im Jahr 1952 ist die Gemeinsame Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl erstmals zusammengekommen. Zehn Jahre später bekam die Versammlung den Namen Europäisches Parlament. Zum 70. Jahrestag der EU-Institution hat Markus Grabitz mit Reinhard Bütikofer gesprochen, Grünen-Politiker und seit 2009 Mitglied des EP. “Als Stärke des Parlaments habe ich immer die ausgesprochene Kollegialität unter seinen Mitgliedern erlebt”, sagt er im Interview. Doch er macht auch Vorschläge, was besser laufen kann.
Kritische Worte über das EP findet Markus Ferber. Er ist seit 1994 Mitglied des Parlaments und damit der dienstälteste CSU-Mann in Brüssel. Früher sei das EP kraftvoll in Verhandlungen mit dem Rat gegangen. Das sei heute anders, “technokratisch und bürokratisch” seien die Abläufe mittlerweile. Kritik übt Ferber auch an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, wie Sie im Porträt von Hans-Peter Siebenhaar lesen können.
In die Suche nach einem neuen Geschäftsführenden Direktor des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ist neuer Schwung gekommen. Wie Europe.Table erfahren hat, ist der ehemalige luxemburgische Finanzminister Pierre Gramegna nun wieder im Rennen. Offenbar hat nach Frankreich auch Italien seinen Widerstand gegen Gramegna aufgegeben. Eine endgültige Entscheidung steht aber noch aus.
275 Euro – das ist der Wert für den Gaspreisdeckel, auf den sich die Kommission festgelegt hat. Allerdings könnte dieser Wert zu einem dauerhaften politischen Spielball unter den Mitgliedstaaten werden. Grund ist eine neue Klausel in dem Entwurf, den die Kommission gestern offiziell vorgestellt hat. Mehr dazu erfahren Sie in den News.
Das Europaparlament begeht in diesen Tagen seinen 70. Die Gemeinsame Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ist im September 1952 das erste Mal zusammengekommen. Daraus wurde unser Europaparlament. Sie sind seit 2009 Mitglied. Was macht dieses Parlament für Sie besonders?
Das EP ist besonders, weil es die einzige von Bürgerinnen und Bürgern direkt gewählte transnationale parlamentarische Institution der Welt ist.
Was ist die besondere Stärke?
Als Stärke des Parlaments habe ich immer die ausgesprochene Kollegialität unter seinen Mitgliedern erlebt – unabhängig von Parteizugehörigkeit und Nationalität. Als Parlamentarier kenne ich noch den Landtag von Baden-Württemberg. Ich war finanz- und haushaltspolitischer Sprecher der Grünen, wir waren in der Opposition. Irgendwann kam der Finanzminister Gerhard Mayer-Vorfelder (CDU) zu mir. Er verstehe gar nicht, warum ich meine Anträge immer so engagiert vortrage. Er sagte: “Wir stimmen doch sowieso alles nieder.” So war es auch. Ich habe in acht Jahren eine einzige Abstimmung gewonnen.
Das ist hier anders: Da wird der Konsens gesucht, da wird über Fraktionsgrenzen hinweg zusammengearbeitet. Ich kann als Abgeordneter einer immer noch kleinen Fraktion Dinge realisieren, wenn ich mit den Kollegen aus anderen Fraktionen konstruktiv zusammenarbeite.
Es ist also kein Malus für das EP, dass es nicht Opposition und Regierung abbildet?
Das Raster des Nationalstaats passt hier nicht. Das EP hat es zum einen mit der Kommission als Exekutive zu tun und andererseits mit dem Rat, der 27-fachen Exekutive der Mitgliedsländer. Letzteren gegenüber ist das EP die starke unitarische Instanz der gesamten EU. Es trägt damit zum Zusammenhalt der EU enorm bei. Anfangs saß man im EP nach Ländern, seit 1958 sitzen wir nach Parteienfamilien sortiert.
Es gibt im EP auch parteipolitische Auseinandersetzungen. Sie sind aber nicht so erstarrt und verkrustet wie in vielen anderen Parlamenten. Vielmehr findet Kooperation statt. Schauen Sie: An einem einzigen Tag stimmen mal die Liberalen und Christdemokraten zusammen, dann die Grünen mit Christdemokraten und Sozialisten. Was zählt, ist die Sache. Der Parlamentarismus im EP ist lebendiger.
Was man über die Debattenkultur nicht sagen kann…
Die Debattenkultur ist verbesserungswürdig. Aber ob es mir gefällt oder nicht, wir müssen uns kurzfassen. In meiner über 13-jährigen Tätigkeit komme ich im Schnitt auf eine Länge des einzelnen Beitrags von etwa zwei Minuten. Meistens darf ich nicht länger als eine Minute reden.
Wie kann das EP besser werden?
Zum einen sollte es mit weniger Sitzungswochen auskommen. Wir haben fast doppelt so viele Sitzungswochen wie im Bundestag. Das sollte geändert werden, damit die Abgeordneten mehr Zeit für den Wahlkreis haben. Zweitens sollte das EP noch mehr in die Zusammenarbeit mit den nationalen Parlamenten investieren. Für die europäische Sache wäre es wichtig, wenn eine Phalanx der europäischen Parlamente entstünde.
Das EP hat sich seine Kompetenzen über Jahrzehnte erkämpft.
Das ist richtig. Besondere Verdienste hat sich bei der Stärkung des EP der langjährige CDU-Abgeordnete Elmar Brok erworben. Wir haben mit andern zusammen das Spitzenkandidatenmodell realisiert.
Das hat beim letzten Mal nicht geklappt. Hat das EP sein Blatt überreizt?
Die Spitzenkandidatur ist nach wie vor eine Möglichkeit, um die demokratische Legitimation des Kommissionspräsidenten zu stärken. Wenn die europäischen politischen Parteien zu entsprechender Gemeinsamkeit finden, wird es bei der nächsten Wahl wieder funktionieren. Leider waren beim letzten Mal nur die Grünen und die Christdemokraten dazu bereit.
Kann das EP seine Kompetenzen weiter ausbauen?
Es kann seine Rolle stärken, indem es etwa seine Kontrollfunktion über die Kommission ausbaut. Ein Vorbild könnte da die Reichweite des US-Kongresses bei der Beaufsichtigung der Exekutive sein. Anderer Punkt: Formal darf das EP nur die ganze Kommission abwählen. Wenn Kommissar Olivér Várhelyi aus Ungarn mehr eine Politik für Viktor Orbán macht als für die EU, dann sollte das EP ihn öffentlich so direkt unter Druck setzen, dass die Kommissionspräsidentin handeln muss.
Das EP soll sich das Recht erkämpfen, einzelne Kommissare abzuwählen?
Die Geschichte des EP zeigt: Lange bevor es das formale Recht bekommen hat, den Kommissionspräsidenten zu wählen, hat das EP Beschlüsse zu den vorgeschlagenen Kommissionspräsidenten gefasst. So muss man es wieder machen. Das EP muss Stück für Stück die Bedingungen ändern, um am Ende dann über eine Vertragsänderung das formale Recht zu bekommen.
Sie waren acht Jahre im Landtag, werden am Ende 15 Jahre im EP gewesen sein, aber nie im Bundestag. Zeigen diese Zahlen, wo Ihr Herz als Parlamentarier schlägt?
Ich wollte nie in den Bundestag. Die Freiheit, die ich mir im Landtag genommen habe, die ich im EP genieße, hätte ich so im Bundestag nicht gehabt. In und für Europa wollte ich schon lange wirken. Diese Leidenschaft ist bei mir tief verankert.
Ihren Verordnungsvorschlag zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch und seinen Darstellungen (Child Sexual Abuse Material, CSAM) im Netz hatte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson im Frühjahr vorgelegt. Seitdem wird gestritten und diskutiert. Die tschechische Ratspräsidentschaft ist mit den bislang erzielten Fortschritten auf Arbeitsebene zufrieden, erklärt eine Sprecherin auf Anfrage. Vor allem die Umsetzung der Verordnung in Technologie sei ein Schlüsselfaktor, mit dem sich Ratspräsidentschaft und Kommission in Workshops zu Erkennungstechnologien und Altersverifizierung auseinandergesetzt hätten. Das Dossier werde von der schwedischen Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr weiterbearbeitet.
Im Europaparlament sind die Arbeiten an der CSAM-Verordnung dabei noch nicht einmal richtig losgegangen: Ein erstes Treffen des Berichterstatters Javier Zarzalejos (EVP) mit seinen Schattenberichterstattern im federführenden Ausschuss für bürgerliche Freiheiten (LIBE) ist für kommende Woche Mittwoch geplant.
Dass die CSAM-Verordnung viele Probleme mit sich bringen wird, war bereits bei ihrer Vorstellung klar. So sollen Plattformbetreiber, Hostinganbieter und Anbieter von Kommunikationsdiensten wie Instant Messaging dazu verpflichtet werden, in ihrem Zuständigkeitsbereich aktiv nach möglichen Abbildungen von Kindesmissbrauch zu forschen und diese an zuständige Stellen zu melden. Das sehen Kritiker als “Chatkontrolle” an und verweisen darauf, dass Nutzer auf diese Weise unter Generalverdacht gestellt würden und in die Gefahr gerieten, zu Unrecht verdächtigt zu werden.
In der Bundesregierung ist die Meinungsbildung dazu nicht abgeschlossen, die FDP-geführten Digital- und Justizministerien hatten von vornherein eine äußerst skeptische Haltung. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hegt starke Sympathie für den Vorschlag der EU-Kommission. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte sich bislang nicht eindeutig dazu verhalten.
Bei einem Fachgespräch der Grünen-Bundestagsfraktion zum Vorschlag der EU zur CSAM-Verordnung wurde nun deutlich, wie problematisch der Vorschlag aus Expertensicht ist. Familienministerin Paus wies auf den Zielkonflikt hin, dass eine private Chatkontrolle unerwünscht, auf der anderen Seite mehr Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt aber nötig sei. Man sei sich in der Bundesregierung einig, dass es gut sei, dass es einen Entwurf gebe, dieser aber “differenziert zu betrachten” sei.
Dass Anbieter verpflichtend mehr für Kinderschutz tun müssten, sei aus ihrer Sicht unstrittig, genau wie ein hohes Datenschutzniveau und eine sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Die Datenschutzbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein, Marit Hansen, warnte sowohl davor, Ende-zu-Ende-Verschlüsselung aufzubrechen als auch davor, automatisierte Erkennung für ein Allheilmittel zu halten.
Wenn ein Ermittler aus der Praxis erzählt, wird auch ein anderes Problem schnell klar. Kriminaloberrat Lars Oeffner berichtete als Vertreter der Gewerkschaft der Polizei bei dem Fachgespräch von einem enormen Zuwachs an Meldungen über Darstellungen sexuellen Missbrauchs an Kindern, die von den Ermittlern abgearbeitet werden müssten. Vor zwei Jahren habe es 2.000 Verdachtsmeldungen gegeben, jetzt 80.000, sagt der Leiter des Dezernats Cybercrime und Digitale Spuren am Landeskriminalamt Schleswig-Holstein.
Das liege nicht zuletzt an US-Plattformen, die automatisiert Inhalte scannen und deren Meldungen auch an europäische Stellen gingen. “Vor unseren Augen wird munter ausgetauscht, werden Videos und Bilder geteilt, da können wir nichts machen, weil wir geflutet werden von den Meldungen“, sagte Oeffner. Vor allem mangele es an Personal, aber auch an Rechtssicherheit für die Ermittler. Er erwarte zudem, dass das jetzt in Deutschland vorgeschlagene Quick-Freeze-Verfahren als Ersatz für die Vorratsdatenspeicherung in vielen Fällen nicht funktionieren werde.
Dass der Europäische Gerichtshof schon die Vorratsdatenspeicherung ja nur deshalb überhaupt in engen Grenzen für zulässig erklärt habe, weil bei dieser eben keine Inhalte gespeichert werden, betonte Felix Reda von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Und warnte zugleich vor einer zu weitgehenden Regulierung durch die CSAM-Verordnung, die an der Realität vorbeigehe. Als Beispiel nannte er die Nutzung von Apps durch Minderjährige. Dies sei nicht sauber abzugrenzen, sagte der frühere Europaabgeordnete. Zudem seien beim Begriff Minderjährige sowohl Kinder als auch 17-Jährige gemeint.
Inhalte-Monitoring würde bereits durch große Anbieter betrieben, erläuterte Jutta Croll von der Stiftung Digitale Chancen. Bei den ebenfalls im Entwurf der CSAM-Verordnung vorgesehenen Maßnahmen zum Grooming betonte sie: “Letzten Endes sind alle Maßnahmen davon abhängig, dass wir wissen müssen, wie alt nicht nur junge Nutzer im Netz sind, sondern wie alt alle Nutzer sind.”
Dass es irgendeine Art von Altersverifikation brauche, sagte Joachim Türk vom Kinderschutzbund: “Das Internet ist leider von Anfang an eine Erwachsenenwelt gewesen, und das ist es noch. Und es ist eine Erwachsenenwelt, designt von weißen Männern.”
Worauf die Veranstaltung der Grünen-Bundestagsfraktion einen Vorgeschmack gab: Die Debatte um die CSAM-Verordnung dürfte in den kommenden Monaten erst richtig beginnen.
Der ehemalige luxemburgische Finanzminister Pierre Gramegna ist wieder im Rennen für den Posten als Geschäftsführender Direktor des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Nach Informationen von Europe.Table hat nach Frankreich auch Italien seinen Widerstand gegen den Luxemburger aufgegeben. Zur Begründung hieß es, die unsichere internationale Lage erfordere einen besonnenen und erfahrenen Finanzpolitiker als Managing Direktor des ESM, der sich zudem mit den Abläufen der europäischen Institutionen bestens auskenne.
Allerdings ist die Entscheidung, Gramegna als neuen Chef des Rettungsschirms einzusetzen, laut den Informationen noch nicht in trockenen Tüchern. Es gebe auch noch andere Namen, aber Gramegna habe mit dem Rückhalt von Deutschland, Frankreich und Italien gute Aussichten, das Rennen zu machen. Unterstrichen wurde, dass im Gegensatz zum bisherigen Vorgehen die Eurogruppe diesmal eine Kampfabstimmung vermeiden und den Chefposten im Konsens entscheiden wolle. Derzeit gebe es seitens der großen Mitgliedstaaten Gespräche, alle Euro-Partner an Bord zu holen.
Gramegna war bereits im Jahresverlauf ein Kandidat für den ESM-Chefposten gewesen, zusammen mit dem Portugiesen João Leão. Beide konnten aber trotz mehrerer Wahlgänge unter den Finanzministern der Eurozone nicht die nötige qualifizierte Mehrheit von 80 Prozent des ESM-Kapitals auf sich vereinen, deshalb zogen beide im September ihre Bewerbungen zurück. Die Entscheidung über den ESM-Vorsitz soll am 5. Dezember beim nächsten Treffen der Euro-Finanzminister in Brüssel erfolgen.
Pierre Gramegna, der von Beginn an die Unterstützung der Bundesregierung hatte, war von 2013 bis Anfang 2022 Finanzminister in Luxemburg. Er hatte im November 2021 aus familiären Gründen seinen Rücktritt erklärt. Aktuell leitet der stellvertretende ESM-Geschäftsführer, Christophe Frankel, übergangsweise die Geschäfte des Rettungsschirms. Sein Mandat endet allerdings zum Jahresende. Der langjährige Chef Klaus Regling stand nach zehn Jahren an der Spitze nicht mehr zur Verfügung. cr
Die Kommission hat sich auf einen Wert für den Gaspreisdeckel festgelegt, er soll 275 Euro betragen. Allerdings könnte dieser Wert zu einem dauerhaften politischen Spielball unter den Mitgliedstaaten werden. Grund ist eine neue Klausel in dem Entwurf, den die Kommission gestern offiziell vorstellte, und die in dem Leak noch nicht enthalten war, über das Europe.Table bereits am Mittwochmorgen berichtet hatte.
Zunächst legte sich die Kommission gestern auf zwei Kriterien fest, nach denen der Market Correction Mechanism aktiviert werden soll: Der Preis der Kontrakte für den Frontmonat müsste zwei Wochen lang über 275 Euro pro Megawattstunde liegen und der Preis am Spotmarkt zehn Handelstage lang weitere 58 Euro über dieser Schwelle.
Diese Werte soll der Rat aber dem offiziellen Entwurf zufolge immer wieder neu festlegen können. Ausreichen sollen dazu unter anderem schon “Marktentwicklungen”. Damit droht eine immer wieder aufflackernde Politisierung des Gaspreises. In der Diskussion ist deshalb, keinen fixen Preisdeckel einzuziehen, sondern einen dynamischen Korridor, wie ihn auch die EU-Staats- und Regierungschefs Ende Oktober gefordert hatten. Dabei würden vorab feste Kriterien beschlossen, nach denen der Preisdeckel je nach Marktentwicklung dynamisch nach oben oder unten angepasst werden könnte.
Beschlossen werden soll der Vorschlag der Kommission beim Energieministerrat am 19. Dezember, beim morgigen Treffen ist zunächst ein erster Austausch geplant.
Für Diskussionen dürfte sorgen, dass der Preisdeckel, so wie ihn die Kommission vorschlägt, selbst in diesem Sommer nie aktiviert worden wäre. Im August war der TTF zeitweise auf 350 Euro pro Megawattstunde gestiegen. Die Kommission hatte in den vergangenen Wochen immer wieder erklärt, der Sinn des Market Correction Mechanism sei es, genau diese exzessiven Preissprünge verhindern zu wollen. Allerdings habe der TTF die Schwelle von 275 Euro im August nur für eine Woche durchbrochen, schrieb Marco Giuli von der Brussels School of Governance auf Twitter. Der Mechanismus wäre also schon am ersten der beiden Kriterien gescheitert. ber
Die EU-Kommission hat die Mitgliedstaaten aufgefordert, die Hilfen für teure Energierechnungen gezielter auszurichten. Weniger als 30 Prozent der Maßnahmen seien auf bedürftige Haushalte und Unternehmen zugeschnitten und senkten dabei den Energieverbrauch, sagte Vizepräsident Valdis Dombrovskis. Besser geeignet sei ein System, das nur den Preis für einen bestimmten Grundbedarf subventioniere und den übrigen Verbrauch zu Marktpreisen belasse.
Das entspricht zwar im Ansatz der Energiepreisbremse, die die Ampel-Koalition in Berlin plant. Allerdings lässt die Kommission durchblicken, dass ihr die Bundesregierung dabei zu großzügig ist.
Die Bundesregierung hat sich inzwischen darauf verständigt, 80 Prozent des Gas-Vorjahresverbrauchs auf zwölf Cent pro Kilowattstunde für Haushalte und Gewerbe zu deckeln. Beim Strom soll der Deckel bei 40 Cent liegen. Ein Verbrauch über 80 Prozent des Vorjahres schlägt mit den aktuell hohen Preisen zu Buche. Für die rund 25.000 Groß-Verbraucher der Industrie soll ebenfalls ab Januar 2023 ein Preis von 7 Cent für 70 Prozent des Gas-Verbrauchs und von 13 Cent beim Strom gelten.
Allein beim Gas könnte das Vorhaben mehr als 50 Milliarden Euro kosten. Insgesamt will Berlin 300 Milliarden Euro bereitstellen für die bereits umgesetzten oder geplanten Hilfen. Die Kommission hält die deutsche Ausgabenpolitik aber als zu expansiv in einem inflationären Umfeld. Die gleiche Kritik richtet sie an weitere Mitgliedstaaten, insbesondere die hochverschuldeten Länder Belgien und Portugal. tho
Am gestrigen Dienstag kam es nicht zur Abstimmung über die Reform der Energiecharta. Der Punkt wurde im letzten Augenblick von der Agenda genommen. Der EU-Kommission fehlte das Mandat, um am Votum teilzunehmen. Dadurch konnte das nötige Quorum für die Abstimmung nicht erreicht werden.
Im Juni hatten sich die 53 ECT-Staaten im Grundsatz auf eine Reform der Energiecharta geeinigt. Diese sollte eigentlich bei der gestrigen Energiechartakonferenz formell angenommen werden. Doch nachdem immer mehr EU-Staaten, darunter Deutschland, ihren Austritt aus der Charta beschlossen, ließ sich im Rat keine qualifizierte Mehrheit für die Reform des Investorenschutzvertrags finden.
Die EU-Kommission hatte seit Freitag versucht, die Abstimmung zu verschieben. Ohnehin wäre ohne die Stimme der EU26 (Italien hatte die ECT bereits verlassen) keine einfache Mehrheit für die Reform möglich gewesen.
Am Rande des Energierates am Donnerstag wollen sich die EU-Staaten über das weitere Vorgehen beraten. Das sagte Luxemburgs Energieminister Claude Turmes gestern während einer parlamentarischen Fragestunde. Im Rat sei die Stimmung für einen geregelten EU-Austritt aus der Charta konstruktiv, heißt es aus diplomatischen Kreisen. Auch Turmes schließt ein solches Szenario nicht aus.
Die EU-Kommission hat sich noch nicht für diese Option ausgesprochen. Man wolle sich mit den EU-Staaten beraten. Die nächste Energiechartakonferenz, bei der über die ECT-Modernisierung abgestimmt werden könnte, findet erst in einem Jahr statt. cw
Beim gestrigen vierten Trilog haben Parlament und Rat keine Einigung über die Einbeziehung des maritimen Sektors in den europäischen Emissionshandel (ETS) erzielt. Doch es gebe “eine Vorstellung davon, was Schlüsselelemente sind”, betonte der Berichterstatter Peter Liese (EVP). Er zeigte sich daher zuversichtlich, dass beim nächsten Trilog am 29. November ein Text zu diesem speziellen Verhandlungspunkt verabschiedet werden könnte.
Die gestrige, noch nicht abgeschlossene Einigung sieht vor, dass 50 Prozent der Reisen in die und aus der Europäischen Union unter den ETS fallen werden. Es ist ein Kompromiss seitens des Europäischen Parlaments, das einen hundertprozentigen Geltungsbereich wollte.
Die Einbeziehung der Schifffahrt in den ETS hätte sowohl klimatisch als auch finanziell starke Auswirkungen: Nach Schätzungen von Schattenberichterstatter Michael Bloss (Grüne) seien diese 50 Prozent der Schiffsreisen von und nach Europa gleichzusetzen mit einem Ausstoß von 90 Millionen Tonnen CO2 – das ist mehr als der Ausstoß des gesamten Haushaltssektors in Deutschland im Jahr 2021. Würde diese Menge in den EU-ETS integriert, brächte dies Einnahmen in Höhe von 6 Milliarden Euro.
Die Aussichten auf eine Einigung über den anderen Verhandlungspunkt, nämlich die Ausweitung des CO2-Marktes auf Straßen und Gebäude, scheitern momentan am Widerstand Polens. Die polnische Haltung in dieser Frage ist nicht neu, hat aber eine neue Dimension erreicht: Am 18. November hatte Polen einen Brief an die europäischen Verhandlungsführer geschickt, in dem es vor den zusätzlichen Kosten warnte, die die Ausweitung des ETS mit sich bringen würde. “Wir sind weit von einer Einigung entfernt und ich kann nicht erkennen, wo sich die Landezonen in Wirklichkeit befinden”, sagte Peter Liese.
Neben dem Trilog am 29. November ist auch ein “Jumbo-Trilog” vom 16. bis 17. Dezember geplant, bei dem versucht werden soll, eine Einigung über den ETS, den CO2-Grenzmechanismus (CBAM) und den Klimasozialfonds zu erzielen; diese drei Texte des Klimapakets sind ineinander verzahnt. cst
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und der französische Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire plädieren dafür, den US-Inflation Reduction Act (IRA) notfalls mit eigenen Förderprogrammen zu beantworten. Sollten die laufenden Verhandlungen zwischen EU-Kommission und US-Regierung keine Ergebnisse bringen, sei es angebracht, mit einer “robusten Industriestrategie” auf die milliardenschwere Förderung für klimafreundliche Technologien in den USA zu antworten, kündigte Habeck an.
Le Maire sagte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Paris, es sei die Aufgabe der jeweiligen Regierungen, die eigene Wirtschaft zu verteidigen – “um jeden Preis“. Ein Handelskrieg mit Washington sei in der geopolitischen Lage derzeit aber unverantwortlich. Daher müsse man eine industriepolitische Antwort finden.
Im Ansatz scheinen sich Berlin und Paris dabei anzunähern. Habeck verwies auf die geplante Plattform für Transformationstechnologien, die die Produktion von Solaranlagen, Windrädern, Wärmepumpen oder Elektrolyseuren in Europa stärken soll (Europe.Table berichtete).
Habeck argumentierte, auch die Produktionsweise dieser Technologien solle möglichst CO2-neutral sein. Dazu gehörten kürzere Lieferwege, nachhaltigere Produkte oder Qualitätsvorgaben für die Produktion. “Damit hat man einen Korridor abgesteckt, entlang dem man denken kann.” Ein neues Strommarktdesign solle kurz- bis mittelfristig günstigere Strompreise sichern.
Aus Sicht Habecks wäre dies ein Weg, die heimische Produktion zu fördern, ohne nicht-europäische Unternehmen offensichtlich zu diskriminieren, was mit den Regeln der Welthandelsorganisation unvereinbar wäre. Le Maire plädierte hingegen erneut für einen dezidierten “Buy European Act”: Eine Bevorzugung europäischer Hersteller gebe es bereits etwa in der Raumfahrt. “Europa muss lernen, sich zu verteidigen.”
Beide Seiten bemühen sich darum, die jüngsten Verstimmungen im deutsch-französischen Verhältnis vergessen zu machen. Le Maire und Habeck unterzeichneten eine gemeinsame Erklärung zur Industriepolitik. Der Vizekanzler traf in Paris auch Präsident Emmanuel Macron zu einem Arbeitstreffen. Am Montag war bereits Außenministerin Annalena Baerbock mit Macron zusammengekommen. Am Freitag wird Premierministerin Élisabeth Borne zu einem Gespräch mit Scholz in Berlin erwartet. tk/tho
Nachdem mehrere Grünenpolitiker in der ukrainischen Hauptstadt Kiew mit Regierungsvertretern, Militärs und Zivilgesellschaft zusammengekommen sind, haben sie Zweifel an einem baldigen EU-Beitritt des Landes geäußert. Dabei warnen sie vor Enttäuschungen.
“Wir müssen ehrlich mit der Ukraine umgehen”, sagte der Vorsitzende des Bundestags-Europaausschusses, Anton Hofreiter. “Die Herangehensweise der Ukraine kann große Sorgen machen.” Die Regierung in Kiew hatte viele Voraussetzungen nicht vollständig erfüllt. “Die Methode beim Kandidatenstatus wird für den Beitritt nicht funktionieren”, so Hofreiter weiter.
In der Ukraine wird ein baldiger Beitritt erwartet – womöglich schon 2024. “Sämtliche Gesprächspartner haben unserer Delegation bei allen Terminen versichert, dass die Ukraine die Bedingungen für einen EU-Beitritt bis Ende des Jahres erfüllen kann”, sagte Terry Reintke, Ko-Vorsitzende der Grünen-Fraktion im EP.
Vier Tage nach dem Großangriff Russlands auf die Ukraine hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj den Antrag gestellt, Ende Juni wurde der Ukraine der Kandidatenstatus für einen Beitritt zuerkannt. Doch vor einer Mitgliedschaft stehen hohe Hürden, etwa die Übernahme des Acquis, der wesentlichen europäischen Rechtsakte, in nationales Recht. Insbesondere bei Korruption, Unabhängigkeit der Justiz und Medienfreiheit schauen viele europäische Beobachter derzeit besorgt auf das Land mit seinen nominell gut 40 Millionen Einwohnern. Hier seien zu wenig Fortschritte, in Teilen sogar Rückschritte zu verzeichnen.
Es sei an den Ukrainern, die Voraussetzungen zu schaffen, mahnt Grünen-Politiker Hofreiter, zeigt sich aber mittelfristig zuversichtlich: “Ich habe in der Ukraine eine ganz politische Gesellschaft gesehen, mit einer starken Zivilgesellschaft.” Zugleich aber müsse die EU ihre eigenen Hausaufgaben erledigen, um eine Aufnahme der Ukraine auch strukturell zu ermöglichen: “Ohne Reform der EU wird es mit der Mitgliedschaft kompliziert.” fst/mgr
Ab 2026 gilt in der EU eine Quote für mehr Frauen an der Spitze börsennotierter Unternehmen. Das EU-Parlament nahm am Dienstag ein entsprechendes Gesetz an, wie die Institution mitteilte. Da die Mitgliedstaaten diesem ebenfalls schon zugestimmt haben, ist der Weg nun endgültig frei. Die EU-Länder müssen die Bestimmungen innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umsetzen, die Frist beginnt, 20 Tage nachdem die Richtlinie im Amtsblatt der EU veröffentlicht wurde.
Konkret sollen die Staaten zwischen zwei Modellen wählen können. Entweder sollen bis dahin mindestens 40 Prozent der Aufsichtsräte Frauen sein. Die zweite Möglichkeit ist, die neuen Vorschriften sowohl auf geschäftsführende als auch auf nicht geschäftsführende Direktoren anzuwenden, dann würde das Ziel 33 Prozent aller Direktorenpositionen bis 2026 betragen.
Das Vorhaben ist geschlechtsneutral. Säßen in einem entsprechenden Gremium also deutlich mehr Frauen als Männer, profitierten auch Männer von der Regelung. Wenn sich Unternehmen nicht an die Vorgaben halten, sollen die EU-Staaten abschreckende und verhältnismäßige Strafen wie Geldbußen verhängen. Unterhändler des Parlaments und der EU-Länder hatten sich bereits im Juni auf die Richtlinie geeinigt. Die nun erfolgte formelle Zustimmung der Institutionen galt als sicher. dpa
Eigentlich ist Markus Ferber ein lebensfroher Mensch. Doch in dieser schweren Zeit ist der 57-jährige Schwabe in tiefer Sorge um Europa und sein Parlament. “Ich möchte ein selbstbewussteres Parlament, das den Konflikt mit den Mitgliedstaaten nicht scheut”, sagt er. “Wie können wir uns als Europa verteidigen? Wir dürfen nicht die gesamte Verantwortung in der Sicherheitspolitik auf die Nato abschieben.”
Wenn das einer wie Ferber sagt, hat das Gewicht in Brüssel. Denn der konservative Abgeordnete zählt zu den erfahrensten und einflussreichsten Parlamentariern in der EVP-Fraktion. Bereits im Alter von 29 Jahren – im Jahr 1994 – zog er als Abgeordneter in das EU-Parlament ein. Der Wirtschafts- und Finanzexperte hat sich in mehr als zehn Jahren vor allem als Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) einen Namen gemacht. Seit 2018 ist er dort Sprecher der EVP-Fraktion. Derzeit ist er in dem Ausschuss zudem Berichterstatter über die Aufsicht von Versicherungsunternehmen.
Seine Kollegialität wird in der Fraktion geschätzt. “Markus Ferber ist ein Fachmann, mit dem ich sehr kollegial zusammenarbeite. Gemeinsam wollen wir dafür sorgen, dass die Wirtschafts- und Währungsunion das Wachstum im Binnenmarkt unterstützt”, sagt Andreas Schwab (CDU), Binnenmarkt-Sprecher der EVP-Fraktion.
Ferber, der viele Kommissionspräsidenten von Jacques Delors bis Ursula von der Leyen erlebt hat, rügt das Parlament: “Wir machen uns als Europaparlament selbst ohnmächtig.” Früher sei das Parlament kraftvoll in die Verhandlungen mit dem Rat gegangen. “Heute läuft alles technokratisch und bürokratisch.”
An Mut, Dinge klar auszusprechen, hat es Ferber in seiner Karriere in Brüssel nie gemangelt. “Er ist niemand, der den Obrigkeiten nach dem Mund redet”, sagt Ismail Ertug, bayerischer Europaabgeordneter der SPD. Er habe beispielsweise dem europakritischen Wahlkampf von CSU-Chef Horst Seehofer “hörbar und glaubwürdig” widersprochen. Das habe er ihm hoch angerechnet.
Trotz der parteipolitischen Nähe zur früheren CDU-Politikerin und heutigen Kommissionspräsidentin hält er von der Leyen für führungsschwach. In ungewöhnlicher Deutlichkeit sagt Ferber: “Ich spüre nicht, dass die Kommissionspräsidentin aus unserem politischen Lager kommt.” Im gleichen Atemzug legt er nach: “Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Frans Timmermans der wahre Führer der Kommission ist.” Ferber spricht damit aus, was viele in der EVP denken.
Seine kritische Distanz hat sich der CSU-Europapolitiker stets bewahrt. “Es gibt zu viele Gutmenschen in Europa, die meinen, wir müssten alles im Detail regeln”, sagt er. “Wenn Sie ein Elektroauto bauen, sind Sie automatisch grün. Als Autozulieferer sind sie automatisch nicht grün. Das zeigt die ganze Absurdität der europäischen Gesetzgebung, um die Klimaziele durchzusetzen.”
Mit “Gutmenschentum” werde die EU die Probleme nicht lösen können. Davon ist Ferber zutiefst überzeugt und nennt die europäische Flüchtlingspolitik als Beispiel. Seit 2015 sei man in Brüssel “keinen Millimeter” vorangekommen. “Die Unbeweglichkeit des Rates und die Vorschläge der Kommission stellen ein großes Problem dar.”
In seiner Haltung spiegelt er auch den Europaskeptizismus in seiner Partei, aber auch in der mittelständischen Wirtschaft in Bayern. Ferber versteht die kleinen und mittleren Unternehmen als Rückgrat der europäischen Wirtschaft. In seinem Wahlkreis ist der CSU-Bezirksvorsitzende von Schwaben im Unternehmerlager exzellent vernetzt. Schließlich gibt es dort viele Hidden Champions wie den Verpackungsmaschinenhersteller Multivac. “Sie profitieren vom Binnenmarkt und von Freihandelsabkommen und leiden aber auch unter der Überregulierung”, sagt Ferber.
Mit der CSU und der Politik ist der in Schwabmünchen bei Augsburg lebende Europapolitiker aufgewachsen. Bereits sein Vater und Großvater waren für die Christsozialen in der Kommunalpolitik tätig. Als Jugendlicher begann er in der Schüler-Union.
Seit 2020 führt Ferber die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung. Dabei geht er auch unangenehmen Themen wie dem politischen Einfluss der Parteien auf ARD und ZDF nicht aus dem Weg. Doch bei aller Freude über das Amt als Chef der Parteistiftung sind die Prioritäten klar: “Mein Beruf ist Europaparlamentarier. Dem hat sich alles in meiner politischen Tätigkeit unterzuordnen.” Hans-Peter Siebenhaar
im Jahr 1952 ist die Gemeinsame Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl erstmals zusammengekommen. Zehn Jahre später bekam die Versammlung den Namen Europäisches Parlament. Zum 70. Jahrestag der EU-Institution hat Markus Grabitz mit Reinhard Bütikofer gesprochen, Grünen-Politiker und seit 2009 Mitglied des EP. “Als Stärke des Parlaments habe ich immer die ausgesprochene Kollegialität unter seinen Mitgliedern erlebt”, sagt er im Interview. Doch er macht auch Vorschläge, was besser laufen kann.
Kritische Worte über das EP findet Markus Ferber. Er ist seit 1994 Mitglied des Parlaments und damit der dienstälteste CSU-Mann in Brüssel. Früher sei das EP kraftvoll in Verhandlungen mit dem Rat gegangen. Das sei heute anders, “technokratisch und bürokratisch” seien die Abläufe mittlerweile. Kritik übt Ferber auch an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, wie Sie im Porträt von Hans-Peter Siebenhaar lesen können.
In die Suche nach einem neuen Geschäftsführenden Direktor des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ist neuer Schwung gekommen. Wie Europe.Table erfahren hat, ist der ehemalige luxemburgische Finanzminister Pierre Gramegna nun wieder im Rennen. Offenbar hat nach Frankreich auch Italien seinen Widerstand gegen Gramegna aufgegeben. Eine endgültige Entscheidung steht aber noch aus.
275 Euro – das ist der Wert für den Gaspreisdeckel, auf den sich die Kommission festgelegt hat. Allerdings könnte dieser Wert zu einem dauerhaften politischen Spielball unter den Mitgliedstaaten werden. Grund ist eine neue Klausel in dem Entwurf, den die Kommission gestern offiziell vorgestellt hat. Mehr dazu erfahren Sie in den News.
Das Europaparlament begeht in diesen Tagen seinen 70. Die Gemeinsame Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ist im September 1952 das erste Mal zusammengekommen. Daraus wurde unser Europaparlament. Sie sind seit 2009 Mitglied. Was macht dieses Parlament für Sie besonders?
Das EP ist besonders, weil es die einzige von Bürgerinnen und Bürgern direkt gewählte transnationale parlamentarische Institution der Welt ist.
Was ist die besondere Stärke?
Als Stärke des Parlaments habe ich immer die ausgesprochene Kollegialität unter seinen Mitgliedern erlebt – unabhängig von Parteizugehörigkeit und Nationalität. Als Parlamentarier kenne ich noch den Landtag von Baden-Württemberg. Ich war finanz- und haushaltspolitischer Sprecher der Grünen, wir waren in der Opposition. Irgendwann kam der Finanzminister Gerhard Mayer-Vorfelder (CDU) zu mir. Er verstehe gar nicht, warum ich meine Anträge immer so engagiert vortrage. Er sagte: “Wir stimmen doch sowieso alles nieder.” So war es auch. Ich habe in acht Jahren eine einzige Abstimmung gewonnen.
Das ist hier anders: Da wird der Konsens gesucht, da wird über Fraktionsgrenzen hinweg zusammengearbeitet. Ich kann als Abgeordneter einer immer noch kleinen Fraktion Dinge realisieren, wenn ich mit den Kollegen aus anderen Fraktionen konstruktiv zusammenarbeite.
Es ist also kein Malus für das EP, dass es nicht Opposition und Regierung abbildet?
Das Raster des Nationalstaats passt hier nicht. Das EP hat es zum einen mit der Kommission als Exekutive zu tun und andererseits mit dem Rat, der 27-fachen Exekutive der Mitgliedsländer. Letzteren gegenüber ist das EP die starke unitarische Instanz der gesamten EU. Es trägt damit zum Zusammenhalt der EU enorm bei. Anfangs saß man im EP nach Ländern, seit 1958 sitzen wir nach Parteienfamilien sortiert.
Es gibt im EP auch parteipolitische Auseinandersetzungen. Sie sind aber nicht so erstarrt und verkrustet wie in vielen anderen Parlamenten. Vielmehr findet Kooperation statt. Schauen Sie: An einem einzigen Tag stimmen mal die Liberalen und Christdemokraten zusammen, dann die Grünen mit Christdemokraten und Sozialisten. Was zählt, ist die Sache. Der Parlamentarismus im EP ist lebendiger.
Was man über die Debattenkultur nicht sagen kann…
Die Debattenkultur ist verbesserungswürdig. Aber ob es mir gefällt oder nicht, wir müssen uns kurzfassen. In meiner über 13-jährigen Tätigkeit komme ich im Schnitt auf eine Länge des einzelnen Beitrags von etwa zwei Minuten. Meistens darf ich nicht länger als eine Minute reden.
Wie kann das EP besser werden?
Zum einen sollte es mit weniger Sitzungswochen auskommen. Wir haben fast doppelt so viele Sitzungswochen wie im Bundestag. Das sollte geändert werden, damit die Abgeordneten mehr Zeit für den Wahlkreis haben. Zweitens sollte das EP noch mehr in die Zusammenarbeit mit den nationalen Parlamenten investieren. Für die europäische Sache wäre es wichtig, wenn eine Phalanx der europäischen Parlamente entstünde.
Das EP hat sich seine Kompetenzen über Jahrzehnte erkämpft.
Das ist richtig. Besondere Verdienste hat sich bei der Stärkung des EP der langjährige CDU-Abgeordnete Elmar Brok erworben. Wir haben mit andern zusammen das Spitzenkandidatenmodell realisiert.
Das hat beim letzten Mal nicht geklappt. Hat das EP sein Blatt überreizt?
Die Spitzenkandidatur ist nach wie vor eine Möglichkeit, um die demokratische Legitimation des Kommissionspräsidenten zu stärken. Wenn die europäischen politischen Parteien zu entsprechender Gemeinsamkeit finden, wird es bei der nächsten Wahl wieder funktionieren. Leider waren beim letzten Mal nur die Grünen und die Christdemokraten dazu bereit.
Kann das EP seine Kompetenzen weiter ausbauen?
Es kann seine Rolle stärken, indem es etwa seine Kontrollfunktion über die Kommission ausbaut. Ein Vorbild könnte da die Reichweite des US-Kongresses bei der Beaufsichtigung der Exekutive sein. Anderer Punkt: Formal darf das EP nur die ganze Kommission abwählen. Wenn Kommissar Olivér Várhelyi aus Ungarn mehr eine Politik für Viktor Orbán macht als für die EU, dann sollte das EP ihn öffentlich so direkt unter Druck setzen, dass die Kommissionspräsidentin handeln muss.
Das EP soll sich das Recht erkämpfen, einzelne Kommissare abzuwählen?
Die Geschichte des EP zeigt: Lange bevor es das formale Recht bekommen hat, den Kommissionspräsidenten zu wählen, hat das EP Beschlüsse zu den vorgeschlagenen Kommissionspräsidenten gefasst. So muss man es wieder machen. Das EP muss Stück für Stück die Bedingungen ändern, um am Ende dann über eine Vertragsänderung das formale Recht zu bekommen.
Sie waren acht Jahre im Landtag, werden am Ende 15 Jahre im EP gewesen sein, aber nie im Bundestag. Zeigen diese Zahlen, wo Ihr Herz als Parlamentarier schlägt?
Ich wollte nie in den Bundestag. Die Freiheit, die ich mir im Landtag genommen habe, die ich im EP genieße, hätte ich so im Bundestag nicht gehabt. In und für Europa wollte ich schon lange wirken. Diese Leidenschaft ist bei mir tief verankert.
Ihren Verordnungsvorschlag zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch und seinen Darstellungen (Child Sexual Abuse Material, CSAM) im Netz hatte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson im Frühjahr vorgelegt. Seitdem wird gestritten und diskutiert. Die tschechische Ratspräsidentschaft ist mit den bislang erzielten Fortschritten auf Arbeitsebene zufrieden, erklärt eine Sprecherin auf Anfrage. Vor allem die Umsetzung der Verordnung in Technologie sei ein Schlüsselfaktor, mit dem sich Ratspräsidentschaft und Kommission in Workshops zu Erkennungstechnologien und Altersverifizierung auseinandergesetzt hätten. Das Dossier werde von der schwedischen Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr weiterbearbeitet.
Im Europaparlament sind die Arbeiten an der CSAM-Verordnung dabei noch nicht einmal richtig losgegangen: Ein erstes Treffen des Berichterstatters Javier Zarzalejos (EVP) mit seinen Schattenberichterstattern im federführenden Ausschuss für bürgerliche Freiheiten (LIBE) ist für kommende Woche Mittwoch geplant.
Dass die CSAM-Verordnung viele Probleme mit sich bringen wird, war bereits bei ihrer Vorstellung klar. So sollen Plattformbetreiber, Hostinganbieter und Anbieter von Kommunikationsdiensten wie Instant Messaging dazu verpflichtet werden, in ihrem Zuständigkeitsbereich aktiv nach möglichen Abbildungen von Kindesmissbrauch zu forschen und diese an zuständige Stellen zu melden. Das sehen Kritiker als “Chatkontrolle” an und verweisen darauf, dass Nutzer auf diese Weise unter Generalverdacht gestellt würden und in die Gefahr gerieten, zu Unrecht verdächtigt zu werden.
In der Bundesregierung ist die Meinungsbildung dazu nicht abgeschlossen, die FDP-geführten Digital- und Justizministerien hatten von vornherein eine äußerst skeptische Haltung. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hegt starke Sympathie für den Vorschlag der EU-Kommission. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte sich bislang nicht eindeutig dazu verhalten.
Bei einem Fachgespräch der Grünen-Bundestagsfraktion zum Vorschlag der EU zur CSAM-Verordnung wurde nun deutlich, wie problematisch der Vorschlag aus Expertensicht ist. Familienministerin Paus wies auf den Zielkonflikt hin, dass eine private Chatkontrolle unerwünscht, auf der anderen Seite mehr Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt aber nötig sei. Man sei sich in der Bundesregierung einig, dass es gut sei, dass es einen Entwurf gebe, dieser aber “differenziert zu betrachten” sei.
Dass Anbieter verpflichtend mehr für Kinderschutz tun müssten, sei aus ihrer Sicht unstrittig, genau wie ein hohes Datenschutzniveau und eine sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Die Datenschutzbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein, Marit Hansen, warnte sowohl davor, Ende-zu-Ende-Verschlüsselung aufzubrechen als auch davor, automatisierte Erkennung für ein Allheilmittel zu halten.
Wenn ein Ermittler aus der Praxis erzählt, wird auch ein anderes Problem schnell klar. Kriminaloberrat Lars Oeffner berichtete als Vertreter der Gewerkschaft der Polizei bei dem Fachgespräch von einem enormen Zuwachs an Meldungen über Darstellungen sexuellen Missbrauchs an Kindern, die von den Ermittlern abgearbeitet werden müssten. Vor zwei Jahren habe es 2.000 Verdachtsmeldungen gegeben, jetzt 80.000, sagt der Leiter des Dezernats Cybercrime und Digitale Spuren am Landeskriminalamt Schleswig-Holstein.
Das liege nicht zuletzt an US-Plattformen, die automatisiert Inhalte scannen und deren Meldungen auch an europäische Stellen gingen. “Vor unseren Augen wird munter ausgetauscht, werden Videos und Bilder geteilt, da können wir nichts machen, weil wir geflutet werden von den Meldungen“, sagte Oeffner. Vor allem mangele es an Personal, aber auch an Rechtssicherheit für die Ermittler. Er erwarte zudem, dass das jetzt in Deutschland vorgeschlagene Quick-Freeze-Verfahren als Ersatz für die Vorratsdatenspeicherung in vielen Fällen nicht funktionieren werde.
Dass der Europäische Gerichtshof schon die Vorratsdatenspeicherung ja nur deshalb überhaupt in engen Grenzen für zulässig erklärt habe, weil bei dieser eben keine Inhalte gespeichert werden, betonte Felix Reda von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Und warnte zugleich vor einer zu weitgehenden Regulierung durch die CSAM-Verordnung, die an der Realität vorbeigehe. Als Beispiel nannte er die Nutzung von Apps durch Minderjährige. Dies sei nicht sauber abzugrenzen, sagte der frühere Europaabgeordnete. Zudem seien beim Begriff Minderjährige sowohl Kinder als auch 17-Jährige gemeint.
Inhalte-Monitoring würde bereits durch große Anbieter betrieben, erläuterte Jutta Croll von der Stiftung Digitale Chancen. Bei den ebenfalls im Entwurf der CSAM-Verordnung vorgesehenen Maßnahmen zum Grooming betonte sie: “Letzten Endes sind alle Maßnahmen davon abhängig, dass wir wissen müssen, wie alt nicht nur junge Nutzer im Netz sind, sondern wie alt alle Nutzer sind.”
Dass es irgendeine Art von Altersverifikation brauche, sagte Joachim Türk vom Kinderschutzbund: “Das Internet ist leider von Anfang an eine Erwachsenenwelt gewesen, und das ist es noch. Und es ist eine Erwachsenenwelt, designt von weißen Männern.”
Worauf die Veranstaltung der Grünen-Bundestagsfraktion einen Vorgeschmack gab: Die Debatte um die CSAM-Verordnung dürfte in den kommenden Monaten erst richtig beginnen.
Der ehemalige luxemburgische Finanzminister Pierre Gramegna ist wieder im Rennen für den Posten als Geschäftsführender Direktor des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Nach Informationen von Europe.Table hat nach Frankreich auch Italien seinen Widerstand gegen den Luxemburger aufgegeben. Zur Begründung hieß es, die unsichere internationale Lage erfordere einen besonnenen und erfahrenen Finanzpolitiker als Managing Direktor des ESM, der sich zudem mit den Abläufen der europäischen Institutionen bestens auskenne.
Allerdings ist die Entscheidung, Gramegna als neuen Chef des Rettungsschirms einzusetzen, laut den Informationen noch nicht in trockenen Tüchern. Es gebe auch noch andere Namen, aber Gramegna habe mit dem Rückhalt von Deutschland, Frankreich und Italien gute Aussichten, das Rennen zu machen. Unterstrichen wurde, dass im Gegensatz zum bisherigen Vorgehen die Eurogruppe diesmal eine Kampfabstimmung vermeiden und den Chefposten im Konsens entscheiden wolle. Derzeit gebe es seitens der großen Mitgliedstaaten Gespräche, alle Euro-Partner an Bord zu holen.
Gramegna war bereits im Jahresverlauf ein Kandidat für den ESM-Chefposten gewesen, zusammen mit dem Portugiesen João Leão. Beide konnten aber trotz mehrerer Wahlgänge unter den Finanzministern der Eurozone nicht die nötige qualifizierte Mehrheit von 80 Prozent des ESM-Kapitals auf sich vereinen, deshalb zogen beide im September ihre Bewerbungen zurück. Die Entscheidung über den ESM-Vorsitz soll am 5. Dezember beim nächsten Treffen der Euro-Finanzminister in Brüssel erfolgen.
Pierre Gramegna, der von Beginn an die Unterstützung der Bundesregierung hatte, war von 2013 bis Anfang 2022 Finanzminister in Luxemburg. Er hatte im November 2021 aus familiären Gründen seinen Rücktritt erklärt. Aktuell leitet der stellvertretende ESM-Geschäftsführer, Christophe Frankel, übergangsweise die Geschäfte des Rettungsschirms. Sein Mandat endet allerdings zum Jahresende. Der langjährige Chef Klaus Regling stand nach zehn Jahren an der Spitze nicht mehr zur Verfügung. cr
Die Kommission hat sich auf einen Wert für den Gaspreisdeckel festgelegt, er soll 275 Euro betragen. Allerdings könnte dieser Wert zu einem dauerhaften politischen Spielball unter den Mitgliedstaaten werden. Grund ist eine neue Klausel in dem Entwurf, den die Kommission gestern offiziell vorstellte, und die in dem Leak noch nicht enthalten war, über das Europe.Table bereits am Mittwochmorgen berichtet hatte.
Zunächst legte sich die Kommission gestern auf zwei Kriterien fest, nach denen der Market Correction Mechanism aktiviert werden soll: Der Preis der Kontrakte für den Frontmonat müsste zwei Wochen lang über 275 Euro pro Megawattstunde liegen und der Preis am Spotmarkt zehn Handelstage lang weitere 58 Euro über dieser Schwelle.
Diese Werte soll der Rat aber dem offiziellen Entwurf zufolge immer wieder neu festlegen können. Ausreichen sollen dazu unter anderem schon “Marktentwicklungen”. Damit droht eine immer wieder aufflackernde Politisierung des Gaspreises. In der Diskussion ist deshalb, keinen fixen Preisdeckel einzuziehen, sondern einen dynamischen Korridor, wie ihn auch die EU-Staats- und Regierungschefs Ende Oktober gefordert hatten. Dabei würden vorab feste Kriterien beschlossen, nach denen der Preisdeckel je nach Marktentwicklung dynamisch nach oben oder unten angepasst werden könnte.
Beschlossen werden soll der Vorschlag der Kommission beim Energieministerrat am 19. Dezember, beim morgigen Treffen ist zunächst ein erster Austausch geplant.
Für Diskussionen dürfte sorgen, dass der Preisdeckel, so wie ihn die Kommission vorschlägt, selbst in diesem Sommer nie aktiviert worden wäre. Im August war der TTF zeitweise auf 350 Euro pro Megawattstunde gestiegen. Die Kommission hatte in den vergangenen Wochen immer wieder erklärt, der Sinn des Market Correction Mechanism sei es, genau diese exzessiven Preissprünge verhindern zu wollen. Allerdings habe der TTF die Schwelle von 275 Euro im August nur für eine Woche durchbrochen, schrieb Marco Giuli von der Brussels School of Governance auf Twitter. Der Mechanismus wäre also schon am ersten der beiden Kriterien gescheitert. ber
Die EU-Kommission hat die Mitgliedstaaten aufgefordert, die Hilfen für teure Energierechnungen gezielter auszurichten. Weniger als 30 Prozent der Maßnahmen seien auf bedürftige Haushalte und Unternehmen zugeschnitten und senkten dabei den Energieverbrauch, sagte Vizepräsident Valdis Dombrovskis. Besser geeignet sei ein System, das nur den Preis für einen bestimmten Grundbedarf subventioniere und den übrigen Verbrauch zu Marktpreisen belasse.
Das entspricht zwar im Ansatz der Energiepreisbremse, die die Ampel-Koalition in Berlin plant. Allerdings lässt die Kommission durchblicken, dass ihr die Bundesregierung dabei zu großzügig ist.
Die Bundesregierung hat sich inzwischen darauf verständigt, 80 Prozent des Gas-Vorjahresverbrauchs auf zwölf Cent pro Kilowattstunde für Haushalte und Gewerbe zu deckeln. Beim Strom soll der Deckel bei 40 Cent liegen. Ein Verbrauch über 80 Prozent des Vorjahres schlägt mit den aktuell hohen Preisen zu Buche. Für die rund 25.000 Groß-Verbraucher der Industrie soll ebenfalls ab Januar 2023 ein Preis von 7 Cent für 70 Prozent des Gas-Verbrauchs und von 13 Cent beim Strom gelten.
Allein beim Gas könnte das Vorhaben mehr als 50 Milliarden Euro kosten. Insgesamt will Berlin 300 Milliarden Euro bereitstellen für die bereits umgesetzten oder geplanten Hilfen. Die Kommission hält die deutsche Ausgabenpolitik aber als zu expansiv in einem inflationären Umfeld. Die gleiche Kritik richtet sie an weitere Mitgliedstaaten, insbesondere die hochverschuldeten Länder Belgien und Portugal. tho
Am gestrigen Dienstag kam es nicht zur Abstimmung über die Reform der Energiecharta. Der Punkt wurde im letzten Augenblick von der Agenda genommen. Der EU-Kommission fehlte das Mandat, um am Votum teilzunehmen. Dadurch konnte das nötige Quorum für die Abstimmung nicht erreicht werden.
Im Juni hatten sich die 53 ECT-Staaten im Grundsatz auf eine Reform der Energiecharta geeinigt. Diese sollte eigentlich bei der gestrigen Energiechartakonferenz formell angenommen werden. Doch nachdem immer mehr EU-Staaten, darunter Deutschland, ihren Austritt aus der Charta beschlossen, ließ sich im Rat keine qualifizierte Mehrheit für die Reform des Investorenschutzvertrags finden.
Die EU-Kommission hatte seit Freitag versucht, die Abstimmung zu verschieben. Ohnehin wäre ohne die Stimme der EU26 (Italien hatte die ECT bereits verlassen) keine einfache Mehrheit für die Reform möglich gewesen.
Am Rande des Energierates am Donnerstag wollen sich die EU-Staaten über das weitere Vorgehen beraten. Das sagte Luxemburgs Energieminister Claude Turmes gestern während einer parlamentarischen Fragestunde. Im Rat sei die Stimmung für einen geregelten EU-Austritt aus der Charta konstruktiv, heißt es aus diplomatischen Kreisen. Auch Turmes schließt ein solches Szenario nicht aus.
Die EU-Kommission hat sich noch nicht für diese Option ausgesprochen. Man wolle sich mit den EU-Staaten beraten. Die nächste Energiechartakonferenz, bei der über die ECT-Modernisierung abgestimmt werden könnte, findet erst in einem Jahr statt. cw
Beim gestrigen vierten Trilog haben Parlament und Rat keine Einigung über die Einbeziehung des maritimen Sektors in den europäischen Emissionshandel (ETS) erzielt. Doch es gebe “eine Vorstellung davon, was Schlüsselelemente sind”, betonte der Berichterstatter Peter Liese (EVP). Er zeigte sich daher zuversichtlich, dass beim nächsten Trilog am 29. November ein Text zu diesem speziellen Verhandlungspunkt verabschiedet werden könnte.
Die gestrige, noch nicht abgeschlossene Einigung sieht vor, dass 50 Prozent der Reisen in die und aus der Europäischen Union unter den ETS fallen werden. Es ist ein Kompromiss seitens des Europäischen Parlaments, das einen hundertprozentigen Geltungsbereich wollte.
Die Einbeziehung der Schifffahrt in den ETS hätte sowohl klimatisch als auch finanziell starke Auswirkungen: Nach Schätzungen von Schattenberichterstatter Michael Bloss (Grüne) seien diese 50 Prozent der Schiffsreisen von und nach Europa gleichzusetzen mit einem Ausstoß von 90 Millionen Tonnen CO2 – das ist mehr als der Ausstoß des gesamten Haushaltssektors in Deutschland im Jahr 2021. Würde diese Menge in den EU-ETS integriert, brächte dies Einnahmen in Höhe von 6 Milliarden Euro.
Die Aussichten auf eine Einigung über den anderen Verhandlungspunkt, nämlich die Ausweitung des CO2-Marktes auf Straßen und Gebäude, scheitern momentan am Widerstand Polens. Die polnische Haltung in dieser Frage ist nicht neu, hat aber eine neue Dimension erreicht: Am 18. November hatte Polen einen Brief an die europäischen Verhandlungsführer geschickt, in dem es vor den zusätzlichen Kosten warnte, die die Ausweitung des ETS mit sich bringen würde. “Wir sind weit von einer Einigung entfernt und ich kann nicht erkennen, wo sich die Landezonen in Wirklichkeit befinden”, sagte Peter Liese.
Neben dem Trilog am 29. November ist auch ein “Jumbo-Trilog” vom 16. bis 17. Dezember geplant, bei dem versucht werden soll, eine Einigung über den ETS, den CO2-Grenzmechanismus (CBAM) und den Klimasozialfonds zu erzielen; diese drei Texte des Klimapakets sind ineinander verzahnt. cst
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und der französische Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire plädieren dafür, den US-Inflation Reduction Act (IRA) notfalls mit eigenen Förderprogrammen zu beantworten. Sollten die laufenden Verhandlungen zwischen EU-Kommission und US-Regierung keine Ergebnisse bringen, sei es angebracht, mit einer “robusten Industriestrategie” auf die milliardenschwere Förderung für klimafreundliche Technologien in den USA zu antworten, kündigte Habeck an.
Le Maire sagte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Paris, es sei die Aufgabe der jeweiligen Regierungen, die eigene Wirtschaft zu verteidigen – “um jeden Preis“. Ein Handelskrieg mit Washington sei in der geopolitischen Lage derzeit aber unverantwortlich. Daher müsse man eine industriepolitische Antwort finden.
Im Ansatz scheinen sich Berlin und Paris dabei anzunähern. Habeck verwies auf die geplante Plattform für Transformationstechnologien, die die Produktion von Solaranlagen, Windrädern, Wärmepumpen oder Elektrolyseuren in Europa stärken soll (Europe.Table berichtete).
Habeck argumentierte, auch die Produktionsweise dieser Technologien solle möglichst CO2-neutral sein. Dazu gehörten kürzere Lieferwege, nachhaltigere Produkte oder Qualitätsvorgaben für die Produktion. “Damit hat man einen Korridor abgesteckt, entlang dem man denken kann.” Ein neues Strommarktdesign solle kurz- bis mittelfristig günstigere Strompreise sichern.
Aus Sicht Habecks wäre dies ein Weg, die heimische Produktion zu fördern, ohne nicht-europäische Unternehmen offensichtlich zu diskriminieren, was mit den Regeln der Welthandelsorganisation unvereinbar wäre. Le Maire plädierte hingegen erneut für einen dezidierten “Buy European Act”: Eine Bevorzugung europäischer Hersteller gebe es bereits etwa in der Raumfahrt. “Europa muss lernen, sich zu verteidigen.”
Beide Seiten bemühen sich darum, die jüngsten Verstimmungen im deutsch-französischen Verhältnis vergessen zu machen. Le Maire und Habeck unterzeichneten eine gemeinsame Erklärung zur Industriepolitik. Der Vizekanzler traf in Paris auch Präsident Emmanuel Macron zu einem Arbeitstreffen. Am Montag war bereits Außenministerin Annalena Baerbock mit Macron zusammengekommen. Am Freitag wird Premierministerin Élisabeth Borne zu einem Gespräch mit Scholz in Berlin erwartet. tk/tho
Nachdem mehrere Grünenpolitiker in der ukrainischen Hauptstadt Kiew mit Regierungsvertretern, Militärs und Zivilgesellschaft zusammengekommen sind, haben sie Zweifel an einem baldigen EU-Beitritt des Landes geäußert. Dabei warnen sie vor Enttäuschungen.
“Wir müssen ehrlich mit der Ukraine umgehen”, sagte der Vorsitzende des Bundestags-Europaausschusses, Anton Hofreiter. “Die Herangehensweise der Ukraine kann große Sorgen machen.” Die Regierung in Kiew hatte viele Voraussetzungen nicht vollständig erfüllt. “Die Methode beim Kandidatenstatus wird für den Beitritt nicht funktionieren”, so Hofreiter weiter.
In der Ukraine wird ein baldiger Beitritt erwartet – womöglich schon 2024. “Sämtliche Gesprächspartner haben unserer Delegation bei allen Terminen versichert, dass die Ukraine die Bedingungen für einen EU-Beitritt bis Ende des Jahres erfüllen kann”, sagte Terry Reintke, Ko-Vorsitzende der Grünen-Fraktion im EP.
Vier Tage nach dem Großangriff Russlands auf die Ukraine hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj den Antrag gestellt, Ende Juni wurde der Ukraine der Kandidatenstatus für einen Beitritt zuerkannt. Doch vor einer Mitgliedschaft stehen hohe Hürden, etwa die Übernahme des Acquis, der wesentlichen europäischen Rechtsakte, in nationales Recht. Insbesondere bei Korruption, Unabhängigkeit der Justiz und Medienfreiheit schauen viele europäische Beobachter derzeit besorgt auf das Land mit seinen nominell gut 40 Millionen Einwohnern. Hier seien zu wenig Fortschritte, in Teilen sogar Rückschritte zu verzeichnen.
Es sei an den Ukrainern, die Voraussetzungen zu schaffen, mahnt Grünen-Politiker Hofreiter, zeigt sich aber mittelfristig zuversichtlich: “Ich habe in der Ukraine eine ganz politische Gesellschaft gesehen, mit einer starken Zivilgesellschaft.” Zugleich aber müsse die EU ihre eigenen Hausaufgaben erledigen, um eine Aufnahme der Ukraine auch strukturell zu ermöglichen: “Ohne Reform der EU wird es mit der Mitgliedschaft kompliziert.” fst/mgr
Ab 2026 gilt in der EU eine Quote für mehr Frauen an der Spitze börsennotierter Unternehmen. Das EU-Parlament nahm am Dienstag ein entsprechendes Gesetz an, wie die Institution mitteilte. Da die Mitgliedstaaten diesem ebenfalls schon zugestimmt haben, ist der Weg nun endgültig frei. Die EU-Länder müssen die Bestimmungen innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umsetzen, die Frist beginnt, 20 Tage nachdem die Richtlinie im Amtsblatt der EU veröffentlicht wurde.
Konkret sollen die Staaten zwischen zwei Modellen wählen können. Entweder sollen bis dahin mindestens 40 Prozent der Aufsichtsräte Frauen sein. Die zweite Möglichkeit ist, die neuen Vorschriften sowohl auf geschäftsführende als auch auf nicht geschäftsführende Direktoren anzuwenden, dann würde das Ziel 33 Prozent aller Direktorenpositionen bis 2026 betragen.
Das Vorhaben ist geschlechtsneutral. Säßen in einem entsprechenden Gremium also deutlich mehr Frauen als Männer, profitierten auch Männer von der Regelung. Wenn sich Unternehmen nicht an die Vorgaben halten, sollen die EU-Staaten abschreckende und verhältnismäßige Strafen wie Geldbußen verhängen. Unterhändler des Parlaments und der EU-Länder hatten sich bereits im Juni auf die Richtlinie geeinigt. Die nun erfolgte formelle Zustimmung der Institutionen galt als sicher. dpa
Eigentlich ist Markus Ferber ein lebensfroher Mensch. Doch in dieser schweren Zeit ist der 57-jährige Schwabe in tiefer Sorge um Europa und sein Parlament. “Ich möchte ein selbstbewussteres Parlament, das den Konflikt mit den Mitgliedstaaten nicht scheut”, sagt er. “Wie können wir uns als Europa verteidigen? Wir dürfen nicht die gesamte Verantwortung in der Sicherheitspolitik auf die Nato abschieben.”
Wenn das einer wie Ferber sagt, hat das Gewicht in Brüssel. Denn der konservative Abgeordnete zählt zu den erfahrensten und einflussreichsten Parlamentariern in der EVP-Fraktion. Bereits im Alter von 29 Jahren – im Jahr 1994 – zog er als Abgeordneter in das EU-Parlament ein. Der Wirtschafts- und Finanzexperte hat sich in mehr als zehn Jahren vor allem als Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) einen Namen gemacht. Seit 2018 ist er dort Sprecher der EVP-Fraktion. Derzeit ist er in dem Ausschuss zudem Berichterstatter über die Aufsicht von Versicherungsunternehmen.
Seine Kollegialität wird in der Fraktion geschätzt. “Markus Ferber ist ein Fachmann, mit dem ich sehr kollegial zusammenarbeite. Gemeinsam wollen wir dafür sorgen, dass die Wirtschafts- und Währungsunion das Wachstum im Binnenmarkt unterstützt”, sagt Andreas Schwab (CDU), Binnenmarkt-Sprecher der EVP-Fraktion.
Ferber, der viele Kommissionspräsidenten von Jacques Delors bis Ursula von der Leyen erlebt hat, rügt das Parlament: “Wir machen uns als Europaparlament selbst ohnmächtig.” Früher sei das Parlament kraftvoll in die Verhandlungen mit dem Rat gegangen. “Heute läuft alles technokratisch und bürokratisch.”
An Mut, Dinge klar auszusprechen, hat es Ferber in seiner Karriere in Brüssel nie gemangelt. “Er ist niemand, der den Obrigkeiten nach dem Mund redet”, sagt Ismail Ertug, bayerischer Europaabgeordneter der SPD. Er habe beispielsweise dem europakritischen Wahlkampf von CSU-Chef Horst Seehofer “hörbar und glaubwürdig” widersprochen. Das habe er ihm hoch angerechnet.
Trotz der parteipolitischen Nähe zur früheren CDU-Politikerin und heutigen Kommissionspräsidentin hält er von der Leyen für führungsschwach. In ungewöhnlicher Deutlichkeit sagt Ferber: “Ich spüre nicht, dass die Kommissionspräsidentin aus unserem politischen Lager kommt.” Im gleichen Atemzug legt er nach: “Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Frans Timmermans der wahre Führer der Kommission ist.” Ferber spricht damit aus, was viele in der EVP denken.
Seine kritische Distanz hat sich der CSU-Europapolitiker stets bewahrt. “Es gibt zu viele Gutmenschen in Europa, die meinen, wir müssten alles im Detail regeln”, sagt er. “Wenn Sie ein Elektroauto bauen, sind Sie automatisch grün. Als Autozulieferer sind sie automatisch nicht grün. Das zeigt die ganze Absurdität der europäischen Gesetzgebung, um die Klimaziele durchzusetzen.”
Mit “Gutmenschentum” werde die EU die Probleme nicht lösen können. Davon ist Ferber zutiefst überzeugt und nennt die europäische Flüchtlingspolitik als Beispiel. Seit 2015 sei man in Brüssel “keinen Millimeter” vorangekommen. “Die Unbeweglichkeit des Rates und die Vorschläge der Kommission stellen ein großes Problem dar.”
In seiner Haltung spiegelt er auch den Europaskeptizismus in seiner Partei, aber auch in der mittelständischen Wirtschaft in Bayern. Ferber versteht die kleinen und mittleren Unternehmen als Rückgrat der europäischen Wirtschaft. In seinem Wahlkreis ist der CSU-Bezirksvorsitzende von Schwaben im Unternehmerlager exzellent vernetzt. Schließlich gibt es dort viele Hidden Champions wie den Verpackungsmaschinenhersteller Multivac. “Sie profitieren vom Binnenmarkt und von Freihandelsabkommen und leiden aber auch unter der Überregulierung”, sagt Ferber.
Mit der CSU und der Politik ist der in Schwabmünchen bei Augsburg lebende Europapolitiker aufgewachsen. Bereits sein Vater und Großvater waren für die Christsozialen in der Kommunalpolitik tätig. Als Jugendlicher begann er in der Schüler-Union.
Seit 2020 führt Ferber die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung. Dabei geht er auch unangenehmen Themen wie dem politischen Einfluss der Parteien auf ARD und ZDF nicht aus dem Weg. Doch bei aller Freude über das Amt als Chef der Parteistiftung sind die Prioritäten klar: “Mein Beruf ist Europaparlamentarier. Dem hat sich alles in meiner politischen Tätigkeit unterzuordnen.” Hans-Peter Siebenhaar