in der Hochschulbildung sowie für ein europäisches Qualitätssicherungs- und Anerkennungssystem.

In Sachen gemeinsamer europäischer Abschluss etwa schreibt die Kommission: Es habe sich gezeigt, dass es noch immer schwierig sei, gemeinsame Programme und Abschlüsse anzubieten, an denen Hochschuleinrichtungen aus mehreren Ländern beteiligt sind. Das zu ändern, ist das selbsterklärte “Vorzeigeprojekt” auf dem Gebiet. Immerhin haben sich die EU-Mitgliedstaaten das Ziel gesetzt, dass bis 2030 mehr als 45 Prozent der 25- bis 34-Jährigen einen Hochschulabschluss erwerben sollen. Auch das ginge so sicherlich einfacher.

Bei uns können Sie sich auch mit der heutigen Ausgabe wie immer außeruniversitär bilden, das ist ja auch was!

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Alina Leimbach
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Analyse

DSA-Guidelines: So sollen Digitalplattformen Desinformation verhindern

Die EU-Kommission hat Leitlinien vorgelegt, wie sich große Plattformbetreiber gemäß dem Digital Services Acts (DSA) auf die anstehenden Wahlen in Hinblick auf Desinformation und Einflussnahme vorbereiten sollten. Die Regeln sind nicht verbindlich, haben Empfehlungscharakter.

Der DSA verpflichtet die größten Anbieter in Artikel 34 und 35, durch ihre jeweiligen Modelle entstehende Risiken zu identifizieren und diese zu mindern. Genaue Vorgaben gibt es dazu jedoch nicht und auch die Leitlinien sind dabei als Hilfestellung seitens der Kommission zu verstehen. Da die EU-Kommission aber zugleich die Aufsichtsbehörde für die größten Anbieter ist, wohnt den Leitlinien ein erhöhtes Maß an Verbindlichkeit inne.

Nachdrückliche Empfehlungen der Aufsichtsbehörde

Anlass sind insbesondere die Europawahlen Anfang Juni. Es ist die zweitgrößte demokratische Wahl der Welt, nach den indischen Wahlen: Etwa 350 Millionen Wahlberechtigte, davon gut 60 Millionen EU-Bürger ab 16 Jahren in Deutschland, können dann ihre Stimme abgeben.

Eine Herausforderung für die Plattformbetreiber, eine so große Wahl auch in ihrem Zuständigkeitsbereich abzusichern – denn nicht nur die reine Größe ist beeindruckend, auch die Unterschiede bei Wahlsystem, Parteiensystem und Wahltermin zwischen den Mitgliedstaaten.

Diese Diversität ist ein Grund, warum die EU-Kommission als Digital-Services-Act-Aufsichtsbehörde den größten Plattformen nachdrücklich ans Herz legt, sicherzustellen, dass sie ihre internen Prozesse auf nationale, regionale oder lokale Besonderheiten ausrichten. Dabei sollen sie insbesondere auch ausreichend Mitarbeiter mit lokalen Sprachkenntnissen und Kenntnissen zu den jeweiligen Besonderheiten des Wahllandes bereithalten.

Sie sollten zudem rechtzeitig vor der Wahl intern zuständige Teams benennen. Dieses soll Expertise sowohl für die Inhaltemoderation, für ein Fact-Checking, beim Gegenwirken gegen bei Bedrohungslagen, Cybersicherheit, Desinformation, ausländischen Einflussnahmeversuchen (FIMI), Grundrechten und öffentlichen Beteiligungsprozessen aufweisen. Außerdem sollen die Plattformen in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf Sondermaßnahmen im Wahlkontext und deren Dauer hinweisen. Mindestens einen Monat vor dem Wahltermin und mindestens einen Monat danach sollten die Maßnahmen durchgeführt werden.

Die Kommission empfiehlt den Plattformen zudem weitere Maßnahmen: etwa eine klare Kennzeichnung offizieller Accounts – etwa von staatlichen Stellen und Wahlleitungen, aber auch von staatlichen Stellen dritter Staaten. Auch bei Empfehlungssystemen gibt die Kommission nach intensiven Beratungen mit den Betreibern klare Guidance: Diese sollten etwa daraufhin eingestellt werden, Desinformation nicht weiter zu befeuern, sondern zu depriorisieren, wenn sie als unwahr oder von Wiederholungstätern kommend festgestellt wurde. Ebenfalls soll die automatisierte Amplifizierung von KI-generierten Inhalten im Wahlkontext begrenzt werden. Zudem sollen KI-Inhalte als solche gekennzeichnet werden – und die Nutzung von generativen KI-Systemen ständig überwacht werden, um gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen zu können.

Kein Geld für Falschinformation

Zwei Vorgaben sollen zudem die Attraktivität von Fehlinformationen im Wahlkontext verringern: Einmal sollen Influencer auf den Plattformen darlegen, ob und inwieweit sie politische Werbung betreiben und in wessen Auftrag. Zum Anderen sollen Desinformation, Hass, Radikalisierung und extremistische Inhalte von der Monetarisierung ausgeschlossen werden.

Im Vorgriff auf das noch nicht verabschiedete Gesetz zur Regulierung politischer Werbung ruft die Kommission die Betreiber zudem dazu auf, politische Werbung klar zu kennzeichnen und sich auf das Inkrafttreten dieser Gesetzgebung vorzubereiten. De facto also dem Gesetzestext vor dessen Verabschiedung bereits zu entsprechen.

Vorbildwirkung für den Rest der Welt?

Ob sich die neuen Vorgaben in der Praxis bewähren, ist dabei offen. Vieles davon geht auf bisherige Verfahrensweisen bei einzelnen Anbietern zurück. “Natürlich ist das Ziel dieser Leitlinien, dass wir mit ihnen bei den anstehenden Europaparlamentswahlen besser geschützt sind – etwa vor eventuellen Deep Fakes – und besser mit ausländischer Desinformationskampagne umgehen können”, sagt Renate Nikolay, stellvertretende Generaldirektorin der DG Connect.

Die Europawahl stehe unter besonderer Beobachtung, andere demokratische Staaten mit anstehenden Wahlen – etwa in den USA oder Brasilien – würden sehr genau verfolgen, “wie wir mit Gefahren umgehen, die uns etwa auf dem Weg zu den Europawahlen begegnen können, und wie wir unsere neuen Regeln bestens nutzen, um uns zu schützen.”

Die meisten großen Plattformen hatten sich bereits vorher dem sogenannten Code of Practice gegen Desinformation verschrieben. Einzig Elon Musks Plattform X stieg nach dem Kauf durch den exzentrischen Milliardär aus der Selbstverpflichtung aus. Für Ende April plant die Kommission einen Stresstest mit den Betreibern. Die nun vorgestellten Leitlinien können jederzeit angepasst werden. Die Kommission hatte in den vergangenen Wochen gleich gegen mehrere Anbieter formelle Verfahren eröffnet, weil sie glaubt, dass diese ihren Pflichten unter dem DSA nicht ausreichend nachgekommen sind.

Alle Texte zu den Europawahlen 2024 finden Sie hier.

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USA: Handel mit Steuergutschriften bringt Liquidität für Cleantech

Auf die jüngste Transaktion ist man bei First Solar besonders stolz. Schließlich ist sie nicht weniger als eine der Ersten ihrer Art. Für bis zu 700 Millionen Dollar will der amerikanische Photovoltaikhersteller ihm zustehende Steuergutschriften veräußern. Der Käufer, US-Finanzdienstleister Fiserv, zahlt 96 Cent für jeden Dollar, den sich First Solar beim Staat erstatten lassen könnte. Firmenchef Mark Widmar sieht sich damit als Vorreiter. “Diese Vereinbarung schafft einen wichtigen Präzedenzfall für die Solarbranche”, sagt er

Der Handel mit Tax Credits wird zum Milliardenmarkt

Mit milliardenschweren Förderungen aus dem Inflation Reduction Act lockt die US-Regierung derzeit Privatkapital für grüne Technologien an. Investieren Unternehmen beispielsweise in erneuerbare Energieprojekte, qualifizieren sie sich für üppige Steuergutschriften. In der EU schaut man neidisch auf den Mechanismus des IRA, der es den Unternehmen einfach macht, an Unterstützung zu kommen.

Ein weiterer Vorteil des IRA liegt darin, dass die Subventionsempfänger nicht gezwungen sind, die Ansprüche auch selbst einzulösen. Sie können ihre Gutschriften niedrigschwellig weiterverkaufen, nachdem die US-Regierung den Prozess dafür im vergangenen Jahr erleichtert hat. Die Maßnahme zeigt bereits Wirkung: Der Handel mit den Tax Credits wächst zu einem Multimilliardenmarkt heran. Experten sehen darin besonders für Startups im Cleantech-Bereich eine große Chance. 

Mit dem Prinzip der Übertragbarkeit will die US-Regierung ermöglichen, dass Unternehmen die zugesagten Steuererleichterungen auch voll ausnutzen können. Denn oft zeigt sich ein praktisches Problem: Machen anspruchsberechtigte Firmen keine Gewinne, müssen sie keine Körperschaftssteuer zahlen – und können so auch einige Erleichterungen gar nicht erst geltend machen. Daneben kann es mehrere Jahre dauern, bis die US-Behörden die vollständigen Steuerrückerstattungen anrechnen. Über den Verkauf ihrer Ansprüche können sich Unternehmen deutlich früher Liquidität beschaffen. Käufer wiederum profitieren von den Abschlägen, die ihnen die Verkäufer gewähren. Laut den Daten des US-Finanzdienstleisters Reunion lag der Preis je Dollar an Steuergutschrift im vergangenen Jahr zwischen 0,88 und 0,95 Dollar – abhängig von der Art der Gutschrift.

Kapitalzugang für neue Technologien verbessert sich

Insgesamt elf Gutschriftentypen kommen für eine Übertragbarkeit infrage, darunter für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen, neue Technologien zur Kohlenstoffabscheidung oder Investitionen in sauberen Wasserstoff. Bereits für das vergangene Jahr wurde das Volumen an übertragbaren Gutschriften auf sieben bis neun Milliarden Dollar geschätzt, erklärt die Beratungsgesellschaft KPMG auf Anfrage von Table.Briefings. “Wir gehen davon aus, dass sie im Jahr 2026 vier- bis fünfmal so groß sein werden”, sagt KPMG-Energieexperte George Ward. Schließlich würden in den Jahren 2024 und 2025 viele Tax Credits zum ersten Mal zum Tragen kommen, wenn anspruchsberechtigte Unternehmen ihre neuen Projekte in Betrieb nehmen. Ein Beispiel: “Einer unserer Kunden beanspruchte im Jahr 2023 Gutschriften in Höhe von fünf Millionen Dollar. Wir erwarten, dass dieser Kunde im Jahr 2025 über 100 Millionen Dollar an übertragbaren Gutschriften beanspruchen wird”, sagte Ward. 

Und so haben sich längst auch erste Abwickler auf die Gutschriftentransaktionen spezialisiert, darunter etwa Crux Climate. Das US-Unternehmen will auf seiner Plattform zwischen Anbietern und potenziellen Käufern sowie Banken und Steuerberatern vermitteln. Aus Sicht der Gründer ist das besonders für grüne Startups eine enorme Chance. “Die Übertragbarkeit hat den Kapitalzugang für kleinere Projekte und neue Technologien erheblich verbessert”, erklärte Crux Climate-Mitbegründer Alfred Johnson im Gespräch mit Table.Briefings. Schließlich könnten sie ihre Gutschriften direkt an Dritte verkaufen – und so zu oft dringend benötigter Liquidität umwandeln.

Bürokratische Hürden fallen weg

Das zeige sich auch in den Zahlen, sagte Johnson. Laut einer aktuellen Studie von Crux Climate entfielen im vergangenen Jahr rund 80 Prozent der Transaktionen auf Projekte, die jeweils ein Volumen von weniger als 50 Millionen Dollar aufwiesen. Vorhaben dieser Größe seien bislang oft zu klein gewesen, um einen traditionellen Steuerbeteiligungsinvestor anzuziehen, sagte Johnson. Zwar ist das Veräußern von Tax Credits in den USA nicht neu. Insbesondere in der Solarbranche basiert die amerikanische Förderpolitik seit Jahrzehnten auf Steuergutschriften. In der Regel mussten Kapitalgeber aber Miteigentümer der Projekte werden, um die erteilten Steuergutschriften in Anspruch zu nehmen – eine hohe Hürde, die nun wegfällt

Unternehmen wie der US-Finanzdienstleister Reunion sprechen bei den Transaktionen aber auch von zwei Kernrisiken. Zum einen sollten Käufer sicherstellen, dass die Tax Credits auch ordnungsgemäß beantragt worden sind – sie also formelle Fehler ausschließen können. Zum anderen sollten sie sich gegen mögliche Rückforderungen durch die Steuerbehörden absichern, rät das Unternehmen. Je nach Gutschriftentyp drohen diese etwa dann, wenn ein Investitionsprojekt innerhalb einer bestimmten Frist doch noch scheitert oder veräußert wird. Weil der Käufer das Risiko trägt, beinhalten die Verträge oft Entschädigungsklauseln. Daneben sichern sich Käufer häufig auch über spezielle Steuergutschriftsversicherungen ab. Die Höhe der Police hängt dann von der jeweiligen Deckung und dem geschätzten Risiko ab. 

Geld fließt in Investitionen in FuE

Bei First Solar sorge die Transaktion dafür, dass der Hersteller “weiterhin in Schlüsselaspekte des Wachstums wie Forschung und Entwicklung” investieren könne, erklärte Finanzchef Alex Bradley in einer Stellungnahme. Mehr als zwei Milliarden Dollar sollen in neue Produktionsanlagen in Alabama und Louisiana fließen, außerdem will das Photovoltaikunternehmen seine bestehende Niederlassung in Ohio ausbauen. Und mit weiteren 370 Millionen Dollar soll ein Entwicklungszentrum in Perrysburg entstehen. Laurin Meyer

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News

Aufgeheizte Stimmung: EU-Länder stimmen über Ukrainehandel ab

Unter dem Eindruck erneuter, teils gewaltsamer Bauernproteste in Brüssel stimmen die EU-Botschafter am Mittwoch über den zollfreien Handel mit der Ukraine ab. Die Abstimmung über die Trilogeinigung von vergangener Woche war mehrmals verschoben worden, weil sich die kritischen Stimmen unter den Mitgliedstaaten mehrten. Neben den Ukraine-Anrainern Ungarn, Polen und der Slowakei hat sich inzwischen auch Frankreich offen gegen die Einigung gestellt und fordert, Schutzmaßnahmen für Agrarprodukte schneller greifen zu lassen und auf Getreide auszudehnen.

Unklar bleibt, ob das Trilogergebnis noch einmal aufgeschnürt wird, um den Kritikern Zugeständnisse zu machen. Ein Sprecher der belgischen Präsidentschaft bestätigte noch am Dienstagmorgen, man wolle am Ergebnis festhalten und dieses zur Abstimmung stellen. Am Abend erklärte allerdings der belgische Agrarminister David Clarinval, die Einigung stelle eine Diskussionsbasis dar. Es sei aber nicht ausgeschlossen, dass es noch “Entwicklungen” gebe.

Özdemir sieht Futter für russische Propaganda

Alleine könnten die vier offen kritischen Staaten die Verlängerung der Handelsmaßnahmen nicht blockieren. Beim Agrarministertreffen am Dienstag mahnten allerdings auch mehrere Minister aus weiteren Ländern effektive Schutzmaßnahmen für Agrarimporte an, darunter Österreich, Italien und Irland. Darauf, welche Änderungen es konkret brauche, und ob dafür der Trilogkompromiss noch einmal aufgeschnürt werden soll, wollten sie sich aber nicht festlegen.

Scharfe Kritik an den Forderungen nach strengeren Schutzklauseln übte der deutsche Bundesagrarminister Cem Özdemir. Die Ukraine für Verwerfungen auf den Getreidemärkten verantwortlich zu machen, helfe der “Putinpropaganda“, so der Grünen-Politiker. Er rief dazu auf, am bereits ausgehandelten Kompromiss festzuhalten und lässt auch die Klagerufe aus Polen nicht gelten. “Dass in Polen Speicher voll sind, liegt daran, dass ein Minister der mittlerweile abgewählten PiS-Regierung Bauern falsche Empfehlungen gegeben hat.” Dafür könne nur die Ukraine nichts, so Özdemir.

Auch der ukrainische Agrarminister Mykola Solskyi, der dem Treffen beiwohnte, verwies gegenüber der Financial Times auf ertragreiche Ernten in den USA und Südamerika als Grund für sinkende Getreidepreise.

Zwei Polizeikräfte bei Bauernprotesten verletzt

Rund um das Treffen kam es in Brüssel erneut zu teils gewaltsamen Bauernprotesten. Nach Polizeiangaben wurde ein Demonstrationsteilnehmer verhaftet, weil er Molotowcocktails geworfen hatte. Zwei Polizeikräfte wurden demnach verletzt und in Krankenhäuser gebracht. Die Polizei ging mit Tränengas gegen Demonstrierende vor, die versuchten, mit Traktoren Absperrungen zu durchbrechen. Die Polizei spricht von 250 Traktoren.

Dass die Vertreter der EU-Länder bereits am frühen Morgen grünes Licht für die vorgeschlagenen Lockerungen von Umweltregeln in der Gemeinsamen Agrarpolitik gaben, hatte die protestierenden Landwirte offenbar nicht überzeugt. jd

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  • Ukraine

20 Staaten rebellieren gegen das Gesetz zu entwaldungsfreien Lieferketten

Rund 20 Mitgliedsstaaten haben Brüssel am Dienstag aufgefordert, das Gesetz zu entwaldungsfreien Lieferketten zurückzuschrauben und möglicherweise auszusetzen. Sie erklärten, die Politik würde den Landwirten schaden.

Eigentlich ist die Deadline für die Umsetzung des Gesetzes der anstehende Jahreswechsel. 20 Landwirtschaftsminister unterstützten bei einem Treffen in Brüssel am Dienstag jedoch eine Forderung Österreichs, das Gesetz zu überarbeiten, sagte der österreichische Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig.

Im Mai 2023 hatte der Rat dem Gesetz zugestimmt

Österreich fordert unter anderem, dass der Aufwand für die Zertifizierung von Produkten als entwaldungsfrei innerhalb der EU “drastisch reduziert” werden soll und der Stichtag 30. Dezember, an dem die Länder mit der Einhaltung des Gesetzes beginnen müssen, verschoben werden soll. Drei EU-Beamte bestätigten gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass rund 20 Länder die Forderung bei der Klausurtagung unterstützt hätten, darunter Frankreich, Italien, Polen und Schweden.

Auch Europaparlamentarier rund um Peter Liese hatten am Montag eine Entschlackung und Verlängerung der Umsetzungsfrist des Gesetzes um zwei Jahre gefordert. Ein Sprecher der Kommission antwortete nicht sofort auf eine Anfrage der Nachrichtenagentur Reuters, ob Brüssel das Gesetz überarbeiten wolle. Im vergangenen Frühjahr hatten sowohl das Parlament als auch der Rat das Gesetz in der heutigen Form gebilligt. rtr/lei

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Studie: Reedereien schlagen Gewinn aus neuen CO₂-Kosten

Die vier größten europäischen Schifffahrtsunternehmen Maersk, MSC, CMA CGM und Hapag-Lloyd geben den CO₂-Preis in höherem Umfang an ihre Kunden weiter, als die Reedereien selbst dafür zahlen müssen. Das geht aus einer Untersuchung des Brüsseler Umweltdachverbandes Transport and Environment (T&E) hervor.

Durch die Aufnahme des Maritim-Sektors in das EU-Emissionshandelssystem (ETS) müssen Reedereien seit Jahresbeginn für ihre Fahrten von Hochsee- und Binnenschiffen ab 5000 Bruttoregistertonnen europäische Emissionszertifikate einkaufen. Bei den mehr als 500 von T&E untersuchten Fahrten mit Start oder Ziel in europäischen Häfen haben die Reedereien in fast 90 Prozent der Fälle ihren Kunden mehr als die tatsächlichen Kosten des ETS (aktuell rund 60 Euro pro Tonne CO₂) in Rechnung gestellt.

“Die Schifffahrtsriesen scheinen die Kunden abzuzocken, indem sie Umweltmaßnahmen als Mittel nutzen, um mehr Geld zu verlangen“, sagt T&E-Schifffahrtsexperte Jacob Armstrong. Südeuropäische Regierungen hätten davor gewarnt, dass das ETS die Schiffe aus ihren Häfen in naheliegende Drittstaaten verdrängen würde. “Aber warum sollten sie das tun, wenn sie damit Geld verdienen?”, fragt Armstrong.

Gewinne in Millionenhöhe durch Zuschläge

T&E schätzt, dass Maersk mit durchschnittlich 60.000 Euro pro Reise die höchsten Gewinne aus den Zuschlägen erzielt, gefolgt von MSC (25.000 Euro), Hapag-Lloyd (23.000) und CMA CGM (14.000). Zwar seien die einzelnen Gewinne für jede Reise oft nicht sonderlich hoch, doch für Schifffahrtsunternehmen mit Hunderten Schiffen bedeute dies jedes Jahr Gewinne in Millionenhöhe durch die Zuschläge, erklären die Autoren der Untersuchung.

Die Experten halten die Tatsache, dass Reedereien am CO₂-Preis mitverdienen, nicht zwingend für falsch. Vielmehr halten sie die Kritik aus der Branche an marktwirtschaftlichen Umweltmaßnahmen für ungerechtfertigt. “Kosten sind kein Hindernis für die Dekarbonisierung des Seeverkehrs, wenn die ehrgeizigsten umweltfreundlichen Maßnahmen die meisten Verbrauchsgüter nur um wenige Cent verteuern würden”, so Armstrong.

Aktuell müssen Reedereien nur für 40 Prozent ihrer Emissionen ETS-Zertifikate einkaufen, ab 2025 steigt der Anteil auf 70 Prozent, 2026 schließlich auf 100 Prozent. luk

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  • Green Deal
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Studie erwartet steigende Marktanteile von chinesischen E-Autos

Der Marktanteil von in China produzierten Elektroautos in Europa wird 2024 voraussichtlich auf fast ein Viertel steigen. Zu diesem Schluss kommt eine neue Analyse der bekannten Lobbyorganisation für sauberen Verkehr, Transport & Environment (T&E). Im vergangenen Jahr lag der Anteil der rund 300.000 europaweit verkauften E-Autos bei fast einem Fünftel (19,5 Prozent), in Deutschland bei 15 Prozent.

Während es sich bei den chinesischen Importen bisher größtenteils um dort produzierte Tesla-, Dacia- und BMW-Fahrzeuge handele, geht T&E davon aus, dass chinesische Marken 2024 einen Anteil von elf Prozent am europäischen Elektromarkt erreichen könnten. 2027 könnte dieser auf 20 Prozent steigen. Allein BYD will bis 2025 auf Europas E-Auto-Markt einen Anteil von fünf Prozent erreichen.

Die Kommission untersucht seit Oktober 2023 die chinesischen Subventionspraktiken. Vom Resultat hängt die Entscheidung ab, ob die Importzölle für E-Autos aus China von derzeit zehn Prozent zum Schutz der EU-Hersteller angehoben werden. Schon die Debatte scheint Wirkung zu zeigen. Nach offiziellen chinesischen Daten sind die Einfuhren von E-Autos aus China um 19,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen, wie Bloomberg berichtet. Im Januar und Februar wurden nur etwas mehr als 75.600 Elektrofahrzeuge in die 27 EU-Mitgliedsländer geliefert.

Laut der T&E-Studie würde das Anheben der EU-Zölle um 15 Prozentpunkte auf dann 25 Prozent für alle E-Auto-Importe aus China einige Modellsegmente von dort etwas teurer machen als Autos aus anderen Ländern. Dazu gehören mittelgroße E-Autos des C-Segments und mittelgroße E-SUVs (JD-Segment). Andere Modellarten werden im Schnitt etwa elf Prozent günstiger bleiben. “Durch Zölle können wir sicherstellen, dass die Hersteller ihre Produktion nach Europa verlegen oder hier vor Ort ausbauen”, sagt Sebastian Bock, Geschäftsführer von T&E-Deutschland. “Aber Zölle werden die etablierten europäischen Autohersteller nicht ewig schützen. Chinesische Unternehmen werden Fabriken in Europa bauen. Unsere Autoindustrie muss darauf vorbereitet sein.”

Auf dem chinesischen Automarkt tobt derweil ein brutaler Preiskampf. Das bekommt auch der größte E-Autohersteller BYD zu spüren. Im vierten Quartal konnte das Unternehmen seinen Umsatz nur noch um 15 Prozent auf 180,04 Milliarden Yuan (23 Milliarden Euro), steigern. Der Nettogewinn legte um 19 Prozent auf 8,67 Milliarden Yuan zu, wie BYD am Dienstag in einer Pflichtmitteilung erklärte. Das klingt zwar viel, ist aber der geringste Gewinnzuwachs in einem Quartal seit fast zwei Jahren. Im Gesamtjahr 2023 lag der Gewinn von BYD mit 30,04 Milliarden Yuan 81 Prozent über dem Vorjahresniveau. ck/ari

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Frankreichs Staatsdefizit unerwartet groß – Finanzminister fordert Kürzungen

Das Defizit im französischen Staatshaushalt ist im vergangenen Jahr überraschend deutlich angewachsen. Es summierte sich auf 5,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, wie das Statistikamt Insee am Dienstag in Paris mitteilte. 2022 lag die Neuverschuldung noch bei 4,8 Prozent. Die Regierung hatte lediglich einen kleinen Anstieg auf 4,9 Prozent angepeilt.

Finanzminister Bruno Le Maire erklärte, dass die Steuereinnahmen geringer ausgefallen sind als erwartet. Grund sei, dass die Inflation stärker zurückgegangen ist als gedacht. Steigen die Preise, profitiert der Staat in der Regel davon – etwa in Form höherer Mehrwertsteuereinnahmen. Aber auch die Ausgaben für Arbeitslosenunterstützung und der kommunalen Verwaltungen seien höher ausgefallen als angenommen.

“Ich fordere zu einem kollektiven Weckruf auf, um die öffentlichen Ausgaben zu senken”, sagte Le Maire vor Journalisten. “Wir müssen alle Ausgaben, die nicht die erwarteten Ergebnisse bringen, entschlossen aufgeben.” Er kündigte an, Hunderte von öffentlichen Einrichtungen in Frankreich anzuschreiben und aufzufordern, so viele Einsparungen vorzunehmen wie möglich. Auch die Kommunalverwaltungen müssten ihre Haushalte kürzen.

Bis 2027 Schulden auf drei Prozent reduzieren

Die Regierung hat bereits zusätzliche Kürzungen in Höhe von zehn Milliarden Euro für dieses Jahr in Aussicht gestellt. Le Maire bekräftigte, das Defizit bis 2027 unter die zulässige EU-Schuldenobergrenze von drei Prozent zu senken. Steuererhöhungen schloss er dabei aus.

Ebenfalls am Dienstag kündigte der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu an, er denke darüber nach, Bestände von Waffenherstellern zu beschlagnahmen oder Unternehmen anzuweisen, bestimmten Aufträgen Vorrang zu geben. Aktuell werden Waffen und Munition etwa auf dem Schlachtfeld in der Ukraine benötigt. Lecornu nannte etwa die von MBDA hergestellten Aster-Raketen als möglichen Fall für einen solchen Schritt. rtr

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Presseschau

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Dessert

Photo taken on April 1, 2021 shows a bowl of Kalamata olives preserved in olive oil and brine in Messinia, Greece. Known as the "black queen" of all Greek olives, the Kalamata, grown in the sun-kissed olive groves around Messinia in the southwestern part of the Peloponnese.
Hochgenuss aus Griechenland: Kalamata-Oliven.

Essen ist ein Bedürfnis, genießen eine Kunst. Das wusste bereits François VI. Duc de La Rochefoucauld im 17. Jahrhundert. Voraussetzung für den Genuss ist jedoch die Kunst, hochwertige und wohlschmeckende Lebensmittel herzustellen.

Europa kann nicht nur stolz auf viele seiner regionalen Spezialitäten sein – angefangen von der Aachener Printe über den Beelitzer Spargel bis zum Žatecký chmel (letzteres ist ein Hopfen, der in Böhmen ausgiebig zum Würzen von Bier verwendet wird). Diese geschützten Erzeugnisse haben auch auf der ganzen Welt einen so guten Klang, dass sie höhere Preise erzielen. Im Durchschnitt doppelt so hohe wie nicht geschützte Produkte, weiß die Kommission.

Schutz der besonderen Qualität

Daher schützen geografische Angaben Erzeugnisse mit besonderen Merkmalen, einer besonderen Qualität oder einem besonderen Ansehen. Das nützt nicht nur den Erzeugern, sondern auch den Verbrauchern. Sie zahlen keine Champagner-Preise für einen deutschen Perlwein, der nur behauptet, ebenso gut wie Champagner zu sein.

Die EU hat sich vorgenommen, dieses gastronomische Erbe in der ganzen Welt zu schützen. Am Dienstag hat nun auch der Rat die Verordnung förmlich angenommen, mit der die EU den Schutz geografische Angaben und andere Qualitätsregelungen für Wein, Spirituosen und landwirtschaftliche Erzeugnisse verbessern will. Zugleich will sie das Eintragungsverfahren vereinfachen.

Aufklärung bieten GI-View und eAmbrosia

Ob es aber auch für Verbraucher einfacher wird – das eher nicht. Denn es bleiben die kryptischen Abkürzungen – mit gewissen Inkonsistenzen. So gibt es für den Schutz von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Wein geschützte Ursprungsbezeichnungen (g. U.) und geschützte geografische Angaben (g. g. A.), während es für Spirituosen geografische Angaben (g. A.) gibt. Aha.

Produzenten von Parmigiano Reggiano, Kalamata-Oliven, polnischem Wodka oder Queso Manchego etwa kennen sich mit diesen Bezeichnungen längst aus. Genusskünstler ebenfalls. Alle anderen vertrauen darauf, dass die EU die Einhaltung der Regeln, die sie einführt, auch wirkungsvoll überwacht.

Wenn Sie einmal auf den Speiseplan schauen wollen: Das EU-Portal für geografische Angaben, GI-View, finden Sie hier. Das EU-Register der geografischen Angaben, eAmbrosia, hier. Darauf einen Quetsch d’Alsace als Digestif auf das Wohl des Herrn de La Rochefoucauld. vis

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Darunter eine Initiative für einen gemeinsamen europäischen Abschluss und zwei Kommissionsvorschläge zu Empfehlungen des Rates über attraktive und nachhaltige Laufbahnen in der Hochschulbildung sowie für ein europäisches Qualitätssicherungs- und Anerkennungssystem.

    In Sachen gemeinsamer europäischer Abschluss etwa schreibt die Kommission: Es habe sich gezeigt, dass es noch immer schwierig sei, gemeinsame Programme und Abschlüsse anzubieten, an denen Hochschuleinrichtungen aus mehreren Ländern beteiligt sind. Das zu ändern, ist das selbsterklärte “Vorzeigeprojekt” auf dem Gebiet. Immerhin haben sich die EU-Mitgliedstaaten das Ziel gesetzt, dass bis 2030 mehr als 45 Prozent der 25- bis 34-Jährigen einen Hochschulabschluss erwerben sollen. Auch das ginge so sicherlich einfacher.

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    Der DSA verpflichtet die größten Anbieter in Artikel 34 und 35, durch ihre jeweiligen Modelle entstehende Risiken zu identifizieren und diese zu mindern. Genaue Vorgaben gibt es dazu jedoch nicht und auch die Leitlinien sind dabei als Hilfestellung seitens der Kommission zu verstehen. Da die EU-Kommission aber zugleich die Aufsichtsbehörde für die größten Anbieter ist, wohnt den Leitlinien ein erhöhtes Maß an Verbindlichkeit inne.

    Nachdrückliche Empfehlungen der Aufsichtsbehörde

    Anlass sind insbesondere die Europawahlen Anfang Juni. Es ist die zweitgrößte demokratische Wahl der Welt, nach den indischen Wahlen: Etwa 350 Millionen Wahlberechtigte, davon gut 60 Millionen EU-Bürger ab 16 Jahren in Deutschland, können dann ihre Stimme abgeben.

    Eine Herausforderung für die Plattformbetreiber, eine so große Wahl auch in ihrem Zuständigkeitsbereich abzusichern – denn nicht nur die reine Größe ist beeindruckend, auch die Unterschiede bei Wahlsystem, Parteiensystem und Wahltermin zwischen den Mitgliedstaaten.

    Diese Diversität ist ein Grund, warum die EU-Kommission als Digital-Services-Act-Aufsichtsbehörde den größten Plattformen nachdrücklich ans Herz legt, sicherzustellen, dass sie ihre internen Prozesse auf nationale, regionale oder lokale Besonderheiten ausrichten. Dabei sollen sie insbesondere auch ausreichend Mitarbeiter mit lokalen Sprachkenntnissen und Kenntnissen zu den jeweiligen Besonderheiten des Wahllandes bereithalten.

    Sie sollten zudem rechtzeitig vor der Wahl intern zuständige Teams benennen. Dieses soll Expertise sowohl für die Inhaltemoderation, für ein Fact-Checking, beim Gegenwirken gegen bei Bedrohungslagen, Cybersicherheit, Desinformation, ausländischen Einflussnahmeversuchen (FIMI), Grundrechten und öffentlichen Beteiligungsprozessen aufweisen. Außerdem sollen die Plattformen in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf Sondermaßnahmen im Wahlkontext und deren Dauer hinweisen. Mindestens einen Monat vor dem Wahltermin und mindestens einen Monat danach sollten die Maßnahmen durchgeführt werden.

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    Kein Geld für Falschinformation

    Zwei Vorgaben sollen zudem die Attraktivität von Fehlinformationen im Wahlkontext verringern: Einmal sollen Influencer auf den Plattformen darlegen, ob und inwieweit sie politische Werbung betreiben und in wessen Auftrag. Zum Anderen sollen Desinformation, Hass, Radikalisierung und extremistische Inhalte von der Monetarisierung ausgeschlossen werden.

    Im Vorgriff auf das noch nicht verabschiedete Gesetz zur Regulierung politischer Werbung ruft die Kommission die Betreiber zudem dazu auf, politische Werbung klar zu kennzeichnen und sich auf das Inkrafttreten dieser Gesetzgebung vorzubereiten. De facto also dem Gesetzestext vor dessen Verabschiedung bereits zu entsprechen.

    Vorbildwirkung für den Rest der Welt?

    Ob sich die neuen Vorgaben in der Praxis bewähren, ist dabei offen. Vieles davon geht auf bisherige Verfahrensweisen bei einzelnen Anbietern zurück. “Natürlich ist das Ziel dieser Leitlinien, dass wir mit ihnen bei den anstehenden Europaparlamentswahlen besser geschützt sind – etwa vor eventuellen Deep Fakes – und besser mit ausländischer Desinformationskampagne umgehen können”, sagt Renate Nikolay, stellvertretende Generaldirektorin der DG Connect.

    Die Europawahl stehe unter besonderer Beobachtung, andere demokratische Staaten mit anstehenden Wahlen – etwa in den USA oder Brasilien – würden sehr genau verfolgen, “wie wir mit Gefahren umgehen, die uns etwa auf dem Weg zu den Europawahlen begegnen können, und wie wir unsere neuen Regeln bestens nutzen, um uns zu schützen.”

    Die meisten großen Plattformen hatten sich bereits vorher dem sogenannten Code of Practice gegen Desinformation verschrieben. Einzig Elon Musks Plattform X stieg nach dem Kauf durch den exzentrischen Milliardär aus der Selbstverpflichtung aus. Für Ende April plant die Kommission einen Stresstest mit den Betreibern. Die nun vorgestellten Leitlinien können jederzeit angepasst werden. Die Kommission hatte in den vergangenen Wochen gleich gegen mehrere Anbieter formelle Verfahren eröffnet, weil sie glaubt, dass diese ihren Pflichten unter dem DSA nicht ausreichend nachgekommen sind.

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    USA: Handel mit Steuergutschriften bringt Liquidität für Cleantech

    Auf die jüngste Transaktion ist man bei First Solar besonders stolz. Schließlich ist sie nicht weniger als eine der Ersten ihrer Art. Für bis zu 700 Millionen Dollar will der amerikanische Photovoltaikhersteller ihm zustehende Steuergutschriften veräußern. Der Käufer, US-Finanzdienstleister Fiserv, zahlt 96 Cent für jeden Dollar, den sich First Solar beim Staat erstatten lassen könnte. Firmenchef Mark Widmar sieht sich damit als Vorreiter. “Diese Vereinbarung schafft einen wichtigen Präzedenzfall für die Solarbranche”, sagt er

    Der Handel mit Tax Credits wird zum Milliardenmarkt

    Mit milliardenschweren Förderungen aus dem Inflation Reduction Act lockt die US-Regierung derzeit Privatkapital für grüne Technologien an. Investieren Unternehmen beispielsweise in erneuerbare Energieprojekte, qualifizieren sie sich für üppige Steuergutschriften. In der EU schaut man neidisch auf den Mechanismus des IRA, der es den Unternehmen einfach macht, an Unterstützung zu kommen.

    Ein weiterer Vorteil des IRA liegt darin, dass die Subventionsempfänger nicht gezwungen sind, die Ansprüche auch selbst einzulösen. Sie können ihre Gutschriften niedrigschwellig weiterverkaufen, nachdem die US-Regierung den Prozess dafür im vergangenen Jahr erleichtert hat. Die Maßnahme zeigt bereits Wirkung: Der Handel mit den Tax Credits wächst zu einem Multimilliardenmarkt heran. Experten sehen darin besonders für Startups im Cleantech-Bereich eine große Chance. 

    Mit dem Prinzip der Übertragbarkeit will die US-Regierung ermöglichen, dass Unternehmen die zugesagten Steuererleichterungen auch voll ausnutzen können. Denn oft zeigt sich ein praktisches Problem: Machen anspruchsberechtigte Firmen keine Gewinne, müssen sie keine Körperschaftssteuer zahlen – und können so auch einige Erleichterungen gar nicht erst geltend machen. Daneben kann es mehrere Jahre dauern, bis die US-Behörden die vollständigen Steuerrückerstattungen anrechnen. Über den Verkauf ihrer Ansprüche können sich Unternehmen deutlich früher Liquidität beschaffen. Käufer wiederum profitieren von den Abschlägen, die ihnen die Verkäufer gewähren. Laut den Daten des US-Finanzdienstleisters Reunion lag der Preis je Dollar an Steuergutschrift im vergangenen Jahr zwischen 0,88 und 0,95 Dollar – abhängig von der Art der Gutschrift.

    Kapitalzugang für neue Technologien verbessert sich

    Insgesamt elf Gutschriftentypen kommen für eine Übertragbarkeit infrage, darunter für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen, neue Technologien zur Kohlenstoffabscheidung oder Investitionen in sauberen Wasserstoff. Bereits für das vergangene Jahr wurde das Volumen an übertragbaren Gutschriften auf sieben bis neun Milliarden Dollar geschätzt, erklärt die Beratungsgesellschaft KPMG auf Anfrage von Table.Briefings. “Wir gehen davon aus, dass sie im Jahr 2026 vier- bis fünfmal so groß sein werden”, sagt KPMG-Energieexperte George Ward. Schließlich würden in den Jahren 2024 und 2025 viele Tax Credits zum ersten Mal zum Tragen kommen, wenn anspruchsberechtigte Unternehmen ihre neuen Projekte in Betrieb nehmen. Ein Beispiel: “Einer unserer Kunden beanspruchte im Jahr 2023 Gutschriften in Höhe von fünf Millionen Dollar. Wir erwarten, dass dieser Kunde im Jahr 2025 über 100 Millionen Dollar an übertragbaren Gutschriften beanspruchen wird”, sagte Ward. 

    Und so haben sich längst auch erste Abwickler auf die Gutschriftentransaktionen spezialisiert, darunter etwa Crux Climate. Das US-Unternehmen will auf seiner Plattform zwischen Anbietern und potenziellen Käufern sowie Banken und Steuerberatern vermitteln. Aus Sicht der Gründer ist das besonders für grüne Startups eine enorme Chance. “Die Übertragbarkeit hat den Kapitalzugang für kleinere Projekte und neue Technologien erheblich verbessert”, erklärte Crux Climate-Mitbegründer Alfred Johnson im Gespräch mit Table.Briefings. Schließlich könnten sie ihre Gutschriften direkt an Dritte verkaufen – und so zu oft dringend benötigter Liquidität umwandeln.

    Bürokratische Hürden fallen weg

    Das zeige sich auch in den Zahlen, sagte Johnson. Laut einer aktuellen Studie von Crux Climate entfielen im vergangenen Jahr rund 80 Prozent der Transaktionen auf Projekte, die jeweils ein Volumen von weniger als 50 Millionen Dollar aufwiesen. Vorhaben dieser Größe seien bislang oft zu klein gewesen, um einen traditionellen Steuerbeteiligungsinvestor anzuziehen, sagte Johnson. Zwar ist das Veräußern von Tax Credits in den USA nicht neu. Insbesondere in der Solarbranche basiert die amerikanische Förderpolitik seit Jahrzehnten auf Steuergutschriften. In der Regel mussten Kapitalgeber aber Miteigentümer der Projekte werden, um die erteilten Steuergutschriften in Anspruch zu nehmen – eine hohe Hürde, die nun wegfällt

    Unternehmen wie der US-Finanzdienstleister Reunion sprechen bei den Transaktionen aber auch von zwei Kernrisiken. Zum einen sollten Käufer sicherstellen, dass die Tax Credits auch ordnungsgemäß beantragt worden sind – sie also formelle Fehler ausschließen können. Zum anderen sollten sie sich gegen mögliche Rückforderungen durch die Steuerbehörden absichern, rät das Unternehmen. Je nach Gutschriftentyp drohen diese etwa dann, wenn ein Investitionsprojekt innerhalb einer bestimmten Frist doch noch scheitert oder veräußert wird. Weil der Käufer das Risiko trägt, beinhalten die Verträge oft Entschädigungsklauseln. Daneben sichern sich Käufer häufig auch über spezielle Steuergutschriftsversicherungen ab. Die Höhe der Police hängt dann von der jeweiligen Deckung und dem geschätzten Risiko ab. 

    Geld fließt in Investitionen in FuE

    Bei First Solar sorge die Transaktion dafür, dass der Hersteller “weiterhin in Schlüsselaspekte des Wachstums wie Forschung und Entwicklung” investieren könne, erklärte Finanzchef Alex Bradley in einer Stellungnahme. Mehr als zwei Milliarden Dollar sollen in neue Produktionsanlagen in Alabama und Louisiana fließen, außerdem will das Photovoltaikunternehmen seine bestehende Niederlassung in Ohio ausbauen. Und mit weiteren 370 Millionen Dollar soll ein Entwicklungszentrum in Perrysburg entstehen. Laurin Meyer

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    Aufgeheizte Stimmung: EU-Länder stimmen über Ukrainehandel ab

    Unter dem Eindruck erneuter, teils gewaltsamer Bauernproteste in Brüssel stimmen die EU-Botschafter am Mittwoch über den zollfreien Handel mit der Ukraine ab. Die Abstimmung über die Trilogeinigung von vergangener Woche war mehrmals verschoben worden, weil sich die kritischen Stimmen unter den Mitgliedstaaten mehrten. Neben den Ukraine-Anrainern Ungarn, Polen und der Slowakei hat sich inzwischen auch Frankreich offen gegen die Einigung gestellt und fordert, Schutzmaßnahmen für Agrarprodukte schneller greifen zu lassen und auf Getreide auszudehnen.

    Unklar bleibt, ob das Trilogergebnis noch einmal aufgeschnürt wird, um den Kritikern Zugeständnisse zu machen. Ein Sprecher der belgischen Präsidentschaft bestätigte noch am Dienstagmorgen, man wolle am Ergebnis festhalten und dieses zur Abstimmung stellen. Am Abend erklärte allerdings der belgische Agrarminister David Clarinval, die Einigung stelle eine Diskussionsbasis dar. Es sei aber nicht ausgeschlossen, dass es noch “Entwicklungen” gebe.

    Özdemir sieht Futter für russische Propaganda

    Alleine könnten die vier offen kritischen Staaten die Verlängerung der Handelsmaßnahmen nicht blockieren. Beim Agrarministertreffen am Dienstag mahnten allerdings auch mehrere Minister aus weiteren Ländern effektive Schutzmaßnahmen für Agrarimporte an, darunter Österreich, Italien und Irland. Darauf, welche Änderungen es konkret brauche, und ob dafür der Trilogkompromiss noch einmal aufgeschnürt werden soll, wollten sie sich aber nicht festlegen.

    Scharfe Kritik an den Forderungen nach strengeren Schutzklauseln übte der deutsche Bundesagrarminister Cem Özdemir. Die Ukraine für Verwerfungen auf den Getreidemärkten verantwortlich zu machen, helfe der “Putinpropaganda“, so der Grünen-Politiker. Er rief dazu auf, am bereits ausgehandelten Kompromiss festzuhalten und lässt auch die Klagerufe aus Polen nicht gelten. “Dass in Polen Speicher voll sind, liegt daran, dass ein Minister der mittlerweile abgewählten PiS-Regierung Bauern falsche Empfehlungen gegeben hat.” Dafür könne nur die Ukraine nichts, so Özdemir.

    Auch der ukrainische Agrarminister Mykola Solskyi, der dem Treffen beiwohnte, verwies gegenüber der Financial Times auf ertragreiche Ernten in den USA und Südamerika als Grund für sinkende Getreidepreise.

    Zwei Polizeikräfte bei Bauernprotesten verletzt

    Rund um das Treffen kam es in Brüssel erneut zu teils gewaltsamen Bauernprotesten. Nach Polizeiangaben wurde ein Demonstrationsteilnehmer verhaftet, weil er Molotowcocktails geworfen hatte. Zwei Polizeikräfte wurden demnach verletzt und in Krankenhäuser gebracht. Die Polizei ging mit Tränengas gegen Demonstrierende vor, die versuchten, mit Traktoren Absperrungen zu durchbrechen. Die Polizei spricht von 250 Traktoren.

    Dass die Vertreter der EU-Länder bereits am frühen Morgen grünes Licht für die vorgeschlagenen Lockerungen von Umweltregeln in der Gemeinsamen Agrarpolitik gaben, hatte die protestierenden Landwirte offenbar nicht überzeugt. jd

    • Bauernproteste
    • Ukraine

    20 Staaten rebellieren gegen das Gesetz zu entwaldungsfreien Lieferketten

    Rund 20 Mitgliedsstaaten haben Brüssel am Dienstag aufgefordert, das Gesetz zu entwaldungsfreien Lieferketten zurückzuschrauben und möglicherweise auszusetzen. Sie erklärten, die Politik würde den Landwirten schaden.

    Eigentlich ist die Deadline für die Umsetzung des Gesetzes der anstehende Jahreswechsel. 20 Landwirtschaftsminister unterstützten bei einem Treffen in Brüssel am Dienstag jedoch eine Forderung Österreichs, das Gesetz zu überarbeiten, sagte der österreichische Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig.

    Im Mai 2023 hatte der Rat dem Gesetz zugestimmt

    Österreich fordert unter anderem, dass der Aufwand für die Zertifizierung von Produkten als entwaldungsfrei innerhalb der EU “drastisch reduziert” werden soll und der Stichtag 30. Dezember, an dem die Länder mit der Einhaltung des Gesetzes beginnen müssen, verschoben werden soll. Drei EU-Beamte bestätigten gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass rund 20 Länder die Forderung bei der Klausurtagung unterstützt hätten, darunter Frankreich, Italien, Polen und Schweden.

    Auch Europaparlamentarier rund um Peter Liese hatten am Montag eine Entschlackung und Verlängerung der Umsetzungsfrist des Gesetzes um zwei Jahre gefordert. Ein Sprecher der Kommission antwortete nicht sofort auf eine Anfrage der Nachrichtenagentur Reuters, ob Brüssel das Gesetz überarbeiten wolle. Im vergangenen Frühjahr hatten sowohl das Parlament als auch der Rat das Gesetz in der heutigen Form gebilligt. rtr/lei

    • Agrarpolitik
    • Entwaldung
    • Landwirtschaft
    • Naturschutz

    Studie: Reedereien schlagen Gewinn aus neuen CO₂-Kosten

    Die vier größten europäischen Schifffahrtsunternehmen Maersk, MSC, CMA CGM und Hapag-Lloyd geben den CO₂-Preis in höherem Umfang an ihre Kunden weiter, als die Reedereien selbst dafür zahlen müssen. Das geht aus einer Untersuchung des Brüsseler Umweltdachverbandes Transport and Environment (T&E) hervor.

    Durch die Aufnahme des Maritim-Sektors in das EU-Emissionshandelssystem (ETS) müssen Reedereien seit Jahresbeginn für ihre Fahrten von Hochsee- und Binnenschiffen ab 5000 Bruttoregistertonnen europäische Emissionszertifikate einkaufen. Bei den mehr als 500 von T&E untersuchten Fahrten mit Start oder Ziel in europäischen Häfen haben die Reedereien in fast 90 Prozent der Fälle ihren Kunden mehr als die tatsächlichen Kosten des ETS (aktuell rund 60 Euro pro Tonne CO₂) in Rechnung gestellt.

    “Die Schifffahrtsriesen scheinen die Kunden abzuzocken, indem sie Umweltmaßnahmen als Mittel nutzen, um mehr Geld zu verlangen“, sagt T&E-Schifffahrtsexperte Jacob Armstrong. Südeuropäische Regierungen hätten davor gewarnt, dass das ETS die Schiffe aus ihren Häfen in naheliegende Drittstaaten verdrängen würde. “Aber warum sollten sie das tun, wenn sie damit Geld verdienen?”, fragt Armstrong.

    Gewinne in Millionenhöhe durch Zuschläge

    T&E schätzt, dass Maersk mit durchschnittlich 60.000 Euro pro Reise die höchsten Gewinne aus den Zuschlägen erzielt, gefolgt von MSC (25.000 Euro), Hapag-Lloyd (23.000) und CMA CGM (14.000). Zwar seien die einzelnen Gewinne für jede Reise oft nicht sonderlich hoch, doch für Schifffahrtsunternehmen mit Hunderten Schiffen bedeute dies jedes Jahr Gewinne in Millionenhöhe durch die Zuschläge, erklären die Autoren der Untersuchung.

    Die Experten halten die Tatsache, dass Reedereien am CO₂-Preis mitverdienen, nicht zwingend für falsch. Vielmehr halten sie die Kritik aus der Branche an marktwirtschaftlichen Umweltmaßnahmen für ungerechtfertigt. “Kosten sind kein Hindernis für die Dekarbonisierung des Seeverkehrs, wenn die ehrgeizigsten umweltfreundlichen Maßnahmen die meisten Verbrauchsgüter nur um wenige Cent verteuern würden”, so Armstrong.

    Aktuell müssen Reedereien nur für 40 Prozent ihrer Emissionen ETS-Zertifikate einkaufen, ab 2025 steigt der Anteil auf 70 Prozent, 2026 schließlich auf 100 Prozent. luk

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    Studie erwartet steigende Marktanteile von chinesischen E-Autos

    Der Marktanteil von in China produzierten Elektroautos in Europa wird 2024 voraussichtlich auf fast ein Viertel steigen. Zu diesem Schluss kommt eine neue Analyse der bekannten Lobbyorganisation für sauberen Verkehr, Transport & Environment (T&E). Im vergangenen Jahr lag der Anteil der rund 300.000 europaweit verkauften E-Autos bei fast einem Fünftel (19,5 Prozent), in Deutschland bei 15 Prozent.

    Während es sich bei den chinesischen Importen bisher größtenteils um dort produzierte Tesla-, Dacia- und BMW-Fahrzeuge handele, geht T&E davon aus, dass chinesische Marken 2024 einen Anteil von elf Prozent am europäischen Elektromarkt erreichen könnten. 2027 könnte dieser auf 20 Prozent steigen. Allein BYD will bis 2025 auf Europas E-Auto-Markt einen Anteil von fünf Prozent erreichen.

    Die Kommission untersucht seit Oktober 2023 die chinesischen Subventionspraktiken. Vom Resultat hängt die Entscheidung ab, ob die Importzölle für E-Autos aus China von derzeit zehn Prozent zum Schutz der EU-Hersteller angehoben werden. Schon die Debatte scheint Wirkung zu zeigen. Nach offiziellen chinesischen Daten sind die Einfuhren von E-Autos aus China um 19,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen, wie Bloomberg berichtet. Im Januar und Februar wurden nur etwas mehr als 75.600 Elektrofahrzeuge in die 27 EU-Mitgliedsländer geliefert.

    Laut der T&E-Studie würde das Anheben der EU-Zölle um 15 Prozentpunkte auf dann 25 Prozent für alle E-Auto-Importe aus China einige Modellsegmente von dort etwas teurer machen als Autos aus anderen Ländern. Dazu gehören mittelgroße E-Autos des C-Segments und mittelgroße E-SUVs (JD-Segment). Andere Modellarten werden im Schnitt etwa elf Prozent günstiger bleiben. “Durch Zölle können wir sicherstellen, dass die Hersteller ihre Produktion nach Europa verlegen oder hier vor Ort ausbauen”, sagt Sebastian Bock, Geschäftsführer von T&E-Deutschland. “Aber Zölle werden die etablierten europäischen Autohersteller nicht ewig schützen. Chinesische Unternehmen werden Fabriken in Europa bauen. Unsere Autoindustrie muss darauf vorbereitet sein.”

    Auf dem chinesischen Automarkt tobt derweil ein brutaler Preiskampf. Das bekommt auch der größte E-Autohersteller BYD zu spüren. Im vierten Quartal konnte das Unternehmen seinen Umsatz nur noch um 15 Prozent auf 180,04 Milliarden Yuan (23 Milliarden Euro), steigern. Der Nettogewinn legte um 19 Prozent auf 8,67 Milliarden Yuan zu, wie BYD am Dienstag in einer Pflichtmitteilung erklärte. Das klingt zwar viel, ist aber der geringste Gewinnzuwachs in einem Quartal seit fast zwei Jahren. Im Gesamtjahr 2023 lag der Gewinn von BYD mit 30,04 Milliarden Yuan 81 Prozent über dem Vorjahresniveau. ck/ari

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    Frankreichs Staatsdefizit unerwartet groß – Finanzminister fordert Kürzungen

    Das Defizit im französischen Staatshaushalt ist im vergangenen Jahr überraschend deutlich angewachsen. Es summierte sich auf 5,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, wie das Statistikamt Insee am Dienstag in Paris mitteilte. 2022 lag die Neuverschuldung noch bei 4,8 Prozent. Die Regierung hatte lediglich einen kleinen Anstieg auf 4,9 Prozent angepeilt.

    Finanzminister Bruno Le Maire erklärte, dass die Steuereinnahmen geringer ausgefallen sind als erwartet. Grund sei, dass die Inflation stärker zurückgegangen ist als gedacht. Steigen die Preise, profitiert der Staat in der Regel davon – etwa in Form höherer Mehrwertsteuereinnahmen. Aber auch die Ausgaben für Arbeitslosenunterstützung und der kommunalen Verwaltungen seien höher ausgefallen als angenommen.

    “Ich fordere zu einem kollektiven Weckruf auf, um die öffentlichen Ausgaben zu senken”, sagte Le Maire vor Journalisten. “Wir müssen alle Ausgaben, die nicht die erwarteten Ergebnisse bringen, entschlossen aufgeben.” Er kündigte an, Hunderte von öffentlichen Einrichtungen in Frankreich anzuschreiben und aufzufordern, so viele Einsparungen vorzunehmen wie möglich. Auch die Kommunalverwaltungen müssten ihre Haushalte kürzen.

    Bis 2027 Schulden auf drei Prozent reduzieren

    Die Regierung hat bereits zusätzliche Kürzungen in Höhe von zehn Milliarden Euro für dieses Jahr in Aussicht gestellt. Le Maire bekräftigte, das Defizit bis 2027 unter die zulässige EU-Schuldenobergrenze von drei Prozent zu senken. Steuererhöhungen schloss er dabei aus.

    Ebenfalls am Dienstag kündigte der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu an, er denke darüber nach, Bestände von Waffenherstellern zu beschlagnahmen oder Unternehmen anzuweisen, bestimmten Aufträgen Vorrang zu geben. Aktuell werden Waffen und Munition etwa auf dem Schlachtfeld in der Ukraine benötigt. Lecornu nannte etwa die von MBDA hergestellten Aster-Raketen als möglichen Fall für einen solchen Schritt. rtr

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    Presseschau

    EU-Länder treiben laxere Agrar-Ökoregeln voran SÜDDEUTSCHE
    Bauern entladen in Brüssel ihre Wut – und Mist SPIEGEL
    EU-Staaten billigen Online-Ausweis und Medienfreiheitsverordnung HEISE
    Vor der Europawahl – EU-Kommission veröffentlicht Leitlinien gegen Fake-News DEUTSCHLANDFUNK
    Ruf nach Gesundheitsausschuss im Europäischen Parlament AERZTEBLATT
    Artilleriemunition: Rheinmetall erhält Fördergelder von der EU CELLESCHE ZEITUNG
    Grünes Licht von EU-Kommission: Bund will Gasnetzbetreiber Wiga übernehmen WIWO
    Olaf Scholz zu Besuch bei Sloweniens Ministerpräsident Robert Golob FAZ
    Tonband: Oppositionspolitiker Peter Magyar erhebt Vorwürfe gegen Ungarns Regierung ORF
    Cyberspionage: Großbritannien kündigt Sanktionen gegen China an EURONEWS
    Gegen Online-Händler wie Temu ist die EU bislang machtlos WIWO
    In Belgien steigen die Mindestlöhne auf über 2.000 € brutto VRT
    Neues Wahlgesetz für Bosnien-Herzegowina NACHRICHTEN.AT
    Frankreichs Schulden wachsen: In einer Liga mit Griechenland und Italien TAGESSCHAU
    Frankreich: Trotz Terrorgefahr gut für Olympia gerüstet MORGENPOST
    Italien trennt sich von weiteren Anteilen an Monte Paschi HANDELSBLATT
    Luxemburg: Regierungswebsites erneut Ziel von Cyberangriffen LUXEMBURGER WORT
    Plastikverbrennung in der Schweiz: Wohin mit dem Güsel? ZEIT
    Österreichs Justizministerin Alma Zadić intensiviert Zusammenarbeit mit Serbiens Justiz DER STANDARD

    Dessert

    Photo taken on April 1, 2021 shows a bowl of Kalamata olives preserved in olive oil and brine in Messinia, Greece. Known as the "black queen" of all Greek olives, the Kalamata, grown in the sun-kissed olive groves around Messinia in the southwestern part of the Peloponnese.
    Hochgenuss aus Griechenland: Kalamata-Oliven.

    Essen ist ein Bedürfnis, genießen eine Kunst. Das wusste bereits François VI. Duc de La Rochefoucauld im 17. Jahrhundert. Voraussetzung für den Genuss ist jedoch die Kunst, hochwertige und wohlschmeckende Lebensmittel herzustellen.

    Europa kann nicht nur stolz auf viele seiner regionalen Spezialitäten sein – angefangen von der Aachener Printe über den Beelitzer Spargel bis zum Žatecký chmel (letzteres ist ein Hopfen, der in Böhmen ausgiebig zum Würzen von Bier verwendet wird). Diese geschützten Erzeugnisse haben auch auf der ganzen Welt einen so guten Klang, dass sie höhere Preise erzielen. Im Durchschnitt doppelt so hohe wie nicht geschützte Produkte, weiß die Kommission.

    Schutz der besonderen Qualität

    Daher schützen geografische Angaben Erzeugnisse mit besonderen Merkmalen, einer besonderen Qualität oder einem besonderen Ansehen. Das nützt nicht nur den Erzeugern, sondern auch den Verbrauchern. Sie zahlen keine Champagner-Preise für einen deutschen Perlwein, der nur behauptet, ebenso gut wie Champagner zu sein.

    Die EU hat sich vorgenommen, dieses gastronomische Erbe in der ganzen Welt zu schützen. Am Dienstag hat nun auch der Rat die Verordnung förmlich angenommen, mit der die EU den Schutz geografische Angaben und andere Qualitätsregelungen für Wein, Spirituosen und landwirtschaftliche Erzeugnisse verbessern will. Zugleich will sie das Eintragungsverfahren vereinfachen.

    Aufklärung bieten GI-View und eAmbrosia

    Ob es aber auch für Verbraucher einfacher wird – das eher nicht. Denn es bleiben die kryptischen Abkürzungen – mit gewissen Inkonsistenzen. So gibt es für den Schutz von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Wein geschützte Ursprungsbezeichnungen (g. U.) und geschützte geografische Angaben (g. g. A.), während es für Spirituosen geografische Angaben (g. A.) gibt. Aha.

    Produzenten von Parmigiano Reggiano, Kalamata-Oliven, polnischem Wodka oder Queso Manchego etwa kennen sich mit diesen Bezeichnungen längst aus. Genusskünstler ebenfalls. Alle anderen vertrauen darauf, dass die EU die Einhaltung der Regeln, die sie einführt, auch wirkungsvoll überwacht.

    Wenn Sie einmal auf den Speiseplan schauen wollen: Das EU-Portal für geografische Angaben, GI-View, finden Sie hier. Das EU-Register der geografischen Angaben, eAmbrosia, hier. Darauf einen Quetsch d’Alsace als Digestif auf das Wohl des Herrn de La Rochefoucauld. vis

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    Europe.Table Redaktion

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