Table.Briefing: Europe

Kleinanleger + Spanien vor Regionalwahl + PFAS

Liebe Leserin, lieber Leser,

Provisionsverbot – dieses Reizwort, das in der Finanzbranche die Alarmglocken schrillen lässt – stand nur in einem Entwurf für die Kleinanlegerstrategie. Auf massiven Druck der Lobby und wohl auch nach Intervention aus dem Bundesfinanzministerium sieht der Vorschlag, den die Kommission heute beschließen will, keinen Anschlag auf das in Deutschland immer noch gängige und in der Branche so beliebte Vergütungsmodell mehr vor. Und dennoch wird die Strategie weder auf Seiten der Branche noch bei den Verbraucherschützern Beifall ernten, hat mein Kollege Christof Roche in Erfahrung gebracht.

Das Tückische ist, dass sowohl in der Anlageberatung als auch beim beratungsfreien Geschäft die gravierenden Änderungen selbst nach Lektüre des Vorschlags schwer zu prognostizieren sind: Details werden nämlich erst im Nachgang von der Kommission mit den zuständigen Behörden ausgekungelt, in diesem Fall wohl den Beamten der Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA. Ziel der Regulierung ist jedenfalls, die Wertpapierquote in der EU zu erhöhen. Sollte die Strategie das nicht bewirken? Für diesen Fall hat die Kommission die Überprüfungsklausel eingearbeitet. Die Kleinanlegerstrategie befindet sich damit also schon jetzt auf der Wiedervorlage

Ihr
Markus Grabitz
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Analyse

Kleinanlegerstrategie: Branche stöhnt jetzt schon

Erklärtes Ziel der Kleinanlegerstrategie – die Kommission will den Vorschlag heute vorlegen – ist, die Kohärenz der europäischen Finanzmarktregulierung zu erhöhen. Darüber hinaus will die Kommission damit den Kapitalmarktzugang für Kleinanleger einfacher und attraktiver machen. Das Ziel der “New Retail Investment Rules” wird von den Akteuren der Finanzmarktbranche grundsätzlich begrüßt: Es sei “wichtig, den Zugang zum Wertpapierkauf zu erleichtern, um so Vermögensaufbau und Altersvorsorge zu stärken”. Das gelte besonders für Deutschland, wo die Beteiligung der Kleinanleger am Wertpapiergeschäft im europäischen Vergleich sehr gering sei.

Allerdings gibt es Zweifel, ob die Kommission mit den geplanten Anpassungen ihr Ziel der Vereinfachung erreichen wird. “So, wie es im Moment aussieht, drohen die Prozesse für Kunden und Banken eher aufwendiger und damit letztlich teurer zu werden“, heißt es in der Branche. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf geplante umfassende Änderungen in der Anlageberatung (Geeignetheitsprüfung), auch wenn diese inhaltlich von der Kommission noch nicht konkret definiert sind.

Detailfragen sollen im Level-2-Verfahren geklärt werden

“Es gibt aus dem Regulierungspaket heraus sehr viele Verweise, dass die konkreten Details über das sogenannte Level-2-Verfahren bestimmt werden. Deshalb kann man zu einzelnen Punkten konkret noch keine Angaben machen”, heißt es weiter in der Branche. Beim Level-2-Verfahren wird das legislative Grundgerüst von EU-Parlament und Rat verabschiedet, die Details in der Umsetzung aber der EU-Kommission im Zusammenspiel mit den zuständigen EU-Behörden überlassen. In diesem Fall dürfte das vorwiegend die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA sein.

Auch beim beratungsfreien Geschäft (Angemessenheitsprüfung) geht die Branche von weitreichenden Änderungen aus. So sollen die Institute zusätzlich zu aktuell abgefragten Informationen ihrer Kunden auch Angaben zu deren Risikoneigung und Verlusttragfähigkeit erheben. Auch hier sei noch offen, wie konkret sich die Kommission das vorstelle. Im Moment gebe es bei Risikotransaktionen Warnhinweise an die Kunden. Mit den neuen Vorschriften könne es sein, “dass Kunden künftig nicht mehr das kaufen können, was sie kaufen wollen, da die Bank ihnen bestimmte Produkte nicht mehr verkaufen darf”, hört man weiter. “Das grenzt an Bevormundung.” Außerdem sei es für die Institute schwierig, die Angemessenheitsprüfung durchzuführen, da dies nicht in persönlicher Beratung erfolge.

Kommt eine Kostenbenchmark für Finanzprodukte?

Auch über Änderungen zur Produkt-Governance kommen auf die Branche Herausforderungen zu. So soll es künftig eine Kostenbenchmark geben, an der sich die Produkte messen lassen müssen. Allerdings sei noch völlig offen, wie die Kommission hier vorgehen wolle. Ob dies für individuelle Produktgruppen gelten solle oder über alle Klassen hinweg. Dann müssten diese erst noch normiert werden. Das günstige Produkt sei nicht automatisch das Beste. “Es gibt Produkte, die enthalten risikomindernde Komponenten, das macht sie natürlich teurer”, erklären die Kreise. Es werde spannend, “wie ESMA und die weiteren EU-Behörden das übergreifend ausfüllen wollen”.

Betroffen von der neuen Regulierung sind neben der Kreditbranche auch Fonds und die Versicherungen. Skeptisch sieht die Finanzbranche zudem die geplante EU-weite Standardisierung der Kosteninformation für die Kunden. Künftig soll hier nicht nur der Betrag aufgeführt werden, sondern auch die Art und Weise, wie die Kosten berechnet werden. Ob dies mehr Transparenz und notwendige Kenntnisse für die Kunden bringe, um Finanzanlagen zu erwerben, das müsse abgewartet werden. Für die Branche bedeute dies jedenfalls “eine große Umstellung”.

Unverständnis herrscht in der Branche hinsichtlich der geplanten Neuregelung der Mitarbeiterqualifikation. Es gebe hier weder in Deutschland noch in Europa Defizite. Allerdings erfolge die Qualifizierung der Mitarbeiter in den einzelnen Staaten unterschiedlich. Wenn dies jetzt europaweit vereinheitlicht werde, werde es für viele eine enorme Umstellung ausmachen. “Es werden teure Nachschulungen erforderlich sein, obwohl es im Grunde keinen Missstand gibt.” Positiv hingegen beurteilt die Branche Änderungen in der Kundenkategorisierung. Hier werde es künftig für Privatanleger einfacher sein, als professioneller Investor eingestuft zu werden.

Verbraucherschützer: Vorschriften gehen nicht weit genug

Aus Verbraucherschutzkreisen verlautete, die angedachten Maßnahmen seien nicht ausreichend. Der Interessenkonflikt, “der durch Provisionen entsteht und häufig zu Fehl- und Falschberatung führt, bleibt bestehen”. Auch mit Anpassungen an der Geeignetheits- und Angemessenheitsprüfung lasse sich die Beratungsqualität nicht absichern. Dasselbe gelte für die Qualifikation der Verkäufer von Finanzprodukten.

“Qualifikation ist eine notwendige Voraussetzung für Beratungsqualität, aber bei weitem keine hinreichende”, heißt es bei den Verbraucherschützern. “Hohe Qualifikation ändert ja nichts am Informationsgefälle oder am Interessenkonflikt.” Die Kostenbenchmark sei ein Instrument, “das die Industrie versuchen wird, wegzulobbyieren”. Obwohl die Maßnahmen das Problem nicht an der Wurzel anpackten, sei es wichtig, “diese Instrumente unbedingt umzusetzen”, heißt es. Es gelte zu belegen, “dass das ewige, um den Interessenkonflikt Herumregulieren nicht ausreicht“.

Überprüfung nach drei Jahren

Die Verbraucherschutzkreise unterstrichen, die geplante Kostensenkung werde den Fehlanreiz von Abschlussprovisionen nicht lösen. Das Problem bleibe bestehen. Ein Lichtblick sei immerhin die Überprüfungsklausel. Sollte sich zeigen, dass die schädliche Wirkung von Provisionen weiter bestehe, müsste dann zwingend das Provisionsverbot kommen. Die Vorhersage sei, “dass das Problem weiter bestehen bleibt.” Leider verliere man aber für die wichtige Sache der Verbraucherfinanzen wertvolle Zeit, heißt es von Verbraucherschützerseite weiter.

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Spanien vor den Regionalwahlen: Setzen sich die Konservativen durch?

Es geht um mehr als nur die Besetzung der zwölf von 17 Regionalparlamente, wenn am Sonntag in Spanien gewählt wird. Seit 1982 lässt sich aus den Ergebnissen dieser Wahlen regelmäßig ablesen, wer auch die Parlamentswahlen wenig später gewinnen wird. Die Hauptfrage ist, ob die Parteien der Regierungskoalition – die Sozialistische Partei (PSOE) und das Linksbündnis Unidas Podemos- die meisten Gemeinden für sich gewinnen können, oder ob die konservative Partido Popular (PP) diese für sich entscheiden kann. In einigen Regionen könnte die PP sogar eine absolute Mehrheit erreichen.

In der Endphase des Wahlkampfs zeigt die Umfrage des staatlichen Instituts Centro de Investigaciones Sociológicas (CIS) , dass die PP an Zustimmung gewinnt, während die PSOE in den Umfragen leicht verliert. Wurde den Sozialisten am 10. Mai noch ein Ergebnis von 31,7 Prozent vorausgesagt, so sinkt die Prognose nun auf 30,2 Prozent. Für die PP wurde in der letzten Umfrage ein Wahlergebnis von 27,3 Prozent vorhergesagt, das nun auf 27,9 Prozent angestiegen ist. Das CIS, dessen Präsident José Félix Tezanos der PSOE nahesteht, neigt in seinen Umfragen oft dazu, die Linke zu bevorzugen. Diesmal deutet die CIS auf ein Unentschieden zwischen den beiden extremsten Parteien hin: der rechtsgerichteten Vox und dem Linksbündnis Unidas Podemos. Beide würden jeweils acht Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen. Mit dieser Schätzung zeigt die CIS-Umfrage einen Anstieg der Stimmenzahl für Vox.

Madrid, die am stärksten umkämpfte Region

In Madrid könnte die Kandidatin der PP, die Präsidentin der Regionalregierung, Isabel Díaz Ayuso, mit 61 bis 70 prognostizierten Sitzen gewinnen. Damit rückt die absolute Mehrheit (68 Sitze) für die PP in Reichweite. Zuletzt war ihre Partei bei den Regionalwahlen in Madrid abgestürzt. Díaz Ayuso kam nur mit Unterstützung der rechten Vox und den liberalen Ciudadanos ins Amt.

Auch dieses Mal würde Vox aushelfen, sollte Díaz Ayuso die absolute Mehrheit verpassen. Ihnen werden acht bis elf Abgeordnete vorausgesagt. Die Möglichkeit einer PP-Regierung ohne Vox hängt davon ab, ob Podemos genug Stimmen erhält, um ins Parlament einzuziehen. Das ist offen. Für Podemos wäre es ein schwerer Schlag, in der Region, in der die Partei 2014 gegründet wurde, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern.

Die Partei steckt aktuell in der Krise. Und feuert mit scharfen Geschützen: Pablo Iglesias, der Gründer und ehemalige Vorsitzende von Podemos, wettert über seinen privaten Fernsehsender Canal Red gegen PP-Kandidatin Díaz Ayuso. Podemos hat auch ein Transparent mit dem Bild von Díaz Ayusos Bruder an der Fassade eines Gebäudes in einer der Hauptstraßen Madrids aufgehängt, auf dem dieser wegen eines Korruptionsfalls beim Kauf von Masken während der Pandemie belastet wird. Die spanische Justiz hat den Fall bereits zu den Akten gelegt, ohne dass ein Verbrechen festgestellt wurde.

Der Kampf um Valencia zwischen PSOE und PP

Mit der Unterstützung von Vox wäre die PP in der Lage, der PSOE ihre größte Regionalregierung zu entreißen: die Region Valencia. Der Sozialist Ximo Puig hat bereits zwei Amtszeiten an der Spitze dieser Region gedient. Die PP könnte jedoch mit 31 bis 36 Sitzen gewinnen, nur zwei Sitze weniger als die absolute Mehrheit. Ein Bündnis mit Vox – die Partei wird zwischen acht und 12 Sitzen gehandelt – würde der PP die erforderliche Mehrheit verschaffen, falls es ihr an Mandaten mangelt. Allerdings: Sollte der Sozialist Puig zwischen 30 und 34 Sitze erringen, könnte er das Mandat durch eine Wiederholung des Bündnisses mit dem linken Bündnis Compromís und sogar ohne die Einbeziehung von Podemos halten.

Während das Rennen um die Region Valencia offen ist, dürfte die PP bei der Kommunalwahl in Valencia das Rennen gewinnen, wie die SIGMA-Umfrage für die Zeitung El Mundo ergab. Die PP mit ihrer Kandidatin María José Catalá würde damit dem bisherigen Bürgermeister Joan Ribó von Compromís sein Amt entreißen.

Sánchez: Werben mit günstigen Tickets für seine Partei

Auf den Kanarischen Inseln würde die PSOE mit 33 Prozent gewinnen, gefolgt von der PP mit 20 Prozent. Das Gleiche gilt für die Balearen (PSOE 31,5 Prozent, PP 26 Prozent und Vox an dritter Stelle mit 13,6 Prozent). Auch in Kastilien-La Mancha würde die PSOE bei einer absoluten Mehrheit von 17 Sitzen auf 16 bis 22 Sitze kommen. In der Region Murcia –  wichtig für die Landwirtschaft und bekannt als Gemüsegarten Europas -, könnte die PP die Regierung behalten mit Hilfe von Vox. Auch in der Weinregion La Rioja sieht es gut für die PP aus, ebenso wie in der Küstenregion Kantabrien.

Präsident Pedro Sánchez von den Sozialisten versucht derweil, politisch noch einmal Boden gutzumachen. Am 14. Mai kündigte er an, dass er Menschen über 65 zum Kinobesuch ermutigen wolle, “mit Eintrittskarten für zwei Euro jeden Dienstag”. Die Maßnahme gehört zu denjenigen, die die Regierung in den letzten Wochen mitten im Wahlkampf verabschiedet hat. Seit April hat die Regierung Sánchez für junge Menschen und Familien mit minderjährigen Kindern Garantien für den Erwerb von Wohneigentum gefördert und das Wohnungsbaugesetz verabschiedet, um die Mietpreiskrise zu bekämpfen. Sánchez hat auch Investitionen in den Tourismus angekündigt, mit Ermäßigungen für junge Leute bei Interrail-Reisen in Europa sowie in Zügen und Bussen in Spanien.

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News

Borrell meldet Fortschritt bei der Munitionslieferung für Ukraine

Die EU-Staaten haben der Ukraine seit Ende März 220.000 Artilleriegeschosse und 1.300 Raketen geliefert, insbesondere für die Flugabwehr. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell gab die Zahlen am Dienstag nach einem Treffen der Verteidigungsminister der Mitgliedstaaten bekannt. Noch vor wenigen Tagen war nur von rund 60.000 gelieferten Geschossen die Rede. Wie ist es zu dem großen Sprung gekommen? Die Lieferungen erfolgten nicht linear, sagte Borrell. Es sei normal, dass die Mitgliedstaaten gegen Ende der Frist größere Mengen lieferten und für die Kompensation anmeldeten.

Die Mitgliedstaaten haben gemäß dem mehrgleisigen Ansatz von Binnenmarktkommissar Thierry Breton und Chefdiplomat Borrell bis Ende Mai Zeit, aus ihren Beständen Munition abzugeben und dafür aus dem Fonds der Europäischen Friedensfazilität kompensiert zu werden. Die Anträge für Kompensation können bis Mitte Juli eingereicht werden. Borrell bezifferte den Wert der seit Ende März gelieferten Munition auf 860 Millionen Euro. Die Mitgliedstaaten können mit einer Kompensation von 50 bis 60 Prozent rechnen. Borrell zeigte sich zuversichtlich, dass bis Ende der Meldefrist ein Großteil der Milliarde Euro für Track 1 der Lieferungen aus den Beständen der Mitgliedstaaten aufgebraucht sein wird.

Schwieriger gestaltet sich das zweite Gleis mit dem gemeinsamen Einkauf von Artilleriemunition, insbesondere vom Kaliber 155 Millimeter. Für Track 2 steht ebenfalls eine Milliarde Euro zur Verfügung. Laut Borrell wollen acht Mitgliedstaaten sich an einer gemeinsamen Beschaffung unter der Ägide der Europäischen Verteidigungsagentur beteiligen. Bei zwei Sammelbestellungen seien zudem Frankreich und Deutschland federführend. Der EU-Chefdiplomat zeigte sich zuversichtlich, dass das Ziel erreicht werden könne, der Ukraine innerhalb eines Jahres eine Million Artilleriegeschosse liefern.

Pistorius: Können nur einkaufen, was produziert wird

Skeptischer äußerte sich Verteidigungsminister Boris Pistorius. Die EU könne nur einkaufen, was auch produziert werden könne. Die Rüstungsindustrie sei dabei, die Kapazitäten hochzufahren. Pulver für große Munition müsse aber sechs Monate gelagert beziehungsweise getrocknet werden, bevor es abgefüllt werden könne. Dieser Prozess könne nicht abgekürzt werden. Deutschland hat laufende Bestellungen für andere EU-Staaten geöffnet und hofft laut Pistorius, vor der Sommerpause die entsprechenden Rahmenverträge mit der Industrie unterzeichnen zu können.

Pistorius wurde am Rande des Treffens in Brüssel auch auf eine mögliche Beteiligung an einer Koalition von Ländern angesprochen, die der Ukraine F-16 Kampfflugzeuge zur Verfügung stellen wollen. Die Möglichkeiten würden geprüft, seien aber außerordentlich beschränkt, da Deutschland über keine Flugzeuge des Typs verfüge, sagte Pistorius. Die Niederlande, Großbritannien und Dänemark sind bei der Koalition federführend. Zurückhaltend äußerte sich Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der mittags an einem Arbeitsessen teilnahm. Es sei gut, über neue Plattformen zu reden. Es sei aber mindestens so wichtig, dass die Ukraine für Artillerie und Panzer genügend Ersatzteile und Munition bekomme. Stoltenberg gab bekannt, zu einem Treffen der Nato-Verteidigungsminister Mitte Juni Vertreter der Rüstungsindustrie aus Europa und den USA eingeladen zu haben.

Ungarn blockiert Freigabe der Friedensfazilität

Im Fokus der Kritik stand beim Treffen der EU-Verteidigungsminister der Vertreter Ungarns. Ungarn blockiert die Freigabe einer neunten Tranche der Friedensfazilität in Höhe von 500 Millionen Euro. “Ich bin darüber wirklich enttäuscht”, sagte Pistorius. Die Blockade entspreche nicht dem Prinzip der europäischen Solidarität. Anlass der Blockade ist eine schwarze Liste der Ukraine, auf der eine Reihe von Unternehmen aufgeführt sind, die mit Russland Geschäfte machen oder diese seit Kriegsbeginn noch ausgebaut haben, darunter auch Ungarns größtes Finanzinstitut, die OTP Bank. Diese soll den russischen Streitkräften günstige Kredite gewährt haben. Die Liste hat allerdings keine konkrete Wirkung.

Konkrete Auswirkung hat hingegen Ungarns Blockadehaltung. Mitgliedstaaten müssten auf Kompensation aus der Friedensfazilität warten, da die freigegeben Mittel ausgeschöpft seien, betonten EU-Diplomaten. Borrell zeigte sich zuversichtlich, dass die Blockade noch diese Woche aufgelöst werden kann. Er präsentierte zudem beim Treffen Pläne, den Fonds nochmals um 3,5 Milliarden Euro aufzustocken, wobei nur rund ein Drittel für die Ukraine reserviert sein soll. Die EU habe mit den Mitteln aus der Friedensfazilität bereits Kriegsmaterial im Wert von zehn Milliarden Euro für die Ukraine kofinanziert, sagte der EU-Außenbeauftragte. sti

PFAS: Industrie warnt vor Pauschalverbot

In der deutschen Industrie wächst die Kritik an einem möglichen umfassenden Verbot von Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS), den sogenannten Ewigkeitschemikalien. Der Maschinenbauverband VDMA bemängelt in einem heute veröffentlichten Positionspapier, auch Polymere “of low concern” seien betroffen, die für verschiedene industrielle Prozesse unverzichtbar und ungefährlich seien.

PFAS sind künstliche Chemikalien und werden aufgrund ihrer stofflichen Eigenschaften häufig in Kosmetika, Teflongeschirr, Textilien oder Ski-Wachsen verarbeitet. Sie kommen aber auch in Kunststoffen, Pflanzenschutz- und Feuerlöschmitteln vor. Viele der rund 10.000 unter PFAS zusammengefassten Stoffe sind umwelt- und gesundheitsschädlich sowie enorm langlebig.

Allerdings fehlen zu vielen der Stoffe genaue Erkenntnisse über deren Schädlichkeit. Zudem mangelt es teils an Alternativen in industriellen Prozessen. Ein umfassendes PFAS-Verbot innerhalb der EU-Chemikalienverordnung REACH geht auf einen Vorschlag unter anderem von Deutschland zurück und befindet sich derzeit im Konsultierungsprozess.

Wettbewerbsnachteil bei Verbot?

Bestimmte PFAS seien wichtig für Technologien der Energiewende, zum Beispiel für die Herstellung von Brennstoffzellen, Wärmepumpen, Solaranlagen oder Wasserstoffelektrolyseuren, erklärt der VDMA. Von manchen PFAS gehe keine Gefahr für die Umwelt aus und müssten daher von einem Verbot ausgenommen werden. Der Verband stützt sich dabei auf OECD-Untersuchungen. “Eine fundierte Risikobewertung der 10.000 Stoffe wurde nicht vorgenommen, hier soll einfach alles über den gleichen Kamm geschert werden”, sagt Sarah Brückner, Leiterin Umwelt und Nachhaltigkeit beim VDMA.

Zudem weist der VDMA auf einen möglichen Wettbewerbsnachteil europäischer Produzenten hin. Es gebe keine standardisierte Analysemethode, um Produkte mit PFAS zu ermitteln, die nach Europa importiert werden. “Im Ergebnis würde das geplante Verbot bedeuten, dass europäische Produzenten auf PFAS verzichten müssten, während Konkurrenten aus Nicht-Euro-Ländern die Stoffe weiterhin verwenden und sich damit erhebliche Wettbewerbsvorteile verschaffen könnten”, sagt Brückner.

ZVEI: Keine Halbleiter ohne PFAS

Auch der Präsident des Verbandes der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI), Gunther Kegel, warnte vor den Folgen eines schnellen Verbots von PFAS. “Wir laufen Gefahr, ganze Wirtschaftszweige lahmzulegen“, sagte er in Berlin. Im Halbleiterbereich etwa gehe ohne PFAS “gar nichts”. Die Industrie sei sich bewusst, dass sie toxische Teile aus ihren Produkten entfernen müsse. Aber das werde nicht binnen 15 Monaten gelingen.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke versicherte, sie wolle “praktikable Lösungen” finden. Allerdings müssten trotzdem strenge Umwelt- und Naturschutz-Anforderungen gelten. “Wir haben ein gravierendes Problem mit PFAS”, sagte die Grünen-Politikerin auf dem ZVEI-Kongress. Bei Kindern seien heute PFAS zu finden, die bereits nicht mehr am Markt seien. “Das heißt, wir reichern wie unsere Kinder, unsere Enkel diese Substanzen in unseren Körpern an und deshalb müssen wir Vorsorge treffen, weil wir nicht wissen, was das für Auswirkungen haben wird.”

Entscheidung voraussichtlich Ende 2024

Deutschland, Niederlande, Dänemark, Schweden und Norwegen hatten Anfang des Jahres einen Beschränkungsvorschlag für PFAS ausgearbeitet und an die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) übermittelt. Noch bis Ende September konsultiert die ECHA zu diesem Dossier Experten. Anschließend geben der Ausschuss der ECHA für Risikobeurteilung (RAC) sowie der Ausschuss für sozioökonomische Analyse (SEAC) Stellungnahmen ab. Auf deren Basis entscheidet die EU-Kommission unter Einbeziehung der Mitgliedstaaten und des EU-Parlaments. Die finale Entscheidung fällt voraussichtlich Ende des kommenden Jahres.

Europaabgeordnete fast aller Fraktionen machen Druck: In einer Debatte im EU-Parlament im April dieses Jahres forderten Abgeordnete der Christdemokraten, Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen und Linken die Kommission auf, eine Überarbeitung der REACH-Verordnung schnellstmöglich vorzulegen. Ursprünglich wollte die Kommission schon vergangenes Jahr einen Überarbeitungsvorschlag vorlegen, verschob diesen jedoch auf Druck der Unternehmen um ein Jahr. Ein PFAS-Verbot könnte im Rahmen der Reform erfolgen, aber auch innerhalb der geltenden REACH-Verordnung.

Niederlande wollen PFAS-Hersteller haftbar machen

Ebenfalls am Dienstag kündigte die niederländische Regierung an, den US-amerikanischen Hersteller 3M für die Verschmutzung der Schelde mit PFAS haftbar machen zu wollen. Erhöhte Schadstoffwerte hätten beim niederländischen Teil des Flusses zu finanziellen Schäden für die Fischereiflotte und die Regierung geführt, hieß es. Der Website von 3M ist zu entnehmen, dass das Unternehmen auf der belgischen Seite der Schelde, die ihren Ursprung in Frankreich hat, eine Anlage zur Herstellung von Produkten hat, die PFAS enthalten. luk/tho/rtr

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RED-Abstimmung im ITRE auf Juni verschoben

Die Abstimmung über den Trilog-Kompromiss zur Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (RED) im Industrie- und Energieausschuss des EU-Parlaments (ITRE) wird auf Juni verschoben. Das kündigte Ausschussvorsitzender Christian-Silviu Bușoi (EVP) am Dienstag an. Die Entscheidung folgte auf die plötzliche Blockade Frankreichs vergangene Woche. EVP, Renew und EKR befürworten die Verschiebung. Grüne und Sozialdemokraten sind dagegen.

Der Rat dürfe einen so wichtigen Text nicht weiter verzögern, mahnte Bușoi und forderte, dass er noch vor dem Sommer von den Mitgliedstaaten angenommen werden müsse. Nach der Abstimmung im Ausschuss soll der Text im Juli dem Plenum vorgelegt werden.

Die EU-Parlamentarier fordern daher eine schnelle Einigung mit Frankreich und den anderen blockierenden Ländern. Frankreich will den umstrittenen Artikel 22b nachverhandeln. Der Artikel bezieht sich auf das Ziel für grünen und “kohlenstoffarmen” Wasserstoff für die Industrie. Frankreich erhofft sich mehr Möglichkeiten für mit Kernenergie hergestellten Wasserstoff zum Erreichen der Ziele der RED.

Deutschland lehnt Änderungen ab

Während der deutsch-französischen parlamentarischen Versammlung am Dienstag sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, auf die französische Blockade angesprochen, dass Deutschland beabsichtige, “den Text des Abkommens so zu belassen, wie er am 30. März besiegelt wurde”.

Frankreich, das sich bereits einen gewissen Spielraum bei der Produktion von Wasserstoff aus Kernenergie für die Industrie gesichert hat, strebt nun nach mehr Flexibilität, um die Umstellung seiner gasbetriebenen Ammoniakanlagen zu erleichtern. Die Anlagen werden zur Herstellung von Düngemitteln genutzt. cst

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Preisobergrenze bei Strommarktreform spaltet Kommission und Berichterstatter

Die Europäische Kommission lehnt die Einführung einer Preisobergrenze von 180 Euro pro Megawattstunde als dauerhaftes Instrument beim Strom ab. Berichterstatter Nicolás González Casares (S&D) hatte eine Verstetigung der bisher befristeten Maßnahme vorgeschlagen.

“Wir sehen das als problematisch an”, sagte Catharina Sikow-Magny von der GD ENER bei der Europäischen Kommission bei der Anhörung der ITRE-Kommission gestern im Parlament. Zumal es Aufgabe der Kommission sei, zu entscheiden, wann diese Maßnahme aktiviert wird. “Wir können nicht vorhersagen, wie die Zukunft aussehen wird”, erwiderte Sikow-Magny. Laut Casares würde die Preisobergrenze nur während einer Preiskrise in Kraft treten und von der Kommission bis spätestens 2026 bewertet werden, wobei die Möglichkeit besteht, dass die EU-Exekutive eine alternative Maßnahme vorschlägt.

Die EU hat im vergangenen Jahr eine befristete Obergrenze für die Einnahmen sogenannter “inframarginaler Erzeuger” eingeführt, um den Mitgliedstaaten Geld zur Verfügung zu stellen, damit sie die Verbraucher vor steigenden Energierechnungen schützen können. Nach Ansicht des spanischen Gesetzgebers Nicolás González Casares ist eine ähnliche Maßnahme für Notsituationen erforderlich, um sicherzustellen, dass die EU-Regierungen über die finanziellen Möglichkeiten verfügen, die Verbraucher vor Preisschocks zu schützen. “Wenn nur einige Mitgliedsstaaten mit ausreichenden Ressourcen die Kunden schützen können, würde dies zu schwerwiegenden Verzerrungen im Binnenmarkt führen”, heißt es in seinem Änderungsantrag.

EVP: Beeinträchtigung von Nachfrage und Angebot

Die Europaabgeordnete Maria da Graça Carvalho (EVP) sagte in der Anhörung, sie sei mit der Obergrenze “absolut nicht” einverstanden. “Diese Maßnahme könnte die Nachfrage- und Angebotsdynamik beeinträchtigen, indem sie das Angebot auf höhere Bieter von außerhalb der EU verlagert. Außerdem würde sie die Verbraucher vom Energiesparen abhalten und die Industrie von Investitionen, insbesondere in erneuerbare Energien, abhalten“, erklärte Carvalho.

Branchenvertreter der Erneuerbaren Energien und der Elektrizitätswirtschaft kritisieren, dass die Notmaßnahme der EU in ganz Europa schlecht umgesetzt seien, was zu einer Zersplitterung des Strommarktes geführt und das Vertrauen der Investoren untergraben habe. Darüber hinaus hat sich die Preisobergrenze für die Erlöse als “extrem ineffizient” erwiesen, sagte Kristian Ruby, Generalsekretär der Elektrizitätswirtschaftsgruppe Eurelectric, einem weiteren Wirtschaftsverband. “Wenn man nur auf die Erzeuger abzielt, sieht man nicht, wo die wahren Gewinne liegen, nämlich bei den Händlern”, fügte Ruby hinzu. cst

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AGRI-Ausschuss lehnt Gesetz zur Wiederherstellung der Natur ab

Der Landwirtschaftsausschuss des Europäischen Parlaments (AGRI) hat bei seiner Sitzung am Dienstag den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Wiederherstellung der Natur abgelehnt. Im Ausschuss haben 30 Parlamentarier mit “Nein” abgestimmt, angeführt von der EVP, 16 waren dafür, Enthaltungen gab es keine. “Diese Abstimmung muss die Europäische Kommission aufrütteln, da sie für alle unsere Anliegen auf taube Ohren gestoßen ist”, erklärte die Berichterstatterin Anne Sander (EVP) anschließend. “Wir hoffen, dass die Kommission jetzt verhandlungsbereit ist“, fügte sie hinzu.

Wenig überraschend traf die Entscheidung des AGRI-Ausschusses auf starken Gegenwind seitens der Umweltorganisationen in Brüssel. “Der Landwirtschaftsausschuss des Parlaments hat gerade die EU-Agenda zur Wiederherstellung der Natur in den Papierkorb geworfen, die die langfristige Zukunft der Landwirtschaft in Europa gesichert hätte”, kritisierte etwa Sergiy Moroz, Policy Manager für Wasser und Biodiversität beim Europäischen Umweltbüro.

Es liegt nun an den Parlamentariern im Umweltausschuss (ENVI), für ein ehrgeiziges Gesetz zur Wiederherstellung der Natur zu stimmen, sagte er weiter. Der federführende ENVI-Ausschuss soll seine Position am 15. Juni festlegen. cst

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Presseschau

“Russland wird nicht gewinnen” – Bundeskanzler Scholz sicher: Russlands Krieg führt die Ukraine in die EU RND
Cyberabwehr: EU-Rat will das “gesamte Spektrum” der Optionen mobilisieren HEISE
Belarus’ Opposition wirft Beteiligung an Kinderverschleppung vor FAZ
EU-Außengrenze: “Druck an der Grenze nimmt zu und wird von belarussischen Diensten gesteuert” WELT
EU: Bisher 220.000 Geschosse an die Ukraine geliefert DEUTSCHLANDFUNK
EU will mehr Waffen an Ukraine liefern: Eine “Kampfjet-Koalition” zeichnet sich ab TAGESSPIEGEL
Orban glaubt nicht an Sieg der Ukraine: “Es gibt keine Chance, diesen Krieg zu gewinnen” RND
Pistorius von Ungarn enttäuscht: Waffenlieferungen wegen Streit blockiert FAZ
Nach Investigativ-Recherche: EU-Parlament will Luxus-Pensionen kürzen TAGESSPIEGEL
Rückkehr der Solarindustrie nach Europa: Der Sonne hinterher FR
Acht EU-Staaten wollen Euro-7-Standards blockieren FAZ
EU-Minister sehen viele Dilemmas bei kritischen Rohstoffen EURACTIV
Milliarden für Netzausbau: US-Regulierer rät EU zu Big-Tech-Kostenbeteiligung HEISE
13 Milliarden Euro Steuernachzahlung: EU-Kommission vs. Apple wieder vor Gericht HEISE
Wie Meta drohen auch deutschen Firmen hohe EU-Strafen HANDELSBLATT
EU-Vorstoß trifft Investition: Millionen für Lithium-Projekte im Erzgebirge MDR
Batterieproduktion: Brandenburg fordert von EU mehr Unterstützung ZEIT
Kommerzielle Bienenstöcke werden in Europa immer beliebter! EURONEWS
Europäische Union setzt auf Open Ac­cess beim wissenschaftlichen Publizieren AERZTEBLATT
EU, US to seek stopgap standards for AI, EU tech chief says REUTERS

Heads

Alena Kühlein: Die Digitalisierungserklärerin

Alena Kühlein Referatsleiterin Wirtschaft digital bei der DIHK
Alena Kühlein ist Leiterin des Referats Wirtschaft digital der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Aktuell beschäftigt sie sich auf europäischer Ebene intensiv mit dem Data Act und dem AI Act.

Auf ihre Marathonbestzeit von 3:14 Stunden angesprochen, lacht Alena Kühlein. “Gut recherchiert”, sagt sie. “Das ist tatsächlich aktuell.” Auf die Frage, was Digitalisierung und Marathonlaufen gemeinsam haben, muss sie nicht lange überlegen: “Digitalisierung ist ein sehr dynamisches Thema, das sich rasant weiterentwickelt und einen immer wieder herausfordert, bei der Geschwindigkeit mitzuhalten.” Ähnlich sei es beim Laufen.

Kühlein leitet das Referat digitale Wirtschaft der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). In dieser Rolle beobachtet sie den Fortschritt deutscher Unternehmen bei der Umsetzung der Digitalisierung und informiert diese über aktuelle und geplante Digitalgesetzgebung in Deutschland und der EU. Digitalisierung sind für sie vor allem zwei Dinge: ein zentrales Gegenwartsthema und ein Instrument, das dabei hilft, gleich mehrere Krisen besser zu bewältigen.

Stationen im Ausland

Auf die Organisation der Handelskammern ist Kühlein während ihres Studiums der Volkswirtschaftslehre aufmerksam geworden: Bei der Auslandshandelskammer (AHK) in Frankreich absolvierte sie ein Praktikum. Später lernte sie während eines Traineeprogramms das Netzwerk der IHKs- und AHKs kennen, darunter die AHK Peru und die IHK Pfalz. 2020 übernahm sie die Stelle als Referatsleiterin für digitale Wirtschaft, seitdem arbeitet sie in Berlin.

Dass sie als Endzwanzigerin in einer Führungsposition auf ihr vergleichsweise junges Alter angesprochen wird, stört sie wenig. “Der Erfahrungsvorsprung ist bei digitalen Themen begrenzt, weil wir uns immer wieder in neue Entwicklungen einarbeiten müssen”, sagt sie. Ihr Alter sieht sie als Vorteil: Kühlein hat Berührungspunkte zu den neuen Themen, am liebsten probiere sie alles direkt selbst aus.

Digitalisierung ist laut Kühlein kein Zukunftsthema, sondern eines der Gegenwart: “Wir sind da mittendrin und müssen das im Hier und Jetzt mitgestalten“, betont sie. Die Herausforderungen dabei sind verschiedener Art: “Breitbandausbau und die Digitalisierung der Verwaltung begleiten uns schon über viele Jahre, das sind keine neuen Themen” – im Gegensatz zu den vielen innovationsgetriebenen Themen, wie vor allem Künstliche Intelligenz.

Zu wenig Fortschritt

Eine von der DIHK in Auftrag gegebene Umfrage unter 4000 Unternehmen ist zu dem Ergebnis gekommen: Der Digitalisierungsprozess in Deutschland weist kaum Fortschritte auf. “Natürlich bemühen sich die Unternehmen sehr stark und kommen voran”, sagt Kühlein. “Doch relativ gesehen treten sie auf der Stelle.”

Grund dafür seien viele aktuelle Herausforderungen: die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, das Thema Lieferketten, der Fachkräftemangel und die Energiekrise. Es fehlt daher in Unternehmen häufig an zeitlichen, finanziellen und personellen Kapazitäten, um sich den komplexen Aufgaben der digitalen Transformation zu widmen.

Teil der Lösung

Dabei kann die Digitalisierung ein geeignetes Werkzeug sein, um viele Krisen zu bewältigen, sagt Kühlein. Was sie sich wünscht: “Ich bin überzeugt, dass Digitalisierung wahnsinnige Chancen mit sich bringt, und es wichtig ist, sie als Teil der Problemlösung zu sehen.” Als Beispiel dafür, wie sie bei der Bewältigung von Energiekrise helfen kann, nennt sie den Einsatz von KI: “In der Industrie lassen sich durch KI die Leerstände oder Wartezeiten einer Maschine verringern oder gar ganz vermeiden, die Auslastung lässt sich so erheblich optimieren.” Das hätte letztlich auch positive Auswirkungen auf die Energieeffizienz.

Kühlein zieht eine weitere Parallele zum Laufsport: “Beim Marathonlauf reicht es nicht, drei Intervalle zu laufen, sondern man muss kontinuierlich das ganze Jahr lang dranbleiben”, sagt sie. Mit der Digitalisierung sei es ähnlich: “Bei den Unternehmen ist es nicht mit der Einführung einer Technologie getan und fertig” – vielmehr erfordere Digitalisierung eine umfassende, strukturelle, organisatorische, aber auch unternehmenskulturelle Anpassung. Carlos Hanke Barajas

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Kleinanlegerstrategie: Branche stöhnt jetzt schon

    Erklärtes Ziel der Kleinanlegerstrategie – die Kommission will den Vorschlag heute vorlegen – ist, die Kohärenz der europäischen Finanzmarktregulierung zu erhöhen. Darüber hinaus will die Kommission damit den Kapitalmarktzugang für Kleinanleger einfacher und attraktiver machen. Das Ziel der “New Retail Investment Rules” wird von den Akteuren der Finanzmarktbranche grundsätzlich begrüßt: Es sei “wichtig, den Zugang zum Wertpapierkauf zu erleichtern, um so Vermögensaufbau und Altersvorsorge zu stärken”. Das gelte besonders für Deutschland, wo die Beteiligung der Kleinanleger am Wertpapiergeschäft im europäischen Vergleich sehr gering sei.

    Allerdings gibt es Zweifel, ob die Kommission mit den geplanten Anpassungen ihr Ziel der Vereinfachung erreichen wird. “So, wie es im Moment aussieht, drohen die Prozesse für Kunden und Banken eher aufwendiger und damit letztlich teurer zu werden“, heißt es in der Branche. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf geplante umfassende Änderungen in der Anlageberatung (Geeignetheitsprüfung), auch wenn diese inhaltlich von der Kommission noch nicht konkret definiert sind.

    Detailfragen sollen im Level-2-Verfahren geklärt werden

    “Es gibt aus dem Regulierungspaket heraus sehr viele Verweise, dass die konkreten Details über das sogenannte Level-2-Verfahren bestimmt werden. Deshalb kann man zu einzelnen Punkten konkret noch keine Angaben machen”, heißt es weiter in der Branche. Beim Level-2-Verfahren wird das legislative Grundgerüst von EU-Parlament und Rat verabschiedet, die Details in der Umsetzung aber der EU-Kommission im Zusammenspiel mit den zuständigen EU-Behörden überlassen. In diesem Fall dürfte das vorwiegend die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA sein.

    Auch beim beratungsfreien Geschäft (Angemessenheitsprüfung) geht die Branche von weitreichenden Änderungen aus. So sollen die Institute zusätzlich zu aktuell abgefragten Informationen ihrer Kunden auch Angaben zu deren Risikoneigung und Verlusttragfähigkeit erheben. Auch hier sei noch offen, wie konkret sich die Kommission das vorstelle. Im Moment gebe es bei Risikotransaktionen Warnhinweise an die Kunden. Mit den neuen Vorschriften könne es sein, “dass Kunden künftig nicht mehr das kaufen können, was sie kaufen wollen, da die Bank ihnen bestimmte Produkte nicht mehr verkaufen darf”, hört man weiter. “Das grenzt an Bevormundung.” Außerdem sei es für die Institute schwierig, die Angemessenheitsprüfung durchzuführen, da dies nicht in persönlicher Beratung erfolge.

    Kommt eine Kostenbenchmark für Finanzprodukte?

    Auch über Änderungen zur Produkt-Governance kommen auf die Branche Herausforderungen zu. So soll es künftig eine Kostenbenchmark geben, an der sich die Produkte messen lassen müssen. Allerdings sei noch völlig offen, wie die Kommission hier vorgehen wolle. Ob dies für individuelle Produktgruppen gelten solle oder über alle Klassen hinweg. Dann müssten diese erst noch normiert werden. Das günstige Produkt sei nicht automatisch das Beste. “Es gibt Produkte, die enthalten risikomindernde Komponenten, das macht sie natürlich teurer”, erklären die Kreise. Es werde spannend, “wie ESMA und die weiteren EU-Behörden das übergreifend ausfüllen wollen”.

    Betroffen von der neuen Regulierung sind neben der Kreditbranche auch Fonds und die Versicherungen. Skeptisch sieht die Finanzbranche zudem die geplante EU-weite Standardisierung der Kosteninformation für die Kunden. Künftig soll hier nicht nur der Betrag aufgeführt werden, sondern auch die Art und Weise, wie die Kosten berechnet werden. Ob dies mehr Transparenz und notwendige Kenntnisse für die Kunden bringe, um Finanzanlagen zu erwerben, das müsse abgewartet werden. Für die Branche bedeute dies jedenfalls “eine große Umstellung”.

    Unverständnis herrscht in der Branche hinsichtlich der geplanten Neuregelung der Mitarbeiterqualifikation. Es gebe hier weder in Deutschland noch in Europa Defizite. Allerdings erfolge die Qualifizierung der Mitarbeiter in den einzelnen Staaten unterschiedlich. Wenn dies jetzt europaweit vereinheitlicht werde, werde es für viele eine enorme Umstellung ausmachen. “Es werden teure Nachschulungen erforderlich sein, obwohl es im Grunde keinen Missstand gibt.” Positiv hingegen beurteilt die Branche Änderungen in der Kundenkategorisierung. Hier werde es künftig für Privatanleger einfacher sein, als professioneller Investor eingestuft zu werden.

    Verbraucherschützer: Vorschriften gehen nicht weit genug

    Aus Verbraucherschutzkreisen verlautete, die angedachten Maßnahmen seien nicht ausreichend. Der Interessenkonflikt, “der durch Provisionen entsteht und häufig zu Fehl- und Falschberatung führt, bleibt bestehen”. Auch mit Anpassungen an der Geeignetheits- und Angemessenheitsprüfung lasse sich die Beratungsqualität nicht absichern. Dasselbe gelte für die Qualifikation der Verkäufer von Finanzprodukten.

    “Qualifikation ist eine notwendige Voraussetzung für Beratungsqualität, aber bei weitem keine hinreichende”, heißt es bei den Verbraucherschützern. “Hohe Qualifikation ändert ja nichts am Informationsgefälle oder am Interessenkonflikt.” Die Kostenbenchmark sei ein Instrument, “das die Industrie versuchen wird, wegzulobbyieren”. Obwohl die Maßnahmen das Problem nicht an der Wurzel anpackten, sei es wichtig, “diese Instrumente unbedingt umzusetzen”, heißt es. Es gelte zu belegen, “dass das ewige, um den Interessenkonflikt Herumregulieren nicht ausreicht“.

    Überprüfung nach drei Jahren

    Die Verbraucherschutzkreise unterstrichen, die geplante Kostensenkung werde den Fehlanreiz von Abschlussprovisionen nicht lösen. Das Problem bleibe bestehen. Ein Lichtblick sei immerhin die Überprüfungsklausel. Sollte sich zeigen, dass die schädliche Wirkung von Provisionen weiter bestehe, müsste dann zwingend das Provisionsverbot kommen. Die Vorhersage sei, “dass das Problem weiter bestehen bleibt.” Leider verliere man aber für die wichtige Sache der Verbraucherfinanzen wertvolle Zeit, heißt es von Verbraucherschützerseite weiter.

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    Spanien vor den Regionalwahlen: Setzen sich die Konservativen durch?

    Es geht um mehr als nur die Besetzung der zwölf von 17 Regionalparlamente, wenn am Sonntag in Spanien gewählt wird. Seit 1982 lässt sich aus den Ergebnissen dieser Wahlen regelmäßig ablesen, wer auch die Parlamentswahlen wenig später gewinnen wird. Die Hauptfrage ist, ob die Parteien der Regierungskoalition – die Sozialistische Partei (PSOE) und das Linksbündnis Unidas Podemos- die meisten Gemeinden für sich gewinnen können, oder ob die konservative Partido Popular (PP) diese für sich entscheiden kann. In einigen Regionen könnte die PP sogar eine absolute Mehrheit erreichen.

    In der Endphase des Wahlkampfs zeigt die Umfrage des staatlichen Instituts Centro de Investigaciones Sociológicas (CIS) , dass die PP an Zustimmung gewinnt, während die PSOE in den Umfragen leicht verliert. Wurde den Sozialisten am 10. Mai noch ein Ergebnis von 31,7 Prozent vorausgesagt, so sinkt die Prognose nun auf 30,2 Prozent. Für die PP wurde in der letzten Umfrage ein Wahlergebnis von 27,3 Prozent vorhergesagt, das nun auf 27,9 Prozent angestiegen ist. Das CIS, dessen Präsident José Félix Tezanos der PSOE nahesteht, neigt in seinen Umfragen oft dazu, die Linke zu bevorzugen. Diesmal deutet die CIS auf ein Unentschieden zwischen den beiden extremsten Parteien hin: der rechtsgerichteten Vox und dem Linksbündnis Unidas Podemos. Beide würden jeweils acht Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen. Mit dieser Schätzung zeigt die CIS-Umfrage einen Anstieg der Stimmenzahl für Vox.

    Madrid, die am stärksten umkämpfte Region

    In Madrid könnte die Kandidatin der PP, die Präsidentin der Regionalregierung, Isabel Díaz Ayuso, mit 61 bis 70 prognostizierten Sitzen gewinnen. Damit rückt die absolute Mehrheit (68 Sitze) für die PP in Reichweite. Zuletzt war ihre Partei bei den Regionalwahlen in Madrid abgestürzt. Díaz Ayuso kam nur mit Unterstützung der rechten Vox und den liberalen Ciudadanos ins Amt.

    Auch dieses Mal würde Vox aushelfen, sollte Díaz Ayuso die absolute Mehrheit verpassen. Ihnen werden acht bis elf Abgeordnete vorausgesagt. Die Möglichkeit einer PP-Regierung ohne Vox hängt davon ab, ob Podemos genug Stimmen erhält, um ins Parlament einzuziehen. Das ist offen. Für Podemos wäre es ein schwerer Schlag, in der Region, in der die Partei 2014 gegründet wurde, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern.

    Die Partei steckt aktuell in der Krise. Und feuert mit scharfen Geschützen: Pablo Iglesias, der Gründer und ehemalige Vorsitzende von Podemos, wettert über seinen privaten Fernsehsender Canal Red gegen PP-Kandidatin Díaz Ayuso. Podemos hat auch ein Transparent mit dem Bild von Díaz Ayusos Bruder an der Fassade eines Gebäudes in einer der Hauptstraßen Madrids aufgehängt, auf dem dieser wegen eines Korruptionsfalls beim Kauf von Masken während der Pandemie belastet wird. Die spanische Justiz hat den Fall bereits zu den Akten gelegt, ohne dass ein Verbrechen festgestellt wurde.

    Der Kampf um Valencia zwischen PSOE und PP

    Mit der Unterstützung von Vox wäre die PP in der Lage, der PSOE ihre größte Regionalregierung zu entreißen: die Region Valencia. Der Sozialist Ximo Puig hat bereits zwei Amtszeiten an der Spitze dieser Region gedient. Die PP könnte jedoch mit 31 bis 36 Sitzen gewinnen, nur zwei Sitze weniger als die absolute Mehrheit. Ein Bündnis mit Vox – die Partei wird zwischen acht und 12 Sitzen gehandelt – würde der PP die erforderliche Mehrheit verschaffen, falls es ihr an Mandaten mangelt. Allerdings: Sollte der Sozialist Puig zwischen 30 und 34 Sitze erringen, könnte er das Mandat durch eine Wiederholung des Bündnisses mit dem linken Bündnis Compromís und sogar ohne die Einbeziehung von Podemos halten.

    Während das Rennen um die Region Valencia offen ist, dürfte die PP bei der Kommunalwahl in Valencia das Rennen gewinnen, wie die SIGMA-Umfrage für die Zeitung El Mundo ergab. Die PP mit ihrer Kandidatin María José Catalá würde damit dem bisherigen Bürgermeister Joan Ribó von Compromís sein Amt entreißen.

    Sánchez: Werben mit günstigen Tickets für seine Partei

    Auf den Kanarischen Inseln würde die PSOE mit 33 Prozent gewinnen, gefolgt von der PP mit 20 Prozent. Das Gleiche gilt für die Balearen (PSOE 31,5 Prozent, PP 26 Prozent und Vox an dritter Stelle mit 13,6 Prozent). Auch in Kastilien-La Mancha würde die PSOE bei einer absoluten Mehrheit von 17 Sitzen auf 16 bis 22 Sitze kommen. In der Region Murcia –  wichtig für die Landwirtschaft und bekannt als Gemüsegarten Europas -, könnte die PP die Regierung behalten mit Hilfe von Vox. Auch in der Weinregion La Rioja sieht es gut für die PP aus, ebenso wie in der Küstenregion Kantabrien.

    Präsident Pedro Sánchez von den Sozialisten versucht derweil, politisch noch einmal Boden gutzumachen. Am 14. Mai kündigte er an, dass er Menschen über 65 zum Kinobesuch ermutigen wolle, “mit Eintrittskarten für zwei Euro jeden Dienstag”. Die Maßnahme gehört zu denjenigen, die die Regierung in den letzten Wochen mitten im Wahlkampf verabschiedet hat. Seit April hat die Regierung Sánchez für junge Menschen und Familien mit minderjährigen Kindern Garantien für den Erwerb von Wohneigentum gefördert und das Wohnungsbaugesetz verabschiedet, um die Mietpreiskrise zu bekämpfen. Sánchez hat auch Investitionen in den Tourismus angekündigt, mit Ermäßigungen für junge Leute bei Interrail-Reisen in Europa sowie in Zügen und Bussen in Spanien.

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    News

    Borrell meldet Fortschritt bei der Munitionslieferung für Ukraine

    Die EU-Staaten haben der Ukraine seit Ende März 220.000 Artilleriegeschosse und 1.300 Raketen geliefert, insbesondere für die Flugabwehr. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell gab die Zahlen am Dienstag nach einem Treffen der Verteidigungsminister der Mitgliedstaaten bekannt. Noch vor wenigen Tagen war nur von rund 60.000 gelieferten Geschossen die Rede. Wie ist es zu dem großen Sprung gekommen? Die Lieferungen erfolgten nicht linear, sagte Borrell. Es sei normal, dass die Mitgliedstaaten gegen Ende der Frist größere Mengen lieferten und für die Kompensation anmeldeten.

    Die Mitgliedstaaten haben gemäß dem mehrgleisigen Ansatz von Binnenmarktkommissar Thierry Breton und Chefdiplomat Borrell bis Ende Mai Zeit, aus ihren Beständen Munition abzugeben und dafür aus dem Fonds der Europäischen Friedensfazilität kompensiert zu werden. Die Anträge für Kompensation können bis Mitte Juli eingereicht werden. Borrell bezifferte den Wert der seit Ende März gelieferten Munition auf 860 Millionen Euro. Die Mitgliedstaaten können mit einer Kompensation von 50 bis 60 Prozent rechnen. Borrell zeigte sich zuversichtlich, dass bis Ende der Meldefrist ein Großteil der Milliarde Euro für Track 1 der Lieferungen aus den Beständen der Mitgliedstaaten aufgebraucht sein wird.

    Schwieriger gestaltet sich das zweite Gleis mit dem gemeinsamen Einkauf von Artilleriemunition, insbesondere vom Kaliber 155 Millimeter. Für Track 2 steht ebenfalls eine Milliarde Euro zur Verfügung. Laut Borrell wollen acht Mitgliedstaaten sich an einer gemeinsamen Beschaffung unter der Ägide der Europäischen Verteidigungsagentur beteiligen. Bei zwei Sammelbestellungen seien zudem Frankreich und Deutschland federführend. Der EU-Chefdiplomat zeigte sich zuversichtlich, dass das Ziel erreicht werden könne, der Ukraine innerhalb eines Jahres eine Million Artilleriegeschosse liefern.

    Pistorius: Können nur einkaufen, was produziert wird

    Skeptischer äußerte sich Verteidigungsminister Boris Pistorius. Die EU könne nur einkaufen, was auch produziert werden könne. Die Rüstungsindustrie sei dabei, die Kapazitäten hochzufahren. Pulver für große Munition müsse aber sechs Monate gelagert beziehungsweise getrocknet werden, bevor es abgefüllt werden könne. Dieser Prozess könne nicht abgekürzt werden. Deutschland hat laufende Bestellungen für andere EU-Staaten geöffnet und hofft laut Pistorius, vor der Sommerpause die entsprechenden Rahmenverträge mit der Industrie unterzeichnen zu können.

    Pistorius wurde am Rande des Treffens in Brüssel auch auf eine mögliche Beteiligung an einer Koalition von Ländern angesprochen, die der Ukraine F-16 Kampfflugzeuge zur Verfügung stellen wollen. Die Möglichkeiten würden geprüft, seien aber außerordentlich beschränkt, da Deutschland über keine Flugzeuge des Typs verfüge, sagte Pistorius. Die Niederlande, Großbritannien und Dänemark sind bei der Koalition federführend. Zurückhaltend äußerte sich Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der mittags an einem Arbeitsessen teilnahm. Es sei gut, über neue Plattformen zu reden. Es sei aber mindestens so wichtig, dass die Ukraine für Artillerie und Panzer genügend Ersatzteile und Munition bekomme. Stoltenberg gab bekannt, zu einem Treffen der Nato-Verteidigungsminister Mitte Juni Vertreter der Rüstungsindustrie aus Europa und den USA eingeladen zu haben.

    Ungarn blockiert Freigabe der Friedensfazilität

    Im Fokus der Kritik stand beim Treffen der EU-Verteidigungsminister der Vertreter Ungarns. Ungarn blockiert die Freigabe einer neunten Tranche der Friedensfazilität in Höhe von 500 Millionen Euro. “Ich bin darüber wirklich enttäuscht”, sagte Pistorius. Die Blockade entspreche nicht dem Prinzip der europäischen Solidarität. Anlass der Blockade ist eine schwarze Liste der Ukraine, auf der eine Reihe von Unternehmen aufgeführt sind, die mit Russland Geschäfte machen oder diese seit Kriegsbeginn noch ausgebaut haben, darunter auch Ungarns größtes Finanzinstitut, die OTP Bank. Diese soll den russischen Streitkräften günstige Kredite gewährt haben. Die Liste hat allerdings keine konkrete Wirkung.

    Konkrete Auswirkung hat hingegen Ungarns Blockadehaltung. Mitgliedstaaten müssten auf Kompensation aus der Friedensfazilität warten, da die freigegeben Mittel ausgeschöpft seien, betonten EU-Diplomaten. Borrell zeigte sich zuversichtlich, dass die Blockade noch diese Woche aufgelöst werden kann. Er präsentierte zudem beim Treffen Pläne, den Fonds nochmals um 3,5 Milliarden Euro aufzustocken, wobei nur rund ein Drittel für die Ukraine reserviert sein soll. Die EU habe mit den Mitteln aus der Friedensfazilität bereits Kriegsmaterial im Wert von zehn Milliarden Euro für die Ukraine kofinanziert, sagte der EU-Außenbeauftragte. sti

    PFAS: Industrie warnt vor Pauschalverbot

    In der deutschen Industrie wächst die Kritik an einem möglichen umfassenden Verbot von Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS), den sogenannten Ewigkeitschemikalien. Der Maschinenbauverband VDMA bemängelt in einem heute veröffentlichten Positionspapier, auch Polymere “of low concern” seien betroffen, die für verschiedene industrielle Prozesse unverzichtbar und ungefährlich seien.

    PFAS sind künstliche Chemikalien und werden aufgrund ihrer stofflichen Eigenschaften häufig in Kosmetika, Teflongeschirr, Textilien oder Ski-Wachsen verarbeitet. Sie kommen aber auch in Kunststoffen, Pflanzenschutz- und Feuerlöschmitteln vor. Viele der rund 10.000 unter PFAS zusammengefassten Stoffe sind umwelt- und gesundheitsschädlich sowie enorm langlebig.

    Allerdings fehlen zu vielen der Stoffe genaue Erkenntnisse über deren Schädlichkeit. Zudem mangelt es teils an Alternativen in industriellen Prozessen. Ein umfassendes PFAS-Verbot innerhalb der EU-Chemikalienverordnung REACH geht auf einen Vorschlag unter anderem von Deutschland zurück und befindet sich derzeit im Konsultierungsprozess.

    Wettbewerbsnachteil bei Verbot?

    Bestimmte PFAS seien wichtig für Technologien der Energiewende, zum Beispiel für die Herstellung von Brennstoffzellen, Wärmepumpen, Solaranlagen oder Wasserstoffelektrolyseuren, erklärt der VDMA. Von manchen PFAS gehe keine Gefahr für die Umwelt aus und müssten daher von einem Verbot ausgenommen werden. Der Verband stützt sich dabei auf OECD-Untersuchungen. “Eine fundierte Risikobewertung der 10.000 Stoffe wurde nicht vorgenommen, hier soll einfach alles über den gleichen Kamm geschert werden”, sagt Sarah Brückner, Leiterin Umwelt und Nachhaltigkeit beim VDMA.

    Zudem weist der VDMA auf einen möglichen Wettbewerbsnachteil europäischer Produzenten hin. Es gebe keine standardisierte Analysemethode, um Produkte mit PFAS zu ermitteln, die nach Europa importiert werden. “Im Ergebnis würde das geplante Verbot bedeuten, dass europäische Produzenten auf PFAS verzichten müssten, während Konkurrenten aus Nicht-Euro-Ländern die Stoffe weiterhin verwenden und sich damit erhebliche Wettbewerbsvorteile verschaffen könnten”, sagt Brückner.

    ZVEI: Keine Halbleiter ohne PFAS

    Auch der Präsident des Verbandes der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI), Gunther Kegel, warnte vor den Folgen eines schnellen Verbots von PFAS. “Wir laufen Gefahr, ganze Wirtschaftszweige lahmzulegen“, sagte er in Berlin. Im Halbleiterbereich etwa gehe ohne PFAS “gar nichts”. Die Industrie sei sich bewusst, dass sie toxische Teile aus ihren Produkten entfernen müsse. Aber das werde nicht binnen 15 Monaten gelingen.

    Bundesumweltministerin Steffi Lemke versicherte, sie wolle “praktikable Lösungen” finden. Allerdings müssten trotzdem strenge Umwelt- und Naturschutz-Anforderungen gelten. “Wir haben ein gravierendes Problem mit PFAS”, sagte die Grünen-Politikerin auf dem ZVEI-Kongress. Bei Kindern seien heute PFAS zu finden, die bereits nicht mehr am Markt seien. “Das heißt, wir reichern wie unsere Kinder, unsere Enkel diese Substanzen in unseren Körpern an und deshalb müssen wir Vorsorge treffen, weil wir nicht wissen, was das für Auswirkungen haben wird.”

    Entscheidung voraussichtlich Ende 2024

    Deutschland, Niederlande, Dänemark, Schweden und Norwegen hatten Anfang des Jahres einen Beschränkungsvorschlag für PFAS ausgearbeitet und an die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) übermittelt. Noch bis Ende September konsultiert die ECHA zu diesem Dossier Experten. Anschließend geben der Ausschuss der ECHA für Risikobeurteilung (RAC) sowie der Ausschuss für sozioökonomische Analyse (SEAC) Stellungnahmen ab. Auf deren Basis entscheidet die EU-Kommission unter Einbeziehung der Mitgliedstaaten und des EU-Parlaments. Die finale Entscheidung fällt voraussichtlich Ende des kommenden Jahres.

    Europaabgeordnete fast aller Fraktionen machen Druck: In einer Debatte im EU-Parlament im April dieses Jahres forderten Abgeordnete der Christdemokraten, Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen und Linken die Kommission auf, eine Überarbeitung der REACH-Verordnung schnellstmöglich vorzulegen. Ursprünglich wollte die Kommission schon vergangenes Jahr einen Überarbeitungsvorschlag vorlegen, verschob diesen jedoch auf Druck der Unternehmen um ein Jahr. Ein PFAS-Verbot könnte im Rahmen der Reform erfolgen, aber auch innerhalb der geltenden REACH-Verordnung.

    Niederlande wollen PFAS-Hersteller haftbar machen

    Ebenfalls am Dienstag kündigte die niederländische Regierung an, den US-amerikanischen Hersteller 3M für die Verschmutzung der Schelde mit PFAS haftbar machen zu wollen. Erhöhte Schadstoffwerte hätten beim niederländischen Teil des Flusses zu finanziellen Schäden für die Fischereiflotte und die Regierung geführt, hieß es. Der Website von 3M ist zu entnehmen, dass das Unternehmen auf der belgischen Seite der Schelde, die ihren Ursprung in Frankreich hat, eine Anlage zur Herstellung von Produkten hat, die PFAS enthalten. luk/tho/rtr

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    RED-Abstimmung im ITRE auf Juni verschoben

    Die Abstimmung über den Trilog-Kompromiss zur Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (RED) im Industrie- und Energieausschuss des EU-Parlaments (ITRE) wird auf Juni verschoben. Das kündigte Ausschussvorsitzender Christian-Silviu Bușoi (EVP) am Dienstag an. Die Entscheidung folgte auf die plötzliche Blockade Frankreichs vergangene Woche. EVP, Renew und EKR befürworten die Verschiebung. Grüne und Sozialdemokraten sind dagegen.

    Der Rat dürfe einen so wichtigen Text nicht weiter verzögern, mahnte Bușoi und forderte, dass er noch vor dem Sommer von den Mitgliedstaaten angenommen werden müsse. Nach der Abstimmung im Ausschuss soll der Text im Juli dem Plenum vorgelegt werden.

    Die EU-Parlamentarier fordern daher eine schnelle Einigung mit Frankreich und den anderen blockierenden Ländern. Frankreich will den umstrittenen Artikel 22b nachverhandeln. Der Artikel bezieht sich auf das Ziel für grünen und “kohlenstoffarmen” Wasserstoff für die Industrie. Frankreich erhofft sich mehr Möglichkeiten für mit Kernenergie hergestellten Wasserstoff zum Erreichen der Ziele der RED.

    Deutschland lehnt Änderungen ab

    Während der deutsch-französischen parlamentarischen Versammlung am Dienstag sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, auf die französische Blockade angesprochen, dass Deutschland beabsichtige, “den Text des Abkommens so zu belassen, wie er am 30. März besiegelt wurde”.

    Frankreich, das sich bereits einen gewissen Spielraum bei der Produktion von Wasserstoff aus Kernenergie für die Industrie gesichert hat, strebt nun nach mehr Flexibilität, um die Umstellung seiner gasbetriebenen Ammoniakanlagen zu erleichtern. Die Anlagen werden zur Herstellung von Düngemitteln genutzt. cst

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    Preisobergrenze bei Strommarktreform spaltet Kommission und Berichterstatter

    Die Europäische Kommission lehnt die Einführung einer Preisobergrenze von 180 Euro pro Megawattstunde als dauerhaftes Instrument beim Strom ab. Berichterstatter Nicolás González Casares (S&D) hatte eine Verstetigung der bisher befristeten Maßnahme vorgeschlagen.

    “Wir sehen das als problematisch an”, sagte Catharina Sikow-Magny von der GD ENER bei der Europäischen Kommission bei der Anhörung der ITRE-Kommission gestern im Parlament. Zumal es Aufgabe der Kommission sei, zu entscheiden, wann diese Maßnahme aktiviert wird. “Wir können nicht vorhersagen, wie die Zukunft aussehen wird”, erwiderte Sikow-Magny. Laut Casares würde die Preisobergrenze nur während einer Preiskrise in Kraft treten und von der Kommission bis spätestens 2026 bewertet werden, wobei die Möglichkeit besteht, dass die EU-Exekutive eine alternative Maßnahme vorschlägt.

    Die EU hat im vergangenen Jahr eine befristete Obergrenze für die Einnahmen sogenannter “inframarginaler Erzeuger” eingeführt, um den Mitgliedstaaten Geld zur Verfügung zu stellen, damit sie die Verbraucher vor steigenden Energierechnungen schützen können. Nach Ansicht des spanischen Gesetzgebers Nicolás González Casares ist eine ähnliche Maßnahme für Notsituationen erforderlich, um sicherzustellen, dass die EU-Regierungen über die finanziellen Möglichkeiten verfügen, die Verbraucher vor Preisschocks zu schützen. “Wenn nur einige Mitgliedsstaaten mit ausreichenden Ressourcen die Kunden schützen können, würde dies zu schwerwiegenden Verzerrungen im Binnenmarkt führen”, heißt es in seinem Änderungsantrag.

    EVP: Beeinträchtigung von Nachfrage und Angebot

    Die Europaabgeordnete Maria da Graça Carvalho (EVP) sagte in der Anhörung, sie sei mit der Obergrenze “absolut nicht” einverstanden. “Diese Maßnahme könnte die Nachfrage- und Angebotsdynamik beeinträchtigen, indem sie das Angebot auf höhere Bieter von außerhalb der EU verlagert. Außerdem würde sie die Verbraucher vom Energiesparen abhalten und die Industrie von Investitionen, insbesondere in erneuerbare Energien, abhalten“, erklärte Carvalho.

    Branchenvertreter der Erneuerbaren Energien und der Elektrizitätswirtschaft kritisieren, dass die Notmaßnahme der EU in ganz Europa schlecht umgesetzt seien, was zu einer Zersplitterung des Strommarktes geführt und das Vertrauen der Investoren untergraben habe. Darüber hinaus hat sich die Preisobergrenze für die Erlöse als “extrem ineffizient” erwiesen, sagte Kristian Ruby, Generalsekretär der Elektrizitätswirtschaftsgruppe Eurelectric, einem weiteren Wirtschaftsverband. “Wenn man nur auf die Erzeuger abzielt, sieht man nicht, wo die wahren Gewinne liegen, nämlich bei den Händlern”, fügte Ruby hinzu. cst

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    AGRI-Ausschuss lehnt Gesetz zur Wiederherstellung der Natur ab

    Der Landwirtschaftsausschuss des Europäischen Parlaments (AGRI) hat bei seiner Sitzung am Dienstag den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Wiederherstellung der Natur abgelehnt. Im Ausschuss haben 30 Parlamentarier mit “Nein” abgestimmt, angeführt von der EVP, 16 waren dafür, Enthaltungen gab es keine. “Diese Abstimmung muss die Europäische Kommission aufrütteln, da sie für alle unsere Anliegen auf taube Ohren gestoßen ist”, erklärte die Berichterstatterin Anne Sander (EVP) anschließend. “Wir hoffen, dass die Kommission jetzt verhandlungsbereit ist“, fügte sie hinzu.

    Wenig überraschend traf die Entscheidung des AGRI-Ausschusses auf starken Gegenwind seitens der Umweltorganisationen in Brüssel. “Der Landwirtschaftsausschuss des Parlaments hat gerade die EU-Agenda zur Wiederherstellung der Natur in den Papierkorb geworfen, die die langfristige Zukunft der Landwirtschaft in Europa gesichert hätte”, kritisierte etwa Sergiy Moroz, Policy Manager für Wasser und Biodiversität beim Europäischen Umweltbüro.

    Es liegt nun an den Parlamentariern im Umweltausschuss (ENVI), für ein ehrgeiziges Gesetz zur Wiederherstellung der Natur zu stimmen, sagte er weiter. Der federführende ENVI-Ausschuss soll seine Position am 15. Juni festlegen. cst

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    Presseschau

    “Russland wird nicht gewinnen” – Bundeskanzler Scholz sicher: Russlands Krieg führt die Ukraine in die EU RND
    Cyberabwehr: EU-Rat will das “gesamte Spektrum” der Optionen mobilisieren HEISE
    Belarus’ Opposition wirft Beteiligung an Kinderverschleppung vor FAZ
    EU-Außengrenze: “Druck an der Grenze nimmt zu und wird von belarussischen Diensten gesteuert” WELT
    EU: Bisher 220.000 Geschosse an die Ukraine geliefert DEUTSCHLANDFUNK
    EU will mehr Waffen an Ukraine liefern: Eine “Kampfjet-Koalition” zeichnet sich ab TAGESSPIEGEL
    Orban glaubt nicht an Sieg der Ukraine: “Es gibt keine Chance, diesen Krieg zu gewinnen” RND
    Pistorius von Ungarn enttäuscht: Waffenlieferungen wegen Streit blockiert FAZ
    Nach Investigativ-Recherche: EU-Parlament will Luxus-Pensionen kürzen TAGESSPIEGEL
    Rückkehr der Solarindustrie nach Europa: Der Sonne hinterher FR
    Acht EU-Staaten wollen Euro-7-Standards blockieren FAZ
    EU-Minister sehen viele Dilemmas bei kritischen Rohstoffen EURACTIV
    Milliarden für Netzausbau: US-Regulierer rät EU zu Big-Tech-Kostenbeteiligung HEISE
    13 Milliarden Euro Steuernachzahlung: EU-Kommission vs. Apple wieder vor Gericht HEISE
    Wie Meta drohen auch deutschen Firmen hohe EU-Strafen HANDELSBLATT
    EU-Vorstoß trifft Investition: Millionen für Lithium-Projekte im Erzgebirge MDR
    Batterieproduktion: Brandenburg fordert von EU mehr Unterstützung ZEIT
    Kommerzielle Bienenstöcke werden in Europa immer beliebter! EURONEWS
    Europäische Union setzt auf Open Ac­cess beim wissenschaftlichen Publizieren AERZTEBLATT
    EU, US to seek stopgap standards for AI, EU tech chief says REUTERS

    Heads

    Alena Kühlein: Die Digitalisierungserklärerin

    Alena Kühlein Referatsleiterin Wirtschaft digital bei der DIHK
    Alena Kühlein ist Leiterin des Referats Wirtschaft digital der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Aktuell beschäftigt sie sich auf europäischer Ebene intensiv mit dem Data Act und dem AI Act.

    Auf ihre Marathonbestzeit von 3:14 Stunden angesprochen, lacht Alena Kühlein. “Gut recherchiert”, sagt sie. “Das ist tatsächlich aktuell.” Auf die Frage, was Digitalisierung und Marathonlaufen gemeinsam haben, muss sie nicht lange überlegen: “Digitalisierung ist ein sehr dynamisches Thema, das sich rasant weiterentwickelt und einen immer wieder herausfordert, bei der Geschwindigkeit mitzuhalten.” Ähnlich sei es beim Laufen.

    Kühlein leitet das Referat digitale Wirtschaft der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). In dieser Rolle beobachtet sie den Fortschritt deutscher Unternehmen bei der Umsetzung der Digitalisierung und informiert diese über aktuelle und geplante Digitalgesetzgebung in Deutschland und der EU. Digitalisierung sind für sie vor allem zwei Dinge: ein zentrales Gegenwartsthema und ein Instrument, das dabei hilft, gleich mehrere Krisen besser zu bewältigen.

    Stationen im Ausland

    Auf die Organisation der Handelskammern ist Kühlein während ihres Studiums der Volkswirtschaftslehre aufmerksam geworden: Bei der Auslandshandelskammer (AHK) in Frankreich absolvierte sie ein Praktikum. Später lernte sie während eines Traineeprogramms das Netzwerk der IHKs- und AHKs kennen, darunter die AHK Peru und die IHK Pfalz. 2020 übernahm sie die Stelle als Referatsleiterin für digitale Wirtschaft, seitdem arbeitet sie in Berlin.

    Dass sie als Endzwanzigerin in einer Führungsposition auf ihr vergleichsweise junges Alter angesprochen wird, stört sie wenig. “Der Erfahrungsvorsprung ist bei digitalen Themen begrenzt, weil wir uns immer wieder in neue Entwicklungen einarbeiten müssen”, sagt sie. Ihr Alter sieht sie als Vorteil: Kühlein hat Berührungspunkte zu den neuen Themen, am liebsten probiere sie alles direkt selbst aus.

    Digitalisierung ist laut Kühlein kein Zukunftsthema, sondern eines der Gegenwart: “Wir sind da mittendrin und müssen das im Hier und Jetzt mitgestalten“, betont sie. Die Herausforderungen dabei sind verschiedener Art: “Breitbandausbau und die Digitalisierung der Verwaltung begleiten uns schon über viele Jahre, das sind keine neuen Themen” – im Gegensatz zu den vielen innovationsgetriebenen Themen, wie vor allem Künstliche Intelligenz.

    Zu wenig Fortschritt

    Eine von der DIHK in Auftrag gegebene Umfrage unter 4000 Unternehmen ist zu dem Ergebnis gekommen: Der Digitalisierungsprozess in Deutschland weist kaum Fortschritte auf. “Natürlich bemühen sich die Unternehmen sehr stark und kommen voran”, sagt Kühlein. “Doch relativ gesehen treten sie auf der Stelle.”

    Grund dafür seien viele aktuelle Herausforderungen: die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, das Thema Lieferketten, der Fachkräftemangel und die Energiekrise. Es fehlt daher in Unternehmen häufig an zeitlichen, finanziellen und personellen Kapazitäten, um sich den komplexen Aufgaben der digitalen Transformation zu widmen.

    Teil der Lösung

    Dabei kann die Digitalisierung ein geeignetes Werkzeug sein, um viele Krisen zu bewältigen, sagt Kühlein. Was sie sich wünscht: “Ich bin überzeugt, dass Digitalisierung wahnsinnige Chancen mit sich bringt, und es wichtig ist, sie als Teil der Problemlösung zu sehen.” Als Beispiel dafür, wie sie bei der Bewältigung von Energiekrise helfen kann, nennt sie den Einsatz von KI: “In der Industrie lassen sich durch KI die Leerstände oder Wartezeiten einer Maschine verringern oder gar ganz vermeiden, die Auslastung lässt sich so erheblich optimieren.” Das hätte letztlich auch positive Auswirkungen auf die Energieeffizienz.

    Kühlein zieht eine weitere Parallele zum Laufsport: “Beim Marathonlauf reicht es nicht, drei Intervalle zu laufen, sondern man muss kontinuierlich das ganze Jahr lang dranbleiben”, sagt sie. Mit der Digitalisierung sei es ähnlich: “Bei den Unternehmen ist es nicht mit der Einführung einer Technologie getan und fertig” – vielmehr erfordere Digitalisierung eine umfassende, strukturelle, organisatorische, aber auch unternehmenskulturelle Anpassung. Carlos Hanke Barajas

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